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Eine phantastische Geschichte über den Frieden und wo er zu finden ist
Eine phantastische Geschichte über den Frieden und wo er zu finden ist
Eine phantastische Geschichte über den Frieden und wo er zu finden ist
eBook348 Seiten4 Stunden

Eine phantastische Geschichte über den Frieden und wo er zu finden ist

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Über dieses E-Book

Die Welt steht am Abgrund. Die militärische Konfrontation zwischen Ost und West droht in einen Atomkrieg zu münden. In dieser Situation gerät der 13-jährige Chris in einen Konflikt, der viele Generationen zurückreicht, der aber noch immer das heutige Geschehen bestimmt. In einer abenteuerlichen Zeitreise muss er nicht nur sich selbst retten, sondern auch die ganze Welt vor der Vernichtung bewahren.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum23. Mai 2022
ISBN9783347630321
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    Buchvorschau

    Eine phantastische Geschichte über den Frieden und wo er zu finden ist - Mark Joggerst

    1

    Auf einmal standen sie da. Mitten auf der Straße. Spike, Frank und dieser andere Typ, den sie Bone nannten. Spike war der Fieseste von den dreien, das hatte Chris einige Male am eigenen Leib erfahren. Lässig an ihre Fahrräder gelehnt, warteten sie hinter der Kurve. Hätte er eigentlich wissen müssen. So leicht lassen die sich nicht abhängen! Im Nu sackte Chris´ Herz in die Hose. Drei gegen einen! Wo blieben bloß Tom und Ralf? Die beiden waren eben noch hinter ihm gewesen. Sie hatten sich ziemlich beeilt. Um nicht doch noch eingeholt zu werden von Spikes Bande, die sie manchmal nur „die Gang" nannten. Abziehen, so sagten sie dazu, war ihr Hobby. Man musste dann irgendetwas dabeihaben. Am besten etwas Cooles. Geld hatten sie meist eh nicht viel, aber angesagte Sneaker, die einem kurzerhand abgenommen wurden, konnten die Situation und sprichwörtlich auch die eigene Haut retten.

    Aber dieses Mal hatten sich Chris, Tom und Ralf vorgenommen, die Gang zu überlisten. Sie waren direkt nach der Schule zu den Fahrrädern gerannt und losgefahren. Den Umweg durch den Wald wollten sie nehmen, darauf würden Spike und seine Kumpels nicht kommen. Aber irgendwie war da heute etwas schiefgelaufen. Sie hatten sich verkalkuliert. Die Gang musste den Unterricht geschwänzt haben. Jedenfalls standen jetzt alle drei da, so als ob sie geduldig auf eine Bestellung warteten. Und dabei schienen sie ganz sicher zu sein, dass das Bestellte auch ankommen würde.

    Scheiße. Chris schaute sich um. Er war allein. Wie konnte das sein? Tom und Ralf hatten das Trio wohl eher bemerkt und hatten sich blitzschnell aus dem Staub gemacht. Feiglinge, dachte Chris und blickte wieder nach vorne zu Spike, der ihn mit seinem schiefen Mund angrinste. Sein Mund ist immer schief, schoss es Chris durch den Kopf und er wunderte sich, warum ihm das erst jetzt auffiel.

    Es war klar, dass die Sache heute nicht mit einer kleinen Abgabe erledigt sein würde. Sie hatten die Gang provoziert. Ganz einfach. Indem sie versucht hatten, die drei auszutricksen. Er wusste, dass Spike, Frank und Bone bei so etwas nicht eben zimperlich waren. Chris und seine Freunde hatten das Gesetz gebrochen, dass Spike die Regeln aufstellte. Wie eine Ewigkeit kam es ihm vor, als er unschlüssig dastand und überlegte, wie er aus der Sache wieder herauskam.

    DING-DING-DING-DING …

    Chris warf den Kopf herum. Die Glocke des Bahnübergangs schrillte herüber. Entsetzt musste er mit ansehen, wie sich die Schranken auf beiden Seiten der Schienen langsam schlossen. Das hatte gerade noch gefehlt. Er hatte zu lange gezögert. Der einzige Ausweg! Und der war versperrt.

    Spike grinste noch etwas schiefer. Als ob er das genau geplant hätte! Aber wie um Himmels willen sollte er denn wissen, wann der Zug kommen würde?

