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Hoffnungslos: Liebe und Tod am Hofe Herzog Ulrichs von Württemberg
Hoffnungslos: Liebe und Tod am Hofe Herzog Ulrichs von Württemberg
Hoffnungslos: Liebe und Tod am Hofe Herzog Ulrichs von Württemberg
eBook488 Seiten7 Stunden

Hoffnungslos: Liebe und Tod am Hofe Herzog Ulrichs von Württemberg

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Über dieses E-Book

Herzogtum Württemberg, um 1500:

Drei Frauen aus der konfliktgeladenen Epoche zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit erzählen aus ihrem bewegten Leben am Hofe des als aufbrausend bekannten Herzogs Ulrich von Württemberg, der später die Reformation einführen sollte.
Elisabeth von Brandenburg-Ansbach ist seine umschwärmte Jugendliebe, Ursula Thumb von Neuburg, die Tochter seines Vormunds, seine längjährige Vertraute und Geliebte. Und schließlich ist da noch Sabine von Bayern, seine Ehefrau, die ihn so leidenschaftlich hasst, wie ihm die beiden anderen zugetan sind.
Und so entspinnt sich ein Netz aus Liebe, Hass und Intrige, das Württemberg an der Schwelle zur Reformation in die größte Krise seiner Geschichte steuert. Denn die Zuneigung des Herzogs zu seiner Geliebten Ursula, der Ehefrau seines Jugendfreundes Hans von Hutten, lässt ihn immer wieder auf dramatische Weise seine persönlichen Gefühle vor das Wohl seines Landes stellen.
Und so nimmt das Unheil seinen Lauf, angetrieben von rasender Eifersucht und verletzter Eitelkeit.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum12. Feb. 2018
ISBN9783897350090
Hoffnungslos: Liebe und Tod am Hofe Herzog Ulrichs von Württemberg

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    Buchvorschau

    Hoffnungslos - Sabine Maucher

    35-009

    Titel

    Sabine Maucher

    HOFfnungsLOS

    Liebe und Tod am Hofe Herzog Ulrichs von Württemberg

    Impressum

    Impressum

    Autorin: Sabine Maucher

    Titel: HOFfnungsLOS

    Untertitel: Liebe und Tod am Hofe Ulrichs von Württemberg

    Titelbild: (Vorderseite, Rückseite und Buchrücken) Lucas Cranach d. Ä. Porträt der Prinzessin Sibylle von Cleve als Braut, 1526 (Klassik Stiftung Weimar, G 12)

    Umschlaggestaltung: Jochen Baumgärtner, vr

    Satz: Patrick Schumacher, vr

    Lektorat: Monika Pleyer, vr

    Endkorrektorat: Henrik Mortensen, vr

    E-Book-Erstellung: Alwina Schweizer, vr

    EPUB: ISBN 978-3-89735-009

    Die Publikation ist auch als gedrucktes Buch erhältlich.

    368 S., Broschur. ISBN 978-3-89735-8.

    Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

    Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

    Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen. Weder Autoren noch Verlag können für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses E-Books entstehen.

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    Prolog

    Sabine, Dezember 1554, Nürtingen

    In einer von diesen endlosen Dezembernächten liege ich wieder einmal wach und horche auf den Wind, der von der Alb herunter heult. Dieser rüttelt wie ein wildes Tier an den Fensterläden des massiven Gebäudes, das hier in Nürtingen von allen liebevoll und vielleicht auch etwas übertrieben Schloss genannt wird. Den ganzen Tag über hatte es schon genieselt und mit Einbruch der frühen Dunkelheit war der Regen in Graupel und schließlich in Schnee übergegangen, der jetzt von dem Sturm gegen die Butzenscheiben meiner Schlafkammer getrieben wird. Ich kann das Klatschen, mit dem jede Flocke an der Scheibe haften bleibt, ehe sie dann von der nach außen dringenden Wärme des Zimmers zerschmilzt, in der stillen Nacht deutlich hören.

    In solchen Nächten, so erzählte unsere Kinderfrau immer mir und meinen Geschwistern, soll die Wilde Jagd, das Gespensterheer der Toten, über die Erde jagen und nach neuer Beute Ausschau halten. Wenn dann nach diesen Geschichten meinen beiden älteren Schwestern Sidonie und Sybille, meinem ein Jahr jüngeren Bruder Wilhelm und mir vor Angst sämtliche Haare zu Berge standen, krochen wir meist wie ein Wurf junger Hunde zueinander ins Bett, um in der gegenseitigen Nähe Trost zu finden.

    Heute ist Sybille schon lange tot und mein geliebter kleiner Bruder hat mir als Herzog von Bayern das Leben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder schwer genug gemacht.

    Vor über vierzig Jahren bin ich als Braut in dieses schöne kleine Herzogtum gekommen und habe vor allem in den ersten vier Jahren meiner Ehe mit Ulrich den biblischen Kelch der Bitternis bis zur Neige geleert. Allerdings habe ich in dieser Zeit auch wahre Treue und Hingabe erfahren.

    Die Liebe meines Lebens ist heute Nacht ebenfalls schon an die zwanzig Jahre tot, und es gibt Zeiten, in denen ich mir kaum noch sein Gesicht vorstellen kann. Die Gefühle allerdings, die das körperliche Zusammensein mit ihm bei mir auslösten, diese Erinnerungen werde ich wohl mit mir ins Grab nehmen.

    Manchmal scheinen die Liebe und der Hass der Vergangenheit in ein anderes Leben zu gehören, sie sind durch die letzten drei Jahrzehnte ebenso überdeckt wie die Landschaft draußen vor meinem Fenster durch die immer dicker werdende Schneedecke.

