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Jihad - Eine Ideologie des Todes
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eBook392 Seiten4 Stunden

Jihad - Eine Ideologie des Todes

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Über dieses E-Book

Der Autor untersucht die religiösen und politischen Ideologien des islamischen Fundamentalismus und des sogenannten "Islamischen Staates". Hierbei werden Grundtexte dieser hoch aggressiven Ideologie umfassend dargestellt, soweit sie aus dem Koran und den Hadithen abgeleitet werden. Es wird aufgezeigt, dass viele moderne Denkfiguren aus dem tradierten Islam stammen und lediglich in der Moderne reaktiviert werden. Dabei zeigt sich, dass der fundamentalistische Islam die Herausbildung einer kriegerischen Ideologie zum Ziel hat, die heute in vielen sozialen Netzwerken und in islamistischen Moscheen weltweit verbreitet wird. Der zweite Teil der wissenschaftlichen Analyse beleuchtet die Frage, wie die wehrhaften Demokratien in Europa dieser "Theologie des Todes" wirksam entgegentreten können. Westliche Gesellschaften sind genötigt, diese totalitären Lehren mit allen Mitteln abzuwehren, um eine Ausbreitung des jihadistischen Terrorismus in Europa zu verhindern. Abschließend wird gezeigt, wie liberale und lernbereite islamische Theologen in Europa um eine aufgeklärte, humane und sozial verträgliche Form des Islams ringen. Ein Islam europäischer Prägung scheint real möglich zu sein, wenn alle rationalen und politischen Kräfte dafür aufgewendet werden. Die kritische Philosophie hat hier ein großes Aufgabenfeld vor sich, dem sie sich mit Engagement stellen will. Mit einer kritischen Analyse, einer scharfen Ideologiekritik und einer rationalen Aufklärungsarbeit kann es gelingen, die "religiöse Zeitbombe" zu entschärfen und den sozial verträglichen Islam in Europa zu stärken.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum20. März 2020
ISBN9783347037861
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    Buchvorschau

    Jihad - Eine Ideologie des Todes - Markus Hahn

    Kapitel I – Grundfragen der Ideologien

    1.1. Der Begriff „Ideologie"

    Die vielfältigen Definitionen von „Ideologie machen eine Eingrenzung sowie eine Abgrenzung schwierig, besonders da die unterschiedlichen Disziplinen ihre jeweils eigene Bedeutungsdefinition entwickelt haben. Im Rahmen soll unter dem Begriff „Ideologie ein gedankliches Steuerungssystem zu standardisierten, aber auch zu individuellen Verhaltensweisen von Individuen verstanden werden⁵. Ein solches mentales Instrumentarium umfasst auch eine Verhaltenskontrolle über Wertvorstellungen des „Guten oder des „Bösen, was besonders hinsichtlich der religiösen und ideologischen Systeme von Bedeutung ist. Eine emotionale Verhaltenssteuerung ist ein erfolgreicher Mechanismus, der vor allem als Rekrutierungsinstrument von Anhängern Anwendung findet. Dabei werden durch Ideologen bestimmte Meinungen, Überzeugungen und Vorstellungen absolut gesetzt und als ein standardisiertes und alternativloses Verhaltensschema entwickelt. Auf der persönlichen Verhaltensebene wird das individuelle Verhalten an die standardisierten Schemata angepasst, sodass es zu einer Vereinheitlichung der Sympathisanten kommt. Damit wird versucht, die angestrebte Homogenität der ideologischen Weltanschauung zu erreichen. Ideologische Konzepte entwickeln sich immer wieder von Neuem und gewinnen Einfluss auf das politisch-gesellschaftliche Denken und Handeln von Gruppen und Gesellschaften. Das 21. Jahrhundert ist gekennzeichnet von einem Wiedererstarken einer religiösen Ideologie, die sich zu einem gesellschaftlichen Sprengkörper entwickelt.

