Die Umsetzung intraprofessioneller Kooperation zwischen Lehrkräften an Schulen: Ein systematischen Review deutschsprachiger Forschungsarbeiten
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Über dieses E-Book
Lisa Marie Welling
Lisa-Marie Welling, Jahrgang 1995, ist eine examinierte Lehrin für das Lehramt an Grundschulen mit den Unterrichtsfächer Mathematik, Deutsch und Sport. Seit 2022 ist sie an einer Grundschule in Düsseldorf tätig.
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Buchvorschau
Die Umsetzung intraprofessioneller Kooperation zwischen Lehrkräften an Schulen - Lisa Marie Welling
Vorwort zur Reihe
Impulse sind Antriebe, Anstöße und Anregungen. Als Denkanstöße sind sie im hochschulischen (Arbeits)Alltag auf vielfältige Weise Ausgangspunkt und zugleich Gegenstand von Wissenschaft. Daraus resultierende Forschungsvorhaben sind zumeist vorerst exklusiv Wissenschaftler*innen vorbehalten.
Leider viel zu selten – hier sei aus der Perspektive der Erziehungswissenschaft gesprochen – wird die Lehre als Forschungsraum verstanden. Gemeint ist damit keineswegs, dass die Studierenden in den Lehrveranstaltungen zu Probanden von Studien werden oder diese evaluieren. Intendiert sind ebenfalls keine Praxisseminare, die z. B. im Rahmen von Lehr-Lern-Laboren den Professionalisierungsprozess von Lehramtsstudierenden forcieren und deren Selbstwirksamkeitsüberzeugungen steigern wollen. Ohne Zweifel haben die skizzierten Settings alle ihre Berechtigung, verbinden die für die Hochschulen elementaren Sphären der Forschung und Lehre jedoch nicht ganzheitlich, weil die Forschung als Prozess nicht im Seminarkonzept inhärent ist, sondern zum spezifischen Inhalt (z. B. Publikationen) wird oder als Additum angesehen werden muss.
Dazu konträr stehen jene Lehrformate, in denen Forschung und Lehre verschmelzen und die Studierenden zu Forschenden werden. Ohne Frage muss der Gehalt studentischer Forschung anders bewertet werden als wissenschaftliche Forschung. Studierende sind Forschungsnovizen, die das Forschen erlernen müssen. Dennoch können aus studentischer Forschung Impulse hervorgehen. Für Dozierende ist die hochschuldidaktische Gestaltung von „Forschungsseminaren" eine polyvalente Herausforderung, gilt es doch eine wissenschafts-theoretische und methodologische Basis zu schaffen und die (Forschungs)Interessen aller Teilnehmenden zu berücksichtigen. Das Anliegen stößt zudem nicht selten auf administrative Hürden, da solche Formate nicht immer mit Studienordnungen kompatibel sind. Studentische Abschlussarbeiten – in Zeiten der Internationalisierung des Studiums vor allem Bachelor- und Masterarbeiten – haben das Potential, ausgehend von den Interessen der Studierenden zu kleinen Forschungsvorhaben zu werden. Die Studierenden bearbeiten über einen Zeitraum von mehreren Monaten selbstständig eine Fragestellung und erschließen sich Forschungsmethoden und Diskurse mit dem Ziel, ihre Ergebnisse in einen Kontext zu stellen. Dabei behandeln sie Themen, die für wissenschaftliche Forschung zu partikular sind. Nicht selten wird mit ihnen neues Wissen generiert, aus dem sich wiederum Möglichkeiten für sich anschließende wissenschaftliche Forschung ergeben können oder die Abschlussarbeiten sind bereits die Weiterentwicklung eines vorausgegangenen Studienprojektes aus dem Praxissemester.
Die Reihe Erziehungswissenschaftliche Impulse setzt es sich zum Ziel, exzeptioneller studentischer Forschung ein Forum zu bieten. Anker sind neben der Bedeutung des Gegenstandes und der gewählten Herangehensweise auch Anerkennung und Wertschätzung der Leistung. Dabei sollen die veröffentlichten Arbeiten auch als Impuls, das heißt als Anregung verstanden werden, die erwähnten partikularen Themen aufzugreifen und weitere Forschung (vor-)an-zutreiben.
