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Wie Sarah sich Herrn Paulsen unterwarf
Wie Sarah sich Herrn Paulsen unterwarf
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eBook325 Seiten4 Stunden

Wie Sarah sich Herrn Paulsen unterwarf

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Über dieses E-Book

"Darf ich Ihnen heute Abend etwas kochen?" Mit dieser harmlosen Frage beginnt eine ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen der 23-jährigen Sarah und ihrem 20 Jahre älteren Vermieter.
Nach dem Tod ihrer Mutter fühlt Sarah sich allein. Sie hat keine Vorstellung, wie es mit ihrem Leben jetzt weitergehen soll. Da erscheint Herr Paulsen ihr wie ein Fels in der Brandung und sie verliebt sich in ihn. Sie werden ein Paar und er gibt ihr Halt in einer schwierigen Lebensphase. Aber im gleichen Maße, wie sie ihre Zukunft wieder selbst in die Hand nimmt, entwickelt sie das Verlangen seine Macht zu spüren. Zu Beginn eher widerwillig gibt er ihrem Bedürfnis schließlich nach und sexuelle Hingabe, sowie schmerzhafte Bestrafungen nehmen einen immer breiteren Raum in ihrer Beziehung ein.
Die Geschichte einer jungen Frau, die sich fast zwanghaft immer tiefer in den Strudel devoter und masochistischer Obsession begibt, bis sie sich schließlich die völlige Entrechtung wünscht. Mit gefährlichen Folgen für ihre Gesundheit.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum11. Dez. 2013
ISBN9783849573676
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    Buchvorschau

    Wie Sarah sich Herrn Paulsen unterwarf - Alexander Saller

    I

    22 Monate zuvor…

    Dieses eine Blatt zitterte. Hellbraun und irgendwie fest wirkend ließ sich das trockene Buchenblatt vom Wind zu dieser geräuschvollen Bewegung antreiben. Seltsam eigentlich, denn die anderen Blätter der Buchenhecke bewegten sich nur ab und zu ein wenig. Es war fast windstill an diesem Samstagmorgen Anfang November. Der Wind blies normalerweise fast immer kräftig hier an der Nordseeküste, besonders um diese Jahreszeit. Aber heute brachte er nur ein laues Lüftchen zustande, dazu herrschte strahlender Sonnenschein und es war recht mild, fast warm.

    Sarah fror trotzdem und musste sich beherrschen, dass sie nicht zitterte wie dieses einsame Blatt. Sie machte sich von seinem Anblick los und versuchte sich wieder auf die Worte des Priesters zu konzentrieren. Immerhin stand sie auf einem Friedhof zur Beerdigung ihrer Mutter. Aber es gelang ihr nicht. Gedankenfetzen der letzten Jahre, aus ihrer Kindheit und, besonders bedrohlich, aus ihrer Zukunft tauchten auf und wurden gleich darauf von anderen Gedanken abgelöst. Unmerklich rückte sie näher an den Mann neben sich heran. Es war ihr Vermieter, den sie kaum kannte, aber an wen hätte sie hier auch heranrücken, gar sich anlehnen können? Sie ließ den Blick über die Trauergäste schweifen. Selbst hier auf dem kleinen Friedhof, direkt neben der ebenso kleinen Kirche wirkte das Häuflein verloren. Sarah kam sich albern vor, aber wie aus einem inneren Zwang tat sie es doch. Eins, zwei, drei……..zwölf, dreizehn. Dreizehn Trauergäste. Sieben kannte sie aus der Nachbarschaft, die anderen mussten von der Kirchengemeinde sein. Keine Freundin, keine Verwandtschaft. Aber wer hätte da auch kommen sollen. Ihre Mutter hatte nie etwas von Freundinnen oder Verwandten erzählt.