    Chris hatte keine Zeit, den Gedanken weiterzuspinnen. Es kam Bewegung in die Gruppe. Auch Spike hatte erkannt, dass Chris in der Falle saß. Es war klar, dass er den Moment ausnutzen würde, in dem Chris nicht entwischen konnte. Wenn der Zug erst mal da war, konnte niemand dazwischenkommen, und was noch beängstigender war: Kein Mensch würde etwas bemerken. Sie waren von allen Seiten vor neugierigen Blicken geschützt. Selbst wenn jemand die schmale Straße heraufkommen würde, was sowieso selten geschah, musste er erst abwarten, bis der Zug vorbei und die Schranken wieder geöffnet waren. Der perfekte Moment, um ihn in die Mangel zu nehmen.

    Panisch blickte er sich um. Die drei kamen langsam näher. Erst jetzt bemerkte er, dass Spike lässig mit einem Baseballschläger in der Hand wippte. Warum ein Baseballschläger? Niemand weit und breit spielte hier Baseball. Es musste wohl cooler sein, jemanden mit einem Baseballschläger statt mit einem normalen Holzknüppel zu verhauen. So hat auch eine Schlägerei einen gewissen Stil. Und so wird einem klargemacht, dass man nicht nur verprügelt, sondern auch, von wem man verprügelt wird, nämlich von jemandem, der sich einen teuren Baseballschläger leisten kann. Ich möchte wetten, den hat er ganz normal im Geschäft gekauft und nicht geklaut, dachte Chris. Ist ja quasi ein Prestigeobjekt, eine Investition.

    „Komm her und hol dir deine Lektion ab", rief Spike. Auch die beiden anderen kamen mit drohender Miene auf ihn zu und machten einen Bogen, um ihn einzukreisen.

    „Okay, Leute, lasst uns reden." Chris war unfähig, sich zu rühren.

    „Reden! Spike lachte höhnisch. „Er will reden, sagte er zu den anderen. Auch sie brachen in johlendes Gelächter aus.

    „Was wollt ihr denn von mir?"

    „Das weißt du doch selbst ziemlich genau." Grinsend schwang er seinen Schläger, als wollte er einen Ball zurückspielen. Chris wich unwillkürlich zurück und erwachte aus seiner Schreckstarre. Wie ein in die Enge getriebenes Tier blickte er sich um und erfasste die Lage. Er hatte viele Jahre Handball gespielt. Da musste man innerhalb von Sekundenbruchteilen erkennen, wie sich die Gegner aufgestellt hatten, und ob es eine Möglichkeit gab, durchzubrechen. Er sah sofort, dass er nicht an den dreien vorbeikommen würde. Beim Handball konnte es gelegentlich auch etwas härter zugehen, und er hatte keine Angst, mal einen Stoß abzubekommen. Aber ein Baseballschläger, das war etwas anderes. Von hinten hörte er, wie sich die Bahn die kurvige Bergstrecke hinaufquälte. Es gab nur einen Ausweg. Er musste auf die andere Seite, bevor der Rückweg versperrt war. Ganz schön knapp. Aber das war auch gut so. Je knapper, desto unwahrscheinlicher war es, dass die drei ihm folgen würden.

    Mit einem Satz wirbelte er herum. Kleine Steine flogen hinter ihm in die Höhe, als er wie ein Hundertmeterläufer losspurtete. Der Überraschungseffekt war auf seiner Seite. Spike, Frank und Bone, die eben noch so selbstsicher dreingeschaut hatten, machten große Augen. Damit hatten sie nicht gerechnet. Verdutzt schauten sie Chris nach, wie er mit weit ausholenden Schritten auf den Bahnübergang zu sprintete.

    Spike gewann als erster die Fassung wieder. „Los, hinterher!, schrie er, „das schafft er nie!

    Chris merkte, wie die drei die Verfolgung aufnahmen. Voller Panik hörte er das Rattern der Waggons, das nun immer näherkam. Er musste es schaffen. Er musste! Sonst war er geliefert. Die Verfolger im Nacken, rannte er auf die Schranke zu. Mit einem Satz warf er den Oberkörper nach vorn. Seine rechte Hand berührte den Boden. Kleine Steinchen bohrten sich in seine Haut, doch Chris spürte nichts. Gekonnt rollte er sich ab und flitzte unter der Schranke hindurch. In der Drehung schaute er nach hinten und sah, wie Spike mit wutverzerrtem Gesicht hinter ihm her stürmte.

