Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Nachtdenken: Meist schamlose Kurzgeschichten
Nachtdenken: Meist schamlose Kurzgeschichten
Nachtdenken: Meist schamlose Kurzgeschichten
eBook248 Seiten3 Stunden

Nachtdenken: Meist schamlose Kurzgeschichten

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Menschen als
Spielball der Götter

Für Liebe können sie sich nicht entscheiden, wagen nicht den Schritt über sich selbst hinaus, bleiben trostlos gefangen in ihren eigenen Netzen, treiben den Strom des Lebens ohne Widerstand bis zur bitteren Neige hinab. Längst haben sie alle Orientierung verloren, gehorchen mutlos ihren Schwächen wie willenlose Marionetten. Sind wir so frei, wie es unsere Gesellschaft gerne sieht ? Oder sind wir allem ergeben, das uns von Geburt an beherrscht ?

In diesen 18 Beispielen wird von Menschen erzählt, die im Taumel des Lebens als Sieger dastehen, in Wahrheit aber Verlierer sind, weil das Schicksal ohne Nachsicht schon längst
über sie entschieden hat.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum25. Okt. 2016
ISBN9783734567780
Nachtdenken: Meist schamlose Kurzgeschichten

Ähnlich wie Nachtdenken

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Nachtdenken

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Nachtdenken - Christian Scholz

    Ein Märchen

    aus der Südsee

    Am weiten Strand, im Angesicht der ruhigen See, hatte ein Fischerknabe seine kleine, karge Hütte errichtet. Hinter den hohen Palmen lebten die anderen Inselbewohner, doch er wollte dem sachten Spiel der Wellen und Wogen, die er so sehr liebte, besonders nahe sein, und auch der Sonne, die ihm die Wärme des Lebens spendete.

    Wind fegte über die Inseln und vertrieb die glühende Mittagshitze. Und der Knabe lag vor seiner Behausung und betrachtete die gelben, winzigen Sandkörner und den dunstigen Streifen am Horizont, wo sich die unendlichen Wasserfluten mit dem Blau des Himmels mengten. Aber er fühlte sich sehr einsam inmitten der Schönheit der Natur, und nur wenn die Sonne blutrot versank, erwachte er aus seinem Nachdenken, denn dies waren die stillen Minuten seines Glücks. Und er sehnte sich alle Stunden des Tages nach der sanften Berührung des letzten Sonnenlichts.

    Er war ein Träumer. Und während sich andere Fischer mit Harpune, Segel und Tauen rüsteten, um ihre Nahrung aus der See zu holen, saß er still in seinem Boot, in den Anblick der Brandung versunken. Er beobachtete die kleinen, dunklen Seeschwalben, die unbeirrbar umherflogen und ausspähten und suchten und kaum einmal etwas fanden und doch niemals aufgaben. Und er machte sich darüber viele Gedanken.

    Am Abend, wenn Vater und die Brüder zurückkamen, schlich er sich zu den Feuerplätzen, damit er wohl einen gebratenen Fisch oder ein wenig Maisbrei erhielte. Doch die meisten Essenden trieben ihn gleich zornig zurück, und ein alter Mann sagte böse: „Geh weg, Haurani ! Du bist jung und hast kräftige Muskeln, und du kannst dich selbst versorgen."

    Haurani nickte traurig.

    „Was sollen wir mit diesem Knaben, der nur von Sternen und vom Himmel träumen kann ? rief ein anderer Mann. „Wir müssen arbeiten und unser hartes Leben so gut wie möglich leben und erfüllen, aber wir alle dürfen nicht den ganzen Tag lang träumen !

    „Das ist wahr, bekräftigte ein junger Fischer mit heller Stimme. „Ohne zu fischen und Beute zu machen kann man nicht essen, und ohne zu essen kann man nicht leben. Das ist eine unumstößliche Tatsache.

    Haurani blickte ihn mit großen Augen ernst an. „Doch wozu leben wir ?" fragte er.

    „Sei kein Narr, Haurani ! ermahnte ihn sein Vater und kam näher. „Du versuchst, bloß mit dem Betrachten der Sonne glücklich zu werden. Aber Glück findet sich nicht in der Sonne, sondern hier auf Erden. Komm nach Hause von schwerer Arbeit und finde die verdiente Ruhe in deiner Hütte, grüße dein Weib und deine Kinder, sei müde und doch stolz nach den Kämpfen mit der wütenden See und den tosenden Stürmen und suche Geborgenheit in deinem Heim. Dann wirst du in deinem Herzen stets wundersames Glück verspüren.

