Spurensuche: Kriminalroman (Ein Bern-Krimi)
Von Daniel Himmelberger und Saro Marretta
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Über dieses E-Book
Daniel Himmelberger
Daniel Himmelberger & Saro Marretta Daniel Himmelberger wurde 1957 in Bern geboren. Arbeitet dort als Schriftsteller und Musiker. Präsident des Berner Schriftstellerinnen und Schriftsteller Vereins (BSV). Mitarbeit beim MAD-Theater als Musiker und Komponist. 1999 Meisterkurs beim amerikanischen Jazz-Pianisten Kenny Barron. Mehrere CD-Veröffentlichungen als Musiker (Pianist). Buchveröffentlichungen: "Der Straßenmörder", Kriminalroman, Erpf Verlag, Pendragon Verlag,2009 (2. Auflage), tredition Verlag, 2022 (3.Auflage) und Hörbuch, Sprecher Thomas Piper, 2011 (audio media verlag, München). "Kaspar - Café des Pyrénées", Künstlerroman, Autorinnen Verlag Bern, 1997 und tredition Verlag, 2022. "SpracheSprachGespräch", Gedichtband, Fischer Verlag. Zusammen mit Saro Marretta: "Der Tod kennt keine Grenzen", Kriminalroman, Pendragon Verlag, Tandem Verlag (2.Auflage), 2017 Digital Publishers (3. Auflage) und Hörbuch, Sprecher Thomas Wingrich (Saga Egmont). "Die letzte Reise nach Palermo", Kriminalroman, Pendragon, Tandem, 2017 Digital Publishers (3. Auflage). "Spurensuche", Kriminalroman, tredition Verlag, 2021. "Das Blut des heiligen Gennaro - 46 Kurzgeschichten", tredition Verlag, 2022. www.daniel-himmelberger.com Saro Marreta wurde in Sizilien geboren und lebt ebenfalls in Bern. Er schrieb den Bestseller "Das Spaghettibuch", Kurzkrimis und Romane. Weitere Veröffentlichungen: "Agli", "Pronto commissario?", "La commissaria", "Piccoli italiani in Svizzera". Zusammen mit Daniel Himmelberger "Der Tod kennt keine Grenzen", "Die letzte Reise nach Palermo", "Spurensuche" und zuletzt "Die Leiche im Schnee - 46 Kurzkrimis". www. saromarretta.com
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Spurensuche - Daniel Himmelberger
1
«Laura, wohin gehst du?», fragte die Mutter.
«Ins Training wie immer, das weißt du doch.»
Die beiden Zahnspangen dämpften den frechen Ton ein wenig.
Anna schaute ihre Tochter besorgt an. – Wie schnell die Zeit doch verging. Jetzt war Laura schon ein richtiger Teenager, mit all den Problemen, die dazu gehören.
«Aber pass bitte auf, es wird schon dunkel. Und zieh die wärmere Jacke an. Es ist doch schon November.»
Laura verdrehte die Augen. Immer diese Bevormundung.
«Jetzt muss ich aber los, sonst komme ich zu spät», schnauzte Laura, kontrollierte ihr Handy, verließ das Haus, schwang sich auf ihr Fahrrad und fuhr los.
Anna Rossi trat vor die Tür und schaute ihrer dreizehnjährigen Tochter nach. Sie sah ihre langen Haare im Winde wehen, also hatte sie bei dieser Kälte nicht einmal die Kapuze hochgezogen. Anna Rossi war verärgert und hilflos. Wo führte das noch hin? Laura ließ sich gar nichts mehr sagen.
Seit einem Jahr besuchte Laura zweimal pro Woche das Geräteturnen im Neufeld. Von ihrer Wohnung im Weyermannshaus Quartier im Westen von Bern fuhr sie zehn Minuten durch den Bremgartenwald ins Länggasse Quartier zu den Unisporthallen. Pünktlich um zwanzig Uhr begann dort das Training.
Laura machte zuerst ein paar Dehnübungen und einen Spagat. Diesen konnte sie recht gut. Flüchtig sah sie das schmale Gesicht und die Kraushaare eines Mannes, der ihr von der Tribüne aus zuschaute. Sie machte sich nichts daraus. Denn es war normal, dass die Zuschauer die jungen Turnerinnen während des Trainings beobachteten. Nach dem Einturnen ging sie ans Reck. Elegant und kraftvoll baute sie die Energie auf für einen Aufschwung mit anschließender Drehung und eine anspruchsvolle Pirouette zum Abschluss. Diese Übung lag ihr besonders gut, weil sie für ihr Alter eher klein war.
Nach dem Training verließ sie die Halle, duschte und machte sich etwa um einundzwanzig Uhr dreißig auf den Heimweg. Im Bremgartenwald war es wirklich unheimlich, so dunkel und einsam. Nur der Fahrweg wurde vom kalten Mondlicht erhellt. Hatte sich nicht dort hinter dem Busch etwas bewegt? Da war sicher ein Schatten!
