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Frédéric Chopin: Briefe und Zeitzeugnisse, Ein Lesebuch
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eBook292 Seiten3 Stunden

Frédéric Chopin: Briefe und Zeitzeugnisse, Ein Lesebuch

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Über dieses E-Book

Nie drängte er einem anderen seinen Willen auf; nie suchte er den Geist eines anderen zu beherrschen oder zu ersticken. Nie vergewaltigte er ein fremdes Herz, nie griff er erobernd in das Schicksal eines anderen ein. Er beanspruchte nichts und ver-schmähte es, etwas zu fordern. Wie Tasso könnte man sagen: Ich ersehnte viel, erhoffte wenig, begehrte nichts.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum6. Sept. 2022
ISBN9783756892204
Frédéric Chopin: Briefe und Zeitzeugnisse, Ein Lesebuch

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    Buchvorschau

    Frédéric Chopin - Hans Werner Wüst

    Für Professor Pavel Gililov

    Besonderen Dank an Dr. Bernd Anton und Rüdiger v. Durant, von denen ich viele wertvolle Anregungen erhalten habe.

    Hans Werner Wüst, Köln:

    Frédéric Chopin, Briefe und Zeitzeugnisse - Ein Portrait

    INHALT

    Vorwort

    Chronik

    Chopins Persönlichkeit

    Chopin als Komponist

    Chopin als Pianist

    Chopin als Lehrer

    Chopins Vermögensverhältnisse

    Chopins Krankheit

    Zeittafel

    Zitierte Briefe und Briefauszüge

    Bildnachweise

    Werkverzeichnis

    Literaturhinweise

    Stichwortverzeichnis

    Anmerkungen

    Vorwort

    Frédéric Chopin wurde nur 39 Jahre alt.

    Geboren wurde er am 1. März 1810 in Zelazowa Wola, einem kleinen Ort in der Nähe von Warschau.

    Sein Vater war Franzose, seine Mutter Polin.

    Chopin war ein musikalisches Genie. Mühelos erlernte er das Klavierspiel, und schon sehr früh war er in ganz Polen als Wunderkind bekannt. Im Alter von nur 20 Jahren hatte er bereits einen großen Teil seiner bedeutendsten Werke komponiert, darunter auch seine beiden Konzerte für Klavier und Orchester.

    Mit 21 Jahren verließ Chopin seine Heimat, um in Paris als Pianist, Komponist und Klavierlehrer zu arbeiten.

    Nach drei Jahren war er auch dort so bekannt, dass er von den besten Kreisen des französischen Geld- und Blutadels hofiert und verehrt wurde, und zwar nicht nur aufgrund seiner musikalischen Begabung, sondern weil er in jeder Hinsicht eine besondere Erscheinung war. Das Besondere seiner Persönlichkeit und seiner Individualität war so hervorragend wie seine Musik.

    Verheiratet war Chopin nie. Eine Verlobung wurde auf Wunsch der Brauteltern aufgelöst.

    Im Alter von 28 Jahren lernte Chopin die damals in ganz Frankreich bekannte Schriftstellerin George Sand kennen. Neun Jahre blieben die beiden ein Paar.

    Chopin starb am 17. Oktober 1849 in Paris an den Folgen einer Lungen-Tuberkulose.

    Obwohl Chopin als Pianist in seinem Leben nur etwa 30 öffentliche Konzerte gab, gilt er bis zum heutigen Tage als der Klavierkomponist schlechthin.

    Persönlichkeiten aus der Vergangenheit werden oft nur als Fußnoten der Geschichte wahrgenommen, selbst wenn ihr Wirken über ihre Zeit hinaus Bedeutung hat und sie bis zum heutigen Tage bekannt oder sogar berühmt sind. Meine Absicht ist es deshalb, dem Leser Frédéric Chopin als Musiker und als Mensch näher zu bringen.

