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Der Sklave meiner eigenen Freiheit: Ein Leben, das niemand erleben sollte (oder vielleicht doch jeder?)
Der Sklave meiner eigenen Freiheit: Ein Leben, das niemand erleben sollte (oder vielleicht doch jeder?)
Der Sklave meiner eigenen Freiheit: Ein Leben, das niemand erleben sollte (oder vielleicht doch jeder?)
eBook346 Seiten5 Stunden

Der Sklave meiner eigenen Freiheit: Ein Leben, das niemand erleben sollte (oder vielleicht doch jeder?)

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Über dieses E-Book

Stell dir vor, du hast den ganzen Tag größte Schmerzen von der Sorte, bei der man an Selbstmord denkt, nur damit es endlich vorbei ist. Kein Arzt kann helfen, keine Behandlung funktioniert, keine Medikamente oder Schmerzmittel wirken. Selbst beim Schlafen bereiten dir die Schmerzen immense Probleme. Du bist daher nie ausgeschlafen, immer komatös müde und völlig am Ende. Alles, was dir wichtig war, ist plötzlich nichts mehr wert. Nichts und niemand kann dir also helfen und du bist gerade mal Anfang 20. Was machst du?
Der Autor dieses Buches hat sich dazu entschlossen, den Kampf aufzunehmen. Er hat für seine Wirbelsäulenproblematik keine andere Lösung gefunden, als die drumherum liegende Muskulatur so zu stärken, dass sie in der Lage ist, die defekten Knochen zusammenzuhalten, damit er weiterhin am Leben teilhaben kann. Die Schmerzen hören dadurch nicht auf, aber er kann sich selbstständig bewegen. Mit seinem Arzt sucht er weiter nach Therapiemöglichkeiten und stellt durch ein knallhartes Sportprogramm sicher, dass er eventuellen Lösungsansätzen auch gewachsen ist - und so lange überlebt.
Dieser Kampf dauert nun schon über ein Jahrzehnt und ein Ende ist trotz aller Hoffnung nicht abzusehen. Das hat auch extreme Auswirkungen auf das Privatleben, dennoch gelang es über die Jahre, eine Ausbildung, ein Studium und eine Karriere als Bauingenieur zu machen. Dieses Buch ist nicht nur ein verzweifelter Aufschrei, es macht auch Mut, denn es zeigt, zu was ein Mensch in der Lage ist, wenn er nur will.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum12. Dez. 2021
ISBN9783347488618
Der Sklave meiner eigenen Freiheit: Ein Leben, das niemand erleben sollte (oder vielleicht doch jeder?)

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    Buchvorschau

    Der Sklave meiner eigenen Freiheit - Nicolas Springer

    Am Anfang war der Schmerz

    Wie oft passiert es, dass man tatsächlich seinen Traumjob findet? Dass man tatsächlich das Gefühl hat, man geht nicht mehr zur Arbeit? Für mich war das so. Ich liebte meine Arbeit. Ich war nie die hellste Leuchte in der Schule und konnte in kaum einem Fach die Nase über Wasser halten. Bis heute ist es nicht nachvollziehbar, wie ich den Abschluss an der Realschule geschafft habe. Aber ab dem Zeitpunkt, als ich die Ausbildung zum Zimmermann begann, war auf einmal alles klar. Der Unterrichtsstoff war kein Rätsel mehr für mich und ich habe alles auf Anhieb verstanden. Meine Erklärung für diese Wendung war immer, dass ich jetzt wusste, wofür ich die ganze Theorie brauche, und ich hatte einen tatsächlichen, praktischen Bezug. Die Welt war für mich in Ordnung. Ich stand voll im Leben. Die Ausbildung habe ich problemlos absolviert. Ich hatte keinerlei Schwierigkeiten, weder mit der Theorie noch mit der Praxis.

    Die Zimmerei war bei uns im Dorf, fünf Gehminuten von dem Haus meiner Eltern entfernt, bei denen ich mit meinem zwei Jahre älteren Bruder wohnte. In meiner Freizeit habe ich mit meinen Freunden im Verein Fußball gespielt. Zweimal in der Woche haben wir trainiert und am Wochenende gab es ein Spiel. Ich war immer mit vollem Ehrgeiz und Einsatz dabei. Ich konnte mir ein Leben ohne Fußball nicht vorstellen.

