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Postfaktisch war gestern: Die Einheit im Geiste oder Warum wir die Postintellektuellen lieben sollten
Postfaktisch war gestern: Die Einheit im Geiste oder Warum wir die Postintellektuellen lieben sollten
Postfaktisch war gestern: Die Einheit im Geiste oder Warum wir die Postintellektuellen lieben sollten
eBook324 Seiten4 Stunden

Postfaktisch war gestern: Die Einheit im Geiste oder Warum wir die Postintellektuellen lieben sollten

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Über dieses E-Book

"Postfaktisch war gestern" ist die Neuauflage der bitterbösen Erfolgssatire "Die Einheit im Geiste". Sie beschreibt die alltäglichen Entgleisungen unserer postintellektuellen Kultur aus Sicht eines verirrten 30-Jährigen. Und sein Blick hinter die Kulissen wird die wichtigsten Fragen unserer Zeit beleuchten: Wieso sind wir alle so klug und warum wächst unsere Klugheit eigentlich so dramatisch schnell? Wieso sind wir so glücklich, so humorvoll, ja so weise? Und was passiert eigentlich, wenn der Spaß und wenn der Sex vorbei sind, was kommt danach, welch Dunkel liegt dahinter? Ralf Otte nimmt mit dieser Satire die postfaktische Gesellschaft ganz gewaltig aufs Korn und verschont uns nicht mit seinem beißenden Spott und seinen liebenswert bösen Charakterstudien, ja, seine Hauptperson, der Durchschnittsintellektuelle Klaus Median, hat es sehr schwer in diesem Buch, aber auch wir anderen werden uns wiederfinden... Denn die Zukunft hat uns schon längst in ihrem Bann, und die intellektuelle Einheitlichkeit, die lässt nur noch schmunzeln. Ja, die Krake im Kopf lacht uns aus.

Eine unterhaltsame Darstellung unserer postintellektuellen Gesellschaft, denn postfaktisch war gestern. Heute sind wir schon viel, viel weiter!
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum11. Aug. 2017
ISBN9783743946125
Postfaktisch war gestern: Die Einheit im Geiste oder Warum wir die Postintellektuellen lieben sollten

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    Buchvorschau

    Postfaktisch war gestern - Ralf Otte

    Das unbekannte Wesen

    Ich erinnere mich, als wäre es gestern. Wir waren auf dem Weg zur Ökonomievorlesung, als jemand das Gerücht verbreitete, die Berliner Mauer fällt. Natürlich dachten wir, es wäre wieder mal ein Witz, aber dann verstärkten sich die Gerüchte. Gleich nach dem Unterricht rannte ich deshalb zum Bahnhof und fuhr mit dem erstbesten D-Zug nach Berlin. Und tatsächlich, hier war was los. Riesige Menschenmassen tummelten sich vor den Grenzpunkten. Brav und ordentlich - wie wir es gelernt hatten - standen wir an der Mauer und warteten auf den Weg ins Paradies, es war der 10. November 1989.

    Ich war wieder mal zu spät, leider!

    Aber es war trotzdem gewaltig. Und dann wurden wir durch ein großes Tor geschoben, und ehe wir uns versahen, waren wir drüben.

    Wirklich, wir waren drüben!

    Es war unbeschreiblich.

    Wir waren drüben, es war so intensiv, wir standen da und konnten es nicht fassen, wir atmeten die Luft, sie stank ebenso wie vorhin, wir bewunderten die Häuser, die waren schon besser, und wir sahen lauter freundliche und hübsche Leute.

    Es war herrlich.

    „Weißt du, wie der Stadtbezirk hier heißt", frage ich später meine Freundin.

    „Kreuzberg!", antwortete sie.

    Das hatte ich irgendwie schon gehört und so schaute ich mich genauer um. Beinahe hätte ich gedacht, oh wie viele Fremde, aber das wäre unverschämt gewesen. Deshalb dachte ich sofort, oh, welch schöne Geschäfte. Und die waren tatsächlich traumhaft.