    Das vorliegende Buch ist chronologisch aufgebaut und enthält die wichtigsten biographischen Daten und Stationen Chopins, seine interessantesten Briefe sowie Zeitzeugnisse; dazu gehören Konzertkritiken, Anekdoten und kundige Bemerkungen von Zeitgenossen. Kurze Skizzen zu Chopin als Komponist, Pianist und Lehrer, zu seinen Vermögensverhältnissen und seiner Krankheit versuchen seine Persönlichkeit schärfer zu konturieren. Ein vollständiges Werkverzeichnis, viele Abbildungen sowie weitergehende Literaturhinweise und ein ausführliches Quellenverzeichnis ergänzen die Darstellung.

    Der Aufbau des Buches ist - bei aller Zuverlässigkeit im Detail - bewusst unterhaltsam und leicht lesbar gestaltet, um auch dem Nichtfachmann Einblicke in die Welt dieses musikalischen Genies zu ermöglichen.

    Fest steht: Alle, die das Glück hatten, Frédéric Chopin persönlich kennengelernt zu haben, waren von ihm fasziniert und brachten ihm Sympathie, Hochachtung und Bewunderung entgegen. Zu seinen Bewunderern zählten keineswegs nur seine Verwandten, seine Freunde, seine Landsleute oder seine Schüler; dazu gehörten - und das ist bei dem auch damals bereits ausgeprägten Konkurrenzdenken besonders bemerkenswert - ebenfalls viele seiner Kollegen wie Franz Liszt, Robert Schumann und Felix Mendelssohn-Bartholdy, Schriftsteller wie Heinrich Heine, George Sand, Adam Mickiewicz und Honoré de Balzac sowie bekannte Schauspieler und Maler (u.a. Eugene Delacroix).

    Möglicherweise vermag auch ein nachgeborener Musikliebhaber gelegentlich einen Teil dessen, was die Faszination Chopins ausmachte, beim Hören seiner Musik wahrzunehmen. Doch wie soll man sich dieses ferne und unnahbare Genie aus der Nähe betrachtet vorstellen? Was war das Besondere an Chopins Persönlichkeit? War er ein glücklicher Mensch?

    Obwohl Chopin als Komponist seit über 150 Jahren weltweit geschätzt, verehrt und kommentiert wird - er war schließlich bereits zu seinen Lebzeiten ein berühmter Mann - umgibt seine Person etwas Geheimnisvolles. Er selbst trug dazu bei: Nur ungern gewährte er Einblicke in sein Privatleben, und sein Seelenleben hielt er sogar vor seinen Nächsten verborgen. Immer wieder verwies er auf seine Musik, in der alles verarbeitet und enthalten sei.

    Die in diesem Buch enthaltene Auswahl an Briefen, biographischen Daten und Zeitzeugnissen ist selbstverständlich subjektiv. Von den über 200 derzeit bekannten und ins Deutsche übersetzten Briefen Chopins habe ich rd. 55 Beispiele ausgewählt, die nach meiner Meinung die interessantesten Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit zulassen. Einige Briefe habe ich gekürzt, aber nicht verfälscht. Die Kürzungen sind gekennzeichnet. In diesem Zusammenhang sollte man jedoch berücksichtigen, dass selbst eine vollständige Wiedergabe aller bekannten Briefe Chopins auch nur eine bedingte Aussagekraft hätte, da von den Briefen, die Chopin insgesamt geschrieben hat, nur ein kleiner Teil erhalten geblieben ist. Einige sind nicht mehr vorhanden, weil sie mit Absicht dem Kamin zum Opfer fielen; andere, weil sie in den Wirren der Zeit verloren gingen. Dazu zählen auch ganze Jahrgänge von Briefen, die Chopin an seine Familie und an George Sand geschrieben hat. So gibt es zum Beispiel aus den Jahren 1826, 1827, 1833, 1834, 1837 bis 1843 keinen einzigen Brief an seine Familie. Außerdem hat Chopin für damalige Verhältnisse relativ wenig geschrieben. Eine mehr oder weniger regelmäßige Korrespondenz unterhielt er lediglich mit seinen Verwandten in Warschau. Seine Abneigung gegen das Briefschreiben ging nach einer Überlieferung von Franz Liszt sogar so weit, »dass er es häufig vorzog, Paris von einem Ende bis zum anderen Ende zu durchqueren, um ein Essen abzusagen oder um irgend eine kleine Nachricht zu überbringen, als sich einige Zeilen für ein Billet abzuringen«.¹ Hinzu kommt, dass Chopin - wenn überhaupt - nur in den Briefen persönlich und aufrichtig war, die für seine engsten Freunde oder für seine Schwester Ludwika bestimmt waren. Doch selbst in diesen Briefen fällt auf, dass er über seine eigentliche Lebensweise nur wenig mitteilte. Er erzählte viel und verschwieg manches. Er kannte die strengen moralischen Ansichten seiner Eltern und zog es deshalb auch lange Zeit vor, über Einzelheiten seiner Beziehung zu George Sand zu schweigen. Während seine frühen Briefe oft von einer solchen Offenheit waren, dass man manchmal glaubte, ihn vor sich zu sehen oder ihn persönlich sprechen zu hören, waren seine späteren Briefe eher durch eine gewisse Vorsicht und Verschlossenheit geprägt.