    „Ich habe kein Heim", entgegnete Haurani.

    „Dann suche dein Heim, wo dein Herz schlägt."

    „Ich habe nicht Liebe, und ich versuche gar nicht, glücklich zu werden", erklärte Haurani.

    „O Knabe, Knabe, warf der Älteste des Stammes jetzt ein. „Jeder Mensch strebt nach Glück im ganzen Leben. Aber es ist nicht leicht zu erlangen. Meist muss man warten. Und nur wenige sind dazu erwählt.

    „Dieser Knabe braucht nicht schöne Worte, sondern harte Arbeit", erklärte ein anderer.

    „Wir werden ihm Arbeit geben, damit er sich bewähren kann, endete Hauranis Vater. „Schon morgen. Er soll ab sofort wie wir alle sein Essen selbst verdienen. Und er wird sicherlich ein guter Fischer werden. Andernfalls muss er unsere Insel verlassen.

    „Ja, er muss unsere Insel verlassen !" schrieen fast alle der Versammelten und sprangen aufgebracht hoch. Nur der alte Mann blieb ruhig sitzen und betrachtete die rastlosen Flammen des Feuers.

    Entmutigt wandte sich Haurani ab.

    Lange Stunden der Nacht vergingen. Doch diese Nacht umschmiegte ihn mit ihrer sanften Dunkelheit zärtlich und liebevoll. Und im Licht des tröstenden Mondes ging er hin und verweilte noch einmal an allen jenen Plätzen der kleinen Insel, die er besonders gerne aufgesucht hatte.

    Als er zu seiner Hütte zurückkam, begann sich die Sonne bereits zu heben. Er besaß nichts außer seinem kleinen Boot. Und indem er den kahlen Raum verließ, spürte er das Blut in seinen Schläfen pochen. Langsam schritt er unter den Palmen dahin, um sein Boot zu erreichen, sich hineinzusetzen und fortzurudern.

    Plötzlich waren Geräusche hinter ihm, und er wandte sich erschrocken um. Er sah tiefschwarzes Frauenhaar.

    „Ich gehe jetzt", sagte er verwirrt.

    „Ich verstehe dich, mein Sohn. Doch dein Weg wird der Weg des Schmerzes und des Kummers sein." Und zu diesen Worten reichte sie ihm einen Bastkorb, gefüllt mit Fischen und Mais und Kokosnüssen.

    „Danke, Mutter, sagte er bewegt und schloss das Bündel in seine Arme. „Danke, sagte er nochmals und küsste seine Mutter auf die Stirn und war beschämt und lief davon, um seine Tränen zu verbergen. Aber nur in diesem einzigen Augenblick hatte er die Liebe seiner Mutter wie noch niemals zuvor gespürt.

    Ein kühle, wohltuende Brise blies über die See. Haurani setzte sein Segel. Er handelte ohne zu denken, denn der Instinkt des Inselbewohners gehorchte allen Anforderungen der Natur. Er fühlte sich leer und ausgebrannt, und er saß bewegungslos im Heck des Bootes und schaute hinauf zu den Wolken, die sich wie Berge türmten und aneinanderreihten. Und er schlief ein und träumte vom Aufgehen der Sonne und einer seltsamen, wunderbaren Perle.

    Die Sonne stand im Mittag, als er erwachte. Und es schmerzte seine Augen nicht mehr, nach Osten zu blicken, woher er gekommen war. Doch kein Land war nun noch sichtbar, nur weites, endlos scheinendes Meer. Im ersten Augenblick überfiel ihn Angst. Er war noch niemals so weit alleine auf offener See gewesen. Und er kannte sehr wohl die Gefahren, die harten Wogen und den unbarmherzigen Sturm. Und er wusste auch, dass selten ein unerfahrener Fischer von solcher Fahrt zurückgekehrt war. Und er war unerfahren.

    Aber die Sonne schien heiß, und die tiefblaue See war glatt und ruhig. Haurani fasste Mut. Und mit kräftigen Armen verbesserte er die Stellung des rauen Segels und bestimmte dadurch seinen Kurs.