    Sie stand jetzt ganz nah bei ihrem Vermieter, der etwas größer als sie war. Sie lehnte sich zunächst leicht an ihn, dann immer stärker, bis er endlich verstand und seinen Arm um sie legte. Dann kamen sie plötzlich. Eine Träne nach der anderen rann aus ihren Augen. Begleitet von heftiger werdenden Schluchzern. Sarah bekam von den mitleidigen Blicken der anderen Trauergäste nichts mit und es wäre ihr auch egal gewesen. Nach mehr als zwei Jahren, in denen sie für ihre krebskranke Mutter dagewesen war, hatte sie zum ersten mal wieder eine Schulter zum anlehnen. Sie hatte ihn dazu genötigt, das war ihr klar, aber in dem Moment hatte sie keine Kraft mehr, sich zu beherrschen.

    Nach der Beerdigung schüttelte sie mehrere Hände und bedankte sich mechanisch für die Beileidsbekundungen. Sie war froh, als sie endlich bei ihrem Vermieter in dessen Auto saß und sie auf dem kleinen Weg Richtung Deich zusammen nach Hause fuhren. Nach Hause? Ohne ihre Mutter, ohne überhaupt einen Menschen in der Nähe, dem sie vertraute, war das doch kein Zuhause. Sie betrachtete ihren Vermieter. „Herr Paulsen, nannte sie ihn, während er sie… nein „Sarah hatte er sie nie genannt, sie konnte sich jedenfalls nicht daran erinnern. Er sagte „Du", aber nannte sie nie direkt beim Namen. Es hatte ja auch kaum Gelegenheit dazu gegeben. Seit sie mit ihrer Mutter vor sieben Jahren bei ihm eingezogen war, gab es allenfalls mal Gespräche über das Wetter, wenn man sich zufällig begegnete. Am Anfang hatte sich Sarah immer gewünscht, dass aus ihrer Mutter und dem Stoffel, wie sie Herrn Paulsen wegen seiner wortkargen und humorfreien Art insgeheim nannte, mehr werden würde. Sie hatte ihren Vater nie kennengelernt und diesen Herrn Paulsen hätte sie sich gut als Ersatzvater vorstellen können. Sicher, er wäre auch dann keine Stimmungskanone gewesen, aber die Rolle als Fels in der Brandung hätte er sehr gut besetzen können. Und genau danach hatte sie sich gesehnt. Nein, sehnte sie sich noch immer.

    All die Jahre hatte er sich weder um ihre Mutter noch um sie gekümmert, es war fast schmerzlich gewesen, zu spüren, dass er seine ihm zugedachte Rolle als Ersatzvater nicht annehmen würde. Erst nach dem ersten Krankenhausaufenthalt ihrer Mutter vor gut zwei Jahren änderte sich das ein wenig. Er hatte sich angeboten, Sarah seinen Wagen zu leihen, damit sie ihre Mutter besuchen konnte. Da sie kein Auto hatte, war sie sehr dankbar gewesen. In den Phasen, in denen sie ihre Mutter zu Hause pflegte, brachte er Waren aus dem örtlichen Laden mit und nachdem sie gestorben war, hatte er die Beerdigung organisiert und sie mit zu Behördengängen begleitet. Dafür war sie ihm sehr dankbar, denn sie hätte alleine wohl nicht die Kraft dazu gehabt. Es war aber wohl sein tröstender Arm, heute auf der Beerdigung, der dazu führte, dass sie unwillkürlich leise „Danke" sagte. Herr Paulsen schaute sie an, verzog etwas den Mund, was wohl freundlich aussehen sollte und nickte leicht. Dann setzte er den Blinker. Sie bogen von der schmalen Wirtschaftsstraße am Deich ab und fuhren auf dem unbefestigten Weg auf das kleine, rot verklinkerte Haus von Herrn Paulsen zu. Die Sonne schien immer noch, ihre Strahlen glitzerten im Wasser der kleinen Pfützen, die ein heftiger Regen vor einigen Tagen auf den weiten Flächen rund um das Haus zurückgelassen hatte.

    Als sie am Haus angekommen waren, parkte er den Wagen auf dem Schotterweg und sie gingen schweigend zur Haustür. Herr Paulsen schloss sie auf, gab die Tür weiter an Sarah und wandte sich dann seiner Etagentür zu.