    Zum ersten Mal fand der Begriff „Ideologie im 18. Jahrhundert in Frankreich Verwendung als eine erkenntnistheoretische Position. Der damals noch durchaus positiv gebrauchte Begriff wurde von den Denkern der Aufklärung als „Lehre von den Ideen verstanden. Der französische Philosoph Destutt de Tracy (1754-1836) gilt als Namensgeber. Seine Philosophie geht davon aus, dass jegliche Idee ihren Ursprung in der menschlichen Empfindung habe und daher eine Wissenschaft auf Basis sensualistischer Grundlage⁶ sei. Damit stellt die Wissenschaft der Ideen eine Grundlage für sämtliche wissenschaftliche Forschung da und ist folglich eine fundamentale Wissenschaft der Erkenntnisfähigkeit der Menschen. Destutt de Tracy versuchte, unter dem Einfluss des Positivismus eine neue wissenschaftliche Disziplin zu entwickeln, welche bemüht war, die Ideen der politischen Programme seiner Zeit zu erfassen. Sein Ziel war es, eine Methode zu entwickeln, welche objektive rationale Grundgedanken ermitteln kann, um auf dieser Basis ein entsprechendes politisches Programm zu entwerfen. Dadurch sollten rationale und objektive politische Programme realisiert werden können. Mit dem Vorwurf Napoleons (1769-1821), dass diese Philosophie weltfremd und für die politische Praxis untauglich sei⁷, bekam der Begriff der Ideologie eine negative Assoziation. Spätestens hier erfuhr er eine Wandlung zu einem politisch gebrauchten Begriff, um „weltanschauliche Programme zu umschreiben. Die Politisierung des Begriffes geschah vor allem durch Diffamierung von politischen Gegnern, indem das jeweils andere politische Programm als „ideologisch und daher als weltfremd und politisch untauglich bezeichnet wurde. Damit verbunden war auch der Vorwurf, dass die als ideologisch bezeichneten Konzepte idealistische und utopische Elemente enthielten. Durch diese Abwertung wurde vermittelt, dass das fremde Programm als falsch verstanden werden musste und somit zumindest einige Annahmen enthält, welche nicht wahrheitsgetreu, gut oder richtig sind.

    Der Begriff „Ideologie" wurde vor allem durch die kritische Auseinandersetzung von Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) mit den herrschenden sozialen Verhältnissen nicht nur neu belebt, sondern erfuhr auch eine Erweiterung der politischen Bedeutungsdimension. Es kommt nach Karl Marx in den Ideologien zu einem Täuschungsmanöver, unbewusst oder auch bewusst, über die realen Zustände der Gesellschaft. Die eigene Weltanschauung wird als die einzig richtige und wahre vertreten. Die Wahrheit oder Richtigkeit dieser Deutung wird aber nicht aus den fundamentalen Ideen der Weltanschauung entwickelt, sondern sie beruht vor allem auf so genanntem kaschiertem oder verschleiertem Wissen.⁸ Karl Marx und Friedrich Engels verdeutlichten, dass der Mensch ein Bedürfnis nach Illusion hat und eine lebhafte Wunschprojektion besitzt.⁹ Eben diese Projektionsfähigkeit der Menschen führte zur Ideologisierung vermeintlich religiöser Wahrheiten und Vorstellungen, indem diese als Wünsche in eine Götterwelt übertragen wurden, von wo sie als absolute Gesetzmäßigkeit auf die Menschheit wieder zurück geholt wurden. Damit verfestigten sich die mythischen Wunschprojektionen der Menschen als göttliche Wahrheiten. Das Bedürfnis der Erklärung der Welt und der Sinngebung des eigenen Lebens wurde durch die metaphysisch-göttliche Instanz gelöst.

    Das kaschierte oder verschleierte Wissen führt schnell zu machtpolitischen Strukturen und zu ideologisch-totalitären Konzepten, die eine beliebige Manipulation der herrschenden Meinungen und der verzerrenden Sachverhalte ermöglichen. Damit sind die herrschenden Meinungen und Ideen nicht nur das Produkt einer Gruppe, sondern die Gruppe wird auch zum Reproduktionsfaktor der herrschenden Ideen. Nach Karl Marx entwickelt sich das falsche Bewusstsein immer anhand sozialer und gesellschaftlicher Phänomene, es steht also direkt mit einer politischen Denklinie in Verbindung. Daher ist unser Bewusstsein interessensabhängig.¹⁰ Konkret richtet sich die Kritik von Karl Marx gegen die Meinung der herrschenden Klasse und impliziert, dass in dieser eine Mystifikation der realen Verhältnisse vorherrscht. Dabei bleiben die eigentlichen Triebkräfte der Meinungsbildner der Mehrheit einer Gesellschaft weitgehend unbekannt, sie sind ihnen gar nicht zugänglich. Da dieses falsche Bewusstsein nicht von den real existierenden Gegebenheiten herstammt, bleibt nur mehr eine ideelle, durch eine bestimmte Form des menschlichen Denkens als mögliche Quelle des politischen Bewusstseins übrig. Und eben diese Quelle ist nicht frei, sondern sie ist durch bestimmte Wertvorstellungen und politisch motivierte Inhalte determiniert.

