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Lockdown Luck Down: Oder: Rocking the Corona-Apocalypse. Ein humoristischer Pandemie-Roman
Lockdown Luck Down: Oder: Rocking the Corona-Apocalypse. Ein humoristischer Pandemie-Roman
Lockdown Luck Down: Oder: Rocking the Corona-Apocalypse. Ein humoristischer Pandemie-Roman
eBook395 Seiten4 Stunden

Lockdown Luck Down: Oder: Rocking the Corona-Apocalypse. Ein humoristischer Pandemie-Roman

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Über dieses E-Book

Corona Weltuntergang! Und Michael Ritter mittendrin: Mit der globalen Plage Sars-CoV-2 bricht eine ganz persönliche Pechsträhne über den Moderator von Rocking Radio herein. Sein einziger Lichtblick zwischen repressiven Gesundheitsaposteln und sendungsbewussten Verschwörungspredigern ist die unverhoffte Bekanntschaft mit einer lebensfrohen Krankenpflegerin. Doch dann gerät Michael in eine Mordserie an den Mitgliedern einer Outlaw-Motorradgang. Wenigstens verfügen die Biker über starke Abwehrkräfte …

Mit satirischem Witz zeichnet Matthias Engelhardt ein treffsicheres Porträt der Lockdown-Wochen im März/April 2020 - jener Anfangsphase der Corona-Krise also, in der sich unser aller Leben veränderte.

Dies ist eine Geschichte für alle, die dabei gewesen sind. Und vielleicht für diejenigen, die später einmal nachempfinden möchten, wie sich das angefühlt hat: das Leben in der Corona-Pandemie. Dies ist eine Geschichte aus dem Zentrum des Sturms.

»Sehr lustig, intelligent und zugleich ein toller Abriss dieser seltsamen Zeit, derer wir gerade Zeuge werden. Dazu eine irre Story mit einem sympathischen Antihelden.«
(Deadline - Das Filmmagazin)
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum3. März 2021
ISBN9783347258723
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    Buchvorschau

    Lockdown Luck Down - Matthias Engelhardt

    BEIPACKZETTEL

    Ich weiß nicht, was richtig ist. Ich weiß nicht, ob die Maßnahmen, die Politiker auf der ganzen Welt verordnen, richtig sind. Bekommen sie damit wirklich die Krise in den Griff, die mit dem Auftauchen von Sars-CoV-2 ihren Anfang nahm, jenem Virus, das landläufig auf den Namen Corona hört und die Atemwegserkrankung Covid-19 auslöst? Oder befeuern sie die Krise vielmehr, indem sie die Wirtschaft und das öffentliche Leben lahmlegen? Betreiben sie verantwortungsvolles Krisenmanagement oder taktisches Wahlkampfmanöver? Und muss das eine das andere ausschließen?

    Ich weiß nicht, welchen Experten, die so zahllos vor die Fernsehkameras geschleift werden und sich in den sozialen Medien kundtun, ich zuhören soll. Wer hat tatsächlich eine Ahnung und fundierte Kenntnisse – und wer pflegt nur seine Profilneurose? Schwer zu sagen in einer Zeit, in der die Prognosen von gestern heute schon wieder obsolet geworden sind.

    Dies alles einzuordnen und zu bewerten, wird die Aufgabe kommender Generationen sein.