    Doch dann überkam uns die Ehrfurcht, denn wir wussten, dass wir Teil der Geschichte geworden waren. Dieses Stück Historie war einmalig und unwiderruflich, und wir waren dabei. Ich weiß noch, wie ich mich oft gefragt hatte, wie es denn sein müsste, wenn man völlig frei wäre, alles sagen und sich alles kaufen könnte. Ja, wie muss man sich dann wohl fühlen?

    Ist man den ganzen Tag vor Glück geschwängert?

    Ist man tatendurstig und optimistisch?

    Wahrscheinlich schon, denn mehr Glück kann man als Individuum ja nicht haben. Und auch ich war jetzt glücklich, und ich war gespannt. Und viele Fragen holten mich ein. Ich fühlte, das sollte ein Abenteuer werden. Ein riesiges Glücksgefühl überwältigte mich.

    Wir waren angekommen.

    Wir waren wirklich angekommen.

    Es war einfach großartig, und dieses Gefühl wollte ich aufsaugen und für immer in mir aufbewahren und wie in Trance schritten wir durch die Straßen. Mittlerweile waren wir am Brandenburger Tor, doch diesmal auf der anderen Seite. Ich stieg auf den Aussichtsturm, den ich von drüben kannte, und schaute auf mein Berlin. Überall Menschenmassen, die in Glückseligkeit vereint waren. Später kletterte ich selber auf die Mauer und genoss das unbeschreibliche Gefühl, gewonnen zu haben.

    Ja, wir hatten gewonnen.

    In den letzten zehn Jahren habe ich nur noch drei Tage voll solcher Intensität erlebt, drei Tage, nicht mehr, die vergangene Sonnenfinsternis und die Fußball-WM natürlich nicht mitgerechnet.

    Doch auch damals begann der Alltag, und diese Leidenschaft wiederholte sich nicht. Zuerst kamen ganz banale Probleme: Woher jetzt DM nehmen? Aber zum Glück gab‘s 100 Mark geschenkt. Wir standen an der Dresdner Bank, gleich dort, wenn man nach Kreuzberg kommt, und dann gab es das langersehnte Geld. Ich schäme mich, aber irgendwie gab es dann nochmals Geld, na ja, hoffentlich haben wir damals nicht die bundesdeutsche Wirtschaft ruiniert.

    Und wir standen in der Schlange, die ich immer so hasste, und von oben schmiss eine alte und glückliche Frau Bonbons runter.

    Sie schmeckten gar nicht so schlecht. Doch etwas peinlich war es schon, denn das kannte ich aus Rumänien. Dort verteilten wir im Urlaub auch immer unsere Habseligkeiten: Kondome, Kaffee und Pfeffer waren die sichersten Zahlungsmittel, und wir beschämten stolz die Eingeborenen. Und jetzt waren wir dran, die Geschichte war fair mit uns.

    Doch etwas peinlich war es schon.

    Und doch war es auch rührend.

    Leider habe ich vergessen, was wir damals gekauft haben. Dennoch kann ich mich noch erinnern, wie die halbe U-Bahn voller Radios war. Warum haben die nicht gleich Radios und Bananen verteilt, diese Fragen beschäftigen die Philosophen bestimmt noch immer. Aber egal, es war ein schöner Tag, und den lassen wir uns nicht mehr kaputt machen.

    Und ich muss sagen, jeder Tag war damals ein schöner Tag. Warum hatten ausgerechnet wir so ein Glück, das war sehr viel Glück, und müssen wir dafür irgendwann bezahlen? Wo war die Balance? So viel Glück gibt es doch nicht umsonst.

    Aber dann, ich wusste es, kein Glück hält ewig, es kam tatsächlich die erste große Not. Die Grüne Woche machte in Berlin auf, und der Eintritt war unverschämt teuer. Wer soll das bezahlen, die Preise ließen uns schier verzweifeln. Und wieder hatten wir Glück. Denn nun war die Mauer freigegeben, und so zogen wir mit Hammer und anderem schweren Gerät in die Nähe des Potsdamer Platzes und zerlegten das Monstrum in seine Elemente. Das war ein Spaß. Nicht nur symbolisch. Man kann uns dafür beneiden, denn wir haben sie wirklich zerlegt. Wir haben das getan und wir fühlten uns stark und mächtig dabei. Und danach besuchten wir die Grüne Woche und hatten immer noch viel Spaß.

