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Der Vampir von Hinterwaldeck
Der Vampir von Hinterwaldeck
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eBook248 Seiten3 Stunden

Der Vampir von Hinterwaldeck

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Über dieses E-Book

In der Nacht vom 31. März auf den 1. April 1922 wird auf dem Einödhof "Hinterwaldeck" eine ganze Familie ausgelöscht. Während die Öffentlichkeit über Jahrzehnte rätselt, wer der Mörder ist, weiß es Markus Winkler ganz genau. Jetzt, einhundert Jahre nach der Bluttat, öffnet er das Familienarchiv und erzählt die Geschichte seines Urgroßvaters Anton Winkler, der alles miterlebt hat - ein Geheimnis, das die Familie über Generationen bewahrte, wird nun gelüftet. Der Roman "Der Vampir von Hinterwaldeck" basiert auf einer wahren Begebenheit und überlieferten Sagen und Legenden aus dem Schrobenhausener Land.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum12. Okt. 2021
ISBN9783347194472
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    Buchvorschau

    Der Vampir von Hinterwaldeck - Markus Winkler

    Vorwort

    Ich heiße Markus Winkler, bin fünfunddreißig Jahre alt, verheiratet, Vater eines Sohnes, und lebe in Hohenwart, das zwischen Ingolstadt und Schrobenhausen liegt. Ich führe die Zimmerei und Dachdeckerei Eder & Winkler in vierter Generation. Aber das ist kein Buch über mein Handwerk oder eine Chronik über unser Familienunternehmen, auch wenn es wert wäre, eine solche zu verfassen; nein, es geht um etwas, das die Menschen in unserer Region und weit darüber hinaus seit nun hundert Jahren aufwühlt: der Mordfall Hinterwaldeck. Hinterwaldeck war ein abgelegener Einödhof nahe dem Dorf Graubern. Graubern wiederum gehört heute zur Gemeinde Waldhofen, beide Orte liegen etwa fünf Kilometer nordwestlich von Schrobenhausen, in Oberbayern.

    Bewohnt wurde Hinterwaldeck damals von der Familie Greiner-Laag. Das sind: der Großvater Andreas Greiner (64 Jahre) und seine Frau Cäzilia (72 Jahre); deren Tochter und Witwe Viktoria Laag (35 Jahre); deren Kinder Cäzilia (7 Jahre) und Josef (2 Jahre). Diese Personen fanden in der Nacht vom 31. März auf den 01. April 1922 den Tod durch Mörderhand. Und nicht nur diese, denn tragischerweise befand sich auch die Magd Maria auf dem Hof – gerade erst an diesem Abend zum Dienst angetreten, entkam sie ihrem schrecklichen Schicksal nicht. Insgesamt sechs Personen, denen allesamt der Schädel eingeschlagen wurde.

    Es war ein unerhörtes Verbrechen, das nie aufgeklärt werden konnte. Deswegen beschäftigen sich auch heute noch Medien aller Art mit diesem Vorfall, widmen sich Amateurgemeinschaften der Spurensuche und tragen auf ihren Internetseiten bergeweise Material zusammen; Menschen pilgern an den Tatort, obwohl jedes Andenken an diesen Einödhof sorgfältig ausgelöscht wurde und nur noch ein Acker zu sehen ist. Die Faszination und die Abscheu, die von diesem Verbrechen ausgehen und es umgeben, sind ungebrochen.