    „Herr Paulsen?"

    „Ja?"

    „Darf ich Ihnen heute Abend etwas kochen?"

    Sarah sprach sehr leise, den Blick hielt sie gesenkt.

    „Darf?" fragte Herr Paulsen überrascht zurück.

    Sarah nickte nur leicht.

    Unsicher suchte Herr Paulsen im Vorratsraum nach einer Flasche Rotwein. Sollte er überhaupt eine mitnehmen? An so einem Tag? Aber irgendetwas musste er ja mitnehmen, schließlich war er zum Essen eingeladen und wenn nach einer Beerdigung, wie es eigentlich üblich war, ein Kaffeetrinken veranstaltet wurde, tranken viele Leute nach dem Kaffee auch noch Bier oder Schnaps.

    Endlich hielt er sie in der Hand. Eine dicke Staubschicht bedeckte das Glas. Sie musste noch aus der Zeit sein, als seine Frau noch lebte. Das Bild seiner Frau tauchte vor seinem inneren Auge auf. Sie war jetzt fast 10 Jahre tot und er vermisste sie immer noch jeden Tag und vor allem abends. Und jetzt, denn seine Frau hätte gewusst, ob eine Flasche Rotwein als Mitbringsel das richtige gewesen wäre. Entschlossen pustete er den Staub von der Flasche, nahm sie aus dem Vorratsraum mit in seine Küche und putzte sie mit einem Lappen sauber.

    Gegen 19 Uhr stieg Herr Paulsen die Treppe zu seiner Mietwohnung empor. Er kam sich reichlich seltsam vor. In den sieben Jahren, in denen Mutter und Tochter in seinem Haus wohnten, war er genau zwei Mal in ihrer Wohnung gewesen. Einmal um einen verstopften Wasserabfluss zu reinigen und ein zweites Mal, kurz darauf, um ein Heizungsventil auszutauschen. Sarah war nicht zu Hause gewesen und ihre Mutter hatte ihn in einem recht locker gebunden Bademantel empfangen. Er war auf ihre eindeutigen Avancen nicht eingegangen. Weil der Verlust seiner Frau damals noch nicht so lange her war? Weil er die Art von Sarahs Mutter nicht so wirklich mochte? Wahrscheinlich Beides. Jetzt stand er vor nunmehr Sarahs Wohnungstür, eine Flasche Wein in der Hand, am Tag der Beerdigung ihrer Mutter. Er fühlte sich unbehaglich, als die Tür aufging.

    „Hallo, Sarah lächelte ihn an und hielt die Tür auf. „Was mache ich hier eigentlich? schimpfte er in Gedanken mit sich selbst. Aus den Tiefen seines Bewusstseins hatte sich ein Gedanke gemeldet, den er lieber dort belassen hätte: „Sie ist hübsch". Klar, er hatte schon früher bemerkt, dass sie ein hübsches Mädchen war, aber eben ein Mädchen. Jetzt war aus ihr eine gut aussehende, junge Frau geworden. Mit dunklen, fast schwarzen, leicht gelockten, langen Haaren, rehbraunen Augen und einem Lächeln, das ihr ganzes Gesicht mitstrahlen ließ. Eine attraktive junge Frau, gestand er sich widerwillig ein. Musste er das ausgerechnet bei einer 23jährigen feststellen? Noch dazu war heute die Beerdigung ihrer Mutter.

    „Herr Paulsen?"

    Erschrocken stellte er fest, dass er sie wohl zu lange angestarrt hatte. Er schüttelte sich leicht, wie um seine Gedanken und sein schlechtes Gewissen loszuwerden.

    „Ich war lange nicht hier oben", sagte er schnell.

    „Stimmt", antwortete Sarah.

    Sie standen immer noch im Flur. Sie fügte nichts hinzu und Herr Paulsen hatte das dringende Bedürfnis, zu erklären, warum er nicht mehr geholfen hatte, als sie bei der Pflege ihrer Mutter die Hilfe so dringend gebraucht hätte. Er berichtete vom Tod seiner Frau, die er ebenfalls über ein Jahr gepflegt hatte und dass er es nicht noch einmal hätte ertragen können. Er machte ungewohnt viele Worte. Als er fertig war entstand eine kurze Pause.