    Alles war prima. Mit meiner Familie war alles bestens, die Freizeit war geregelt und jetzt hatte ich auch noch den passenden Job. Ich war vorbereitet für alles, was auch immer da kommen mochte. – Bis dann eines Tages ein Arzt zu mir sagte: »Sie können Ihren Beruf als Zimmerer nicht mehr machen. Sie werden umschulen müssen. Sie sind nun berufsunfähig!« Den Satz haben wahrscheinlich schon viele Menschen gehört. Ich glaube nicht, dass irgendjemand sehr glücklich über so eine Aussage sein kann. Blöd war in meinem Fall nur, dass der Satz relativ kurz nach Ende meiner Ausbildung gefallen ist und ich zu dem Zeitpunkt gerade mal 19 Jahre alt war. Die Scheiße war also am Dampfen und ich wusste noch gar nichts vom Leben. Nichts was ich je gehört, gesehen oder gelernt hatte, hat mich auf diese Situation vorbereitet. Meine Erfahrungen und mein Wissen bezüglich des Lebens waren auf dem Level eines Säuglings. Entgegen meiner bisherigen Vorstellung war ich Lichtjahre davon entfernt, erwachsen zu sein. Wie sich später herausstellte, hatte ich auch keine Ahnung, was es eigentlich heißt zu leben. Ich hatte auch überhaupt keine Ahnung, dass ich irgendwann dankbar sein würde, dass das so gekommen ist.

    Während meiner Ausbildung hatte ich immer wieder mal Rückenschmerzen. Für einen Zimmermann ist das jetzt nicht unbedingt ein Grund zum Aufschreien. Allerdings gingen diese Schmerzen bei mir nicht mehr weg, sondern wurden immer mehr. Also habe ich das Standard-Prozedere durchlaufen: Man geht zum Hausarzt, bekommt Spritzen und Schmerztabletten, wird zwischendurch mal eingerenkt und geröntgt. Irgendwann schickt einen der Hausarzt zum nächsten Arzt und das ganze Spiel geht von vorne los. Ziemlich schnell waren meine Medikamente auf einem Level, dass mir verbot zu arbeiten oder gar die entsprechenden Maschinen zu bedienen. Meine Mutter war sich morgens nicht mal mehr sicher, ob ich geistig noch auf demselben Planeten war.

    Trotz allem wurde meine Schmerzsituation nicht besser. Es gab sogar Momente, in denen ich beim Arbeiten auf allen vieren auf dem Gerüst war, weil ich aufgrund der Schmerzen nicht mehr aufrecht stehen konnte. So konnte ich dann zwar mal etwas Luft holen und kurz durchatmen, aber für einen Zimmermann ist das keine brauchbare Arbeitshaltung. Das ist wahrscheinlich eins der Dinge, die ich nie mehr vergessen werde. Es gab dann auch schnell keinen Zeitpunkt mehr, an dem ich keine Schmerzen hatte. – Der Schmerz war immer da und ging auch mit den Medikamenten nicht mehr weg.

    Ich weiß noch ganz genau, wann mein erster Krankheitstag war: Es war Montag, der 25. September 2006, ungefähr einen Monat, nachdem ich die Ausbildung mit Bravour absolviert hatte. Am Tag davor hatten wir noch ein Fußballspiel. Es war mein letztes. Ich habe tatsächlich gespielt, bis ich nicht mehr konnte, wortwörtlich, bis ich fast auf dem Spielfeld zusammengebrochen bin. Unter höllischen Rückenschmerzen ließ ich mich auswechseln. Als wäre es gestern gewesen, sitze ich alleine mit Tränen in den Augen in der Kabine. – Nicht weil ich ausgewechselt wurde, sondern weil die Schmerzen einfach so groß waren, dass ich sogar Atemprobleme hatte und jeder Atemzug die höllischen Schmerzen noch verstärkte. Am nächsten Tag war es mir schlichtweg nicht mehr möglich, zum Arbeiten zu gehen. Das war der erste Tag einer Reihe von sehr vielen Krankheitstagen. Natürlich wurde während meiner krankgeschriebenen Zeit weiterhin versucht, der Ursache des Übels auf die Schliche zu kommen.

