Fokus Asien – Perspektiven und Herausforderungen: Sozialwissenschaftliche Studien des Schweizerischen Instituts für Auslandforschung, Band 43
Von NZZ Libro
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Buchvorschau
Fokus Asien – Perspektiven und Herausforderungen - NZZ Libro
SOZIALWISSENSCHAFTLICHE STUDIEN
DES SCHWEIZERISCHEN INSTITUTS FÜR
AUSLANDFORSCHUNG
BAND 43 (NEUE FOLGE)
Begründet von
Prof. Dr. Dr. h.c. Friedrich A. Lutz (†)
www.siaf.ch
Fokus Asien –
Perspektiven und
Herausforderungen
Herausgegeben von Martin Meyer
Mit Beiträgen von Carl Baudenbacher, Philipp Hildebrand,
Gilles Kepel, Mervyn King, John Major, Kevin Rudd, Urs Schoettli,
Gerhard Schröder, Axel A. Weber, Slavoj Žižek
NZZ Libro
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2020 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG
Der Text folgt der gedruckten 1. Auflage 2017 (ISBN 978-3-03810-247-2)
Umschlaggestaltung: GYSIN [Konzept+Gestaltung], Chur
Titelbild: Silhouette, Jonathan Nightingale @flickr.com, Creative Commons Licence
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ISBN E-Book 978-3-03810-467-4
www.nzz-libro.ch
NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.
Inhalt
Vorwort
AXEL A. WEBER
Globale Wirtschaft in der Schuldenfalle
GERHARD SCHRÖDER
Politik in einer Welt der Widersprüche
GILLES KEPEL
Jihad in Europe
MERVYN KING
The End of Alchemy
SLAVOJ ŽIŽEK
A Leftist Defence of Eurocentrism
CARL BAUDENBACHER
Brexit, EFTA und EWR
URS SCHOETTLI
Die Rückkehr des Hegemonen
KEVIN RUDD
The Rise of Asia and its Impact on the Global Order
JOHN MAJOR
The British Exit – and the European Future
PHILIPP HILDEBRAND
Der Aufstieg Chinas und seine Folgen
Autoren und Herausgeber
Vorwort
Bismarcks Satz, dass der Politiker nur sehr selten die Gunst erwiesen erhalte, den Saum des Mantels der Geschichte zu erhaschen und für sich zu nutzen, gilt für alle historisch bewegten Zeiten, also auch und wohl besonders prominent nun für die unsere. Die vielfältig fokussierten Veranstaltungen des Schweizerischen Instituts für Auslandforschung im Jahr 2016 zeugen zumindest indirekt davon. Ungewissheit heisst das übergreifende Stichwort. Wohin man blickt: auf die grosse Politik, auf die globale Ökonomie, auf die kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Verwerfungen, aber auch auf den Mikrokosmos lokaler Geschehnisse, die sich plötzlich wie ein Flächenbrand ausweiten können – es gilt ein Fahren auf Sicht, mit «trial and error», mit Chancen, dies gewiss auch, aber häufiger mit Risiken, mit unkalkulierbaren Neben- oder sogar Haupteffekten.
Insofern wirkte es geradezu beruhigend, von berufenen Referenten über Entwicklungen im asiatischen Raum zu hören, die bisher immer noch auf gewissen Stabilitäten und Erwartbarkeiten gründen. «Fokus Asien», so lautete eine thematische Klammer des Herbstsemesters an der Universität Zürich, und tatsächlich zeigte sich, dass China wieder besser unterwegs ist als noch vor zwei Jahren. Ergänzend führten wir jedoch auch Spezialveranstaltungen durch. Zu reden und zu debattieren gab insbesondere der sogenannte Brexit, der zwar nur knapp erfolgreich war, aber immerhin entgegen den meisten Erwartungen durchgedrückt wurde. Der ehemalige britische Premier Sir John Major beleuchtete in einem fulminanten Vortrag vor allem die Risiken und Gefahren für beide Teile, für hüben wie drüben, auch wenn er sich selbst keinesfalls als Anwalt eines Superstaats Europa outete.
