Lehren und Lernen (E-Book): Ressourcen aktivieren
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Über dieses E-Book
«Lehren und Lernen» ist ein praxisorientiertes Methodenhandbuch für Lehr-Lern-Prozesse in der beruflichen Grundbildung, höheren Berufsbildung und Erwachsenenbildung. Kernstück des Werkes bildet das kompetenzorientierte Lernprozessmodell RITA. Dieses beschreibt das Wesen von Kompetenzen und deren Entwicklung. «Lehren und Lernen» kann als Lehrbuch für die Ausbildung von Ausbildenden, als Nachschlagwerk oder als Methodensammlung eingesetzt werden.
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Lehren und Lernen: Ressoucen aktivieren, Informationen verarbeiten, Transfer anbahnen, Auswerten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenBerufsfelddidaktik der höheren Berufsbildung: Ein generischer Ansatz zur Entwicklung spezifischer Berufsfelddidaktiken Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
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Buchvorschau
Lehren und Lernen (E-Book) - Andreas Schubiger
Kapitel 1
Lernverständnis
Wie lernen wir? Ein Buch über das Lehren und Lernen kommt nicht daran vorbei, sich ernsthaft damit zu beschäftigen. Unser Lernverständnis ist die wesentliche und nicht immer explizite Voraussetzung dessen, was in den folgenden Kapiteln in Form von didaktischen Prinzipien und methodischen Umsetzungen beschrieben wird.
Wir verstehen das Lehren und Lernen als ein Wechselspiel zwischen Instruktion und Konstruktion, als Balanceakt zwischen einer anleitenden und orientierenden Hilfestellung durch die Lehrenden und selbstgesteuerter Aktivitäten der Lernenden. Lehren und Lernen verstehen wir als partnerschaftliches Zusammenspiel zwischen Lehrenden und Lernenden. Voraussetzung für das Erreichen der Lernziele ist daher eine hohe Leistungsbereitschaft der Lehrenden und Lernenden.
Handlungswissen allein führt aber noch nicht zu professionellem Handeln, vielmehr muss die Umsetzung durch verschiedene Begleitmassnahmen unter Einbezug der Praxis, durch handlungsorientierte Lehr- und Lernformen, intelligente Übungsmöglichkeiten und transferorientierte Übungen angeleitet und unterstützt werden.
Eine perfekt ausgeführte Handlung bedarf für ihre Vollkommenheit der Reflexion, und zwar im doppelten Sinne. Einerseits kann aus einer Handlung für die nächste gelernt werden, sodass ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess entsteht. Andererseits kann die Handlung auch bezüglich Werten und Haltungen reflektiert werden. Handlungskompetenzen werden in aktuellen Bildungserlassen wertfrei formuliert, und zwar im Dreischritt Objekt – Kontext und Tätigkeit. Erst eine Werte- und Haltungsorientierung macht aber die Handlungskompetenz vollständig. Die Reflexion kann, ganz im Sinne von Donald Schön (1983), vor, während und nach einer Handlung erfolgen.
Lernen ist ein aktiver, selbstgesteuerter Prozess
Lernen bedeutet, sich aktiv mit Lerninhalten zu beschäftigen. Das verhindert die Entstehung von trägem Wissen (Renkl, 1996). Die Lernenden erhalten Gelegenheit, sich mit den Lerngegenständen handelnd auseinanderzusetzen und ihr Handeln zu reflektieren. Lehrende ermöglichen den Lernenden durch die lernfördernde Gestaltung der Lernumgebung einen aktiven und selbstgesteuerten Umgang mit den Lerngegenständen. Ihnen kommt die Aufgabe zu, so viel Selbststeuerung wie möglich und so wenig Fremdsteuerung wie nötig zu organisieren. Dies weckt bei den Lernenden das Interesse und fördert ihre Offenheit, sich auf Lernangebote einzulassen, sich fragend mit Theorien auseinanderzusetzen, handelnd Erfahrungen zu sammeln und neue Erkenntnisse zu reflektieren.
