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Der Kuss der Teufelin
Der Kuss der Teufelin
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eBook336 Seiten4 Stunden

Der Kuss der Teufelin

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Über dieses E-Book

Wer ist der Mann, der nach einem Flugzeugabsturz mit schwersten Verbrennungen und ohne jede Erinnerung in eine Innsbrucker Spezialklinik gebracht wird? Die leitende plastische Chirurgin Fiona Winters erkennt in ihm ihre heimliche Liebe, den äthiopischen Starpianisten Dawit Zenawi, der vor einigen Jahren bei einer Konzertreise spurlos verschwand.
Mit mehreren Operationen rekonstruiert Fiona Dawits Gesicht und scheut keine Mühe, ihn bei der Wiedererlangung seiner musikalischen Fähigkeiten zu unterstützen. Gleichzeitig schmiedet sie große Pläne für ihn - sie möchte ihn nicht nur als Geliebten gewinnen, sondern ihm eine glorreiche Rückkehr als Konzertpianist von Weltrang ermöglichen.
Um ihre Ziele zu erreichen, geht Fiona buchstäblich über Leichen. Während sie skrupellos jeden aus dem Weg räumt, der Dawits Erfolg und ihrer Liebe im Weg stehen könnte, kehrt Dawits Gedächtnis bruchstückweise zurück. Und er beginnt zu begreifen, dass seine Wohltäterin ihn nie mehr freigeben wird.

In seinem vierten Buch »Der Kuss der Teufelin« erzählt Steve Lawson die dramatische Geschichte einer Frau, die bis zur Besessenheit liebt und vor nichts zurückschreckt, um ihren Willen durchzusetzen. Spannend, mitreißend, abgründig!
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum16. Dez. 2019
ISBN9783749785391
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    Buchvorschau

    Der Kuss der Teufelin - Steve Lawson

    Kapitel 1

    „Sir?, rief der Radartechniker dem Offizier zu, der hinter ihm stand. „Wir haben Kontakt!

    „Details", verlangte der Offizier, trat näher heran, um mehr zu sehen und warf dann einen Blick auf seinen Chronografen. Er zeigte 13.25 Uhr an.

    „Höhe: 32.000 Fuß, Kurs: Nord-Nordwest."

    „Das ist unsere Kleine", sagte der Offizier, griff nach der Sprechanlage und gab die Information an den befehlshabenden Offizier weiter. Minuten später starteten zwei F/A-18 Hornet Kampfflugzeuge vom Flugzeugträger USS Whiplash, der 80 Kilometer westlich von Zypern das Mittelmeer patrouillierte. Ihr Auftrag war es, eine zivile Boeing 727, die auf dem Weg von Ägypten nach Mitteleuropa war, zu lokalisieren und zu zerstören. An Bord des Flugzeugs befanden sich Aziz-al-Bustani, der Hauptkoordinator terroristischer Aktivitäten im Nahen Osten, und seine Gefolgsleute. Der Eingriff sollte über den österreichischen Alpen stattfinden. Es sollten Luft-Luft-Raketen eingesetzt werden. Keine Überlebenden und keine sichtbaren Trümmer. Der Flugplan zeigte, dass die Maschine die albanische Westküste um 14.12 Uhr nach westeuropäischer Zeit an den Koordinaten 18 Grad Ost, 38 Grad Nord passieren sollte.

    „Sir?, rief der Radartechniker zwei Minuten später erneut. „Wir haben einen anderen Kontakt auf dem gleichen Kurs, aber dieses Mal in 30.000 Fuß Höhe.

    „Ignorieren, sagte der Offizier. „Nicht weiter verfolgen. Wir haben unser Ziel.

    Kapitel 2

    Ein blutender Mann mit starken Verbrennungen, der auf unsicheren Beinen schwankte, bewegte sich den steilen Abhang des schneebedeckten Berges hinab. Er wusste nicht, wie er hierhergekommen war. Er wusste nicht, wo er war. Er fror ohne seine Jacke, aber er wusste nicht, wo sie war oder ob er jemals eine gehabt hatte. Aber eins wusste er mit Sicherheit: Er träumte nicht. Das hier war kein Albtraum. Es war die Realität! Die unerträglichen Schmerzen am ganzen Körper verrieten es ihm. Sein Selbsterhaltungstrieb sagte ihm noch etwas anderes: Du musst von diesem Berg herunter und weg von dieser Kälte. Und das möglichst bald! Er rang nach Luft und taumelte von Fels zu Fels, hielt immer weiter durch und versuchte dem Drang zu widerstehen, sein entsetzlich schmerzendes Gesicht zu berühren.