    Ich weiß nur, dass ich wie so viele das Virus und vor allem seine Folgen für unser aller Leben unterschätzt habe. Als im Januar 2020 die ersten Fernsehbilder aus Wuhan, jener Metropole, in der das Virus erstmals medienwirksam auftrat, auf unsere heimischen Bildschirme schwappten und acht Millionen Einwohner unter Hausarrest sowie eine verwaiste Innenstadt zeigten, dachte ich noch: Eine ganze Stadt unter Quarantäne zu stellen – das geht auch nur in einem Staat wie China. Wie sollte ich ahnen, dass vergleichbare Bilder nur zwei Monate später sintflutartig aus der ganzen Welt gesendet würden – auch aus meiner Stadt. Wie heißt es so schön? Mit einem Mal ist nichts mehr, wie es war. Wie hätte ich jene ernst nehmen sollen, die von Anfang an vor diesen Auswüchsen warnten? Es waren dieselben, die uns 2019 erzählt hatten, der Klimawandel würde uns alle umbringen. 2018 brachten die Flüchtlinge das Ende des Abendlandes. Davor war niemand vor islamistischen Terroristen sicher gewesen; dann gab es die Schweinepest und die Vogelgrippe. Nicht zu vergessen das todbringende Acrylamid in unseren Bratkartoffeln. An allem sollten wir alle elendig zugrunde gehen. Bliblablubb.

    So galt Corona für viele – auch für mich – als die nächste Auflagen stärkende Sau, die durchs multimediale Dorf getrieben wurde. Was hatten mir meine Eltern als Kind immer gesagt? »Schrei nicht um Hilfe, wenn du keine brauchst. Sonst kommt keiner mehr, wenn du wirklich in Not bist. « Tja, das hätten sie mal den Privatsendern erzählen sollen und all jenen Wichtigtuern, die regelmäßig ihre Social-Media-Kanäle mit den neuesten Verschwörungstheorien befüllen. Aber wer weiß … Hätten die Politiker ohne die Marktschreier jemals diese drastischen Maßnahmen verordnet, und wäre dann diese Pandemie einfach wieder verschwunden, wie es jede jährliche Grippewelle tut? Hätte es ohne die Panikmacher die Krise vielleicht niemals gegeben? Oder hätte uns eine Todeswelle nie gekannten Ausmaßes überrollt?

    Dieses Buch liefert keine einfachen Antworten.

    Dieses Buch ist keine Chronik und auch keine wissenschaftliche Aufarbeitung der Ereignisse.

    Dies ist eine Geschichte für alle, die dabei gewesen sind. Und wer weiß, vielleicht auch für diejenigen, die später einmal nachempfinden möchten, wie sich das damals angefühlt hat: das Leben inmitten der Corona-Pandemie, die innerhalb von drei Monaten den gesamten Erdball und rund acht Milliarden Menschen erfasst hat.

    Die Geschichte spielt innerhalb von vier Wochen im März und April 2020, also in der Zeit, in der in der Bundesrepublik erstmalig strenge Ausgangsbeschränkungen herrschten. Sie selbst und die darin handelnden Figuren sind frei erfunden. Alles andere, insbesondere die Kapitelzitate und der Corona-Newsticker, entspricht den tatsächlichen Begebenheiten.

    Dies ist eine Geschichte aus dem Zentrum des Sturms. Viel Vergnügen!

    Der Autor, Dezember 2020

    PROLOG

    Der Große Mann schloss die schwere Eisentür hinter sich. Was jetzt in dem fensterlosen und schalldichten Raum mit der nackten, von der Decke baumelnden Glühbirne passieren sollte, war nichts für seinen edlen Zwirn und die schicken Echtlederslipper. Er schob den Riegel vor und lauschte. Er brauchte nur einen Moment zu warten, dann drang das Aufheulen der Maschine zu ihm heraus. Und die Schreie, oh ja, die Schreie … Ein Schauer lief ihm über den langen Rücken, nicht unwohlig. Er atmete einmal tief durch, dann nahm er die Treppe hinauf ins Erdgeschoss. Unwillkürlich musste der Große Mann lächeln. »Die Show möge beginnen.«

    ERSTER TEIL: LOCKDOWN

    ON AIR

    »We have made the assessment that Covid-19 can be characterized as a pandemic.«

    (Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), in einer Pressekonferenz – 11.03.2020)

    Ihr hört die Rocking Radio Midnight Show mit dem Besten in Sachen Rock: Wir spielen harte Musik für harte Kerle – und Kerlinnen, denn wir sind genderneutral! Die nächsten fünf Stunden mit mir, Metal Mike!«, kündigte sich Livemoderator Michael Ritter euphorisch an. Mit festem Stand, geradem Rücken und offenem Blick sprach Michael ins Mikrofon. Es hing eine Handbreit von seinem Mund entfernt in einer komplizierten Vorrichtung über der elektrisch höhenverstellbaren Arbeitsplatte mit dem blinkenden Mischpult. Den Poppschutz zierte das geschwungene Senderlogo.

