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Die Elfe Hannah: Und die Wächter des Steinkreises
Die Elfe Hannah: Und die Wächter des Steinkreises
Die Elfe Hannah: Und die Wächter des Steinkreises
eBook507 Seiten7 Stunden

Die Elfe Hannah: Und die Wächter des Steinkreises

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Über dieses E-Book

,, Wenn wir die Natur nicht bewahren und beschützen, sägen wir letztlich den Ast ab, auf dem wir sitzen!" Zitat Merlin.

Die 14- jährige Hannah ist ein ganz normales Mädchen.
Zumindest glaubt sie das!
Um so überraschter ist sie, als der Brief eines Internates in Schottland sie erreicht. Darin fordert die Schulleiterin Hannahs Großmutter auf, das Mädchen unverzüglich nach
,Huntingtower Castle' zu schicken um von nun an in der Kunst der Elfenmagie unterrichtet zu werden.
Schon bald stellt sich heraus, dass das Mädchen eine überaus begabte Waldelfe ist.
Sie erweist sich als unverzichtbar im Kampf gegen eine neue, skrupellose Elfengattung: DIE DUNKELELFEN, die durch einen Virus entstanden sind.
Ihr mächtiger Anführer ist zudem der Präsident der Vereinigten Staaten. Rücksichtslos zerstört er die Umwelt und ignoriert den Klimawandel.
Hannah und ihre Mitschüler stellen sich diesem fast aussichtslosen Kampf. Die Elfen müssen um jeden Preis verhindern, dass die Natur weiter zerstört wird.
Eine magische Reise durch Raum und Zeit beginnt...
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum28. Okt. 2020
ISBN9783347151208
Die Elfe Hannah: Und die Wächter des Steinkreises
Autor

Eva Kehm-Seyffarth

Eva Kehm-Seyffarth wurde am Niederrhein geboren. Sie lebt seit 23 Jahren als freiberufliche Künstlerin. Sie ist als Musikerin und Sängerin unterwegs und arbeitet auch als freischaffende Malerin. Zur Zeit lebt sie auf dem Land in der Nähe von Münster. Außer der Musik und der Malerei waren ,Flora und Fauna’ schon von Kleinauf eines ihrer Steckenpferde. Sie verbrachte als Kind oft Zeit mit ihrer Mutter im Garten. Dort lernte sie viel über Pflanzen und Tiere. Dann kam die Leidenschaft für historische und fantastische Belletristik hinzu. So begann sie 2020 mit dem Schreiben. Zuerst entstand ein fantastisches Jugendbuch über die Elfe Hannah, die mit magischen Fähigkeiten den Kampf gegen die den Klimawandel ignorierenden Dunkelelfen aufnimmt. Das neue Buch ist historischer Roman um die Heilerin Christina, die es anno 1450 nach Münster verschlägt und dort Gefahren und Intrigen ausgesetzt ist. Ein zweiter Teil der ,Heilerin von Münster' ist in Planung.

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    Buchvorschau

    Die Elfe Hannah - Eva Kehm-Seyffarth

    1. Die Reise beginnt

    Die Stimme des Kapitäns schepperte durch die Boxen, die überall auf dem Schiff verteilt hingen.

    „Wir hoffen, sie hatten eine angenehme Überfahrt. Wir landen in wenigen Augenblicken im Hafen von Dover an.

    Unsere Crew verabschiedet sich nun von Ihnen. Wir wünschen Ihnen einen schönen Tag und eine gute Weiterreise."

    Hannah sah aus dem Fenster. Es regnete, und nur verschwommen konnte sie die Hafenanlagen, die Hotels und einzelne Häuser erkennen. Das Seitenruder der Fähre machte ein surrendes Geräusch.

    Die 14-Jährige packte ihren Rucksack und erhob sich von ihrem Platz. Es war ihr sogar möglich gewesen, während der Überfahrt, ein wenig zu schlafen. Granny hatte ihr genug Proviant für die Reise mitgegeben, so dass sie sich darum nicht kümmern musste. Sie streifte ihre Jacke über und prüfte nochmals ihr Gepäck. Mit ihrem Rucksack und einem beigefarbenen Rollkoffer bewegte sie sich mit den anderen Passagieren Richtung Ausgang.

    Es bildete sich eine kleine Schlange vor der Ausgangstüre, da die Reisenden nicht in den Regen laufen wollten. Bei schönem Wetter hätten jetzt wohl alle an der Reling gestanden. Ein kurzer Ruck ging durch das Schiff, und die Geräusche von draußen deuteten darauf hin, dass die Gangway ausgefahren wurde.

    Langsam kam Bewegung in die Menschen als die Türe zum Deck sich öffnete. Vor ihr watschelte eine übergewichtige Frau mittleren Alters, die lautstark in ihr Handy trompetete.

    Auf See hatte sie keinen Empfang gehabt. Offensichtlich funktionierte die Technik jetzt wieder.

    Der Bahnhof von Dover war nicht weit vom Hafen entfernt, das hatte sie zu Hause schon recherchiert. Auf dem Kai zog sie ihr Handy aus der Tasche und wählte die App mit der Karte.

    Es waren höchstens 1500 Schritte bis zum Bahnhof von Dover, und da der Regen fast aufgehört hatte, entschied sie sich dazu, den Weg zu laufen. Hannah verstaute ihr Handy in ihrer Jackentasche und marschierte im Pulk der anderen Menschen vom Schiff Richtung Hafenausgang.

    Sie bog rechts in die Yorkstreet ein, lief bis zum Kreisverkehr und wandte sich dann links in die Folkstone Road.

    Nun hatte sie den Bahnhof fast erreicht. Kurze Zeit später saß sie in dem Zug, der erst London passieren würde und dann weiter Richtung Norden fuhr. Bis sie London erreichte, hatte es kaum einen freien Sitzplatz gegeben, aber nachdem der Zug den Hauptbahnhof verlassen hatte, gab es jede Menge freie Abteile.

    Sie verstaute ihr Gepäck und machte es sich am Fenster gemütlich. Jetzt war sie also unterwegs zu einem Internat in Schottland.

