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DAS GEHEIMNIS DER ROTEN SCHLANGE: Thriller
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DAS GEHEIMNIS DER ROTEN SCHLANGE: Thriller
eBook340 Seiten4 Stunden

DAS GEHEIMNIS DER ROTEN SCHLANGE: Thriller

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Über dieses E-Book

Patty Doyle kennt das Geheimnis ewigen Lebens – und doch könnte ihr dieses Wissen einen frühen Tod bescheren.
Patty arbeitet an dem Tagebuch eines Alchimisten aus dem 14. Jahrhundert. Doch nachdem sie ihre Arbeit in einem ihrer Blogbeiträge erwähnt, findet sie im Büro ihre Kollegen brutal ermordet vor. Nun ist sie auf der Flucht, von Amerika bis nach Schottland, verfolgt von einem Killer, der es auf das Geheimnis des ewigen Lebens abgesehen hat.
 Dieses Buch weckt Erinnerungen an die Thriller eines Alfred Hitchcock, gewürzt mit einer gehörigen Portion abenteuerlicher Geheimnisse eines Dan Brown. 
SpracheDeutsch
HerausgeberLuzifer-Verlag
Erscheinungsdatum31. Okt. 2021
ISBN9783958356085
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    Buchvorschau

    DAS GEHEIMNIS DER ROTEN SCHLANGE - William Meikle

    Kapitel 1

    Patty Doyles Blog bestand aus zwanzig Zeilen Müll und zwei Zeilen Wahrheit.

    Der Müll sorgte für ihre Entlassung.

    Die Wahrheit brachte sie in echte Schwierigkeiten.

    Nicht, dass sie etwas ahnte, als sie am nächsten Morgen Doug Richards’ Büro betrat. Er lauerte ihr bereits an der Eingangstür auf und gab ihr nicht einmal die Gelegenheit, ihren Mantel auszuziehen.

    »Komm in mein Büro«, sagte er.

    »Wieso kommst du nicht in meins? George hat bestimmt heiße Donuts«, gab Patty lächelnd zurück.

    Davon wollte Richards nichts wissen. Er schritt den Korridor entlang und Patty verfiel in einen stotternden Lauf, um mithalten zu können. Ihre Absätze klackerten martialisch über den Marmorboden.

    Die Röte auf Richards Wangen und die schroffe Art, auf die er sie in den Raum winkte, verrieten ihr, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Tatsache, dass sich Pattys Umhängetasche am Türgriff verfing und sie drei Anläufe brauchte, um diese davon zu befreien, verbesserte seine Laune in keiner Weise.

    »Wenn du fertig bist«, bemerkte er sarkastisch.

    Patty entwirrte die Tasche und drehte sich um.

    Richards stand bereits hinter seinem Schreibtisch wie hinter einem Schutzwall. Er wies auf den Stuhl gegenüber.

    »Sitz.«

    »Ich bin kein Hund«, entgegnete sie und lächelte in Erwartung einer schlagfertigen Antwort, aber Richards deutete nur schweigend auf den Stuhl.

    »Noch keinen Kaffee gehabt, Doug?«, fragte sie.

    »Nein. Und du wirst auch keinen haben«, antwortete er. »Ich will dich hier innerhalb der nächsten Stunde raushaben.«

    Zuerst war sie nicht ganz sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte. Sie war von dem gelben Senffleck auf seiner roten Krawatte abgelenkt und hatte den vollen Ernst der Lage noch nicht begriffen.

    »Was? Du versetzt mich in ein anderes Büro? Aber …«

    Er fiel ihr ins Wort.

    »Nein. Kein anderes Büro. Aus dieser Tür raus, also gefeuert, entlassen, gekündigt, abgesägt, den Arsch auf die Straße gesetzt und rausgeworfen.«

    »Was? Ist uns wieder die Finanzierung ausgegangen?«

    »Nein«, entgegnete Doug, »aber mir ist die Geduld ausgegangen. Doug Richards kann seinen Arsch nicht vom Ellbogen unterscheiden. Warum ihm irgendjemand die ganze Abteilung anvertrauen würde, ist mir ein Rätsel

    Er hielt inne.

