Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Ellivu Freunde müsst ihr sein: Die Färöer und der Traum vom großen Fußballwunder
Ellivu Freunde müsst ihr sein: Die Färöer und der Traum vom großen Fußballwunder
Ellivu Freunde müsst ihr sein: Die Färöer und der Traum vom großen Fußballwunder
eBook401 Seiten4 Stunden

Ellivu Freunde müsst ihr sein: Die Färöer und der Traum vom großen Fußballwunder

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Kein Land ist so klein und zugleich so fußballverrückt wie die Färöer-Inseln. Wo diese Leidenschaft herrührt, wie man eine Liga im Sturm organisiert und wovon die Färinger kollektiv träumen – all das erzählt dieses Buch. Der Autor hat mit ehrgeizigen Fußballerinnen, mit Fischern, mit dem deutschen "Entwicklungshelfer" Kevin Schindler und mit dem färingischen Ministerpräsidenten gesprochen. Dabei ist er auf etwas inzwischen sehr Seltenes gestoßen: auf echten Fußball.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum8. Juli 2022
ISBN9783730705988
Ellivu Freunde müsst ihr sein: Die Färöer und der Traum vom großen Fußballwunder

Ähnlich wie Ellivu Freunde müsst ihr sein

Ähnliche E-Books

Sport & Freizeit für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Ellivu Freunde müsst ihr sein

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Ellivu Freunde müsst ihr sein - Steffen Trumpf

    [01]

    PROLOG

    Foto: Bernd Weißbrod/dpa

    Miroslav Klose macht nach seinem späten Treffer zum 1:0 auf den Färöer-Inseln einen Salto.

    Tórshavn, 11. Juni 2003. Fredi Bobic ist sichtlich genervt. Olli Kahn sowieso, schließlich leidet der dreimalige Welttorhüter gerade an einer Bindehautentzündung. Ausgerechnet jetzt bläst ihm der Wind im offenen Nationalstadion der Färöer-Inseln ununterbrochen ins Gesicht. Christian Wörns pustet die Backen auf, Paul Freiers Flanken wehen orientierungslos durch die Luft, und ein Freistoß von Bernd Schneider rauscht einen knappen halben Meter über das färöische Tor.

    Oliver Neuville und Bobic haben kurz vor der Halbzeitpause eine Doppelchance, doch Pól Thorsteinsson und Jón Rói Jacobsen verhindern das Gegentor mit allem, was sie haben. Der Ball springt von einem der Verteidigerfüße irgendwie gegen den rechten Innenpfosten, Torhüter Jákup Mikkelsen drischt ihn daraufhin wild aus der Gefahrenzone.

    Das Stadion jubelt den tapferen Färingern zu, schließlich hat der Großteil der Mannschaft eigentlich anderes zu tun, als gegen den Vize-Weltmeister in der EM-Qualifikation zu bestehen: Die meisten der Nationalspieler verdienen ihr Geld nicht mit Fußball, sondern mit anderen Jobs. Aber wenn die Färöer international spielen, dann stehen sie alle parat, um das eigene Tor zu verteidigen, als ginge es um die Ehre ihrer winzig kleinen, aber stolzen Nation.

    Wobei: Es geht um die Ehre ihrer Nation.

    „Mann, hat der Fredi Bobic heute Pech!", ruft Kommentator Steffen Simon den deutschen Fernsehzuschauern von den fernen Färöern herüber. 20 Minuten zuvor hat der Nationalstürmer schon einmal den Pfosten getroffen.

    Es ist der Sommer 2003, doch Sommerwetter erleben die Deutschen an diesem 7. Spieltag der EM-Qualifikation in Tórshavn ganz und gar nicht. Die deutsche Nationalmannschaft spielte erst ein Jahr zuvor bei der WM in Südkorea und Japan im Endspiel gegen das Brasilien von Ronaldo, Rivaldo, Ronaldinho und Roberto Carlos – jetzt fragt sie sich:

    Wo sind wir hier nur gelandet?