Die Vorträge des Frühjahrssemesters konnten freier gestaltet werden, zeigten aber deutlich auf, dass alte und neue Hypotheken noch immer zu schaffen machen. Axel A. Webers glasklare Analyse der globalen und globalisierten Schuldenwirtschaft wäre eigentlich dazu angetan, den Beteiligten bezüglich ihrer Politik des Wegschauens, wie sie seit vielen Jahren vor allem in Europa praktiziert wird, die Augen zu öffnen, und Ähnliches liesse sich über das Referat des ehemaligen Gouverneurs der Bank of England, Mervin King, sagen. Nun, die Hoffnung stirbt zuletzt.
Der französische Sozial- und Religionswissenschafter Gilles Kepel wies auf andere Gefahren hin: nämlich auf die vielgesichtigen Terrorismen des islamistischen Fundamentalismus im Namen eines Jihads, der tief in der Geschichte verwurzelt ist und weiterhin oder vielleicht noch stärker junge Leute männlichen und mittlerweile mehr und mehr auch weiblichen Geschlechts dazu motiviert, Tod, Furcht und Schrecken in die Zentren der westlichen Zivilisationen zu tragen. Mit wohlmeinendem Multikulturalismus ist solchen Einbrüchen jedenfalls nicht zu begegnen; wieder müssen wir feststellen, dass unsere Welt eine Welt der Gleichzeitigkeiten des Ungleichzeitigen ist. Auch Huntingtons «clash of civilizations» entpuppt sich dabei als brauchbares Muster für mancherlei Erklärungen.
Die grösste Überraschung konnte im Berichtsjahr nicht mehr eingefangen werden. Der neue Mann im Weissen Haus durchkreuzte mit einem Wahlkampf sehr eigener Art alle Erwartungen an Berechenbarkeit und Rationalität. Ob es sich nun für die nächsten vier, vielleicht gar acht Jahre um einen Einzelfall für die amerikanische Zeitgeschichte gehandelt haben wird oder ob auch dieses Ereignis mitsamt seinen Implikationen nach innen und nach aussen einen «shift» hin zu zunehmend rascher werdenden Schwankungen im globalen politischen Gefüge ankündigt, steht bei Abfassung dieses Vorworts noch in den Sternen. Gelassenheit und Wachsamkeit sind sicher kein allzu schlechtes Rezept dafür, die Orientierung nicht zu verlieren, die damals etwa der eingangs zitierte Bismarck oft meisterlich in die Praxis umzusetzen wusste. Man wird sehen.
Sämtliche Vorträge waren sehr gut besucht, viele mussten in zusätzliche Räume übertragen werden. Auch die Möglichkeit von Diskussionen nach den Referaten wurde lebhaft ausgeschöpft. Das Institut dankt allen, für die es solche Gedanken- und Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit leistet, für ihr zahlreiches Erscheinen. Es dankt aber auch den Referenten und, last, but not least, unseren Partnern, die uns stets treu und grosszügig begleiten.
Zürich, im März 2017
Dr. Martin Meyer, Präsident des Vorstands SIAF
Globale Wirtschaft in der Schuldenfalle
AXEL A. WEBER
Vortrag vom 23. Februar 2016
Perspektive «Groundhog Day»
Bevor ich mich dem Thema Schulden widme, möchte ich die weltwirtschaftliche Entwicklung der letzten fünf Jahre aus einer etwas weiteren Perspektive betrachten. Ich besuche seit vielen Jahren regelmässig die Frühjahrs- und Herbsttagungen des Internationalen Währungsfonds (IWF). In letzter Zeit erinnern mich diese Treffen immer stärker an den Film «Groundhog Day», in dem Bill Murray um 6 Uhr morgens zur Musik von Sonny and Cher aufwacht und denselben Tag immer wieder von Neuem erlebt. So wie in jenem Film täglich das Murmeltier erwacht und den Beginn des Frühlings ankündigt, so reduziert der IWF seit mehreren Jahren bei jeder seiner halbjährlichen Prognoserunden die Wachstumsaussichten für die Weltwirtschaft.
Analysieren wir ein typisches «Groundhog»-Jahr des IWF etwas genauer: Am Frühlingstreffen des IWF wird argumentiert, dass ein unvorhergesehener Faktor, wie etwa ein aussergewöhnlich kalter Winter, schuld daran sei, dass die Weltwirtschaft in den Wintermonaten enttäuschte. Die Wachstumsschwäche erweist sich dann aber im Frühling und Sommer als hartnäckiger als erwartet, worauf der IWF an seinem Herbsttreffen die Wachstumsprognosen erneut senken muss. Gleichzeitig betonen die IWF-Ökonomen aber, dass der Aufschwung nicht aufgehoben, sondern nur auf das nächste Jahr aufgeschoben wurde. Der darauffolgende Winter ist dann wieder ungewöhnlich kalt, und das Spiel beginnt von Neuem.