    Chopins Briefstil ist bei aller Lebendigkeit und Anschaulichkeit auffallend unliterarisch und unprätentiös. Sein Tonfall ist manchmal geschäftlich, selten vertraulich, meistens scherzhaft. Gedanken über seine Kompositionen oder Hinweise auf deren Entstehungsgeschichte enthalten seine Briefe ebenfalls nicht. Auch das Romantische in seiner Musik findet keinen Einlass in seine Zeilen. Doch fast immer ist das, was er schreibt, erfüllt von Gefühl.

    Bewusst habe ich darauf verzichtet, auf das musikalische Werk Chopins näher einzugehen. Weiterführende Literaturhinweise finden sich deshalb am Ende des Buches.

    In jedem Fall wird man nach dem Lesen dieses Buches ein sehr realistisches und lebendiges Bild dieser in jeder Hinsicht hervorragenden und doch so menschlichen Persönlichkeit vor Augen haben.

    Nicht zuletzt hoffe ich, dass der Leser die Musik Chopins noch bewusster wahmehmen wird, nachdem er etwas mehr über dessen Leben und die Umstände erfahren hat, unter denen seine Werke entstanden sind.

    Die Angaben über die finanzielle Situation Chopins habe ich durch die Mithilfe der Deutschen Bundesbank ermitteln können, bei der ich mich bei dieser Gelegenheit bedanke. Die angegebenen Werte in Francs resultieren aus Briefen und anderen Aufzeichnungen. Bei dem zugrunde gelegten Umrechnungsfaktor handelt es sich jedoch nur um einen ungefähren Annäherungswert, da die Zusammensetzung der damaligen und heutigen Lebenshaltungskosten sowie ein Wertvergleich der Sach- und Dienstleistungen lediglich bedingt möglich ist.

    E.T.A. Hoffmann hat einmal treffend gesagt, dass die Musik da anfängt, wo die Sprache aufhört. Ich habe deshalb auf den Versuch verzichtet, diesen Weg rückwärts zu beschreiten und ermuntere den Leser, sich noch offene Fragen durch die Musik Chopins beantworten zu lassen. Und mit Alfred Cortot, einem seiner Biographen und begnadetsten Interpreten, möchte ich sagen: Was ich versucht habe, war, mich einzufühlen, nicht zu beweisen.²

    H.W.W., Köln, im Januar 2007

    Chopin ist ein Ton-Dichter.

    Heinrich Heine

    Chopins Werke sind unter Blumen eingesenkte Kanonen.³

    Robert Schumann

    Alle Meister sind vom Himmel gefallen.

    Hans Pfitzner

    Auf dem Klavier drücke ich meine Verzweiflung aus.

    Frédéric Chopin

    Frédéric Franciszek Chopin wird am 1. März 1810 in Zelazowa Wola, einem Ort in der Nähe von Warschau, geboren. Er ist das zweite Kind der Eheleute Nicolas Chopin (1771-1844) und Tekla Justyna Chopin (1782-1861). Seine Geschwister heißen Ludwika (1802-1855), Izabella (1811-1881) und Emilia (1812-1827).