    »Es ist kurz nach Mitternacht, und wieder haben wir einen Tag in der Apokalypse überlebt! Geht es euch auch so? Fühlt ihr euch auch wie mitten in einem dieser Filme, die euch eure Eltern immer verboten haben? In denen die letzten Überlebenden auf der Suche nach den allerletzten Vorräten rücksichtslos alles und jeden niedermachen? In denen sich die letzten Widerständler in ihren Kellerlöchern verkriechen, aus Angst vor der ansteckenden Seuche – um dann doch noch kurz vor dem Abspann abzukratzen? Schlaue Kritiker haben ja über Endzeit- und Zombiefilme schon immer zu schreiben gewusst: Hier geht es nicht um Untote, die alles massakrieren – diese Filme sind Gedankenspiele darüber, wie sich die Gesellschaft in Extremsituationen verhält. Und hey, Zombies, die Menschen durch einen Biss ebenfalls in Zombies verwandeln, sind nichts anderes als hoch ansteckende Virenschleudern. Wie heißt das noch mal auf Neudeutsch? Genau: Superspreader! Und in der Folge geht die Weltwirtschaft den Bach runter. Für Jugendschützer bleiben unsere Filme natürlich übertriebener Schund. Ich aber sage euch: Die Jugendschützer haben unrecht, Die Nacht der lebenden Toten geht noch nicht weit genug! Ja, schaut doch in die Supermärkte, was schon ein kleines Virus aus uns ach so zivilisierten Menschen macht. Und die Amis kaufen tatsächlich alle Waffenläden leer!«

    Michael drückte auf einen leuchtenden Knopf und spielte so eine kurze Tondatei ab: einen krachenden Pistolenschuss.

    »Aber alles in allem bin ich doch enttäuscht von diesen Film gewordenen Prophezeiungen. Was haben sie uns erzählt? In Die Nacht der lebenden Toten streiten sie sich um ein Radiogerät, und Mad Max kämpft um Treibstoff. Setzen wir also alles daran, den Informationsfluss und unsere Mobilität aufrechtzuerhalten? Pustekuchen! Tatsächlich schlagen wir uns um – Klopapier. Macht auch irgendwie Sinn: Wenn die Welt am Arsch ist, will der Mensch wenigstens ordentlich kacken können.«

    Michael lachte innerlich auf. Er wusste schon, was sein Senderchef Tom jetzt sagen würde: »Ausdrucksweise, Michael, Ausdrucksweise! Es hören auch Kinder zu.« Das hielt Michael angesichts seiner Sendezeit mitten in der Nacht für unwahrscheinlich. »Und viel wichtiger: Werbekunden und -kundinnen! Und noch etwas: Three – Element – Break. Drei – einfache – Informationen! Der Sendername, dein Name, der nächste Song. Keine Romane! Unsere Hörenden wollen Rockmusiker und -musikerinnen hören, keine Prediger und Predigerinnen.« Ja, dieses Moderatorenmantra würde sich Tom genauso wenig verkneifen wie seine genderneutralen -innens und -ndens.

    Und genauso wenig würde sich Michael seine Mikrofonmonologe verkneifen! Er war nicht Radiomoderator geworden, um alle zehn Minuten sagen zu dürfen: »Ihr hört Rocking Radio auf der 106.5 mit Metal Mike, und das sind Metallica mit Enter Sandman.« Nein. Wenn er meinte, etwas zu sagen zu haben, dann wollte er es sagen! Und das, ohne dass ihm jemand ins Wort fallen oder – noch schlimmer – widersprechen konnte. Deshalb liebte er auch seine Nachtschicht: Selbst der Senderchef war schon lange nach Hause gegangen und konnte nicht mehr mahnend durch die Studioscheibe blicken. Toms Tirade würde Michael erst morgen bevorstehen: Die allwöchentliche Analyse der Airchecks, also der Aufzeichnungen der Wortbreaks seiner Moderatoren (und Moderatorinnen!), ließ sich Tom selbst in diesen Zeiten nicht nehmen.

    Doch morgen war morgen. Und jetzt war Michael noch nicht fertig: »Hey, The Walking Dead war mal meine Lieblingsserie! Aber inzwischen ist sie mir viel zu realitätsfern. Ständig schicken sie da eine Delegation los, Vorräte aufzutreiben, Medikamente, Batterien, so was eben. Manchmal plündern sie auch Bibliotheken. Aber auf die Anweisung ›Riskiert euer Leben für eine Rolle Scheißhauspapier< könnt ihr lange warten. Und wisst ihr, wen ich wirklich vermisse auf unseren Straßen? Den unrasierten Zausel mit dem Pappschild The End Is Near vor dem nackten Oberkörper! Der darf ja in keinem Endzeitszenario fehlen.«

    Michael machte eine kurze Kunstpause, um das Bild des Endzeitpredigers in den Köpfen seiner Hörer Gestalt annehmen zu lassen.

    »Aber wofür habt ihr mich, meine sehr verehrten Rocking Radio-Hörenden und -Hörendinnen, euren Metal Mike?« Er ließ die Frage für einen Moment im Raum stehen und gleichzeitig seine Verballhornung der politisch korrekten Gendersprache wirken. »Wenn es schon kein anderer tut, werfe eben ich mich entsprechend in Schale!« Er riss sich das Jeanshemd auf und präsentierte ein Band-Shirt von Metallica in die Webcam, die in der linken oberen Studioecke angebracht war und das Geschehen auch visuell in die Welt hinaustransportierte. Der zerschlissene Stoff zeigte die verblassten vier biblischen Reiter der Apokalypse, die in einem Feuerwall über kriechende Verdammte hinweggaloppierten.

    Three-Element-Break, ertönte irgendwo in Michaels Kopf Toms Stimme.

    »Und wofür habt ihr Rocking Radio? Für euren ganz persönlichen, inoffiziellen Soundtrack zum Ende der Welt! Ihr hört Rocking Radio auf der 106.5 mit Metal Mike, und das sind Apocalyptica mit Live or Die. Und möge die Nacht mit euch sein!«, sprach Michael seine bekannte Catch Phrase auf das Intro des ersten Titels seiner Mitternachtssendung. Dann stellte er das Mikrofon auf stumm. Die finnischen Klassikrocker von Apocalyptica preschten auf ihren Celli los, doch Michael regelte die Studiolautsprecher runter und ließ sich in den Sessel sinken. Er liebte die Ruhe, die sich in den Nachtstunden über die Räumlichkeiten des Senders legte. Das hektische Treiben der Tagesredaktion konnte ihm schnell zu viel werden, besonders in letzter Zeit, in der die neuesten Corona-Katastrophenmeldungen quasi im Minutentakt über die Ticker hereinbrachen. Jetzt war er ganz allein hier im obersten Stockwerk eines Versicherungsturms, das Rocking Radio gemietet hatte, und genoss die Aussicht über die Großstadt, die sich unter ihm ausbreitete. Er musste jedes Mal grinsen, wenn er Filme sah, die im Radiomilieu angesiedelt waren: Immer lieferte sich der Moderator hitzige Wortgefechte mit seinem Techniker. Als wenn irgendein Privatsender das Budget für einen zweiten Mann im Studio hätte! Nein, er fuhr seine Technik selbst: schaltete sein Mikro auf on und off, spielte die Songs ab, startete die vorbereiteten Werbeblöcke und streute von der Tagesredaktion produzierte Beiträge ein. Keine große Sache – und genau so mochte er es.

