Praxisorientierte Hochschullehre: Insights in innovative sowie digitale Lehrkonzepte und Kooperationen mit der Wirtschaft
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Buchvorschau
Praxisorientierte Hochschullehre - Cansu Hattula
Hrsg.
Cansu Hattula, Julia Hilgers-Sekowsky und Gabriele Schuster
Praxisorientierte Hochschullehre
Insights in innovative sowie digitale Lehrkonzepte und Kooperationen mit der Wirtschaft
1. Aufl. 2021
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Hrsg.
Cansu Hattula
Campus Berlin, IUBH Internationale Hochschule, Berlin, Deutschland
Julia Hilgers-Sekowsky
Campus Düsseldorf, IUBH Internationale Hochschule, Düsseldorf, Deutschland
Gabriele Schuster
Campus Hamburg, IUBH Internationale Hochschule, Hamburg, Deutschland
ISBN 978-3-658-32392-9e-ISBN 978-3-658-32393-6
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32393-6
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021
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Planung/Lektorat: Barbara Roscher
Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature.
Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort
Der Wandel von Inhaltsorientierung zur Kompetenzorientierung in der Hochschullehre wurde durch die Bologna-Reform sowie durch einen Mangel an Anwendungs- und Praxisorientierung forciert. Experten sprechen vom sogenannten „shift from teaching to learning".
Gefordert sind lehr-lern-theoretische Ansätze, die es Studierenden ermöglichen, ihr theoretisches Wissen in der Praxis fundiert anzuwenden, zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Die Professionalisierung der praxisorientierten Lehre und die damit verbundenen Herausforderungen und Chancen stehen somit zunehmend im Fokus des didaktischen Handelns von Hochschuldozierenden.
Wissenschaftliche Untersuchungen heben vermehrt die Bedeutung der Ermöglichungsdidaktik durch Verzahnung von theoretisch-wissenschaftlicher Wissensvermittlung und praktischen Erfahrungen hervor. Das Spektrum öffentlich publizierter Diskussionsbeiträge über den Einsatz unterschiedlicher Lehrmethoden in Verbindung mit Praxisinstitutionen ist bisher nicht sehr umfangreich. Hieraus ergeben sich auf dieser Themenlandkarte einige weiße Flecken, die mithilfe der thematisch differenzierten Beiträge des Sammelbandes beleuchtet werden sollen.
Das vorliegende Werk ist von Hochschuldozierenden für Hochschuldozierende verschiedener Fachrichtungen geschrieben mit dem Ziel, einen Überblick über die Chancen und Einsatzmöglichkeiten der praxisorientierten Lehre zu geben und gleichzeitig kritisch auf Stolpersteine und Hürden sowohl auf der Seite der Lehrenden als auch der Studierenden und der Praxisinstitutionen hinzuweisen.
Die Leserschaft dieses Buches findet ein breites Portfolio praxisorientierter Lehrmethoden, sowie vielfältiger Ideen und Inspirationen für ihre eigenen Lehrformate. Das didaktische Handeln und auch das eigene Lehrprofil kann somit auf zielführende Art und Weise weiterentwickelt und erweitert werden. Dabei werden keine Patentrezepte gegeben, sondern vielmehr die Freiheit der Lehre und die individuelle Anpassung auf die Lehrsituation und ihrer Beteiligten in den Fokus gestellt. Das Werk steigt somit nicht vordergründig in den wissenschaftlichen Diskurs der Hochschuldidaktik ein, sondern gibt vielmehr Hilfestellungen und Hinweise auf Basis praktisch erfolgreich eingesetzter sowie kritisch reflektierter Lehr- und Lernformen.
Um dieses Ziel zu erreichen, ist der Sammelband in sieben Themenbereiche gegliedert, in denen die Praxisorientierung in der Lehre in unterschiedlicher Art und Weise zum Tragen kommt. Einführend werden in einem Überblicksbeitrag die Themen Hochschuldidaktik und praxisorientierte Hochschullehre miteinander verzahnt, um somit eine Basis bezüglich unterschiedlicher Lehr- und Lernmethoden zu legen, die in den beschriebenen Lehrprojekten Anwendung gefunden haben.
Teil eins befasst sich mit Lehrmethoden aus dem Bereich Marketingmanagement. Die Möglichkeiten der kompetenzorientierten Lehre werden an Fallbeispielen mit unterschiedlichen Schwerpunkten dargestellt. Neben der Durchführung von quantitativer und qualitativer Marktforschung in Verbindung mit Praxisinstitutionen wird die Erarbeitung von Kommunikations- und Vermarktungsstrategien innerhalb der Lehrveranstaltung sowie die themenbezogene Einbindung von Gastvorträgen in die Lehre beleuchtet.
Teil zwei ist schwerpunktmäßig dem Fachbereich Tourismusmanagement gewidmet. Es werden Kooperationsprojekte sowohl mit Profit- als auch Non-Profit-Unternehmen beschrieben. Die Praxisinstitutionen haben in Zusammenarbeit mit den Studierenden und den Lehrenden unterschiedlichste Themenbereiche bearbeitet, z. B. Fragestellungen zum Sponsoring, die Entwicklung einer Homepage, Besucherbefragungen im Kulturbereich sowie die Konzeption von Nutzungsmöglichkeiten öffentlicher Flächen.
Im dritten Teil werden didaktische Lehrmethoden aus dem Fachbereich der Sozialen Arbeit behandelt. Es werden Kooperationsprojekte mit unterschiedlichen Institutionen und sozialen Trägern beleuchtet. Eingeleitet wird dieser Teil mit einem Betrag zu praxisorientierten Methoden der Berufsfelderkennung in der queeren Jugendsozialarbeit. Weiterführende Beiträge beschäftigen sich mit verschiedenen didaktischen Methoden wie beispielsweise die Anwendung von Referaten und Fallstudien oder auch Simulationen, um einen optimalen Theorie-Praxis-Transfer zu erzeugen.
