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Machtspiele der Gegenwart: Institutionen, Aktivisten, Rhetoriken
Machtspiele der Gegenwart: Institutionen, Aktivisten, Rhetoriken
Machtspiele der Gegenwart: Institutionen, Aktivisten, Rhetoriken
eBook359 Seiten3 Stunden

Machtspiele der Gegenwart: Institutionen, Aktivisten, Rhetoriken

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Über dieses E-Book

Die Politik des Deal-Makings, der bilateralen Verträge und des permanenten Twitterns ist bekannt. Der Frankfurter Soziologe Dieter Prokop zeigt, dass das erst erklärbar wird, wenn man die strukturellen Hintergründe ausleuchtet: die oligopolistischen Marktstrukturen und das Pokern und Bluffen als Institution, vor allem in der Finanzwirtschaft. All das konstituiert die Welt als Spielcasino.

Das zweite große Machtspiel herrscht in der Welt als Moraltheater vor: Der entscheidende strukturelle Hintergrund ist hier, so Prokop, die Strukturveränderung der Öffentlichkeit, d. h. die neue Möglichkeit für die "übergriffigen Selbstvermarkter«, sich mittels der Social media Aufmerksamkeit zu verschaffen und damit Geld zu verdienen. Die Akteure auf der Bühne sind die NGOs, die Nongovernment Organizations und die mit ihnen zusammenarbeitenden Parteien. Die "sozialen Milieus", die diese Politik stützen, bringen nicht nur ihre Lifestyles mittels massiver Rhetorik in die Öffentlichkeit, sondern sie verlangen auch Geld, Posten Quoten und Privilegien.

Aber da ist auch sie noch: die Welt als rationaler Gesellschaftsvertrag. Der rationale Gesellschaftsvertrag schafft ein "Für alle!", eine rationale Verrechtlichung der Welt. Idealisieren kann man das nicht, denn faktisch entsteht zugleich auch ein irrationales "Für alle!", zum Beispiel mit den Hypes und Hysterien der Flüchtlings- und Klimapolitik. Trotzdem: Der rationale Gesellschaftsvertrag garantiert auch ein "Für mich!", also Rechte des Subjekts, und ein "Für uns!", und dazu gehört auch das soziale Eigentum im demokratischen Staat, das nicht der ganzen Welt gehört. - Und Prokop weist darauf hin, dass der rationale Gesellschaftsvertrag nicht nur aus den Menschenrechten und Bürgerrechten besteht und auch nicht nur aus den Checs and Balances. Die Quintessenz des rationalen Gesellschaftsvertrags ist eine Kultur der Vernunft, des Zweifelns und des Vergleichens und damit des Realismus und der Realitätstüchtigkeit.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum28. Apr. 2020
ISBN9783347045231
Machtspiele der Gegenwart: Institutionen, Aktivisten, Rhetoriken
Autor

Dieter Prokop

Dieter Prokop ist Professor em. für Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt.

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    Buchvorschau

    Machtspiele der Gegenwart - Dieter Prokop

    TEIL I

    DIE WELT ALS SPIELCASINO UND DIE WELTMACHT–POKERSPIELER

    Natürlich kann man aus religiöser oder quasi-religiöser Sicht ein »gemeinsames Menschsein« annehmen oder den Menschen als Teil einer in sich vernünftigen »Natur« ansehen und daraus sogar »Naturrechte« herleiten. Oder aus dem Gewimmel der Natur ein Ideal einer harmonischen gesellschaftlichen »Vielfalt« ableiten. (Und dabei ignorieren, dass sich in der Natur fast alle bekriegen.) Aber das große Ganze dieser Welt ist kein großes WIR. Die reale, empirische Welt ist ein Konglomerat äußerst unterschiedlicher, oft unvereinbarer Wirtschaften, Staaten, Machtgruppen, Gesellschaften. Die »Weltordnung« ist empirisch keine Ordnung, schon gar keine ideale, sondern ein Strukturzusammenhang des Konflikts.