    »Klingt das irgendwie bekannt?« Er las weiter. »Er ist ein kleinlicher, bornierter Buchhalter mit einer Kasse anstelle eines Herzens

    »Das war nur ein kleiner Spaß auf meinem Blog. Ich hab mir nichts dabei gedacht.«

    »Und ich denk mir dabei nichts.«

    Er überreichte Patty einen Umschlag.

    »Hier sind drei Monatsgehälter. Bye bye. Räum deinen Schreibtisch auf. Und pass auf, dass dir die Tür beim Gehen nicht in den Rücken knallt.«

    Patty stand vor der Tür und versuchte noch immer zu begreifen, was gerade passiert war.

    Gefeuert, entlassen, gekündigt, abgesägt, den Arsch auf die Straße gesetzt und rausgeworfen.

    So was passierte hier nicht. Das Aufregendste an jedem Tag war, wenn George seine Donuts mitbrachte und sie sich für eine Geschmacksrichtung entscheiden mussten.

    Tja, jetzt haben sie neuen Gesprächsstoff.

    Sie blickte auf den Umschlag in ihrer Hand, ein stichhaltiger Beweis dafür, dass das kein Traum war. Sie hatte Richards als Vorgesetzten nie leiden können. John Tanner war viel besser gewesen, ein Intellektueller der alten Schule, der ihre Freude daran teilte, jahrhundertealte Bücher in den Händen zu halten. Als Tanner in den Ruhestand gehen musste und Richards übernahm, hatten sie ihm einen Vertrauensvorschuss gegeben, zumindest für zwei Wochen, bis zur ersten Projektkonferenz. Richards hatte von fast nichts anderem gesprochen als von Budgetierung, von Restriktionen und Pfennigfuchserei.

    Patty hatte schon vor mehr als einem Jahr gewusst, dass sie den Kerl nie mögen würde. Allerdings hätte sie nie damit gerechnet, dass das in ihrer Entlassung gipfeln würde.

    Sie erinnerte sich kaum daran, den Blogbeitrag geschrieben zu haben. Gestern war ein langer Tag gewesen. Sie hatte ihn damit verbracht, an einem Manuskript zu arbeiten, das in einer so winzigen, krakeligen Handschrift verfasst war, dass sie eine Lupe brauchte. Bis Mittag hatte sie so starke Kopfschmerzen, dass Aspirin kaum noch half. Vier Stunden später hatte es sich so angefühlt, als würde ein kleiner Mann direkt hinter ihren Augen mit einem riesigen Hammer zu Werke gehen.

    Sie war heimgekommen und hatte ein heißes Bad genommen, dann hatte sie sich ein paar Gläser Wein gegönnt. Im Nachhinein war das vermutlich keine gute Idee gewesen.

    Sich dann noch im Lonely-Singles-Chatroom anzumelden, war eine noch schlechtere. In der ersten halben Stunde hatte sie drei Widerlinge abwehren müssen, woraufhin der Kopfschmerz zurückgekehrt war. Also hatte sie sich etwas mehr Wein genehmigt.

    Danach verschwamm alles ein wenig. Sie erinnerte sich nur bruchstückhaft daran, wie sie von ein paar Onlinefreunde dazu angestachelt worden war, ihre Gedanken über ihren verklemmten Boss zu posten. Nach einem weiteren Glas Wein hatte sie den Beitrag verfasst und war danach sofort ins Bett gefallen.

    Sie hatte den Blog an diesem Morgen schon gar nicht mehr auf dem Schirm, geschweige denn, dass Richards ihn las. Sie hätte es besser wissen müssen. Richards war genau die Art von Vorgesetztem, der alles über seine Mitarbeiter wissen wollte.

    Aber so schlimm konnte es doch nicht gewesen sein, oder?

    Sie zog in Erwägung, geradewegs zurück in sein Büro zu marschieren und die Sache mit ihm zu klären. Allerdings war ihr bewusst, dass er mindestens so stur wie verklemmt war und seine Meinung nach einer gefällten Entscheidung niemals ändern würde. Das würde er höchstens als Zeichen der Schwäche ansehen. Patty lief dreimal durch den Korridor, wobei sie versuchte, den Knoten zu lösen, der sich in ihrem Magen gebildet hatte.