    Deutschland ist in dieser Phase seiner Fußballgeschichte eigentlich von einer anderen Insel im Nordatlantik genervt. Mit Island ringt die Nationalelf in der Qualifikation zur Europameisterschaft 2004 um den Gruppensieg. Nun steht es für das Team von Rudi Völler auf den Färöern nach 45 Minuten noch 0:0. Gestandene Bundesliga-Profis verzweifeln an kämpfenden Amateuren.

    „0:0 zur Halbzeit. Oh, das ist nicht ungefährlich!, ruft und klagt Steffen Simon, denn Steffen Simon ruft und klagt eigentlich immer, wenn es bei einem Fußballspiel dramatisch wird. Günter Netzer fehlen Kombinationen und Spielfluss im deutschen System, wie er in der Halbzeitpause an der Seite von Gerhard Delling klarmacht. Nicht unbedingt einfacher wird all das, weil die Färöer „mit sehr vielen Leuten hinten stehen, wie Netzer beobachtet hat.

    Mit anderen Worten: Die Färöer mauern.

    Eine lange Saison steckt den Deutschen in den Knochen. Die Schritte auf dem feuchten Rasen von Tórshavn werden somit immer schwerer. Doch das dürfen keine Ausreden sein hier im färöischen Nationalstadion, das Tórsvøllur genannt wird, dem Platz von Thor, des germanischen Gottes von Blitz und Donner.

    Für Bobic und den Rest der Nationalmannschaft muss es sich wie eine andere Fußballwelt anfühlen. In der Bundesliga herrschen makellose Spielbedingungen mit allem, was ein Fußballspieler benötigt. Die Welt, in der man sich wohlfühlt. Die Komfortzone.

    Die Welt des Färöer-Fußballs ist für Auswärtsteams das genaue Gegenteil einer Komfortzone. Sie ist ein ungemein unangenehmer Mikrokosmos, in dem meist Wind und Regen herrschen und die Hausherren einem den Ausflug in die Ferne stets so schwierig wie möglich machen wollen. Es ist zugleich eine Welt, in der jedes Fußballspiel zelebriert wird wie anderswo die Mondlandung.

    Dass es in Tórsvøllur nicht unbedingt einfach werden würde, davor hätte die Deutschen auch ihr früherer Bundestrainer Berti Vogts warnen können, als dessen Schotten ihnen erst vier Tage zuvor ein 1:1 abgeluchst hatten. Schottland war am ersten Spieltag dieser EM-Qualifikation in Tórshavn selbst nur haarscharf an genau der Blamage vorbeigeschrammt, die größere Länder gegen berüchtigte Fußballzwerge wie die Färöer vermeiden wollen: 2:0 hatten die Färinger durch einen frühen Doppelpack von John Petersen bereits geführt, am Ende retteten sich Bertis Boys zumindest noch zu einem 2:2 – eine herbe Enttäuschung zwar, aber immerhin nicht die ganz große Schmach einer Niederlage gegen den absoluten Underdog.

    Auch Deutschland hat bereits einen Vorgeschmack von der färöischen Hartnäckigkeit erhalten. Rudis Jungs, die zu diesem Zeitpunkt für effektiven, aber nicht gerade für schön anzusehenden Gute-Laune-Fußball stehen, haben das Hinspiel gegen die Färöer in Hannover dank eines Kopfballtreffers von Miroslav Klose zwar mit 2:1 gewonnen. Dabei hatten sie aber verdammtes Glück, dass der eingewechselte Hjalgrím Elttør in der 83. Minute nur den Pfosten traf.

    „Hjalgrím Elttør, du hättest ein Star werden können auf deinen Inseln! Du hättest ein Fußballheld werden können!, rief Reinhold Beckmann in auffällig süffisantem Ton von der Kommentatorentribüne in Richtung Spielfeld. Nur eine Minute vorher hatte er noch erklärt: „Also das wäre schon eine historische Peinlichkeit, wenn die hier noch das 2:2 schießen.