    Bis zum heutigen Tag hatte sie ein ganz normales Gymnasium besucht und ein Leben geführt, wie es die meisten Schüler ihres Alters auch taten. Sie hatte keine große Clique gehabt. Da war nur Tom, der in ihrer direkten Nachbarschaft gewohnt hatte und den sie schon ihr ganzes Leben kannte. Bevor sie auf eine höhere Schule ging, hatte sie fast jeden Nachmittag mit ihm verbracht. Sie hatten Fußball gespielt, sich Holzbuden gebaut und im Garten ihrer Großmutter Straßen für Spielzeugautos angelegt.

    Mädchen hatte es in ihrer direkten Nachbarschaft nicht gegeben, und so kam es, dass sie erst eine beste Freundin hatte, als sie auf das Gymnasium ging. Mia war ganz anders als sie selbst, zumindest optisch. Sie hatte lange, blonde Haare und war nicht ganz so groß und zierlich wie Hannah.

    Eigentlich hieß sie ja Mathilda, aber alle nannten sie Mia. Sie war so ein richtiges Mädchen, das mit Puppen spielte und viel Wert auf ihre Kleidung legte.

    Ihre Freundin wäre nie auf die Idee gekommen, im Garten zu spielen und im Matsch zu wühlen. Ihre Eltern behandelten sie wie eine Prinzessin. Hannah fand das toll. Wenn sie sie besuchte, hatte sie selbst ein bisschen das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.

    Natürlich waren ihre Klamotten nicht so schick wie die ihrer Freundin, der von ihren Eltern fast jeder Wunsch von den Augen abgelesen wurde, aber das tat ihrer Freundschaft keinen Abbruch.

    Allerdings fühlte sie sich in ihrer Gesellschaft immer etwas schäbig gekleidet. Mia hatte schöne Kleider, raffiniert geschnittene T-Shirts und topmodische Jeans. Sie besaß immer das neuste Handy.

    Hannah konnte nicht leugnen, dass sie ein wenig neidisch war. Nicht, dass sie ihrer Freundin den ganzen Luxus nicht gegönnt hätte, aber es führte ihr vor Augen, wie schwer es ihre Großmutter und sie doch manchmal hatten. Mia war eine loyale Freundin, und das war schließlich das, worauf es ankam. Tom hatte nach der Grundschule eine andere weiterführende Schule besucht, und so hatten sie immer weniger Zeit zusammen verbracht. Außerdem fand Tom, Mia sei so ein typisches Schickimickimädchen. So sehr sich Hannah zu Anfang auch bemühte, etwas mit beiden gleichzeitig zu unternehmen, sie konnten einfach nichts miteinander anfangen. Da ihr Freund seinerseits neue Kontakte zu Jungen hatte, die überhaupt nicht verstehen konnten, wie man denn mit einem Mädchen befreundet sein konnte, wurden die Nachmittage mit Tom immer seltener. So kam es, dass Mia, einmal abgesehen von ihrer Oma, ihre wichtigste Bezugsperson wurde.

    Ein bisschen stolz war sie ja schon gewesen, als der Brief eintraf, in dem man sie nach Schottland einlud. Von nun an sollte sie ein Internat in der Nähe von Perth besuchen.

    Sie war sofort mit dem Fahrrad zu Mia gefahren und hatte es ihr erzählt. ‚Schottisches Internat‘ hörte sich ja auch echt cool an! Sie hatte sogar den Eindruck, dass Mia aufgrund dieses vermeintlichen Abenteuers etwas eifersüchtig auf sie war.

    Dann war der Tag des Abschieds gekommen. Der war allerdings in keiner Weise cool! Hannah und Mia hielten sich an den Händen. Oma bemühte sich, ihre Vorbehalte gegen die bevorstehende Reise ihrer Enkelin zu verbergen. Als sie auf dem Bahnsteig waren, umarmten sie sich und standen so eine Weile zusammen. Dann gab sie ihrer Großmutter einen flüchtigen Abschiedskuss.

    Mia zog die Jacke aus ihrer Umhängetasche, die Hannah immer so bewundert hatte.

    Es war ein olivgrüner Seidenblouson mit einem schwarzen Kragen. Er hatte Mia immer gutgestanden, aber würde auch wundervoll zu Hannahs dunklen Locken passen.

    „Ich will, dass du sie trägst und an mich denkst", hatte sie gesagt.

    Jetzt saß sie im Zug, irgendwo zwischen London und Perth, in Mias olivengrünem Seidenblouson, ohne die Menschen, die sie ein ganzes Leben lang kannte. Nach Abenteuer fühlte sich das gerade gar nicht an! Nun ja, Verwegenheit war nicht gerade eine ihrer Stärken. Was für eine Schule war das eigentlich? Ihre Großmutter hätte es sich mit Sicherheit nicht leisten können, sie auf ein Internat zu schicken. War das eine Art Stipendium? Klar, ihre Noten waren ganz gut, vor allem die Fremdsprachen, aber so gut nun auch wieder nicht. Auch hatte sie gewundert, warum Granny sie so einfach hatte reisen lassen. Gab es da irgendwas, was ihre Großmutter ihr verschwieg? Was ihre Enkeltochter anging, war Oma Elsa eher so etwas wie ein Kontrollfreak, und jetzt schickte sie sie alleine in die große weite Welt. Nein, das mulmige Gefühl in ihrem Magen fühlte sich sogar nicht nach Abenteuer an.

    2. Das Elfeninternat

    Gegen frühen Abend lief der Zug im Perth Hauptbahnhof ein. Es war ein langer Tag gewesen, und sie hatte ein Nickerchen im Zug gemacht. Sie hatte ihr Handy gestellt, um ihren Zielbahnhof nicht zu verpassen und aus Versehen zu weit zu fahren. Jetzt stand sie auf dem Bahnsteig und sah sich um.

    Hatte ihre Großmutter nicht gesagt, dass man sie abholen würde? Die Menschen eilten an dem Mädchen vorbei, und keiner schien sich für sie zu interessieren. Na super, warum muss ausgerechnet bei ihr immer etwas schiefgehen, dachte sie. Was mache ich bloß, wenn niemand kommt, um mich abzuholen? Sie bewegte sich langsam Richtung Ausgang. Kurz vor der gläsernen Doppeltüre, die nach draußen führte, entdeckte sie einen großen roten Kreis mit einem Punkt in der Mitte.