Lernen ist ein konstruktiver Prozess
Die Lernumgebung wird so gestaltet, dass die Lernenden Phänomenen fragend begegnen und sich ihre eigenen Antworten konstruieren können. Lernen verstehen wir konstruktivistisch als individuellen Aufbau von Wissensstrukturen, die mit verschiedenen Situationen und sozialen Zusammenhängen verbunden werden.
Lernen ist ein kumulativer Prozess
Lernen ist ein Anknüpfen an Vorwissen und Erfahrungen. In Lerngruppen bestehen diesbezüglich unweigerlich unterschiedliche Voraussetzungen. Die Lehrenden nehmen auf diese Unterschiede Rücksicht und ermöglichen den Austausch der Erfahrungen und das Anknüpfen an individuellem Vorwissen.
Lernen ist ein zielorientierter Prozess
Ausbildungen ermöglichen das Erreichen bestimmter Lernziele. Es ist die Aufgabe von Lehrenden, diese Ziele transparent zu kommunizieren und den Lernenden die Möglichkeit zu geben, sich daran zu messen. Ziele dienen der Planung, Durchführung und Überprüfung von Handlungen. Offene Lernumgebungen ermöglichen den Lernenden unter Berücksichtigung der generellen Zielsetzungen, auch individuelle Lernziele zu verfolgen.
Lernen ist ein sozialer Prozess
Auch wenn die Konstruktion der Wirklichkeit ein individueller Prozess ist, geschieht das Lernen in der Interaktion zwischen Lernenden und den Lehrenden. Die Gruppe wird als Lernfeld zur Erweiterung der personalen und sozialen Kompetenzen genutzt. Dieser soziale Austausch wird durch die Gestaltung der Lernumgebung unterstützt und gefördert.
Lernen ist ein situativer Prozess
Kompetenzen sollten in Situationen erworben werden, die der zukünftigen Praxis entsprechen. Deshalb empfiehlt es sich, Beispiele aus der Praxis als Lerngegenstände zu wählen. Anwendungen erfolgen nach Möglichkeit in der eigenen Praxis.
Lernen ist die Transformation von Wissen in kompetentes Handeln
Wissen allein genügt nicht, um in der Praxis kompetent zu handeln. Der Weg vom Wissen zum kompetenten Handeln ist weit. Er muss erst durch geeignete Lernumgebungen und entsprechend günstige Bedingungen angebahnt und geschaffen werden. Professionelle Handlungskompetenz von Lernenden und Studierenden erreichen wir durch die Gestaltung handlungswirksamer Lernumgebungen. Das vermittelte Wissen leitet zunächst zum Handeln an. In Übungen können dann praktische und kognitive Fertigkeiten erlangt werden. Mit Fertigkeiten sind sowohl sensomotorische wie auch kognitive Tätigkeiten gemeint, die einen gewissen Grad an Automatismus resp. Habitualisierung erreichen. Sie sind in der Handlung ohne grosse kognitive Aufmerksamkeit abrufbar. Durch angeleitetes Selbststudium wird schliesslich der Praxistransfer angeleitet und gefördert.
Lernen aus dem Handeln
Lernen wird häufig verkürzt als ein reines Anwenden von neuem Wissen dargestellt. In der Praxis und im Alltag ist es häufig gerade umgekehrt. Im Handeln erwerben wir implizites erfahrungsorientiertes Wissen. Dieses ist dem Bewusstsein nur schwer zugänglich. Auch das Explizieren von verkörperlichtem Erfahrungswissen mit späterem bewussten Anwenden ist eine Lernhandlung und wird heute insbesondere in der beruflichen Bildung wiederentdeckt.
Lernen ist mehr als die Summe der Einzelteile
Auch wenn wir zur Vereinfachung das Lernen in Einzelprozesse unterteilen, sind diese immer miteinander verknüpft und mehrfach in Beziehung zueinander. So ist der Transfer im Lernprozessmodell RITA wohl in der dritten Phase verortet, kann aber bereits in früheren Phasen angeleitet werden. Transfer ist auch ein Prinzip, das unser ganzes Lernhandeln durchdringt. Alles ist miteinander verbunden. Diese Zusammenhänge lassen Lehren und Lernen so komplex und spannend werden.