    Sie hielt nur an, als sie bemerkte, wie Richards sie beobachtete. Der Mann trug ein kleines, verkniffenes Grinsen zur Schau, das Patty ihm am liebsten aus dem Gesicht geprügelt hätte.

    Um dieses Verlangen im Zaum zu halten, steuerte sie einen Ort an, wo sie sicher sein konnte, etwas Mitgefühl zu erhalten. Als sie dann schließlich zu ihrem Büro zurückkehrte, war sie wütend, sowohl auf sich selbst als auch auf Doug Richards, überwiegend aber auf Richards.

    »Für wen hält sich dieses Arschloch?«, sagte sie laut, während sie die Tür aufstieß.

    Niemand antwortete.

    In der Luft lag ein unbekannter Geruch. Er brannte ihr in Hals und Nebenhöhlen.

    »Wessen Katze ist hier krepiert?«, fragte sie.

    Das war Jill Stanleys Standardwitz, wenn jemand gefurzt hatte, aber sie reagierte nicht. Wenige Sekunden später fand Patty heraus, warum. Sie schritt durch die Tür und fand die Sekretärin mit dem Gesicht nach unten auf dem Kopierer liegend. Ihr Hintern war in die Luft gereckt.

    »Bitte sag mir, dass du nicht schon wieder dein Gesicht kopierst«, sagte Patty. »Letztes Mal warst du für die nächste Stunde blind.«

    Jill Stanley rührte sich nicht.

    »Komm schon, Jill, hör auf mit den Spielchen.«

    Jill war weit entfernt von irgendwelchen Spielchen.

    »Jill, komm schon«, sagte Patty erneut, diesmal mit einer Spur Hysterie in der Stimme. »Zwinker, lass einen fahren, mach irgendwas. Das ist nicht lustig.«

    Sie war weit genug gelaufen, um einen Blick auf das Gesicht der Sekretärin zu erhaschen. Jills Augen starrten ausdruckslos ins Leere.

    Patty trat einen Schritt zurück, konnte ihren Blick aber nicht von der Spur aus Blut und Speichel abwenden, die von Jills Mund auf den Kopierer lief.

    »Jill?«, flüsterte sie.

    Sie trat mit ihrem Absatz gegen einen Stuhl, stolperte und fiel fast hin. Als sie die Hand ausstreckte, um sich abzustützen, spürte sie etwas Weiches, Nasses. Sie schaute nach unten und wich ein zweites Mal zurück, in die Zimmerecke, wo sie sich eng an die Wand drückte. Ihre Hände zitterten, ihre Mundwinkel zuckten und drohten in ein Schluchzen auszubrechen.

    George Brookes war von Anfang an ihr Freund gewesen. Er war derjenige, der ihr gezeigt hatte, wo es langging, welchem Manager man trauen konnte und welcher ein schleimiger, kleiner Scheißer war, der einen unterbuttert, nur um selber hochzukommen. George war jemand, der eine Fliege lieber aus dem Fenster scheuchte, als sie zu töten, der Zeichnungen seiner Kinder über dem Schreibtisch aufhing. Patty schaute auf die großen bunten Pappen, die von den Jungs bemalt wurden, und heiße Tränen quollen aus ihren Augenwinkeln.

    Vor ihm stand eine Kaffeetasse auf dem Schreibtisch, zusammen mit einer Dose Würfel- und Puderzucker. George würde in Zukunft allerdings weder Kaffee trinken noch Donuts essen. Er saß aufrecht im Stuhl an seinem Arbeitsplatz. Seine Augen waren geschlossen, gingen fast als schlafend durch. Aber sein Kopf klappte in einem unnatürlichen Winkel nach hinten und an der Stelle, die Patty berührt hatte, hatte er ein klaffendes, nasses Loch im Hals. Patty wusste, dass Georges Hemd wie an jedem Dienstag weiß sein musste. Stattdessen war es rot.