Dies beobachten wir jetzt seit fast fünf Jahren: Seit dem Herbst 2011 hat der IWF die globale Wachstumsprognose in jeder Runde nach unten angepasst. Die Prognose für 2012 musste von 4,5 Prozent im April 2011 auf 3,3 Prozent reduziert werden, die Prognose für 2013 senkte der IWF von 4,5 Prozent auf 2,9 Prozent, die Prognose für 2014 wurde von 4,6 Prozent auf 3,3 Prozent korrigiert und die Prognose für 2015 schrumpfte von 4,8 Prozent auf 3,1 Prozent. Die Prognose für das langfristige Potenzialwachstum der Weltwirtschaft sank in dieser Periode von 4,7 Prozent auf 4,0 Prozent. Ich erwarte zudem, dass der IWF im April die Wachstumsprognose für dieses Jahr von aktuell 3,4 Prozent wiederum senken wird, allein schon deshalb, weil sich die Wachstumsaussichten für die USA in den letzten Wochen eingetrübt haben.
Ich will hier aber keine Kritik am IWF üben. Der IWF hat eine der weltbesten Prognoseabteilungen. Praktisch bei allen Wirtschaftsinstituten kann in den letzten Jahren dasselbe Muster beobachtet werden. Und unter denjenigen Voraussagen, die die globale Wirtschaftsschwäche der letzten Jahre richtig darstellten, befinden sich viele, die grundsätzlich pessimistisch und deren Analysen daher nicht besonders hilfreich sind.
In der Sprache der Statistik sind die Prognosefehler der letzten Jahre seriell korreliert. Sie waren immer zu hoch. Bei guten Prognosen darf dies nicht der Fall sein. Seriell korrelierte Prognosefehler deuten darauf hin, dass die verwendeten Modelle falsch spezifiziert sind. Sie scheinen fast ausnahmslos wichtige Faktoren auszublenden.
So weit herrscht weitgehend Konsens zwischen den Ökonomen. Wo sich allerdings die Geister scheiden, ist die Frage, weshalb die Weltwirtschaft in den letzten Jahren regelmässig enttäuschte und – noch wichtiger – was getan werden muss, um das Wachstum wieder zu beleben.
Modelle
In meiner Karriere als Ökonom, als Professor, als Präsident der Deutschen Bundesbank, aber auch in meiner jetzigen Tätigkeit im Gespräch mit Kundinnen und Kunden habe ich mich selbst intensiv mit Wirtschaftsprognosen beschäftigt und tue dies heute noch. Früher habe ich solche Modelle auch selbst geschätzt. Sie beruhen immer auf starken Vereinfachungen. Die meisten makroökonomischen Prognoseansätze beschränken sich auf die Modellierung der Realwirtschaft, meist der Interaktion zwischen den Bruttoinland-(BIP-)Komponenten wie den Investitionen, dem Konsum, den Ex- und Importen, ergänzt durch Variablen wie Zins oder Wechselkurs. Die heutigen Modelle sind weit davon entfernt, der zunehmenden Komplexität und dem Strukturwandel in der Wirtschaft gerecht zu werden. Obwohl die Modelle aus mathematischer und statistischer Sicht sehr anspruchsvoll sind, bin ich überzeugt, dass die Komplexität einer Volkswirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten rascher zugenommen hat als das Tempo des Fortschritts bei der Modellierung, sodass unsere Prognosemodelle heute sogar weniger aussagekräftig sind als noch vor einigen Jahrzehnten.
Meiner Meinung nach sind zwei Bremsfaktoren dafür verantwortlich, dass die Wirtschaftsprognosen in den letzten Jahren regelmässig zu optimistisch ausgefallen sind. Beide werden normalerweise nicht in den Prognosemodellen berücksichtigt. Beim ersten Faktor handelt es sich um die Verschuldung. Beim zweiten Faktor um die Demografie.