    Zwar geben die Geburts- und die Taufurkunde den 22. Februar 1810 als Chopins Geburtstag an, seine Familie feierte jedoch den 1. März als den Tag seiner Geburt und auch Chopin betrachtete diesen Tag als seinen Geburtstag.⁵ Der Fehler in den Urkunden wurde vermutlich infolge einer Unaufmerksamkeit des Vaters verursacht. Da die Geburtsurkunde erst sieben Wochen nach Chopins Geburt am Tag der Taufe, am 23. April 1810, ausgestellt wurde, hatte sich der Vater vermutlich beim Zurückrechnen um genau eine Woche verrechnet.

    Chopins Vater war Franzose.⁶ Er war im Jahre 1787 im Alter von 16 Jahren aus Marainville, Lothringen, nach Polen eingewandert, um in Warschau als Buchhalter in der Niederlassung einer französischen Tabakfabrik zu arbeiten. Die Niederlassung wurde jedoch im Jahre 1789 infolge der damaligen politischen Unruhen geschlossen. Nicolas Chopins Bemühungen, nach Frankreich zurückzukehren, scheiterten. Für kurze Zeit trat er in die polnische Nationalgarde ein. Nach seinem Ausscheiden aus der Nationalgarde fand er in Zelazowa Wola auf dem Gut der Gräfin Ludwika Skarbek eine Anstellung als Hauslehrer für die fünf Kinder der Gräfin.⁷

    Spekulationen, nach denen die Vorfahren von Chopins Vater ursprünglich aus Polen nach Lothringen eingewandert sein sollen, sind unzutreffend. Nachgewiesen ist, dass auch seine Eltern und Großeltern in Lothringen beheimatet waren.

    Chopins Mutter war Polin.⁹ Sie stammte aus verarmtem polnischen Landadel und arbeitete als Kammerzofe und Kindermädchen bei der Gräfin Skarbek, deren Patenkind sie war.

    Die Gräfin Skarbek lebte alleine auf ihrem Gut in Zelazowa Wola. Ihr geschiedener Mann, ein Lebemann und Verschwender, befand sich bereits seit Jahren im Ausland - auf der Flucht vor seinen Gläubigern.

    Es beginnt eine Geschichte, wie sie das Leben schreibt: Auf dem Gut der Gräfin Skarbek lernen sich der Hauslehrer und das Kindermädchen kennen und lieben; sie heiraten. Und nach der Tochter Ludwika wird ein Sohn geboren, der aufgrund des guten Verhältnisses zwischen der Gräfin und der Familie Chopin den Vornamen des ältesten Sohns der Gräfin, Frédéric Skarbek, erhält, der auch sein Taufpate wird.

    Da Chopins Vater Franzose war und seine Mutter aufgrund der Heirat zusätzlich zu ihrer polnischen auch die französische Staatsangehörigkeit erhalten hatte, war Chopin gemäß der damals gültigen Rechtsordnung ebenfalls Franzose.¹⁰ Außerdem besaß er, da er im Herzogtum Warschau geboren worden war, die polnische Nationalität und einen polnischen Pass. Chopin hat im Laufe seines Lebens auch keine dieser beiden Staatsangehörigkeiten abgegeben, so dass er später in Frankreich kein Emigrant im eigentlichen Sinne war, obwohl er sich zumindest in den ersten Jahren seines Pariser Aufenthaltes als ein solcher fühlte, nach außen hin den Status des Emigranten pflegte und auch später oft - und am liebsten - in polnischen Emigrantenkreisen verkehrte. Er dachte und empfand polnisch sowie sprach und schrieb am liebsten polnisch.

    Selbst nach seinem Tod erhielt seine Doppelstaatsangehörigkeit noch eine symbolische Bedeutung: Sein Körper wurde zwar in Paris bestattet, sein Herz wurde jedoch - dem Wunsch des Verstorbenen folgend - vor der Bestattung dem Leichnam entnommen und nach Warschau überführt. Seine polnische Nationalität prägte seinen Charakter, und zwar mit Wirkung bis über seinen Tod hinaus.

