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Näsdla oder ein Herbst ohne Herbstzeitlosen: Roman, mit lauter Stimme zu lesen
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eBook228 Seiten3 Stunden

Näsdla oder ein Herbst ohne Herbstzeitlosen: Roman, mit lauter Stimme zu lesen

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Über dieses E-Book

Der französische Autor Louis Schittly, Arzt und Schriftsteller aus dem elsässischen Sundgau und Mitbegründer (mit Bernard Kouchner u.a.) der "Ärzte ohne Grenzen", hat in vielen humanitären Einsätzen in Afrika und Asien erlebt, wie weltweit lokale und regionale bäuerliche Strukturen durch militärische und wirtschaftliche Konflikte zerstört werden. Diese Erfahrungen hat er auch literarisch verarbeitet.
Hier verweist Schittly in einem eng an tatsächliche Ereignisse angelehnten Roman, über seine eigene Bauernfamilie und sein Bauerndorf (Bernwiller) in mehreren Generationen beispielhaft auf die Gefahren dezentralisierter Macht- und Industriestrukturen: Lokale und regionale Umwelt und Kultur werden zunehmend zerstört oder eingeebnet. Schittly ruft damit eindringlich zur Rückbesinnung auf die natürlichen Lebensgrundlagen und zur Wiedergewinnung einer auf Freiheit und Gemeinschaft von Menschen gegründeten Lebenswelt auf.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum27. März 2019
ISBN9783748217923
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    Buchvorschau

    Näsdla oder ein Herbst ohne Herbstzeitlosen - Louis Schittly

    Vorwort zur Neuausgabe

    Neue Archen Noah erfinden

    von Louis Schittly

    Dieser Roman wurde 1976 geschrieben, ein paar Jahre nach meinen humanitären Reisen in Kriegsländer: Biafra, Vietnam. Ich hatte das Bedürfnis, diese Bilder zu verdauen, die Bilder von Kinderleichen, jenen, die an Hunger gestorben waren, jenen, die von Minen, von Raketen und von Bomben in Stücke gerissen waren. In den Monaten nach meiner Rückkehr zu Hause im Elsass ließ mich noch jeden Lärm von Hubschraubern und Düsenjägern über das Dorf sofort auf den Boden abtauchen, wie es üblich war für jedermann dort unten im Busch.

    Später kam langsam die Zeit des Nachdenkens, sodann des Erstaunens über die Entdeckung, dass auch bei uns die Kleinbauernschaft verschwand. In Vietnam ist mir eines Tages, fast plötzlich, aufgefallen, dass die riesige Mehrheit unserer Kranken und Verwundeten Dorfbewohner waren wie ich selbst, auch schon in Biafra. Und ich entdeckte, dass es bei uns die große industrielle Maschine war, die tötete und die immer tötet. Eine ökonomische und kulturelle Tötung: Abwertung der landwirtschaftlichen Produkte, industrielle Fertigung der Produktionsmittel, Verschuldung, Enteignung der Böden und Schaffung einer unerschöpflichen Reserve an Arbeitskräften (oder an Soldaten, je nach Bedarf), dann das Auftreten einer neuen Religion (Opium): die Kultur, eingesetzt als Werkzeug zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung: Der Kirschbaum ist weder schuldig noch verantwortlich für den Menschen, der einen seiner Äste abschneidet, um seinen Nachbarn zu töten.

    Daher ist ist dieses Buch kein volkskundlicher oder ökomuseografischer Roman. Es war damals ein Alarmruf und ein Angstschrei, gerichtet an meine damaligen Zeitgenossen, die Kleinbauern der Mischkultur, von hier und anderswo, aus dem Elsass, der Auvergne, wie diejenigen von Mali, von Vietnam, Indien oder aus der Türkei, um ihnen zu sagen: „Hört nicht auf die Sirenen des Fortschritts; das ist eine tödliche Falle! Ihr habt Freiheit, Schönheit, Fülle. Stopft eure Ohren zu, wie einstmals Odysseus, sonst endet ihr im Käfig eingesperrt und unterjocht wie die Hühner in Legebatterien oder wie der fette Hund in der Fabel von La Fontaine „Der Wolf und der Hund".

    Meine Erde ist nicht die von Zola (La Terre – 1887), die Elend ohne Freude ist. Das bäuerliche Universum, von dem ich spreche, aus dem ich entstamme, das mich gelehrt hat, das Leben, die Freiheit und die Schönheit der Welt und der Menschen zu lieben, steht viel näher der Lebenswelt von Charles-Ferdinand Ramuz, von Jean Giono, von Ernst Wiechert (Die Jerominkinder), von Miguel Torga (Contos de Montanha/Erzählungen aus dem Gebirge), von John Steinbeck in Früchte des Zorns und von Mario Rigoni Stern.

    Die Erstausgabe dieses Romans, erschienen im Verlag Hortus Sundgauviae, war von René Ehni eingeleitet worden – das war, bevor er sich auf den Vornamen Nicolas orthodox taufen ließ –, danach war 1983 eine zweite Auflage erschienen, publiziert von Pierre Dadez in den Éditions du Rhin.

    Währenddessen ist die Entkulakisierung weiter vorangeschritten, sie hat sich sogar verschärft und verallgemeinert. Die endgültige Liquidierung der letzten überlebenden Ackerbauern des Paläolithikums, des Mesolithikums und der fünf ersten Jahrtausende des Neolithikums steht nahe bevor. Mein Buch hat also nichts bewirkt! Wenn man das nicht als Maßstab meiner Naivität nimmt … Denn ich hatte mir ja aufrichtig und ohne Arg eingebildet, ich könnte den Auslöschungsprozess ein wenig zügeln, wenigstens bei uns, bei mir, und aus diesem Grunde habe ich auch weitgehend meine Erstsprache, 's Alemannischa, verwendet, unsri Mundart, wie sie Nathan Katz nannte, der so schön in eben dieser Mundart dichtete. Ohne diesen Kinderglauben hätte ich es nicht geschrieben.

    Die Jahrzehnte sind vergangen. Ich beschäftigte mich nicht mehr mit meinem Näsdla. Ich habe ihn niemals wieder gelesen, aber nicht vergessen, insofern als der Herbst ohne Herbstzeitlosen jetzt da ist, mitten uns, bedrohlich.

    Und jetzt gibt es diese Krise da, überall, in der ganzen Welt, globalisierend … Aber Krise von wem, von was? Auf jeden Fall nicht für jedermann. Tatsächlich läuft für unsere Waffenhändler alles sehr gut.

    Gérard Biard schreibt im Charlie Hebdo, Frühjahr 2011:

    „Internationaler Handel: strahlende Zukunft.

    Es ist keine Überraschung: die Waffenindustrie ist von der Wirtschaftskrise nicht betroffen. Nach dem Stockholmer Peace Research Institute (SIPRI) wurden 411 Milliarden Dollar für Käufe verschiedenster Waffen weltweit im Jahr 2010 weltweit ausgegeben. Ohne die von China und Russland getätigten Käufe einzurechnen – entschuldigen Sie diese kleine Ungenauigkeit –, die das Institut auf Grund ihres Mangels an Transparenz aus seiner Untersuchung ausgeschlossen hat Eine globale Wirtschaftskrise führt leichter zu Aufruhr und zu Stadtguerillas als Tanztees, und so haben die Waffenhändler allen Grund zum Optimismus, was ihre Wachstumsperspektiven betrifft."

    Und in Le Canard enchaîné vom 13. Juni 2012:

    „Präsentiert die Gewehre

    Eurosatory, die erste weltweite Waffenmesse, die ihre Pforten gerade am 11. Jnui in Villepinte geöffnet hat, verspricht ein schöner Erfolg zu werden. Alle Waffenhändler des Planeten kommen, um ihre neuesten Funde auszustellen. Es sind mehr als 1400, neuer Rekord; und der neue Verteidigungsminister, Jean-Yves Le Drian, freut sich schon im Voraus: ʻWir haben ein großes industrielles Know-How, das von allen anerkannt wird, sowohl was die Bewaffnung als auch die Innovationsfähigkeit betrifft. Wir sind nicht Waffenhändler, sondern Partner.ʼ Das ist keine Stilfigur. Ist Frankreich nicht der viertgrößte Waffenexporteur in der Welt? Beträgt die Gesamtzahl der nationalen Verteidigungsausgaben zu Lande und in der Luft etwa nicht 5,32 Milliarden?"

    Also, wenn Sie Geld anzulegen haben, werden Sie wissen, wohin Sie gehen sollten.

    (…)

    Manche Leute könnten sich fragen: „Aber warum sollte man zu einer längst vergangenen Lebensweise zurückkehren? Wo doch unsere einzige Sorge das Cholesterin, das Übergewicht und das intensive Innenleben der Fußballspieler des PSG [FC Paris St Germain] ist? Schittly ist ein Nostalgiker, ein Archaiker, ein rückständiger Geist in seinem ‚kleinen Umschlag’, wie Germain Muller das Elsass nannte. Der Altlinke ist reaktionär und zudem bigott geworden, ha, ha, ha!"

    Trotzdem muss man wohl sagen, dass eine Art Unruhe herumflattert oberhalb der Laufgitter der Hühner in Legebatterien, im wohlig warmen Bauch unserer schönen Titanic, und das trotz des permanenten Sportspektakels und des seltenen, aber erhabenen Glücks, wenn man miteinander auf die Straße läuft und gemeinsam schreit: „Wir haben gewonnen! Wir haben gewonnen!", den Schrei derer, die alles verloren haben.

    Aber um welche Unruhe handelt es sich? Wir haben Chefs, Banker, Atom-U-Boote, Sklaven, den Arsch und das Porno nach Belieben; und dann für den Rest … „Nach mir die Sintflut!"

    Aber wir haben auch Kinder, von denen viele von derartigen Sachen nichts wissen wollen; sie würden gerne etwas anderes essen als Fettes und Verdorbenes, und von einer Zukunft ohne Sintflut und ohne Leibeigenschaft träumen. Dasselbe Genre von Utopie wie das vom Wolf in der oben genannten Fabel: vielleicht mager, aber frei, und, falls nötig, „alles mit der Spitze des Schwertes", so wie eben dieser Wolf.

    Vorlaüfig, eingeklemmt in unserer traumhaftigen Titanic mit fünfzehn Etagen, sind wir, sie wie ich, beim Warten geplagt von der Perspektive des Eisbergs. Die Kapitäne der Titanic sehen die Eisberge niemals, sie soupieren bei Kerzenlicht und tanzen Walzer von Johann Strauß; und wennn das Unwahrscheinliche sich doch ereignen sollte, so würden sie, mit dem Revolver in der Faust, das letzte Rettungsboot requirieren, wie es seinerzeit dieser delikate britische Lord machte. Ich hoffe für sie, dass sie nicht vergessen werden, auf ihrer Flucht den allerletzten SammlerJäger-Fischer mitzunehmen oder den letzten Kleinbauern der Mischkultur: Sie wären die einzigen, die gerade ihnen zur Hilfe zu kommen verständen bei den primären Bedürfnissen von uns allen: etwas zum Trinken, zum Essen und zum Schutz vor Hitze und Kälte zu finden. Primum vivere, deinde philosophare [Erst leben, dann Philosophie treiben].

    Diese Neuauflage ist also ein Aufruf zur Desertion. Vor dem Zusammenstoß wird man Tausende von kleinen Archen Noah erfinden müssen.

    Flieht die Titanic! Und auch den Ozeandampfer namens Nation: Denn sich in einer Staatsnation einzusperren, heißt sich in einem Furunkel einzuschließen: Die Chrysanthemen von Verdun und vom Hartmannsweilerkopf bezeugen das so eindrücklich.

    Macht es wie unsere Urahnen im Paläolithikum, die 100.000 Jahre fortbestanden haben, und gut gelebt haben in Freiheit, Überfluss und Schönheit: Lernt wieder das Wildern, das Sammeln, das Fischen. Bestellt tausend kleine Gärten, lernt Feuer ohne Rauch zu machen, selbst im Regen, flieht die „große Armee" (Napoleon zog mit 550.000 Soldaten nach Russland, die 50.000 Überlebenden waren die Deserteure), organisiert euch! Lebt in kleinen Gruppen von menschlichem Ausmaß, nach geistiger Verwandtschaft.

    Gute Reise! Und hört nicht auf die Vernünftigen …

    Bernwiller, Dezember 2012

    VORWORT ZUR ERSTAUSGABE

    Eine Kindheit zu retten

    von René Ehni

    Éditions Hortus Sundgauviae

    Louis Schittly ist Arzt. Seine ärztliche Kunst hat er vor allem in Biafra und in Vietnam praktiziert. Ein Volk ist, dort, in der Angst, vernichtet zu werden. Einen Aufruf gibt es, dort, zur Menschlichkeit, auf die alle Menschen angewiesen sind: Man braucht Ärzte.

    Man braucht dort an den Plätzen, wo diese Völker ihr Leben aushauchen, keine Strategen gegen Krankheiten. Ihr Himmel ist bestückt vom schrecklichen Kugelhagel des fühlbarsten Fortschritts, der unserem industriellen Europa entsprungen ist. Kein Arzt auf der Welt kann einen Vernichtungskrieg medizinisch behandeln.

    Die Völker von Biafra und Vietnam haben in ihrer Angst, nur noch ein Schatten ohne Nachkommen zu sein, an den Arzt appelliert. „Retten Sie die Kinder! " Nun, aus Europa sind einige Ärzte hergekommen. Sie haben sich unter dem Himmel des Kugelregens vereint.