    Die am Abend vor dem Zubettgehen angezündete Stundenkerze ist nun schon lange nach Mitternacht heruntergebrannt und noch immer gehen meine Gedanken im Kreis.

    Ich erinnere mich noch gut – wie allen alten Leuten ist mir die entfernte Vergangenheit weitaus näher als der gestrige Tag – an mein Eintreffen in Württemberg, an meine Vorsätze, eine gute Ehefrau und verantwortungsvolle Landesmutter zu werden. Vor allem am Anfang meiner Ehe habe ich stets versucht, mein Bestes für Württemberg und meinen Gemahl zu geben.

    Wer konnte auch damals ahnen, dass unsere Ehe in einer solchen Katastrophe enden würde? Obwohl, Anzeichen dafür gab es schon früh, bereits als ich noch mit meinen Eltern und Geschwistern am herzoglich bayrischen Hof meines Vaters in München lebte.

    Leider war damals niemand bereit, auf die überall umher schwirrenden Gerüchte über Ulrich und dessen Familie zu hören, schon gar nicht mein Vater oder gar mein Kaiseronkel Maximilian, die in Ulrich zu dieser Zeit unbedingt einen verlässlichen Juniorpartner der Habsburger im Süden des deutschen Reiches sehen wollten.

    Draußen tobt der Sturm unvermindert fort und an Schlaf ist immer weniger zu denken. Irgendwann wird sich das erste graue Licht des Wintermorgens bis in meine Schlafkammer hereinkämpfen, aber bis dahin ist es um diese Jahreszeit, in der es niemals vor der achten Morgenstunde hell wird, noch lange hin. Und so habe ich genügend Zeit, meine Gedanken weit, sehr weit zurück, bis in meine unbeschwerte Kindheit wandern zu lassen, die ich mit meinen Eltern und Geschwistern am Münchner Hof verbrachte.

    Eine meiner frühesten Erinnerungen geht auf einen Tag im Spätherbst in der alten Veste, der Stadtburg der Herzöge von Bayern in München, zurück. Ich war gerade von unserer obersten Kammerfrau, Dorothea von Weichs, mit einem neuen Kleid, wie es die erwachsenen Damen und meine beiden älteren Schwestern trugen, ausstaffiert worden. Es bestand aus wunderschönem rotem Stoff mit goldenen Borten an den Ärmeln und am Rock. An den Schultern und Ellbogen war der rote Samt nach der neuesten Mode aufgeschlitzt und mit Goldbrokat unterlegt. Ich erinnere mich auch noch deswegen so gut an dieses Kleid, weil ich darunter zum ersten Mal und das trotz meiner Proteste in ein Mieder eingeschnürt wurde, um eine modisch schmale Taille zu erreichen.

    „Agnes, nicht so fest, ich bekomme ja keine Luft mehr", jammerte ich, als die Zofe die Schnüre in meinem Rücken festzog.

    „Unsinn, Euer Gnaden, entgegnete Dorothea von Weichs. „Ihr werdet Euch ganz schnell daran gewöhnt haben. Außerdem ist die Schnürung für Euren Rücken sehr gesund, sie hält Euch schön gerade, wie es sich für eine Prinzessin gehört. Und im Übrigen könnt Ihr ja nicht ewig wie ein Kleinkind herumlaufen, jetzt, da Ihr langsam erwachsen werdet. Agnes, das Übergewand, bitte.

    Nachdem sie mir das Kleid übergezogen hatten, konnte ich nicht umhin, meine neue Pracht in einem dieser überaus teuren, von meinem Vater eigens für uns Mädchen angeschafften Spiegel aus venezianischem Glas zu bewundern. Das Ergebnis gefiel mir durchaus, die Goldfäden des Brokats schimmerten und glänzten im Schein der Kerzen bei jeder Bewegung, als führten sie ein Eigenleben. Um die Mitte herum sah ich eindeutig schlanker aus als sonst. Als sie mir meine Haare gekämmt, geflochten und aufgesteckt hatten, kam noch einmal unsere Kinderfrau Agnes zu mir und legte mir zu meinem Entzücken eine goldene Halskette mit einem kleinen Anhänger in Kreuzform um.

    „Ein kleines Geschenk von Eurer Frau Mutter zum heutigen Anlass", erklärte sie mir. Dann trat sie zurück, um ihr Werk zu bewundern. Die Hofmeisterin nahm mich an die Hand.

    „Wenn Eure Gnaden mir nun folgen wollen", erklärte sie förmlich und wir gingen zur Tür des Kinderquartiers.

    „Frau von Weichs, fragte ich neugierig, als wir in die Gänge der alten Veste hinaustraten, „was hat Agnes vorhin gemeint, als sie von einem besonderen Anlass gesprochen hat?

    „Das, Euer Gnaden, antwortete sie, „werdet Ihr von Euren hochgeborenen Eltern selbst erfahren. Nur noch ein wenig Geduld, wir sind gleich da.

    Damit war klar, dass von ihrer Seite aus die Unterhaltung beendet war, und ich musste mich damit zufrieden geben, bis in die Räume, die von meinen Eltern bewohnt wurden, neben ihr her zu trotten.

    Schließlich erreichten wir die mächtige Tür im Burgstock, hinter welcher die Privaträume meiner Eltern lagen. Meine Kammerfrau nickte den Gardisten zu, die davor Wache standen, diese schwangen die mächtigen Türflügel nach außen und wir traten in das Erkerzimmer, das von meinen Eltern am liebsten bewohnte Gemach der alten Burg, ein. Mein Vater studierte an seinem massiven Tisch gerade irgendwelche Papiere, während meine Mama in einer der Fensternischen, wie meistens, mit ihren Stickarbeiten beschäftigt war.

    „Die Prinzessin Sabine, Euer Gnaden", verkündete Dorothea von Weichs und versank in einem formvollendeten Hofknicks. Meine Mutter stand von ihrer Fensterbank auf und kam mir entgegen, nachdem sie mit einem hoheitsvollen Nicken ihre Hofmeisterin entlassen hatte.

    „Meine liebe Tochter, sagte sie, „dein Vater und ich haben etwas Wichtiges mit dir zu besprechen. Du weißt doch, dass in den letzten Wochen eine württembergische Gesandtschaft hier am Hofe war?

    Ich nickte, obwohl ich mich nicht mehr so genau an die Herren, denen ich vorgestellt worden war, erinnern konnte. Noch einige Erwachsenengesichter an einem Hof voller Erwachsener, die mit meinen Eltern langweilige Erwachsenengespräche führten. Schließlich war ich erleichtert gewesen, als unsere Kinderfrau mich abgeholt hatte und ich wieder mit meinen Geschwistern spielen konnte.

    „Nun, sagte mein Vater, der nun ebenfalls hinter seinem Schreibtisch hervorgekommen war, „diese Herren waren hier, um für ihren neuen Herzog bei mir um deine Hand anzuhalten. Ich habe zugestimmt und mit ihnen eine für beide Parteien verbindliche Heiratsabrede abgeschlossen. Du kannst dich damit ab sofort als Verlobte Herzog Ulrichs von Württemberg betrachten, den du zu gegebener Zeit heiraten wirst. Hast du das verstanden, meine Kleine?

    Das war es also gewesen, was man mir nicht hatte sagen wollen. Daher also das neue Kleid und die Goldkette, die mir beide auf einmal eng und unbequem vorkamen. Mir wurde leicht übel bei dem Gedanken an Heirat, unter der ich mir nichts so recht vorstellen konnte. Sicher, meine Eltern waren verheiratet; Mutter hatte uns mehr als einmal die Geschichte ihrer Verlobung mit unserem Vater erzählt, der sie ohne Erlaubnis unseres Großvaters mütterlicherseits, des deutschen Kaisers Friedrich I., mehr oder weniger heimlich am erzherzoglichen Hof in Innsbruck vom Fleck weg geheiratet hatte. Danach hatte er sie als seine Herzogin heim nach München gebracht, weit weg von ihrem Vater und ihrer übrigen Verwandtschaft. Ich hielt mich also an das Nächstliegende.

    „Heißt das, dass ich dann dich und Mama verlassen muss?", fragte ich, und meine Unterlippe begann verdächtig zu zittern. Mein Vater bemerkte dies und setzte mich auf eines seiner mächtigen Knie.

    „Jede Prinzessin muss, wenn sie heiratet, ihr Elternhaus verlassen und bei ihrem Ehemann wohnen", erklärte er mir.

    „Dann will ich nicht heiraten, schniefte ich in sein Wams. „Bitte, bitte Papa, mach das alles rückgängig, du kannst das bestimmt, du bist ja schließlich der Herzog von Bayern.

    „Aber, aber, versuchte er mich zu beruhigen, „die Heirat wird ja noch lange nicht stattfinden. Bis dahin wirst du dich zu einem jungen Fräulein entwickelt haben, das froh sein wird, einen feschen Ehemann zu bekommen.

    Das war wenigstens ein kleiner Hoffnungsschimmer, denn im Moment war ich von dem Idealbild eines erwachsenen Adelsfräuleins noch meilenweit entfernt. Ich blickte auf und sah, wie er mir zublinzelte.

    „Wann wird denn das sein, Papa?", fragte ich mit meinem dünnen Mädchenstimmchen.

    „In ungefähr zehn Jahren", antwortete er.

    Nun ging es mir schon wesentlich besser, denn zehn Jahre waren eine wirklich furchtbar lange Zeit, und wer wusste schon, was bis dahin noch alles passieren konnte. Vielleicht brach sich mein zukünftiger Bräutigam ja vorher Kopf und Kragen oder er starb an der Pest, die ja bekanntlich Hoch und Niedrig gleichermaßen dahinzuraffen pflegt, und ich konnte mein restliches Leben hier in München bei meinen Eltern, Brüdern und Schwestern zubringen.

    Als mein Vater sah, dass es mir wieder etwas besser ging, setzte er mich ab und klatschte in die Hände.

    „So, rief er fröhlich, „nachdem das geklärt ist, wollen wir aber deine Verlobung gebührend feiern. Ich lasse nach deinen Ge­schwistern schicken und wir machen uns alle zusammen einen schönen Nachmittag.

    Gleich darauf wurden meine Schwestern Sidonie und Sybille sowie meine Brüder Wilhelm und Ludwig von ihren Kinderfrauen hereingebracht. Es gab für uns Kinder Apfelküchlein mit Honig und auch sonst viele Leckereien, die wir alle so gerne aßen. Später ließ mein Vater Musik aufspielen und wir lachten über die Purzelbäume und sonstigen Kunststücke, die die Hofnarren aufführten. Wie immer, wenn wir mit meinen Eltern zusammen waren, war ich glücklich und es gelang mir sogar, den Anlass für diese Feierlichkeiten für eine kurze Weile zu vergessen.

    Heute weiß ich, dass mich mein Vater damals für eine Mitgift von 32 000 Gulden an den zwölfjährigen Herzog von Württemberg verkauft hatte, um im Süden des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation eine politische Allianz gegen Frankreich und die Eidgenossen zu schmieden. Die Heiratsabrede, also das endgültige, bindende Eheversprechen, war zwischen den Abgesandten des Herzogs und meinem Vater am 18. Oktober 1498 abgeschlossen worden.

    Ich war demnach an jenem denkwürdigen Abend in der alten Veste sechseinhalb Jahre alt und sollte für die nächsten dreizehn Jahre die von meinem württembergischen Verlobten verschmähte Braut bleiben.