    In der Zeit bis Dezember gab es dann auch einen Wechsel von meinem Hausarzt zu einem Orthopäden. Mit dem Orthopäden war ich sehr zufrieden und er hat auch ernsthaft versucht, mir zu helfen und die Ursache zu finden. Er hat mich ein paar Wochen auf eine Rehabilitationsmaßnahme geschickt, von November 2006 bis Januar 2007. Es war schön, sich mal zu entspannen und etwas Abstand zu bekommen von allem. Es gab die üblichen Aktivitäten, die einen so erwarten während einer Reha: Physio- und Bewegungstherapie, Gymnastik, Bewegungsbäder, Massagen, medizinische Bäder, Magnetfeldtherapie, Entspannungstherapie und so weiter. Leider war es mehr ein recht angenehmer Wellness-Urlaub, als dass mich das in Bezug auf meinen Rücken weitergebracht hätte. Solche Aufenthalte sind meistens nicht darauf ausgelegt, die Ursache der Beschwerden zu behandeln. Stattdessen werden einfach ein paar Sachen ausprobiert, in der Hoffnung, dass etwas davon Erfolg bringt. – Zumindest war das mein Eindruck dieses Reha-Aufenthalts. So was ist im Sinne einer Anschlussheilbehandlung (AHB) nach einer Operation eine super Sache, wenn es dann darum geht, wieder beweglich zu werden oder die Muskulatur an die neuen Umstände zu gewöhnen oder zu lernen, den Alltag zu bewältigen, je nachdem welche OP man hinter sich hat. Aber wenn es darum geht, die Ursache von ernsthaften Beschwerden zu ergründen und diese gezielt mit individuellen Maßnahmen zu behandeln, dann ist eine Reha mit einem allgemeinen Behandlungsplan einfach der falsche Weg. Aber das sind alles Erfahrungen, die man entlang des Weges macht und ich möchte mit Sicherheit keine meiner Erfahrungen missen, denn es gibt aus jedem Erlebnis und jeder Situation etwas zu lernen, solange der Wille da ist, dies zu tun.

    Die Reha hat mich zwar nicht wirklich weitergebracht, aber ich habe neue Erfahrungen gesammelt. Das Bewusstsein für meinen Körper hat sich ein klein wenig weiterentwickelt. Ich habe auch überhaupt erst einmal gelernt, was es so alles für Behandlungen gibt bei einer Reha. Es war meine erste und somit war alles neu für mich. Trotzdem hatte ich immer noch dieselben Schmerzen und es ging immer noch darum, endlich rauszufinden, was mit meinem Rücken los war.

    Nachdem die Reha-Maßnahme nichts gebracht hatte, empfahl mein damaliger Arzt, ich solle doch eine Wiedereingliederung in meinen Beruf als Zimmerer versuchen, damit wir diesen Schritt auch gemacht hätten. Nicht dass es sonst irgendwann heißen würde, wir hätten nicht alles versucht. Das Ganze sah dann so aus, dass ich in Wochenschritten zuerst vier, dann sechs Stunden und dann wieder Vollzeit gearbeitet habe. Es war wirklich komisch, nach vier oder sechs Stunden nach Hause zu gehen, wenn alle anderen noch am Arbeiten waren. Ich lasse ungern Arbeit liegen, schon gar nicht, wenn ich die Arbeit liegen lasse, alle anderen aber weiterarbeiten. Letztendlich hatte ich auch bei der Wiedereingliederung meine üblichen Schmerzen und somit war dieser Schritt auch nicht hilfreich für mich. Wenn wir ehrlich sind, war das nicht wirklich eine Überraschung.

    Bei meinem nächsten Arzttermin war es dann so weit, dass der Arzt dann eben das Unvermeidliche ausgesprochen hat: »Sie können Ihren Beruf als Zimmerer nicht mehr machen. Sie werden umschulen müssen. Sie sind nun berufsunfähig!«

    Für mich war das zu diesem Zeitpunkt keine Überraschung mehr, schließlich macht man sich ja Gedanken. Aber für mich als 19-jähriger Junge mit Traumberuf war das dann schon ein Moment, in dem ich kurz schlucken und mir dessen bewusst werden musste, was da gerade passierte. Selbst jetzt vermisse ich diesen Beruf immer noch. Aber so sehr es mich auch anpisst das zu schreiben: Es gibt tatsächlich Sachen in meinem Leben, die einfach nicht mehr gehen. Und ich kann jetzt jammern und schmollen und mich wehren, wie ich will, am Ende vom Tag werde ich das akzeptieren müssen. Allerdings ist das eine Lektion, die in dieser Situation noch darauf gewartet hat, von mir gelernt zu werden.