    ,Meeting Point‘ stand an dem Pfeiler daneben. Sie schritt in den Kreis und beschloss, erst einmal hier zu warten.

    „Hannah! Hannah aus Deutschland!", hörte sie plötzlich eine Stimme.

    Ein leicht untersetzter Mann mit grauen Haaren, Hut und einem olivgrünen Cordanzug bewegte sich japsend auf sie zu. „Ich bin Hannah!", rief sie, um die Lautstärke in der Bahnhofshalle zu übertönen.

    „Na Gott sei Dank, Kind … habe ich dich gefunden!", prustete er, als er vor ihr stand.

    „Sorry, ich bin ein paar Minuten zu spät, sonst hätte ich dich schon auf dem Bahnsteig abgefangen. Mein Name ist Alfred und ich bin der Hausmeister auf Huntingtower Castle. Kann ich dir etwas von deinem Gepäck abnehmen?"

    „Das schaffe ich schon! Mein Koffer hat schließlich Rollen!"

    Sie hätte ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn sie dem älteren Herrn ihr Gepäck aufgehalst hätte.

    „Dann wollen wir mal! Mein Wagen steht draußen auf dem Parkplatz."

    Sie verließen gemeinsam den Bahnhof, und Alfred steuerte auf dem Parkplatz einen schwarzen Oldtimer an. Alfred öffnete den Kofferraum, und Hannah verstaute ihr Gepäck. Wie ein Chauffeur hielt der Mann ihr die Tür zur Rückbank auf und ließ das Mädchen einsteigen. Danach nahm er schnaufend hinter dem Lenkrad Platz. Die vorderen Plätze waren von den hinteren durch eine Glasscheibe getrennt.

    So mussten früher einmal die Londoner Taxis ausgesehen haben, dachte sie.

    Na toll, jetzt kann ich mich noch nicht mal unterhalten. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, drehte er sich um und schob die eine Hälfte der Glasscheibe beiseite.

    „Es ist nicht sehr weit, und wir werden es noch rechtzeitig zum Abendessen schaffen, verkündete er. „Du hast bestimmt Hunger. Ich kann dir sagen, meine Frau ist eine ganz wunderbare Köchin.

    Er steuerte den Wagen souverän aus der Stadt heraus, und sie fuhren eine Weile auf der Landstraße. Hannah kramte ihr Handy aus ihrer Tasche, telefonierte mit Granny und erzählte von ihrer Reise. Oma Elsa wirkte zum Schluss des Telefonates beruhigt und erleichtert, dass sie gut angekommen war. Mia wurde auch noch mit einer längeren WhatsApp bedacht. Ihre Freundin würde sich bestimmt über eine Nachricht von ihr freuen.

    Nachdem sie irgendwann von der Landstraße in eine unscheinbare Stichstraße abgebogen waren, erblickte sie die stattliche Burg am Ende der Straße.

    „Ist ja der Wahnsinn, staunte Hannah. „Genau so habe ich mir alte Burgen immer vorgestellt.

    Die Burg hatte drei Etagen und war aus Naturstein gearbeitet. Je näher sie an das Gebäude heranfuhren, um so verfallener kam es ihr vor. Das ist ja schon fast eine Ruine, dachte sie verwirrt. Darin soll ich von nun an leben?

    Das verfallene Dach umgab eine steinerne Balustrade mit Zacken, die wie eine abgebrochene Zahnreihe in den Himmel ragte. Im Prinzip sah die Burg aus wie zwei überdimensionale Bauklötzchen, wobei eines längs zum anderen stand. Der Mittelteil mit einem schrägen Dach trennte die beiden rechteckigen Teile voneinander. Es gab zwei Eingänge, wobei einer etwas höher lag und über eine steinerne, schon mäßig zerfallene Treppe zu erreichen war. Das war wohl auch die Wetterseite.

    Hier waren die Mauern bis obenhin mit Grünspan bewachsen. Etliche Fahrzeuge waren auf dem gepflasterten Hof geparkt.

    Neben der holprigen Straße, die direkt zum Eingang der Burg führte, gab es eine kleine Hecke. Dahinter bog die Zufahrt zum Eingangsbereich ab. Alfred fuhr allerdings geradeaus über einen einfachen Feldweg an der Burg vorbei. Der englische Rasen, der den Weg säumte, war akkurat kurz geschnitten. Rechts und links des Weges standen zwei uralte, knorrige Eichen, die wie ein Tor aussahen, da ihre Kronen oben miteinander verwachsen waren. Es kribbelte leicht in ihrem Körper, als sie die Durchfahrt passierten.

    „Ups, was war das denn? Das hat sich ja merkwürdig angefühlt!, bemerkte Hannah, nachdem Alfred den Wagen abgestellt hatte und sie ihr Gepäck aus dem Kofferraum nahm. „Wir sind gerade durch das Portal gefahren. Daran gewöhnt man sich mit der Zeit, grinste Alfred sie amüsiert an „Mit der Zeit! Das ist ein gutes Wortspiel!" Er lachte kurz über seinen eigenen Witz, den Hannah nicht verstand.

    „Was für ein Portal? Das sind doch nur zwei alte Bäume auf einer Wiese und einem Weg mittendurch!"

    Wieder kicherte der Hausmeister amüsiert. Das ist ja vielleicht ein komischer Kauz, dachte Hannah verdrossen. Hoffentlich sind nicht alle Bewohner des Internates so merkwürdig drauf. Als sie die Burg zu Fuß umrundeten, um zum Vordereingang zu gelangen, sah sie sich die beiden Bäume noch einmal genauer an.

    Der Weg, der durch das Portal führte, war auf beiden Seiten gleich. Die Wiese, die den Weg säumte, war recht hochgewachsen und wies unzählige Wildblumen auf. Moment! Wildblumen? War der Rasen nicht kurzgeschnitten gewesen, als sie auf die Bäume zugefahren war?