    Mehr Tränen bahnten sich ihren Weg und Patty hob die Hand, um sie abzuwischen. Etwas Rotes tauchte in ihrem Sichtfeld auf und sie hatte Schwierigkeiten damit, sich zu konzentrieren. Ihre Hand sah aus, als hätte sie einen purpurroten Handschuh übergestreift.

    In ihr staute sich ein Schrei an, aber sie konnte ihn nicht herauslassen.

    Nicht, wenn alles so ruhig ist.

    Eine ganze Weile stand sie zitternd in der Ecke und versuchte, ihre Beine zu bewegen.

    »Sei kein Frosch, Patty«, hörte sie Georges Stimme aus vergangenen Jahren in ihrem Kopf. »Wir beißen nicht

    »Oh, George«, flüsterte sie. »Es tut mir so leid.«

    Sie schaute zur Haupttür des Büros.

    »Lauf«, befahl ihr eine innere Stimme, »niemand gibt dir die Schuld, wenn du rennst

    Sie überblickte den Arbeitsbereich. Ihr Schreibtisch befand sich in einem anderen Raum, am Ende des engen Flurs, der von Bücherregalen gesäumt war. Das war das einzige Büro dort. Sie konnte nichts machen, bis sie einen Blick hineingeworfen hatte.

    Dort würde Mary sitzen, eine E-Zigarette rauchen und sich mit gespielter Entrüstung über die Hitze Luft zufächeln. Patty würde ihr gegenübersitzen, sie würden sich über Männer, das Fernsehen und die alltägliche Langeweile unterhalten. Es wäre ein Tag wie jeder andere.

    Und nach unserem Schwatz werd ich einfach zurück an die Arbeit gehen, alles wird schön und gut sein.

    »Mary?«, wollte sie rufen, aber sie brachte kaum mehr als ein Flüstern hervor. »Bist du da?«

    Endlich gehorchten ihre Beine wieder und begannen, sich in Bewegung zu setzen.

    Sie schlängelte sich an George vorbei, wobei sie versuchte, nicht allzu genau hinzusehen. Es gelang ihr jedoch nicht, ihren Blick von der roten Spur abzuwenden, die von seinem Hals in seinen Schritt lief.

    Oh, George. Sarah wird sich so über dich ärgern.

    Sie konnte Jill noch immer auf dem Fotokopierer liegen sehen und lief schneller. Sobald sie im büchergesäumten Korridor stand, gelang es ihr fast, zu glauben, dass am Ende alles wieder gut werden würde.

    Die Tür zum Verwaltungsbüro stand einen Spalt offen, aber das war nicht weiter ungewöhnlich, denn Mary trug ständig Gutachten und Briefe hin und her und machte sich mit ihrer Geschäftigkeit permanent bemerkbar.

    »Mary?«, flüsterte Patty und stieß die Tür auf.

    Mary Collins war da, aber sie sprach nicht.

    Die Verwalterin saß ebenfalls am Schreibtisch und starrte Patty aus babyblauen Augen an. Auf ihrer Stirn prangte ein drittes Auge, ein schwarzes Loch, aus dem ein dünnes Rinnsal von Blut lief. Es sah sauber, fast schon ordentlich aus, ganz im Gegensatz zu der Wand dahinter. Die hatte sich in ein Jackson-Pollock-Starterkit verwandelt. Rote Spritzer und dunkle Flecken erstreckten sich fächerförmig über die weiße Fläche.

    Einmal mehr wich Patty zurück. Neue Tränen sammelten sich in ihren Augen. Sie wischte sie weg. Ihr Atem ging heiß und stockend, aber sie konnte noch immer nicht schreien. Sie lief in den Flur zurück und zog die Tür zum Verwaltungsbüro hinter sich zu.

    Ich komm später nochmal vorbei, Mary, wenn du nicht so viel zu tun hast.

    Sie schaute wieder zur Tür, die aus dem Büro führte, aber es gab noch ein Zimmer, in das sie einen Blick werfen musste. Sekundenlang stand sie vor ihrer geschlossenen Bürotür. Patty konnte sich nicht dazu überwinden, die Klinke zu drücken.

    Was, wenn ich da drin bin? Was, wenn ich tot bin?