    Und so stand ich nun da. Vollkommen ahnungslos, was ich jetzt mit meinem Leben anfangen sollte, musste ich mir überlegen, wie es weiterging. Das war für mich das erste Mal, dass ich mich hinsetzen und nachdenken musste, was ich denn eigentlich wollte. Obwohl das so einfach klingt, ist das eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe, aber im Nachhinein finde ich es essenziell, dass man das mal macht. Dann kann man zielstrebig seinen Wünschen und Träumen nachgehen, sein Leben genau danach ausrichten und hat etwas, von dem man mit Sicherheit weiß, dass es sich lohnt, alles dafür zu geben. Das Paradoxe ist halt nur, dass diese Erkenntnis erst kommt, nachdem man es getan hat. Solange vorher kein Grund dafür vorhanden ist, kommt niemand von selber auf die Idee, das mal zu machen. So war es auch bei mir.

    Leider musste ich aber mit diesem Prinzip, dass die Erkenntnis erst kommt, wenn man es selber erlebt, im Laufe der Jahre noch so meine Erfahrungen machen. Erfahrungen, die mir schwer auf dem Herzen lagen. Eigentlich ist es ja ganz natürlich, dass man Dinge erst glaubt, wenn man sie selber erlebt hat, so sind wir eben. Was mir dann so schwer auf dem Herzen lag, war die Tatsache, dass ich nicht derjenige war, der anderen etwas glauben sollte, es war vielmehr so, dass ich wusste, was zu tun war, aber keiner glaubte mir. Und so konnte ich letztlich nur dabei zusehen, wie gegen diverse Wände gefahren wurde.

    Aus irgendeinem Grund hatte ich immer ziemliches Glück mit meinen Ärzten, so mochte ich auch diesen Orthopäden recht gerne. Er hat immer versucht, das Problem zu finden, und wollte nicht einfach irgendetwas machen, nur damit er etwas Abrechnen konnte. Wie es aber so kommen musste, war es dann irgendwann so weit, dass der Arzt ehrlich zu mir sagte: »Leider weiß ich hier nicht mehr weiter und bin mit meinen Möglichkeiten am Ende. Sie müssen einen anderen Arzt aufsuchen.«

    Das war jetzt eine etwas verklemmte Situation. Einerseits musste ich mir einen neuen Arzt suchen, schließlich wollte ich ja, dass es mir irgendwann mal wieder besser ging, andererseits musste ich mir ja auch einen neuen Job suchen – oder irgendwas, was ich anstellen konnte mit meinem Leben, schließlich war ich immer noch berufsunfähig. Für den Rest meines Lebens arbeitslos zu sein, war für mich jedenfalls keine Option. In diesem Moment wurde mir klar: Ich muss jetzt ganz schnell erwachsen werden, sonst nimmt das mit mir ein ganz böses Ende.

    Für die Suche nach einem neuen Arzt hatte ich einen Anhaltspunkt: Einer meiner Ausbildungskollegen hatte einen Bandscheibenvorfall und konnte mir eine Praxis in München empfehlen. Dort gab es verschiedene Ärzte, vom Orthopäden bis hin zum Neurochirurgen. Wie sollte es auch anders sein: Es gab von den verschiedenen Ärzten prompt verschieden Diagnosen. Eine war, dass ich drei Bandscheibenvorfälle gehabt hätte. Diese Diagnose hat zu meiner ersten Operation an der Wirbelsäule Anfang April 2007 geführt. Die entsprechende Behandlung war kein großer Eingriff, dennoch war es für mich ein stationärer Krankenhausaufenthalt. Es wurde eine Laseroperation gemacht, bei der mithilfe eines Lasers Bandscheibenmaterial entfernt wurde, um die Nervenbahnen davon zu befreien und somit die Schmerzen zu verringern oder gar loszuwerden. Leider hat mir dieser Eingriff in keiner Weise geholfen. Na ja, vielleicht in der Hinsicht, dass man eine mögliche Ursache mehr ausschließen konnte. Aber meine Schmerzen waren immer noch dieselben, also ging es weiter. Es gab für mich unter anderem unzählige Spritzen an die Wirbelsäule. Schmerzmittel standen auch weiterhin auf meiner Speisekarte. Aber bezüglich meiner Schmerzen hat mir das alles nicht geholfen. Ich kam ziemlich auf dem Zahnfleisch daher. Allerdings (vielleicht auch zum Glück) war mir da noch nicht bewusst, dass bezüglich meines Schmerzpensums noch viel mehr ging, es noch viel schlimmer kommen würde und mein Körper und meine Psyche noch sehr viel mehr aushalten mussten.