    Er spürte den Druck der Wellen gegen die Bootsplanken und fühlte sich wohl und froh und tauchte eine Hand ins Wasser. Erfrischende Kühle strömte durch seinen Körper. Er bespritzte sein Gesicht mit dem angenehmen Nass. Und indem er zu rudern begann, gewann er Freude an seinen kraftvollen Schlägen und seinem starken Körper. Er hätte nicht rudern brauchen, denn er hatte das Segel, aber er ruderte, bis er erschöpft und müde war.

    Dann aß er Fisch und trank die Milch einer Kokosnuss. Die Sonne brannte jetzt glühend heiß, obwohl leichter Wind wehte. Doch nirgends war Land zu sehen.

    Und den ganzen Tag über erspähte er nirgends Land. Aber Haurani hoffte. Er gab nicht auf, an eine Insel zu glauben, auf er der sich niederlassen würde.

    Es wurde Abend, und das Boot bewegte sich still vorwärts durch die Fluten. Da plötzlich bemerkte Haurani besorgt düstere Gewitterwolken am Horizont. Und gerade als es jetzt rasch zu dunkeln begann, fielen die ersten schweren Tropfen. Schnell holte er behände das Segel ein und vertäute es geschickt am Bug.

    Zuckender Blitz und grollender Donner und düstere Nacht überfielen ihn. Die aufgewühlte, brausende See ließ das Boot bedenklich schwanken, und es schien, als ob es bersten würde. Haurani wurde auf die Planken niedergeschmettert, und mit weit geöffneten Augen starrte er auf die wilden, blendenden Blitze und spürte die drohenden, tobenden Wogen.

    Die Elemente warfen ihn gewaltig von einer Bootswand zur anderen. Verzweifelt versuchte er sicheren Halt zu finden. Vergebens. Vielleicht wäre es ohne Mast besser, dachte er. Und mit Anstrengung torkelte er auf und holte den Mast ein. Wieder wurde er auf den Boden des Boots geschleudert, und mit ihm der Mast. Haurani spürte einen Schlag, dann stechenden, kurzen Schmerz auf seinem Hinterkopf. Bitte, Himmel, rette mich, flehte er, ich werde dein sein mit ganzem Herzen. Doch einige Augenblicke später spürte er nichts mehr.

    Als er erwachte, berührte Sonnenlicht seinen Nacken. Er öffnete die Augen und war erstaunt, sich ausgestreckt im weichen Sand einer breiten Küste zu finden. Er wandte den Kopf und bemerkte sein Boot, das auf der schroffen Kette des Riffs nahe vor dem Strand aufgelaufen war.

    Er stand auf. Er fühlte keinen Schmerz. Selbstsicher und mutig beschloss, erst einmal das Innere des Landes oder der Insel zu erforschen.

    Vom steten Wind gebeugte Palmen und üppiges tropisches Unterholz wucherten ihm entgegen, doch nahm er kaum Tiere oder sonstiges Leben wahr, ausgenommen den zierlichen Vögelchen, welche die Spitzen und Äste der Bäume bevölkerten und lärmten und flatterten, gerade unter dem Himmel. Und es gab auch genügend essbare Früchte und eine gute Stelle, eine Hütte zu errichten und Schutz vor Stürmen und Regen zu finden. Begeistert erklärte Haurani diesen Platz als sein künftiges Heim.

    Die Tage vergingen schnell mit der Arbeit an einer kleinen Hütte und dem Fischfang für die Mahlzeiten. Und als dann Haurani seine einfache Behausung fertiggestellt hatte, zimmerte er gleich geschickt ein neues Boot, und hierauf errichtete er aus spitzen Stäben Fallen, um Fische leichter fangen zu können. Und er sammelte wohlschmeckende Beeren und häufte Kokosnüsse an, um Vorräte zu schaffen.

    Im Wipfel der höchsten Palme baute er eine Aussichtswarte, um die weite, geheimnisvolle See zu beobachten. Und ebenso formte er aus den Korallenresten und verschiedenfarbigen Steinen, die er fröhlich gesammelt hatte, ein buntes Mosaik, in dem sich das Sonnenlicht farbenprächtig brach. Er hatte ein Ziel: sich mit eigener Hand zu ernähren und sich an seinem Leben beständig zu erfreuen.