    Sie wusste, dass der Gedanke irrational war, aber so, wie der Tag bisher verlief, war alles möglich. Sie lauschte mit einem Ohr an der Tür, alles war still. Der Messinggriff fühlte sich zunächst kalt in ihrer Hand an, aber sie stand so lange dort, bis er sich erwärmte.

    Endlich öffnete sie die Tür. Sie ging nicht hinein, ließ nur die Tür aufschwingen.

    Da war jemand im Raum, aber wie alle anderen aus ihrer Abteilung regte er sich nicht.

    Er lag auf dem Boden, aus einer Wunde oberhalb seines Ohrs lief Blut und bildete eine Pfütze auf dem Teppich.

    Patty kannte ihn nicht. Er trug einen raffinierten, teuren Anzug, und an der Sohle seiner Lederschuhe klebte noch immer ein Preisschild. Das und die Tatsache, dass er tot war, war alles, was sie über ihn wusste.

    Sie trat nach vorn.

    Rechts von ihr bewegte sich jemand und griff nach ihrem Arm. Diesmal gelang es ihr, zu schreien, dabei wurde sie aber von einer Hand unterbrochen, die sich schnell über ihren Mund legte.

    »Schhh«, flüsterte ihr eine sanfte Stimme ins Ohr, »sie sind noch immer hier.«

    Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu winden, aber er hielt sie fest.

    »Haben Sie mich nicht gehört? Die sind hinter Ihnen her. Sie sind immer noch hier.«

    Sie ließ sich in die Armen des Mannes fallen.

    »Schon besser«, sagte er ruhig. »Kommen Sie jetzt mit mir mit. Wir müssen Sie hier rausbringen.«

    Sie fühlte, wie er sich entspannte. Nur ein wenig, aber genug, damit sie sich von ihm befreien und entfernen konnte. Beinahe wäre sie über die Leiche auf dem Boden gefallen, aber es gelang ihr, auf Zehenspitzen um sie herumtänzeln und sich umzudrehen, um dem, der sie festgehalten hatte, ins Gesicht zu schauen.

    Ein schmächtiger, dünner Mann stand vor ihr. Patty selbst war relativ klein und war es gewohnt, zu Männern aufzublicken, aber sein Gesicht lag auf Augenhöhe. Er begegnete ihr mit einem freundlichen, offenen Lächeln, nur seine Augen verrieten etwas Anspannung.

    »Ich hoffe, Sie machen nichts Dummes, wie zu schreien«, sagte er mit einem beschwingten Akzent, den sie nicht so recht zuordnen konnte.

    Patty blickte zur offenen Tür, aber dort waren die anderen Dinge passiert, an die sie nicht zu denken versuchte.

    »Tut mir leid wegen ihrer Freunde«, sagte der Mann sanft. »Aber wir können ihnen jetzt nicht mehr helfen. Wir müssen hier raus.«

    Er streckte die Hand aus. Patty ignorierte sie.

    »Haben Sie sie getötet?«, fragte sie.

    »Die da draußen? Nein.« Er trat nach der Leiche zu seinen Füßen. »Den da, ja. Hätte ich das nicht getan, wären Sie genauso tot wie die anderen.«

    Er bewegte sich zur Tür und hielt ihr erneut die Hand hin.

    »Jetzt, bitte. Kommen Sie mit mir mit. Ich kann helfen.«

    Hilfe. Das hört sich gut an.

    Patty warf einen letzten Blick auf den Körper auf den Boden, dann ergriff sie die ihr dargebotene Hand.

    Kapitel 2

    Als Mike Turner am Ort des Geschehens ankam, wimmelte es bereits von Kriminaltechnikern und Streifenpolizisten. Fast hätte er vor der Tür auf dem Absatz kehrtgemacht.

    Ich will das echt nicht mehr machen.

    Vor langer Zeit hatte ihn der Anblick der Cops, die Zeugenaussagen aufnahmen, die Techniker, die die Ausrüstung hin- und hertrugen, die unermüdliche Emsigkeit eines neuen Tatorts freudig erregt. Jetzt nicht mehr.

    Jetzt fürchtete er sich vor dem, was darin auf ihn wartete. Die Angst davor verursachte ihm Bauchschmerzen und Übelkeit.