    Jetzt könnte man sich fragen, warum ich nicht versucht habe, die Schmerzen mit Alkohol zu betäuben. Nun: Wieso sollte ich versuchen, meine Schmerzen mit Alkohol zu betäuben? Wie hätte mir denn Alkohol helfen können? Ich mag vielleicht nicht der Schlaueste sein, aber so blöd bin ich dann auch wieder nicht. Auf die Idee muss man erst mal kommen, soviel Alkohol zu trinken, dass man entweder keine Schmerzen mehr spürt oder sie einem einfach egal sind, nur um am nächsten Morgen aufzuwachen und festzustellen, dass die Schmerzen immer noch da sind, der Kopf für die Lösung der Situation nicht zu gebrauchen ist und man nicht mehr die Energie hat, um an dem Tag zu trainieren. Dasselbe gilt für alle anderen Drogen.

    Letztendlich hat mich dieser Arzt dann Mitte 2007 auch weitergereicht. – Wieder ein Arzt, der mit seinem Latein am Ende war. Ich blieb in derselben Arztpraxis, aber es war nun ein anderer Neurochirurg. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste war, dass es mein letzter Arztwechsel sein würde, denn dieser Arzt war ein Glückstreffer. Er hat stets versucht, mir zu helfen, ohne dabei ein zu großes Risiko einzugehen, indem er mich nicht einfach aufschnitt und irgendwas operierte. Vom ersten Tag an hatte ich den Eindruck, dass die Wirbelsäule und der Rücken sein Handwerk waren, so wie es für mich der Beruf des Zimmerers war. Er wusste, was er tat, und kannte sich aus. Was ich auch sehr an ihm schätzte und immer noch schätze ist die Tatsache, dass er sich für seine Patienten Zeit nimmt. Jedes Mal wenn ich bei ihm bin, fragt er mich, ob ich noch irgendwas brauche oder ob er noch irgendwas für mich tun kann, bevor ich das Zimmer verlasse.

    Er hat wie gesagt immer versucht, zuerst die Ursache für das Problem zu finden, bevor er mich auf irgendeinen Verdacht hin operierte. Es wurden verschiedene Eingriffe erwähnt, die möglich waren, wie zum Beispiel Bandscheiben oder Wirbelkörper auswechseln, Versteifung der Wirbelsäule, Nervenenden veröden und so weiter. Er sagte aber auch zu mir, dass die Versteifung der Wirbelsäule die letzte Option sei, das würde er bei mir nicht machen, weil ich dafür einfach noch zu jung und die Wirbelsäule immer noch im Wachstum sei. Das war für mich ein beruhigender Satz. Ich war froh, einen Arzt gefunden zu haben, der wirklich an der Lösung des Problems interessiert war und mich nicht unüberlegt unters Messer legen wollte. Aber auch für mich war eine Versteifung der Wirbelsäule unvorstellbar und kam nicht infrage. So hat er mit unter anderem Krankengymnastik, Massagen und verschiedene Untersuchungen verordnet. Eine Computertomografie (CT) war auch vorgesehen, wurde aber vom ausführenden Arzt abgelehnt, da ich für die Belastung durch die Röntgenstrahlen noch zu jung war. Also hat man auf eine Magnetresonanztomographie (MRT) zurückgegriffen.

    Nichts wird jemals wieder so sein, wie es mal war, wobei das immer so ist. – Nicht nur in meinem Leben: In jedem Leben! Jeder Gedanke, jeder Schritt, den wir machen, verändert uns. Der Wunsch, dass etwas wieder so ist, wie es mal war, ist eine Illusion. Es ist schlicht und ergreifend nicht möglich. Wie soll man mit dem Wissensstand, den man aktuell hat, einen Zustand erschaffen, in dem dieser Wissenstand noch nicht vorhanden war?