    Etwas hat mich dieser Abend allerdings schon damals gelehrt: Alles auf dieser Welt hat seinen Preis, auch wenn es sich dabei nur um ein neues Kleid oder eine goldene Kette handelt. Es muss immer bezahlt werden für die guten Dinge, die uns im Leben widerfahren, diese gibt es niemals umsonst.

    Spielgefährten

    Kunigunde, August 1491, München

    Es ist heiß heute.

    Ich sitze mit meinen Edelfräulein im Burggarten der Neuen Veste und versuche, mich auf meine Stickerei zu konzentrieren. Wir arbeiten gerade an einem Altartuch für das Püttrich-Seelhaus, dem von mir und meinem Ehemann in großzügiger Weise unterstützten Frauenkonvent in der Schwabinger Gasse, nur einen Straßenzug entfernt von dem Platz, an dem ich gerade sitze. In der Hitze scheinen meine Finger bereits angeschwollen zu sein, denn es gelingt mir heute kaum, den Faden durch das dicke Tuch zu ziehen.

    Meine beiden Töchter, die dreijährige Sidonie und ihre zweijährige Schwester Sybille, sind unter Aufsicht ihrer Kinderfrau ebenfalls mit uns im Freien. Ich kann ihre Stimmen hören. Sie jagen Schmetterlinge und erkunden dabei den Garten, wobei Sybille immer am Rockzipfel ihrer älteren Schwester hängt und mit ihr plappert, in einer Sprache, die nur die beiden verstehen. Das Gesumme der Bienen in den Rosen an unserer Laube hinter mir wirkt einschläfernd, und die Geräusche um mich herum beginnen zu verschwimmen.

    „Euer Gnaden fühlen sich doch wohl?", ich schrecke hoch und blicke in das besorgte Gesicht der Witwe Anna Preysinger, meiner Hofmeisterin und Freundin. Ich muss kurz eingenickt sein und war wohl gerade dabei, von der Steinbank, auf der ich mich niedergelassen hatte, herunterzufallen.

    „Mir ist etwas schwindelig, gebe ich zu, „würdest du mir wohl ins Haus helfen? Ich glaube, ich lege mich vor dem Essen noch etwas hin.

    Ich stehe auf und sofort erheben sich auch alle anderen Fräulein und schwärmen um mich herum wie ein aufgeschreckter Bienenschwarm.

    „Kein Grund, so ein Aufhebens zu machen, sage ich gereizt, „ihr könnt alle noch eine Weile das schöne Wetter hier im Garten genießen, wir sehen uns später. Bitte deinen Arm, Anna, und sofort ist Anna Preysinger bei mir und fasst mich um die Taille. Gemeinsam steigen wir die Treppe in der Neuveste, die seit jeher die Residenz der Herzoginnen von Bayern ist, hinauf, bis wir im ersten Stock das Schlafzimmer erreichen. Dort angekommen, ist es angenehm kühl und ich lasse mich aufs Bett nieder. Anna zieht mir das schwere Übergewand und die Schuhe aus, schlägt die Decke zurück und ich lege mich auf die kühlen Laken.

    „Euer Gnaden würden mir doch sagen, wenn Ihr krank wärt?", fragt sie besorgt.

    „Natürlich, antworte ich, „aber es geht mir schon besser, jetzt, da ich aus der Hitze heraus bin. Vielleicht habe ich ja auch das Essen nicht vertragen, die Füllung der Kapaunen kam mir verdächtig vor. Ich hatte den Eindruck, sie roch bereits ranzig. Meinst du nicht auch?

    „Hmpf", meint die Witwe Preysinger, ein Laut, den sie immer von sich gibt, wenn sie mit etwas nicht zufrieden ist. Das kann in diesem Fall ja wohl nur meine Antwort gewesen sein.

    „Der Herzog, mein Gemahl, hat sein Kommen für heute Nachmittag angekündigt. Er will nach seinen Töchtern sehen und mit mir zu Abend essen, versuche ich sie aufzumuntern, weil ich weiß, dass sie es genießt, die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen. „Lass mich bitte wecken, wenn er eintrifft. Aber anstatt sich zu freuen, sieht sie mich mit ihrem Adlerblick an, den sie immer aufsetzt, wenn sie bei einer ihrer Kammerzofen einer Sache auf den Grund gehen will.

    „Euer Gnaden mögen mir verzeihen, aber ist es Eure Zeit im Monat?", fragt sie dann zögernd.

    Ist es nicht, aber sie nickt, als wäre dies eine Bestätigung.

    „Und wann war es das letzte Mal soweit?", bohrt sie weiter. Ich muss kurz nachdenken, also letzte Woche war es nicht und die Woche davor auch nicht und davor auch schon länger nicht mehr. Da ich in letzter Zeit von meinen Pflichten als Herzogin und den beiden Kleinen sehr in Anspruch genommen war, war mir das gar nicht aufgefallen.

    „Oh, mein Gott, stöhne ich, als mir ein Verdacht kommt, „Anna, kann es sein …

    „Kunigunde, liebste Fürstin, sagt sie, setzt sich zu mir aufs Bett und nimmt meine rechte Hand in die ihre, eine Vertraulichkeit, die sie sich nur erlaubt, wenn wir alleine sind. „Ich denke, dass Ihr wieder in anderen Umständen seid. Euer Gemahl wird überaus erfreut sein.

    „Nun ja, er muss dabei ja auch nicht jedes Mal ins Wochenbett", brummele ich.

    „Und das ist auch gut so, meint Anna entschieden, „Männer könnten das nicht ein einziges Mal durchstehen, so empfindlich, wie sie sind.