    1.2. Ideologie als Weltanschauung

    Weltanschauungen bieten einen Orientierungs- und Handlungsrahmen, einen Sinnhorizont, einen Rechtfertigungsgrund für das Verhalten und einen erkenntnistheoretischen Rahmen. Ob es sich um Mythen, Religionen, Ideologien oder aufklärerische Ideen handelt, wir Menschen haben ein Bedürfnis nach Sinngebung unserer Welterfahrung und nach einer Rechtfertigung unseres Verhaltens und Handelns. Solche Konzepte befähigen uns dazu, dass wir uns eine Erklärung der Wirklichkeit zur Deutungsorientierung erschaffen, als emotionale Entlastungshilfe, zur Reduktion der sozialen Wirklichkeit oder als Integrationsfaktor beim Erleben der Gruppen und Gemeinschaften.¹¹ Als einer der ersten Denker wies wohl Francis Bacon (1561-1626) mit seiner Idolenlehre auf den Umstand der menschlichen Täuschungsinstrumente hin. Damit konnte er nachweisen, dass das menschliche Erkenntnisvermögen sich durch unterschiedliche psychologische Aspekte, gesellschaftliche Konventionen und Normen sowie durch Vorurteile und pseudowissenschaftliche Argumentationen täuschen lässt. Diese Anfälligkeit des menschlichen Geistes nutzen Ideologen zur Verführung durch ihre Programme und Lehrmeinungen mittels rhetorischer Überzeugungskraft geschickt aus.

    Eine Weltanschauung zeigt sich in den verschiedenen Formen von Mythen, Symbolen, religiösen Vorstellungen, Moralkonzepten, Weltbildern, Sprachspielen und gesellschaftlichen Institutionen. Solche Konzepte dienen auch als Kategorisierungsschemata zur Reduktion der sozialen Komplexität. Wir Menschen neigen allgemein dazu, auf die komplexen Vorgänge der Außenwelt mit vereinfachten Reaktionsstrukturen zu antworten. Das macht uns handlungsfähiger und leistungsstärker, um besonders in schwierigen Situationen effektiv agieren zu können. Diese Reaktionsmuster¹² ermöglichen es, die Komplexität der äußeren Phänomene in überschaubare Strukturen zu fassen. Es sind grundlegende Strukturen, welche dann als eine Basis unseres Verhaltens dienen. So lassen sich Menschen effektiv durch Wertvorstellungen und damit verbundenen typischen Verhaltensreaktionen steuern und lenken.

    Wir Menschen sind an bestimmte Überzeugungssysteme gebundene Lebewesen, durch die wir sozial steuerbar sind. Menschliche Handlungen sowie das Hervorbringen von Artefakten sind aus diesem System generell erklärbar.¹³ Damit sind bestimmte mögliche Verhaltensschemata durch die Identifikation der gelebten Weltsicht und Wertvorstellung durchaus ermittelbar. Die Erkenntnis der stereotypen Verhaltensweisen lässt sich zwar in der Analyse der grundlegenden Weltanschauung ermitteln, sie ist aber in Bezug auf konkretes situatives Verhalten der Einzelpersonen unsicher und bewegt sich im Rahmen von Wahrscheinlichkeiten. Die Annahme einer bestimmten Weltanschauung erhöht zwar die Wahrscheinlichkeit, gemäß den grundlegenden Lehren zu handeln, allerdings ist keine kausale Verkettung erkennbar. In einer herrschenden „Theologie des Todes" wird nicht jeder Sympathieträger quasi freiwillig zu einem Selbstmordattentäter. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit von zerstörerischen Tendenzen höher, weil die Bereitschaft und der Wille gegeben sind, und weil das soziale Umfeld solche Praktiken gutheißt und unterstützt.

    In der philosophischen Auseinandersetzung mit Ideologien als Weltanschauung werden vor allem die Ideen- und Wertsysteme analysiert, in die Menschen fest eingebunden sind. Es war Ernst Topitsch (1919-2003), der in diesem Zusammenhang darauf hinwies, dass ein Aufbrechen absoluter Wahrheitserkenntnisse und Weltsichten ein hohes Risikopotential birgt; er umschrieb es mit „Geborgenheit.¹⁴ Diese Geborgenheit wird durch die ideologische Zugehörigkeit zu einem fundamentalistischen System weitgehend realisiert. Damit bieten Ideologien jene emotionale Geborgenheit, die durch Rationalität und Aufklärung zum Teil zerbrochen wurde. Ideologische Konzepte tendieren damit zu einem Sammelbecken für „verlorene Seelen, die auf der Suche nach Halt und Sicherheit in einer sich verändernden Gesellschaft sind. Sie suchen hier, was die Gesellschaft ihnen nicht zu bieten vermag. In ideologischen Konzepten wird die soziale Einheit nach strengen Ritualen und Regeln deutlich zelebriert; jedes Mitglied, auch wenn es dem Kollektiv untergeordnet wird, wird zum wichtigen Bestandteil der Gruppe. Unter anderem auch aus diesem Grund heraus gelingt es der islamistischen Ideologie, nicht nur fixe Ankerpunkte und Lehren zu entwickeln, sondern auch Mitgliedern und Sympathisanten neue Aufgaben und eine soziale Stellung zu geben. Diese Sicherheit in der zerbrechlichen menschlichen Existenz ermöglicht einen neuen Sinnhorizont und extremistischen Wertewandel.