Zunächst zum Thema Verschuldung. Makroökonomische Prognosemodelle berücksichtigen Finanzströme und Finanzbestände, also etwa Vermögen und Schulden, nicht oder nur äusserst rudimentär, etwa indem ein Zinssatz in das Modell integriert wird. In früheren Jahrzehnten, als die Finanzmärkte noch ein Abbild der Realwirtschaft waren, war dies vielleicht noch vertretbar. Heute allerdings, fürchte ich, ist es nicht mehr die Realwirtschaft, die die Finanzmärkte treibt, sondern es ist oft umgekehrt – die Finanzmärkte üben einen zunehmenden Einfluss auf die Realwirtschaft aus.
Vor einem Jahr hat McKinsey einen Bericht zur globalen Verschuldung vorgelegt. Darin wird aufgezeigt, dass die Weltverschuldung seit der Grossen Rezession von 2008/2009 nicht etwa abgenommen, sondern weiter zugenommen hat, und zwar um 17 Prozentpunkte, von 269 Prozent des BIP im Jahr 2007 auf 286 Prozent des BIP im Jahr 2014 (dabei handelt es sich um die kombinierte Verschuldung von Finanzsektor, Staat, Unternehmen und Haushalten). Noch nie zuvor war die Gesamtverschuldung auf globaler Ebene derart hoch. Betrachtet man nur die Staatsschulden, so wurden früher teilweise schon höhere Schuldenstände registriert als heute. Diese waren aber jeweils auf Kriege zurückzuführen, und oft reduzierte sich die Schuldenlast durch starkes Wachstum und hohe Inflation rasch wieder. Heute ist weder beim Wirtschaftswachstum noch bei der Inflation auf absehbare Zeit eine entsprechende Entwicklung zu erwarten.
Seit der Grossen Rezession vor acht Jahren und der darauffolgenden Euro-Schuldenkrise ist mit wenigen Ausnahmen keine Entschuldung feststellbar. Ausnahmen bilden etwa die privaten Haushalte und der Finanzsektor in den USA, Irland und Deutschland, die ihre Verschuldung verringert haben. In den allermeisten Fällen wurde aber das De-Leveraging der Haushalte und des Finanzsektors durch eine Zunahme der Staatsschulden mehr als kompensiert. UBS ist ein gutes Beispiel für das De-Leveraging im Bankensektor: UBS hat ihre Bilanz massiv reduziert, von umgerechnet rund 2400 Milliarden Franken im Jahr 2006 auf aktuell noch 942 Milliarden Franken.
Was die Staatsschulden betrifft, so haben diese in der Eurozone von 65 Prozent des BIP im Jahr 2007 auf 93 Prozent des BIP im Jahr 2015 zugenommen. In den USA ist die Staatsschuldenquote von 64 Prozent auf 106 Prozent angestiegen. In vielen europäischen Ländern wurde die Schwelle von 100 Prozent des BIP ebenfalls überschritten, etwa in Italien (133 %) und Spanien (101 %). Selbst Deutschland liegt mit 72 Prozent über dem Konvergenzkriterium von Maastricht (60 %). Die Schweiz stellt eine Ausnahme dar: Untypischerweise hat ihre Staatsverschuldung seit der Krise abgenommen und steht heute bei 46 Prozent des BIP.
Die Geschichte hat wiederholt gezeigt, dass eine exzessive Verschuldung zu Problemen führt, etwa zu Immobilien-, Banken- und Währungskrisen, Staatsbankrotten oder hoher Inflation. Damit verbunden sind auch immer hohe Wachstumseinbussen. Der notwendige Entschuldungsprozess, sei es in Form eines Bankrotts, von Inflation oder von Austerität und Konsolidierung, ist schmerzhaft und langwierig; dies insbesondere dann, wenn das zugrunde liegende Problem der faulen Kredite nicht rasch und energisch angegangen wird.
Aufgrund der absoluten Höhe der Schulden, der Schuldendynamik der letzten Jahre sowie anderer Anzeichen befürchte ich, dass die Schuldensituation heutzutage vielerorts nicht nachhaltig ist. Zahlreiche Sektoren und Länder sind überschuldet. Diese Überschuldung ist es, die seit einigen Jahren zunehmend auf der Weltwirtschaft lastet und die von den Wirtschaftsprognosemodellen nicht berücksichtigt wird.
Schulden und Investitionen
Grundsätzlich sind Schulden nichts Schlechtes, wenn sie dazu dienen, produktive Investitionen zu tätigen oder den Konsum über die Zeit zu glätten. Ich vermute aber, dass viele Schuldner gerade in den vergangenen Jahren die aufgenommenen Mittel nicht dazu verwendet haben, Investitionen zu tätigen oder ihren Konsum zu glätten. Sie haben ihren Konsum erhöht, die neu aufgenommenen Mittel also einfach verkonsumiert. Wenn aber der Konsum zunimmt, bleiben weniger Mittel für Investitionen, der Kapitalstock leidet, und das Potenzialwachstum der Wirtschaft sinkt.