    Vielleicht ist das nur der Whisky von letzter Nacht.

    Die Presse hatte bereits Wind davon bekommen und drei verschiedene Nachrichtensender rangen hinter einer Barriere um die beste Position. Sie alle riefen nach Mike, als er sein Auto verließ, aber dieser hatte schon vor vielen Jahren gelernt, dass es am besten war, gar nicht erst mit ihnen zu reden – zumindest nicht, bis er das mit seinem Captain abgesprochen hatte. Er ignorierte ihre zunehmend schrillen Forderungen und ging langsam zum Schauplatz.

    Er ließ sich eine Minute Zeit, um die Außenansicht des Gebäudes von der Straße aus zu beobachten. Es sah nicht nach einem Schlachthaus aus, aber das war selten der Fall. An den meisten Wochentagen war Mike daran vorbeigefahren und hatte nie darüber nachgedacht, was darin vor sich ging. Der Name über der Tür gab kaum etwas preis.

    Morrisons. The Bibliophiles stand da. Selbst jetzt war er nicht ganz sicher, was das bedeutete. War das ein Buchladen? Falls ja, hatte er keine Straßenfront, nur eine Sicherheitstür zum Eingangsbereich, der lediglich durch getönte Fenster sichtbar war.

    Was auch immer sie darin trieben, es stank nach Geld – so viel war klar, als er die Tür aufstieß.

    Er zeigte dem dort stationierten Officer seine Dienstmarke.

    »Das hier ist übel, Lieutnant«, sagte der junge Beamte.

    »Ist das nicht immer so, Kleiner?«

    Der Polizist sah Turner an, als wäre er leicht übergeschnappt. Der Lieutnant gewöhnte sich an diesen Blick. In letzter Zeit wurde ihm der recht oft zugeworfen, meistens von seinem Sergeant, aber auch von dem Typen am Zeitungsstand, dem Barkeeper im Two Hounds und dem Jungen an der Supermarktkasse. Er wusste, was das bedeutete. Er war sich nur nicht ganz sicher, ob er dazu bereit war, etwas daran zu ändern.

    »Wo steigt die Party?«, fragte er und wurde durch eine Reihe mit Eichenholz getäfelter Korridore geführt.

    Okay, die hier haben Kohle. Und davon eine ganze Menge.

    Weitere Forensiker puderten gerade Fingerabdrücke, wobei sie eine Spur bildeten, der er leicht bis zu der Stelle folgen konnte, wo sich alle Polizisten versammelt hatten.

    Wie Wespen um den Honigtopf.

    Die Tür war mit Katalogisierung beschriftet, aber das half ihm nicht viel weiter.

    Mendoza warf ihm den gleichen Blick zu, als er ins Büro ging.

    »Lieutnant«, sagte sie vorsichtig, als würde Mike gleich zubeißen.

    »Sergeant«, antwortete er. »Womit haben wir heute das Vergnügen?«

    Der Blick verschwand so schnell wie er gekommen war und sie verhielt sich ganz geschäftsmäßig.

    »Es sind mehrere. Drei Büroangestellte.«

    »Zeig mir alles«, sagte Turner.

    Mendoza führte ihn durch das Büro. Bei der Farbkombination zuckte Mike zusammen, das Limonengrün vertrug sich nicht mit dem Mahagoni.

    »Ich würde durchdrehen, wenn ich hier arbeiten müsste«, murrte er.

    Erst nach dem ersten grünen Farbschock begann er, seine Aufmerksamkeit dem Büro zu widmen. Es war ein kleiner Raum, keine fünf Meter breit, der drei Schreibtische, vier Schränke und zwei Leichen beinhaltete.

    Sie liefen zu der Stelle hinüber, wo eine junge Frau über einem Fotokopierer lag. Ein Forensiker kniete vor ihr auf dem Boden und suchte ihn nach Fasern ab.

    Mike fühlte sich den Tränen nahe.

    »Jill Stanley, 22 Jahre alt«, erklärte Mendoza. »Keine Vorstrafen, nur ein paar Verkehrsdelikte. Ziemlich mitgenommen, ihr Genick ist gebrochen. Höchstwahrscheinlich wurde sie gegen die Wand geschleudert … und das nicht gerade sanft.«

    Mike umrundete den Forensiker, um die Leiche aus der Nähe zu betrachten. Die Augen des Mädchens starrten Mike anklagend an.