    Es war kurz vor fünf, als Michael den Heimweg antrat. Zuvor hatte er noch die Studiotechnik desinfiziert, den Poppschutz abgenommen, um ihn zu Hause unter fließendem Wasser zu reinigen, und das Mikro schließlich an die Crew der Morning Show übergeben. Von seiner Sendung war er noch so aufgedreht, dass die Erschöpfung noch nicht in ein Bewusstsein vordrang. Er spazierte nach Hause, er hatte es nicht allzu weit. Ihm schien, als wäre dies die einzige Zeit des Tages, in der sich die Welt noch genauso anfühlte wie zuvor: Auch vor dem Ausbruch von Sars-CoV-2 Ende 2019/Anfang 2020, jenem Virus also, das die hoch ansteckende Atemwegserkrankung Covid-19 (landläufig: Corona) auslöste, waren um diese Uhrzeit die Straßen wie leer gefegt gewesen. Vereinzelte Polizeistreifen hatte es auch früher schon gegeben. Irgendjemand musste ja die Alkoholleichen aufsammeln, die herausgestolpert kamen aus daen Absturzkneipen, die die Sperrstunde auch mal großzügiger auslegten. Aufgrund der eingeschränkten Ausgangssperre, die sämtliche Bundesländer erlassen hatten, musste nun allerdings auch er damit rechnen, angehalten und kontrolliert zu werden. Dazu brauchte es keine Alkoholfahne oder einen wankenden Gang. Deshalb war Michael vorbereitet: In der Brusttasche seiner Lederjacke hatte er sie sicher verwahrt, die

    »Bescheinigung des Arbeitgebers

    zur Vorlage bei einer Ausgangssperre

    Hiermit bestätigen wir, dass

    Herr Michael Ritter

    wohnhaft in [das tut hier nichts zur Sache]

    an seinem Arbeitsort unabkömmlich ist und nicht von seinem Wohnort aus arbeiten kann, um seiner beruflichen Tätigkeit nachgehen zu können. Die Arbeitszeiten des oben genannten Arbeitnehmenden sind üblicherweise folgende: Mi.-So. von 19-5 Uhr.

    Bei Nachfragen stehen wir gern zur Verfügung.«

    Das Schreiben trug noch den Firmenstempel und Toms unleserliche Unterschrift.

    »Tja, hätten die Leute mal von sich aus auf die Appelle von oben gehört. Jetzt haben wir den Salat«, schimpfte Michael vor sich hin. Ihm war klar, weshalb die Politiker gemeint hatten, die strenge Ausgangssperre verhängen zu müssen: »Scheiß Corona-Partys!«

    Michael sinnierte noch ein wenig über die Unvernunft dieser Spezies – ob er damit das gemeine Volk oder die Politiker meinte, war er sich selbst nicht sicher –, als er in den Ausläufer des Volksparks einbog, der unweit seiner Wohnung lag. Er passierte gerade eines jener Schilder, die Fußgänger mittels Piktogramm an den empfohlenen Mindestabstand von eineinhalb Metern erinnern sollten und von der Stadtverwaltung an zahllosen Straßenlaternen angebracht worden waren.

    Da sah er es: Im fahlen Licht der Lampe, das auf den gekiesten Weg und eine Hecke fiel, lag – er musste genauer hinschauen, um sich zu vergewissern – ein Bein. Michael trat näher heran. Das Bein, das in einer engen schwarzen Lederhose mit Beinschnürung steckte, führte in die Hecke hinein. Er schob ein paar Zweige zur Seite und erblickte im schwachen Nachtlicht, das fast völlig von Zweigen, Ästen und Laub geschluckt wurde, eine männliche Gestalt, die dort auf dem Bauch lag. Michael kniff die Augen zusammen im vergeblichen Versuch, genauer sehen zu können. Er meinte, eine Lederweste über bloßen fleischigen und schwer tätowierten Armen zu erkennen.

    Michael glaubte, genau zu wissen, womit er es hier zu tun hatte. »Hey, Alki, aufstehen!«

    Keine Regung.