    Und wenn er ruhte, müde vom Arbeiten, bewunderte er die wechselnden Spiele der See und die sinkende Sonne und den Wind in den Palmblättern. Und er schlief sanft ein, bevor ihn dunkle, düstere Gedanken überkamen.

    Aber schon bald hatte sich Haurani alles geschaffen, was ein Fischer auch nur benötigen konnte. Hatte er Hunger, leerte er die Fallen oder nahm von den Vorräten, war er schläfrig, legte er sich auf seine Matte, tobte der Sturm, floh er in seine feste Hütte. Er hatte alles.

    Und die Tage wurden lange, zu lange für ihn. Stundenlang beobachtete er das Meer, sinnend durchquerte er oftmals die Insel, sehnend wartete er auf den Sonnenuntergang. Er fühlte sich einsam und verlassen, so wie er sich in seiner früheren Heimat auch einsam und verlassen gefühlt hatte. Und er konnte kaum mehr Gefallen an der Schönheit der Natur finden. Mit dem Morgengrauen bedrängten ihn Fragen, und wenn die ersten Sterne erschienen, hatte er noch keine Antworten finden können. Er schlief unruhig.

    Eines Morgens, beim Auftauchen der Sonne aus dem Meer, rannte er an den Strand, hoffnungslos und geplagt von Zweifeln. Mit schmerzvollem Gesicht und weit ausgestreckten Armen machte er eine sehnsüchtige, bittende Bewegung im Antlitz der Sonne. Und er sank nieder und kniete im Sand und beugte den Kopf und hatte die Augen geschlossen und dachte nur daran, warum das alles so sein musste.

    Die Wasser der Flut zerrannen und zerschäumten. Und auf jeder Spitze der heranrollenden Wellen saß eine silberne Krone. Die ersten Strahlen der Sonne glänzten auf den Wogen. Aber Haurani sah nichts von all dieser Pracht und Schönheit. Mit seiner Frage nach dem Sinn des Seins im Herzen hielt er den Kopf gesenkt, die Hände vors Gesicht geschlagen. Nur das zarte Schimmern des Sonnenlichts half ihm allmählich, den Kopf zu heben. Und er schaute wieder auf, voll neuer Hoffnung erfüllt.

    Und er sah eine wunderbare Muschel, von den Wellen auf den Strand gespült.

    Überrascht hielt er den Atem an, wagte keine Bewegung.

    Und die Muschel öffnete sich, und eine strahlendschöne Perle lag da im Sonnenlicht.

    „Perle, flüsterte er verzückt. „Perle, bleibe bei mir !

    Zögernd und behutsam legte Haurani das Geschenk der Sonne in seine Hand. Er betrachtete es. Und in der Perle sah er die Sonne und die See und sich selbst. Er setzte sich benommen in den Sand, seinen Schatz vorsichtig in der Schale seiner beiden Hände bergend.

    „Ich bin dein", sagte die Perle.

    „Du kannst mit mir sprechen ?" fragte Haurani erstaunt und mit ein wenig Angst.

    „Ich bin nicht bei dir, sondern in dir", erklärte die Perle.

    „Aber, Perle, du bist so strahlend schön. Wie habe ich eine solch wunderbare Gabe verdient ?"

    „Versuche mich zu verdienen, und beweise, dass du mich verdienst."

    „Wie kann ich das tun ?"

    „Du hast allen Schmerz ertragen, der dein Herz zu überwältigen schien. Lerne nun aus deinem Schmerz heraus die Wahrheit zu erkennen, und du wirst mutig und gerecht in die Welt gehen."

    „Wer bist du ?" fragte Haurani atemlos.

    „Ich bin die Weisheit der Liebe."

    „Und du kennst alle meine Sorgen und Bedenken ?"

    „Du brauchst mich nur anzusehen."

    „Warum leben wir ?"

    „Leben heißt unentwegt lieben."

    Lange dachte Haurani nach, bis er schließlich sagte: „Perle, ich verstehe jetzt, warum ich nicht glücklich sein konnte."