    Darüber muss sogar ich kichern, bei dem Gedanken an die „Empfindlichkeit" meines Ehemannes, der gebaut ist wie ein Bär.

    „Bitte, Anna, sage noch niemanden etwas davon, ich will mir erst ganz sicher sein, bitte ich sie, „ehe ich es dem Herzog sage.

    „Wie Euer Gnaden wünschen, antwortet sie, „ruht Euch aus, ich wecke Euch rechtzeitig, damit wir Euch vor dem Besuch Eures Ehemanns schön machen können, damit knickst sie und das letzte, was ich höre, ist das Rascheln ihres Kleidsaumes über den Holzbohlen, als sie aus dem Zimmer geht. Ich döse ein.

    Kunigunde, September 1491, München

    Der Hofmedikus hat meine Schwangerschaft bestätigt. Ich bin nach noch nicht ganz fünf Ehejahren das dritte Mal schwanger und habe schon zwei lebende Kinder geboren, allerdings beide Mädchen. Wieder einmal, wie die beiden Male zuvor, hoffen Albrecht und ich auf einen Thronfolger.

    Bitte, lieber Gott, du weißt, wie dringend wir einen Sohn für Bayern brauchen, der einstmals von seinem Vater die Regierung übernehmen kann. Bestätige durch deinen göttlichen Willen die Rechtmäßigkeit unserer Ehe, die ja von vielen angezweifelt wurde, da ich sie ohne die ausdrückliche Einwilligung meines Vaters abgeschlossen habe. Heilige Jungfrau Maria, bitte für mich und sorge für eine Entbindung von einem gesunden Sohn.

    Bitte, lieber Gott, bitte …

    Kunigunde, 23. April 1492, München

    Heute habe ich meine dritte Tochter geboren. Alle meine Gebete, und es waren deren unzählige, waren vergebens. Die Geburt selbst, wie immer eine schmerzhafte und blutige Sache, ging, wenn man den Hebammen glauben kann, schnell und ohne Probleme vonstatten. Der erste Schrei meines Kindes war wütend und durchdringend, ganz so, als ob es gegen seinen Willen in diese Welt hinaus gezwungen worden wäre. Er erfüllte die Kammer mit neuem Leben.

    „Gebt mir meinen Sohn, befehle ich, noch ehe die Nabelschnur durchtrennt ist, „ich will meinen Sohn sehen. Die Hebammen zögern und schauen sich an. Das reißt mich aus meiner Erschöpfung, in die ich immer kurz nach der Entbindung falle. Ich schrecke hoch.

    „Euer Gnaden haben eine schöne Tochter geboren", sagt schließlich die Mutigste von ihnen und legt mir das in ein Tuch eingeschlagene Bündel in die Arme. Es ist fest und warm, das kleine Köpfchen voller schwarzer Haare. Bei meiner Berührung öffnet meine jüngste Tochter ihre Augen, die wie bei allen Neugeborenen von einem dunklen Blau sind. Als wir uns ansehen, durchfluten mich Freude und Erleichterung und schlagartig spielt das Geschlecht des Neugeborenen keine so große Rolle mehr für mich.

    Etwas später, ich liege gewaschen und gekämmt im frisch überzogenen Bett, höre ich die Schritte meines Ehemannes im Vorzimmer. Bei seinem Eintreten füllt er den Türrahmen aus, und ist mit zwei Schritten bei mir. Er ragt wie einer seiner bayrischen Berge über mir auf, eine Tatsache, die mich am Anfang unserer Bekanntschaft immer etwas eingeschüchtert hat. Als ich ihn dann besser kennen lernte, hatte sich diese Befangenheit allerdings schnell gelegt.

    Er beugt sich zu mir herunter, und küsst mich auf die Stirn.

    „Liebste Kuni, fragt er besorgt, „wie geht es dir?

    Ich sehe lächelnd zu ihm auf und blicke ihm dabei in die Augen.

    „Es geht mir gut, antworte ich, „aber Albrecht, wir haben wieder nur eine Tochter bekommen.

    „Ich weiß, sagt er, „sie haben es mir schon gesagt.

    „Du bist mir nicht böse?", frage ich.

    „Meine Liebste, antwortet er, „wie könnte ich? Du erfüllst deine Pflichten als meine Ehefrau mehr als genug, und unsere Kinder sind alle am Leben und gesund, das allein ist schon ein Zeichen der göttlichen Gnade. Es ist mir wichtig, dass du dich nun im Wochenbett gut erholst, damit wir bald unseren Sohn zeugen können. Das nächste Mal wird es bestimmt der Erbe sein.

    Nach fünf Ehejahren kann mein Ehemann immer noch Dinge sagen, die mich erröten lassen. Er bemerkt es und lacht in sich hinein.

    „So, und nun das Wichtigste, wo ist meine neue Tochter?" Ich nicke zur Wiege hin, in der das Neugeborene festgeschnürt auf seinem Wickelbrett liegt. Ich weiß, was jetzt kommt. Er hat dies auch bei seinen beiden älteren Töchtern getan.

    „He, Ihr da", dröhnt er und reißt die Tür zur angrenzenden Kammer auf, in welcher sich die Hebammen und Ammen aufhalten.

    „Kommt her, wickelt mir meine Tochter aus und bringt sie mir dann", befiehlt er.

    „Aber Euer Gnaden, entgegnet die Oberhebamme entsetzt, „das ist absolut schädlich für das Neugeborene.

    „Tut, was ich Euch befehle, Weib", sagt er in einem Ton, gegen den es keinen Widerspruch gibt.