    Die Welt ist heute ein Spielcasino. In Spielcasinos werden Glücksspiele gespielt. Diejenigen Politiker, deren Staaten eine Weltmacht sind, spielen Poker. Sie bluffen und täuschen. Poker spielt nicht nur der bilateral agierende amerikanische Präsident, das spielen alle, ob nun bilateral oder multilateral. Auch China spielt seine Pokerspiele, vor allem in der Wirtschafts- und Finanzpolitik; Russland in der Militär- und Kriegspolitik; die Diktatoren und Clans in Nahost, Arabien, Afrika pokern mit ihrer Flüchtlingspolitik; und Europa spielt Poker bei der Bewahrung des Euro vor einer immer noch drohenden Krise.

    Aber es reicht nicht, mit Etiketten um sich zu werfen und Politiker-Bashing zu betreiben. Wie gesagt: Man muss nachfragen, warum das, was ist, so ist wie es ist, wie es dazu gekommen ist und aufgrund welcher struktureller Zwänge sich das nicht ändert. Also warum es dieses ritualisierte Deal-Making und dieses Pokerspielen gibt und welche Dimensionen es hat.

    STRATEGIEN UND RHETORIK. DAS WELTMACHT–POKERSPIEL UND WIE ES FUNKTIONIERT

    »America First«.

    Das auftrumpfende Deal-Making

    Präsident Trump, der twitternde Influencer

    »Weltordnung«, »Weltpolitik« – das umfasst primär Hegemonialpolitik, Militärpolitik, Handelspolitik und Währungspolitik. Aber wenn Donald Trump, Präsident der USA seit 2017, permanent twittert – er hat fast 65 Millionen Followers! (s. stern, 2. 10. 2019: 34) – liegt das auch daran, dass sich die Strukturen der Medienmärkte und damit die Lifestyles verändert haben. Zeitungen sterben aus, und das klassische Fernsehen ist nur noch ein Medium der alten Leute. Die jungen Leute starren auf ihre Smartphones und sind ein Publikum des Internet-Angebots, damit auch der Blogs, die aktueller, oft auch drastischer und zugespitzter berichten als das klassische Fernsehen. Ein Problem hierbei ist das der »Filterblasen« oder »Echokammern«: Man trifft auf diesen Seiten der Blogs oder der Internet-Zeitungen meistens nur auf Gleichgesinnte, und nur wer neugierig ist, geht auf die Seiten der »Anderen«.

    Der twitternde amerikanische Präsident kann mittels Provokationen tagtäglich die Welt beunruhigen und damit seine Ziele durchsetzen. Es geht also in der heutigen weltweiten Öffentlichkeit nicht nur um Katzenvideos. Dort wird auch Weltpolitik gemacht, jedenfalls weltweite Imagepolitik der mächtigsten Personen und Staaten dieser Welt. Ihr »Deal-Making«, jedenfalls die rhetorischen Vorbereitungen von Deals, findet über die Smartphones statt.

    Präsident Trump hat erkannt, dass er nur Followers erhält, wenn er andauernd twittert und sich damit zur Marke macht – nicht anders als das auch Kim Kardeshian tat oder Heidi Klum oder der You-Tuber Rezo. Aufmerksamkeit erhält man durch Provokation. Kardeshian zeigte ihren großen Hintern, Klum machte ihr Liebesleben zum Weltgespräch, Rezo pöbelte 2018 über die CDU und gab vor der Europawahl eine Wahlempfehlung für die Grünen. – Und Trump provozierte schon im Wahlkampf 2016 mit geschmacklosen Bemerkungen aller Art. Er stilisierte sich als Macho und Neocon (was er vermutlich auch ist).

    Trump hat Show-Erfahrung, Vor seiner plötzlichen Politik-Karriere war er nicht nur ein Immobilien-Tycoon, er war in den USA ein Medienstar, fast ein Popstar, in der Show-Serie The Apprentice (NBC, ab 2004, Trump bis 2016). Das war eine dieser Selektions-Shows, in der Kandidatinnen und Kandidaten ihre Talente zeigen und sich um den Posten eines Superstars bewerben. In The Apprentice bewarben sie sich um einen attraktiven Job in Trumps Immobilien-Imperium, und das Talent, das sie zeigen mussten, war die Fähigkeit, im Team zu kooperieren, mit anderen Teams zu konkurrieren und durch Verkäufe oder durch Fund Raising möglichst viel Geld heran zu schaffen. Trump spielte sich selbst als gnadenlosen, aber auch unbestechlichen Boss, er vergab Manager-Jobs in seinen Firmen. Die Show war also eine Art öffentliches Bewerbungsgespräch. Die Teams agierten keineswegs harmonisch. Trump war der oberste Jury-Richter, der sich die vielen unkooperativen Selbstdarstellungen und Querelen anhörte und Fragen stellte, zum Beispiel danach, wer für einen misslungenen Flyer verantwortlich ist. Dann sprach er die dramatischen Worte »You’re fired. Get out of here.« Wenn zwei sich vor ihm stritten feuerte er beide. Manchmal feuerte er ein ganzes Team. Als Fernseh-Show war das unterhaltsam. Es war Reality-TV. Darüber kann man streiten, aber jedenfalls erwies sich Trump als Show-Talent, und das machte ihn berühmt. Er wurde ein Fernsehstar, und das nützte ihm 2016 bei seinem Wahlkampf.