    „Sie haben sehr viel für uns getan", sagte sie nachdrücklich und schaute ihm dabei in die Augen.

    Herr Paulsen lächelte unsicher.

    „Was gibt es denn?" fragte er unvermittelt und blickte in Richtung Küche.

    „Kommen Sie."

    Sie gingen in den kleinen Raum, in dem nur eine weiße Furnierküchenzeile und ein kleiner Buchenholzimitattisch mit zwei Stühlen Platz fanden. Sarah hob den Deckel eines der beiden Kochtöpfe. Darin kochte Grünkohl vor sich hin.

    Es war fast elf Uhr, als er wieder nach unten ging und es war ein schöner Abend gewesen. Sie hatten sich lange über Musik unterhalten und festgestellt, dass sie mit Rockmusik der 70er zumindest in Teilen einen gleichen Musikgeschmack haben. Später hatten sie sogar über einige Leute aus der Nachbarschaft gelästert. Sarah hatte gelöst gewirkt, lächelte viel und lachte ab und zu. Vielleicht hatte es am Wein gelegen, vielleicht aber auch daran, dass nach all den Monaten der Verantwortung, die auf ihren zu jungen Schultern gelastet hatte, jetzt ein Gefühl der Erleichterung eingetreten war.

    Sarah lag noch lange wach im Bett. Sie hatte den Abend genossen und glaubte sich dafür schämen zu müssen, schließlich war heute die Beerdigung ihrer Mutter gewesen. Doch es gelang ihr nicht. Zu deutlich war ihr bewusst, dass sie einen unbeschwerten Abend nach der harten Zeit verdient hatte. Viel heftiger quälte sie auch die Frage mit wem sie den unbeschwerten Abend verbracht hatte. Herr Paulsen war so gelöst gewesen. Lag es am Wein? Oder an Ihr? Hatte er sie nicht am Anfang ziemlich lange und intensiv angeschaut? Nein, er hatte kein Auge auf sie geworfen, das konnte nicht sein. Ihr Vermieter erschien ihr immer ein Inbegriff an Korrektheit zu sein, der würde so etwas nicht tun.

    Sarah rief sich die Situation in Erinnerung, als sie sich verabschiedeten. Wie gerne hätte sie sich in seine Arme gekuschelt, die Kraft und Ruhe dieses starken Körpers gefühlt. Den Fels in der Brandung, die jetzt noch schlimmer zu werden drohte. Sarah dachte an ihre Zukunft. Die ganze Zeit hatte sie sich auf die Pflege ihrer Mutter konzentriert, kurz nach der Hauptsaison sogar den Job im Getränkeladen gekündigt. Was sollte sie nun machen. Sollte sie wegziehen? Dieser Gedanke machte ihr Angst und sie rief sich wieder die Abschiedsszene von vorhin in den Sinn, stellte sich vor, er Herr Paulsen würde sie fest im Arm halten. Gut, dass er so kräftig gebaut ist, dachte sie, denn als Hungerhaken würde er wohl kaum als Projektionsfläche für ihre Sehnsüchte nach einem Fels in der Brandung taugen. Sarah fand ihre eigenen Überlegungen seltsam und schmunzelte.

    Am anderen Morgen verließ sie das Haus, um ihr Fahrrad aus dem Schuppen zu holen, der früher einmal Schafe beherbergt hatte und heute nur noch als Lagerraum und kleine Werkstatt diente.

    „Moin"

    Sarah erschrak und freute sich gleichzeitig.

    „Moin Herr Paulsen"

    Er war ebenfalls hinter ihr aus der Haustür getreten und ging jetzt Richtung Schuppen. Als sie sich im Schuppen trafen und beide ihre Fahrräder ergriffen, lächelten sie sich kurz zu. Sarah sah schnell zu Boden, hatte aber sein Gesicht noch genau vor Augen. Warum hatte sie eigentlich vorher noch nie festgestellt, wie attraktiv ihr Vermieter mit seinen fein gezogenen Gesichtszügen und den so weise wirkenden, leicht ergrauten Haaren war? Es lag wahrscheinlich am Alter.