    Das musste wohl eine optische Täuschung gewesen sein! Sie verscheuchte die Gedanken aus ihrem Kopf und folgte Alfred zu Fuß um die Burg.

    So alt und verfallen kam ihr das Gebäude nun gar nicht mehr vor. Keine Spur von Grünspan und die Zinnen schienen auch intakt. Das Gebäude war rustikal, hatte aber einen guten Zustand. Hatten ihre Augen sie denn so betrogen, als sie auf die Burg zugefahren waren? Und wo waren die ganzen Autos geblieben, die auf dem Parkplatz gestanden hatten?

    Verwirrt folgte sie Alfred, der den runden Eingang wählte, der ebenerdig in das Gebäude führte. Er bedeutete ihr, das Gepäck in einer Ecke neben dem Treppenaufgang abzustellen. Hinter der Stelle, wo sie ihren Koffer platzierte, war eine imposante Ritterrüstung postiert. Echt abgefahren, dachte sie! Und was war das für eine coole Treppe. Sie war aus edelem dunklen Holz geschnitzt und hatte sogar Intarsien. Überhaupt war das Innere genauso, wie sie sich eine Burghalle vorgestellt hatte. Auch hier waren die Wände aus groben Steinen gearbeitet, und an der hohen Decke hing ein schwerer Holzbalken mit einem riesigen Messingkronleuchter, der mit dicken Kerzen bestückt war.

    „Könnte ich mir vielleicht noch irgendwo die Hände waschen, bevor es etwas zu essen gibt?"

    Alfred zeigte ihr den Weg und wartete in der Halle, bis das Mädchen sich frisch gemacht hatte.

    Als sie zurückkehrte, ging er auf eine große Türe am Ende des Raumes zu. Er öffnete die schwere Holztür und hielt sie für Hannah auf. Der Speisesaal sah zu ihrer Überraschung gänzlich anders aus, als sie es erwartet hätte. Falls es hier auch Steinwände gab, konnte man sie nicht sehen.

    Die Mauern waren dicht mit Efeupflanzen und wildem Wein bewachsen. Auch hier gab es Kronleuchter, die allerdings nicht aus Metall, sondern aus Holz waren. Es war eine kunstvolle Konstruktion aus verschieden großen und langen Ästen, an denen unzählige Kerzen angebracht waren.

    In der Mitte des Raumes befand sich ein rundes Podest, zu dessen Plattform ein paar Stufen hinaufführten und das wie ein riesiger Baumstumpf aussah. Auf diesem Podest stand ein halbrunder Tisch, an dem einige Erwachsene, wohl die Lehrer der Schule, Platz genommen hatten.

    Wie die Sonnenstrahlen auf einem Kinderbild standen längliche Tafeln um die erhöhte Mitte. Wer hat sich so etwas nur einfallen lassen, dachte Hannah. Hier kam man sich eher vor, wie in einer Gartenlaube oder einer Waldlichtung und nicht wie im Inneren eines Gebäudes.

    Die meisten Tische um das Podest waren recht gut mit Schülern unterschiedlichen Alters gefüllt, aber es gab auch einige, an denen noch Plätze frei waren. Es mussten wohl über fünfzig Kinder und Jugendliche sein, die hier gemeinschaftlich ihr Abendessen einnahmen. Die Schüler trugen grüne Kleidung, sodass Hannah in Mias Blouson kaum auffiel.

    Die Geräuschkulisse war wirklich nicht zu verachten. Geschirr und Besteck schepperten und die Schüler unterhielten sich lautstark, wobei sie nebenbei ihre Teller befüllten.

    Niemand achtete auf das Mädchen, als es den Raum betrat. Hannah folgte dem Hausmeister schüchtern zur Mitte des Speisesaales. Dann deutete er ihr an, sie möge vor der Treppe stehenbleiben. So nach und nach wurden doch einige der Schüler aufmerksam und betrachteten den Neuzugang interessiert. Hannah biss sich auf die Lippe und wickelte eine Locke um ihren Finger, wie sie es immer tat, wenn sie beobachtet wurde. Sie vermied es, jemanden direkt anzuschauen und sah wieder zu Alfred. Er war auf das Podest gestiegen und redete mit einer unglaublich attraktiven Frau von vielleicht dreißig Jahren in einem grünen, hauchzarten Kleid. Sie hatte die roten Haare streng zu einem Knoten gebunden, was ihr vollkommenes Gesicht noch mehr betonte. Alfred deutete in ihre Richtung und der Blick der schönen Frau folgte ihm. Hannah lächelte sie unsicher an. Nach ein paar Augenblicken stieg Alfred die Stufen hinab und kam auf sie zu.

    „Die Direktorin sagt, du sollst dich da vorne zu den jungen Leuten an den Tisch setzen und mit ihnen essen. Außerdem wünscht sie, dass du morgen früh zu ihr ins Büro kommst."

    Hannah folgte Alfred zu einem Tisch, an dem vier junge Leute saßen und eifrig miteinander diskutierten. Als sie näher trat verstummten die Gespräche abrupt.

    Alle starrten sie an.

    Hannah war soviel Aufmerksamkeit eher unangenehm, und sie brachte nur ein schiefes Lächeln zustande. Sie schaute erneut zu Alfred, und als der sie aufmunternd anlächelte, nahm sie zögerlich an dem ihr zugewiesenen Tisch Platz.

    Das Essen auf den Platten in der Mitte des Tisches verströmte einen appetitlichen Duft. Jetzt erst merkte sie, wie hungrig sie nach der langen Fahrt war. Es gab herrlich reifes Obst, frisch gebackenes Brot, Tomatensalat und einen wunderbar duftenden Linseneintopf.

    Sie lud einige der Köstlichkeiten auf den Teller, der vor ihr stand und schaute sich beim Essen ihre Tischnachbarn genauer an. Es waren zwei Mädchen und zwei Jungen in ihrem Alter, die Hannah ihrerseits auch interessiert musterten.

    „Hallo, mein Name ist Lisa, und das sind Sebastian, Elke und Guido. Willkommen auf Huntingtower Castle. Du bist spät dran! Wir anderen sind schon seit einigen Wochen hier. Da hast du ja einiges nachzuholen. Weißt du schon, in welche Klasse du kommst?"