    Er seufzte, nahm einen kleinen Ast und stieß den vermeintlich Betrunkenen in die Seite.

    Keine Regung.

    Verdammt, das war ernst. Er holte sein Mobiltelefon heraus, und die Taschenlampen-App offenbarte weitere Details der Szenerie: das aufgenähte Emblem eines hiesigen Motorradclubs auf der Weste des Mannes sowie zahlreiche Abschürfungen und Wundmale an dessen Handgelenken. Noch ein wenig näher kämpfte sich Michael durch das dichte Gestrüpp an die Person heran. Und stürzte sofort wieder rückwärts aus der Hecke: Dem Mann fehlte der Kopf!

    Nur mit größter Willensanstrengung gelang es Michael, seinen Vieruhrsnack bei sich zu behalten. Hektisch schaute er um sich. Weit und breit war niemand zu sehen, er war allein. Er kämpfte den Schock beiseite. Aber dann fiel ihm auf, dass er sein Handy bei dem Toten fallen gelassen hatte. Verdammt! Bei der Vorstellung, noch einmal dort hineinzukriechen, drohte sein Magen wirklich zu rebellieren. Doch was blieb Michael anderes übrig?

    Mit eiserner Willenskraft schleppte er sich zurück an die Seite des Mannes. Das helle Licht des Geräts zeichnete den Schatten des Rumpfes auf das über ihm hängende Laub. Das Telefon war unter den Nacken des Mannes gerutscht – oder vielmehr unter das, was davon noch übrig geblieben war.

    Ausgerechnet! Michael holte tief Luft, hielt den Atem an und kroch im Zeitlupentempo näher. Nun streckte er vorsichtig – vorsichtig! – die Hand aus … und befreite mit einem plötzlichen Ruck das Gerät aus seiner vorübergehenden Ruhestätte. Erleichtert stieß er die angehaltene Luft aus – und erschrak erneut. Eine Kreuzspinne musste es sich auf dem Telefon gemütlich gemacht haben und flüchtete nun wie in Panik Michaels Arm hinauf! Reflexartig schlug er nach dem Gliedertier. Hatte er es getroffen? War es weg? Michael wusste es in der Dunkelheit nicht zu sagen. Zur Sicherheit streifte er mit der freien Hand seinen Arm sowie Beine und Oberkörper ab.

    Dann fiel sein Blick wieder auf den Toten. Und nun begann die angeborene Neugier des Medienmannes, die Oberhand zu gewinnen. Michael erlaubte sich, genauer hinzusehen. Der Schnitt war über dem Kehlkopf durch den Hals gegangen, aber keineswegs glatt: Der Halsstumpf wies fransige und schwer mitgenommene Hautlappen auf. Auch das Ende der Halswirbelsäule, das ein kleines Stück aus dem Torso herausragte, war schwer in Mitleidenschaft gezogen. Blut war keines zu sehen, und es stach Michael auch kein Übelkeit erregender Verwesungsgeruch in die Nase. Dafür hatten Ameisen den Oberkörper als ihre neue Straße erobert. Eine Kreuzspinne – seine Kreuzspinne? – krabbelte in den offenen Hals hinein, wohl um dort ihre Eier abzulegen. Michael zog sich aus dem Gebüsch zurück und atmete tief durch, als er wieder unter der Parklaterne stand. Er wusste, was er zu tun hatte.