    „Wohin willst Du denn fahren?" fragte Herr Paulsen plötzlich in die Stille hinein.

    „Keine Ahnung, wohin wollen Sie denn?"

    Sarah sah auf und ihm in die Augen. Er schaute jetzt wieder sehr ernst.

    „Ich fahre doch jeden Sonntag in den Deichkrug zum Frühschoppen mit meinem Stammtisch".

    Sarah fiel erst jetzt wieder ein, dass ja Sonntag war. Tag Eins nach der Beerdigung ihrer Mutter.

    „Stimmt, ich habe ganz vergessen, dass ja Sonntag ist. Wenn ich darf, fahre ich ein bisschen mit Ihnen in die Richtung."

    „Dann komm."

    Jetzt lächelte er wieder. Sarah staunte über den Unterschied und überlegte, ob der ernste, fast verbitterte Ausdruck etwas mit dem Tod seiner Frau zu tun haben könnte.

    „Stammtisch", wie das klingt. Herr Paulsen kam sich auf einmal sehr altmodisch vor. Als wenn er diesen Eindruck irgendwie ausgleichen wollte, sprach er Sarah an:

    „Sarah, wenn Du möchtest kannst Du gerne Jan und Du zu mir sagen."

    Sarah ließ sich mit der Antwort viel Zeit. Er schaute verunsichert zu ihr herüber.

    „Herr Paulsen, verstehen sie mich nicht falsch, aber ich glaube ich möchte das nicht…ich…".

    Er wartete, ob sie noch etwas hinzufügen würde, aber sie schwieg.

    „Das ist auch o.k."

    Er lächelte zu ihr herüber, aber sie schaute nur auf die Straße. Er wirkte souveräner als er sich fühlte. Sie wollte offensichtlich Distanz halten. Ein Gefühl der Enttäuschung stieg in ihm auf. Widerwillig gestand er es sich ein, es war einfach nicht abzuschütteln. Er musste auch zugeben, dass er mehr für dieses Mädchen empfand, als es sich für einen Vermieter in seinem Alter gehörte. Spätestens seit gestern Abend. Aber was empfand er eigentlich? Beschützerinstinkt? Vatergefühle? In den Tiefen seines Bewusstseins lag die Antwort deutlich sichtbar, aber er versuchte sie mit allen Mitteln dort unten zu belassen.

    „Mit wem sitzen Sie eigentlich im ‚Deichkrug‘", unterbrach Sarah die eingetretene Stille. Herr Paulsen begann zu erzählen, von seinen insgesamt acht Stammtischbrüdern und wie sie mit wem verwandt waren im Dorf. Einige der Personen kannte sie, einige nicht. Sarah fragte immer wieder nach. Ob es sie wirklich interessierte? Herr Paulsen glaubte es eher nicht. Vielleicht versuchte sie ein peinliches Schweigen zu vermeiden. 10 Minuten später tauchte der ‚Deichkrug‘ hinter einer Kurve, direkt hinter seinem Namensgeber auf.

    „Viel Spaß", rief Sarah ihm zu.

    „Danke, Dir auch".

    Sie lächelten sich zu.

    „Moin"

    „Moin, Jan" kam es vereinzelt vom Tisch zurück. Herr Paulsen klopfte auf den Tisch, hängte seine Jacke an die Garderobe direkt neben dem Tisch und setzte sich auf den letzten freien Platz. Die meisten anderen Stammtischbrüder waren regelmäßige Kirchgänger und kamen immer zusammen so gegen 10 vor 11 hier an. Mit am Tisch saßen auch Hein Clausen und Andreas Schroeder, mit denen er hier mittwochs immer Skat spielte. Während die anderen Stammtischbrüder eher Bekannte waren, würde Herr Paulsen die beiden als Freunde bezeichnen. Mit Hein fuhr er gelegentlich mal auf ein Konzert und mit Andreas segelte er ab und zu. Wenn der sich mal von seiner Frau und seinen drei Töchtern trennen konnte, was leider selten der Fall war. Herr Paulsen mochte diese Ausflüge, konnte er doch mit Andreas am entspanntesten reden. Und wenn sie auch auf See mal beide schwiegen war es nie peinlich zwischen ihnen.

    Jetzt drehten sich die Gespräche um die üblichen Themen im Dorf. Im Moment vor allem um eine geplante Umgehungsstraße, die immer Anlass zu heftigen Debatten war. Vor zwei Wochen hatte Hauke Paulsen, ein Cousin von Herrn Paulsen, sogar mal wutentbrannt den Stammtisch schon nach einer halben Stunde verlassen, weil Hein nicht einsehen wollte, dass eine Umgehungsstraße keine 100 Meter von seinem Haus entfernt eine unschöne Sache sei. Herr Paulsen hatte damals geschwiegen, weil er Hauke ausnahmsweise zwar gut verstand, aber Hein nicht in den Rücken fallen wollte.

    Inzwischen waren sie beim Thema Fußball angekommen und Herr Paulsen diskutierte eifrig mit, froh, ein wenig von dem Thema, welches ihn eigentlich beschäftigte, etwas abgelenkt zu werden. Gegen 12.30 Uhr löste sich die Runde auf und alle Stammtischbrüder fuhren mit ihren Fahrrädern zu ihren Familien. Bis auf Hein, der als alleinstehend galt und sonntags immer seine Eltern besuchte, und eben Jan. Er würde sich wie üblich eine Dose mit Linseneintopf oder Hühnersuppe aufmachen und sich dann hinlegen. Was sollte er auch anderes tun, seit seine Frau tot war.

    Sarah fuhr jetzt auf der Seeseite. Hoffentlich hat sie ihn nicht verprellt. Sie hätte ihm ja wohl kaum erzählen können, dass sie ihn lieber siezte, weil sie ihn als Respektsperson betrachten wollte. Als richtig Erwachsener sozusagen. Sie fühlte sich so allein und überfordert. Ja, das war das richtige Wort: überfordert. Was sollte sie jetzt tun? Wegziehen? Hier einen Job suchen? Studieren? Immer wieder kam sie zu diesen Fragen zurück. Wie penetrante Fliegen ließen sie sich immer wieder mitten in ihrem Gesicht nieder. Wie gerne würde sie sich jetzt an ihren Fels lehnen. Am schönsten wäre es, wenn sie ihm den Haushalt führen könnte. So richtig konservativ. Warum wünschte sie sich so etwas als moderne Frau im 21. Jahrhundert? Sarah war verwirrt, aber ihr Wunsch war eindeutig. So ehrlich war sie zu sich selbst. Sarah trat heftiger in die Pedalen, wie um die verwirrenden Gedanken abzuschütteln. Sie zwang sich, auf die wunderschöne Landschaft zu achten. Die Weite des Meeres hatte sie schon immer fasziniert. Jetzt lag es für Nordseeverhältnisse ruhig da und nur ganz leise war das Klatschen kleiner Wellen an das steinerne Deichfundament zu hören. Immerhin war es überhaupt da. Sarah musste schmunzeln, als sie sich erinnerte, wie sie das erste Mal vor 7 Jahren den Deich hochkletterte, sich auf das Meer freute und dann nichts als Schlamm sah. Dunkelgrauer Schlamm bis zum Horizont. Später hatte sie das Watt auf ihren langen Wanderungen schätzen gelernt. Diese Ruhe und Weite faszinierte sie immer wieder. Jetzt war allerdings Flut und das Wasser glitzerte in der Sonne. Ein herrliches Bild, aber wieder kam die Zukunftsfliege angeflogen und setzte sich auf ihr Gesicht. Immerhin hatte sie jetzt klarer vor Augen, dass sie hier auf keinen Fall wegwollte. Sarah bremste abrupt ab. Die Bremsen quietschten und ein paar Möwen flogen auf. Sie wendete das Rad und fuhr zurück nach Hause. Sie würde sich und ihm jetzt was zu essen machen. Ob und was sich dann ergibt würde sich zeigen. Aber statt sich passiv der Zukunftsangst zu ergeben würde sie jetzt einfach in eine Richtung marschieren. Auch wenn sie nicht wusste was sie dort erwartet, aber sie würde gehen und hoffen, dass dieser Weg der richtige war.

    Zu Hause angekommen machte sie sich in ihrer kleinen Küche ans Werk. Viel hatte sie nicht im Vorratsschrank, aber es würde für einen Kartoffelgratin reichen. Während sie arbeitete ließ sie ihre Wohnungstür geöffnet, um zu hören, wenn Herr Paulsen nach Hause kommt. Gerade als sie die Auflaufform in den Ofen stellte, hörte sie, wie sich der Schlüssel seinen Weg in das Schloss bahnte. Schnell noch den Herd anmachen. Kurz ärgerte sie sich, dass sie wie immer vergessen hatte den Ofen vorzuheizen, dann rannte sie die Treppe herunter. Herr Paulsen war schon fast in seiner Wohnung verschwunden, als ein lautes Gepolter von der alten Holztreppe ihn noch einmal umdrehen ließ. Verblüfft schaute er Sarah an, die sich ein wenig kindisch vorkam, so die Treppe herunterzurennen.

    „Herr Paulsen, wollen sie bei mir etwas essen? Ich habe gekocht."

    Der Angesprochene brauchte einige Sekunden, um die Frage richtig zu erfassen. Sarah atmete heftig. Nicht nur, weil sie so schnell die Treppe heruntergerannt war, sondern auch weil sie unter großer Anspannung stand. Vielleicht würde sich jetzt und hier schon der gerade erst eingeschlagene Weg als der falsche herausstellen.

    „Warum nicht? Was gibt es denn?"

    Sarah strahlte. Offensichtlich so ansteckend, dass jetzt auch Herr Paulsen lächelte und dabei wieder so viel jünger und attraktiver aussah. Fast hätte Sarah vergessen zu antworten.

    „Kartoffelgratin" sagte sie schließlich, ohne ihr Strahlen zu unterbrechen.

    „Ok, ich komme in 5 Minuten" antwortete er wie eine Frage betont.

    „Ja, ist gut."

    Sarah drehte sich um und ging wieder die Treppe herauf. Sie spürte wie Herr Paulsen ihr nachsah. War sie zu aufdringlich? Immerhin hatte sie ihn erst gestern Abend zum Essen eingeladen. Aber was soll’s. Sie würde den eingeschlagenen Weg jetzt gehen, solange bis er zu Ende wäre. Erst dann würde sie umkehren. Und nicht vorher. Sie schaute in den Ofen. Der Auflauf würde bestimmt noch eine halbe Stunde dort bleiben müssen. Angst vor ihrer eigenen Courage befiel sie. Hoffentlich schweigen wir uns nicht an. Beim Essen ist es ja nicht so schlimm, man ist ja beschäftigt, aber vor dem Essen?

    Ihre Sorge war unbegründet. Herr Paulsen kam und sie unterhielten sich wie zwei alte Bekannte. Über Herrn Paulsens Stammkneipe, über das für die Jahreszeit ungewöhnlich schöne Wetter und welche Freude das Radfahren machte. Eine kurze Pause entstand.

    „Heißt es eigentlich der Gratin, oder das Gratin?" fragte Herr Paulsen unvermittelt.

    „Keine Ahnung".

    Beide lachten.

    „Na jedenfalls riecht er schon mal hervorragend."

    „Finde ich auch."

    Sarah lachte immer noch, wurde dann aber plötzlich ernst.

    „Herr Paulsen, ich würde gern jeden Tag für sie kochen."