    Während er sich stolpernd vorwärtsbewegte, fiel er hin. Er merkte, dass ihn seine Kräfte verließen, und geriet in Panik. Ich werde erfrieren, dachte er. Aber vielleicht wäre das gut, zumindest würde er die Schmerzen nicht mehr spüren. Oder doch? Er wusste es nicht.

    Ein plötzlicher Windstoß warf ihn um. Er prallte gegen einen Felsen, rutschte herunter und fiel ein paar Meter nach unten in den tiefen Schnee auf einer Lichtung. Er schlug mit dem Kopf gegen einen Stein, schrie vor Schmerz auf und blieb reglos liegen, fast schon bewusstlos. Eine Weile später kam er wieder zu sich und wusste nicht, wie lange er dort gelegen hatte. In der Ferne konnte er etwas erkennen, das wie eine Hütte aussah. Eine hölzerne Hütte, die an die Felswand gebaut war. Er konnte auch einen Schornstein sehen, aber keinen Rauch. Die Hütte muss leer sein, dachte er. Es spielte keine Rolle. Er könnte dort Zuflucht finden, vorausgesetzt, er schaffte es bis dorthin. Falls ihm das Gehirn keinen Streich spielte und ihm die Hütte nicht nur vorgaukelte. Er nahm all seine verbleibende Kraft zusammen und schaffte es, auf die Beine zu kommen. Er atmete mehrmals tief durch, dann wankte er im verzweifelten Versuch, die Hütte zu erreichen, einen weiteren steilen Abhang hinunter. Er fiel immer öfter hin und es wurde jedes Mal schwerer, wieder aufzustehen. Am Ende verließen ihn seine Kräfte völlig und er kroch die letzten paar Meter zur Hütte auf dem Bauch. Als er die Tür der Hütte endlich erreicht hatte, streckte er eine Hand aus, um sie aufzustoßen. Er klammerte sich an der Türschwelle fest und zog sich ins Innere.

    Eine Stunde später stieß eine Gruppe von Bergsteigern, die einen Ort zum Rasten suchte, auf seinen bewusstlosen Körper und alarmierte angesichts seines Zustands die Bergrettung. Zehn Minuten später holte die Mannschaft eines Helikopters den Mann ab und flog ihn zu einem nahegelegenen Krankenhaus, wo er stabilisiert wurde. Danach wurde er an die Universitätsklinik in Innsbruck überstellt, wo die erforderlichen Möglichkeiten gegeben waren, seine Wunden zu behandeln. Da er keine Papiere bei sich trug und es keine Erklärung gab, wie er sich die Wunden zugezogen haben könnte, informierte die Krankenhausleitung die Polizei in Innsbruck.

    Nach der Untersuchung durch ein ärztliches Team in der Universitätsklinik wurde eine Diagnose gestellt. Der Mann hatte einen gebrochenen linken Arm, vier angebrochene Rippen und schwere Verbrennungen im Gesicht, die seine Züge unkenntlich machten. Außerdem wies der ganze Körper Prellungen auf. Er wurde sediert und erhielt schmerzstillende Injektionen. Die Knochen in seinem Arm wurden gerichtet und man verpasste ihm einen Gips. Auch seine restlichen Wunden wurden behandelt. Professorin Dr. Fiona Winters, die Leiterin der plastisch-rekonstruktiven Gesichtschirurgie wurde in der Schweiz benachrichtigt, wo sie einen Kletterurlaub machte, und gebeten, sobald wie möglich zurückzukehren, und sie folgte der Aufforderung.

    Professorin Fiona Winters war eine attraktive große und schlanke blonde Frau Anfang Vierzig. In ihrer Ehe mit einem impotenten arbeitssüchtigen Bankangestellten war sie frustriert und unglücklich. Da sie keine Kinder hatte, drehte sich ihr Leben um ihren Beruf und ein einziges, aber leidenschaftlich verfolgtes Hobby – klassische Musik.