Insbesondere bezweifle ich, dass die hohe staatliche Neuverschuldung in den letzten Jahren für Investitionen verwendet wurde. Die Infrastruktur vieler entwickelter Volkswirtschaften ist heute teilweise dramatisch schlechter, als sie es vor 10 Jahren noch war. Vielmehr wurden diese Mittel entweder direkt vom Staat konsumiert, oder sie wurden umverteilt und danach konsumiert. Das Produktionspotenzial der Wirtschaft nimmt mit zunehmenden Staatsschulden nicht zu. Im Gegenteil: Eine höhere Schuld erhöht die Zinslast des Staates und somit die Steuer- und Abgabenlast, was die Anreize verzerrt und wachstumshemmend ist.
Schuldenfinanzierter exzessiver Konsum findet ausserdem immer dann statt, wenn Immobilienpreise oder andere Vermögenspreise stark steigen. Die Besitzer von Immobilien oder Aktien halten den Preisanstieg für permanent, fühlen sich reicher und steigern ihren Konsum.Die Wirtschaft insgesamt erfährt jedoch keine Bereicherung, wenn die Bewertungen von Aktien oder Immobilien steigen. Sie wird auch nicht produktiver – ein Haus bleibt ein Haus, und eine börsennotierte Firma bleibt dieselbe börsennotierte Firma, auch wenn sich deren Preise verdoppeln. Der Mehrkonsum der vermeintlich reicheren Aktien- und Immobilienbesitzer führt lediglich dazu, dass Investitionen vernachlässigt werden, der Kapitalstock leidet und das Wachstumspotenzial sinkt.
Es gibt noch einen weiteren Kanal, über den ein Anstieg der Vermögenspreise den Kapitalstock schwächt. Es wird nicht nur zu wenig investiert, es wird auch falsch investiert: Verzerrte Preise senden falsche Signale an Investoren, die daraufhin Fehlinvestitionen tätigen – etwa in zu grosse und zu teure Immobilien, in die falschen Länder und Wirtschaftssektoren oder in exzessive Förderkapazitäten von Rohstoffen, wie in den letzten Jahren geschehen. Ein Beispiel dafür ist China: Wenn China 50 Prozent des BIP investiert, dann dürften sich darunter viele Investitionsprojekte befinden, die nicht rentabel sind. Diese müssen in Zukunft irgendwann abgeschrieben werden. Derartige Fehlinvestitionen schwächen damit wiederum den Kapitalstock einer Volkswirtschaft.
Leider ist kein Ende dieser verfehlten kurzfristigen Stimulierungspolitik absehbar. Mittlerweile wird von einer dritten Generation der geldpolitischen Expansion gesprochen: Nachdem die Geldpolitik der ersten Generation, die Zinspolitik, ausgereizt worden war, weil die Zinsen auf ihr absolutes Minimum gefallen waren, wurde sie durch die Geldpolitik der zweiten Generation abgelöst: die Politik der quantitativen Lockerung und Ausweitung der Bilanz. Allerdings stösst auch diese Geldpolitik der zweiten Generation an ihre Grenzen, weil die Notenbanken mittlerweile Probleme haben, überhaupt genügend Wertschriften zu finden, die sie aufkaufen können. Die Geldpolitik der dritten Generation stellt das sogenannte Helikoptergeld dar, also die direkte Finanzierung von privatem oder staatlichem Konsum über die Notenpresse, in der Hoffnung, dadurch den Konsum zu stimulieren. Die Geldpolitik der dritten Generation wird mittlerweile schon breit diskutiert. Ich halte Helikoptergeld für groben Unfug und zudem für brandgefährlich. Es ist eine Bankrotterklärung der Geldpolitik.
Die unvermeidlichen Preiskorrekturen nach einem Aktien-, Rohstoff- oder Immobilienboom sind übrigens nicht der Grund für die darauffolgende Krise und den Abschreibungsbedarf beim Kapitalstock. Der tatsächliche Grund sind die vergangenen Fehlinvestitionen in der Boom-Phase. Die Preiskorrektur beginnt in demjenigen Moment, in dem die