    Es ist eine Sache, wenn man irgendwo mal Schmerzen hat, aber es ist eine ganz andere Sache, wenn dieser Schmerz nicht mehr weggeht – besonders wenn dieser Schmerz im Rücken ist. Ich muss ehrlich sagen, dass Schmerzen im Rücken sehr ekelhaft sind. Der Rücken ist immer beansprucht, egal was man macht oder in welcher Position man ist. Und dieser Schmerz belastet den ganzen Körper. Ich hatte auch verschiedene Varianten, wie sich dieser Schmerz dargestellt hat: Es gab einen stechenden Schmerz, dann gab es auch einen drückenden Schmerz, der einfach auf den ganzen Rücken gedrückt hat und des Öfteren so extrem wurde, dass ich nicht mehr richtig atmen konnte. Dann gab es natürlich auch noch den brennenden Schmerz. Alle Schmerzen weisen letztlich auf irgendetwas hin, es muss aber nicht immer dasselbe sein und vielleicht entsteht der eine oder andere Schmerz auch nur als Resultat eines anderen Schmerzes. Für mich war es jedenfalls so, dass der ganze Scheiß einfach nur wehtat – und ich wollte nicht, dass es wehtat! Aber nichts von dem, was ich bisher in meinem Leben erlebt oder gehört hatte, hat mir weitergeholfen. Ich konnte nicht einfach sagen: Ja, dieses oder jenes hat bei dem und dem funktioniert, also mache ich das jetzt genauso, weil es bei mir genauso ist. Nichts war bei mir genauso und nichts hat geholfen. Ich war mit einer völlig neuen Situation konfrontiert, von der ich keine Ahnung hatte. Ich wusste nur: Mir tut mein Rücken scheiß weh und ich will, dass das aufhört! – Es ist recht interessant, was ein so simpler Sachverhalt mit einem Menschen anstellen kann.

    Der schlimmste Schmerz ist der, der dich nicht mehr ruhen lässt. – Und ich rede nicht von Stunden, Tagen oder Wochen … Ich rede von Jahren.

    Eines der besten Gefühle, das ich jemals in meinem Leben gehabt habe, war der Moment, in dem ich ganz genau wusste, was ich zu tun hatte. Damit meine ich nicht, eine der täglichen Aufgaben, die man so hat, sondern was ich in meinem Leben zu tun hatte, was von jetzt an und für die Zukunft meine Aufgabe war. Der Moment war jetzt da: Ich musste um mein Leben kämpfen! Alles dafür tun, um wieder auf die Beine zu kommen und ein Leben zu haben. Ich wusste einfach, dass ich alle Register ziehen musste, um aus dieser Sache lebend wieder herauszukommen. Bedingungslos. Nichts und niemand durfte mich dabei aufhalten. Ich ließ mich auch nicht aufhalten, schon gar nicht von all diesen blöden Sprüchen, dass irgendwas nicht geht. Denn es ging um mein Leben. Wenn ich wirklich nicht bereit bin, alles zu tun, alles zu geben und zu versuchen, dann habe ich nicht das Recht, mich zu beschweren, weil meine Situation dann offensichtlich nicht so schlimm sein kann.

    Es ging nicht darum, mein Bestes zu geben, es ging darum, dass ich tat, was notwendig war. Wenn alles gut ist, dann liegen diese zwei Konzepte sehr eng beieinander, aber je ekelhafter es ist, desto größer ist der Unterschied zwischen beiden.

    Das bin ich aber nicht! Das widerspricht mir! Aber was ist, wenn deine Situation genau das von dir verlangt? Was ist, wenn deine Existenz, dein Leben genau davon abhängen? Was ist, wenn genau das der einzige Weg zu einem positiven Ende ist?

    Die Wahrheit ist: Am Ende vom Tag interessiert es keine Sau, ob dir das widerspricht. Vielleicht ist es ja auch dein Bestes, aber weißt du was? Es interessiert nicht, ob es dein Bestes ist. Du musst einfach tun, was notwendig ist. Und wenn es so weit ist, dann bist du ganz weit über dein Bestes hinweg!

    Jetzt stellt sich noch die Frage, woher man sich sicher sein kann, dass das tatsächlich der einzige Weg ist. Nun, wenn es so weit ist, dann weiß man es ganz sicher.

    Fragen ohne Ende

    Um das zweite Problem mit meiner beruflichen Zukunft zu lösen, habe ich mich erst mal auf meinen Arsch gesetzt und angefangen zu überlegen. Ich dachte mir einfach: Fangen wir halt bei null an. Was macht mir Spaß? Was mag ich gerne? Schließlich hatte ich alle Möglichkeiten und mit standen alle Türen offen. Na ja, fast alle, wenn man bedenkt, dass ich bereits mit 19 Jahren umschulen musste, weil ich einen kaputten Rücken hatte.