Die Beiträge in Teil vier beleuchten spezifische didaktische Beispiele aus unterschiedlichsten Fachbereichen, wie beispielsweise Human Resources, Kunstmarktforschung und Logistik. Abschließend wird die Anwendung von praxisorientierten Fallstudien und die Frage nach der Sicht von Studierenden über das Für und Wider eines dualen Studiums erörtert.
Teil fünf widmet sich der Betreuung von studentischen Arbeiten in einem praxisorientierten Kontext. Eingeleitet wird dieser Teil mit einem Beitrag, der insbesondere Handlungsempfehlungen für die Betreuung von Abschlussarbeiten mit einem IT- bzw. Technikfokus gibt. Ferner werden praxisorientierte Betreuungsprozesse aus dem Bereich des Tourismusmanagements und des Fernstudiums beschrieben.
Aspekte des Blended und des E-Learning im Zusammenhang mit praxisorientierter Lehre werden in Teil sechs behandelt. Am Anfang steht ein Beitrag zur Nutzung von Blended Learning und insbesondere der Nutzung des Konzepts des Flipped Classroom in den Rechtswissenschaften. Gefolgt wird dieser Beitrag von Ausführungen zur Nutzung von Blended Learning in der Fern- und Präsenzlehre. Einen Überblick über die Anwendung unterschiedlicher E-Learning-Methoden wird im dritten Beitrag dieses Teils gegeben. Abgerundet wird dieser Themenbereich mit Beiträgen zur Laborlehre und den Besonderheiten von praxisorientiertem Lehren und Lernen während der Corona-Krise.
Der Illustration von praxisorientierter Lehre innerhalb von Exkursionen und internationalen Studienreisen ist der abschließende siebte Teil gewidmet. Die hier gesammelten Beiträge befassen sich zunächst mit der Einbindung von Exkursionen als didaktisches Element in der praxisorientierten Lehre innerhalb verschiedenster Fachrichtungen, d. h. von den Rechtswissenschaften über das Tourismusmanagement bis hin zur Betriebs- und Volkswirtschaftslehre. Ferner wird in einem Beitrag ein Überblick über die didaktische Nutzung von Studienreisen innerhalb der Lehre gegeben sowie ein Leitfaden für die Organisation, Planung und Durchführung von internationalen Studienreisen konzipiert. Die beiden letzten Beiträge runden die Nutzung von praxisorientierten Lehrmethoden mit der Beschreibung von internationalen Studienreisen ab.
Zum Gelingen dieses Sammelbandes haben viele Personen beigetragen. Unser Dank gilt vor allem den Autor*innen, die erst durch ihre Einblicke in ihre Lehrtätigkeiten die Entstehung dieses Buches ermöglicht haben. Zudem bedanken wir uns bei allen Studierenden, die an den praxisorientierten Lehrformaten teilgenommen und uns Feedback zu den Methoden gegeben haben. Ferner bedanken wir uns herzlich bei Dr. Immanuel Ulrich, der uns mit seiner Expertise in hochschuldidaktischen Fragestellungen tatkräftig zur Seite gestanden hat. Unser Dank gilt auch Frau Barbara Roscher und Frau Birgit Borstelmann vom Springer Verlag, die unser Projekt mit viel Umsicht und Initiative unterstützt haben.
Uns Herausgeberinnen liegt es sehr am Herzen, auch weiterhin Impulse in Form von Konzepten, Ideen und Anforderungen für praxisorientierte Hochschullehre zu setzen.
Für weitere Veröffentlichungen freuen wir uns über Anregungen und Überlegungen unserer Leserschaft. Nehmen Sie gerne zu uns Kontakt auf.
Nun wünschen wir Ihnen viel Freude bei der Lektüre dieses Buches. Lassen Sie sich inspirieren!
Cansu Hattula
Julia Hilgers-Sekowsky
Gabriele Schuster
Berlin, Düsseldorf, Hamburg
im Sommer 2021
Inhaltsverzeichnis
1 Hochschuldidaktik für praxisorientierte Hochschullehre 1
Immanuel Ulrich
Teil IPraxiskooperationen: Marketingmanagement
2 Kompetenzorientierte Lehre am Beispiel eines Real-Life-Business-Case 15
Julia Hilgers-Sekowsky und Stephan Huxold
3 Studiengangsübergreifende Lehrveranstaltung: Studierende entwickeln gemeinsam eine Marken- und Kommunikationsstrategie für ein Unternehmen 27
Sabine Wießner
4 Verbindung von Praxis und Lehre: Ein angewandtes Projekt in einem Marktforschungskurs 35
Francisco Tigre Moura
5 Gastvorträge von Unternehmen als Gestaltungselement praxisorientierter Hochschullehre 47
Claudia Bornemeyer
6 Entwicklung einer Vermarktungsstrategie für das Start-Up-Unternehmen Aviationtag 63
Christian Lucas, Stephan Boltz und Lara Stoschek
7 Marktforschungsstudie in Unternehmenskooperation: Auch Studierende ermitteln Trends 75
Gabriele Schuster und Cansu Hattula
Teil IIPraxiskooperationen: Tourismusmanagement
8 Studierende als Consultants: Gelungene transferorientierte Lehre am Beispiel eines NGOs und eines Start-Ups 89
Bibiana Grassinger und Christine Kühn
9 Hochschule als Sponsor: Win–Win für Start-ups und Lehre 103
Helmut Wachowiak
10 Entwicklung einer Mock-up Website in Kooperation mit TUI und TrustYou zur Untersuchung des Einflusses von Kundenbewertungen auf das Buchungsverhalten von Digital Natives 115
Ina zur Oven-Krockhaus und Pascal Mandelartz
11 Kulturtourismus – Kooperationsprojekt mit der Stadt München 125
Anna Klein, Nicola Zech und Annegret J. Wittmann-Wurzer
12 Pilotprojekt: Praxisangewandte studiengangsübergreifende Lehre 137
Sylke Behrends
Teil IIIPraxiskooperationen: Soziale Arbeit