    „Jetzt lass sie doch erst mal in Ruhe essen, bevor du ihr Löcher in den Bauch fragst." Sebastian, ein Junge der vielleicht etwas älter war als sie selbst, sah Lisa ermahnend an.

    „Pah…! Sag mir nicht immer, was ich machen soll!"

    Lisa verschränkte trotzig die Arme und schaute in die Luft.

    „Kein Problem, sagte Hannah leise, „ich habe auch jede Menge Fragen. Vor ein paar Tagen hätte ich nicht gedacht, dass ich jemals ein Internat betreten würde. Der Brief der Schulleiterin kam erst gestern bei mir zu Hause an. Somit war ich weder auf einen Schul-, noch auf einen Ortswechsel vorbereitet.

    „Echt jetzt? Meine Eltern haben mich schon mein ganzes Leben auf diese Schule vorbereitet.

    Ich möchte alles über meine Fähigkeiten lernen und wie ich sie am besten einsetzen kann", verkündete Lisa und machte einen verschwörerischen Gesichtsausdruck.

    „Was hast du denn für Fähigkeiten? Bist du eher mathematisch oder fremdsprachlich begabt?", wollte Hannah irritiert wissen. Das blonde Mädchen lachte schrill auf.

    „Ha, du weißt ja echt noch gar nichts, oder? Auf dieser Schule geht es doch nicht um die, normalen‘ Schulfächer, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. Hier geht es um besondere Fähigkeiten, die erlernt und ausgebaut werden müssen."

    „Was meinst du denn mit ‚besonderen Fähigkeiten‘? Ich wüsste nicht, dass ich welche hätte! Abgesehen davon war ich mit meiner alten Schule ganz zufrieden und es ist mir auch schwergefallen, meine Leute zurückzulassen."

    Sie dachte an Mia und ihre Oma und strich unbewusst über den Seidenblouson.

    „Also nichts gegen euch, aber ich denke, ich bin mir nicht sicher, ob ich hierhin gehöre."

    Hannah hatte keine Ahnung, was auf dieser Schule auf sie zukam, und eigentlich hatte sie auch gar keine Lust, irgendwelche utopischen Erwartungen zu erfüllen. Und was war an ihr schon besonders? Sicher würde man bald herausfinden, dass sie über keine außergewöhnlichen Fähigkeiten verfügte und sie dann rasch wieder nach Hause schicken. Sie gehörte eindeutig nicht auf ein Internat mit Wunderkindern! Da war sie sich ganz sicher!

    „Und, woher kommt ihr? Seid ihr alle in Schottland geboren?", fragte sie, da sie von ihrer Person ablenken wollte.

    „Nein, wie kommst du denn darauf! Die wenigsten von uns kommen hier aus der Nähe. Ich bin Amerikanerin, und Sebastian kommt aus Frankreich. Wir kommen aus der ganzen Welt. Elke, Lisa deutete auf die hübsche Schwarzhaarige an ihrem Tisch, „kommt übrigens aus Spanien und Guido aus dem Iran. Er heißt auch nicht wirklich Guido, aber seinen richtigen Namen konnte hier keiner aussprechen. Lisa lachte kurz auf. „Die Asiatin, sie zeigte auf ein zierliches, schwarzhaariges Mädchen an einem anderen Tisch, „kommt zum Beispiel aus Korea und hat auch einen langen, unaussprechlichen Namen. Wir nennen sie einfach Lee.

    „Ja, aber wenn ihr aus allen möglichen Ländern kommt, wie verständigt ihr euch dann? Habt ihr euch auf eine Sprache geeinigt? Sprecht ihr alle Englisch?"

    „Das war gar nicht nötig. Du sprichst doch jetzt auch in deiner Muttersprache, oder?"

    Jetzt, wo Lisa das sagte, fiel es ihr auch auf. Wie war das nur möglich? Sie sprach ganz passabel Englisch und Französisch, aber mit anderen Sprachen hatte sie sich nie beschäftigt. War das ihre außergewöhnliche Fähigkeit?

    „Das das Gute an dieser Schule ist, belehrte sie Lisa, „wir können hier alle miteinander reden und es ist egal, woher wir kommen und welche Sprache wir sprechen.

    Hannah war das Erlernen einer fremden Sprache schon immer sehr leichtgefallen. Selten musste sie Vokabeln lernen, und sie verstand doch sofort, was ihr Gegenüber ihr sagen wollte. Das Schreiben dieser Sprachen fiel ihr hingegen schwerer.

    In Englisch und Französisch war sie sogar Klassenbeste. Die Naturwissenschaften hatten ihr auch gelegen, gerade die Biologie, aber mit der Mathematik haperte es ein wenig.

    „Du willst mir doch jetzt nicht erzählen, dass du keine Ahnung hast, was für ein Internat das hier ist! Haben deine Eltern nie mit dir darüber gesprochen?"

    „An meine Eltern kann ich mich nicht mehr erinnern. Sie starben bei einem Autounfall, als ich noch ein Baby war."

    „Oh, das ist schlimm, das tut mir leid. Lisa sah sie mitfühlend an. „Wer hat dich denn bis jetzt unterrichtet, wenn nicht deine Eltern?

    „Na meine Schule! Ich hatte ganz normalen Unterricht auf einer ganz normalen Schule! Ich denke, ich bin hier schnell wieder verschwunden und kann zurück zu meiner Oma."

    „Na ja, wir werden ja sehen, ob du zu deiner Großmutter zurückkehrst!"

    Ohne, dass jemand es bemerkt hätte, war die schöne Direktorin an den Tisch herangetreten.

    „Guten Abend Hannah! Mein Name ist Dorothea Greensleeves und ich bin die Schulleiterin von Huntingtower Castle. Hiermit möchte ich dich persönlich willkommen heißen! Ich hoffe, dass Alfred dir mitgeteilt hat, dass du morgen nach dem Frühstück zu mir ins Büro kommen sollst!"

    Nach dem Hannah die Frage schüchtern bejaht hatte, wandte sie sich den beiden anderen Mädchen am Tisch zu.