    1.3. Entstehung von Großideologien

    Politische Ideologien können hingegen nicht mehr als eine reine Weltanschauung begriffen werden, da sie eindeutige politischnormative Züge annehmen. Anders als bei Weltanschauungen zielen politische Ideologien durch standardisierte und vereinfachte Strukturen auf eine Klasse von politischen Sympathieträgern ab.¹⁵ Nationalsozialismus, Stalinismus oder Islamismus sind keine Weltanschauungen mehr, sondern politische Ideologien, die eine Großgruppe von Sympathieträgern benötigen. Ideologien im politischen Sinne übersteigen Weltanschauungen insofern, als sie ein starres Dogma aufstellen und damit politische Stützpfeiler der jeweiligen Gesellschaft oder Gemeinschaft sind. Wird im Folgenden von Islamismus, Faschismus oder Jihadismus gesprochen, sind darunter politische Großideologien zu verstehen. Fast jede Ideologie, welche eine scharfe Abgrenzung von „Fremden" implementiert, lässt sich wie in Europa auf die Entwicklung der manichäischen Heilslehren zurückführen. Obwohl diese Lehre von der Kirche als eine falsche religiöse Entwicklung verurteilt wurde, überlebten die Ideen der kontrastreichen Trennung von Gut und Böse, von Wahrheit und Lüge sowie von Licht und Finsternis bis in die heutige Zeit¹⁶ und fanden auch Eingang in das islamische Denken.

    Politische Ideologien entwickeln sich aus primären menschlich-biologischen Impulsen, Wertvorstellungen, Bedürfnissen und Trieben, welche aus dem sub- oder prärationalen Bereich stammen und auf eine höhere und geistige Ebene gelenkt werden. Diese Ebene drückt sich vor allem dadurch aus, dass hier soziale Reflexionen und tiefergehende interpsychische Prozesse ablaufen können. Während die individuellen Impulse unreflektiert, spontan und willkürlich auftreten, finden die politischen Auseinandersetzungen mit diesen Impulsen auf einer weitgehend reflektierten Ebene statt. Dort manifestieren sich Ideologien als konkrete Ideen, Absichten, Pläne oder Maßnahmen, sie rationalisieren und systematisieren sich als ein endgültiges politisches Programm. Solche Konzepte sind der Gesellschaft zugrundeliegende, auf die politische Klasse der Bürger zugeschnittene Ideen- und Gedankensysteme, die nicht mehr auf das Individuum begrenzt sind und eindeutiges politisches Veränderungspotential aufweisen. Weltanschauungskonzepte hingegen bewegen sich vor allem in Erkenntnis- und Interpretationsleistungen, ideologische Konzepte entwickeln daraus absolute politische Lehrmeinungen. Das ist auch das Unterscheidungsmerkmal zwischen Ideologie als Weltanschauung und Ideologie als politischem Programm. In der Folge wird unter dem Begriff Ideologie ein politisches Programm verstanden. Solche Ideologien sind Denk- und Weltdeutungssysteme, die vom Machtstreben der Vertreter genährt werden.¹⁷ Darin sind bestimmte als wahr, richtig oder gut postulierte Aussagen, Meinungen, Erkenntnisse und Deutungen impliziert, welche von den Vertretern als alternativlos propagiert werden. Es handelt sich dabei keineswegs um neutrale, intellektuelle oder philosophische Entwürfe, sondern um politisch hoch wirksame Denksysteme. Sobald ein solches Konzept politische Tendenzen annimmt und damit auf eine Vielzahl von Sympathieträgern angewiesen ist und absolute Geltungsansprüche erhebt, handelt es sich um eine politische Ideologie. Durch eine Erweiterung der Weltanschauung mit einem Bündel von Meinungen, Aussagensätzen, emotionalisierten Phrasen, Erkenntnisleistungen, gemeinsamem Sinnhorizont und Zielformulierungen sowie durch messianische Bestrebungen entstehen Ideologien als politische Systeme.

    Eine politische Ideologie oder Großideologie lässt sich aber nicht erklären, wenn nicht als Hintergrund ein starkes Machtstreben bei bestimmten Gruppen als auch bei Einzelpersonen vorhanden ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein gewisser Machttrieb unterschiedlichen Ausprägungen in jedem Menschen zu finden ist. Dieses Machtbedürfnis lässt sich vermutlich in einem uralten Streben des Menschen finden, die Außenwelt gemäß der eigenen Vorstellung zu gestalten und das Gegebene mit dem Gewollten in Einklang zu bringen. Somit gehört dieses Machtstreben zum psychogenetischen Erbe der Menschen, mit dem sie zu leben lernen mussten. Im Sinne Sigmund Freuds¹⁸ (1856-1939) müssen die Menschen durch gesellschaftliche Adaptionen und Vertröstungen ihrer Triebkräfte, ihre Vorstellungen, ihre „Leiderfahrungen" kompensieren und umlenken. Der westlichen Gesellschaft ist es in vielen Bereichen gelungen, Triebumlenkungen zu erreichen und die sexuelle Energie zu sublimieren. In den islamisch-arabischen Ländern fehlen häufig solche Strategien, sodass Reaktionen vor allem auf einer emotionalen Ebene ablaufen. Die entsprechenden Kontrollmechanismen sind in diesem Kulturraum weniger ausgereift. Mitglieder eines solchen Kulturraumes sind durchaus anfälliger für emotionale Argumentationsketten und können schneller mit Gewalt auf unerwünschte Entwicklungen reagieren.

    Herrschaft und Machtstreben hängen sehr eng mit politischen Ideologien zusammen, aber nicht jede politische Macht wird ideologisch begründet. Hier müssen die legitimen von den illegitimen Machtansprüchen getrennt werden. Politische Macht vereint mit politischer Vernunft und begründetem Konsens stellt die legitime Form der Herrschaft dar. Sie wird in Demokratien nicht vererbt, installiert oder durch bestimmte soziale Stellungen gerechtfertigt, sondern sie wird in legalen und fairen Wahlverfahren ermittelt und verteilt. Eine solche Herrschaft ist als anerkannte und legitime Zuordnung von Machtfaktoren an Personen und Gruppen und als Regulativ sowie als Ordnungsfaktor zu begreifen. Hingegen ist die religiös und ideologisch begründete Herrschaft, die sich auf metaphysische Instanzen der Rechtfertigungs- und Legitimationsbasis beruft, im westlichen Sinne eine illegitime und irrationale Macht und Herrschaft. Bei einer religiösen Rechtfertigung liegt die Letztbegründung nicht im Bereich des Volkes, sondern in der Existenz einer übernatürlichen Wesenheit oder Gottheit. Herrschaft ohne legale Legitimation durch das Volk oder mit erzwungener Legitimierung stellt sich in der Regel als ideologische Macht heraus. Sie ist immer mit psychischen Vorstellungen eng verbunden, die unterschiedliche Machstrukturen anspricht und oftmals mit Gewalt durchgesetzt wird. Macht einer Einzelperson wird oftmals in Verbindung mit materieller Erfüllung, aber auch mit innerer Trieberfüllung betrachtet.¹⁹ Zu einer Herrschaft gehören auch Ruhm, politischer und gesellschaftlicher Einfluss, Dominanz, Anerkennung, Bewunderung und im extremen Fall auch das Ausleben von Perversität und sexuellen Trieben. Auch das Gefühl, gehasst und verachtet zu werden stellt oft einen negativen Machtfaktor dar. Macht kann in diesem Sinne als eine Fähigkeit begriffen werden um die eigenen Wünsche und Bedürfnisse durchzusetzen und auf andere Personen einzuwirken, sich dem Willen unterzuordnen. Ist der Machttrieb stark ausgebildet und verbindet er sich mit missionarischen, revolutionären, imperialistischen oder utopischen Ideen und Idealen, dann stechen bestimmten „Machtmenschen" meist deutlich hervor, wie etwa Adolf Hitler, Stalin, Napoleon oder auch Nero. Das gilt auch für Abu Bakr al-Baghdadi als den selbst ernannten Kalifen des „Islamischen Staates". Aus diesem Verständnis der Macht und Herrschaft lässt sich eine Erklärung der Mitgliedschaft bei Terrorgruppen geben. Eine Herrschaft stellt das Führen einer untergeordneten oder unterworfenen Gruppe dar. Das Ausüben von Machtpositionen ist oft verbunden mit erotischen Inhalten und der Ausübung von Gewalt als Ausdruck der Macht der herrschenden Elite. Weibliche Sympathisanten sind auf der Suche nach dem neuen Helden, nach dem Ideal der starken Männlichkeit. Männliche Jihadisten leben ihre pervertierte Machtstellung aus und töten, misshandeln und missbrauchen Unschuldige. Der neue Anti-Held, wie ihn Jürgen Manemann beschrieb, ist charakterisiert durch die Umwertung aller Werte.²⁰ Durch die Fokussierung auf das Anwenden von Gewalt und das Töten Ungläubiger wird die eigene Existenz transzendiert. Statt dem helfendem Wertideal der Mitmenschlichkeit zu folgen, wird eine vernichtende, ideologisch und religiös geforderte Gewaltanwendung und die Vernichtung der Ungläubigen zelebriert. Der daraus entstehende Terrorismus stellt die Zuspitzung der Provokation der Macht durch die Absolutsetzung der tradierten Werte und Vorstellungen dar. Herrschaft und Machterhaltung werden nicht durch Dialog, Überzeugungsarbeit und Zustimmung erreicht, sondern durch Töten und Vernichten der „Feinde. Hier sind die Mechanismen einer potentiellen Massenvernichtung, einer gezielten terroristischen Vernichtung „unwerten Lebens verankert. Großideologien können unter dem Gesagten als soziopolitische Konzepte gesehen werden, die zur Gewaltausübung und Unterdrückung tendieren.

    Das 19. Jahrhundert war vor allem von der Ideologie des Nationalismus gekennzeichnet. Die Ideologie fußt auf der Idee, dass eine Gemeinschaft von Menschen aufgrund bestimmter Gemeinsamkeiten, wie die Zugehörigkeit zu einem Sprachraum, zu einer Kultur oder zu einer politischen Einheit eine Nation bildet. In Europa wurde die Idee des Nationalstaates teilweise mit kriegerischen Mitteln umgesetzt und mündete in den nationalsozialistischen Faschismus. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde zum zentralen politischen Programm der nationalen Bewegungen. Aus der Ideologie des Nationalismus entwickelte sich schnell die Vorstellung der biologischkulturellen Überlegenheit einer Rasse. Das arische Volk wurde in der Ideologie Adolf Hitlers von Gott als das führende Volk ausgesucht, daher durfte nicht zugelassen werden, dass andere Kulturen die Vormachtstellung hatten.²¹ Diese Vorstellung der Überlegenheit der auserwählten Klasse und das Selbstbestimmungsrecht sind auch Teil des argumentativen Narratives des Islamismus. Politische Ideologien dienen dazu, Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu begründen und aufrechtzuerhalten. Dazu braucht es eine Festsetzung und Propagierung allgemeiner und absoluter Werte, sowie einer Selbstverständlichkeit der Anwendung und Durchsetzung dieser Ansprüche. Unterstützt wird dieser Prozess von einer starken Mystifizierung früherer Ideale und einer Verzerrung aktueller Lebensentwürfe, sodass keine Alternative zum ideologischen Lehrgerüst bestehen kann. Die Bereitschaft, die eigene Ideologie zu leben, variiert aber stark. Menschen können zwar bestimmte Ideologien akzeptieren, als gut befinden, sogar als lebenswert halten, müssen diese aber nicht zwangsläufig auch konsequent ausleben. Andere Anhänger hingegen sind so überzeugt, dass alternative Interpretationen nicht akzeptiert werden²² und der Kampf für die Realisierung intensiviert wird. Setzt sich die Vorstellung durch, dass nur die eigenen Ideen und Werte wahr und richtig sind, dann können daraus ein Flächenbrand, ein Kulturkrieg und gewaltbereite Aktionen entstehen. Die vermeintliche moralische Überlegenheit animiert Sympathisanten, ihre Konzepte gegen den Willen der Mehrheitsgesellschaft durchzusetzen. In jeder Ideologie gibt es bestimmte Wertannahmen, Weltbilder und Lehrmeinungen, aus denen dann in weiterer Folge bestimmte soziopolitische Programme abgeleitet werden. Das Bestreben, eine Gesellschaft gemäß einer herrschenden Ideologie zu verändern, verführt schnell dazu, Annahmen einfach hinzunehmen, damit die Veränderungen so schnell wie möglich erreicht werden können. Dazu kann auch die Anwendung von Gewalt und letztlich Terrorismus als ein legitimes strategisches Mittel gehören.

    1.4. Strukturen ideologischer Systeme

    Ideologisch wird ein politisches System dann, wenn es nach einem absoluten und bipolaren Deutungsschema²³ aufgebaut ist. Sämtliche Großideologien sind nach immer wiederkehrenden Prinzipen gestaltet, wobei die Komplexität und das Zusammenspiel der einzelnen Elemente, sowie die Verarbeitung und Interpretation der Einflüsse, sich unterscheiden. Es handelt sich grundsätzlich um eine totalitäre Informationsverarbeitung der äußeren und inneren Einflüsse. Ein weiteres Element ist ein bestimmtes Verhaltensmuster, welches in einem direkten Zusammenhang mit den sozialen Einflüssen steht. In ideologischen Systemen wird vor allem emotiv argumentiert, in dem an bestimmte latent vorhandene Denkmuster und dichotome Wertvorstellungen angedockt wird. Dieses Instrument der Verhaltenssteuerung der Mitglieder umschrieb Ernst Topitsch mit dem Begriff plurifunktionale Führungssysteme.²⁴ Die präziseste Ausgestaltung der evolutionär entwickelten Orientierungssysteme lässt sich beim aufgeklärten Menschen finden, wobei aber hier noch viele triebhafte und unreflektierte Verhaltensweisen wirksam bleiben. Besonders hier setzen Ideologen an und können erfolgreich ihre Lehren verbreiten.

    Ein weiteres universelles Merkmal ideologischer Gruppen liegt in dem Sonderinteresse einer Klasse, einer Gemeinschaft oder Gruppe²⁵, und den daraus resultierenden Verhaltensweisen. Das können einfache Reaktionsmuster sein, wie der Rückzug aus der Mehrheitsgesellschaft bis hin zur Ausbildung militärischer Strukturen, mit dem Ziel, durch terroristische Aktionen gesellschaftliche Veränderungen zu erzwingen. Solche Gruppen erklären, ihr Sonderinteresse, das sich gegen die Mehrheit der Interessen der Gesellschaft richtet, sei allgemeingültig und daher durchzusetzen. Oder sie behaupten, ihre Anliegen seien die herrschenden Anliegen der Gesellschaft, während ihre Gegner ein falsches Bewusstsein besitzen. Beide Ansätze sind empirisch nicht begründbar. Hier werden bestimmte Sachzwänge und vorgefertigte Meinungen als notwendig Elemente der Weltanschauung verbreitet. Das wird besonders dann deutlich, wenn es zu einem Dialog mit Andersdenkenden kommen soll. Öffentliche Debatten über herrschende Werte und Wertkonstellationen sowie eine kritische Analyse dieser Wertvorstellungen werden systematisch unterdrückt und durch Immunisierungsstrategien erfolgreich verhindert.

    Mit dem Sonderinteresse verbunden ist die Legitimation der herrschenden Klasse, Gruppe, Gemeinschaft oder Nation²⁶. Dabei wird besonders auf die Exklusivität der eigenen Gruppe hingewiesen. Der fundamentalistisch geprägte Islam sieht sich weltweit als die herrschende Klasse. Der Herrschaftsauftrag stammt vom Weltgott Allah, welcher sich an gläubige Muslime richtet und nicht an die säkularisierte westliche Welt. Die erhöhte Machtposition des Islams sei nach der islamistischen Interpretation bereits im Koran festgehalten. Denn dort wird die islamische Gemeinschaft als die beste Gemeinschaft beschrieben.²⁷ Aus diesem Verständnis heraus lässt sich dann in weiterer Folge die Rechtfertigung der Errichtung eines gegen die Werte des Westens ausgerichteten Kalifats ableiten. Die Überlegenheit dieser politischen Klasse beruht nicht auf real existierenden biologischen, sozialen oder technischen Gegebenheiten, sondern allein auf dem Auftrag durch den Propheten Mohammed. Die Legitimation der ideologischen Weltanschauung fußt daher in einer metaphysischen Welt.

    Um eine einheitliche politische Bewegung erreichen zu können, bedarf es der Universalisierung von Überzeugungen, welche vor allem durch mythische Lehren abgesichert werden.²⁸ Diese einheitliche Überzeugung kann durchaus einem wissenschaftlichen Rahmen genügen, denn sie enthält neben einem mythologischen Kern auch viele pseudowissenschaftliche und kryptische Aussagen. Mit solchen Erkenntnissen hängt eng zusammen, dass die Interpretation von politischem Wissen, besonders wenn es sich um traditionell überliefertes dogmatisches Wissen handelt, in einer exklusiven und kleinen Gruppe liegt. Auf diese Weise tendiert das Hoheitsrecht der Interpretation und der Erschaffung von kollektiven Überzeugungen für alle Mitglieder zu einer kleinen ausgewählten Gruppe. Die Interpretation der ideologischen Inhalte des „Islamischen Staates" liegt in erster Linie bei dem selbst ernannten Kalifen und seinem Propagandasystem. Damit gehen von dieser Gruppe auch die Androhung und Anwendung von Gewalt aus, die propagierten Überzeugungen zu akzeptieren und bedingungslos zu glauben. Es kann in einem solchen totalitären System keinen offenen philosophischen Dialog geben. Eine solche exklusive Gruppe entscheidet autoritär nach selbstgesetzten Maßstäben, welche Aussagen zum Kern und welche zum Randbezirk der Ideologie gehören, und welche als falsch ausgeschlossen werden.

    Das bedingt die Einrichtung und den Ausbau eines Propagandasystems²⁹ zum Zweck, die öffentliche Meinung zu manipulieren und in der Folge weitere Mitglieder zu rekrutieren. Es kommt der internen Logik gleich, wenn die Ideologieträger bemüht sind, durch die Verbreitung der Lehrmeinungen und der vermeintlich richtigen Werten die Anzahl der Sympathieträger nicht nur zu halten, sondern zu erweitern. Die Verbreitung der Inhalte erfolgt über die unterschiedlichen Mittel und Methoden der sprachlichen Ausdrucksweise. Als Transportmittel dienen die unterschiedlichen Medien, mit einer starken Präferenz der sozialen Netzwerke. Die verbreiteten Zeichen und Symbole müssen aber nicht nur vom Sender, sondern auch von einem weit entfernten Empfänger verstanden werden; das kann schwierig werden, wenn der Sender und der Empfänger in unterschiedlichen kulturellen, sprachlichen und gesellschaftlichen Gemeinschaften leben. Das Verstehen von Symbolen und sprachlichen Ausdrücke kann hier also vor allem als ein Interpretieren verstanden werden.³⁰ Durch die zunehmende Anonymität der Botschaft durch die Medien, und vor allem durch das Fehlen von direkten Rückkoppelungssystemen des Empfängers an die Autoren, ist die Gefahr der Verzerrung sehr groß. Sie nimmt tendenziell besonders im Bereich der sozialen Medien weiterhin zu, da hier die Deutungshoheit pluralistisch ausgeprägt ist. Bestimmte Wahrnehmungs- und Selektionsfilter auf der technischen Ebene führen zu einer einschränkenden Wahrnehmung. Propagandistische Aussagensätze und Normen weisen vor allem eine evaluierende und präskriptive (auffordernde bzw. vorschreibende) Form auf.³¹ Damit können sich solche Methoden oft einer rationalen und aufgeklärten Kontrollfunktion entziehen, sie werden zu Instrumenten der Machterreichung bzw. der Aufrechterhaltung der politischen Herrschaft einer Gruppe.

    Die Grundlage der Verschärfung von politischen Konflikten ist die Perfektionierung des Feind-Schemas. Das Feindbild entsteht durch die Projektion von verwerflichen Eigenschaften auf die jeweils andere Gruppe. Dabei muss zwischen einem reellen Feind und einem aus Angst ausgelösten Feindbild unterschieden werden.³² Ein realer Feind stellt eine tatsächliche Bedrohung dar, ein imaginierter Feind kann durch ideelle Elemente hochstilisiert werden und löst dadurch unter Umständen fatale Reaktionsketten aus. Anders kann aus einem reinen ideellen Feindbild eine reale Bedrohung werden, nämlich dann, wenn die Gruppe so handelt, dass der imaginäre Feind tatsächlich zu einer Bedrohung wird. Das Feindbild generalisiert dabei alle Personen einer fremden Gruppe, ohne auf Unterscheidungen einzugehen. Im Falle der jihadistischen Bewegung und Gruppen werden der „ungläubige Westen, aber auch andersdenkende Personen zu Feinden erklärt. Das gelingt vor allem intern durch die Brandmarkung der Abtrünnigkeit (Takfir). Das Prinzip „Takfir ist keine neue Entwicklung in der islamistischen Religion, vielmehr erfährt es hier eine radikale Auslegung in der islamistischen Interpretation. Dieses Prinzip wird als göttlich gewollte Rechtfertigung zum Töten von andersdenkenden Muslimen herangezogen. Dabei werden bestimmte Muslime zu Ungläubigen erklärt, der alleinige Abfall vom Glauben kann in einigen Ländern bereits das Todesurteil sein. Generell verbietet der Koran das Töten von Muslimen³³, wenn aber gläubige Muslime als Ungläubige eingestuft werden, dann gilt der Rechtsschutz durch den Koran nicht mehr. Diese radikale Denkfigur des Aufhebens des Tötungsverbots wurde von den jihadistischen Gruppen wie dem „IS" immer weiter perfektioniert. Das Freund-Feind-Schema bestimmt die eigene politische Gestaltung,

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