    Im September 1810, also bereits sechs Monate nach der Geburt Chopins, zieht die Familie nach Warschau, wo der Vater am örtlichen Gymnasium eine Stelle als Französischlehrer antritt.

    Im »Sächsischen Palais«, einem im Stadtzentrum von Warschau gelegenen repräsentativen Gebäude, finden die Chopins eine für damalige Verhältnisse sehr komfortable Wohnung.

    Chopins Mutter und seine Schwester Ludwika spielen Klavier, sein Vater Geige. Es wird viel musiziert im Hause Chopin. So liegt es nahe, dass der kleine Frédéric bereits im Alter von fünf Jahren von seiner Mutter und von seiner Schwester erste Unterweisungen in das Klavierspiel erhält. Und schon nach relativ kurzer Zeit gelingt es ihm, Melodien auf dem Klavier nachzuspielen.

    Frühzeitig, im Alter von sechs Jahren, bekommt Chopin seinen ersten systematischen Klavierunterricht. Sein Lehrer ist sechzigjährige Albert Zywny (1756-1842), ein pedantischer Mann, der aus Böhmen stammt und sich der Tradition von Johann Sebastian Bach verbunden fühlt. Er wird Chopins einziger Klavierlehrer bleiben.¹¹

    Möglicherweise war Zywny in Leipzig von einem Schüler Bachs ausgebildet worden. In jedem Fall setzte er die Klavierwerke Bachs bevorzugt in seinem Unterricht ein, obwohl das am Anfang des 19. Jahrhunderts überhaupt nicht üblich war. Zeitgenössische Musik, insbesondere die seinerzeit beliebte italienische Opernmusik - Rossini eingeschlossen - lehnte Zywny dagegen entschieden ab.

    Das Erlernen von Bachs Kompositionen hatte bei Chopin einen besonders nachhaltigen Erfolg: Noch in seinen letzten Lebensjahren spielte er mehr als zehn Präludien und Fugen auswendig, und auf die Frage einer Schülerin, wie er es schaffe, diese schwierigen Werke solange im Gedächtnis zu behalten, antwortete er: So etwas vergisst man in seinem ganzen Leben nicht mehr!¹²

    Chopin erweist sich als musikalisches Naturtalent. Seine außerordentliche Begabung zeigt sich sehr früh und bleibt seiner Umgebung nicht verborgen. Aus eigenem Antrieb sitzt er bereits als Siebenjähriger stundenlang am Klavier und improvisiert.

    Die Eltern haben Glück mit ihrem Sohn und der Sohn hat Glück mit seinen Eltern; denn zum stundenlangen Üben von Tonleitern und Etüden wird Chopin - im Gegensatz zu vielen anderen sogenannten Wunderkindern - nicht gedrängt.¹³ Spielerisch erlernt er das Klavierspiel, und schon bald wird das Klavier für ihn so etwas wie sein »zweites Ich«. Die Beziehung zur Musik ist für den körperlich zarten, oft kränkelnden Jungen von Anfang an emotional besetzt: Sobald er Musik hört, fängt er an zu weinen.¹⁴ Überhaupt scheint Chopin bereits als Kind lieber in seinen Träumen und in der Welt der Töne zu leben als in der Wirklichkeit, die ihm offensichtlich schon sehr früh missfiel.¹⁵

    Chopin ist erst acht Jahre alt, als er am 26. September 1818 der Mutter des russischen Zaren Alexander I. seine ersten Kompositionen, zwei Polonaisen in g-moll und in B-Dur, überreicht.¹⁶

    Komponiert hat er diese Werke bereits ein Jahr zuvor. Im »Warschauer Tageblatt« heißt es:¹⁷

    ... Der Komponist dieses polnischen Tanzes, ein Junge nach Vollendung des achten Lebensjahres, ist der Sohn von Nicolas Chopin, Professor für französische Sprache und Literatur am Warschauer Gymnasium, und er ist ein wahres musikalisches Genie: Er spielt nicht nur mit höchster Leichtigkeit und außergewöhnlichem Geschmack die schwierigsten Künste auf dem Klavier, sondern ist überdies schon der Komponist einiger Tänze und Variationen, über welche Kenner der Musik nicht aufhören, sich zu wundern, vor allem in Anbetracht des kindlichen Alters des Komponisten.