    Michael griff nach seinem Mobiltelefon und suchte die Nummer heraus, die er für alle Fälle eingespeichert hatte. »Ich möchte melden, dass ich eine Leiche im Volkspark entdeckt habe«, sprach er in den Messengerdienst. »Das muss in die Sechs-Uhr-Nachrichten, Tom. Schreibst du mit? Also: › Grausiger Leichenfund in der Nordstadt: Ein Spaziergänger fand heute am frühen Morgen im Volkspark einen toten Mann. Er habe diesen in einer Hecke liegend vorgefunden, in unmittelbarer Nähe zum Parkeingang in der Goethestraße, gab der Spaziergänger der Polizei zu Protokoll. Unser Redakteur Michael Ritter ist vor Ort. ‹ – Den Aufsager spreche ich dir gleich noch extra ein. Das noch: › Rocking Radio bleibt für euch an der Sache dran! ‹«

    Michael ließ das Mikrofonsymbol los und wartete, bis die Audionachricht verschickt war. Dann drückte er erneut darauf, um den angekündigten Originalton nachzuliefern, den die Nachrichtenredaktion zur Illustrierung der Meldung abspielen sollte: »Ein solches Bild des Schreckens erleben selbst die dienstältesten Kriminalermittler und -ermittlerinnen nur selten. Dem Toten muss der Kopf mit größter Gewalteinwirkung abgetrennt worden sein. Das Fehlen von Verwesungsspuren und der relativ exponierte Fundort dürften dafür sprechen, dass der Tod nur wenige Stunden vor dem Fund eingetreten ist. Michael Ritter für Rocking Radio.«

    Mit seinen Vermutungen hatte sich Michael etwas weit aus dem Fenster gelehnt, er war schließlich kein Gerichtsmediziner, aber dafür waren Konjunktive schließlich da. Kein Grund, das Gesagte weniger Aufmerksamkeit heischend zu formulieren. Denn er war vielleicht kein Gerichtsmediziner, aber definitiv Privatradioprofi! Deshalb schob er noch einmal die Zweige zur Seite und schoss mit seinem Smartphone ein Foto des Toten. »Für Social Media. Ich bleib dran«, tippte er in das Nachrichtenfeld des Messengerdienstes und schickte die Meldung gemeinsam mit dem Schnappschuss an Tom. Dann atmete er noch einmal tief durch, machte den Rücken gerade, dass es knackte, und wählte die 110.

    -------------------------

    Corona-Newsticker:

    +++ Covid-19 ist auch ohne Symptome besonders ansteckend. +++

    +++ Impfgegner sagen Großdemo ab – wegen Corona. +++

    +++ München: Mann leckt Fahrkartenautomat und U-Bahn-Haltegriffe ab. Er filmt seine »Corona-Challenge« fürs Internet. +++

    +++ Superspreader-Event? 3.500 als Schlümpfe verkleidete Personen treffen sich in Westfrankreich – Weltrekord! +++

    +++ Corona-Angst auf Lesbos: Die Organisation Ärzte ohne Grenzen fordert Räumung von Flüchtlingslager. +++

    +++ Gier und Versagen in Ischgl: Skiort in Österreich gilt als Corona-Hotspot Europas. +++

    +++ Baltimore: Bürgermeister mahnt zu Verzicht auf Waffengewalt. Corona-Patienten brauchen Krankenhausbetten. +++

    +++ Wegen Corona-Pandemie nimmt die Bundesrepublik vorerst keine Flüchtlinge mehr auf. +++

    +++ Britisches Gesundheitssystem steht vor Kollaps. +++

    +++ Erntehelfer gesucht. +++

    TAGE WIE DIESER

    »Ich hab Wäsche gewaschen. Sonst hab ich heut nichts Interessantes gemacht.«

    (Zoë Schafft, Medizinische Fachangestellte, in Selbstisolation – 24.03.2020)

    Flööööt-Trööööööt-Törööölööööööt!

    Michael schreckte aus dem Schlaf hoch.

    Fiiiiep-Huuuuuuup-Dengelenggggg!

    Der Funkwecker zeigte 10.24 Uhr an.

    »Nein, nein, bitte nicht schon wieder«, stöhnte Michael auf. »Seid doch bitte still! Einmal ist das ja ganz lustig, aber jeden verdammten Tag … Das hält doch der härteste Kerl nicht aus!«

    Sein Aufschrei verhallte ungehört. Dafür vernahm er durchs geschlossene Fenster umso eindringlicher schiefe Flöten, blecherne Trompeten, kratzende Fiedeln, taktbefreite Schellenringe und was sonst noch in normalen Zeiten in den Rumpelkammern der Republik vor sich hin verstaubte. Und dann kam Gesang.