Münster, im Mai 2022
Patrick Gollub
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Inklusion im schulischen Bildungskontext
2.1.1 Entwicklung des deutschen Bildungssystems
2.1.2 Begriffsbestimmung: Inklusion
2.1.3 Rechtliche Grundlagen
2.1.4 Stand der Umsetzung in Deutschland, Österreich und der Schweiz
2.2 Kooperation im Bereich Schule
2.2.1 Begriffsbestimmung: Pädagogische Kooperation
2.2.2 Kooperierende Professionen
2.2.3 Intraprofessionelle Kooperation
2.2.4 Bedingungen erfolgreicher Zusammenarbeit: Modell zur pädagogischen Kooperation (Lütje-Klose & Urban, 2014)
3. Forschungsstand
4. Annahmen
5. Methodisches Vorgehen
5.1 Recherchestrategie
5.2 Studienauswahl
5.3 Datengewinnung
5.4 Datenauswertung
6. Ergebnisdarstellung
6.1 Annahme 1
6.2 Annahme 2
6.2.1 Persönlichkeitsebene
6.2.2 Beziehungsebene
6.2.3 Sachebene
6.2.4 Organisatorische Ebene
6.2.5 Empfehlungen
7. Ergebnisdiskussion
8. Fazit
8.1 Methodendiskussion
8.2 Zusammenfassung der erarbeiteten Ergebnisse
8.3 Ausblick, Desiderata und Limitationen
9. Literaturverzeichnis
9.1 Herangezogene Forschungsliteratur
9.2 Studien des Reviews
10. Anhang
10.1 Überblick inklusiver Modelle in Österreich und der Schweiz
10.2 Rechercheergebnisse
10.3 Ablaufschema der inhaltlich strukturierten Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018, S. 100)
10.4 Finales Kategoriensystem zur intraprofessionellen Kooperation
10.5 Die häufigsten Wünsche der befragten Lehrkräfte für eine bessere Kooperation
10.6 Die häufigsten Empfehlungen der Reviewstudien
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Entwicklungsphasen in der Sonderpädagogik (Bürli, 1997 zitiert nach Thoma & Rehle, 2009, S. 41; von Verfasserin bearbeitet)
Abbildung 2: Inklusions- und Exklusionsteile⁵ der Länder Deutschland, Österreich und Schweiz (eigene Grafik; vgl. Dienststelle Volksschulbildung, 2017, S. 5; Autorengruppe Berichterstattung, 2018, S. 105; Sekretariat der KMK, 2018, S. 5; Oberwimmer et al., 2018, S. 163; Bruneforth et al., 2015, S. 95)
Abbildung 3: Multiprofessionelle Akteur*innen in der Schule (eigene Grafik)
Abbildung 4: Verknüpfung des TZI-Modells (Cohn, 1975) mit den Ebenen der Theorie integrativer Prozesse (Reiser et al., 1986), welche durch Lütje-Klose und Kollegen (1999, 2014) explizit für die intraprofessionelle Kooperation weiterentwickelt wurden (vgl. Klein, Kreie, Kron & Reiser, 1987, S. 41); von Verfasserin bearbeitet
Abbildung 5: Kontinuum wechselseitiger Kooperation (vgl. Marvin, 1990; Gräsel et al., 2006; von Verfasserin bearbeitet)
Abbildung 6: Kooperationsmöglichkeiten im Unterricht nach Friend & Cook (2010, S. 115, entnommen aus Kullmann, 2018, S. 6)
Abbildung 7: Kompetenzstrukturmodell inklusive Settings (Moser & Kropp, 2015, S. 26)
Abbildung 8: PRISMA-Flusdiagramm zum Verlauf der Studienauswahl (vgl. Moher, Liberati, Tetzlaff & Altman, 2009, S. 125; bearbeitet von Verfasserin)
Abbildung 9: Prozentualer Anteil der untersuchten Schulstufen (eigene Grafik)
Abbildung 10: Prozentuale Verteilung der untersuchten Länder (eigene Grafik)
Abbildung 11: Prozentualer Anteil von Längs- und Querschnittstudien (eigene Grafik)
Abbildung 12: Prozentuale Verteilung der angewandten Forschungsansätze (eigene Grafik)
Abbildung 13: Prozentuale Verteilung eingesetzter qualitativer Erhebungsinstrumente (eigene Grafik)
Abbildung 14: Prozentuale Verteilung eingesetzter quantitativer Erhebungsinstrumente (eigene Grafik)
Abbildung 15: Anzahl der befragten Lehrkräfte (eigene Grafik)