Laura trat noch kräftiger in die Pedale.
«Ich bin kein kleines Kind mehr», sagte sie trotzig zu sich selbst. «Den bösen Wolf gibt es nur im Märchen und ich bin kein Rotkäppchen.»
2
Beppe Volpe saß im Büro des Polizeikommissariats am Waisenhausplatz in Bern und studierte eifrig einen Zeitungsartikel aus Neapel, den ihm seine Mutter geschickt hatte. Darin war die Anzahl der Verbrechen nach Sternzeichen aufgelistet. Laut der Studie gab es unter den vom einundzwanzigsten März bis zwanzigsten April Geborenen zweihundertdrei Kriminelle, die dem Sternzeichen Widder angehörten. Beppe suchte nun sein Sternzeichen. Er hatte am fünfundzwanzigsten November Geburtstag. Als er die Zahlen las, strahlte er und rief triumphierend: «Ich bin ein Schütze, in meinem Sternzeichen gibt es nur hundertvierzig Kriminelle.»
Vor zwei Jahren war er in Neapel nahe dran, den Chef der Banda del Buco auf frischer Tat zu verhaften. Bevor er ihn jedoch festnehmen konnte, wurde er von der italienischen Regierung im Rahmen eines EU-Förderprogrammes in die Schweiz nach Bern versetzt, wo er seine Kompetenzen erweitern sollte.
Die Tür ging auf und Katharina Tanner, seine Vorgesetzte, trat ein. «Was gibt es hier zu lachen», sagte sie forsch und schaute ihn streng an.
Beppe wurde ganz verlegen und antwortete kleinlaut: «Bei Ihnen sind es hundertsechsundsechzig.»
Sie schaute ihn verständnislos an. «Was meinst du damit? Spielst du neuerdings Lotto während der Arbeitszeit?»
«Nein, Frau Kommissarin, das ist die neuste Verbrecherstatistik aus Neapel, aufgeteilt nach Monaten und Sternzeichen. Und bei Ihrem Sternzeichen sind es immerhin hundertsechsundsechzig Verbrecher.»
«Das ist reine Zeitverschwendung. Die Schlauen erscheinen sowieso nicht in einer solchen Statistik. Die lassen sich nämlich gar nicht erwischen.»
Er schaute seine Chefin verdutzt an: «Keine Angst, Frau Kommissarin, Sie haben ganz bestimmt das beste Sternzeichen von allen.»
Beppe las ihr ein paar Zeilen aus ihrem Horoskop vor. Sie gehörte zu den Steinböcken. Ihr Geburtsdatum war der vierzehnte Januar.
«Steinböcke sind sehr ehrgeizig. Sie wollen nach oben, bis an die Spitze. Erfolg ist sehr wichtig für sie.»
3
Anna Rossi wurde ungeduldig, nachdem sie eine Viertelstunde vergebens auf Laura gewartet hatte. Gewöhnlich war sie um zweiundzwanzig Uhr zurück, ging zum Kühlschrank und trank zwei Gläser Milch.
Die Mutter nahm ihr Handy hervor und versuchte ihre Tochter anzurufen. Sie antwortete nicht. Nun schrieb sie ihr eine SMS. Wieder keine Antwort.
Jetzt wählte sie die Nummer von Alessia, einer Trainingskameradin. Gottlob, sie war da!
Alessia bestätigte, dass Laura an diesem Abend im Training gewesen sei und um neun Uhr dreißig die Unisporthallen wieder verlassen habe.
Dann wandte Anna Rossi sich an ihren Mann, der die Sportnachrichten im Fernsehen verfolgte: «Giuseppe, Laura ist noch nicht da. Sonst kommt sie doch immer pünktlich nach Hause. Ob ihr etwas zugestoßen ist?»
Der Vater erhob sich schwerfällig, setzte die Brille auf und schaute Anna beunruhigt an. «Komm, wir gehen sie suchen!»
Wo waren denn seine Autoschlüssel? In der Garderobe fand er sie nicht und auch nicht in seiner Jackentasche. Schließlich rief Anna Rossi: «Ich habe sie gefunden! Sie lagen auf dem Küchentisch.»
Hastig stiegen sie in ihren Alfa Romeo und fuhren durch die Dunkelheit die gleiche Strecke, die Laura mit dem Fahrrad jeweils zurücklegte. Der Mond warf seinen Schatten gespenstisch über den Weg. Anna und Giuseppe Rossi konzentrierten sich stumm vor Angst auf den Lichtkegel und versuchten etwas Auffälliges zu erkennen. Vom Mädchen fehlte jede Spur.
Um halb elf erreichten sie die Unisporthallen. Alles war dunkel und die Türe bereits verschlossen. Anna und Giuseppe hielten sich verzweifelt an der Hand. Sie konnten sich das Verschwinden ihrer Tochter nicht erklären und wussten nicht mehr weiter. Jetzt mussten sie Lauras Verschwinden der Polizei melden.