13 Das Expert*inneninterview und die teilnehmende Beobachtung als studentische Forschungsmethoden: Zur Berufsfelderkundung queerer Jugendsozialarbeit 151
Bärbel Schomers
14 Didaktische Methoden zur Praxisorientierung im dualen Studium der Sozialen Arbeit 165
Monika Alamdar-Niemann
15 Praxisorientierte Referate und Fallstudien als mögliche Prüfungsformen am Beispiel des dualen Studiums der Sozialen Arbeit 179
Boris Friele
16 Entwicklung partizipativer Kompetenzen Studierender in einer Werkstatt für behinderte Menschen 189
Fabian van Essen
17 Simulation in der Hochschullehre zum optimalen Theorie-Praxis-Transfer 199
Immanuel Ulrich und Nikolaus Meyer
Teil IVPraxiskooperationen: Spezifische Beispiele
18 Praxisprojekte in der Lehre – ein transferorientiertes Lernkonzept 209
Nicole Richter
19 Verknüpfung von Unternehmensbesuchen mit Praxisprojekten – Kompetenzentwicklung von Studierenden durch Projektbearbeitungsprozess mit Praxistransfer 221
Michaela Moser und Susanne Haenel
20 From dust till dawn?! Zu Potenzialen und Herausforderungen archivarischer Ausstellungsprojekte mit Studierenden in der Kunstmarktforschung 235
Nadine Oberste-Hetbleck
21 Studien zum deutschen Mittelstand als extra-curriculares Lernprojekt 247
Arne Schulke und Silke Jütte
22 Das duale Studium aus der Perspektive von Studierenden 259
Katja Grupp und Clare Hindley
23 Der Business Case Challenger – eine neue Fallstudienmethode für die Betriebswirtschaftslehre 269
Mark R. Ayoub und Thomas Röhm
Teil VPraxiskooperationen: Betreuung von studentischen Arbeiten
24 Betreuung unternehmensspezifischer Abschlussarbeiten – Zahlen, Erfahrungen und Handlungsempfehlungen aus dem Bereich IT und Technik 279
Marian Benner-Wickner, Ralf Kneuper und Leonardo Riccardi
25 Betreuung einer praxisorientierten Bachelorarbeit am Beispiel der Prozessoptimierung der Urlaubsverschiebung des fliegenden Personals im Flugbetrieb 293
Linda Wegener und Tilman Dietrich
26 Ein didaktischer Ermöglichungsrahmen für projektbasiertes Lernen im Fernstudium 305
Karin Halbritter
Teil VIPraxisorientierte Lehre: Blended und E-Learning
27 Handeln Lernen und Lernen durch Handeln: Laborlehre an der Hochschule Bremerhaven 321
Miriam O’Shea und Sabine Seemann
28 Blended Learning in der Rechtswissenschaft: Ein innovativer Ansatz im Berufsbegleitenden Studium 331
Michele Dilenge
29 Blended Learning – Positionierung zwischen Fern- und Präsenzstudium 339
Maren Weber, Stefan Tilch und Gabriele Schuster
30 Projektorientiertes Lernen in der Online-Lehre 351
André Hollstein, Ulrich Kerzel und Damir Ismailović
31 Lehren und Lernen in der Coronakrise: Empfehlungen für die erfolgreiche Umstellung von der Präsenz- auf die Online-Lehre 363
Angela Rohde
Teil VIIPraxisorientierte Lehre: Exkursionen und internationale Studienreisen
32 Die Exkursion – Das unterschätzte Instrument in der Hochschuldidaktik 381
Astrid Mühlböck
33 „Gesetzgebung zum Anfassen": Exkursionen im Fachbereich Recht 393
Esther Hartwich
34 Fachexkursionen ins Ausland im Rahmen der praxisorientierten Hochschullehre – Eine Betrachtung unter Verwendung des erfahrungsbasierten Lernens 403
Stefan Remhof und Mark R. Ayoub
35 Internationale Studienreisen im Rahmen eines Managementstudiums: Ein Leitfaden für die Organisation, Planung und Durchführung 415
Jan Pieper, Hagen Worch und Ute Eisenkolb
36 Internationale Studienreisen: Förderung und Entwicklung des Interesses von Studierenden für kulturelle, soziale und wirtschaftliche Aspekte 427
Florian Hummel
37 Angewandtes Lernen bezüglich entstehender Tourismusmärkte in Kenia im Rahmen einer Exkursion 435
Felix Wölfle und David Rempel
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021
C. Hattula et al. (Hrsg.)Praxisorientierte Hochschullehrehttps://doi.org/10.1007/978-3-658-32393-6_1
1. Hochschuldidaktik für praxisorientierte Hochschullehre
Immanuel Ulrich¹
(1)
Campus Frankfurt, IUBH Internationale Hochschule, Frankfurt am Main, Deutschland
Immanuel Ulrich
Email: i.ulrich@iubh-dualesstudium.de
Zusammenfassung
Praxisorientierte Hochschullehre ist ein Schlagwort sowie Kennzeichen der Hochschulen bzw. „Universitys of applied Sciences" in Deutschland. Im Rahmen dieses Kapitels wird ‚gute praxisorientierte Hochschullehre‘ zunächst definiert und folgend die hochschuldidaktische Feststellung von Praxisorientierung erläutert. Anschließend werden die notwendigen Voraussetzungen für gute praxisorientierte Hochschullehre sowie passende Lehrmethoden und -formate zu deren Realisierung auf Basis des aktuellen Forschungsstands dargestellt.
Keywords
PraxisorientierungHochschullehreGute LehreHochschuldidaktik
Immanuel Ulrich
ist Inhaber der Professur für Hochschuldidaktik und Psychologie an der IUBH Internationale Hochschule, Frankfurt am Main. Er forscht, lehrt und bildet weiter zu guter Hochschullehre. Seine Dissertation wurde 2014 mit dem Johannes-Wildt-Nachwuchspreis für hochschuldidaktische Forschung von der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik ausgezeichnet. Er ist Lehrfellow 2019 des Stifterverbands im Fellowship-Programm für Innovationen in der Hochschullehre.
1.1 Gute praxisorientierte Hochschullehre
‚Gute Hochschullehre‘ sowie ‚praxisorientierte Hochschullehre‘ sind Schlagworte, welche im Hochschulkontext häufig verwendet werden, insbesondere zur Selbstvermarktung. Die ‚Praxisorientierung‘ wird nicht nur von Hochschulen bzw. „Universitys of applied Sciences", sondern auch von klassischen Universitäten als Charakteristikum ihrer Lehre hervorgehoben (z. B. LMU 2020, Universität Bremen 2020). Problematisch bei dieser Verschlagwortung ist einerseits die zu seltene Definition, was denn ‚gute Hochschullehre‘ sowie ‚praxisorientierte Hochschullehre‘ sei, und andererseits eine ebenso zu seltene Qualitätskontrolle, ob die angebotene Hochschullehre wirklich ‚gut‘ und ‚praxisorientiert‘ ist. Im Rahmen dieses Kapitels sollen ‚gute praxisorientierte Hochschullehre‘ zunächst definiert und folgend die hochschuldidaktischen Voraussetzungen nach dem aktuellen Forschungsstand dargelegt werden. Im Rahmen des gesamten Buches werden in den anderen Kapiteln innovative Beispiele praxisorientierter Hochschullehre in den Blick genommen.
Gute Hochschullehre wird – sei sie praxisorientiert oder forschungsorientiert – im Sinne des humboldtschen Bildungsideals (Humboldt 1851/1927) – wie folgt definiert:
Gute Hochschullehre umfasst die professionelle Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten, Kompetenzen und Werten, insbesondere im Rahmen des jeweiligen Faches. Gute Hochschullehre nutzt zu ihrer stetigen Optimierung die Standards des Qualitätsmanagements und die neusten hochschuldidaktischen Forschungsergebnisse. Das Ziel guter Hochschullehre besteht letztendlich in der Ausbildung mündiger, kompetenter und wertgefestigter (Staats-)Bürger (Ulrich und Heckmann 2013, S. 4)
Diese Definition gilt es – im Sinne des humboldtschen Bildungsideals – nun auf rein praxisorientierte gute Hochschullehre anzuwenden. Es soll dabei stets die Kombination, d. h. ‚gute praxisorientierte Hochschullehre‘ in den Blick genommen werden, da eine ‚praxisorientierte Hochschullehre‘ ohne qualitativen Anspruch aus hochschuldidaktischer Sicht nicht ausreichend ist.
Gute praxisorientierte Hochschullehre vermittelt professionell Wissen, Fähigkeiten, Kompetenzen und Werte, welche insbesondere für das jeweilige Fach als auch die postgraduale Berufspraxis bedeutsam sind. Gute praxisorientierte Hochschullehre nutzt zu ihrer stetigen Optimierung die Standards des Qualitätsmanagements und die neusten hochschuldidaktischen Forschungsergebnisse. Das Ziel guter praxisorientierter Hochschullehre besteht letztendlich in der Ausbildung mündiger, kompetenter und wertgefestigter (Staats-)Bürger.
Die Besonderheit guter praxisorientierter Hochschullehre im Vergleich zu anders orientierter guter Hochschullehre liegt somit in der Berücksichtigung der postgradualen Berufspraxis des jeweiligen Faches.
1.2 Praxisorientierung in der Hochschullehre feststellen
Inwiefern lässt sich Praxisorientierung feststellen? Im Rahmen des Bologna-Prozesses (vgl. Bülow-Schramm 2006) mussten alle Curricula der Studiengänge modular und kompetenzorientiert umgestellt werden: Lernziele je Modul samt zu erreichenden Kompetenzen ermöglichen es, die angestrebten Lerninhalte und -fortschritte nach Abschluss des Moduls bzw. des Studiengangs transparent festzustellen. Demgegenüber lassen sich die tatsächlichen Praxistätigkeiten der Absolvent*innen stellen, gewichtet nach ihrer Häufigkeit. Sofern die Hochschullehre praxisorientiert ist, sollte sie die häufigsten Praxistätigkeiten abdecken, indem sie sowohl das dazu nötige Fachwissen als auch die dazu notwendigen fachlichen und methodischen Kompetenzen vermittelt.
Exemplarisch soll folgend der Studiengang Psychologie hinsichtlich seiner Praxisorientierung untersucht werden, da dies der Autor als Psychologe valider einschätzen kann als andere Fächer. Laut Margraf (2015) hatten wir 104.000 erwerbstätige Psycholog*innen mit Studienabschluss in Deutschland, wovon 85.000 im studierten Fach tätig waren. Davon waren zum Erhebungszeitpunkt in Deutschland 33.000 Personen als Psychologische Psychotherapeut*innen sowie als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen tätig, weitere 16.000 Personen waren in anderen Tätigkeiten im Gesundheitssektor tätig (z. B. klinische Beratung). Es ist festzustellen, dass der Klinische bzw. Psychotherapeutische Bereich einen Großteil der Psychologie-Absolvent*innen stellt. Ein praxisorientiertes Psychologie-Studium sollte somit diesen Bereich abdecken. Tab. 1.1 zeigt das derzeitige Curriculum des Psychologie-Bachelors. Aktuell werden nach einem allgemeinen Psychologie-Bachelor spezialisierende Psychologie-Master angeboten, welche einzelne Inhalte des Bachelor-Studiums vertiefen. Dies wäre z. B. das Fach Arbeits-, Organisations- & Wirtschaftspsychologie in einem Psychologie-Master „Wirtschaftspsychologie".