    Ich habe mir tatsächlich eine Liste mit allen möglichen Berufen rausgesucht und bin sie durchgegangen. Wenn ich schon noch mal neu starten musste, dann wenigstens richtig. Ich wollte auf gar keinen Fall einfach irgendwas machen und dann später realisieren: Oh verdammt, das finde ich doch nicht so toll. Hätte ich doch mal lieber …. Ich wusste zwar, dass ich keine Ahnung vom Leben hatte, aber so schlau war ich dann doch.

    Allerdings muss ich ehrlicherweise sagen, dass es gar nicht so einfach war, wie es sich jetzt vielleicht anhört. Ich hatte mich vorher noch nie fragen müssen: Was will ich eigentlich? In den Beruf als Zimmermann bin ich mehr oder weniger wegen meiner handwerklichen Familie reingewachsen. Mein Opa war Schindelmacher mit eigener Firma und mein Onkel hatte seine eigene Zimmerei. Trotzdem machte ich damals ein Praktikum in einem Unternehmen, das viel mit Stahl arbeitete. Ich habe dann aber sehr schnell festgestellt, dass Holz cooler ist. In der Ausbildung hatte ich dann noch mal festgestellt, dass der Beruf des Zimmermanns perfekt zu mir passte.

    Jetzt war es soweit, mir tatsächlich die Frage zu stellen: Was macht mir Spaß? Um diese Frage beantworten zu können, musste ich mich ernsthaft mit mir selber beschäftigen. Das heißt vor allem, erst mal rauszufinden, warum ich die Sachen machte, die ich machte. Tat ich Dinge nur, weil ich sie gerne tat, oder gab es einen anderen Grund dafür? Wenn ja: Welchen?