    „Man muss beständig in Liebe leben, selbst wenn man nicht geliebt wird. Nur wer Liebe gibt, wird Liebe fühlen. Liebe geben ist wesentlicher, als Liebe zu bekommen."

    „So segle ich wieder zurück in meine Heimat !"

    Die Perle strahlte mit voller Kraft.

    Also setzte Haurani im Mittag voll die Segel und ließ seine Einsamkeit hinter sich. Er wandte sich nicht mehr um nach seiner Vergangenheit.

    Die Sonne führte ihn, und er wurde um so glücklicher, je näher er seiner Heimat kam. Früher hatte er Sonnenlicht auf den Wellen und Wogen bewundert, jetzt trug er es in seinem Herzen.

    Mit der wunderbar glänzenden Perle in der Hand erfreute sich Haurani reinen Herzens so sehr wie bisher noch niemals an den glitzernden Schaumkronen und dem sanften Wind und den wandernden Wolken am Horizont und an der verinnerlichten Stimmung, als das Meer nach dem flammenden Abendrot seine leuchtende Farbe in dumpfes Schlummern wandelte.

    Haurani wusste jetzt um Hell und Dunkel.

    Im Licht der Sterne stellte er seine letzte Frage: „Weshalb bin ich auserwählt, dieses Glück empfinden zu können ?"

    „Frage nicht weiter, lebe. Und gib all das, was du erhalten hast. Wer ausersehen ist, gibt alles, unermüdlich und ohne zu fragen, und der Sinn des Lebens erfüllt sich."

    Haurani bedachte alles, was er von der Perle vernommen hatte und schlief schließlich mit dem Ausdruck des tiefen Friedens auf seinem Gesicht ein.

    Die Sonne weckte ihn am frühen Morgen. Und bald schon konnte er die Umrisse seiner Heimatinsel im zarten Schleier des ersten Lichts erkennen. Mit bangem Herzen näherte er sich der Insel.

    „Deine Zeit ist gekommen", flüsterte die Perle.

    Langsam trieb das Boot an Land. Und Haurani bemerkte, wie die Menschen unter den Palmen auf ihn aufmerksam wurden und zu jubeln begannen und mit Blättern in den Händen winkten und auf ihn zugelaufen kamen. Und mit Tränen der Freude sah er auch seine Mutter und seinen Vater und seine Brüder unter all den fröhlichen Fischern mit ihren Familien und Angehörigen.

    Er landete. Und sein Gesicht war das Gesicht eines Engels.

    Sie umringten ihn und riefen ihm die freudigsten Worte des Willkommens und des Wiedersehens zu, und bedächtig trat der Stammesälteste an ihn heran und blickte ihn voll Bewunderung an und reichte ihm gerührt die Hand und sagte: „Du bist auserwählt, und deine Arbeit kann künftig nicht das Fischen und Hüttebauen sein, lehre uns vielmehr das Wesen der Liebe, damit wir alle unser Glück finden können !"

    Und Haurani übergab ihm lächelnd die Perle und bat: „Lasst uns einander lieben, wie uns auch die Sonne liebt und Tag für Tag glücklich macht.."

    Eine ganz normale

    Liebesgeschichte

    Die beiden Zeiger auf der großen weißen Uhr auf dem Bahnsteig lagen fast übereinander, zehn Minuten vor zehn Uhr nachts. Der Zug fuhr an.

    Er schob das Fenster hinauf und ließ sich auf den mit rotem Plüsch gepolsterten Winkel neben dem Fenster erleichtert zurückfallen. Er war allein in dem Abteil und schlug das geöffnete Buch zu, das er vorhin neben sich gelegt hatte, bevor er zum offenen Fenster hinaus gesehen hatte, und schloss müde die Augen.

    Er hörte auf das gleichmäßige Rattern der rollenden Räder und spürte das kurze, ruckartige Wanken, wenn der Zug über einen Schwellenstoß holperte.

    Er dachte an die Frau, die er verlassen hatte, er hatte einfach die Flucht ergriffen, ohne noch lange herumzustreiten oder ein weiteres Wort zu sagen oder sie noch einmal zu umarmen, er hatte sie mit einem Mal ohne viel Aufhebens einfach verlassen, war folgerichtig fortgegangen wie ein automatisches Uhrwerk, das sich nicht kümmert, was mit der Zeit geschieht. Er hatte

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1