Tab. 1.1
Fächer im Psychologie-Studium (Curriculum Bachelor)
Ist das Psychologie-Studium nun hinsichtlich des Klinischen bzw. Psychotherapeutischen Bereichs praxisorientiert? Wenn man nun das Curriculum des Studiums (vgl. Tab. 1.1) mit den einschlägigen Lehrbüchern zu Klinische Psychologie bzw. Psychotherapie (z. B. Wittchen und Hoyer 2011, Peterman et al. 2018) vergleicht, ist festzustellen, dass hinsichtlich des nötigen Fachwissens für Klinische bzw. Psychotherapeutische Praxis alle relevanten Bereiche im Psychologie-Studium abgedeckt sind. Zusätzlich sind alle Fächer im Psychologie-Studium prinzipiell in der Klinischen bzw. Psychotherapeutischen Praxis relevant (z. B. Arbeits-, Organisations- & Wirtschaftspsychologie bei Patient*innen mit Burnout). Das Psychologiestudium weist somit hinsichtlich des Fachwissens eine gute Passung für die spätere Klinische bzw. Psychotherapeutische Praxis auf.
Hinsichtlich der fachlichen und methodischen Kompetenzen in der Klinischen bzw. Psychotherapeutischen Praxis ist das Urteil weniger positiv. Bis zur Reform des Psychotherapeutengesetzes 2020 (Bundesamt für Justiz 2020) fand die praktische Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten ausschließlich postgradual nach Abschluss des Psychologie-Masters im Rahmen einer 3–5 jährigen Weiterbildung statt. Zum Wintersemester 2020/21 sollen die ersten zwei Jahre der Weiterbildung in einen noch konkret zu gestaltenden Psychologie-Master eingebettet werden, sodass ab dann eine gewisse Praxisorientierung hinsichtlich der Kompetenzen gegeben sein dürfte. Das Psychologiestudium weist somit hinsichtlich der fachlichen und methodischen Kompetenzen bislang kaum, bald vielleicht eine gewisse Passung für die spätere Klinische bzw. Psychotherapeutische Praxis auf.
1.3 Praxisorientierung sichern: Voraussetzungen
Wie kann die Praxisorientierung der Hochschullehre gesichert werden? Damit praxisorientierte gute Hochschullehre die häufigsten Praxistätigkeiten abdecken kann, indem sie sowohl das dazu nötige Fachwissen als auch die dazu notwendigen fachlichen und methodischen Kompetenzen vermittelt, sind zwei Voraussetzungen notwendig:
1.
Kenntnis mind. eines bedeutsamen Praxisfeldes durch die Lehrenden
2.
Kenntnis und Einsatz innovativer Lehrmethoden und -formate zur Vermittlung der o.g. Kompetenzen an die Studierenden
Die Hochschullehrenden, welche in ihrer Gesamtheit das Curriculum eines praxisorientierten Hochschulstudiums konzipieren, müssen in ihrer Gesamtheit die bedeutsamsten Praxistätigkeiten ihrer künftigen Absolvent*innen kennen. Der jeweils einzelne Hochschullehrende muss nur mind. eine bedeutsame Praxistätigkeit kennen, sofern dessen Kolleg*innen die anderen bedeutsamen Praxistätigkeiten abdecken. In der Hochschullehre gilt es, die in eigener beruflicher Tätigkeiten erfahrenen Praxistätigkeiten an die Studierenden zu vermitteln. Für praxisorientierte Hochschullehre sind somit Hochschullehrende vonnöten, welche in der Praxis tätig sind (wenngleich seit ihrer Berufung an die Hochschule in weitaus geringerem Umfang). Eine Beendigung sämtlicher Praxistätigkeiten für Hochschullehrende schränkt die Praxisorientierung der eigenen Hochschullehre über die Jahre ein, da die ehemalige Berufserfahrung stetig veraltet.
Damit die praxisorientierte Hochschullehre nun auch gut ist, sind innovative Lehrmethoden und -formate nötig. Hierbei gibt es jedoch nicht die Lösung, sondern je Lernziel und Praxiskontext bieten sich verschiedene Lösungen an. Dies liegt einerseits daran, dass es bislang nicht die Theorie des Lernens gibt, sondern je Lernziel und Praxiskontext unterschiedlich passende, verschiedene Lernparadigmen (vgl. Tab. 1.2). Wenn z. B. ein „Praktiker", z. B. ein Geschäftsführer eines Luftfahrtunternehmens in der Lehrveranstaltung für angehende Pilot*innen einen kurzen Gastvortrag hält, wäre eher ein behavioristisches Lernparadigma gewählt. Wenn hingegen die angehenden Pilot*innen im Flugsimulator trainieren, ist dies ein konstruktivistisches Lernparadigma. Beide Lernparadigmen sind – je Lernziel und Praxiskontext – dem Ziel einer guten praxisorientierten Hochschullehre dienlich.
Tab. 1.2
Paradigmen des Lernens (aus Baumgartner und Payr 1999, S. 110 und 174)
Neben dem zu Lernziel und Praxiskontext jeweils passenden Lernparadigma stellt sich die Frage der passenden Lehrmethode und dem passenden Lehrformat. Nicht alle üblichen Lehrmethoden (vgl. Tab. 1.3) sind für praxisorientierte Hochschullehre gleich dienlich. Daher sollen folgend besonders passende Lehrmethoden und Lehrformate thematisiert werden.
Tab. 1.3
Übersicht häufiger Lehrmethoden (aus Ulrich 2020, Kap. 14, S. 225 f.)
1.4 Praxisorientierung herstellen: Lehrmethoden und -formate
Lehrformate determinieren den Charakter einer Lehrveranstaltung, z. B. ob eine Präsenzveranstaltung generell „klassisch" ohne digitale Medien oder mit digitalen Medien als Blended Learning Format konzipiert ist. Lehrmethoden sind in der Lehrveranstaltung nacheinander oder in Kombination parallel einsetzbar, und zwar prinzipiell in jedem Lehrformat.
1.4.1 Lehrformate
Duales Studium
Ein duales Studium kombiniert ein Hochschulstudium mit einer parallelen Praxistätigkeit der Studierenden im bereits zukünftigen Berufsfeld (z. B. ein dual Studierender der Sozialen Arbeit, welcher im Jugendamt als Mitarbeiter tätig ist). Sofern die Praxistätigkeit durch die Professor*innen in der Hochschule begleitet wird (z. B. über die Praxis reflektierende Lehrveranstaltungen), führen Praxistätigkeiten zu höherem Fachwissen sowie besseren fachlichen und methodischen Kompetenzen der Studierenden (Ulrich et al. 2020). Eine mangelnde Begleitung durch die Hochschule kann zur Übernahme auch suboptimaler Lösungsstrategien aus der Praxis, Unterschätzung von Forschungserkenntnissen und Überschätzung eigener Praxiserfahrungen führen (Tabachnick et al. 1979–1980).
Blended Learning und E-Learning
E-Learning bezeichnet Hochschullehre, welche ohne physische Präsenzphasen der Studierenden verläuft, d. h. sie erfolgt rein über digitale Medien gestützt. Blended Learning kombiniert „klassische Präsenzphasen mit E-Learning. Modernes E-Learning führt laut aktuellen Meta-Analysen bei den Studierenden zu höheren Lernerfolgen als „klassische
Präsenzlehre (d = 0,31, Tamin et al. 2011), wobei Blended Learning noch höhere Lernerfolge verzeichnet (d = 0,42, Tamin et al. 2011). Somit bieten sich Blended Learning Formate für gute praxisorientierte Hochschullehre an. Bei eher einfach einzuübenden Fachinhalten bieten sich Flipped Classroom Formate an (d = 0,34, Låg und Sæle 2019): Hier beginnt die Veranstaltung mit einer Online-Phase, sodass die dort gelernten Inhalte in der Präsenzphase vertieft und geübt werden können. E-Learning Formate verbleiben als Alternative bei fehlenden Präsenzmöglichkeiten der Studierenden (z. B. Fernstudium). Eine fundierte Übersicht zu den Möglichkeiten und Grenzen von Blended Learning und E-Learning Formaten mit vielen praktischen Tipps findet sich bei Kerres (2018).
Exkursionen
Exkursionen bieten sich einerseits an, wenn wichtige Kompetenzen nur im Feld erworben werden können (z. B. architektonische Begehung eines Gebäudes für Architekturstudierende). Andererseits sind sie dienlich, um Praxis erfahrbar zu machen (z. B. Unternehmensbesichtigung für spätere Unternehmenskooperation für BWL-Studierende). Die bisherigen (wenigen) Studien zeigen Steigerungen von fachlichen, methodischen, sozialen und personalen Kompetenzen bei den Studierenden durch die Exkursion (Demirkaya und Atayeter 2011; Gurvitch und Metzler 2009; Stott und Hall 2003). Zur praktischen Vorbereitung und Durchführung von Exkursionen durch Lehrende finden sich bei Klein (2015) sowie Stolz und Feiler (2018) viele wertvolle Hinweise.
1.4.2 Lehrmethoden
Projektmanagement
Im Projektmanagement erhalten die Studierenden eigene, größere Aufgaben zur Bearbeitung. Teils müssen die Studierenden dies alleine, teils in Gruppen durchführen. Die Aufgabenbearbeitung verläuft meist außerhalb der Lehrveranstaltung. Wenn sich die Aufgaben im Projektmanagement an problembasiertem Lernen orientieren, führt dies zu höheren Fähigkeiten (d = 0,66, Dochy et al. 2003) sowie zur korrekten Anwendung und Generierung von Prinzipien (d = 0,34 bzw. d = 0,80, Gijbels et al. 2005). Bei Gruppenaufgaben ist zu beachten, dass hier nicht „soziales Faulenzen" einzelner in der studentischen Projektmanagement-Gruppe (Aronson et al. 2014) auftritt, da dies die Zufriedenheit stark reduziert (Aggarwal und O’Brien 2008).
Unternehmenskooperation
Unternehmenskooperationen können genutzt werden, um Studierenden einerseits sie interessierende Arbeitgeber näher zu bringen und andererseits Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich in der Kooperation hervorzutun. Die Unternehmen gewinnen ihrerseits einen Eindruck potenzieller neuer Mitarbeiter*innen und können sich zugleich selbst frühzeitig – bereits an der Hochschule – präsentieren. Eine Facette einer Unternehmenskooperation kann ein studentisches Forschungsprojekt sein, was auch in Form einer Qualifikationsarbeit stattfinden kann.
Studentische Anwendungsforschung
Studentische Anwendungsforschung kann einerseits zur Vertiefung und praktischen Anwendung wissenschaftlicher Methoden dienen, andererseits zur Beforschung der eigenen Praxis erfolgen. So kann z. B. ein Studierender der BWL mit Schwerpunkt ‚Personal‘ die Effektivität einer Personalentwicklungsmaßnahme untersuchen. Ein Studierender der sozialen Arbeit könnte die Wirksamkeit von Maßnahmen des Jugendamtes untersuchen.
Betreuung Qualifikationsarbeiten
Förderlich für den Lernerfolg von Studierenden ist eine gute Beratung (d = 0,30, Reese et al. 2010) und Betreuung, letzteres gerade bei Studierenden aus sozial schwächeren Schichten (d = 0,27, Kulik et al. 1983). Die gute Beratung zu und Betreuung von Qualifikationsarbeiten dient ebenso dem Lernerfolg, kann aber auch im Zuge einer Unternehmenskooperation dem Studierenden als Sprungbrett in das Unternehmen dienen.
Simulationen und Planspiele
Simulationen sowie Planspiele dienen zur Abbildung der komplexen Realität. Simulationen werden eingesetzt, wenn Fehler im beruflichen Kontext gravierende Folgen haben. Üblicherweise wird dies in der Luftfahrt (z. B. Flugsimulatoren, vgl. de Smale et al. 2016) und Medizin (z. B. Operationen oder Massenandrang in der Notaufnahme, vgl. St. Pierre und Breuer 2013) genutzt. (Computergestützte) Simulationen führen zu hohen Lernerfolgen der Studierenden (d = 0,41, Merchant et al. 2014). Planspiele sind Simulationen, bei denen vordefinierte Ereignisse und Reaktionen auf das Handeln der Studierenden festgelegt sind. Ein Planspiel kann z. B. zur Simulation volkswirtschaftlicher Zusammenhänge durchgeführt werden. Der Markt reagiert auf das Handeln einzelner Akteure, auch treten unvorhergesehene Ereignisse – z. B. Naturkatastrophen – auf. Planspiele führen ebenso zu hohen Lernerfolgen der Studierenden (d = 0,51, Merchant et al. 2014).
Gastvorträge
Gastvorträge von „Praktiker*innen" sind eine wirksame Lehrmethode, um den Studierenden einerseits einen kurzen Einblick in ihren potenziell künftigen Berufsalltag zu geben und andererseits die soziale Distanz zu anderen Unternehmen zu verringern. Gerade aus einer dem Gastvortrag folgenden Fragerunde oder informellen Austausch können spätere Kooperationen, Projekte etc. erwachsen.
1.5 Fazit
Gute praxisorientierte Hochschullehre vermittelt für die bedeutsamsten späteren beruflichen Tätigkeiten sowohl das nötige Fachwissen als auch die notwendigen fachlichen und methodischen Kompetenzen. Hochschullehrende können eine solche Hochschullehre realisieren, wenn sie die bedeutsamen Praxisfelder kennen und innovative Lehrmethoden und -formate zur Vermittlung der o.g. Kompetenzen an die Studierenden einsetzen.
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© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021
C. Hattula et al. (Hrsg.)Praxisorientierte Hochschullehrehttps://doi.org/10.1007/978-3-658-32393-6_2
2. Kompetenzorientierte Lehre am Beispiel eines Real-Life-Business-Case
Julia Hilgers-Sekowsky¹ und Stephan Huxold¹
(1)
Campus Düsseldorf, IUBH Internationale Hochschule, Düsseldorf, Deutschland
Julia Hilgers-Sekowsky (Korrespondenzautor)
Email: j.hilgers-sekowsky@iubh-dualesstudium.de
Stephan Huxold
Email: s.huxold@iubh-dualesstudium.de
Zusammenfassung
Das Ziel des Real-Life-Business-Case ist die Förderung der Problemlösungskompetenz der Studierenden bei gleichzeitiger Vermittlung spezifischen Fachwissens. Im vorliegenden Fall verfügten die Studierenden bereits über Marketing-Fachwissen aus dem Grundlagenkurs im ersten Semester. Im Fach Tourismusmarketing im vierten Semester ist daher dieser Ansatz der kompetenzorientierten Lehre gut anwendbar. Durch das hier vorgestellte Konzept kann eine Praxisinstitution mit einer konkreten Problemstellung eingebunden werden. Die Studierenden erstellen, begleitet durch das Coaching der Professor*innen, eine Problemlösung, die im Idealfall eine Umsetzungschance hat und somit einen Mehrwert für das Praxisunternehmen darstellt. Eine öffentliche Abschlusspräsentation kombiniert die Prüfungsleistung mit einer möglichen Prämierung durch den „Auftraggeber", was eine zusätzliche Motivationskraft besitzt.
Keywords
Real-Life-Business-Case-StudyKompetenzorientierte LehreMarketing
Julia Hilgers-Sekowsky
ist Professorin für Marketingmanagement an der IUBH Internationale Hochschule. Nach ihrem Studium in Bochum, Stockholm und Düsseldorf sammelte sie umfassende Erfahrungen in einer Management-Beratung. Nach mehrjähriger Praxiserfahrung promovierte sie zum Thema Kooperationen an der HHU in Düsseldorf. Sie begleitete ferner verschiedene Beratungsprojekte im Kulturbereich und ist in der Führungskräfteweiterbildung tätig.
Stephan Huxold
ist Professor für Betriebswirtschaftslehre insbesondere Marketing an der IUBH Internationale Hochschule. Nach dem Betriebswirtschaftsstudium in Münster und Köln promovierte er im Rahmen eines DFG Forschungsschwerpunkts zur Theorie der Innovation in Unternehmen. Rund 20 Jahre hat Stephan Huxold in Führungspositionen überwiegend in der Telekommunikationsbranche gearbeitet bevor er 2009 in die Bildungsbranche zurückkehrte.
Übersicht
Aufwand für Lehrende: mittel
Aufwand für Studierende: hoch
Aufwand für Praxisinstitution: mittel
Dauer des Projekts: 1 Semester
2.1 Einleitung
Der didaktische Ansatz der Fallstudie hat zum Ziel, die Problemlösungskompetenz auf methodischer, fachlicher, sozialer und persönlicher Ebene von Studierenden zu fördern und zu fordern. Macke et al. (2012, S. 55 f.) weisen darauf hin, dass Studierende als Voraussetzung das fachliche Wissen erfasst haben müssen, um die erworbenen fachlichen und methodischen Kompetenzen auf unterschiedliche Situationen anzuwenden. Studierende sollen das Fachwissen durch autonomes und subjektives Handeln in ihre individuellen Kompetenzen integrieren und bereit sein, die vom Lehrenden vorgegebenen Handlungsziele zu ihren eigenen Zielen zu machen. Dies setzt voraus, dass die Lehrenden die Studierenden in ihre didaktische Konzeption im höchsten Maße einbeziehen, um die Lernenden zu befähigen nicht nur das Fachwissen zu verstehen, sondern auch zielgerichtet in einer Gruppe anzuwenden. Damit werden zeitgleich verschiedene Kompetenzebenen gestärkt.
In dieser Lehr- und Lernsituation steht insbesondere die Theorie des Konstruktivismus im Vordergrund. Es rücken hier nicht „das Lösen didaktisch aufbereiteter Probleme, sondern das eigenständige Auffinden und Konstruieren von Problemen sowie der Umgang mit authentischen Situationen in den Vordergrund" (Reinmann-Rothmeier 2003, S. 36).
Bei Nutzung der Fallstudie besteht für die Lehrenden die besondere Herausforderung in der Suche nach der jeweils für das Lehrgebiet passenden Fallstudie. Dabei können folgende Probleme auftreten:
Dokumentierte Fallstudien (Literatur, Fallstudien-Plattformen im Internet, etc.) stellen sich oftmals als nicht spezifisch genug im Hinblick auf die Schwerpunktsetzung in der Stoffvermittlung heraus.
Branchenspezifische Fallstudien passen oftmals nicht in den Kontext des Studienschwerpunkts und des Curriculums.
Standard-Fallstudien können zu schwer oder zu leicht für den Wissensstand der Studierenden sein.
Selbst gestalteten Fallstudien mangelt es an Realitätsnähe und konkretem Praxisbezug.
Für die Form des dualen Studiums ergibt sich eine naheliegende Alternative: die Studierenden haben eine Ausbildungsanstellung in einem Unternehmen. Diese Unternehmen können in die Entwicklung, Umsetzung und Abschlusspräsentation eingebunden werden. So können reale Problemstellungen aus der Unternehmenspraxis bearbeitet und in der Consulting-Rolle von den Studierenden gelöst werden. Dadurch kann eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten erzeugt werden, die die Bereitschaft zur Zusammenarbeit fördert.
2.2 Ziele des Lehr- und Lernkonzeptes
Mit der didaktischen Herangehensweise dieses Lehrkonzeptes wurden vor allem folgende Ziele für Studierende, Praxisunternehmen und Lehrende verfolgt:
Für die Studierenden soll eine Steigerung der Motivation durch die Bearbeitung erreicht werden. Ihnen wird eine wesentliche Rolle in der didaktischen Vorgehensweise zugeordnet, da sie durch Ihre Handlungsautonomie bei der Bearbeitung der Fallstudien, den Fortgang der Lehrveranstaltung in zentraler Art und Weise mitbestimmen. Dies geht einher mit der Erfahrung, einen werthaltigen Beitrag für eine Problemlösung eines Unternehmens zu leisten (Consulting-Rolle). In der Vorlesung erlernte Methoden, Instrumente und Modelle sollen direkt angewendet werden können, um damit den Kompetenzerwerb sowohl auf fachlicher, methodischer, sozialer und persönlicher Ebene zu steigern. Ferner werden durch die frühzeitige Kommunikation der Fragestellung und Zielsetzung zu Semesterbeginn, die Prüfungsfragen und Erwartungen an die Studierenden transparent und nachvollziehbar. Damit wird das Handeln der Studierenden auf die Lernziele ausgerichtet (Macke et al. 2012, S. 76 ff.).
Für das Praxisunternehmen ergibt sich ein Vorteil aus der Präsentation der Fallstudienergebnisse der Studierenden. Häufig handelt es sich um Fragestellungen, die von den Praxisunternehmen aufgrund des laufenden Tagesgeschäftes und der mangelnden personellen Ressourcen nicht bearbeitet werden können. Im besten Fall werden von den Lernenden Lösungsvorschläge erarbeitet, die konkret für das Unternehmen umsetzbar sind. Allerdings sollte dem Praxisunternehmen von Beginn an kommuniziert werden, dass die Ergebniserwartung an den Leistungshorizont der Studierenden anzupassen und der Ausgang der Bearbeitung offen ist.
Für die Lehrenden kann eine Bereicherung und Belebung des Unterrichts erreicht werden. Durch diese Form der kompetenzorientierten Lehre ist es möglich, sowohl die Beziehung in die Praxis zu stärken, als auch in einen intensiven Diskurs mit den Studierenden während der Projektbearbeitung zu treten und die Rolle eines Lerncoaches einzunehmen (Lester und Costley 2010, S. 565 f.). Hierbei ist immer „zu berücksichtigen, dass didaktisches Handeln umfassend begründet, transparent und nachvollziehbar gemacht" (Macke et al. 2012, S. 56) werden sollte, damit der Zielerreichungsgrad möglichst hoch ist.
2.3 Methodische und technische Voraussetzungen
Idealtypisch lässt sich der Aufbau einer Fallstudienarbeit in folgende Phasen einteilen, der zunächst unabhängig vom Studienfach oder Semester zu betrachten ist:
Planungsphase (inkl. Abstimmung mit dem Praxisunternehmen und Projektmanagement),
Durchführungsphase und
Evaluierungsphase.
Eine Real-Life-Business-Case-Study erfordert eine genaue Projektplanung durch die Lehrenden. Als Voraussetzung müssen zunächst die Inhalte und Ziele des jeweiligen Curriculums Berücksichtigung finden. Ferner sollten die verschiedenen Anspruchsgruppen Studierende, Praxisunternehmen und Lehrende in die Planung mit einbezogen werden.
Innerhalb der Durchführungsphase mit den Studierenden finden unterschiedliche didaktische Lehrkonzepte, teilweise punktuell, teilweise kontinuierlich statt. Hier sollten die Lehrenden abwägen, welche Lehrkonzepte zu welchem Zeitpunkt passend und für den Fortschritt der Projektbearbeitung zuträglich sind. Folgende didaktische Lehrkonzepte können prinzipiell innerhalb einer Real-Life-Business-Case-Bearbeitung genutzt werden (Tab. 2.1):
Tab. 2.1
Einsatz ausgesuchter didaktischer Lehrkonzepte innerhalb der Fallstudienarbeit
(Quelle: Vgl. Macke et al. 2012, S. 175 ff.)
Die Evaluierung als dritter Schritt, beinhaltet eine kritische Auseinandersetzung mit dem Ablauf und den Lehr- und Lernergebnissen sowohl