    Der Pfosten verhinderte diese Peinlichkeit letztlich. Die färöischen Fußballfans, die damals in Hannover dabei waren, werden sich trotzdem voller Stolz noch Jahre später heroische Geschichten davon erzählen, wie der Ball langsam an Kahn vorbeitrudelte und sein Ziel nur minimal verpasste. Viele dieser Färöer-Fans sind auch in Tórsvøllur dabei, wo es zu diesem Zeitpunkt wie beim Hinspiel zur Halbzeit wieder Unentschieden steht.

    Für den Welttorhüter geht in diesem Moment nichts mehr: Kahn sieht nur noch verschwommen und muss zur Halbzeit raus. Frank Rost kommt. Und Deutschland hat noch 45 Minuten Zeit, eine gehörige Blamage zu vermeiden.

    Gewinnen können große Fußballnationen in solchen Partien nichts, nur verlieren. Am Ende dieses Abends wird ein Chancenverhältnis von 12:0 für Deutschland stehen, aber zu diesem Zeitpunkt steht es weiterhin 0:0 zwischen dem Vize-Weltmeister und dem 113. der FIFA-Weltrangliste. Für die deutschen Bundesliga-Profis ist es das letzte Pflichtspiel vor dem lange ersehnten dreiwöchigen Sommerurlaub zum Saisonende.

    Die zweite Hälfte beginnt so, wie die erste endete: Deutschland scheitert wahlweise an Mikkelsen oder am Pfosten, auch Ramelow trifft das Gebälk. Während die Hektik im deutschen Team mit jeder Minute zunimmt, werden die heimischen Fans immer lauter. Die Taktik ihrer Mannschaft scheint aufzugehen, und jede Minute ohne Gegentor ist ein Erfolg. Wie schon gegen Schottland liegt eine Sensation in der Luft, vielleicht sogar eine noch größere, und die Färinger haben für ebensolche Sensationen ein ganz besonderes Gespür.

    In diese Atmosphäre hinein bringt Rudi Völler seinen Edeljoker: Hinspiel-Torschütze Miroslav Klose kommt in der 65. Minute für Jens Jeremies. Stürmer für Abräumer – ganz klar: Völler startet 25 Minuten vor Spielende die Schlussoffensive, um die färöische Mauer doch noch zu durchbrechen.

    Nicht unbedingt hilfreich ist, dass nach Kloses Einwechslung auch der typisch färöische Regen einsetzt. Minuten verstreichen, während Deutschland munter auf das gegnerische Tor anrennt – vergeblich.

    „Die müssen doch mal die Kugel da reinkriegen, fordert ein zunehmend frustrierter Steffen Simon. Klagend merkt er an: „Der Regen wird immer doller und unsere Befürchtungen auch.

    Bis zur 89. Minute muss er ausharren, ehe Klose ihn und ganz Fußball-Deutschland doch noch erlöst. Neuville tritt den unzähligsten deutschen Freistoß an den Fünfmeterraum, Klose läuft von der Strafraumgrenze an und steigt hoch, wie eben nur Klose hochsteigt. Lupenreiner Kopfball, lupenreines Tor, lupenreiner Jubel-Salto.

    Und riesige Erleichterung. Sowohl auf dem Platz und in Rudi Völlers Gesicht als auch an Millionen Fernsehgeräten in der Heimat.

    In der zweiten Minute der Nachspielzeit trifft dann auch endlich Fredi Bobic. Jákup Mikkelsen kann einen Kopfball von Sebastian Kehl nicht festhalten, worauf der erfahrene Stürmer zum 2:0-Endstand abstaubt. Bobic ballt die Faust, ruft Oliver Neuville ein „Mann, Mann, do!" zu und fasst sich kopfschüttelnd an die Stirn.

    Selbst der furchtlose Olli Kahn wird nach dem Spiel einräumen, streckenweise Angst vor einem 0:0 gegen die Färöer gehabt zu haben. Christian Wörns wird über die Färinger sagen: „Die geben alles, die kämpfen, die fighten, machen hinten die Räume eng. Das ist Abnutzungskampf. Und Rudi Völler wird sein Team abermals in Schutz nehmen: „Natürlich kannst du gegen solche Mannschaften wie heute nicht brillieren. Gegen so Mannschaften wie die Färöer-Inseln, da kann es halt nur hin und wieder mit der Brechstange gehen.