    Als Präsident verschaffte sich Trump durch die Kündigung internationaler Verträge einen Freiraum für Deals.

    TTP:

    Er kündigte 2017 das Transpazifische Partnerschaftsabkommen (TTP), dem unter anderen Australien, Japan, Singapur, Mexiko, Kanada, Peru und Vietnam angehören. Dessen Zweck war die Senkung von Zöllen für landwirtschaftliche Erzeugnisse, Autos und Textilien. Außerdem hatten sich die Staaten verpflichtet, ein Urheberrecht für geistiges Eigentum für einen Zeitraum von 70 Jahren einzuführen. Es war auch um ein Klagerecht von Konzernen gegangen, mitsamt Strafzahlungen, falls z. B. ein Staat staatseigene Unternehmen gründet oder Sozialgesetzgebungen einrichtet, die dem klagenden Konzern nicht passen. Nach Trumps Austritt wurde das Abkommen von den anderen Unterzeichnern als CPTTP weitergeführt.

    NAFTA, USMCA:

    Der NAFTA-Vertrag zwischen den USA, Kanada und Mexiko wurde 2017/2018 neu verhandelt. Trump warf dem NAFTA-Vertrag vor, dass jener im Bereich der Fertigung, der Fahrzeugherstellung, einen Abzug von Arbeitsplätzen aus den USA bewirkt habe. Das neue Abkommen (USMCA) wurde 2018 auch von Trump unterzeichnet. Trump hatte hierbei durchgesetzt, dass amerikanische Farmer mehr Milch und Milchprodukte nach Kanada exportieren dürfen. Im Gegenzug erheben die USA keine Importzölle auf Autos aus Kanada (und aus Mexiko).

    Das Klimaabkommen; das Nuklearabkommen mit dem Iran; der INF-Vertrag mit Russland:

    2018 kündigte Präsident Trump das Pariser Klimaabkommen. Ebenso das Nuklearabkommen mit dem Iran, das 2015 mit den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland zustande gekommen war. 2019 kündigte Trump auch den Vertrag mit Russland zur Begrenzung von nuklearen Mittelstreckenwaffen in Europa (INF).

    Trump verhängte Schutzzölle, um Drohpotenziale für künftige Deals aufzubauen. Er führte Zölle für chinesische, europäische und mexikanische Waren ein. Die Deals, die er anstrebt, sind bilateral: Bei China geht es ihm um die Kontrolle des von China praktizierten Patente-Stehlens und der von der chinesischen Regierung staatlich unterstützten Dumping-Preise auf dem Weltmarkt. Beim Iran geht es um die Verhinderung der iranischen Förderung von Terrorismus und um einen neuen Atomwaffen-Vertrag. Bei Nordkorea um die Verhinderung atomarer Rüstung. Mit Mexiko ist das Ziel eine verstärkte Kontrolle der illegalen Einreisen in die USA durch die mexikanische Regierung etc.

    (Als Folge der bilateralen Deals der USA schloss die EU 2019 ein bilaterales Handelsabkommen mit Japan ab.)

    Aus der WTO, der World Trade Organization, trat Trump nicht aus – obwohl der WTO-Vertrag keine Schutzzölle gestattet und Trump insofern den WTO-Vertrag verletzte. Trump verhinderte jedoch die Neubesetzung von Schiedsrichter-Stellen. Im Dezember 2019 wurde hierdurch das Streitschlichtungs-System der WTO lahmgelegt.