Lernen der Zukunft
Lernen wird in Zukunft weniger von Curricula und Unterrichtsdrehbüchern gesteuert, sondern es wird vielmehr eine Verschiebung in Richtung persönliches Lernen geben, das sich durch Selbststeuerung, Selbstmanagement, Kokreation der Lernziele und Inhalte, Selbstwahrnehmung und mehr Verantwortungsübernahme des eigenen Lernens auszeichnet.
Die aktuelle Pädagogik ist immer noch eine hoch lehrpersonenzentrierte und für sie reservierte Wissenschaft. Lernende der Zukunft werden ihr Lernen selbst erforschen, werden damit zu Expertinnen und Experten des eigenen Lernens und gestalten ihr eigenes Curriculum.
Die Schritte vom lehrerzentrierten zum persönlichen Lernen können schematisch folgendermassen dargestellt werden:
Das Lernen der Zukunft zeichnet sich aus durch:
• hohe Mitbestimmung und Autonomie der Lernenden bezüglich Lerninhalten
• Lernen als Entwicklungsprozess, den die Lernenden aktiv und verantwortungsvoll mitgestalten, und dabei ihre Zone der nächsten Entwicklung selbst bestimmen und überschreiten ...
• Berücksichtigung der unterschiedliche Lerntempi von Lernenden
• Entwicklung der Fähigkeit der Lernenden, über das eigene Lernen nachzudenken (Metakognition)
• Gestaltung einer offenen Lernumgebung, die den unterschiedlichen Bedürfnissen und Lernpräferenzen gerecht wird
• Förderung der Fähigkeit zur Selbstregulation und Selbststeuerung
• Entwicklung der Feedbackkompetenz in beide Richtungen (Feedback geben und erhalten)
• Bildung von Lerngemeinschaften, die auf Zusammenarbeit und Vertrauen basieren
Kapitel 2
Was wir über gutes Lehren und Lernen wissen
Die erste Ausgabe dieses Buchs war im Lektorat, als Hatties vielbeachtetes Werk «visible learning» erschien und in den Folgejahren auch im deutschsprachigen Raum zu den meistzitierten Werken in didaktischen Diskussionen zählte. Der Frage, was wirklich wirkt, geht er mit einer Metastudie über Metastudien in akribischer Weise nach, und berücksichtigt bis zum heutigen Zeitpunkt über 80 000 Einzelstudien. In einer bis dahin noch nie dagewesenen Ausführlichkeit werden Interventionen rund um das Lehren und Lernen nach ihrer Wirksamkeit mit vergleichbaren Effektstärken dargestellt und beurteilt. Leider wurden diese Vergleiche häufig missverstanden und zum Teil auch für politisch motivierte Argumentationen missbraucht. So verkündete die deutsche Boulevardpresse das Ende der «Kuschelpädagogik» bezugnehmend auf die grosse Effektstärke der «direkten Instruktion». Einerseits wurde die direkte Instruktion fälschlicherweise mit dem nach wie vor weitverbreiteten Frontalunterricht und dem fragend-entwickelnden Unterricht verwechselt. Andererseits wurden innovative Ansätze mit selbstorganisiertem Lernen oder offenen Lernformen der «laisser faire»-Pädagogik zugeordnet.
Die Recherche der Vielzahl von Forschungsergebnissen und deren Effektstärken ist nicht jedermanns Sache, doch es lohnt sich, zumindest den letzten Teil des Buches zu lesen. Hattie fasst darin zusammen, worauf es wirklich ankommt: The «teacher matters». Diese nicht überraschende Schlussfolgerung fasst er mit essenziellen «Mindsets» von wirkungsvollen Lehrpersonen zusammen. Es sind nicht die konkreten Methoden, die sie anwenden, sondern dere Haltungen und Überzeugungen.
Solche Haltungen und Überzeugungen sind:
• Es geht um Lernen und nicht um Lehren.
• Als Lehrpersonen ist es meine Aufgabe, dass ich die Wirkung meines Handelns überprüfe.
• Als Lehrperson bin ich überzeugt, dass ich eine Wirkung auf das Lernen der Lernenden habe.