    Es war nach 10 Uhr an einem warmen Juniabend, als sie ihren Porsche 911 Carrera S auf dem für sie reservierten Parkplatz am Klinikum abstellte. Zwei Ärzte und zwei Krankenschwestern, deren offizielle Schicht lang vorbei war, warteten am Bett des Patienten auf sie.

    „Guten Abend Ihnen allen, sagte Professorin Winters und schluckte die Verärgerung über den Abbruch ihres kurzen, aber dringend benötigten Urlaubs hinunter. „Danke, dass Sie auf mich gewartet haben. Ich bin in den üblichen Stau am Flüelapass geraten, sagte sie entschuldigend und gab allen lächelnd die Hand, bevor sie in den Ärztemantel schlüpfte, den sie beim Eintreten vom Haken genommen hatte. Die schmachtenden Blicke der Männer, als sie ihren üppigen Körper in engen Jeans und einem noch engeren grauen Pullover sahen, schien sie nicht zu bemerken.

    „Guten Abend, Frau Professorin", sagten sie im Chor, und während die Männer darum rangen, ihre Fassung wiederzugewinnen, reichte ihr eine der Schwestern ein Paar steril verpackte OP-Handschuhe. Schweigend studierte sie das Patientenblatt, zog die Handschuhe über und trat ans Kopfende des Betts, um das Gesicht des Mannes zu untersuchen.

    „Verbrennungen dritten Grades und einige Schnittwunden im Gesicht, sagte sie, „beide Wangenknochen und Teile der Stirn freigelegt, Nasenstruktur, Lider und das linke Ohr teilweise vom Feuer angegriffen. Verbrennungen zweiten Grades und oberflächliche Schnitte am Hals und an der Brust. Ihr Blick wanderte zum rechten Arm des Patienten, der ans Bett gebunden war, um zu verhindern, dass er sich kratzte oder an den Infusionsschläuchen und Kanülen in seinem Arm zog. „Verbrennungen ersten Grades, zahlreiche tiefe und oberflächliche Schnitte und Prellungen am rechten Arm und – oh, was ist das?, unterbrach sie sich und zeigte auf ein kreuzförmiges Mal auf dem Handrücken des Mannes. „Das stammt nicht aus jüngerer Zeit. Sie bog die langen Finger des Mannes gerade, um es besser betrachten zu können, und starrte darauf, als käme aus den Tiefen ihres Bewusstseins ein Hinweis, dass sie diese Narbe schon einmal gesehen hatte. Aber wo und wann, daran konnte sie sich nicht erinnern. Sie war sich jedoch sicher, dass sie sich nicht täuschte. Sie kannte diese Narbe!

    „Schwer zu sagen, meinte der rangältere der beiden Ärzte und beugte sich vor, um mehr zu erkennen, wobei er die Gelegenheit nutzte, ihren sinnlichen Duft aufzunehmen, der ihn in ihrer Nähe immer fast in Trance versetzte. „Es ist eine alte Narbe, sagte er und spürte, wie sich seine Kehle zuschnürte. „Könnte von einem Messer oder einer Art Brandeisen stammen." Er trat zurück und hoffte, dass die anderen nicht ahnten, was in seinem Kopf vor sich ging.

    „Da könntest du recht haben, Manfred, sagte sie, während ihr Kopf immer noch mit dem Mal beschäftigt war. „Bitte, Schwestern, ziehen Sie die Decke zurück. Sie trat beiseite, und die Krankenschwestern folgten ihrer Aufforderung.

    „Mein Gott! Er besteht nur aus Haut und Knochen", rief Fiona aus. Ihr Blick wanderte über den Körper des Mannes zur Schwellung in seinem Schritt, die in der knappen Krankenhausunterhose deutlich hervortrat. Wenigstens gibt es eine Stelle, an der er ganz und gar nicht verhungert aussieht, dachte sie und schluckte schwer. Sie hob den Blick, richtete sich auf und zog die Handschuhe ab. „Dieser arme Mann wurde gefoltert. Es gibt unzählige Brandwunden durch Zigaretten an seinem Körper, einige von ihnen sind noch nicht alt."

    „Sein Rücken sieht noch schlimmer aus, erklärte Dr. Manfred Habicht. „Es scheint, als wäre er auch wiederholt geschlagen worden, und das über einen gewissen Zeitraum.

    „Gibt es irgendeinen Hinweis auf seine Identität?", fragte sie.

    „Nicht den geringsten. Die Polizei ist genauso ratlos wie wir. Niemand kann sich einen Reim darauf machen, wie er überhaupt ins Karwendelgebirge gekommen ist."

    „Hat er irgendetwas gesagt?"

    „Nein. Er war die ganze Zeit bewusstlos, seit wir ihn hier haben. Seine Kleider lassen aber darauf schließen, dass er kein Österreicher ist, sagt die Polizei."

    Wieder versuchte Fiona sich zu erinnern, woher sie den Mann kannte, falls es denn überhaupt so war. Sie durchforstete ihr Gedächtnis, doch das Einzige, was sie sicher wusste, war, dass sie das Mal an seiner Hand schon gesehen hatte und das nicht nur einmal. Aber das Wo und Wann bekam sie nicht zu fassen.

    „In Ordnung, Leute. Danke nochmal, dass Sie hiergeblieben sind und sich um ihn gekümmert haben. Das war sehr rücksichtsvoll von Ihnen. Wir werden ihn morgen früh in meine Abteilung überstellen und mit der weiteren Behandlung beginnen, die allem Anschein nach sehr umfassend sein wird."

    Verstört durch die Narbe, die sie gesehen hatte, und durch ihr Unvermögen, sich zu vergegenwärtigen, warum sie so sicher war, dass sie sie kannte, fuhr sie zu ihrem Haus in der Vorstadt, um sich zurückzuziehen und nachzudenken. Während sie über dem Rätsel brütete, setzte sie sich ins Wohnzimmer und starrte vor sich hin. Sie wartete darauf, dass die gefürchtete Depression Besitz von ihr ergriff, eine Krankheit, die auf beruflichen und privaten Stress zurückzuführen war, wie ihre Therapeutin ihr vor einiger Zeit erklärt hatte.

    Kapitel 3

    Nachdem Professorin Fiona Winters von ihrer üblichen Joggingrunde am Morgen zurückgekehrt war, duschte sie und setzte sich im Bademantel an den Frühstückstisch. Sie schluckte die morgendliche Dosis ihres Beruhigungsmittels, goss sich aus dem Perkolator, der auf einem gläsernen Servierwagen stand, eine dampfend heiße Tasse Kaffee ein und griff nach einem der Kipferl – dem österreichischen Croissant –, die sich in einem Brotkörbchen auf dem Tisch befanden und noch warm waren. Sie brach das Hörnchen in der Mitte durch, und nachdem sie es mit fettreduzierter Butter und selbstgemachter Erdbeermarmelade bestrichen hatte, biss sie ein Stück ab. Geräuschvoll kauend warf sie einen Blick auf die gefaltete Lokalzeitung, die wie üblich von der Haushaltshilfe Ilka in Reichweite gelegt worden war.

    Ihr Mann Frederick war schon lange aufgebrochen. Er war immer bestrebt, als Erster in seiner geliebten Bank einzutreffen. Nach mehr als zehn Jahren, in denen das schon so ging, war Fiona daran gewöhnt, das Frühstück und oft auch das Abendessen allein einzunehmen. Sie goss sich eine zweite Tasse Kaffee ein, gähnte, nahm einen Schluck und klappte die Zeitung mit einer trägen, gelangweilten Handbewegung auf. Sie gähnte erneut und schloss die Augen, um sie auszuruhen. Sie dachte an die Notwendigkeit, ihr Make-up noch sorgfältiger als sonst aufzutragen, um die Spuren einer schlaflosen Nacht zu verbergen, bevor sie in die Klinik fuhr.

    Sie öffnete die Augen und warf einen Blick auf die Zeitung. Die Schlagzeile über einem Farbfoto sprang ihr in die Augen und drängte sich mit erschreckender Wucht in ihr Bewusstsein.

    Darth Vader von Star Wars (ohne seinen Helm) oder Frankensteins Monster?

    Sie las die Zeilen, lenkte ihren Blick auf das Foto und erkannte bestürzt das entstellte Gesicht ihres Patienten aus der Nacht zuvor. Als sie sich von ihrem Schock erholte, wurde ihr bewusst, dass es zu früh war, um die Klinikverwaltung anzurufen und zu ermitteln, wie es möglich sein konnte, dass jemand dieses Foto aufgenommen und mit solch einem spöttischen Text veröffentlicht hatte.