Abbildung 16: Anzahl an Gruppendiskussion u. Teilnehmer*innen (eigene Grafik)
Abbildung 17: Anzahl der ausgefüllten Fragebögen (eigene Grafik)
Abbildung 18: Kontinuum wechselseitiger Kooperation (vgl. Marvin, 1990, S. 41; von Verfasserin bearbeitet)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Überblick inklusiver Modelle in Deutschland (eigene Darstellung)
Tabelle 2: Unterrichtsbezogene Kooperation zwischen LaS und LfS (vgl. Baumann, Heinrich & Stuber, 2012, S. 8)
Tabelle 3: Ein- und Ausschlusskriterien der Studienauswahl
Tabelle 4: Datengewinnungstabelle
1. Einleitung
„Kooperation – der Schlüssel für Inklusion!?" (Fischer, Preiß & Quandt, 2017) Dieser Titel einer umfassenden Studie zur Kooperation zwischen Lehrkräften allgemeiner Schulen und Lehrkräften für Sonderpädagogik¹ betont den entscheidenden Stellenwert von Zusammenarbeit für eine gelingende Inklusion. Daher ist es ein derzeitiges zentrales Anliegen zu untersuchen, inwieweit diese Kooperation gelingt und stellt somit den Ausgangspunkt der vorgelegten Arbeit dar. Denn mit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Jahr 2008 – Deutschland unterzeichnete 2009, Österreich 2008 und die Schweiz 2014 – haben sich die Länder zur Schaffung eines inklusiven Bildungssystems verpflichtet (vgl. Schuck, Rauer, Prinz, 2018, S. 13). Ferner findet seitdem eine massive Ausweitung der gemeinsamen Unterrichtung von Schüler*innen mit und ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf (sUb)² statt. Um dieser Vielfalt an unterschiedlichen Schüler*innen im nunmehr stattfindenden gemeinsamen Unterricht gerecht zu werden, stellt insbesondere die Kooperation von LaS und LfS eine zentrale Gelingensbedingung dar, wie auch der o.g. Titel verdeutlicht (vgl. HRK & KMK, 2015, S. 3; Idel, Ullrich & Baum, 2012, S. 9; Bischoff, 2011, S. 205). Eine Begründung für den obigen Titel findet sich mit der Aussage von Lütje-Klose und Urban (2014a, S. 113), die betonen, dass diese Vielfalt „[…] nicht von einer Lehrkraft allein umgesetzt werden" kann. Somit stelle die Zusammenarbeit unter anderem mit Lehrkräften unterschiedlicher Qualifikationen eine Möglichkeit dar, auf die Vielfalt der SchülerInnen professionell einzugehen und somit einer Überforderung der LaS vorzubeugen (vgl. Löser, 2013, S. 109). Damit die Kooperation jedoch gelingen und somit als ein Schlüssel für Inklusion angesehen werden kann, entwickelten Lütje-Klose und ihre Arbeitsgruppen (1999; 2014a, 2014b) in Anlehnung an Reiser (1986) ein Modell zur pädagogischen Kooperation bestehend aus vier Ebenen, welche für das Gelingen von Kooperation für sich sowie in Wechselwirkung von großer Bedeutung sind. In der einschlägigen Literatur finden sich schon seit einigen Jahren Beiträge und Forschungsarbeiten, die sich mit diesem Themenfeld auseinandersetzen (vgl. Lütje-Klose & Neumann, 2018, S. 129f.). Zuletzt veröffentlichten Lütje-Klose und Miller im Jahr 2017 einen Beitrag, welcher einen Überblick anhand exemplarischer Studien aus den Ländern Deutschland, Schweiz und Österreich über die bis dato erforschten Themenkomplexe geben soll (vgl. ebd., S. 205). Bisher liegt nach eigener umfänglicher Recherche kein systematischer Überblick über alle deutschsprachigen Studien ab Ratifizierung der UN-BRK vor, wodurch sich das Forschungsinteresse dieser Arbeit begründet. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, anhand eines Reviews herauszufinden, welche Befunde über zehn Jahren nach Inkrafttreten der UN-Konvention zur intraprofessionellen Kooperation im Kontext von Schule vorliegen.