    TV-Kommentator Steffen Simon wird nach Abpfiff gerecht bilanzieren, dass für die Färöer am Ende wieder so eine Niederlage stehen werde, auf die sie stolz sein könnten. „Sie haben den Vize-Weltmeister an den Rand der Verzweiflung gebracht."

    Das mag stimmen.

    Aber die Färöer, das sei vorweggenommen, die haben noch lange nicht genug.

    [02]

    DER LETZTE BOLZPLATZ VOR ISLAND

    Wer den Fußball auf den Färöer-Inseln verstehen möchte, der sollte zunächst einmal nach Eidi fahren und dabei nicht die letzte Ausfahrt vor dem Nordatlantik verpassen. Oder sich in einen der kalten Schalensitze in den steilen Berghängen von Fuglafjørdur setzen, um ein Fußballspiel vor der Kulisse eines wilden Fjords zu erleben. Vielleicht auch mal in Klaksvík oder der Hauptstadt Tórshavn dabei zuschauen, wie die besten Mannschaften der Inseln daran arbeiten, zu ernst zu nehmenden Gegnern in den internationalen Wettbewerben zu werden. Oder aber per Fähre ins völlig isolierte Tvøroyri reisen, wo ein Traditionsverein mit begrenztem Budget und einem deutschen Fußballlehrer gegen den Abstieg kämpft.

    Überall dort gilt das, was Fródi Petersen in Eidi am Rande des offenen Ozeans sagt:

    „Das hier ist Basic Football. Hier wird keiner reich mit Fußball. Aber glücklich."

    Ob in Eidi, Tórshavn oder Tvøroyri: Überall auf den Färöern findet man Spuren und Werte des ursprünglichen, mit dem Herzen gespielten Fußballs – all das, was in den Topligen Europas bei aller Vermarktung eines aus dem Ruder gelaufenen Milliardengeschäfts teils verloren gegangen scheint. Den echten Fußball, bei dem es um Liebe zum Sport und Aufopferungsbereitschaft für das Team geht statt um Sportwagen und teure Uhren. Wo man nach einem Foul wieder aufsteht und sich die Lunge aus dem Körper rennt, weil sich der ganze Ort um den Kunstrasenplatz versammelt hat, um seine Mannschaft gewinnen (oder zumindest kämpfen) zu sehen.

    Eine Reise auf die Färöer ist somit eine Reise zurück zu den Wurzeln des Fußballs. Zu Teamgeist, Nahbarkeit und dem Geruch von Leder und immernassen Fußballschuhen. Zu Bandenwerbungen aus den 80er-Jahren, zu offenen Vereinsheimen statt verriegelten Fußballakademien. Zu harten Zweikämpfen, falschen Einwürfen und echten Gefühlen. Gleichzeitig hat sich in diese alte färöische Fußballwelt in den vergangenen Jahren etwas Neues gemischt: Zeichen einer rapide zunehmenden Professionalisierung, die die Vereine und die Nationalmannschaft in eine erfolgreichere Zukunft führen soll.

    Wobei Professionalisierung natürlich ein großes Wort ist, wenn man von einer Mini-Nation mit der Einwohnerzahl einer größeren deutschen Kleinstadt spricht. Wer auf den Färöern Fußball spielt, der wird davon allein nämlich in der Regel nicht leben können – geschweige denn reich, wie es Herr Petersen in Eidi nennt. Manche Erstliga-Spieler arbeiten nebenbei in der örtlichen Fischfabrik, andere sind Handwerker, Außendienstler oder Kindergärtner, und selbst der Rekordnationalspieler war niemals Vollprofi. Für dieses Fußballerleben ohne Reichtümer nehmen färöische Spieler viel in Kauf: lange Arbeitstage, zeitraubendes Training, dementsprechend weniger Zeit mit der Familie und Freunden.