    Ich hatte auf einmal jede Menge Fragen im Kopf: Warum mache ich meine Routine am Morgen in dieser Reihenfolge? Warum habe ich eine Routine? Warum trage ich meine Einkäufe mit der einen Hand und nicht mit der anderen? Spielt es eine Rolle, mit welcher Hand ich meine Einkäufe trage? Warum will ich die Antwort auf manche Fragen nicht wissen? Habe ich Angst vor etwas? Warum habe ich Angst davor? Bin ich nicht selbstsicher genug? Warum bin ich nicht selbstsicher genug? Muss ich überhaupt selbstsicher sein? Hätte ich gerne mehr Selbstvertrauen? Warum hätte ich gerne mehr Selbstvertrauen? Warum glaube ich, dass ich nicht genügend Selbstvertrauen habe? Warum habe ich Schwierigkeiten damit, vor anderen Menschen eine Rede zu halten? Spielt es eine Rolle, ob ich Schwierigkeiten damit habe, vor anderen Menschen eine Rede zu halten? Ist es mir wichtig, was andere Menschen von mir denken? Warum ist es mir wichtig, was andere Menschen von mir denken? Will ich, dass andere Menschen mich mögen? Will ich, dass alle Menschen mich mögen? Reicht es mir, dass nur meine Familie mich mag? Warum will ich, dass andere Menschen mich mögen? Warum ist mir die Meinung anderer Menschen wichtig? Warum bin ich froh, einen besten Freund oder eine beste Freundin zu haben? Warum brauche ich einen besten Freund oder eine beste Freundin? Will ich nicht alleine sein? Warum will ich nicht alleine sein? Was macht mir beim Alleinsein zu schaffen? Warum bin ich gerne alleine? Ist es ein Problem, wenn ich gerne alleine bin? Kann es mal zum Problem werden, dass ich gerne alleine bin? Warum fällt es mir schwer, über meine Gefühle zu reden? Ist es wichtig, dass ich über meine Gefühle rede? Kenne ich meine Gefühle überhaupt? Für wen ist es wichtig, dass ich über meine Gefühle rede? Spielen Gefühle in meinem Leben überhaupt eine Rolle? Müssen Gefühle in meinem Leben eine Rolle spielen? Warum will ich, dass andere Menschen von meinen Leistungen und Erfolgen erfahren? Warum will ich die Anerkennung der anderen Menschen? Warum will ich die Aufmerksamkeit der anderen Menschen? Warum ist es mir wichtig, dass sich alles um mich dreht? Warum ist es ein Problem für mich, wenn sich nicht alles um mich dreht? Warum will ich im Mittelpunkt stehen? Warum bin ich der Meinung, dass ich es verdient habe, im Mittelpunkt zu stehen? Warum habe ich überhaupt irgendwas verdient? Warum muss man sich überhaupt irgendwas verdienen? Warum ist mein Äußeres dafür ausschlaggebend, ob ich mich wohlfühle? Warum lege ich so viel Wert auf mein Äußeres? Warum interessiert mich mein Äußeres überhaupt nicht? Warum habe ich Vorurteile? Warum kann ich meine Vorurteile nicht beiseitelegen? Warum glaube ich, dass meine Vorurteile der Wahrheit entsprechen? Warum bin ich der Meinung, dass ich alles weiß? Warum bin ich der Meinung, dass das, was ich weiß, auch wirklich der Wahrheit entspricht? Warum kann es nicht sein, dass mein Bild von der anderen Person komplett falsch ist? Warum kann es nicht sein, dass die andere Person, die viel jünger ist als ich, viel mehr weiß als ich? Warum kann ich mir nicht eingestehen, dass ich falschliege? Warum liege ich so oft falsch? Warum habe ich Angst davor, wirklich blöd zu sein? Warum kann ich nicht einfach die Realität akzeptieren? Warum kann ich nicht einfach meine Vergangenheit akzeptieren? Warum kann ich nicht für meine Entscheidungen einstehen? Warum verstecke ich mich, wenn ich etwas Falsches gemacht habe? Warum will ich nicht für meine Fehler geradestehen? Warum muss ich das Gefühl haben, dass ich besser bin als jemand anderes? Warum kann ich mir nicht selber vertrauen? Warum kann ich nicht das Vertrauen, dass ich in Gott stecke, auch in mich selber stecken? Warum glaube ich, dass es einen Gott gibt? Warum will ich, dass es einen Gott gibt? Warum funktioniert eine Welt ohne Gott nicht für mich? Wäre es ein Problem für mich, wenn es wirklich keinen Gott geben würde? Warum erreiche ich meine Ziele nicht? Warum habe ich überhaupt Ziele? Warum bin ich traurig, wenn ich meine Ziele nicht erreiche? Bin ich traurig, weil ich meine Ziele nicht erreiche, oder wütend, weil ich nicht alles für meine Ziele getan habe? Warum finde ich immer eine Ausrede für meine Faulheit? Warum kann ich nicht die notwendige Disziplin aufbringen? Warum schaffe ich es nicht, ehrlich zu mir zu sein? Warum lüge ich mich selber an? Warum lüge ich andere Menschen an? Warum sehe ich einen Fehler immer nur in der anderen Person? Warum glaube ich, dass ich schlau bin? Was bedeutet das überhaupt, wenn man schlau ist? Warum verlange ich von anderen mehr, als von mir selber? Warum fällt es mir schwer, Hilfe anzunehmen? Warum fällt es mir schwer, um Hilfe zu bitten? Warum habe ich mir bis jetzt über all diese Fragen noch keine Gedanken gemacht? Warum weiß ich die Antwort auf viele dieser Fragen nicht? Will ich die Antwort vieler dieser Fragen gar nicht wissen? Warum will ich die Antwort vieler dieser Fragen gar nicht wissen?

    Das ist nur ein winziger Bruchteil der Fragen, die man sich aus meiner Sicht stellen sollte und die ich mir gestellt habe. Und jede einzelne dieser Fragen habe ich mir selber beantwortet. Ich habe nicht irgendwelche Antworten oder Weisheiten auf diese Fragen im Internet gesucht, sondern mir jede einzelne Frage solange gestellt, bis ich mir selber eine ehrliche Antwort darauf geben konnte. Und wenn die Antwort nicht schlüssig war und wieder neue Fragen aufgeworfen hat, dann habe ich mir auch diese Fragen beantwortet. Das Spiel kann man sehr, sehr lange spielen und es gibt unzählige Fragen. Manche sind einfach zu beantworten, manche erfordern etwas Nachdenkzeit, von manchen Fragen will man die Antwort gar nicht wissen und beim Großteil der Fragen ist die Antwort schmerzhaft. Dieses Spiel spiele ich immer noch. Seit ich damit angefangen habe, habe ich nicht mehr damit aufgehört.

    Jetzt wird sich bestimmt der eine oder andere fragen, für was das denn gut sein soll. Diese Frage wird sich beim ehrlichen Beantworten der Fragen von selber beantworten. Und falls jemand denkt, dass das doch überflüssig sei, dann ist das auch eine Antwort, nur eben eine andere

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