    Jetzt war es raus. Sarah fühlte wie ihr Herz klopfte. Wie eben vor seiner Haustür brauchte er einige Sekunden um die Frage richtig in sein Bewusstsein kommen zu lassen. Schließlich antwortete er:

    „Sarah, Du musst wieder arbeiten."

    „Ich will auch kein Geld", beeilte sie sich zu versichern.

    „Darum geht es nicht. Du musst wieder unter Leute und am besten ziehst Du in eine Stadt".

    „Sie wollen, dass ich ausziehe?"

    Sarah fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen.

    „Nein, nein Herr Paulsen schien die Wirkung seiner Worte zu erfassen und er fügte hinzu: „Du kannst von mir aus so lange hier wohnen, wie Du möchtest, Sarah. Ich dachte nur, es sei besser für Dich in der Stadt Freunde kennen zu lernen. Hier gibt es ja kaum noch junge Leute und mit denen, die hier wohnen, hattest Du doch eigentlich nicht viel zu tun, oder vertue ich mich da?

    „Nein, da haben Sie recht, aber ich möchte erst mal…, am liebsten hätte sie gesagt: „Dass Sie mich in den Arm nehmen und drücken, aber laut sagte sie: …Zeit haben mich zu bewerben. Am liebsten in Hamburg. Sie tat so, als hätte sie schon länger einen Plan.

    „Für eine Arbeit oder an der Uni?" fragte Herr Paulsen hartnäckig nach.

    „Beides" antwortete Sarah ohne nachzudenken, um durch eine schnelle Antwort den Schein, alles im Griff zu haben, zu wahren.

    „Und bis dahin möchtest Du für mich kochen?"

    „Für uns beide korrigierte sie ihn. „Ich würde ja sowieso was für mich machen, und da kann ich auch für Sie mitkochen.

    Herr Paulsen schaute nachdenklich.

    „Warum braucht dieser Mann nur immer so lange, bis er endlich eine Antwort gibt?" dachte Sarah ungeduldig.

    „Bitte Herr Paulsen, jetzt wo Mama tot ist habe ich keinen mehr, für den ich kochen kann und ich koche doch so gerne".

    Sarah klang flehentlicher als sie beabsichtigt hatte. Sie hatte zudem das Gefühl ihre Mutter jetzt gerade zu benutzen. Darüber hinaus log sie auch noch hemmungslos. Sarah hatte eigentlich nie so gerne gekocht. Erst als ihre Mutter es nicht mehr konnte, hatte sie sich notgedrungen einige Fähigkeiten angeeignet, beziehungsweise von ihrer Mutter zeigen lassen.

    Herr Paulsen fühlte, wie sich sein schlechtes Gewissen wieder meldete. Sarah hatte in den letzten zwei Jahren alles alleine machen müssen. Im Getränkeladen gearbeitet, gekocht, geputzt, gewaschen und ihre Mutter gepflegt. Er hätte sie wirklich mal entlasten sollen, nein müssen. Stattdessen hatte er einfach die Augen verschlossen. Die paar Fahrten ins Krankenhaus oder zum Dorfladen holten das auch nicht heraus. Er spürte, wie Sarah ihn erwartungsvoll anblickte. Ganz offensichtlich war sie so einsam, dass sie sogar für jemanden wie ihn kochen wollte. Er hätte ihre Bitte schon aus schlechtem Gewissen nicht abgelehnt, selbst wenn er es nicht gewollt hätte. Aber das Gegenteil war ja der Fall. Er fühlte sich in ihrer Gegenwart wohl, sehr wohl und genau das ließ ihn zögern. Wie lange könnte er der väterliche Freund sein und wann würde er mehr von ihr wollen, Alter hin, Alter her. Es wurde für ihn immer deutlicher, dass er dieses Mädchen nicht nur als Gesprächspartnerin schätzte, sondern sie auch körperlich, gegen seinen Willen, anziehend fand.

    „Aber ich gehe einkaufen…nach Deinen Anweisungen".

    „O.k., gerne"

    Sarah strahlte und Herr Paulsen genoss es, ihr dabei zuzusehen. Dabei merkte er gar nicht,

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