    Levi Hanssen, der früher selbst Erstliga-Kicker und Nationalspieler war und später jahrelang bei der Tourismusbehörde Visit Faroe Islands arbeitete, hat es in der Zeitschrift „Glory" vor einigen Jahren wohl am besten beschrieben, was es heißt, ein Fußballer auf den Färöern zu sein: Seine Schilderung zeigt zunächst vermeintlich klassische Bestandteile des Lebens eines Fußballers – einen Autoschlüssel für einen Porsche, die sündhaft teure Rolex, Lackschuhe, ein frisch gekauftes Edelhemd und das neueste iPhone, auf dem das Bild eines knapp bekleideten Models zu sehen ist. Eine Seite weiter sieht man dann die Realität aus dem Leben eines Färöer-Kickers – inklusive einem alten Nokia-Handy, einem Mazda-Schlüssel und einem Hemd von der Stange.

    „Tauscht das iPhone mit einem Nokia aus, den Jacuzzi mit einer abgehetzten, lauwarmen Dusche, den Porsche mit einem Mazda, den Tom-Ford-Tuxedo mit einem Hemd von H&M, das Wohltätigkeits-Dinner mit einem Besuch im Kino, die Rolex mit einer Timex und Jessie das Unterwäschemodell mit, nun ja, Lina, der schönsten Krankenschwester, der ihr jemals begegnen werdet, und ihr habt eine genauere Ahnung von meinem Leben als färöischer Fußballer", schreibt Hanssen.

    Dann geht er auf die Jahre der Entbehrungen und unzähligen Tage ohne Pause zwischen Arbeits- und Bolzplatz ein. Die Belohnung für all die Aufopferungen: ein Qualifikationsspiel im UEFA-Cup oder wilde Derbys zwischen den beiden Hauptstadtclubs HB und B36 Tórshavn.

    „Es ist hart, extrem hart, sagt Hanssen über das Fußballerleben auf den Färöern. „Es ist auch körperlich hart, weil du nicht die Erholung bekommst, die du brauchst. Für die Spieler ist das eine Herausforderung. Er selbst ist heute Anfang 30 und mehrfacher Familienvater. Die fußballerischen Ambitionen hat er mittlerweile an den Nagel gehängt – drei Kinder und zwei Jobs, das wurde letztlich einfach zu viel.

    Ein ambitionierter Kicker ordnet sein Leben auf den Färöern zu einem großen Teil dem Fußball unter – und zwar nicht für ein Leben im Luxus, sondern für ein Leben für den Sport und die Heimat, die einem für dieses Bekenntnis Wertschätzung und Lob entgegenbringt. Färöer-Fußballer ist im Grunde ein Vollzeitjob ohne Vollzeitbezahlung. Im Gegenzug bekommt man neben einem vergleichsweise kleinen Gehalt etwas gratis geboten, das so in keinem Vertrag festgeschrieben werden muss: die Anerkennung seiner Mitmenschen und dazu eine einzigartige Umgebung mit einer erschreckend schönen Natur.

    Und eben auch eine ganz besondere Fußballkultur.

    Fernab vom Schuss

    Die Färöer sind sehr klein und unheimlich anziehend, das wird einem jeder bestätigen, der schon einmal dort gewesen ist. Die 18 Inseln liegen im Nordatlantik ungefähr auf halbem Weg zwischen Schottland und Island, bewohnt werden sie von rund 53.000 stolzen Einwohnern und um die 70.000 Schafen, die das Grün auf noch so steilen Hängen abgrasen. Mit anderen Worten: Auf den Färöern leben in etwa so viele Menschen, wie in ein größeres deutsches Stadion wie den Borussia-Park in Mönchengladbach passen. Die Ränge von Stadien mit noch größerem Fassungsvermögen wie der Signal Iduna Park in Dortmund, die Allianz Arena in München oder das Berliner Olympiastadion würde die gesamte färöische Bevölkerung ohne Unterstützung nicht alleine voll bekommen – sofern sie nicht ihre Schafsherden mitbringen, aber die wären auf dem Rasen ohnehin besser aufgehoben als auf der Tribüne.