4
Beppe Volpe hatte Nachtdienst. Er war gerade dabei ein schwieriges Kreuzworträtsel zu lösen und rief aufgeregt: «Wie heißt denn die Hauptstadt von Peru? – Vier Buchstaben.»
Es war dreiundzwanzig Uhr fünfunddreißig, als das Telefon im Polizeihauptquartier klingelte.
«Wieder einmal keine ruhige Nachtschicht», flüsterte er enttäuscht, als er den Hörer abnahm.
«Lima!», rief er, «wie kann ich Ihnen behilflich sein?»
«Guten Abend Herr Lima», antwortete Anna Rossi. «Wir haben ein Problem. Unsere Tochter Laura, dreizehn Jahre alt, ist heute Abend zum Kunstturnen gegangen und nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. Was sollen wir tun?»
«Bitte geben Sie mir Ihre Personalien.»
«Anna und Giuseppe Rossi, Weyermannshaus Straße 23.»
«Wo sind Sie jetzt?»
«Vor den Unisporthallen im Neufeld. Wir sind vorhin den Waldweg entlanggefahren, den Laura immer benutzt, und haben sie nicht gefunden.»
«Bitte warten Sie dort. In zehn Minuten sind wir bei Ihnen. Mein Name ist übrigens Beppe Volpe.»
Es war bereits Mitternacht, als die Polizisten bei den Unisporthallen ankamen. Mit seinem Kollegen Markus Aebersold fühlte sich Beppe sicher, weil dieser als zünftiger Schwinger den Hosenlupf beherrschte und mit seiner mächtigen Statur Eindruck machte. Markus liebte den Schweizer Nationalsport, machte aber nur ab und zu an einem Schwinget mit. Er war mit seiner Größe von einem Meter neunzig und einem Gewicht von hundert zwanzig Kilogramm geradezu prädestiniert dafür und hatte auch schon ein paar Kränze gewonnen.
Anna und Giuseppe erwarteten sie ungeduldig. Beppe stellte sich vor.
«Wir müssen Ihnen nun ein paar Fragen stellen. Beschreiben Sie uns bitte ihre Tochter.»
«Sie ist ein Meter fünfundfünfzig groß, hat braune Augen und trägt Zahnspangen.»
«Hat sie einen Freund?»
Anna verneinte. «Sie hat viele Freundinnen im Training, zum Beispiel Alessia, die ich vor einer Stunde angerufen habe und die bestätigte, dass Laura wie immer durch den Bremgartenwald nach Hause gefahren war.»
Markus sprach mit leiser Stimme, um die Eltern zu beruhigen: «Hatten Sie Streit mit ihr?»
«Nein, die üblichen Probleme mit Teenagern.»
«Wie sind ihre Schulleistungen?»
«Ausgezeichnet, vor allem in Sprachen und Mathematik. Im Sportunterricht ist sie immer Klassenbeste. Sie nahm auch an den schweizerischen Turntagen teil, wo sie eine Silbermedaille im Bodenturnen gewann.»
Beppe nickte anerkennend. «Diese Medaille möchte ich einmal sehen», sagte er beeindruckt. «Ich hätte gerne in einem Velorennen eine Medaille gewonnen. Dass es nicht klappte, muss wohl an meinem Fahrrad gelegen haben.»
Anna Rossi schaute Beppe erstaunt an. «Haben Sie noch Fragen?»
«Erwähnte Ihre Tochter jemanden, der sie belästigte oder verfolgte?»
«Einmal berichtete sie von einem Mann, der sie beim Turnen beobachtete.»
«Hat sie den Mann näher beschrieben?»
Anna dachte nach. «Laura sagte nur, er hätte krauses Haar und ein schmales Gesicht gehabt.»
«Das hilft uns schon weiter.»
«Woher stammen Sie denn?», fragte Giuseppe.
«Erkennen Sie meinen neapolitanischen Dialekt nicht?», erwiderte Beppe und begann leise zu singen: «O’ sole mio … sta 'nfronte a te … O’ sole mio …»
5
In ihrem Büro wartete Beppe ungeduldig auf seine Chefin. Endlich hatte er ihr etwas Spannendes zu berichten. Er nutzte die Zeit, um am Computer den Bericht über die Vermisstmeldung der letzten Nacht zu verfassen. Die Sudoku Spiele mussten diesmal warten.
Punkt acht Uhr betrat Katharina Tanner das Büro. Lächelnd begrüßte sie Beppe. Wie immer war er hingerissen, wenn ihn die Chefin anstrahlte. Roch sie heute nicht nach Parfum Bright Crystal von Versace, welches er ihr zum fünfunddreißigsten Geburtstag geschenkt hatte? Er hatte dafür tief in die Tasche greifen müssen.
«Sie warf ihre blonden, langen Haare schwungvoll nach hinten und fragte: «Gibt es etwas Neues?»
«Ja, Frau Kommissarin, gestern Abend um dreiundzwanzig Uhr fünfunddreißig klingelte bei uns