    Sie sprang auf und eilte in ihr Schlafzimmer. Ohne noch an ihren vorherigen Entschluss, Make-up aufzutragen, zu denken, schlüpfte sie in Jeans, beige Bluse und passenden Blazer, schnappte sich ihre Tasche und rannte zur Garage. Sie warf den Motor an, schoss auf die Straße hinaus und machte sich mit ihrem Porsche auf den Weg zur 15 Kilometer entfernten Klinik.

    Als sie sich ein wenig beruhigt hatte, rief sie im Krankenhaus an und gab Anweisungen, den Patienten in ein fensterloses Isolierzimmer zu verlegen, zu dem niemand außer ihren Mitarbeitern Zugang hätte. Außerdem sollte der Sicherheitsdienst alarmiert werden und nach Unbefugten Ausschau halten. Als sie ihre Hand vom Mobiltelefon nahm, das am Armaturenbrett befestigt war, streiften ihre Finger das Radio und sie schaltete es automatisch an. Sowohl zu Hause als auch im Auto war ihr Radio ständig auf Bayern 5 eingestellt, einen Sender für klassische Musik aus dem benachbarten Deutschland. Sekundenbruchteile später erklang die wunderschöne Melodie von Chopins Klavierkonzert Nr. 1 in e-Moll aus den sechs Stereo-Lautsprechern, die in jedem Winkel des Autos steckten, und Fiona erbebte vor Verzückung. Augenblicklich sprang ihr unglaubliches Gedächtnis für Musik an und sie identifizierte die Wiener Philharmoniker, dirigiert von Riccardo Muti, mit Martha Argerich am Klavier. Sie erkannte die Aufnahme vom letzten Jahr im Konzerthaus in Wien. Als sich das Stück ihrer Lieblingsstelle näherte, lenkte sie den Wagen schnell an den Straßenrand und schaltete den Motor aus. Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und schloss die Augen. Während sie in die Musik eintauchte, rief sie sich vor ihren inneren Augen die Hände der gefeierten Pianistin wach, wie sie über die Tasten glitten und einen Klang hervorbrachten, der Fiona das Gefühl gab, im All zu schweben.

    In einem solchen Moment überkam sie immer ein Anfall von Bedauern, dass sie vor vielen Jahren ihrem Vater nachgegeben und Medizin studiert hatte, anstatt ihre Ausbildung zur Konzertpianistin fortzusetzen, wie es ihr Traum gewesen war. Der Lauf der Jahre und ihr Erfolg als Chirurgin hatten die Sehnsucht gedämpft, sich durch Musik, die Sprache ihres Herzens, auszudrücken, aber sie hatte immer noch das Gefühl, unerfüllt zu sein.

    Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Musik zu und erschrak, als sich plötzlich ihr inneres Bild von der weiblichen Hand einer Pianistin in das einer langgliedrigen männlichen Hand mit dem Zeichen eines Kreuzes auf dem rechten Handrücken verwandelte. Ist das möglich? fragte sie sich und schaltete das Radio ab, um sich besser zu konzentrieren. Könnte ihr Patient wirklich Dawit Zenawi sein, der weltberühmte äthiopische Pianist und beste Interpret von Beethoven und Chopin, den sie je gehört hatte? Aber nein, warum sollte er in den Alpen herumwandern? Und das mit solchen Verletzungen?

    Je mehr sie darüber nachdachte, desto überzeugter wurde sie, dass sie sich das alles nicht einbildete. Es war eine wertvolle Erinnerung für sie, wie sie Dawit vor vier Jahren nach einem triumphalen Konzert begegnet war, bei dem er sieben Mal hinter dem Vorhang hervorgerufen worden war und fünf Zugaben gegeben hatte. So aufgeregt, dass es fast schon an einen Rausch grenzte, hatte sie sich danach wie ein Teenager in die Schlange gestellt, um ein Autogramm von ihm zu bekommen, und das Kreuz auf seiner Hand war ihr zum ersten Mal aufgefallen, als er seinen Namen geschrieben hatte.

    Er hatte sie mit seiner ruhigen, fast schüchternen Art und seinem männlichen guten Aussehen fasziniert. In jener Nacht hatte sie von ihm geträumt und einige Nächte später auch. In den Tagen nach dem Konzert hatte sie die Musikgeschäfte in Innsbruck durchstöbert, um all seine DVDs und CDs zu kaufen, die sie dann am Abend bei einem Glas Wein abspielte, wenn sie allein war – was oft vorkam.