    „Ich möchte, dass ihr mit Hannah euer Zimmer teilt", wandte sie sich an die Mädchen

    „Ihr helft ihr, sich hier zurechtzufinden, damit sie keine Schwierigkeiten hat, sich auf der Burg einzuleben. Ich wünsche euch allen einen angenehmen Abend und eine gute Nacht. Hannah, wir sehen uns morgen."

    Mit diesen Worten wandte sich die Schulleiterin vom Tisch ab und verließ kurze Zeit später den Speisesaal.

    Lisa und Elke erhoben sich und forderten Hannah auf, ihnen zu folgen.

    Sie durchquerten den imposanten Eingangsbereich und stiegen, wie alle anderen Schüler, die dunkle Holztreppe hinauf. Ihr Gepäck hatte man wohl schon weggeräumt. Nachdem sie einen langen, mit Teppichböden ausgelegten Gang passiert hatten, der obendrein noch mit alten, zum Teil skurrilen Portraits geschmückt worden war, öffnete Lisa eine Tür auf der rechten Seite.

    „So, da wären wir, junge Dame!"

    Hannah fand die Anrede etwas merkwürdig, da Lisa ungefähr in ihrem Alter sein musste, aber irgendwie auch ganz lustig.

    „Das hier ist mein Bett, und da vorne schläft Elke. Du kannst dir ja eines der beiden anderen Betten aussuchen!"

    Lisa wies auf zwei Betten auf der linken Seite des Raumes. An der hinteren Wand befand sich ein Fenster, vor dem jemand ihr Gepäck abgestellt hatte. Hannah sah sich im Raum um.

    Die Himmelbetten waren aus dunklem Holz, wobei jeder einzelne Pfosten wie der Stab eines Einhorns emporragte und sich nach oben hin verjüngte. Trotz der steinernen Wände erschien der Raum gemütlich und freundlich.

    Hier würde sie sich bestimmt wohlfühlen können!

    Ihr Blick schweifte weiter durch den Raum. Lisa schien etwas chaotisch zu sein. Ihr Bettzeug lag durchwühlt da, als wäre sie gerade erst aufgestanden.

    Elkes Bett war hingegen glattgestrichen. Auf ihrem hölzernem Nachtischchen stand ein kleiner Strauß mit frischen Waldblumen.

    „Wo sind denn eure Sachen, habt ihr hier keine Schränke?" Hannah schaute sich verwundert um.

    „Wir haben so etwas Ähnliches. Es gibt Nischen in den Wänden, die kannst du aber erst sehen, wenn du genau davorstehst."

    Zur Demonstration stellte sich Lisa nah an die Wand zwischen die beiden Betten auf ihrer Seite. Sofort erschien eine Nische, die mit Regalen ausgestattet war.

    Hannah hatte sich für das Bett am Fenster entschieden und stellte sich nun auch in den Zwischenraum der beiden freien Betten. Sofort wurde auch bei ihr eine Nische sichtbar, in der schon einige grüne Kleidungsstücke lagen.

    „Cool! Ich kann zaubern!", verkündete Hannah überrascht.

    „Wohl kaum, lachte Lisa, „das kannst du noch nicht. Es ist nur so, dass die Burg dich als Elfe erkennt und dir ihre kleinen Geheimnisse preisgibt. Das grüne Zeug da ist übrigens unsere Schuluniform.

    Das blonde Mädchen verzog missbilligend die Mundwinkel und deutete auf ein paar Kleidungsstücke, die ordentlich zusammengelegt in ihrem Regal lagen.

    „Mir steht ja eigentlich blau besser, aber die grünen Klamotten sind hier Pflicht. Da dich die Burg eindeutig als Elfe erkennt, sieht es für mich nicht so aus, als müsstest du wieder nach Hause fahren, weil du hier nicht hingehörst."

    Was sollte das denn schon wieder heißen? Elfen gab es doch nur in den Geschichten, die ihre Oma ihr früher vorgelesen hatte. Sie hatte diese Erzählungen immer geliebt! Als kleines Kind hatte sie sich immer vorgestellt, wie es sei, wenn sie eine Elfe wäre. In diesen Büchern konnten Elfen zaubern und fliegen und waren wunderschön.

    Elke hatte es sich in der Zwischenzeit auf ihrem Bett bequem gemacht und las ein Buch.

    „Elke redet nicht soviel und sie ist eine kleine Streberin", kicherte Lisa.

    „Irgend womit muss man sich ja beschäftigen, wehrte sich Elke „Handyspiele funktionieren ja nicht, und der Fernseher ist noch nicht erfunden.

    „Was soll das denn heißen? Natürlich ist der Fernseher erfunden, aber ich kann mir vorstellen, dass es hier für die Schüler keinen gibt. Sie sollen ja schließlich lernen und sich nicht die ganze Zeit Cartoons ansehen. Das ist bestimmt eine reine Erziehungsmaßnahme! Wir leben ja nicht mehr im Mittelalter!"

    „Von wegen Erziehungsmaßnahme. Hier gibt es ja noch nicht einmal Strom! Ist ja auch kein Wunder, im Jahre 1728 gibt es keinen Strom und auch keine Geräte, die damit funktionieren würden. Hast du hier ein elektrisches Gerät gesehen oder zumindest eine Steckdose? Fehlanzeige!"

    „Wie, 1728? Spinnt ihr? Und natürlich gibt es hier Strom!"

    Hannah sah sich noch einmal genauer die Wände ihrer neuen Unterkunft an. Tatsächlich war nirgendwo eine Steckdose installiert worden. Nachdenklich nestelte sie an ihrer Jacke, um sie in ihr Fach zu legen. Sie ertastete ihr Handy und sah es sich verwundert an. Das Display sah eigentlich völlig normal aus. Uhrzeit und Datum stimmten. 20.7.2020! Aber wo war nur die Wlan-Verbindung? Und wo sollte sie jetzt ihr Handy aufladen? Na toll! Ihr Handy war noch zu 71 Prozent geladen.

    „Aber wie soll ich jetzt meine Oma anrufen? Und was soll das heißen, der Fernseher ist noch nicht erfunden, und was soll das Geplapper von 1728?"

    Elke sah von ihrem Buch auf.

    „Hast du keinen Unterschied bemerkt, als du durch das Baumtor, oder besser gesagt durch das Portal gefahren bist? Wie du vielleicht bemerkt hast, gibt es hier keine gepflasterten Straßen mehr. Du hast mit dem Schritt durch das Baumtor nicht den Ort, sondern die Zeit verlassen. Laut unserer Direktorin befinden wir uns im Jahre 1728, und deine Oma ist noch gar nicht geboren. Ich denke mir, dass sie die Schule genau in diese Zeit gelegt haben, damit wir uns durch Technologie nicht ablenken lassen und uns nur auf unsere naturgegebenen Fähigkeiten konzentrieren können."

    Plötzlich fühlte sich Hannah alleine. Dass sie keine Eltern hatte, war ja nichts Neues. Dass sie sich mit ihrer Oma noch nicht einmal unterhalten konnte, weil Granny noch nicht geboren war, war ein beklemmendes Gefühl.

    Lisa hatte sich mittlerweile auch aufs Bett gelegt und las ebenfalls.

    „Was liest du da?", fragte Hannah das blonde Mädchen.

    „Die unendliche Geschichte von Michael Ende. Es gibt hier zwar keine Technologie, aber eine Bibliothek und viele Bücher aus allen Epochen der Zeit, auch aus dem 20. Jahrhundert.

    Die muss wohl irgendjemand durch das Zeitportal hierhergeschleppt haben.

    Ich kann dir morgen zeigen, wo die Bibliothek ist. Da ist bestimmt etwas dabei, was dich interessieren könnte."

    Als Hannah ihre Sachen in der Nische verstaut, und auch ihren Koffer verräumt hatte, zog sie sich aus und legte sich auf ihr Bett. Die Mädchen erlaubten sich bestimmt einen Scherz mit ihr. Natürlich, sie war die Neue auf der Schule und mit ihr konnte man das ja machen.

    Morgen würden sie bestimmt allen anderen erzählen, wie sie sie hereingelegt hatten. Aber jetzt fiel ihr wieder ein, dass auch sie gedacht hatte, die Burg habe sich verändert, nachdem sie durch die Bäume gefahren war. Auch sie hatte bemerkt, dass die Burg nicht mehr so verfallen wirkte, wie es der erste Eindruck vermittelt hatte. Sie beschloss, morgen der Direktorin ein paar gezielte Fragen zu stellen. Die Frau würde sie bestimmt nicht zum Narren halten! Alles würde sich aufklären. Es war ein langer Tag gewesen und trotz der fremden Umgebung schlief sie bald ein.

    3. Die Rose von Jericho

    „Guten Morgen, Schlafmütze! Beeil dich! Wir treffen uns unten beim Frühstück!"

    Es war noch früh am Morgen, aber Lisa und Elke waren schon komplett angezogen und verließen kichernd das Zimmer.

    Hannah beeilte sich, sich frisch zumachen und zog die grünen Kleidungsstücke an, die sie in ihrer Nische vorgefunden hatte und womit auch die beiden anderen Mädchen bekleidet waren. Das ist eine merkwürdige Farbzusammenstellung für eine Schuluniform, ging es ihr durch den Kopf. Verschiedene Olivgrüntöne!

    Eine Leggings und eine Art Hängerchen, dass eine A-Form hatte und am unteren Saum mit langen und kürzeren Spitzen versehen war.

    Zugegeben, die Kleidungsstücke waren äußerst bequem, ließen ihr viel Bewegungsspielraum und passten sogar zu ihren Sportschuhen, ohne albern auszusehen. Sie beeilte sich, um den Zimmergenossinnen zu folgen. Wo war eigentlich das Bad? Gab es hier so etwas überhaupt? Sie würde sich kurz in dem Raum frischmachen, den Alfred ihr bei ihrer Ankunft gezeigt hatte. Elke und Lisa saßen bestimmt schon unten mit Guido und Sebastian am Tisch und machten sich darüber lustig, dass sie Hannah gestern einen Bären aufgebunden hatten. Wartet nur ab, dachte sie, mir wird schon etwas einfallen, womit ich euch hereinlegen kann. Rache ist schließlich süß und wird kalt serviert.

    Nach ein paar Minuten erreichte sie den Tisch im großen Saal, an dem sie auch gestern gesessen hatte.

    Guido und Sebastian hatten auch schon Platz genommen. Es gab Porridge, eine Art Haferbrei mit frischen Früchten, der aber gar nicht so schlecht schmeckte, wie er aussah.

    Hannah hatte den freien Platz neben Sebastian gewählt. Sebastian nickte ihr freundlich zu und machte überhaupt keinen schadenfrohen Eindruck. Zu ihrer Verwunderung wirkten die vier jungen Leute nicht so, als hätten sie sich gerade über sie lustig gemacht. Das sind ja auch noch spitzen Schauspieler, dachte sie leicht genervt.

    „Und, wie kommst du klar?", wollte Sebastian wissen.

    „Ganz gut soweit."

    Hannah wollte sich nicht die Blöße geben und etwas über das Gespräch mit den beiden Mädchen vom Vorabend erzählen. Auch wenn Sebastian freundlich wirkte, konnte es doch sein, dass er sich hinter ihrem Rücken mit den Mädchen über sie lustig machte.

    „Ich hoffe, dass ich nach dem Treffen mit der Direktorin schlauer bin!"

    Sie löffelte den Rest aus ihrer Schüssel und beobachtete, wie sich die Schulleiterin erhob und den Saal verließ.

    Nachdem Hannah sich erkundigt hatte, wo sie das Büro der Direktorin finden konnte, stand sie nun kurze Zeit später vor dem großen Schreibtisch von Dorothea Greensleeves.

    Es war ein altes Möbelstück, und vor und hinter dem Tisch standen dunkle, aufwendig geschnitzte Armlehnstühle. Der Raum besaß hohe Fenster. Vor einem stand ein Tisch, auf dem sich eine merkwürdige Apparatur befand, die wie ein Solarmodul aussah. Daneben lag ein Laptop.