    » Nein, da bin ich nicht dabei! Nein, das ist nicht prima! Verrecke, Colonia!«, fluchte Michael verzweifelt gegen das Hinterhofbalkonkonzert an. »Diese verfickten Höhner haben uns den ganzen Dreck doch eingebrockt!«

    Tatsächlich hatte die erste deutsche Stadt mit explosionsartig auftretenden Corona-Fällen in Nordrhein-Westfalen gelegen. Das Bundesland hatte Ende Februar sämtliche Großveranstaltungen in den Karnevalshochburgen stattfinden lassen. Dies der Kölner Spaßmusikgruppe Die Höhner anzukreiden, griff genauso zu kurz, wie die Entscheidung der Landesregierung vorzuwerfen, aber das war Michael egal. Er wollte, nein, musste schlafen! Er hatte eine anstrengende Fünf-Stunden-Livesendung hinter und die nächste Nachtschicht vor sich. Von dem aufreibenden Fund des kopflosen Toten und der nicht allzu erfreulichen Begegnung mit den Ordnungshütern ganz zu schweigen.

    Wenige Minuten nach seinem Notruf war eine Streife gekommen und hatte seine Aussage nebst Personalien aufgenommen. Im Gegenzug hatte er versucht, einen O-Ton für die nächsten Nachrichten zu bekommen. Doch als er dem wortführenden Polizisten sein Handy mit der gestarteten Aufnahme-App entgegenhalten wollte, schaute der ihn nur mit strengem Blick an. Auch die Beamtin, die ihn begleitete, war wenig auskunftsfreudig. Weitere Fotos des Geköpften zu schießen, wurde ihm ebenfalls unmöglich gemacht: Zusätzliche Beamte spannten weiträumig mannshohe Planen als provisorischen Sichtschutz und versagten Michael jeglichen Zugang. Verdammt, war er nun die Presse oder nicht!?

    Langsam wurde es hell, und die ersten Spaziergänger tauchten mit ihren Hunden im Park auf. Sie drängten sich um die Absperrung und erschwerten es Michael dadurch zusätzlich, brauchbares Bildmaterial zu ergattern. Diese Aasgeier! War diesen Gaffern denn nicht bewusst, dass die Ausgangsbeschränkungen verboten, sich an einem Ort stehend oder sitzend aufzuhalten? Falls ja, war es ihnen gleichgültig, und die Beamten, zu denen sich inzwischen die Kollegen von der Spurensicherung gesellt hatten sowie ein stattlich gebauter Kriminaler mit Sonnenbrille, der augenscheinlich das Kommando übernommen hatte, waren mit Wichtigerem beschäftigt, als den Erlass durchzusetzen.

    Schließlich war es neun Uhr dreißig, als Michael völlig entkräftet in seiner kleinen Zweizimmerwohnung ankam. Er schaffte es noch, sich all seiner Klamotten zu entledigen und sie in den Wäschekorb zu stopfen. Nur das geliebte Metallica-Vintage-Shirt hängte er mit spitzen Fingern auf einen Bügel. Das Leibchen der Prozedur einer Maschinenwäsche auszusetzen, stand außer Frage: Mit den Tourdaten von 1984 war es eine Rarität und ging bei Internetauktionen zu horrenden Preisen über den virtuellen Ladentisch! Auch wenn er selbst die Tour nicht besucht hatte – dafür war er mit seinen vienddreißig Jahren viel zu jung –, hielt er es in besonderen Ehren. Kurz vor neun schließlich war Michael auf die Ausziehcouch gefallen und hatte an nichts mehr gedacht.

    Das jedoch schien seinen Nachbarn gleichgültig zu sein. Sie applaudierten sich gegenseitig, lachten und droschen auf selbst gebastelte Rhythmusinstrumente ein. Irgendwo setzte eine verstimmte Akustikgitarre

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