    Das Zentrum dieser kleinen Welt heißt Tórshavn. In und rund um die Hauptstadt wohnen rund 22.000 Menschen. Damit gehört die Stadt („Thors Hafen") zu den kleinsten Hauptstädten der Erde. Läge Tórshavn in Deutschland, dann käme es etwa auf Platz 590 der einwohnerstärksten Städte der Bundesrepublik, irgendwo zwischen dem niedersächsischen Friesoythe und Weilheim in Oberbayern.

    Wer auf den Färöern wohnt, wird im Deutschen gemeinhin als Färinger bezeichnet. Sie sind sich ihrem nationalen Zwergenstatus bewusst und werden daran auch regelmäßig erinnert: Die Inseln zählen offiziell zum Königreich Dänemark, werden von Kopenhagen aber ganz gerne mal übersehen, allen voran von der Politik. Als etwa Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen im Corona-Sommer 2020 verkündete, die dänischen Grenzen nach Deutschland, Norwegen und Island pünktlich zur Urlaubssaison wieder zu öffnen, ließ sie die Färöer unerwähnt – und das, obwohl die Inseln seit langem auf wachsende Einnahmen aus dem Tourismus hoffen, wie sie etwa das benachbarte Island erlebt hat, nachdem es durch den Vulkanausbruch des Eyjafjallajökull, dessen kilometerhoher Aschewolke und dem damit verbundenen Chaos im internationalen Flugverkehr 2010 ins globale Bewusstsein katapultiert wurde.

    Aber die winzigen Färöer? Von Frederiksen, immerhin der obersten Politikerin des Königreichs, glatt vergessen!

    Die färöische Tourismusbehörde rief kurzerhand eine nur halb ironisch gemeinte Kampagne namens #FærøerneFindesFaktisk ins Leben. Das ist Dänisch und heißt auf Deutsch so viel wie: Die Färöer gibt es tatsächlich. Oder anders formuliert: Wie könnt ihr Festlanddänen es wagen, unsere wunderbare Inselgruppe zu vergessen!

    „Wir wollen Mette Frederiksen nur daran erinnern, dass es die Färöer tatsächlich gibt. Und dass wir dänische Gäste natürlich mit offenen Armen empfangen, sagte Tourismuschefin Gudrid Højgaard in der klug platzierten Kampagne. Symbolisch ergänzte sie dazu auf einer Europakarte ein fehlendes, aus ihrer Sicht aber sehr wichtiges Detail: die Färöer-Inseln eben, die in ihrer äußeren Form wie eine Pfeilspitze auf dem 62. nördlichen Breitengrad thronen. Nur zwei Flugstunden von Dänemark entfernt eröffne sich dort eine andere Welt voller Frischluft, fantastischer Natur und spannenden Kulturerlebnissen, warb Højgaard – „ein perfekter Ort, um hier nach mehreren Wochen Lockdown zu landen.

    Diese kleine Episode sagt unheimlich viel über die Färöer aus. Zum einen ist da die Tatsache, dass man nicht immer so glücklich ist mit dem großen Bruder Dänemark, zu dem man irgendwie gehört, der einen aber viel zu häufig auch einfach ignoriert.¹ Zum anderen sprüht die Kampagne nur so vor färöischen Wesenszügen, die sich zum Teil auch auf den Fußballplätzen zwischen Eidi und Tvøroyri wiederfinden lassen: Ein stark in der Färöer-DNA verwurzeltes Wir-Gefühl zum Beispiel, das daher kommt, dass man alleine und ohne Hilfe seiner Mitmenschen in der rauen Umgebung und völlig fernab vom Schuss eben ziemlich aufgeschmissen ist. Aber auch ein gehöriger Stolz auf die eigene Nation und ihre unberührte Natur, dazu Kreativität und Mut und eine Freundlichkeit, die, sofern man etwas an der Oberfläche bohrt, anderswo ihresgleichen sucht. Und schließlich ein trockener, nordischer Humor mit leichtem Hang zur Selbstironie.