    Sie hatte ihn sechs Monate später noch einmal gesehen, als sie nach München geflogen war, wo er ein Konzert gab, bevor er in den USA auf Tour ging. Nach dem Konzert wollte sie ihn noch einmal aus der Nähe sehen, aber als sie die lange Schlange der verzauberten und laut jubelnden Menge sah, die am Bühnenausgang auf sein Erscheinen wartete, war sie missmutig zu ihrem Hotel zurückgekehrt.

    Nachdem sie ihr Make-up aufgefrischt hatte, tauschte sie die Abendgarderobe gegen weniger festliche Kleidung und ging zum Essen ins Restaurant hinunter. Der Oberkellner führte sie an einen Tisch in einer diskreten Ecke des Speisesaals und reichte ihr eine dicke, ledergebundene Speisekarte. Als Aperitif bestellte sie einen trockenen Sherry und studierte die Speisekarte, während sie gelegentlich am Sherry nippte.

    „Ich bitte um Verzeihung, schöne Dame", hörte Fiona eine weiche männliche Stimme in der Nähe und als sie über den Rand der Karte sah, setzte ihr Herz einen Schlag lang aus. Es war er! Er stand da, groß, schlank, immer noch bekleidet mit seinem maßgefertigten Frack, einem weißen Hemd und einer schwarzen Fliege, und er hielt eine einzelne rote Rose in der Hand.

    „Bitte verzeihen Sie die Störung, fuhr er in fehlerfreiem Deutsch fort, während Fiona ihn wortlos anstarrte. „Ich habe Sie vom letzten Jahr in Salzburg erkannt und Sie heute im Publikum gesehen. Sie würden mir eine große Freude machen, wenn Sie diese Blume als Zeichen meiner Dankbarkeit für Ihre Unterstützung annehmen würden. Sachte legte er die Rose auf den Tisch, verbeugte sich und entfernte sich, um sich zu einigen Menschen zu gesellen, die ein paar Tische weiter saßen. Fiona stand so unter Schock, dass sie fast das komplette Glas Sherry auf einmal hinunterkippte.

    Nicht lange danach wurde ihr bewusst, dass sie in ihn verliebt war. Sie verfolgte seine Bewegungen mithilfe des Internets, seine Auftritte in der Royal Albert Hall in London, später in Dublin und schließlich in Ottawa. Danach verlor sie ihn. Drei Monate nach seiner Abreise von München sollte er eine Reihe von Konzerten in Chicago geben, aber laut den amerikanischen Medien tauchte er nie dort auf. Außer sich vor Sorge engagierte sie übers Internet einen Privatdetektiv, der herausfand, dass Dawit Ottawa verlassen hatte, um nach Chicago zu reisen, aber nachdem er dort am Flughafen angekommen war, war er spurlos verschwunden.

    Ihre Unruhe und Sorge wurden zu einer ständigen Belastung, bevor eine Depression daraus entstand und sie gezwungen war, Hilfe bei einer engen Freundin zu suchen, die eine bekannte Psychiaterin war. Nach einigen Therapiestunden und zwei Dutzend Tabletten waren die Häufigkeit und das Ausmaß der Anfälle auf ein erträgliches Maß gesunken, und Fiona hatte sich entspannt.

    „O Gott, sagte Fiona laut. „Bitte gib, dass er es ist. Aufgeregt und verwirrt startete sie das Auto, wendete schnell und raste mit durchgedrücktem Gaspedal zu ihrem Haus zurück. Dort eilte sie in ihr privates Allerheiligstes und durchsuchte ihre kostbare Musikbibliothek nach Bildern von ihm auf Postern und CDs.

    Sie breitete ihre Fundstücke auf dem Boden aus, kniete sich hin und betrachtete jedes Foto und jedes Poster, das sie von ihm besaß, mit großer Aufmerksamkeit. Nach einer Weile füllten sich ihre Augen mit Tränen. „Bist du zu mir zurückgekehrt, mein Liebling?", fragte sie und war frustriert, weil sie das Gesuchte nicht fand. Sie hatte einige DVDs von seinen Konzerten, einige mit Nahaufnahmen seiner Hände auf den Tasten. Und sie wusste genau, dass sie sie vor nicht allzu langer Zeit noch in der Hand gehabt hatte. Aber wo sind sie jetzt? fragte sie sich verwirrt.

    Kapitel 4

    „Gute Neuigkeiten, Frau Professorin, begrüßte sie die Oberschwester an der Rezeption, als Fiona in ihrer Abteilung eintraf. „Er ist endlich bei Bewusstsein. Er liegt im Raum IS 3.„Gott sei Dank", sagte Fiona und eilte zum Umkleideraum. Wenige Minuten später trat sie, bekleidet mit einem frischen Operationskittel und einem Mundschutz, leise durch die Luftschleuse in den Raum IS 3.

    Zu ihrer Überraschung befand sich fast ihr ganzes ärztliches Personal in dem Zimmer, es stand im Halbkreis gruppiert um das Bett, auf dem der bandagierte Patient hochgelagert war. Ihr Stellvertreter Dr. Jochen Kramer wandte sich gerade mit seiner ruhigen, wohl modulierten Stimme, die ihm den Spitznamen „Der Priester" eingebracht hatte, an den Patienten. Fiona entschied sich, zu bleiben, wo sie war, und zuzuhören.

    „Ich bin Dr. Kramer. Sie befinden sich in der Universitätsklinik Innsbruck in Österreich, und wir sind froh, dass Sie wieder bei Bewusstsein sind. Leider kennen wir Ihren Namen nicht, sagte er. „Genauso wenig kennen wir Ihre Nationalität oder Ihre Herkunft. Hier unter uns sprechen wir fünf Sprachen, und wir möchten Sie bitten, uns ein Zeichen zu geben, falls Sie eine davon verstehen. In Ordnung?

    Es war nicht zu erkennen, ob der Mann ihn verstanden hatte, aber seine Augen bewegten sich argwöhnisch von einem Gesicht zum anderen.

    „Ich werde Ihnen das auf Englisch wiederholen", erklärte Kramer und tat es.

    Nachdem keine wahrnehmbare Reaktion vonseiten des Patienten erfolgte, gab Kramer einer dunkelhaarigen jungen Frau, die neben ihm stand, ein Zeichen. Sie stellte sich auf Französisch als Dr. Josephine la Brea vor, doch als der Patient immer noch nicht reagierte, übernahm ein großer junger Arzt die Vorstellung auf Italienisch und dann Spanisch. Doch ebenso ohne Erfolg.

    Der Patient lag still und ruhig in seinem Bett. Seine dunklen, glänzenden Augen standen im Kontrast zu den schneeweißen Verbänden, die einen großen Teil seines Gesichtes und seines Kopfes verdeckten.

    „Na gut, sagte Dr. Kramer. „Wir haben es versucht. Mehr können wir jetzt im Moment nicht tun. Kehren wir zu unseren Pflichten zurück. Vielleicht fällt Frau Professorin Winters noch etwas ein.

    „Ich fürchte, dem ist nicht so, meldete Fiona sich zu Wort und trat nach vorne neben Kramer. „Guten Morgen allerseits. Entschuldigen Sie bitte meine Verspätung. Sie betrachtete den Patienten. Als sie bemerkte, dass sein rechter Arm immer noch ans Bett gebunden war, trat sie näher, öffnete mit behandschuhten Händen die Riemen und strich mit den Fingern sanft über das kreuzförmige Mal. Sie sah in die tiefen dunklen Augen des Patienten und glaubte für einen Sekundenbruchteil, Erkennen darin wahrzunehmen. Unsinn! Unmöglich! Ich trage eine OP-Maske, sagte sie sich. Das hättest du wohl gern. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich lautlos.

    „Danke, Frau Professorin", sagte der Patient auf Deutsch. Seine Stimme war schwach, aber deutlich und Fionas Herz setzte einen Schlag lang aus. War das seine Stimme? Die Verbände um seinen Kopf veränderten den Klang, aber sie dachte, sie hätte sie trotzdem erkannt. Oder mache ich mir selbst etwas vor, weil ich es mir wünsche? fragte sie sich.

    „Danke auch Ihnen, Dr. Kramer", sagte er erst auf Deutsch und auf Englisch und fügte einen flüssigen Satz in jeder Sprache hinzu. Anschließend wiederholte er zum großen Erstaunen aller Anwesenden seinen Dank auf

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