    Anders jedoch verhält sich die Sachlage für die beteiligten Familien, die der Zeugen und Verdächtigen. Vor allem für meine Familie ist der Mordfall Hinterwaldeck eine Begebenheit, die uns wie ein Schatten begleitet. Es ist aber nicht die Schuld, die auf uns lastet, sondern das Wissen. Als mein Urgroßvater Anton starb, also der Gründer unseres Familienbetriebes, übergab er meinem Großvater eine Kiste mit Dokumenten aller Art, darunter Bilder, Tagebücher, Notizbücher, amtliche und private Briefe, Magazine, Zeitungsausschnitte und sogar Filmaufnahmen. Darunter waren auch Dinge, die eher in den Bereich des Aberglaubens fallen, wie besondere Kruzifixe, Anleitungen für die Herstellung von Tinkturen, Kräutermischungen und sogar Schutzzaubern und Bannsprüchen, besonders zu erwähnen ein entsprechendes Büchlein, das meine Urgroßmutter Klara verfasste. Aber meinem Großvater verging das Lachen über diese Dinge, als ebendiese Klara ihm erklärte, warum sie es aufbewahrten. Auch mein Vater bekam diese Kiste irgendwann vermacht und vor etwa fünf Jahren, als er schwer erkrankte, bekam ich sie. Ich tue mich heute noch schwer, über ihren Inhalt zu sprechen, geschweige denn zu schreiben, ohne dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. Denn in dieser Kiste wird ein Geheimnis bewahrt: Es ist das Wissen darüber, wer der Mörder von Hinterwaldeck ist. Und es gibt auch darüber keinen Zweifel, dass Hunderttausende gerne wissen möchten, was ich weiß. Und jetzt ist der Moment gekommen, dass ich den Inhalt dieser Kiste mit der Öffentlichkeit teile.

    Dass es dieses Buch überhaupt gibt, ist das Ergebnis einer längeren Diskussion mit meinem Vater. Als er wieder gesundete – Gott sei Dank –, sprachen wir viele Male über unser Familiengeheimnis, das ich zwischenzeitlich studieren konnte. Ich vertrat dabei immer die Meinung, dass dieses gelüftet werden müsse, denn irgendwann verdienen sowohl die Opfer als auch die Öffentlichkeit die Wahrheit. Trotzdem zeige ich auch jetzt noch vollstes Verständnis dafür, dass die Geschichte meines Urgroßvaters Anton und meiner Urgroßmutter Klara lange geheim blieb, denn die Veröffentlichung noch zu deren Lebzeiten, hätte schwerwiegende Auswirkungen gehabt. Auch mein Großvater oder mein Vater hätten nur mit schwersten Konsequenzen die Inhalte der Schachtel publik machen können. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die meisten Menschen in Graubern oder Waldhofen endlich Ruhe haben wollten. Irgendwie schien jeder gewusst zu haben, wer es war, aber da der ultimative Beweis fehlte, fand sich die Dorfgemeinschaft mit der Unaufklärbarkeit des Verbrechens ab. Zu schweigen war der Konsens, damit es mit dem Dorfleben normal weitergehen konnte. Sehr emotional waren die Menschen also, wenn das Thema Hinterwaldeck zur Sprache kam. Bis vor zwanzig Jahren gab es immerhin noch viele Leute, die die damaligen Akteure noch zu Lebzeiten kannten und auf Enthüllungen daher sehr ungehalten reagierten. Zudem ist es so, dass viele Beweise, die den Täter hätten überführen können, bei einem Bombenangriff auf Augsburg untergingen. Eine Anschuldigung ohne Beweise hätte zu einer Ächtung meiner Vorfahren geführt. Sie hätten vielleicht die Gegend verlassen müssen, in der sie sich eine Existenz aufgebaut hatten. Also schwieg auch meine Familie.

    Das alles waren bis vor wenigen Jahren gute Gründe, das Geheimnis zu bewahren. Aber jetzt? Täter, Mitwisser, Augen- und Ohrenzeugen sind nun tot, die Nachkommen aufgrund ihres jungen Alters notwendigerweise unschuldig und moralisch nicht haftbar zu machen; aus meiner Sicht überwiegt nun das Recht der Opfer auf Enthüllung. Dennoch wehrte sich mein Vater noch lange Zeit vehement gegen die Veröffentlichung unseres Familienarchivs. Er war weiterhin der Meinung, dass die Gründe, die einstmals für die Geheimhaltung galten, auch heute noch Gültigkeit besaßen.

    Das änderte sich erst an einem Abend im April 2018: Wir gingen nach dem Wirtshausbesuch am Grab der Familie Greiner-Laag in Waldhofen vorbei. Das sind die Mordopfer von Hinterwaldeck, deren Grabstein (eher ein Denkmal) unübersehbar über die Mauer des Friedhofs hinausragt. Bereits leicht berauscht, fingen wir an, über dieses Thema zu reden – wieder einmal. Vor dem Grab stehend, schwiegen wir einen Moment und stellten uns vor, wie es wohl für Anton Winkler war, bei dem Begräbnis dabei sein und zu wissen, wer der Mörder war, ihm vielleicht sogar gegenüber gestanden zu sein. Ich fragte meinen Vater: „Meinst du, der Uropa würde heute immer noch schweigen? Mein Vater antwortete: „Ich glaube, dass er heute reden würde. Er hat sich immerhin etwas dabei gedacht, alle wichtigen Unterlagen aufzuheben. Und ich weiß, dass er sich oft auf die Lippen gebissen hat, wenn das Thema Hinterwaldeck zur Sprache kam. Es wollte aus ihm heraus. Das weiß ich genau. Und als ich meinen Vater dann fragte, ob es denn nicht doch Zeit wäre, das Archiv – die Kiste – zu veröffentlichen, gab er endlich seine Zustimmung. Und ja: Mehr als einmal machte er mir hinterher den Vorwurf, dass ich seinen Rausch ausnutzte. Aber liegt im Wein nicht auch die Wahrheit?

    Dass unsere Familie Winkler in den Fall überhaupt so verwickelt wurde, lag an der Freundschaft meines Urgroßvaters Anton mit Karl Laag. Hinterwaldeck-Kenner werden wissen, dass er der Ehemann der Viktoria Laag (geborene Greiner) war, die unter den Mordopfern ist und in dem Fall wohl eine entscheidende Rolle spielte. Ebenso ist er der Vater der kleinen Cäzilia Laag, die unter den Opfern wohl den schlimmsten Todeskampf durchlebte. Vor allem mit ihr ist mein Mitgefühl, denn sie ist neben der Magd und dem kleinen Jungen, der ebenso brutal wie bestialisch umgebracht wurde, wohl die Unschuldigste von allen. Dass die Verbindung der beiden Freunde sprichwörtlich über den Tod hinausging, ist wahrer, als der Leser jetzt noch glauben möchte. Durch diese Verbindung jedenfalls wurde mein Urgroßvater, und dadurch auch meine Familie, zu Wissensträgern.

    Und dieses Wissen betrifft nicht nur den Täter, sondern auch den wahren Kern der Odysseus-Theorie, also der Vermutung, dass Karl Laag wieder zurückkam aus dem Krieg, um die unsittliche Greiner-Sippe auszulöschen. Aber der wahre Kern stellt sich ganz anders dar, als die meisten vermuten. Und das ist der Teil der Geschichte, den ich selbst nur zögernd bereit war, zu veröffentlichen. Aber er gehört eben auch zur Geschichte. Ich kann diesen Teil nicht zurückhalten, auch um den Preis, dass viele Menschen sich von der Wahrheit abwenden werden, weil sie ihnen entweder unglaublich erscheint, sie zutiefst erschüttert oder von ihrer geheiligten Lieblingstheorie abweicht.

    Ich habe mich entschieden, diese Geschichte nicht wie ein Tagebuch oder ein Sachbuch zu schreiben, sondern sie zu erzählen. Der romanartige Stil liegt mir mehr und haucht den Beteiligten Leben ein. Aber ich kann versichern, dass das, was über diese im Folgenden geschrieben steht, so im Familienarchiv dokumentiert ist, so unglaublich es auch klingen mag.

    Während ich diese Zeilen hier schreibe, liegt immer ein Kräuterbeutel bei mir, wie ihn meine Ururgroßmutter Josepha füllte, um ihre Familie vor den bösen Mächten zu schützen, über die nun zu erzählen sein wird.

    Hohenwart in Oberbayern, Oktober 2021

    Markus Winkler

    Einleitung

    Anton Winkler wurde im Jahr 1888 in Waldhofen geboren. Er hatte noch einen Bruder, Jakob, der 1892 geboren wurde, der aber wegen eines Unfalls im kindlichen Alter mit einer leichten Gehbehinderung gestraft war. Seine Eltern, Wolfgang und Josepha, lebten vor dem Krieg beide noch. Die Winklers hatten eine bescheidene Forst- und Landwirtschaft, welche aber an den zweiten Sohn Jakob überging, denn Anton hatte durchgesetzt, dass er seinem Beruf als Zimmerer nachgehen durfte, in dem er auch seinen Meistertitel 1913 erwarb. Hätte der Krieg nicht alle zivilen Pläne durchkreuzt, wäre ein eigener Betrieb der nächste Schritt gewesen.

    Karl Laag, ebenfalls geboren 1888, stammte aus Waldhofen, genauer einem Gut, das als Kleinwaldhofen bekannt war und etwas außerhalb von Waldhofen lag – nördlich davon, jenseits der Paar. Er hatte noch fünf Geschwister, alles Brüder. Im April 1914 heiratete Karl die fast zwei Jahre ältere Viktoria Greiner – die von Hinterwaldeck, die bereits von ihm schwanger war.

    Karl und Anton gingen gemeinsam auf die Volksschule in Waldhofen. Als junger Erwachsener ließ sich Anton – entgegen dem Trend der Zeit – keinen Schnurrbart wachsen, wie Karl, sondern einen richtigen Vollbart. Von anderen damit aufgezogen war seine Antwort stets: „Ich kann’s. Bei eurem Flaum geht des nicht." Anton wirkte daher älter als er wirklich war. Wegen der fehlenden Jugendmode war das damals sowieso nur schwer einzuschätzen. Irgendwie sahen alle gleich aus.

    Karl Laag heiratete 1914 also in den Einödhof Hinterwaldeck ein. Zwischen Hinterwaldeck und Kleinwaldhofen lag ein kurzer Fußweg von vielleicht zehn, fünfzehn Minuten. Man kannte sich also schon ein Leben lang.

    Anton musste bald erfahren, dass sein Freund Karl sich bei seiner Frau und deren Familie nicht wohlfühlte. Auf deren Hof, der jetzt auch Karl gehörte, wohnte noch Viktorias Vater Andreas („Anderl"), ihre Mutter Cäzilia und deren Sohn aus erster Ehe, ein Martin Asum, also Viktorias Halbbruder. Eine Halbschwester hatte den Hof bereits verlassen. Über die Familie Greiner kursierten damals bereits unheimliche Gerüchte und im Sommer 1914 lebte Karl schon wieder bei seinen Eltern in Kleinwaldhofen. Scheinbar war an den Gerüchten etwas dran.

    Aber all das wurde im August 1914 zweitrangig, da ein Krieg von ungeahnten Ausmaßen über ganz Europa hereinbrach. Viele Männer, auch Anton und Karl, zogen im August 1914 jubelnd mit und meldeten sich freiwillig.

    Kapitel 1: An der Westfront (1914-1918)

    AUGUST-NOVEMBER 1914

    Mitte August 1914 kamen Anton Winkler und Karl Laag in das 13. Königlich Bayerische Reserve-Infanterie-Regiment. Sie wurden in einem Rekrutendepot ausgebildet und traten am 01.10.1914 an der Westfront ihren Kampfeinsatz an. Es ging direkt in die Schlacht bei Arras, die Teil des Wettlaufs zum Meer war, dem Vordringen zur belgisch-französischen Nordseeküste. Es folgten die Stellungskämpfe im Artois und damit der Beginn des Stellungskrieges, also der Kampf im Schützengraben, der so sinnbildlich für die Westfront war. Noch waren die Gräben eher behelfsmäßig und liefen ständig mit Wasser voll – stundenlang standen die Männer im Wasser, bei einbrechender Winterkälte! Die Verluste in den ersten Monaten waren zahlreich, da die Reservisten keine große militärische Erfahrung hatten, wogegen vor allem bei den Engländern fast nur Berufssoldaten in den Reihen standen, die schon in den zahlreichen britischen Kolonialkriegen gekämpft hatten. Anton und Karl überlebten diese erste Zeit jedoch mit Glück, das viele ihrer Kameraden nicht hatten. Im Dezember war allen klar: Weihnachten würden sie nicht zu Hause verbringen, entgegen aller Beteuerungen des Kaisers und der Generalität.

    11. DEZEMBER 1914

    Trotz der ersten Feuertaufe und vieler Gefallenen, war die Begeisterung unter den Soldaten immer noch groß, an diesem gewaltigen Geschehen teilnehmen zu dürfen. Den beiden Bauernburschen Anton und Karl schwante jedoch, dass das hier nicht das französische Abenteuer war, von dem die Großväter erzählten, die den Krieg von 1870/71 miterlebten. Das war eigentlich für Viele die Motivation, auch für Anton. Bei Karl lagen die Dinge allerdings etwas anders: Er hatte sich Anton wenigstens so weit anvertraut, dass er aus der kurzen Ehe wegwollte, denn Viktoria war zwar schön, aber die Familie schlecht und er rückte mit mindestens einem pikanten Detail heraus. Anton verstand andeutungsweise, was dort vorgegangen sein musste – und das Schlimmste war: Karls Frau wollte sich bei dem Problem nicht helfen lassen; er hätte den alten Greiner, Viktorias Vater, am liebsten rausgeschmissen und des Anwesens für immer verwiesen, aber er konnte sich nicht durchsetzen. Anton war sich immer schon sicher, dass es etwas mehr sein musste, als nur das magere Essen, das Karl auf Hinterwaldeck aufgetischt bekam. Deswegen die schwangere Frau zu verlassen, hätte er nicht gutgeheißen, aber das! „Unfassbar", sagte Anton zu dem, was Karl ihm enthüllte.

    Durch den Krieg war die Scheidung zwar zunächst vom Tisch, aber wie es mittelfristig weitergehen sollte, wusste Karl nicht, war doch nicht einmal sicher, ob er lebend aus dem Krieg zurückkehren würde. Aber Karl merkte, dass auch bei den anderen Männern aus Bauernfamilien nicht alles eitel Sonnenschein war. In den Briefen der Kameraden ging es selten um die Liebe und oft um knallharte Entscheidungen in privaten und wirtschaftlichen Dingen, denn die Frauen waren nun alleine und mussten die Geschäfte auf dem Hof führen. In vielen Briefen wurde hart gerungen und teilweise auch Unfreundlichkeiten ausgetauscht. Diese Erkenntnis machte es Karl etwas leichter, mit seiner Situation zurechtzukommen. Die Viktoria regelte sowieso alles ohne ihn, denn für sie war es immer noch ihr eigener Hof und Karl nur ein Gast.

    Briefe wollte Karl nur seinen Eltern und anderen Angehörigen der eigenen Familie schicken – mit seiner Frau wechselte er wohl nur ein einziges Mal Worte und das war wegen der Schwangerschaft. Und doch musste er sie geliebt haben, seine Viktoria, denn ein Bild von ihr trug er bei sich.

    Anton selbst kannte die Greiner-Familie nicht sehr gut, denn mit der Landwirtschaft hatte er nichts am Hut und daher auch keinen engen Kontakt zu den Landwirten der Umgebung – auch und erst recht nicht zu den Hinterwaldeckern. Aber Antons Mutter meinte, dass sie nichts Gutes über diese Familie zu erzählen wüsste. Anton war, was Gerüchte betraf, immer schon schlecht informiert, weil er sich dafür normalerweise nicht interessierte, aber nun betraf es seinen Freund. Offensichtlich überwog bei der Heirat das wirtschaftliche Interesse, denn Karl konnte in eine recht begüterte Familie einheiraten und der Hahn im Korb werden – zumindest theoretisch. Auch durfte man nicht vergessen, dass Karl fünf Brüder hatte und er war der älteste, also erbte er eigentlich den Hof und die anderen mussten schauen, wo sie blieben. Das führte gerne und oft zu Spannungen in den Familien – wenn dann die Chance bestand, einen der Söhne gut unterzubringen, dann musste diese genutzt werden; Liebe hin oder her. Im Fall der Laags rückte nun der zweitälteste Sohn Josef als Erbe des Hofs nach, weil Karl mit Hinterwaldeck nun mit einem eigenen Hof versorgt war. Somit war diese Beziehung sinnvoll, wenn auch emotional ungefestigt.

    Was die Liebe betraf, lief es bei Anton harmonischer: Er hatte eine Verlobte, in die er sehr verliebt war, und die hieß Klara. Sie kam aus Ingolstadt und war eine Metzgerstochter. Das war nicht einfach durchzusetzen, weil Antons Vater für ihn schon eine andere Frau ausgesucht hatte, aber der ließ sich überreden, und so übernahm Antons jüngerer Bruder Jakob, der wegen eines Gehfehlers ohnehin nicht wehrtauglich war, die ausgesuchte Frau (Rosa, die Tochter eines anderen Landwirts aus Waldhofen). In Jakobs Händen war der Hof eindeutig besser aufgehoben, denn der konnte nicht im Krieg fallen. Und auch der Vater musste erkennen: Anton und Landwirtschaft waren zwei Dinge, die nicht auf einen Nenner zu bringen waren. Anton freute sich daher, dass sein Vater verständnisvoll war und ihn gewähren ließ. Umso mehr traf es Anton, dass Wolfgang Winkler Ende Oktober 1914 verstarb und er nicht bei ihm sein konnte, als er seinen letzten Atemzug tat. Die Mutter Josepha informierte Anton über die Feldpost über des Vaters Tod; eine Lungenentzündung raffte ihn dahin. Die Lunge des Vaters war wegen des vielen Pfeiferauchens sowieso schon angegriffen und auf den Rat anderer wollte er nicht hören. Das hatte sich nun gerächt. Ein Brief seines Bruders Jakob folgte einige Zeit später, in dem es um das Testament und die Erbschaft ging.

    Der Unterstand war eine Art Bunker, mit Holzbrettern ausgekleidet, der vom Schützengraben aus zugänglich war. Hier hielten sich die Soldaten auf, wenn sie sich vor dem gegnerischen Granatfeuer in Sicherheit brachten oder sich ausruhen durften. Einige Meter unter der Erde, war vom Granatfeuer nur noch ein dumpfes Grollen und leichte Erschütterungen zu vernehmen, sodass ein wenig Entspannung möglich war. Karl saß an diesem Abend am Tisch, der in der Mitte des Schlafraums stand, und spielte mit drei anderen Kameraden Schafkopf. Umgeben waren die vier Kartenspieler von fünf Stockbetten, in denen jeweils zwei Mann schliefen. In einem davon lag Anton, der gerade einen Brief an seine Klara schrieb, was seine liebste Beschäftigung nach dem Lesen ihrer Antworten war:

    Neuville, d. 11. Dezember 1914, Freitagabend 3/411 Uhr.

    Mein heißgeliebtes Mädchen! Klara

    Jetzt habe ich etwas Ruhe. Liege hier im Unterstand auf meinem Strohbett und versuchte ein wenig zu schlafen, aber es wollte mir nicht gelingen. Das Ungeziefer lässt mich nicht. Ein Lichtblick – man ist hier nie ohne Gesellschaft. Dann machen die Kameraden so viel Krach beim Kartenspielen. Und dann kracht regelmäßig eine Granate vom Franzosen herunter und man wacht sowieso wieder auf. Manche haben aber so einen gesegneten Schlaf – die würden sogar ihren Tod verschlafen.

    Draußen ist es bitterkalt, aber unser Unterstand ist ein Backofen. Viele sind krank wegen dem ganzen Hin und Her, heiß und kalt. Übrigens soll ich Grüße vom Michler ausrichten. Den hast du ja beim Maifest kennengelernt. Der ist in einer Nachbarkompanie und ist auch schon am Fluchen. Hier und da sehe ich beim Essenholen ein paar bekannte Gesichter, aber wenns ums Essen geht, da herrscht keine Geduld und ich kann mich nicht unterhalten mit den Leuten. Und wir dürfen auch nicht zu weit weg und herumstreunen, wenn wir an der Front sind. Aber schön haben

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