    Eine kurze Zeit später hält er seine Tochter im Arm. Er trägt sie an den Kamin, in welchem gegen die frühlingshafte Kühle ein Feuer angezündet worden war, um die Wöchnerinnenstube warm zu halten. Er begutachtet sie. Ich sehe eine winzige Faust, die vor seiner Nase herumfuchtelt, so, als wäre das Baby froh, den engen Binden entkommen zu sein. Nachdem er sie genau betrachtet hat, dreht er sich zu mir um und sagt glücklich:

    „Sie sieht mir Gott sei Dank überhaupt nicht ähnlich. Sie ist genauso hübsch wie ihre Mutter. Diese kleine Prinzessin wird mir, wie ihre Schwestern auch, einmal wertvolle Verbündete für Bayern einbringen."

    Damit setzt er sich zu mir aufs Bett, wobei sich die Matratze an dieser Stelle bedenklich zur Seite neigt. Er hält dem Kindchen vorsichtig seinen Daumen hin, den dieses mit seinem Händchen sofort umklammert.

    „Wie winzig sie ist, sagt er, „und wie kräftig. Hast du schon einen Namen ausgesucht?

    „Ich dachte an Sabine, sage ich und rutsche zu ihm hin. „Du weißt schon, nach der reichen Römerin, die für ihren Übertritt zum Christentum hingerichtet wurde. Außerdem gibt es schon genug Marien bei Hofe. Ich möchte, dass unsere Töchter schon dem Namen nach etwas Besonderes sind.

    „Also dann, willkommen in unserer Familie, Prinzessin Sabine", sagt er. Danach bleibt er noch eine Weile bei mir sitzen und wir bewundern gemeinsam unsere neugeborene Tochter.

    Erst als Sabine zu weinen anfängt, ruft er nach der Amme, die geschäftig in die Kammer hereinwuselt. Danach steht er auf und küsst mich auf die Stirn.

    „Liebwerte Gattin, sagt er förmlich, da die Tür der Kammer offen steht, „leider muss ich mich nun verabschieden, um mich meinen Staatsgeschäften zu widmen. Aber ich komme spätestens morgen wieder, um nach Euch und unserer neugeborenen Prinzessin zu sehen. Bis dahin habe ich Anweisungen gegeben, dass es Euch an nichts fehlen soll. So lebt denn wohl, bis morgen also.

    Er steht auf und verlässt unter den Knicksen der Hebammen und Ammen die Wochenstube. In solchen Momenten bin ich einfach nur froh, ihn geheiratet zu haben. Als er um mich zu werben anfing, damals, am Innsbrucker Hof, an dem ich fern von meinem Vater und Bruder lebte, hat niemand verstanden, warum ich auf seine Werbung einging und ihn dann schließlich recht schnell geheiratet habe. Immerhin war er achtzehn Jahre älter als ich und schon damals recht untersetzt.

    Natürlich war ich als einzige Tochter des deutschen Kaisers nicht so weltfremd anzunehmen, dass politische Erwägungen keine Rolle dabei spielten. Natürlich war mir klar, dass es für einen Herzog von Bayern eine ungeheure Aufwertung in seinem Ansehen bedeuten würde, mich als seine Braut heimführen zu können. Andererseits gab er mir von Anfang an das Gefühl, in mich verliebt zu sein, und weder das übliche Zögern meines Vaters noch das unwürdige Geschachere um meine Mitgift konnten ihn davon abhalten, die Eheschließung durchzusetzen und zu vollziehen. Allein dafür werde ich ihm zeitlebens dankbar sein, denn wenn es nach meinem Vater gegangen wäre, wäre ich vermutlich als alte Jungfer gestorben. Dafür und wie sich unser Eheleben über die Jahre entwickelt hat, seine Fürsorge um mich und die Kinder, danke ich als fromme Christin jeden Tag Gott in meinen Gebeten. Ich bin ja noch jung, gerade einmal siebenundzwanzig Jahre alt, und Albrecht hat bestimmt recht, das nächste Mal wird es sicher ein Sohn werden. Dann macht es ja schließlich nichts aus, dass unsere ersten drei Kinder Mädchen waren!

    Ursula, April 1496, Stuttgart

    Als mein Vater heute nach Hause kommt, bemerke ich als erstes Mitglied seiner Familie, dass er nicht alleine ist. Ich spiele gerade im Hof vor unserem Haus mit meiner neuen hölzernen Puppe, die ich für ihren Mittagsschlaf in ihrer Wiege zurechtmache. Da unser Haus nicht weit vom Schloss entfernt ist, in welchem mein Vater als württembergischer Rat für seinen Herzog arbeitet, geht er oft zu Fuß nach Hause. Er behauptet, das wäre einfacher, als immer erst die Kutsche vorfahren zu lassen, und außerdem könne er so wenigstens einmal am Tag frische Luft schnappen. Ich blicke von meinem Püppchen auf und bemerke, dass Papa einen Jungen, ungefähr im Alter meiner beiden Brüder, mitgebracht hat. Das ist an und für sich nichts Außergewöhnliches, denn wir haben in unserem Haushalt mehrere junge Männer aus angesehenen württemberger Familien, die bei uns aufwachsen, um später einmal am Hofe ihres Herzogs dienen zu können. Dabei handelt es sich meistens um Söhne befreundeter Familien, die sich von der Position meines Vaters Vorteile erhoffen. Diesen Jungen habe ich hier noch nie gesehen. Er hält sich dicht hinter meinem Vater, ist dicklich und hat leuchtend rote Haare. Außerdem sieht er ziemlich missmutig drein, das kann ich sogar aus dieser Entfernung erkennen. Neugierig lege ich mein Püppchen in seine Wiege zurück und laufe den beiden entgegen. Mein Papa beugt sich zur Begrüßung über mich und küsst mich auf die Wange.

    „Guten Tag, mein Schätzchen, sagt er, „schau, ich habe euch Besuch mitgebracht. Darf ich vorstellen, dieser vielversprechende junge Mann hier ist nämlich unser zukünftiger Herzog Ulrich von Württemberg. Damit schiebt er den Jungen sanft etwas zu mir her. „Euer Gnaden, darf ich Euch mit meiner jüngsten Tochter Ursula bekannt machen?"

    Ich staune mit offenem Mund. Der junge Herzog von Württemberg! Kaum jemand hat ihn bisher außerhalb seines Schlosses zu Gesicht bekommen. Meine Brüder haben sogar schon gelästert, dass mit ihm etwas nicht stimmen könne, da man ihn nie seinem Volk zeigen würde.

    Und nun steht er einfach so auf unserem Hof herum! Ein richtiger Herzog! Ich kann es gar nicht fassen. Mein Vater sieht mein Gesicht und lacht leise.

    Dann sagt er vorwurfsvoll: „Aber Ursula, wo bleiben denn deine Manieren? Willst du unseren Gast nicht angemessen begrüßen? Du darfst ihn mit Euer Gnaden anreden."

    Nun werde ich vor Verlegenheit dunkelrot. Ich bin zwar erst sechs Jahre alt, aber unsere Mutter hat als ehemaliges Ehrenfräulein der alten Herzogin Barbara bei all ihren Kindern immer großen Wert auf höfisches Benehmen gelegt.

    „Damit Ihr Euch später einmal in der Welt des Adels behaupten könnt, pflegt sie oft zu sagen, „sind gute Manieren unerlässlich.

    Ich versinke daher in einen tiefen Knicks, und versuche dabei den Kopf so zu halten, wie Mama es mir beigebracht hat.

    „Willkommen, Euer Gnaden", piepse ich dabei. Als ich aufblicke, begegne ich dem Blick des jungen Herzogs. Er ist noch immer misstrauisch, allerdings scheint es mir, als würde sein Blick beginnen, sich aufzuhellen.

    „Ich danke dir", sagt er dann förmlich. Er hat noch die helle Stimme eines Knaben und kann daher nicht viel älter sein als Hans von Hutten. Dieser ist einer der Söhne von den Bekannten meines Vaters, der in unserem Haushalt aufwächst, und mir der liebste Spielkamerad von allen ist.

    „Ursula, ordnet mein Vater jetzt an, „bitte sage deiner Mutter Bescheid, dass Seine herzoglichen Gnaden bei uns eingetroffen sind. Ich werde ihn dann beim Abendmahl noch offiziell allen anderen vorstellen.

    Erleichtert enteile ich ins Haus, froh, dem durchdringenden Blick aus den herzoglichen blauen Augen zu entkommen.

    Später, beim Abendessen, teilt mein Vater der Familie mit, dass sich der junge Herzog von nun an öfters bei uns aufhalten werde, um sich von seinen Staatsgeschäften zu erholen. Dieses ruft kein geringes Erstaunen hervor, ich kann sehen, wie meine beiden Brüder verstohlen zu Ulrich hinüberschauen, sich mit den Ellenbogen anstoßen und dabei leise kichern. Das bemerkt allerdings auch der Herzog und ich kann sehen, wie sich seine Stirne erneut zu umwölken beginnt. Auch mein Vater hat offensichtlich gesehen, was vor sich ging, denn er sagt streng:

    „Konrad, Friedrich, ich erwarte, dass ihr euch anständig benehmt und mir keine Schande macht. Ich will jedenfalls keine Klagen über euch hören, und zu Ulrich gewandt bemerkt er: „Ich bitte, vergebt meinen beiden Lausbuben, sie sind so hohen Besuch nicht gewohnt. Ich denke, das wird sich bald geben, wenn Ihr sie erst näher kennen lernt. Es wird Euer Gnaden bestimmt Spaß machen, mit gleichaltrigen Jungen etwas zu unternehmen, anstatt immer nur mit uns Erwachsenen herumzuhocken.

    Ursula, Sommer 1496, Stuttgart

    Den ganzen Sommer über hat Ulrich uns beinahe jeden Tag besucht. Was mein Vater an jenem ersten Abend vorausgesehen hatte, ist eingetreten.

    Er hat sich in der Zwischenzeit mit meinen beiden älteren Brüdern Konrad und Friedrich sowie mit Hans angefreundet. Manchmal ist noch Dietrich Spät, ein weiterer Verwandter von uns, oder einer der andern Jungen dabei, wenn sie sich im Stall oder im Haus vergnügen. Dass es ihnen Spaß macht, ist offensichtlich, denn ich kann ihr Schreien und Lachen überall hören. Leider hat meine Mama ebenfalls diesen Sommer beschlossen, dass ich alt genug bin, um in hausfraulichen Tätigkeiten unterwiesen zu werden.

    „Du wirst einmal für den Haushalt deines Ehemannes verantwortlich sein, hatte sie mir erklärt, „ich denke, dass es für dich an der Zeit ist, dich darauf vorzubereiten. Man kann gar nicht früh genug damit anfangen.

    Also musste ich im Haus bleiben, während alle anderen sich im Freien vergnügten, und der Köchin dabei zusehen, wie sie riesige Brotteige knetete oder mit der Zubereitung der Mahlzeiten beschäftigt war. Nachdem ich das erste Mal dabei war, wie diese einen Hasen ausnahm, war mir für Wochen der Appetit auf Hasenfleisch vergangen. Da ich noch zu klein bin, um eine große Hilfe zu sein, wurde ich angewiesen, beim Schälen von Bergen von Gemüse oder bei der Zubereitung von Kleingebäck zu helfen. Meine ersten Schmalznudeln waren zwar etwas windschief, aber durchaus genießbar, und wurden sogar von meinem Papa bei Tisch ausdrücklich gelobt. Mama selber unterrichtet mich zusammen mit meinen älteren Schwestern im Nähen und Sticken, und das sind ja nun Tätigkeiten, denen ich absolut nichts abgewinnen kann. Was kann schließlich öder sein, als ein ewig langes Laken zu säumen! Insgeheim nehme ich mir dabei fest vor, später nur einen Mann zu heiraten, der genügend Mägde anstellen kann, um mir diese Arbeiten vom Halse zu halten.