    ... Wäre der junge Mann in Deutschland oder in Frankreich geboren worden, hätte er sicherlich schon längst weltweit für Aufsehen gesorgt. ...

    Im gleichen Jahr erhält Chopin eine erste Gelegenheit zu einem öffentlichen Auftritt als Pianist.

    Es handelt sich um ein Wohltätigkeitskonzert der Gräfin Zofia Zamoyska, das am 24. Februar 1818 im Warschauer Palast des Fürsten Antoni Radziwill stattfindet. Die Zuhörer sind von den Fähigkeiten des jungen Pianisten begeistert.

    Als Chopin zu Hause von seiner Mutter, die beim Konzert nicht dabei sein konnte, gefragt wird, was dem Publikum nach seiner Meinung am besten gefallen habe, antwortet er, dass man vor allem seinen weißen Hemdkragen bewundert hätte.¹⁸

    Solche Erlebnisse sowie die frühe Einführung in die Kreise des Warschauer Adels prägten Chopins feinen und stilsicheren Geschmack sowie seine von Zeitzeugen immer wieder erwähnte aristokratische Ausstrahlung. Vielleicht sind diese frühen Erfahrungen auch der Grund für den großen Wert, den er zeit seines Lebens Äußerlichkeiten beimaß.¹⁹ Um beurteilen zu können, welchen Glanz Warschau seinerzeit besaß, betrachte man nur die im Museum des Warschauer Schlosses ausgestellten Stadtansichten des Malers Canaletto.

    Chopin ist in seiner Heimatstadt bereits sehr früh als musikalisches »Wunderkind« bekannt.²⁰ Die Warschauer Zeitungen berichten regelmäßig von dem kleinen Jungen mit der großen Begabung und bezeichnen ihn als den »Mozart der Polen«. Auch aus diesem Grunde schmücken sich die tonangebenden Gesellschaftskreise gerne mit Chopin und laden ihn anlässlich offizieller oder privater Anlässe ein, damit er den Gästen vorspielt.

    Seinen normalen Schulunterricht erhält Chopin am Warschauer Gymnasium, also an der Schule, an der sein Vater als Französischlehrer tätig ist. Zusätzlich bekommt er privaten Gesangs- und Zeichenunterricht. Einige seiner Karikaturen und Bleistiftzeichnungen sind aus dieser Zeit erhalten geblieben.

    Im Jahre 1822 weiß Chopins Klavierlehrer Albert Zywny keinen Rat: Sein hochbegabter Schüler, obwohl erst zwölf Jahre alt, ist ihm bereits »über den Kopf gewachsen«.

    Zywny spürt, dass er mit seinen pädagogischen Möglichkeiten am Ende ist und weiß, dass er dem jungen Genie nichts mehr beibringen kann. Auf eigenen Wunsch beendet Zywny seinen Klavierunterricht, bleibt aber Chopin und dessen Familie freundschaftlich verbunden.

    Die Suche nach einem neuen Lehrer hat schnell Erfolg. Joseph Elsner (1769-1854) wird Chopin von jetzt an unterrichten.

    Elsner, ein gebürtiger Schlesier mit deutschen und schwedischen Vorfahren, ist nicht nur Komponist, Geiger und Kapellmeister, er ist auch Direktor des Warschauer Konservatoriums und Leiter der städtischen Oper. Außerdem besitzt er eine eigene Notenstecherei und gehört zusammen mit E.T.A. Hoffmann (1776-1822) zu den Gründern des Warschauer Musikvereins. Mit anderen Worten: Elsner ist die zentrale Figur der polnischen Musikszene, ein Mann, der neben fachlichem

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