    „Ich habe Kinder gerettet! " Wenn das sanfte Bild des Pflegevaters einen Menschen bestimmt, zwischen Adoleszenz und Erwachsenenalter, darf man von ihm verlangen, dass er in seinem eigenen Land – und der Sundgau ist kaum kleiner als Biafra, und das Elsass kaum kleiner als Vietnam – ja, in seinem eigenen Land die rettende Tat vollbringt. Ja, hier, welche Kindheit ist zu retten!

    Das ist die Frage an den Dichter. Die Herausgeber des Hortus Sundgauviae wissen wohl, dass der Autor sich nicht auf ein „gutes Gefühl" gründet, sondern auf eine vollkommene Bewegung: das Leben retten. Diejenigen, welche Leben retten, sind für die Wortmeldung prädestiniert. Sie sind uns das Bild des fürsorglichen Menschen schuldig. In dieser Zeit, in der der elsässische Himmel ohne einen bedrohlichen Kugelhagel für unser Fleisch ist, ist der Kugelhaufen in unseren Köpfen gewaltig. Schittly in seiner Heimat, im Sundgau, sehr bedrängt von seiner Aufgabe, übt die Kunst des pharmakos – des griechischen Heilkundigen, des Erzählers, des Dichters – aus zum Wohl der Kindheit in jedem von uns.

    Zum leichteren Verständnis der elsässischen Dialoge sind dem Buchtext ein kleines Glossar sowie einige kurze erläuternde Zusätze in [ ] beigefügt. Zur Schreibweise: In den Dialogen wird mit „é ein zwischen „e und „i gelegener Zwischenvokal bezeichnet, mit „à ein dumpfes, nicht nasaliertes „a".

    Die Fotos zur Illustration der landwirtschaftlichen Arbeiten, insbesondere bei der Ernte, auf dem Hof der Familie Bischoff (im Roman: Birkhoff) entstammen dem Privatbesitz des Autors. Das Personenfoto in Kap. 7 stellt die Akteure dieses Kapitels dar: (von links) der Großvater (Papepa) und die Buben Luc, Pooli und Marc, dahinter ihr Vater Jean-Pierre, der Bruder des Autors. (Anm.d.Übers.)

    1

    Der Hof des alten Birkhoff

    Es ist sehr heiß in diesem Sommer. Das Heu ist fast ganz eingebracht. Seit mehr als einem Monat hat es nicht geregnet. Es ist so heiß, dass sogar die Elstern auf dem Baum hinter der Scheune und der Rabe, den Näsdla seit zwei Monaten aufzieht, dass sogar sie den Schnabel nicht mehr schließen: Sie hecheln wie Hunde, sa lalla wia na Hund!

    Schágala bleibt den ganzen Tag im Schatten in dem schwachen Luftzug zwischen Pferdestall und Scheune; er hält sich da unbeweglich an einer Sprosse der Leiter fest, der großen, der für den Kirschbaum, den Schnabel halb offen, um Luft zu suchen, die Flügel ein wenig vom Körper abstehend, als wolle er losfliegen … Aber er wird nicht davonfliegen. Er ist noch zu jung zum Fliegen. Außerdem, züadam, hat ihm Näsdla die Federspitzen am linken Flügel gestutzt, damit er nicht fliegen kann. Er hält seine Flügel vom Körper entfernt, damit ein wenig Luft herankommt, um seine Federn zu erfrischen, so heiß ist es diesen Sommer in Bernwiller. Em Näsdla si Gràp lallt

    Nach dem Mittagessen sind alle Hausbewohner hinter den kühlen Fensterläden, die schon seit dem Morgen geschlossen sind, eingenickt. Jeder in seinem Halbschatten. Die Mutter und die Goda machen sich noch in der Küche zu schaffen; sie müssen heute Nachmittag nicht auf die Wiese gehen: Es gibt genug Leute auf dem Hof … uf'm Hof … in diesem Julimonat bei dem alten Birkhoff, dem Vater von Näsdla.

    Die ganze Familie ist da. Zunächst die, die immer da sind: die Mutter, die Goda, der Vater, Nästi, unser Hofknecht, der Welter Louis, der fast immer mit uns arbeitet; als Gegenleistung kümmern sich alle aus dem Haus um seine vier Hektar: Er isst hier, wenn er hier arbeitet, auch an Sonntagen und Feiertagen. Das ist der Nachbar, der Nochbür, der Bauer, der am nächsten ist, er lebt mit seiner Schwester, die auch ledig ist: Er hat seinen kleinen Hof, a Hefla, das heißt; sein Haus, seine Scheune und seinen Stall mit zwei Kühen, einer Färse und einem Kalb, aber er hat weder Pferde noch Maschinen, also arbeitet man zusammen.