    Doch etwas fehlte. Irgendetwas ließ uns unruhig werden.

    Wo war denn nur der Andere, wo war das unbekannte Wesen. Ja, wie war er nur, der andere Deutsche? War er genial, war er glücklich und innerlich zufrieden? Diese Fragen stellte ich mir öfters, doch erst heute, nach mehr als zehn Jahren, wage ich sie zu beantworten...

    Und so verging die Zeit.

    Und auch die Euphorie, die ging dahin, denn leider schlug die Stimmung um. Nur gut, dass man uns nicht mehr ansah, wie weit wir schon entwickelt waren. Das dachten wir jedenfalls. Denn ab und zu schlug eine Falle zu. So rannte ich eines Tages genervt durch einen Aldi in Berlin, weil ich dringend noch Butter für unser Wochenende holen sollte.

    „Entschuldigen Sie bitte, ich hätte mal ‘ne Frage." So altmodisch fing man damals eine Frage an.

    „Äh, was denn? Die Verkäuferin schien gereizt. Heute weiß ich, dass man ungefähr so fragt: „Ich krieg noch Butter, wo is‘n die, häää?

    „Ja, wo liegt denn bei Ihnen die Butter?", fragte ich leise, denn schließlich wollte ich wie ein Insider vor all den anderen Kunden dastehen.

    Die Frau schaute mich mit ihren großen Augen an und holte tief Luft:

    „Mensch, bei unserem Aldi gibt’s keene Butter!", brüllte sie so laut sie konnte heraus. Oh wie peinlich. Alle schauten mich an, und ich war blamiert. Dabei ist es doch so logisch: Beim Aldi gibt es keene Butter. Völlig logisch. Kann gar nicht sein. Mitleidig drehten sich die gebildeten Einkäufer wieder zu ihren Wägen zurück und fuhren davon. Milder Spott in ihren Augen, ich war erkannt, ein Depp von drüben. So ging ich schnell bezahlen, denn ich wollte nur noch raus.

    Und die Wochen vergingen, dann endlich kam unsere erste Einladung, bei einem Taxifahrer. Und so saß ich zum ersten Mal in einem Mercedes. Der Taxifahrer erläuterte dabei voller Stolz, dass er im Stand sogar heizen könne (auch im Winter). Aber wieso ist das kein Standard? Zuhause angekommen lernten wir, dass der Taxifahrer in einem Wohnblock wohnte und ihm diese Wohnung selber gehörte. Dies wurde beim Kaffee öfters betont, es war echt amüsant, denn hier waren wir ziemlich verwundert. Wer kauft denn eine solche Wohnung, was soll das denn?

    Gab es da irgendwie ein Problem?

    Ja, das gab es.

    Später, in Stuttgart etabliert, lud mich ein richtiger Ingenieur einmal zu sich nach Hause ein, um - ich merkte es fast zu spät - seine Bleibe zu präsentieren. Hier wohnte also unser Ingenieur. Und ich war wieder amüsiert. Da wohnten wir ja als Studenten besser, das kann doch nicht wahr sein. Doch später wurde man bescheidener, denn nun zog ich selber in die Provinz, nach Mannheim, die Stadt der Quadrate, eine prächtige Stadt. Und wer Ludwigshafen oder Neubrandenburg kennt, findet Mannheim definitiv schön. Aber dennoch wohnt der Mannheimer meistens in Weinheim, das ist eine echte Perle. Man muss es einfach lieben.

    Und der Crash-Kurs begann, ich lernte viel, denn noch öfter suchte ich im neuen Land ein neues Heim, und die Wohnungen waren fast immer strukturell gewachsen, nicht so brutal in die Landschaft gesetzt, ja, es wurde viel geboten: Hinterhof (gut gegen Straßenlärm), Ofenheizung (letzteres kannte ich von meinem Großvater, das war interessant), gar kein Blick (gab es tatsächlich, spart wahrscheinlich Heizkosten), Blick auf einen Mülleimer oder wenn's mal was Gewagtes sein sollte: Blick auf einen geparkten LKW. So war alles in bester Ordnung, nur eben unser Kind war bei der Wohnungssuche hier im Süden ein großes Problem.

    „Hans-Dieter, die Herrschaften haben ein Kind. Stört uns das?"

    „Natürlich nicht, Liebchen, aber du weißt doch, die Wohnung ist ziemlich klein" (stimmt, hatte nur 120 qm).

    „Ja, schade, hätten wir Ihnen so gerne vermietet, aber so eng wollen Sie doch nicht wohnen, oder?"

    „Sie haben völlig recht, antwortete ich, „in diesem Haus ist es zu eng.

    Und so wurde es ein interessantes Abenteuer, ein guter Überblick. Denn jetzt hatte ich meinen ersten Eindruck. Ja, der Unbekannte, der war gar nicht so zufrieden. Ständig suchte er irgendwas: hier Wohnungen, dort Sonderangebote, dann Geldanlagen, Urlaubsreisen (insbesondere dort, wo der Nachbar noch nicht war), Jobs, die neueste Pizza. Und ich war überrascht. Hier war ja ein einziges Suchen und Schieben. Überall pure Hektik. Und das war nur die Spitze vom Eisberg.

    Was soll das?

    Der Moderne hier ist ja im Dauerstress! Das glaubt man nicht, ich weiß, aber es ist wahr. In diesem Land voller Überfluss, da waren alle nur am suchen. Man, das war spannend, das war einfach nicht zu glauben. Aber da stand er, mein Vorbild, viel geliebt und beneidet, und er stand so hilflos in der Gegend herum.

    Doch wir wollen nicht vorgreifen, nicht gleich so pauschalieren. Wir wollten noch mehr Leute kennen lernen, einen besseren Überblick bekommen, denn die empirische Basis lies noch einigen Zweifel, lies noch Argwohn zu. Wir können noch gar nichts sagen. Nein, wir brauchten Freunde, nur so können wir alles besser verstehen. Und richtige Freunde fand man schnell, wir sind eben ein kommunikatives Land.

    „Oh Mann, ihr tut mir ja so leid, Euch ging‘s aber schlecht, sagte eines Tages ein netter Nachbar zu mir. „Ich habe gestern im Fernsehen gesehen, dass man bei Euch sogar mit Marken einkaufen musste, und ich war sprachlos und schaute ihn irritiert an. Wir mussten mit Marken einkaufen?

    War das vor meiner Zeit?

    Und ich überlegte, bis ich den Witz verstand und lauthals loslachte, worauf mich der liebevoll um Rat Suchende völlig enttäuscht anschaute. Ja, bei uns gab es Konsummarken - nach dem Kauf - aber das sind Details, und mein Verhalten war nicht ganz korrekt.

    Und doch, hier war mein Humor, hier war mein Niveau, ja, jetzt fühlte ich mich richtig heimisch.

    Es schien aufregend zu werden.

    Und wir würden viel Spaß haben, das wusste ich schon!

    Und deshalb schauen wir uns nun genauer um. Legen wir uns gemeinsam auf die Lauer. Kommen Sie hoch in mein Baumhaus, beobachten wir die Modernen eine Weile zusammen.

    Ja, es wird ein Puzzle, aber wir wollen es legen.

    Beobachten wir die Details.

    Willkommen im Paradies!

    Wir lieben uns

    Schaut man unverkrampft auf einen Postintellektuellen, so fällt einem auf, dass dieser wirklich gut aussieht. Man ist verwundert und schaut voller Ehrfurcht auf das körperliche und geistige Endprodukt einer Jahrtausende währenden Evolution. Wir haben hier einen Höhepunkt erreicht. Gehen Sie mal in einen Zoo, und Sie werden es bemerken.

    Und der Posti weiß das. An jeder Ecke muss er allen anderen mitteilen (wem eigentlich, ist eine fast philosophische Frage), dass er hübsch, klug und gebildet ist.

    „Wir sind so klug und gebildet, unser Wissen verdoppelt sich alle zehn Jahre", hört und liest man, und man erstarrt vor Ehrfurcht.

    Aber der Posti schweigt nicht und geht noch einen Schritt weiter.

    „Wir sind so mutig und sagen selbst dem Kanzler unsere Meinung", man wird blass, das gibt’s doch nicht. Oh doch!

    „Oh ja, wir sind so frei, wir wählen wen wir wollen oder auch gar nicht", schreit er heraus. Jetzt wird man aber neidisch.

    „Und wir leben lange, unsere Lebenserwartung ist doppelt so hoch wie die im Mittelalter, das allerdings weiß er aus dem Fernsehen. „Ja, wir leben länger und gesünder als jemals zuvor.

    Wir sind platt.

    „Und wir verstehen was vom Geld, ruft er dem Ahnungslosen hinterher. Und wem das nicht reicht, der bekommt noch einen nachgesetzt: „Ja, und wir haben immer unseren Spaß. Wir reisen, haben Sex und sind so glücklich.

    Donnerwetter, eine Gattung, die wirklich viel Glück gehabt hat. Und Pech für die, die da nicht teilhaben durften.

    „Pech gehabt, Ihr Zurückgebliebenen!" ist er versucht zu sagen, tut es aber nicht, denn er ist obendrein auch gut gebildet und weiß, dass sich das nicht gehört.

    Doch mal ehrlich, ist man nicht erstaunt und neidisch auf so viel Glück. Hier muss es doch was zum Entdecken geben. Ja, lernen, warum es ihm so richtig gut geht.

    Was sind also die Schräubchen an denen man drehen muss, damit man so toll drauf ist?

    Und die Zurückgebliebenen schauen interessiert auf dieses Exemplar.

    Trotzdem muss ich Sie warnen, denn wir werden hart analysieren, schließlich wollen wir nicht immer nur neidisch auf den Modernen schauen, sondern selber dazugehören. Aber keine Angst, liebe Leser, wir könnten es schaffen. Hier können wir zuversichtlich sein. Doch einen Rat will ich Ihnen noch geben, denn wenn Sie mal eigene Beobachtungen anstellen wollen, seien Sie immer vorsichtig, die Modernen sind sehr mutig.

    Sehr, sehr mutig sogar.

    Wie, das glauben Sie nicht?

    Dann schauen Sie doch mal in die Runde. Gerade letztens haben wir zahlreiche Exemplare entdeckt. Sie rannten auf der Straße entlang und schrien: „Der Kanzler ist ein Arschloch, und noch lauter, „der Kanzler ist ein Riesenarschloch.

    Wahnsinn, ist das mutig!

    Das ist aber wirklich mutig.

    Ach, Sie winken ab. Wo ist da der Mut? Hat doch „eh" keine Konsequenzen. Plappern kann doch jeder. Jeder kann doch brüllen, wenn es keine Konsequenzen hat.

    Wo ist da der Mut?

    Also gut, schauen wir also in einem Bereich, wo direkte Abhängigkeiten bestehen. Nicht bei der Politik. Hier kann jeder plappern. Schauen wir zum Beispiel in die Unternehmen. Und was sehen wir? Lauter mutige Menschen. Hier wird offen die Meinung gesagt. Hier wird offen gesprochen, diskutiert und gestritten. Feigheit nicht gesichtet. Na also. So einfach ist das, und das war unser erster empirischer Beweis.

    Dafür reichte der Mut.

    Geht doch!

    Auf der Suche nach Spaß

    Und jetzt schauen wir mal rein in die moderne Gesellschaft. Wie lebt der Posti, und was macht er? Wie vertreibt er sich eigentlich seine Zeit? Sie wissen es bereits. Na klar, er vertreibt seine Zeit mit Spaß. Ja, hier tobt der Spaß, überall pure Unterhaltung.

    Und was machen Sie?

    Heute schon mit dem Paraglider unterwegs gewesen? Nein?!

    Aber doch wenigstens kurz vor der Arbeit mal schnell auf dem Wasserski den Stress abgebaut?

    Auch nicht?

    O.k., Sie joggen wohl bloß jeden Morgen?

    Ach, vergessen Sie es. Sie sind aber ganz schön verschlafen. Denn man kann sich kaum retten vor den Angeboten. Überall Sport und Spaß, was will man da noch mehr?

    Ach ja, Sie haben recht, wir wollen mehr Extremsport.

    Paragliding, Wasserski, wozu das denn?

    Nein, wenn man schon seine wertvolle Zeit opfert, dann soll es auch was bringen. Nicht, dass man immer einen Guinnessrekord machen will (höchstens, wenn das Fernsehen dabei ist), nein, es muss für einen persönlich was bringen.

    Haben Sie schon mal Ihre Angst überwunden? Kennen Sie nicht das Todesangst-Krippeln so kurz vor dem Bungee-Sprung. Ich sage Ihnen, Sie verpassen (und verpfuschen) Ihr Leben, wenn es so weitergeht. Wen interessiert schon der langweile Büroalltag, niemanden, denn das wahre Leben beginnt danach.

    Machen Sie mal eine Canyoning-Tour, und hinterher sehen Sie das Leben mit anderen Augen. Das könnte man als Werbespruch interpretieren. Ist es aber nicht. Es ist wahr! Man muss sich eben auch mal richtig überwinden können, sonst kennt man seine Grenzen nicht. Wissen Sie, wie Sie reagieren würden, wenn Sie in der Antarktis segeln und kurz vor Ihnen fällt ein hundert Meter hoher Eisfelsen ins Wasser?

    Sie wissen es nicht.

    Wissen Sie, wie es sich anfühlt, wenn man mit 200 Sachen um die Kurven saust, und das Blut aus dem Hirn gedrückt wird, wissen Sie auch nicht.

    Aber, was wissen Sie denn dann überhaupt von sich? Sie kennen Ihren langweiligen Körper doch wirklich nur vom Büro- und Fernsehsessel. Ja, und dann erschlaffen Sie. Und draußen geht die Evolution weiter, dort tobt die Auslese. Aber gut, Sie wollen bloß mal Schwimmen gehen oder mutig vom drei Meter Turm springen. Bitte, wenn man keine Ansprüche an sich stellt, dann erlebt man eben auch nichts. So ist das im Leben und hier ist das besonders so.

    Und deshalb ist der Extremsport auch so hilfreich. Nur der Naive fragt sich wirklich: „Wer tut denn das?" Letztens sagte einer im Fernsehen (ich liebe übrigens Fernsehen, aber dazu kommen wir noch), die das machen, hätten eine Leere im Kopf. Da war ich verwirrt. Heutzutage eine Leere im Kopf, wie soll das denn gehen? Von überall trommeln Informationen auf einen nieder, da bleibt gar kein Platz für eine Lehre.

    Nein, wir werden immer klüger, unser Wissen verdoppelt sich dauernd. Wo soll denn da Lehre herkommen?

    Wir wissen es nicht.

    Lieber Leser, an dieser Stelle muss ich mich mal kurz einmischen, denn das Nichtwissen wird Ihnen - zumindest in diesem Buch - öfters begegnen, aber bei dem Preis finde ich das schon okay. Und wir können uns manchmal ja auch mit Phantasie behelfen, unser Nichtwissen sozusagen einfach ignorieren.

    Das macht man heute so.

    Doch lassen Sie uns jetzt lieber eine erste empirische Studie machen, und beobachten wir (zuerst mal noch zufällig) ein Exemplar, wie es einfach so rumsitzt. Sich also richtig entspannt.

    „Was mach ich bloß, was mach ich bloß mit meiner vielen Freizeit, morgen, am Samstag", denkt das Exemplar so vor sich hin, und gedankenversunken - oder sollten wir lieber gedankenverloren sagen - schaltet das Exemplar den Fernseher ein.

    Dort kommt Sport.

    Und nochmals Sport.

    Und dann, die ersehnte Meldung: Wollen Sie Ihre Grenzen kennenlernen? Wollen Sie sich kennen lernen, wollen Sie es sich und den anderen richtig beweisen? Ja, wollen Sie den anderen mal zeigen, was Sie drauf haben?

    Und es hat was drauf, im tiefsten Inneren weiß es unser Exemplar, und jetzt wird es das endlich den anderen zeigen. Gut, die Ex ist gerade mit einem Kerl auf und davon, aber die war sowieso doof und im Bett recht langweilig, ja, gut, der Boss in der Firma ist ein Idiot, sonst hätte er schon längst gemerkt, dass es unser Exemplar mindestens bis zum Vorstand bringen würde, wenn man ihn lassen würde. O.k., er ist auch gerade ziemlich pleite, aber sonst fühlt er sich doch prima. Er ist ein ganzer Kerl, und eins muss man aber jetzt wirklich sagen, er ist mutig. Und deshalb bucht er für das Wochenende den Schnellkurs für Fallschirmspringer.

    Ja, nicht jeder von uns ist so spontan, aber gerne würden wir das auch mal machen.

    Vielleicht beim nächsten Mal.

    Nun gut, zugegeben, das war natürlich reine Phantasie, denn in Wirklichkeit sitzt das Exemplar zu Hause und ist ziemlich müde. Der Job war heute recht anstrengend, und der Boss ist wirklich ein Trottel, aber das wussten wir schon. Und unser Exemplar dämmert auf dem Sofa so dahin.

    „Aber, wenigstens am Wochenende werden wir so richtig die Sau raus lassen und in eine Proll-Disco gehen", das hat sich unser Exemplar fest vorgenommen.

    Und es hat recht damit, denn ist es nicht gerade der ultimative Spaß, der uns all den Stress überstehen lässt. Macht nicht gerade der Spaß alles so lebenswert. Und außerdem, man weiß nie, vielleicht ist auch ‘ne nette Kleine da? Unserem Exemplar läuft das Wasser im Munde zusammen. (Ich war übrigens auch letztens dort, und das mit den netten Kleinen stimmt, aber wir wollen nicht abschweifen.) Doch wir werden stutzig. Wir schärfen unseren Blick und beobachten nochmals.

    Was tut der da?

    Was plant der so?

    Und tatsächlich, das hätten wir nun nicht vermutet, nein, wir sind geschockt: Der Typ ist gelangweilt. Wirklich. Dieser Prototyp ist heute tierisch gelangweilt, ja, sogar extrem gelangweilt. Ständig ist er auf der Suche nach Events. Das gibt‘s doch gar nicht. Sie wollen es nicht glauben, wir wollen es nicht glauben! Aber, versuchen Sie sich mal mit einem Modernen zu unterhalten und nicht über Spaß oder Reisen zu reden. Das geht nicht. Probieren Sie es aus. Immer muss was los sein..., doch was ist los, wenn er mit sich alleine ist?

    Was macht er dann?

    Sie wissen es nicht?

    Wir schon.

    Denn zum Glück können wir uns bei manchen Exemplaren einloggen, und so schauen wir nochmals einem anderen über die Schulter. Das Exemplar kam gerade von der Arbeit, mit 200 Stundenkilometern über die A6, denn schließlich wollte der Typ schnell zu Hause sein. Der Motor dröhnt noch im Kopf und konnte nur von den Super-Surround-Bass-Lautsprechern überdröhnt werden. Und jetzt hat er seinen Geschwindigkeitsrekord geschafft, und er sitzt zu Hause und freut sich.

    Und wir freuen uns mit, aber dann:

    „Mensch, was mach ich bloß mit meiner Zeit, was mach ich bloß, was mach ich bloß, denkt auch er so vor sich hin. Wir sind irritiert. Denken denn alle das gleiche, wo ist die Vielfalt? Doch wir wollen weiter lauschen. „Ach ja, ich könnte aus dem Fenster schauen, vielleicht kommt die hübsche Nachbarin vorbei. Und glücklich, dass er so schnell zu Hause war, schaut er aus dem Fenster, ob die Hübsche von nebenan heute mal was Kurzes trägt. Jaaa, dann logge ich mich am liebsten ein, denn die ist wirklich umwerfend, aber ich will mich raushalten.

    Nur eins muss ich noch erklären, hier muss ich mich dann doch nochmals einmischen, denn das mit dem Einloggen ist noch nicht weit verbreitet. Nur langsam wird es eingeführt. Denn ohne dass es die Allgemeinheit bemerkt hat, werden zahlreiche Einlogg-Mechanismen entwickelt.

    „Einlogg-Mechanismen?"

    Ja, das kommt aus dem amerikanischen und heißt eigentlich Human Inlog Machine, kurz HIM.

    Es ist so toll, was unsere amerikanischen Freunde da wieder entwickelt haben. Ich weiß, Sie glauben es nicht, aber was wissen Sie von der technischen Entwicklung? Sie werden doch extra kurz gehalten, Ihr

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