    Hat nichts mit Fußball zu tun, ist aber trotzdem ganz schön: der Wasserfall Múlafossur im Dorf Gásadalur im Westen der Insel Vágar.

    Gleichzeitig bleibt da die Gewissheit, dass viele sie gar nicht kennen, diese Inseln irgendwo im Nirgendwo. Oder um es mit den Worten der Tourismusbehörde auszudrücken: „Falls du nicht weißt, wo die Färöer liegen, ist das vollkommen in Ordnung." Dies zeige vielleicht nur, dass man auch auf einem vielbereisten und gut dokumentierten Planeten immer noch neue Entdeckungen machen könne.

    Und dafür, liebe Leserinnen und Leser, gibt es dieses Buch.

    Professionalisierung im Kleinen

    Die Färöer sind für den Großteil der Welt unbekanntes, raues Terrain irgendwo in ansonsten unbewohnten Teilen des Atlantischen Ozeans. Ihren Namen (auf Färöisch: Føroyar) haben sie von Siedlern der Wikingerzeit erhalten, er stammt aus dem Altnordischen und bedeutet „Schafsinseln". Das Meer befindet sich auf den Inseln an keiner Stelle mehr als fünf Kilometer entfernt. Mit dem Fußball schafft es diese Mini-Nation, sich in größeren Ländern wie Deutschland einen Namen zu erarbeiten – nämlich immer dann, wenn die jeweilige Nationalmannschaft in Länderspielen gegen sie antreten muss. Solche Begegnungen sind im Ausland dann häufig mit Fragen wie diesen verbunden:

    Gegen wen spielen wir bitteschön?

    Wo um alles in der Welt liegen diese Inseln?

    Und die haben genügend Fußballspieler, um eine Nationalmannschaft zu bilden? Und ein eigenes Fußballstadion?

    Immer mal wieder kam es vor, dass diese Unkenntnis mit Überheblichkeit einhergeht – fragen Sie mal Toni Polster oder Andi Herzog, die 1990 mit Österreich höchst eindrucksvoll gegen einen Torwart mit Pudelmütze verloren. Auch andere Länder hatten später ihre Probleme mit den Färöern: Die erwähnte deutsche Nationalelf in der Völler-Ära zum Beispiel oder die Schotten unter Berti Vogts. Noch schlimmer erwischte es die Griechen, die ein knappes Jahrzehnt nach ihrem EM-Triumph unter Otto Rehakles I. gegen die Färinger auf die Mütze bekommen haben – und das gleich zweimal hintereinander.

    Apropos Mütze: Die Pudelmütze, an der Polster verzweifelte, hat sich ins universelle Fußballgedächtnis der Welt eingebrannt und es bis ins FIFA-Museum geschafft. Ihr Träger – Jens Martin Knudsen – kann ebenso aufregende Geschichten über den Färöer-Fußball erzählen wie andere nationale Legenden, etwa Rekordspieler Fródi Benjaminsen, der immer einen „richtigen" Job neben dem Fußballerleben hatte und heute als Gefängniswärter arbeitet. Oder Jóan Símun Edmundsson, der es als erster Färinger überhaupt geschafft hat, in der deutschen Fußball-Bundesliga aufzulaufen – und dann auch noch ein Tor zu erzielen. Oder aber der frühere Bundesliga-Profi Kevin Schindler, der beim Rekordmeister HB Tórshavn Strukturen schaffen will, damit der Club eines Tages womöglich die Gruppenphase eines europäischen Wettbewerbs erreichen wird.² Oder Johan Hentze, der mit dem nationalen Fanclub 90 Minuten lang durchsingt, wenn es sein Team mit den kleinen und großen Fußballnationen dieser Welt aufnimmt.

    Oder, oder, oder.