    Diese fünf sind also das Haus, der Bestand des „Wir" in diesem Haus, in diesem Hof. Aber der Hof ist vor allem das, was den Hof umgibt: das Haus, die Scheune und die Schuppen, der Kuhstall und der Pferdestall, der Schweinestall, der Obstgarten und der Gemüsegarten; der Hof, das sind aber auch diejenigen, die dort leben. „Von welchem Hof bist du? Cesarhof, Windhof, Jerumshof? Dem vom César oder dem vom Jérôme?"

    Auf dem Hof des alten Birkhoff sind gerade alle zum Heuen da, und auch alle Kinder. Der Älteste, Joseph, ist auf Landurlaub in seiner Matrosenuniform: Ein Matrose in den Hügeln von Bernwiller, wo der Bach einen Meter breit ist, sich manchmal zwei herausnimmt, das ist so, wie wenn sich ein Paradiesvogel auf dem Elsternnest im Birnbaum niederließe!

    Maria ist die älteste von den Mädchen; sie ist auch da, weil Sommer ist. Ihr Nonnenpensionat in der Wallonie hat wegen des Krieges, über den man spricht, seine Türen geschlossen. Sie ist achtzehn Jahre alt. Jeden Sommer, am Anfang der Ferien, scheint sie nach den elsässischen Worten zu suchen, in der Küche spricht sie Französisch für sich alleine! Mit eleganter halblauter Stimme unterhält sie sich mit sich selbst im Französisch der Wallonie über höhere und vornehmere Themen als die üblichen und dazu noch elsässischen Gespräche …, bis sie die Goda, die Taufpatin, wieder vor den Spültisch und das Geschirr, das abgewaschen und abgetrocknet werden muss, hinschiebt: „Auf Französisch oder Elsässisch, awr nit wia na Waschlumba! Maria trällert innerlich das Lied „Sauvez Rome et la France [„Befreit Rom und Frankreich": Einweihungslied für die Basilika Sacré Cœur in Paris 1891]. Sie wird aber ihre Sprache wiederfinden, indem sie ihren Platz und ihre Aufgaben auf dem Hof wiederfindet.

    Näsdla ist fünfzehn Jahre alt, er ist das dritte von den Kindern. Er hat die Volksschule seit einem Jahr verlassen, welch ein Glück! Aber er hat ein zusätzliches Jahr in Lièpvre verbringen müssen, bei den Welschen, bei der Tante Victoire und dem alten Abbé Legay. Die Tage verstrichen dort mit Nichtstun, nichts, was ihn wirklich interessierte, ein Jahr Gefängnis, mit Unterricht in irgendwelchen Sachen, mit Diktaten auf Französisch, mit artigen Spaziergängen, einen Meter vor der Tante. Ein Jahr, wo man sich bei Tisch so verhielt, wie das kein Mensch in Bernwiller tat, natürlich außer seiner Mutter, aber die hatte niemals von jemand verlangt, dass man sie nachahme.

    „Ernest, die französische Sprache ist die edelste Sprache der Welt!" – Das war das Leitmotiv von Tante Victoire für jedes vergessene s, für jedes t, das als d hingeschrieben wurde. All diese Feinheiten gingen ihm durch die Knie in den Kopf hinein: Die Fehler der Orthographie wie die des Benehmens und der Disziplin werden mit zwanzig Vaterunsern bestraft; die muss er im Schatten der Linde zwischen den beiden Korbsesseln der Tante und des alten blinden Abbé Legay im Kieselgrund des Gartens kniend rezitieren. Im Schatten der Linde … Hinten im Garten ist die Mauer nur zwei Meter hoch; der Wald und die Wiesen und der Berg erinnerten ihn an Bernwiller; er vergisst dia àlda Glugra mét sina „ Vive la France! "

    Der Abbé Legay selbst war voller Güte; ehemals war er Pfarrer in Bernwiller. Durch diesen vom Geist bewohnten Blinden hat Näsdla gleichwohl schöne Bilder von Frankreich, die in keiner Weise das verleugnen, was er an seinem Dorf liebt.

    In Bernwiller ist in diesem schönen Sommer das Haus voll von Leuten; es hat auch Kinder, die jünger als Näsdla sind: Victoire und Rosalie, Louis, Christine, Thiebaut und Henri, letzterer vier Jahre alt. Victoirla und Rosala sind fast Zwillinge, sie sind zwölf

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