    Ein lautes Tuten bohrte sich in seine Ohren. Gleichzeitig schlug ihm ein ungeheures Getöse entgegen. Noch bevor er den Zug sah, spürte er, wie der Boden, die Luft und alles um ihn herum vibrierte. Chris breitete Arme und Beine aus. Sein Körper wusste instinktiv, dass er es nicht mehr schaffen würde. Ihm blieb nur eine einzige Möglichkeit, um vor den ratternden Eisenrädern zu stoppen. Unter Einsatz aller seiner Kräfte vollführte er eine Ganzkörpervollbremsung. Er schlug der Länge nach hin. Es war kein elegantes Abrollen mehr, wie nach seinem Hechtsprung unter der Schranke hindurch. Chris fühlte, wie er das letzte Stück der abschüssigen Straße hinabrutschte, und versuchte, sich mit allem, was er hatte, in den steinigen Boden zu stemmen. Die Kiesel schürften ihm die Hände auf, seine Knie pflügten durch den Boden und hinterließen zentimetertiefe Furchen im Schotter. Das war ihm im Moment egal. Chris spürte den Schmerz nicht, er spürte nicht, wie seine Jeans aufriss und er mit der nackten Haut über die Steine rutschte. Er wollte nur eins: vom Zug wegbleiben. Mit unfassbarem Lärm donnerten die metallenen Räder vor ihm durch das Gleisbett. Fast hätte er eines davon berührt.

    Stöhnend rollte er von den Schienen weg und blickte nach oben. Auf der anderen Seite der Schranke stand Spike. Der Schreck stand auch ihm ins Gesicht geschrieben. Doch augenblicklich breitete sich sein typisches Grinsen über beide Wangen aus. Von hier unten sah es noch schiefer aus.

    Lässig spielte er mit dem schweren Schläger. Das war´s nun, fuhr es Chris durch den Kopf. Es würde so aussehen, als ob er vom Zug überrollt worden wäre. Wahrscheinlich konnte man am Ende gar nicht mehr feststellen, ob er von einem Baseballschläger mit Quittung aus dem Sportgeschäft oder vom Ausleger eines Waggons getroffen worden war.

    Spike hatte erkannt, dass sein Fluchtweg abgeschnitten war und ließ sich alle Zeit der Welt. Er sagte irgendetwas, doch im alles durchdringenden Lärm sah man nur die Bewegungen seiner Lippen, was ihn seltsam unwirklich erscheinen ließ. Chris spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Panisch irrten seine Augen umher und suchten einen Ausweg.

    Plötzlich, wie ein Lichtreflex, blitzte etwas auf. Ein Bild. So wie beim Zappen durch die Fernsehsender, wenn man einen Kanal übersprang. Ein kurzes Aufleuchten, um sofort wieder zu verschwinden. Chris blinzelte verwirrt. Er wusste nicht, ob er tatsächlich etwas gesehen hatte, oder ob es nur in seiner Erinnerung existierte. Etwas, das nicht in die Umgebung passte. Für einen Bruchteil einer Sekunde nur, und doch war es deutlich zu erkennen. Ein Pferd. Es bäumte sich auf. Es wieherte. Dann war es verschwunden. Es war groß. Es strotzte vor Stärke und Lebenskraft.

    Chris kniff die Augen zusammen und versuchte, in der aufgewirbelten Staubwolke etwas zu erkennen.

    Er sah nur dichtes Gestrüpp. Davor war das Gras in einer dünnen Linie ausgetreten. Offenbar führte hier ein kleiner, kaum erkennbarer Pfad hindurch. Chris blieb keine Wahl. Mit einem Satz war er wieder auf den Beinen und rannte auf die Büsche zu. Spike, offenbar selbst überrascht, blieb wie angewurzelt stehen, als wartete er darauf, dass Chris ihm wie ein eingesperrtes Kaninchen vor die Füße laufen würde. Das verschaffte Chris ein paar wertvolle Sekunden Vorsprung.

    Hier schien es einen Durchgang zu geben, auch wenn man ihn nicht als Weg bezeichnen konnte. Eher ein Wildwechsel oder ein Trampelpfad, den vielleicht der Förster oder die Streckengänger der Bahn ausgetreten hatten. Zweige schlugen ihm gegen die Beine und ins Gesicht, doch sie gaben eine schmale Lücke frei, durch die er sich hindurchzwängen konnte. In einigen Metern Abstand hörte er Spike und seine Begleiter, die sich nun ebenfalls in Bewegung gesetzt hatten und ihm laut fluchend folgten. Ohne sich umzudrehen, rannte er den Pfad entlang, der eine Weile parallel zu den Gleisen verlief und dann eine Anhöhe hinaufführte. Das Gestrüpp wurde nach und nach abgelöst von dicken Baumstämmen.

    Angestrengt starrte Chris auf den Weg vor sich, der nur schwach zu erkennen war. Das Unterholz hatte sich merklich gelichtet und es war nicht mehr so schwierig, vorwärts zu kommen. Sonnenstrahlen, die an einigen Stellen durch das dichte Dach der Baumkronen hindurch gelangten, tanzten über den bewachsenen Waldboden. Immer wieder standen mächtige Bäume im Weg. Der Wald schien sehr alt zu sein. Sein Blick, der fest auf den Boden vor ihm geheftet war, flog über knorrige Wurzelgebilde, die sich um moosbewachsene Felsbrocken krallten. Weiter hinten knackte und keuchte es. Seine Verfolger hatten noch immer nicht aufgegeben, aber sie schienen allmählich zurückzufallen.

    Da sah er zwischen den Blättern langsam etwas auftauchen. Zuerst glich es mehr einem Schatten, dann aber erkannte er, was es war: Über die ganze Breite, so weit er blicken konnte, türmte sich eine gewaltige Felswand auf. Der Fels war zerklüftet und an vielen Stellen unterbrochen, doch Chris sah, dass es hier kein Weiterkommen gab. An der Felswand entlang führte ein Weg. Er war breiter als der Trampelpfad. Trotzdem sah er nicht gerade benutzt, geschweige denn befahren aus.

    Er konnte den Weg entlanglaufen, aber seine Verfolger würden ihn dabei schon von Weitem sehen können. Blitzschnell versuchte er herauszufinden, welche Richtung er einschlagen sollte. Zurück konnte er auf keinen Fall, wenn er der Gang nicht direkt in die Arme laufen wollte. Beide Seiten entlang der Felswand wirkten wenig verlockend, da sich dort keine Deckung mehr bot. Da bemerkte er eine kleine Mulde am Rande des Weges, ein paar Meter unterhalb der Stelle, wo der Trampelpfad endete. Mit ein paar Sätzen sprang er hinüber und ließ sich hineinfallen. Er robbte an den Rand und presste sich so flach wie möglich gegen den Boden, der von einer dicken Schicht Laub bedeckt war. Eine Umrandung aus lose aufeinandergeschichteten Steinen, die augenscheinlich nur noch von den alten, dicken Wurzeln zusammengehalten wurde, gab ihm Schutz. Offenbar war dies zu alten Zeiten eine Zisterne gewesen. Er hoffte, dass ihn seine Verfolger hier nicht entdecken würden. Angestrengt versuchte er, seinen Atem zu beruhigen, als er auch schon den ersten der drei kommen sah. Spike war ihm dicht auf den Fersen. Die beiden andern kamen mit etwas Abstand hinterher. Die müssen ganz schön wütend sein, wenn sie sich so viel Mühe geben, dachte Chris.

    Er duckte sich tiefer in das Geflecht aus Wurzeln und Steinen. Spike, Frank und Bone kamen japsend zwischen den Bäumen hervor. Auch sie sahen jetzt die Felswand. Mit wachsamem Blick trat Spike auf den Weg und suchte die Umgebung ab. Er konnte sich denken, dass Chris nicht weit gekommen war und sich irgendwo versteckt haben musste. Mit Schrecken stellte Chris fest, dass seine Mulde ihn vor den Blicken der herannahenden Verfolger geschützt hatte, jedoch von der Wegseite offen einzusehen war. Er presste sich noch tiefer ins Laub und versuchte so leise wie möglich zu atmen, was nach der Flucht durch den Wald nicht so einfach war. Chris hoffte, dass die drei ebenso außer Atem waren wie er, und ihn nicht hören konnten.

    „Komm raus!"

    Die Felswand warf ein gespenstisches Echo zurück. Spike schritt langsam den Weg entlang, den Baseballschläger drohend in der Hand schwingend. Gleich würde er zu der Stelle kommen, wo sich Chris versteckt hielt. Etwas abseits hörte er, wie seine Begleiter murrend die Sträucher am Waldrand durchkämmten.

    „Komm raus! Ich krieg dich sowieso!", hallte es wider die Felswand.

    Aber statt eines Echos hörte Chris etwas anderes. Ein Wiehern. Hatte er sich getäuscht? Da war es noch mal. Ganz deutlich und dieses Mal um einiges lauter. Es war tatsächlich das Wiehern eines Pferdes, und noch ein anderes Geräusch mischte sich dazu. Ein rhythmisches Klappern. Metall auf Stein. Im nächsten Moment bog eine Kutsche um die langgezogene Wegbiegung. Ein schwarzes Pferd, in wildem Galopp, zog das ebenfalls schwarze Gefährt hinter sich her. Eingehüllt in eine Staubwolke schlitterten die Räder über die Schotterpiste. Spike blieb in der Mitte des Weges stehen und blickte dem heranpreschenden Gespann mit offenem Mund entgegen. Er schien so überrascht zu sein, dass er nicht fähig war, sich von der Stelle zu rühren. Erst im letzten Moment stoppte der Wagen mit lautem Knirschen. Die eisenbereiften Räder blockierten und wirbelten eine Fontäne aus kleinen Steinchen und Sand auf. Unmittelbar vor Spike kamen Pferd und Kutsche zum Stehen, während der sich die ganze Zeit keinen Zentimeter bewegt hatte.

    Für einen kurzen Moment konnte Chris in der Staubwolke kaum mehr etwas erkennen. Dann, fast genau vor seinem Versteck, sah er, wie sich das Tier auf die Hinterbeine stellte und vor dem fassungslos dreinblickenden Spike aufbäumte. Chris spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Dieses Bild, es glich ganz genau der Erscheinung, die er bei der Bahnschranke hatte!

    Spike stand da wie angewurzelt. Durch den Schleier aus aufgewirbeltem Staub wirkte er noch bleicher, als er sowieso schon war. Seine weit aufgerissenen Augen waren auf die Unterseite zweier Pferdehufe gerichtet, die bedrohlich über seinem Kopf tanzten. Eine Perspektive, die man tatsächlich selten zu Gesicht bekommt. Gebannt verfolgte Chris das Aufblitzen der Beschläge und wunderte sich, wie tief der Huf in der Mitte, wo kein Eisen war, eingeschnitten war. Ein zweites Mal richtete sich das Tier auf und schlug aus. Dieses Mal traf ein Huf Spikes Schulter. Der mächtige Schlag schleuderte ihn zurück. Für einen kurzen Moment lag er auf dem Rücken und starrte mit blankem Entsetzen auf den sich aufbäumenden schwarzen Körper. Doch dann schien er wieder zur Besinnung zu kommen. Er warf sich herum, schrie etwas Unverständliches und rannte, wie von Furien gehetzt, den Abhang hinunter. Die beiden anderen stürmten hinterher, sich ab und zu umschauend, als fürchteten sie, Pferd und Wagen könnten Flügel bekommen und ihnen auf dem schmalen Weg nach unten folgen.

    Ungläubig blickte Chris den dreien nach. Dann wandte er den Kopf wieder dem Pferdegespann zu. Erst jetzt sah er, dass jemand auf dem Kutschbock saß. Chris traute seinen Augen nicht. Die Zügel lässig in der Hand, hockte ein Mann auf der hölzernen Bank und redete beruhigend auf das Pferd ein. Er hatte einen altmodischen Hut auf dem Kopf, der an einen Edelmann oder an einen Grafen eines längst vergangenen Jahrhunderts erinnerte. Ein kurzgeschnittener silbergrauer Bart umrahmte seine feinen Lippen. Lange, silberglänzende Haarsträhnen schauten unter seinem Hut hervor und legten sich über einen Mantel, der den Requisiten eines Abenteuerfilms entliehen sein konnte, aber trotzdem durchaus modern aussah. Offenbar war der Stoff aus einem Material gefertigt, das aussah wie Wolle, aber einen ungewöhnlichen Glanz verbreitete, wie ihn Chris noch nie gesehen hatte.

    Da drehte sich der Mann in seine Richtung und blickte ihm geradewegs in die Augen. Ihre Blicke verschmolzen für einen kurzen Moment. Chris spürte eine sonderbare Kraft, die ihn durchströmte. Ein warmes Gefühl der Stärke und der eigentümlichen Vertrautheit. Als ob dieser Blick ihn an jemanden erinnerte, den er seit langem kannte. Jemanden, an den er sich nur nicht mehr erinnert hatte. Die Zeit schien für einen Moment still zu stehen. Wer war dieser Mann? Waren sie sich schon einmal begegnet?

    Der Mann lächelte ihm zu. Ohne ein Wort zu sagen, schnalzte er mit der Zunge. Das Pferd antwortete mit einem Wiehern. Dieses Mal schien es ein Laut der Freude zu sein. Ruckartig setzte sich das Gefährt wieder in Bewegung, rauschte davon und war so plötzlich verschwunden wie es aufgetaucht war.

    2

    Chris lag auf seinem Bett und blickte an die Decke. Es war noch viel zu früh, um schlafen zu gehen. Er hatte seinen Eltern gesagt, er sei müde und müsse sich für die morgige Klassenarbeit ausruhen. Das hatten sie ohne Weiteres geschluckt und keine Fragen mehr gestellt. Sie nahmen sowieso nicht wirklich Notiz davon, ob er sich schlafen legte, oder ob er sonst noch irgendetwas tat. Würden die beiden ihn besser kennen, wüssten sie, dass Chris auch vor Klassenarbeiten niemals früh schlafen ging. Es war gegen sein Naturell. Er war eine Eule. So nannte man Leute, die abends erst richtig munter werden und die besten Ideen dann haben, wenn alle anderen schon im Bett sind. Wenn es draußen dunkel ist und niemand mehr etwas von einem will. Meistens las er noch bis in die Nachtstunden, was dann zur Folge hatte, dass das Aufstehen am nächsten Morgen eine Qual war. Bis zum allerletzten Moment kämpfte er mit dem Wecker, den er immer wieder aufs Neue ausknipste, woraufhin der nach exakt vier Minuten wieder anfing zu piepen. Dieses Ritual spielte er jeden Morgen und Chris hatte die Zeitspanne bis zum erneuten Alarm schon so im Blut, dass er manchmal den Arm hob, um den Wecker auszumachen, noch bevor der überhaupt angefangen hatte. Er dachte oft, dass er sich das Ganze eigentlich ersparen könnte, da er doch irgendwann aufstehen musste. Aber das wohlige Gefühl, noch einmal kurz wegdämmern zu können, war so verlockend, dass er es nicht schaffte, zu widerstehen.

    Und so waren meist nur noch wenige Minuten übrig, um sich in aller Eile anzuziehen und schnell etwas zu essen einzuwerfen, bis er sich auf den Weg machen musste. Vor allem im Winter, wenn es zu kalt, zu nass oder zu vereist war, um mit dem Fahrrad zu fahren, gab es kein Pardon. Da musste er den Schulbus nehmen, der nicht auf ihn warten würde.

    Er war ein wahrer Fachmann in Sachen Zeiteinteilung und kalkulierte während der gesamten Strecke bis zur Haltestelle mit jeder Sekunde. Und wenn der Bus sich nach perfekt getimten zwei Minuten und 30 Sekunden Fußweg nicht zusammen mit ihm einfand, kränkte ihn das. Eigentlich müsste der Bus genauso gehetzt um die Ecke biegen, wie er. Stattdessen kam der dann manchmal völlig grundlos drei Minuten später, was die ganze Hektik am Tagesanfang nutzlos machte.

    Chris war eben eine Eule. So müde und ausgelaugt er in der ersten Tageshälfte auch sein mochte, sobald die Sonne untergegangen war, fühlte er sich wieder in seinem Element. Nun lag er da und ließ die Ereignisse des Tages Revue passieren. Er spürte, wie die Nacht sich wie eine wohltuend warme Decke über das Haus legte. Ja, nachts, da fühlte er sich geborgen.

    Nach dem Auftauchen des Pferdefuhrwerks und des seltsamen Grafen hatten sich seine drei Verfolger nicht mehr blicken lassen. Chris wagte es noch eine ganze Weile lang nicht, seine Mulde zu verlassen, aber offenbar hatten die drei einen solchen Schrecken bekommen, dass sie die Verfolgung abgeblasen hatten. Fürs erste jedenfalls. Aber irgendwann würde er ihnen wieder begegnen. Spätestens morgen auf dem Schulhof. Der Schulhof war neutrales Gebiet. Da herrschte Waffenstillstand. Würden sie ihm aber nach der Schule wieder auflauern, könnte das unangenehm für Chris werden. Immerhin hatte sich Spike ganz schön blamiert, auch wenn er nicht wissen konnte, dass Chris ihn dabei beobachtet hatte, wie er mit seinem weit aufgerissenen, schiefen Mund vor der Pferdeattacke geflohen war.

    Unwillkürlich musste Chris lachen und versuchte sich an die Einzelheiten der seltsamen Begegnung zu erinnern. Das Pferd, es trug wunderschönes silbernes Zaumzeug. Ganz anders als das, was er bei Rennpferden schon einmal gesehen hatte. Und dann die Kutsche. Sie war ebenfalls prächtig, mit verschnörkelten Schnitzereien an den Türen und an den geschwungenen Radkästen. Aber am sonderbarsten war der Kutscher. Er sah nicht so aus, wie man sich einen Kutscher vorstellte. Wenn in Büchern von Kutschern die Rede war, handelte es sich meist um unterwürfige Bedienstete, die ihren Herrn für Geld irgendwo hinfuhren. Und dann mussten sie lange vor der Toreinfahrt irgendeines herrschaftlichen Hauses im Regen warten, bis es dem Fahrgast wieder gefiel, nach Hause gebracht zu werden.

    Nein, dieser Kutscher war anders. Er war der Herr, da war sich Chris sicher. Er sah aus wie ein Graf. Steuern Grafen denn ihre Kutsche selbst? fragte sich Chris und ihm wurde klar, wie unsinnig das war. Es gab ja überhaupt keine Grafen mehr, die mit Pferdefuhrwerken unterwegs waren. Das musste jemand sein, der einfach aus Spaß mit einem altertümlichen Gespann herumfuhr. Wahrscheinlich ein Pferdenarr. Aber ungewöhnlich war es allemal.

    Und dann dieser seltsame Hut, das Gewand mit seinem eigenartigen Glanz, die silbernen Haarsträhnen, die sich über den feinen Stoff des Umhangs legten. Der Kutscher hatte ihn nur für einen kurzen Moment angeblickt. Wieder durchströmte ihn dieses warme Gefühl. Der Mann strahlte eine grenzenlose Selbstsicherheit aus. Und er schien nicht im Mindesten überrascht gewesen zu sein. Ihn musste die Situation doch auch erschreckt haben. Immerhin hatte er fast einen Jungen überfahren, auch wenn dieser, so dachte Chris, eine Abreibung verdient hätte. Und überhaupt, woher wusste er, dass Chris im Gebüsch lag? Es schien fast so, als ob er sich die ganze Zeit darüber im Klaren war, dass Chris ihn beobachtete. Er verhielt sich wie ein Schauspieler, der sich für einen Moment aus der Handlung des Stückes herausnimmt, sich bewusst dem Publikum zuwendet und die Zuschauer dabei wissen lässt, dass auch er sie sehen kann, nur um gleich wieder in seine Rolle zu schlüpfen und weiterzuspielen, als ob nichts gewesen wäre. Für jemanden im Zuschauerraum würde das natürlich einen Bruch in der Handlung bedeuten, weil die Logik der ganzen Geschichte auf den Kopf gestellt werden würde. Genau so kam ihm die seltsame Begegnung vor.

    Wer war dieser sonderbare Graf? Chris wurde immer neugieriger. Konnte es sein, dass da oben im Wald, den man den Heiligenwald nannte, jemand wohnte? Chris hatte sich nie gefragt, warum der Wald so hieß. Er war niemals dort oben gewesen. Das ganze Areal, so hieß es, befand sich seit Urzeiten in Privatbesitz, obwohl das bei einem Wald nicht so ganz einleuchtend war. Man konnte den Rehen und Wildschweinen schließlich nicht vorschreiben, welchen Wald sie betreten durften und welchen nicht. Offensichtlich galt der Begriff Privatbesitz nur für Menschen und nicht für Tiere. Chris hatte sich bisher nie gefragt, ob so ein Privatwald von einem Zaun umgeben war, oder ob man einfach so hindurchspazieren konnte. Doch ein Zaun war offenbar nicht notwendig. Die Leute taten es eben einfach nicht.

    Nachdem er eine Weile in der Mulde verharrt hatte, begann er vorsichtig, die Umgebung zu inspizieren. Es hätte ja immer noch sein können, dass Spike und seine Kumpane irgendwo lauerten. Aber die Luft schien rein. Er wagte sich aus seinem Versteck, suchte den Trampelpfad und folgte

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