    Die Jungen sind währenddessen mit sich selbst beschäftigt und ignorieren mich so gut es geht. Sogar Hans, der sonst immer mit mir gespielt hat, wenn ich nur laut genug jammerte, hängt wie eine Klette am jungen Herzog.

    Eines Tages, als es mir einmal wieder gelungen ist, der Aufsicht meiner Mutter zu entkommen, beschließe ich herauszufinden, womit sich die Jungen ihre Zeit vertreiben. Dazu klettere ich über eine Leiter auf den Dachboden des Pferdestalles, auf welchem das Heu für die Pferde aufbewahrt wird. Immer wenn ich alleine sein will, verstecke ich mich hier. Das neu eingebrachte Heu riecht angenehm, und das Schnauben und Scharren der Tiere unter mir dringt beruhigend nach oben. Ich muss eine Weile suchen, bis ich eine Lücke in den Brettern gefunden habe, durch die ich nach unten blicken kann. Nachdem ich das passende Loch entdeckt habe, lege ich mich bäuchlings hin und warte. Nach nicht allzu langer Zeit höre ich unter mir die Stimmen von meinen Brüdern, Ulrich und Hans. Ich linse durch die Lücke und sehe, wie sie sich gegenseitig im Stall herumjagen und dabei außer Puste kommen.

    Dann ruft Ulrich: „Hans und ich fordern euch heraus! Wir wollen doch mal sehen, wer stärker ist!, woraufhin alle sich aufeinander stürzen und unter Lachen und Keuchen zu ringen anfangen. Anscheinend haben Jungen nichts weiter im Kopf, als sich andauernd gegenseitig zu verhauen! Wie langweilig, da ist ja Schmalznudeln backen noch interessanter. Leider ist es mir nicht möglich, meine Lage ungesehen aufzugeben, da der Weg nach unten nur über diese eine, von mir vorher benutzte Leiter führt. Ich mache es mir also im Heu so bequem wie möglich, als ich plötzlich jemand „Wollt ihr wohl damit aufhören! Ihr macht mir ja die Gäule scheu! brüllen höre.

    Aha, der Stallknecht. Ich sehe wieder durch meine Lücke und erkenne, dass er in jeder Hand einen Eimer hält. Anscheinend zeigt dies keine Wirkung, dafür ruft es aus dem Knäuel der verschlungenen Jungenleiber: „Warte nur, gleich habe ich dich im Schwitzkasten, so jetzt … Daraufhin hebt der Stallknecht seine beiden Eimer und leert sie über den Kämpfenden aus. Das bringt die zu sich. Mein Bruder Konrad ist der erste, der aufsteht und nun ebenfalls brüllt: „Was erlaubst du dir? Das erzähle ich meinem Vater!

    Worauf der Stallknecht nur mit den Schultern zuckt und meint: „Immer zu, junger Herr. Hier im Stall habe allerdings ich das Sagen, und ich lasse nicht zu, dass jemand zu Schaden kommt. So, und jetzt nimmt sich jeder der jungen Herren eine Bürste. Die beiden Braunen ganz hinten müssen gestriegelt werden, dabei könnt ihr euch alle etwas abkühlen."

    Während die Jungen maulend die Anweisung befolgen, frage ich mich, wie lange ich wohl noch hier oben aushalten muss.

    Nach einer Weile sind sie mit ihrer Arbeit fertig und verlassen endlich den Stall. Als ich aufstehe, verspüre ich einen Widerstand, der mich am Boden festhält. Während ich versuche, frei zu kommen, höre ich ein hässliches reißendes Geräusch. Ich schaue an mir herunter und sehe, dass ich den Rock meines Kleides der Länge nach an einem aus dem Boden hervorstehenden Nagel aufgerissen habe. Verflixt, das wird wieder ein Verhör von meiner Mutter nach sich ziehen, mit den entsprechenden Ermahnungen. Ich beschließe, auf keinen Fall zu erzählen, dass ich schon wieder auf dem Stallboden war, sondern irgend etwas Passendes zu erfinden, um noch mehr Vorhaltungen zu entgehen. Dann klettere ich auf der Leiter wieder nach unten. Gerade als ich im Stall angekommen bin, höre ich jemanden fragen: „Wo kommst du denn auf einmal her?", und ich sehe, dass der junge Herzog an der Stallwand lehnt. Von den anderen keine Spur. Ich muss wohl übersehen haben, dass er den Stall nicht verlassen hat. Der Schreck fährt mir in die Glieder und mir will keine Ausrede einfallen.

    „Ich, ähem, wollte nur nachsehen, ob meine Lieblingskatze schon ihre Jungen bekommen hat", stammle ich schließlich.

    „So, so, meint Ulrich, „komisch, ich habe dich gar nicht hereinkommen sehen, wie lange bist du wohl schon da oben?

    Dabei rückt er bedrohlich näher. Ich hebe meinen Blick und richte mich gerade auf, wobei ich meine Schultern zurücknehme und das Kinn vorstrecke. Er soll nicht denken, dass ich Angst vor ihm habe. Bei zwei älteren Brüdern bin ich schließlich Einschüchterungsversuche gewohnt.

    „Noch nicht lange, Euer Gnaden", antworte ich bestimmt, „Euer Gnaden haben mich wohl übersehen, da Ihr offensichtlich mit anderen Dingen

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