    Also doch, dachte Hannah, die haben sich echt einen schönen Scherz mit mir erlaubt.

    „Guten Morgen mein liebes Kind. Ich hoffe, du hast gut geschlafen. Ich möchte dich noch einmal persönlich hier in unserem Internat willkommen heißen. Ich kann mir vorstellen, dass du dich ganz gut mit deinen Zimmergenossinnen verstehst, da es zwei wirklich nette Mädchen sind. Oder gibt es irgendwelche Probleme, von denen du mir berichten möchtest?"

    „Tja, ich weiß nicht so recht, begann Hannah unsicher. „Ich kann nicht beurteilen, ob Lisa und Elke mich mögen. Nicht, dass sie unfreundlich zu mir gewesen wären, aber sie haben schon versucht, mir einen Bären aufzubinden! Ich denke mal, sie haben das gemacht, weil ich neu hier bin. Ist es hier Tradition, dass man die Neuen erst mal ins Bockshorn jagt? Ein bisschen gemein fand ich es schon, mir solche Geschichten zu erzählen!

    „Was haben sie dir denn genau erzählt? So eine Tradition gibt es hier eigentlich nicht und so etwas hätte ich gerade von Elke nicht erwartet. Sie hat ein sehr pragmatisches Wesen. Zugegeben, bei Lisa bin ich mir da nicht so sicher! Sie hatte schon häufiger verrückte Ideen. Also, was waren das für Geschichten?"

    „Sie haben mir erzählt, hier gäbe es keine Technik und dass wir uns im 18. Jahrhundert befänden.

    Wie ich jetzt allerdings sehen kann, besitzen sie einen Computer. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, muss ich fast selbst über den Scherz lachen aber die beiden waren so überzeugend, dass ich es ihnen fast abgenommen hätte."

    „Erst einmal möchte ich dir sagen, wie ähnlich du deiner Mutter siehst und dass ich hocherfreut bin, dich persönlich kennenzulernen. Den letzten Kontakt zu Liana hatte ich kurz bevor sie starb, und sie hat mir damals schon erzählt, wie stolz sie auf dich ist und wie sehr sie dich liebt", begann die Schulleiterin.

    Hannah schaute sie erstaunt an. Das war ja mal eine abrupte Überleitung und die Schulleiterin ging in keiner Weise auf das Verhalten von Lisa und Elke ein.

    „Sie kannten meine Mutter?", wunderte sich Hannah erstaunt. Endlich gab es in ihrem Leben eine Person, die ihr einige brennende Fragen zu ihrer Mutter beantworten konnte.

    „Aber natürlich! Vor langer Zeit war sie auch an dieser Schule! Wir waren gemeinsam in einer Klasse. Deine Mutter war unglaublich talentiert und hatte außergewöhnliche Fähigkeiten. Damals haben wir sogar konkurriert. Jede von uns wollte die Beste sein. Trotzdem waren wir auch sehr gute Freundinnen. Ach ja, ich besitze zwar einen Computer, wie du siehst, aber ich kann ihn hier natürlich nicht benutzen. Die Apparatur mit Solartechnik daneben lädt ihn, und ich brauche ihn, um mich in der Gegenwart, also im Jahre 2020, auf dem Laufenden zu halten. Er funktioniert einwandfrei, nachdem ich das Baumtor durchschritten habe."

    Hannah fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Hatte Mrs. Greensleeves gerade gesagt, dass sie sich wirklich im Jahre 1728 befand? Wenn sie der Geschichte von Mrs. Greensleeves Glauben schenkte, konnte sie ihr Handy im Internat nicht benutzen. Sie würde einen anderen Weg finden müssen, um mit ihrer Großmutter Kontakt aufzunehmen. Aber noch etwas anderes hatte ihr Interesse geweckt.

    „Über meine Mutter würde ich gerne noch viel mehr wissen. Ich habe sie ja leider nicht wirklich kennengelernt. Im Moment interessiert es mich aber auch, etwas zu diesen geheimnisvollen Fähigkeiten zu erfahren! Lisa hat gestern beim Abendessen schon so etwas erwähnt. Ich bin mir nicht darüber bewusst, dass ich irgendwelche bemerkenswerten Fähigkeiten hätte."

    „Wenn du die Tochter deiner Mutter bist, müsstest du sehr begabt sein. Ich werde dir sehr gerne bei Gelegenheit noch mehr über deine Mutter erzählen, aber jetzt geht es erst einmal um deine Fähigkeiten. Warte bitte hier, ich bin gleich zurück."

    Mit diesen Worten erhob sich Mrs. Greensleeves anmutig und verließ den Raum.

    Nach einer kurzen Weile kehrte sie mit einer kleinen Holzkiste zurück, die sie vor Hannah abstellte. Sie öffnete das winzige Scharnier und klappte den Deckel hoch. Hannah reckte sich und lugte neugierig in das Innere der Kiste. Sie sah auf eine Kugel, die aussah wie ein eingetrockneter Farn. Als hätte er versucht, sein Innerstes zu schützen, hatten sich die äußeren Blätter um den Kern zusammengerollt. Hannah blickte die Direktorin fragend an.

    „Was ist das? Was soll ich damit tun?"

    „Das hier nennt man Rose von Jericho. Man nennt sie auch Marienrose. Sie ist im Nahen Osten und in Teilen Nordafrikas beheimatet. Wenn du denkst, sie sei tot, kann ich dich beruhigen. Das ist sie nicht! Sie hält nur eine Art Trockenheitsschlaf. Würdest du sie eine Weile ins Wasser legen, würde sie sich innerhalb weniger Stunden zu einer wunderschönen Wüstenrose entfalten. Ich möchte von dir, dass du sie jetzt sofort und ohne einen Tropfen Wasser entfaltest."

    Hannah sah sich die Pflanze noch einmal genau an. Was sollte sie jetzt tun? Sie war weder Hermine noch Harry Potter, und zaubern konnte sie schon gar nicht.

    Hilflos wanderte ihr Blick zur Direktorin zurück. Diese nickte ihr nochmals aufmunternd zu.

    „Darf ich sie anfassen?", fragte das Mädchen

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