Um das Forschungsanliegen – hier die Ermittlung der Befunde zur intraprofessionellen Kooperation der letzten zehn Jahre – zu erfüllen, werden einführend im theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit (Kap. 2) zunächst zur Einordnung der Notwendigkeit von Kooperation in den zeitlichen Kontext die schulische Inklusion (Kap. 2.1) und anschließend die Kooperation im Bereich Schule dargestellt (Kap. 2.2). In letztgenannten Unterkapitel wird zunächst allgemein geklärt, was unter schulischer Kooperation (Kap. 2.2.1) zu verstehen ist, daraufhin speziell die Kooperation zwischen LaS und LfS (Kap. 2.2.3) dargestellt, ehe das Modell zur pädagogischen Kooperation ausführlich charakterisiert wird (Kap. 2.2.4). Im folgenden Kapitel wird der empirische Forschungsstand (Kap. 3) anhand exemplarischer Studien der letzten 30 Jahre vorgestellt, sodass im darauffolgenden Kapitel ableitende Annahmen formuliert werden können, welche die Forschungsfrage konkretisieren (Kap. 4). Das fünfte Kapitel umfasst die Beschreibung der verwendeten Methode, welche sich viergliedrig vollzieht (Kap. 5.1 ‚Recherchestrategie‘; Kap. 5.2 ‚Studienauswahl‘; Kap. 5.3 ‚Datengewinnung‘; Kap. 5.4 ‚Datenauswertung‘). Daraufhin folgt die Ergebnisdarstellung (Kap. 6) sowie die Ergebnisdiskussion (Kap. 7) jeweils entlang der zuvor formulierten Annahmen. Die Arbeit schließt mit einem Fazit ab, welche die Methodendiskussion (Kap. 8.1), die Zusammenfassung der erarbeiteten Ergebnisse (Kap. 8.2) sowie einen Ausblick mit anknüpfenden Desiderata (Kap. 8.3) umfasst.
¹ Im weiteren Verlauf der Arbeit werden für Lehrkräfte allgemeiner Schule die Abkürzung LaS und für Lehrkräfte für Sonderpädagogik die Abkürzung LfS verwendet.
² Sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf „[…] ist bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen, die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule ohne sonderpädagogische Unterstützung nicht ausreichend gefördert werden können" (KMK, 1994, S. 5).
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Inklusion im schulischen Bildungskontext
2.1.1 Entwicklung des deutschen Bildungssystems
Die Entwicklung des Bildungssystems zu einem inklusiven Bildungssystem kann anhand folgender Begriffe, welche als Entwicklungsphasen der Sonderpädagogik angesehen werden, beschrieben werden: Exklusion, Separation, Integration, Inklusion (vgl. Schweiker, 2017, S. 141). Das vielfach rezipierte Modell des schweizer Heilpädagogen Bürli (1997) verdeutlicht diesen Entwicklungsprozess (vgl. Abbildung 1).
Bis etwa gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren in Europa Kinder und Jugendliche mit Behinderung von der schulischen Grundbildung ausgeschlossen. Diese Exklusion (Ausschluss) endete mit den Anfängen des Sonderschulwesens.³ Kennzeichen des Sonderschulwesens ist die Separation (Aussonderung). Kinder und Jugendliche mit Behinderung werden in separaten nach Förderschwerpunkten eingeteilten Bildungseinrichtungen beschult. „Es herrscht die Überzeugung, dass jeder Mensch das Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben besitzt, dieses sich jedoch in sozialisierten Institutionen und separativen Räumen für weitestgehend homogene Gruppen am besten realisieren lässt" (Schweiker, 2017, S. 142). Somit wurde der Grundstein für zwei nebeneinander existierende pädagogische Zweige – Regelschule und Sonderschule – geschaffen. Als dritte Epoche ist die Integration zu verzeichnen. Grundgedanke der Integration (Eingliederung) ist, dass vorher getrennte Gruppen wieder zusammengefügt werden.
Abbildung 1: Entwicklungsphasen in der Sonderpädagogik (Bürli, 1997 zitiert nach Thoma & Rehle, 2009, S. 41; von Verfasserin bearbeitet)
Somit wird ein organisatorisches gemeinsames Lernen in nebeneinander existierenden Gruppen ermöglicht. Das heißt, dass behinderte Kinder und Jugendliche von LfS in der Regelschule in „normalen Klassen unterrichtet werden können (vgl. Saalfrank & Zierer, 2017, S. 36). Allen drei Phasen gemeinsam ist, dass sie von einem medizinischen Modell der Behinderung ausgehen: „Behinderung wird als ‚körperliche, psychische oder geistige Beeinträchtigung‘ einer Person verstanden, aus der Einschränkungen der gesellschaftlichen Partizipation folgen
(Eidgenössisches Department des Inneren, o.J., o.S.). Der Begriff der Inklusion (vierte Phase) wurde erstmalig in der Salamanca-Erklärung 1994 verwendet. Inklusion (Einschließen) bedeutet, dass alle SchülerInnen gemeinsam lernen und sich die Struktur den Bedürfnissen der jeweiligen Individuen anpasst (vgl. Saalfrank & Zierer, 2017, S. 36). Somit entstand als Reaktion auf das medizinische Modell das soziale