    Deals können auch in Win-Win-Situationen enden, mit denen jeder Beteiligte zufrieden sein kann. Aber das Deal-Making ist kein Sonntagsspaziergang. Da werden auch unverschämte Forderungen gestellt, um aufzutrumpfen. Und die Drohpotenziale gehen bei Trump bis zu Kriegsdrohungen, gegenüber Nordkorea und dem Iran. Das kann man schrecklich finden, niveaulos, geschmacklos. Aber ist es nicht noch schrecklicher, Kriege direkt anzufangen, wie das Bill Clinton im Kosovo, George W. Bush im Irak und Afghanistan und Obama in Libyen taten?

    Neoliberale-marktradikale Politik trotz aller taktischen Schutzzölle

    Innenpolitisch steht in der Öffentlichkeit das problematische Verhältnis Präsident Trumps zur Justiz und deren Unabhängigkeit im Vordergrund der Debatten. – Weniger bekannt ist Trumps innenpolitische Wirtschaftspolitik, in der er neoliberal-marktradikal agiert. So hat Trump den Geschäftsbanken wieder gestattet, zugleich auch Investmentbanken (also Spekulationsbanken) zu sein, was eine neoliberale Politik der Deregulierung ist, wie sie Bill Clinton initiiert hatte. Nach der Finanzkrise von 2008/2009 waren Clintons Maßnahmen wieder aufgehoben, also Geschäftsbanken und Investmentbanken getrennt worden, und das machte Trump wiederum rückgängig.

    Dabei tut Trump so, als seien an der Zerstörung der amerikanischen Großindustrien, am maroden Zustand z. B. von Detroit, »die Anderen« schuld: die deutschen Autokonzerne, die chinesischen Billig-Exporteure etc. Das ist nicht der Fall. Schuld haben die amerikanischen Konzerne selbst, die, als supranationale Konzerne, die Arbeitsplätze in die Niedriglohnländer der Welt verlegten und ihre Fabriken in den USA als Trümmerlandschaften und deren ehemalige Belegschaften als Arbeitslose (und Trump-Wähler) zurückließen. Präsident Trump macht sich, wenn er sein »America First« propagiert, auch die amerikanischen Großkonzerne zu Feinden, also nicht nur die Deutschen und die Chinesen. Umso mehr attackiert er die Letzteren, weil er schlau genug ist, die amerikanischen Konzerne nicht direkt anzugreifen – und außenpolitisch deren Interessen zu vertreten.

    Außenpolitisch ist Trumps Wirtschaftspolitik faktisch nicht minder neoliberal-marktradikal. Zwar gibt er sich als Gegner der Globalisierung, also der neoliberalen-marktradikalen Freihandelspolitik. Jedoch stellt die Aufkündigung des Multilateralismus und das Verhandeln bilateraler Verträge faktisch eine Deregulierung des Welthandels dar. Trumps »America First« bedeutet nichts Anderes als die weltweite Handels- und Handlungsfreiheit für die amerikanischen (supranationalen) Konzerne, von der Rüstungsindustrie bis zur Computer- und IT-Industrie und zum amerikanischen Export von Flüssiggas.

    Wie Donald Trump schon als New Yorker Immobilien-Tycoon Poker spielte

    Schon in den 1980er Jahren war Trumps Markenzeichen das des Großen Deal-Makers. Sein Image als Deal-Maker hat Trump sich Ende der 1980er Jahre erarbeitet. Damals war er nicht mehr und nicht weniger als der New Yorker Immobilien-Tycoon, Erbauer des Trump Towers in der Fifth Avenue und des Grand Hyatt-Hotels neben der Grand Central Station. In seinem Selbstdarstellungs-Buch The Art of the Deal aus den 1980er Jahren (dt. 1988) schilderte er das Deal-Making als Pokerspiel, und man sieht daran, wie das Dealen und Pokerspielen funktioniert.

    Ein von Trump erzähltes Beispiel:

    Bei der Finanzierung des Grand Hyatt-Hotels spielte für die kreditgebenden Banken die Möglichkeit eines Steuernachlasses durch die Stadt New York eine große Rolle. Die damals stagnierende Stadt New York wollte mit Steuererleichterungen die Investitionstätigkeit anregen. Nur gab es mit dem Steuernachlass ein Problem, das Trump so darstellte:

    »[…] leider befanden wir uns in einem Teufelskreis: Solange unsere Finanzierung nicht stand, dachten die Finanzbehörden [New Yorks] nicht daran, uns in diesem Punkt [des Steuernachlasses] entgegenzukommen. Und ohne den Steuernachlaß waren die Banken wenig geneigt, die Finanzierung des Projektes zu übernehmen.« (1988: 111, [ ] hinzugefügt)

    Den Teufelskreis durchbrach Trump, indem er, obwohl er von den Banken noch keinerlei Finanzierungs-Garantie hatte, dennoch mit der Stadt verhandelte. Dabei pokerte er, er bluffte. Trump sagte es selbst:

    »Das Ganze glich einem Pokerspiel mit einem hohen Einsatz, in dem beide Seiten keine besonders guten Karten in der Hand haben und daher gezwungen sind zu bluffen. Aussteigen konnte ich nicht mehr, wenn ich nicht mein Gesicht verlieren wollte. Aber die Stadt war in einer noch verzweifelteren Lage als ich und mehr denn je bemüht, einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen.« (A.a.O.: 112)

    Der Bluff in diesem Pokerspiel bestand in Folgendem: Der bauliche Kern des neu zu errichtenden Grand Hyatt-Hotels war ein altes, verrottetes Hotel, das Commodore. Nun stand die entscheidende Sitzung des städtischen Schätzungsausschusses bevor, in der die Entscheidung über die Steuererleichterungen für Trump gefällt werden sollte. Vor dieser Sitzung gab der mit Trump zusammenarbeitende Besitzer des Commodore bekannt, dass dieses Hotel so pleite sei, dass es demnächst geschlossen werde. Und zwar sollte die Schließung einen Tag vor der entscheidenden Sitzung des Schätzungsausschusses stattfinden. In den Zeitungen erschienen Berichte über Hunderte von Mitarbeitern, die arbeitslos auf der Straße stehen werden und über den drohenden Untergang des ohnehin maroden Stadtviertels um die Grand Central Station (den New Yorker Hauptbahnhof). – Trump bekam die Steuererleichterungen. Der Bluff bestand also darin, das Bild eines vollkommen verrottenden Stadtviertels herauf zu beschwören, falls nicht Trump das neue Riesen-Grandhotel bauen kann.

    Solche Bluffs finden bei Deals überall statt, tagtäglich, nicht nur im Immobilienbereich. Nicht nur Trump war so ein geschickter Pokerspieler, als der er sich Ende der 1980er Jahre in seinem Selbstdarstellungs-Buch darstellte.

    Strukturelle Hintergründe

    des auftrumpfenden Deal-Makings und

    des Pokerspielens

    Das Deal-Making gehört zu den Sitten und Gebräuchen amerikanischer Manager. Alle Spitzenmanager, Hauptaktionäre, Firmenbesitzer dealen. Auch die Filmstars in Hollywood und deren Agenturen machen Deals, »Package-Deals«, Deals im Paket. Die Stars schnüren Pakte von Forderungen, und je prominenter sie sind, desto unverschämter sind die Forderungen. Sie fordern zusätzlich zu höheren Millionen-Gagen auch noch Grundstücke, Häuser, ein paar Autos etc., nur, um bei den Deals ihren Marktwert noch zu steigern. (s. Prokop 1988: 243 ff.)

    Deal-Making im Oligopol:

    Die Praxis des Deal-Making ist das Ergebnis der oligopolistischen Struktur der Wirtschaft. Unter Oligopol-Bedingungen herrscht in der Wirtschaft nicht mehr die »cut throat strategy« vor, also nicht mehr das Interesse, dem Konkurrenten die Kehle durchzuschneiden, also die »Gewaltkonkurrenz«, wie Werner Sombart das nannte. (1927, Bd. III: 561 f.) Der Gegner ist genau so stark wie man selbst, er kann zurückschlagen, und das wäre langfristig für alle von Nachteil. Deshalb unternehmen die Konzerne gegenüber ihren Konkurrenten keine ruinösen Preis- und Qualitäts-Wettkämpfe, denn damit würden sie ihren eigenen Umsatz langfristig eher schmälern als steigern. Wichtiger als gefahrvolle Preiskämpfe ist den Oligopol-Konzernen die vorsichtige Steigerung ihrer Erträge. (Zwar finden heute im Bereich des Lebensmittel-Einzelhandels heftige Preiskämpfe der größten Konzerne statt, jedoch nicht bei den Waren-Produzenten.) Besser als die »cut throat strategy« des Kehle-Durchschneidens ist jetzt die »tit for tat strategy«, die »Wie Du mir, so ich Dir«-Strategie. Im Deutschen klingt das nach »Auge um Auge, Zahn um Zahn«, aber gemeint ist etwas Anderes. »Tit for tat« bedeutet: Der erste Schritt ist immer kooperativ. Erst wenn der Gegner nicht kooperiert, tut man das auch nicht. Die Kooperation sieht zum Beispiel so aus, dass man gemeinsame Joint-Venture-Firmen gründet, die neue Techniken (»Technologien«) und Produkte entwickeln; oder dass man in Dachverbänden kooperiert, dort gemeinsame Interessen koordiniert, gemeinsame Lobbyarbeit macht etc. Joseph A. Schumpeter sprach von »gegenseitiger Achtung«:

    »Untereinander verhalten sich die Konzerne auf eine Weise, die eher mit gegenseitiger Achtung als mit Konkurrenz bezeichnet werden muß; sie verzichten auf gewisse Angriffsmittel […]; sie marschieren in gleichem Tempo und suchen dabei Vorteile in Grenzgebieten zu gewinnen.« ([1942] 2005: 147)

    Was die Preise betrifft: Man vermeidet zwar einseitige Preis-Senkungen, darin ist man sich einig. Aber was die Erhöhung von Preisen betrifft, loten die Oligopol-Konzerne gemeinsam die Möglichkeiten aus: Einer, meist der stärkste Konzern, erhöht als Preisführer die Preise, und die anderen Oligopol-Konzerne ziehen nach. Falls sie sich nicht anschließen, ist der Preisführer bereit, seine Erhöhung rückgängig zu machen. Entscheidend ist das Interesse der »Gruppe« (bestehend aus den größten Oligopol-Konzernen), Höchstprofite bei geringstem Schaden zu sichern.

    Oder eine »Gruppe« prescht vor und verletzt die Gesetze – siehe bei den Banken die Libor-Absprachen –, und dann sieht man, ob die Aufsichtsbehörden das merken und ob sie dann zuschlagen oder nicht. Dann macht man einen Vergleich und zahlt ein paar Millionen Strafe, was einem nicht weiter schadet. (s. hierzu Weick und Friedrich 2014: 39 ff.)

    Pokern, Bluffen, Täuschen:

    Beim Pokerspiel geschieht das so: Ein »Dealer« gibt jedem Spieler fünf Spielkarten (»Blatt« oder »Hand« genannt), die er dann in der Hand hält, uneinsehbar für die Mitspieler. Der »Dealer« ist hier kein Deal-Maker, er gibt nur die Karten aus. Bei manchen Pokerspielen wie Texas Hold’em legt der Dealer auch noch fünf Karten offen auf den Tisch, und die Spieler können sich daran bedienen, wenn sie ihr »Blatt« offenlegen. Manchmal erhält jeder Spieler dazu noch zwei weitere Karten, die verdeckt auf dem Tisch liegen und die er im Lauf des Spiels mit verwenden kann, aber nicht muss.

    Jeder Spieler macht in mehreren Runden Geld-Einsätze, meistens mittels Chips. Die anderen Spieler müssen dann mit einem Einsatz in mindestens gleicher Höhe folgen. Tun sie es nicht, sind sie raus, aber ihr Einsatz bleibt im »Pot«. Der Sieger gewinnt den ganzen Einsatz (den »Pot«).

    Nun geht es darum, ob der Spieler ein gutes Blatt vorlegen kann. Absoluter Sieger ist er, wenn er fünf Asse präsentieren kann (Royal Flush) oder fünf Karten einer Farbe (Straight Flush). Oder drei Könige und ein Paar (Full House).

    Wenn ein Spieler einen verdächtig hohen Einsatz macht, werden die Mitspieler so etwas wie einen Royal Flush vermuten und sich vom Spiel zurückziehen. Falls der Spieler wirklich einen Royal Flush hatte, gewinnt er dann nicht viel. Aber wenn er keine Erregung zeigt, ein cooles Pokerface aufsetzt und so tut, als hätte er keinen Royal Flush, also wenn er blufft, wird das Spiel weitergehen, und damit steigert er seinen Gewinn. Umgekehrt: Ein Spieler, der ein schlechtes Blatt hat – keine seiner Karten passt zu einer anderen (»High Card«) –, kann er trotzdem, wenn er cool bleibt, die Mitspieler zu weiteren Einsätzen veranlassen. Dann kann er sie mit einem sehr hohen Einsatz auch dazu bringen, aus dem Spiel auszusteigen. Wenn er übrig bleibt, ist er der Sieger. Also kann auch er an den »Pot« gelangen, indem er blufft. Die Spieler können mittels Gestik und Mimik bluffen, denn alle beobachten einander genau. Schlecht steht jemand da, der es nicht vermeiden kann, dass er rote Ohren kriegt, wenn er bei einem guten Blatt aufgeregt ist, oder bleich wird, wenn er ein schlechtes Blatt hat.

    Es geht also darum, durch Täuschung – und dazu gehört auch die Vermeidung von Berechenbarkeit bei den ihn misstrauisch beobachtenden Mitspielern – einen fetten Gewinn herauszuholen. – Das ist in Kurzfassung das Pokern. Das Täuschen und die Vermeidung von Berechenbarkeit ist das Wichtigste.

    Ein Beispiel aus der Finanzwirtschaft:

    Der Finanzjournalist Daniel Mohr schildert, wie so ein Pokerspiel auf dem Anleihemarkt (Unternehmensanleihen, Staatsanleihen) aussieht: »Der Anleihemarkt gleicht in gewisser Weise einem Pokerspiel. Die Gegenseite muss so gut wie möglich im Ungewissen über die eigenen Karten beziehungsweise die wahren Verhältnisse bleiben. Der Schuldner [also der Anleihe-Verkäufer] wird seine eigene Finanzlage möglichst positiv darstellen und sein Werben um Geldmittel eher als Entgegenkommen an den Gläubiger [den potenziellen Käufer] verkaufen, dem so eine Rendite auf sein Kapital ermöglicht wird. Der Gläubiger wiederum versucht, so zu tun, als ob ihm lukrative Angebote für sein Geld in Hülle und Fülle zur Verfügung stehen und die Zeichnung einer Unternehmensanleihe unter diesen Möglichkeiten nur eine wenig attraktive unter vielen sei. – In diesem Geplänkel, in dem der Bluff zentrales Stilelement ist, entstehen Anleihepreise und Kupons. Rating-Agenturen versuchen, die wahren Gegebenheiten eines Unternehmens zu ergründen und für den Investor transparent zu machen. In der Regel werden die Agenturen aber von den Unternehmen selbst mit der Analyse beauftragt und auch bezahlt, so dass die allerbösesten Geheimnisse womöglich auch geheim bleiben.« (FAZ 8. 8. 2013: 17, [ ] hinzugefügt)

    Deal-Making und Pokern – so ganz sauber kann man das nicht trennen. Deals enthalten immer auch Elemente des Pokerns. Letztlich enthält auch jeder Warentausch – unter Anderem – auch Elemente des Pokerns: Der Verkäufer, der vielleicht eine Ware mit geringem Tauschwert zu einem überhöhten Preis loswerden möchte, wird seine Ware als einzigartig darstellen. Zum Beispiel, indem er sie mittels Werbung mit einem Image der Exklusivität umgibt. In der Theorie der Werbung nennt man das »Markenpersönlichkeit«. (s. Schnierer 1998)

    Der Käufer wird die Ware, ob sie nun einen geringen Tauschwert hat oder einen hohen, auf jeden Fall erst einmal madig machen. Falls sie einen hohen Tauschwert hat, wird er seine Gier danach verbergen, auch er wird ein Pokerface aufsetzen.

    Über den Warentausch, vor allem wenn der Verkäufer Imagewerbung, also »Warenästhetik« (s. Haug 1971) betreibt, kann man sich als Kritiker empören. – Aber man sollte nicht vergessen, dass beide, der Verkäufer und der Käufer, bei allen Täuschungsversuchen, dabei auch eine rationale Sache betreiben: das Herausfinden von Qualitäten. Beide, Verkäufer wie Käufer, kennen andere Waren mit hohem Tauschwert bzw. hohem Gebrauchswert, können also auch anhand objektiver Merkmale den wirklichen Wert einer

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