    All diese und weitere Experten liefern Antworten darauf, wie der Fußball auf den Färöern so unentwegt und mit kontinuierlicher Kraft vorankommen will, wie die Ozeanwellen in Eidi und anderswo im Land gegen die senkrecht ins Meer abfallenden Klippen preschen. Eine Reise durch diese ferne Nation offenbart, wie aus etwas Kleinem mit Weile etwas Großes werden kann, ohne dass dabei die grundlegenden Werte von König Fußball abhandenkommen müssen. Die Färöer stecken gerade mittendrin in einer Professionalisierung, die der Fußball anderswo schon vor etwa 20 Jahren erlebt hat. Dieser Weg bringt seine Probleme und Herausforderungen mit sich, macht den färöischen Fußball aber auch immer besser – Schritt für Schritt.

    Zugleich sind da so viele Fragen: Wie schafft es eine Nation mit der Einwohnerzahl von Bad Salzuflen, Passau oder Emden, gegen Großnationen wie Deutschland oder Frankreich zu bestehen, ohne wie andere Fußballzwerge konstant mit mindestens fünf Toren Unterschied unter die Räder zu kommen? Warum sind die Färinger so fußballverrückt, dass jeder zehnte von ihnen aktiv am Kicken ist? Und wo kommt diese Fußballliebe her, obwohl die Wetterbedingungen es schier unmöglich machen, einen Naturrasenplatz zu pflegen? Was passiert, wenn ein kleines Dorf keine elf Mädchen oder Jungen zusammenbekommt, zehn Kinder aber partout eine Mannschaft bilden wollen? Und warum haben die Färöer seit kurzem ein eigenes Fußballmagazin im „11Freunde"-Format – auf Färöisch, einer Sprache, die weltweit weniger als 80.000 Menschen verstehen und die selbst Google nicht gescheit übersetzen kann?³

    Über all dem kreist letztlich die Frage, wohin die Reise des Färöer-Fußballs eigentlich führt. Und auch, wie die kleinen Inseln dabei die Fehler vermeiden können, die den Fußball in anderen, größeren Nationen längst zu einem durchgestylten, geldfixierten und gesellschaftsentkoppelten Milliardengeschäft gemacht haben.

    Die Färöer haben sich längst aufgemacht in die große, weite Fußballwelt. Und sie wagen zu träumen. Wenn ein Färinger sein Geld im Ausland mit Kopfbällen und Freistößen verdienen kann, dann ist das schon jetzt eine große Sache – von einem Vertrag in einer der Topligen ganz zu schweigen. Aber der Status quo als liebe, tapfere Mini-Nation, deren Nationalteam zu Hause vergöttert, anderswo zumindest geschätzt und deren Spielweise von manch gegnerischem Team gehasst wird, reicht dem Inselvölkchen nicht mehr aus. Sie wollen mehr: Besser und besser und besser werden in der schönsten Nebensache der Welt. Im Ausland spielen, auf Vereinsebene die internationalen Wettbewerbe erreichen und größere Gegner schlagen. Am Ende dieser Reise könnte letztlich etwas stehen, das der kleine große Nordatlantik-Bruder Island bereits 2016 und 2018 geschafft hat: die Qualifikation für eine große Fußballmeisterschaft.

    Ob das eines Tages tatsächlich klappen kann? Ein EM- oder WM-Teilnehmer mit der Einwohnerzahl von Wetzlar, Ravensburg oder Wolfenbüttel?

    Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

    Das ganze Dorf ist da

    Eidi ist eine kleine Berggemeinde rund 50 Kilometer nördlich von Tórshavn. Mächtige, grüne Berge umrahmen den Ort auf höchst dramatische Weise. Darunter ist der Slættaratindur, der mit 880 Metern höchste Berg der Färöer. Wer bereits die Inseln als solche als abgeschieden betrachtet hat, der ist in Eidi so ziemlich am Ende der Welt angelangt. Gerade hier lässt sich anhand von zwei außergewöhnlichen Fußballplätzen die Entwicklung vom alten zum neuen Färöer-Fußball am allerbesten nachverfolgen.

    Es ist überraschend sonnig an diesem Tag im Frühjahr 2021. Das hat färöischen Seltenheitswert: Zwar lugt die Sonne auf den Inseln immer mal wieder durch die für gewöhnlich dichten Wolkenvorhänge. Doch

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1