    Du hättest was tun sollen, sagten sie. Er wandte seinen Blick von ihrem Gesicht ab, aber das half nichts. Der knappe Rock der Sekretärin war nach oben gerutscht, sodass ihre Oberschenkel gut sichtbar waren, und gab den Blick auf ein rotes Höschen frei.

    »Nehmt sie hier runter und bringt sie außer Sichtweite, sobald ihr könnt«, befahl er.

    »Die Forensiker werden eine Weile brauchen und …«

    »Und das arme Mädchen zeigt hier der ganzen Welt ihren blanken Arsch. Wir sollten ihr etwas Würde zurückgeben, nicht?«

    Diesmal war es der Kriminaltechniker, der Mike den Blick zuwarf, aber Mike war das schon längst egal.

    »Alles in Ordnung, Boss?«, fragte Mendoza, aber Mike hatte sich bereits weggedreht. Der Anblick von George Brookes verbesserte seine Laune nicht. Er versuchte, sich auf den Schreibtisch statt auf die Leiche zu konzentrieren, aber das lenkte seine Aufmerksamkeit nur auf die groben Zeichnungen an der Wand darüber, die Grundfarben und Strichmännchen glücklicher Kindern, die darauf warteten, dass Papa nach Hause kam. Die Übelkeit lag ihm noch immer wie ein Stein im Magen.

    Immerhin hatte Brookes die Augen zu. Das klaffende Loch in seinem Hals sah aus wie ein zusätzlicher Mund.

    Du hättest was tun sollen, flüsterte es ihm zu, bevor Mike wegschauen musste.

    »Garrotte«, sagte Mendoza. »Wahrscheinlich Klaviersaitendraht. George hier war 45, verheiratet, hatte drei Kinder und scheint an diesen Schreibtisch gefesselt gewesen zu sein, seit er 20 war.«

    »Irgendeine Verbindung zur Sekretärin?«

    »Nichts außer ihrem Job. Aber da gibt’s noch mehr.«

    Sie hob Brookes’ Hand. Als Mike sich hinabbeugte, sah er, dass drei Fingernägel gewaltsam entfernt wurden.

    »Er wurde zuerst gefoltert«, stellte Mendoza fest.

    »Natürlich«, erwiderte Mike traurig.

    In dem engen Flur, der zu den Büros im hinteren Teil führte, nahmen weitere Kriminaltechniker Fingerabdrücke. Die Wände hier waren ebenfalls mit dunklem Holz getäfelt und wirkten in Kombination mit der dunkelbraun gestrichenen Decke wie ein langer Tunnel. Plötzlich hatte Mike Platzangst. Er blieb stehen. Sein Atem ging heiß und stockend.

    Mendoza stand neben ihm, aber Mike weigerte sich, sie anzuschauen. Als sie eine Hand nach ihm ausstreckte, schob er diese beiseite.

    »Zeig mir einfach den Rest«, sagte er schroff. »Deshalb bin ich doch hier, nicht?«

    Er bekam erneut den Blick ab.

    »Nach dir.« Sie führte ihn durch den Korridor.

    Er stand an der Bürotür und blickte die Frau darin an, die mit einem zusätzlichen Loch im Kopf am Schreibtisch saß.

    »Mary Collins«, erklärte Mendoza. »Einzelne Schussverletzung, aus kurzer Distanz. Ich bezweifle, dass sie zu Wort kam.«

    Mary sagte etwas, aber nur Mike konnte sie hören.

    Du hättest was tun sollen.

    Er warf Mary Collins’ Leiche nur einen flüchtigen Blick zu, bevor er sich der anderen Büroseite widmete.

    Das Erste, was ihm auffiel, war die große Blutpfütze auf dem Boden.

    »Wessen Blut ist das?«, fragte er Mendoza.

    »Wissen wir noch nicht, Boss. Das Büro gehörte einer Patty Doyle, aber wir haben keine Ahnung, wo sie

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