• Prüfungen von Lernergebnissen sind auch ein Feedback für mich als Lehrperson und nicht nur für die Lernenden.
• Lehrpersonen engagieren sich für einen Dialog.
• Als Lehrperson suche ich die Herausforderung und gebe mein Bestes.
• Als Lehrperson bin ich zuständig für gute Beziehungen innerhalb des Klassenverbandes.
• Als Lehrperson bilde ich mich als Expertin oder Experte für das Lernen kontinuierlich weiter.
Zusammengefasst beschreibt Hattie gute Lehrpersonen als Menschen, die das Lernen mit den Augen der Lernenden zu verstehen versuchen.
Betrachtet man die didaktischen Interventionen mit den grossen Effektstärken, fällt auf, dass diese alle auf einer dialogischen Beziehungsqualität aufbauen.
• Direkte Instruktion
• Nichtettiketieren von Lernenden
• Feedback geben
• Feedback entgegennehmen, auch als Lehrperson
Es sind alles Interventionen mit folgenden Beziehungsqualitäten:
• Fordern und Fördern
• Klarheit
• Begegnung auf Augenhöhe
• Vertrauen
• vorurteilsfreie Begegnung
• Feedback geben
• Feedback entgegennehmen
Das mit den Lernenden in Beziehung gehen wird bis heute unterschätzt. Insbesondere die aktuellen Forschungsergebnisse der sozialen Neurowissenschaften zeigen, dass Lehrpersonen auf die Neurophysiologie des Gegenübers einen direkten Einfluss haben. Cozolino (2013) bezeichnet darum Lehrpersonen auch als «neurologische Bildhauer».
Nach diesem Blick auf die empirische Forschung und Vermessung des Lernens sei darauf hingewiesen, dass es noch einen ganz anderen Blick auf die Qualität des Lernens jenseits von Effektstärken gibt. Zierer (2019) verweist auf vier zentrale Fragen in Anlehnung an Ken Wilbers erkenntnistheoretisches Modell für eine gute Schule.
1. Was ist eine effektive Schule? (Objektive Perspektive)
2. Was ist eine freudvolle Schule? (Subjektive Perspektive)
3. Was ist eine kulturell passende Schule? (Intersubjektive Perspektive)
4. Was ist eine funktionale Schule? (Interobjektive Perspektive)
Eine effektive Perspektive vermisst schulisches Lernen und lässt unter anderem das Gefühl des Geborgenseins, des Miteinanders, des freudvollen Umgangs und des Vertrauens untereinander ausser Acht. Asiatische Schulsysteme mit hohen Effektstärken zeigen unter anderem Schattenseiten im Bereich der psychischen Gesundheit. Eine Schule, in der sich sowohl Lernende als auch Lehrende wohlfühlen, zeigt womöglich Wirkungen, die sich mit noch so ausgeklügelten Forschungsdesigns kaum messen lassen. Jede Schule ist auch in eine gesellschaftliche Situation und Kultur eingebunden. Die Passung trägt zur Konfliktfreiheit und Entwicklung bei. Schulen bekommen gerade durch die gesellschaftliche Einbettung eine funktionale Ausrichtung und Aufgabe. So haben Gymnasien, Berufsfachschulen, höhere Fachschulen oder Hochschulen eine ganz bestimmte Funktion zu erfüllen, deren Erfüllungsgrad ebenso etwas über ihre Qualität aussagt.
Wenn schon, denn schon
Weder die richtige Methode noch das eine universelle didaktische Konzept garantieren «gutes Lehren und Lernen». Selbst die Forschungsergebnisse über die Wirkung von handlungsorientiertem Unterricht sind äusserst widersprüchlich (Nickolaus, 2008). Weniger die Methoden selbst als vielmehr die Qualität des Unterrichts haben einen Einfluss auf den Lernerfolg bei den Lernenden (Nickolaus, 2008, Helmke, 2004, Meyer, 2004). Methoden helfen uns allerdings bei der Umsetzung. Folgende übergeordnete Faktoren werden von der aktuellen Forschung für das Gelingen von Lernprozessen herausgestellt: