Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Standort Schweiz im Umbruch: Etappen der Wirtschaftspolitik im Zeichen der Wettbewerbsfähigkeit
Standort Schweiz im Umbruch: Etappen der Wirtschaftspolitik im Zeichen der Wettbewerbsfähigkeit
Standort Schweiz im Umbruch: Etappen der Wirtschaftspolitik im Zeichen der Wettbewerbsfähigkeit
eBook383 Seiten4 Stunden

Standort Schweiz im Umbruch: Etappen der Wirtschaftspolitik im Zeichen der Wettbewerbsfähigkeit

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Vor 20 Jahren lehnte das Schweizer Volk den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum ab. Als Folge hatte die Schweiz keinen freien Zugang zum euro päischen Binnenmarkt, und der EWR-bedingte Liberalisierungsschub im Innern blieb aus. Die Schweiz drohte im internationalen Standortwettbewerb den Anschluss zu verlieren. In einem Umfeld des innenpolitischen Zweifelns und Haderns stand der Bundesrat vor der Aufgabe, eine neue Wirtschaftspolitik zu formulieren und die Standortbedingungen aus eigener Kraft zu erneuern. Nach wirtschaftlich schwierigen Jahren ist es der Schweiz nach der Jahrtausendwende gelungen, die Wachstumsschwäche zu überwinden und an die Spitze d er wettbewerbsfähigsten L änder aufzuschliessen. Der Autor untersucht die Etappen der Wirtschaftspolitik des Bundes in den letzten Jahrzehnten.
SpracheDeutsch
HerausgeberNZZ Libro
Erscheinungsdatum1. Okt. 2012
ISBN9783038239536
Standort Schweiz im Umbruch: Etappen der Wirtschaftspolitik im Zeichen der Wettbewerbsfähigkeit

Ähnlich wie Standort Schweiz im Umbruch

Ähnliche E-Books

Politik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Standort Schweiz im Umbruch

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Standort Schweiz im Umbruch - Silvan Lipp

    Silvan Lipp

    STANDORT

    SCHWEIZ

    IM UMBRUCH

    Etappen der Wirtschaftspolitik

    im Zeichen der Wettbewerbsfähigkeit

    Verlag Neue Zürcher Zeitung

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © 2012 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich

    Titelgestaltung: Atelier Mühlberg, Basel

    Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

    Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

    ISBN Print 978-3-03823-796-9

    ISBN EBook 978-3-03823-953-6

    www.nzz-libro.ch

    NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung

    Vorwort

    Der Wirtschaftsstandort Schweiz hat sich in den letzten vier Jahrzehnten stark gewandelt. Die Wirtschaft erlebte im Zuge der Globalisierung und des technologischen Fortschritts zahlreiche Anpassungsprozesse und Strukturumbrüche. Auch die Rahmenbedingungen am Standort Schweiz haben verschiedene Erneuerungen erfahren. Doch wie entstehen und verändern sich solche Rahmenbedingungen? Welche Wirtschaftspolitik und welche Reformen stecken dahinter? Das Buch geht diesen Fragen auf den Grund, indem die schweizerische Wirtschaftspolitik des Bundes aus historischer Perspektive seit den 1970er-Jahren untersucht wird. Das Buch basiert auf meiner Dissertation Im Zeichen der Wettbewerbsfähigkeit. Schweizerische Wirtschaftspolitik zwischen 1973 und 2004, die im Jahr 2011 von der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz) angenommen wurde. Die in der Dissertation vorgenommene historische Analyse der Etappen der Wirtschaftspolitik findet in diesem Buch auszugsweise wiederum Eingang. Das Buch geht in zweierlei Hinsicht über die Dissertation hinaus. Erstens wird auch die gegenwärtige Wirtschaftspolitik in die Analyse einbezogen. Zweitens wird zusätzlich gefragt, inwiefern die Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte zum Erfolg des Standorts Schweiz beigetragen hat. Damit soll bewusst ein Diskussionsbeitrag geleistet werden. Es ist mir deshalb ein Anliegen zu betonen, dass ich in dieser Publikation meine persönliche Meinung vertrete, die nicht mit der meines früheren oder jetzigen Arbeitgebers übereinstimmen muss.

    Im Rahmen meiner Forschungsarbeiten hatte ich das Vergnügen, mit verschiedenen Persönlichkeiten Hintergrundgespräche zur Wirtschaftspolitik des Bundes zu führen. Ich danke den alt Bundesräten Flavio Cotti, Joseph Deiss, Arnold Koller, Otto Stich und Kaspar Villiger. Sie gaben mir wertvolle Einblicke in die Arbeitsweise des Bundesrates in den Bereichen der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Zusammen mit verschiedenen Vertretern aus der Bundesverwaltung konnte ich die wirtschaftspolitische Reformtätigkeit des Bundes detailliert erörtern, so mit Botschafter Marino Baldi, ehemaliger Vizedirektor des Bundesamtes für Aussenwirtschaft (BAWI) und ehemaliges Geschäftsleitungsmitglied des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO), alt Staatssekretär Franz Blankart, ehemaliger Direktor des BAWI, Aymo Brunetti, ehemaliger Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik im SECO, Ulrich Gygi, ehemaliger Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV), Hans Sieber, ehemaliger Direktor des Bundesamts für Konjunkturfragen (BfK) und später des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie (BBT), sowie Peter Siegenthaler, ehemaliger Direktor der EFV. Beat Kappeler erläuterte mir sein Wirken in der Kartellkommission sowie in der Ständigen Wirtschaftsdelegation als damaliger Sekretär des Gewerkschaftsbundes. Die alt Nationalräte Heinz Allenspach und Ulrich Bremi schilderten mir ihre Tätigkeit als Arbeitgeber- und Wirtschaftsvertreter im Bundesparlament. Gregor Kündig, ehemaliger Leiter des Bereichs Aussenwirtschaftspolitik beim damaligen Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereins und der heutigen Economiesuisse, gab mir einen Einblick in die Zusammenarbeit zwischen dem Dachverband der Schweizer Unternehmen und dem Bund. Was die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Wirtschaftspolitik betrifft, konnte ich interessante Gespräche mit den Professoren Silvio Borner (Universität Basel), René L. Frey (Universität Basel), Heinz Hauser (Universität St. Gallen) und Roger Zäch (Universität Zürich) führen. Ihnen allen danke ich herzlich.

    Ein spezieller Dank geht an Professor Joseph Jung, der als «Doktorvater» mein Projekt von Beginn weg mit grossem Interesse verfolgt und unterstützt hat. Ich danke den verschiedenen Experten aus der Bundesverwaltung, der Wissenschaft und den Wirtschaftsverbänden, die mir in wirtschaftspolitischen Detailfragen Auskunft gaben. Ein Dank geht an das wissenschaftliche Personal im Bundesarchiv, das mich bei der Recherche unterstützt hat. Ebenfalls danken möchte ich NZZ Libro für die angenehme Zusammenarbeit und die Ermöglichung dieser Publikation. Der Ernst Göhner Stiftung, der Moser-Nef-Stiftung für rechtsgeschichtliche Forschungen in der Schweiz und der Walter Haefner Stiftung danke ich für die finanzielle Unterstützung beim Druck. Ein besonderes Dankeschön geht an meine Frau Eliane Pfister Lipp. Ihr widme ich das Buch.

    Im Mai 2012               Silvan Lipp

    1    Einleitung

    Hätten die Schweizer Stimmberechtigten am 6. Dezember 1992 dem Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zugestimmt, wäre der Standort Schweiz umfassend erneuert worden. Die Schweiz wäre Teil des europäischen Binnenmarkts mit freiem Personen-, Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr geworden. Die gegenseitige Marktöffnung und die Angleichung des schweizerischen Wirtschaftsrechts an das europäische Recht hätten den Wettbewerb auf dem schweizerischen Binnenmarkt intensiviert. Als das Volk und die Stände den EWR-Beitritt nach einem intensiven Abstimmungskampf ablehnten, machte sich bei den Befürwortern Ratlosigkeit breit. Ob sich die Schweiz aus eigener Kraft zu Liberalisierungsreformen durchringen könnte? Ob die Schweiz in Europa wieder Anschluss finden würde? Manch einer sah den bereits im Vorfeld der EWR-Abstimmung von Ökonomen befürchteten Abstieg der Schweiz «vom Sonderfall zum Sanierungsfall»¹ Realität werden. Die wirtschaftlich schwierige Zeit während der 1990er-Jahre nährte diese Befürchtung. Die Wachstumsschwäche zog auch den Staatshaushalt in Mitleidenschaft. Der Bund schrieb in den 1990er-Jahren hohe Defizite und verschuldete sich zunehmend.

    Heute ist von all dem (fast) nichts mehr zu spüren. Nach der Stagnationsphase in den 1990er-Jahren konnte die Schweiz mit Beginn des neuen Jahrtausends die Wachstumsschwierigkeiten überwinden. Die Bundesfinanzen sind wieder im Lot. Ein geeigneter Zugang zum europäischen Markt konnte erreicht werden. Das Land bietet attraktive Standortbedingungen und zieht Wirtschaftsaktivitäten und mobile Produktionsfaktoren wie ein «Magnet» an.² Immer wieder wird auch auf die Ranglisten zur internationalen Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit verwiesen: Bei vielen belegt die Schweiz eine Spitzenposition oder steht sogar auf Platz eins.³ Die Schweiz und ihre Volkswirtschaft gelten als «Erfolgsmodell» und «Wirtschaftswunder».⁴ Auch in der jüngsten Finanz- und Schuldenkrise zeigte sich die schweizerische Volkswirtschaft im internationalen Vergleich relativ robust.

    Was also ist passiert? Wie haben sich der Standort Schweiz und seine Rahmenbedingungen gewandelt? Welche wirtschaftspolitischen Reformen wurden umgesetzt? Und inwiefern hängen sie mit dem Erfolg der Schweiz zusammen? In diesem Buch werden die Etappen der Wirtschaftspolitik historisch untersucht. Im Zentrum des Interesses stehen das Denken und Handeln des Bundesrates und seiner Verwaltung. Der Fokus wird dabei besonders auf die Aussenwirtschafts-, die Wettbewerbs- und die Finanzpolitik gelegt. Der Bogen wird bis in die 1970er-Jahre zurückgespannt. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Wirtschafts- und Währungskrise von 1973, die für die Wirtschaftspolitik ein neues Umfeld schuf: Die Hochkonjunktur fand ein abruptes Ende. Der Übergang zu flexiblen Wechselkursen forderte die Volkswirtschaften heraus. Die Schweizer Wirtschaft durchlebte nach 1973 einen tief greifenden Strukturwandel. Es setzte eine beschleunigte Globalisierung ein und der Dienstleistungssektor gewann an Bedeutung. International kam es zu einer verstärkten Liberalisierung der Märkte. Trotz diesen Umbrüchen in der Wirtschaft und auf der internationalen Ebene blieb die schweizerische Wirtschaftspolitik in jenen Jahren relativ stark am Status quo orientiert. Strukturelle Reformen etwa im Sinne der Marktliberalisierung wurden in dieser Zeit gar nicht oder nur zögerlich angepackt. Erst nach dem EWR-Nein entwickelte sich unter dem Slogan der «marktwirtschaftlichen Erneuerung» eine rege wirtschaftspolitische Reformtätigkeit. Die EWR-Erfahrung spielte dabei eine zentrale Rolle. Die EWR-Vorlage, obwohl vom Volk abgelehnt, wurde zu einer wichtigen Referenz sowohl für die Reformen im Innern als auch für die neuen bilateralen Verträge mit der EU. Diese stärker marktwirtschaftlich orientierte und auf die Europakompatibilität ausgerichtete Wirtschaftspolitik markierte einen Bruch mit der zuvor praktizierten Wirtschaftspolitik, die sich durch einen ausgeprägten Dualismus – liberale Handelspolitik nach aussen, Binnenmarktschutz im Innern – auszeichnete. Diesen Kurswechsel gilt es, genauer unter die Lupe zu nehmen. Soviel vorweg: Ein wichtiger Grund war die zunehmende Bedeutung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Dieses Denkmuster entwickelte sich zu einem dominierenden Orientierungspunkt und prägt die Wirtschaftspolitik seit den 1990er-Jahren massgeblich.

    1.1    Viele Faktoren machen den Erfolg der Schweiz aus

    Die Schweiz ist seit Jahrzehnten ein Land mit einem sehr hohen Wohlstandsniveau. Doch welches sind die Faktoren und Bedingungen für diesen anhaltenden Erfolg? In der wirtschaftshistorischen Forschung wird der Erfolg der Schweiz als Folge einer Kombination von günstigen Umständen und hausgemachten Stärken erklärt.⁵ Zunächst sind verschiedene günstige Umstände zu erwähnen, so etwa der ununterbrochene Friede, die zentrale Lage der Schweiz in Europa sowie das starke Wachstum der umliegenden Nachbarländer nach 1945. Die vom Zweiten Weltkrieg verschonte Schweiz hatte einen intakten Produktionsapparat und vermochte so nach dem Krieg die rasch wachsende Nachfrage im Ausland zu stillen. Innert weniger Jahre stieg die Schweiz zu einem der reichsten Länder der Welt auf. Dieser wirtschaftliche Erfolg wäre nicht möglich gewesen ohne die kompetitive Struktur der Schweizer Wirtschaft, wie sie im 19. Jahrhundert entstanden ist. Die Ressourcenknappheit und das unwirtliche Alpengebiet haben die Wirtschaft schon früh zu Innovationsleistungen angetrieben. Die mit der Gründung des modernen Bundesstaates im Jahr 1848 verbundene Schaffung eines liberalen und offenen Wirtschafts- und Arbeitsumfelds ermöglichte den eigentlichen «take off» der Schweizer Wirtschaft hin zu einer «small open economy» mit einem breiten Branchenmix, einer starken Exporttätigkeit und einer diversifizierten Produktpalette. Zu weiteren Faktoren, die nicht direkt durch die Politik beeinflussbar sind, zählen etwa die Mehrsprachigkeit oder die schönen Landschaften und Seen. Für internationale Unternehmen, die auf der Suche nach einem geeigneten Sitz sind, können solche Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Was die hausgemachten Stärken betrifft, sind erstens die politischen Institutionen der direkten Demokratie und des Föderalismus zu nennen. Sie tragen wesentlich zur hohen politischen Stabilität und Rechtssicherheit bei. Ökonomen betonen zudem, dass die Kombination von direkter Demokratie und (Steuer-)Föderalismus zu einer im internationalen Vergleich niedrigen Staats- und Steuerquote geführt habe und der Steuerwettbewerb sich positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirke.⁶ Das politische System der Schweiz zeichnet sich im Weiteren durch einen ausgeprägten Einbezug der politischen und wirtschaftlichen Akteure in die Problemlösungsfindung aus. Es hat sich ein System der Konfliktlösung und Kompromiss- und Ausgleichsbereitschaft entwickelt, das sich für die Schweiz als vorteilhaft erwies.⁷ Zweitens wird die Qualität des Humankapitals als eine weitere hausgemachte Stärke der Schweiz hervorgehoben.⁸ Die Politik und Wirtschaft haben den Wert der Bildung und Forschung schon früh erkannt und in Bildungsinstitutionen investiert, sowohl in Hochschulen wie auch in die Volksschule. Drittens zählt die Währungs- und Wirtschaftspolitik zu den Stärken.⁹ Der Schweiz ist es gelungen, eine langfristig auf Stabilität ausgerichtete Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik zu praktizieren, was die wirtschaftliche Entwicklung des Landes begünstigt hat. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Aufrechterhaltung eines relativ flexiblen Arbeitsmarkts und eine gut funktionierende Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern als wichtige Faktoren für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes.

    Schweizer Wirtschaft im Globalisierungs- und Strukturanpassungsprozess

    Der Globalisierungsprozess der Wirtschaft stellt das wohl markanteste Merkmal der Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahrzehnte dar. Die traditionell offene und exportorientierte Schweizer Volkswirtschaft hat ihre wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Ausland weiter intensiviert.¹⁰ Die Aussenhandelsquote ist hoch, aber auch die Kapitalverflechtung ist ausgeprägt und hat im betrachteten Zeitraum stark zugenommen. Gemessen am Anteil des Direktinvestitionsbestands am nominellen Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag der Bestand schweizerischer Direktinvestitionen im Ausland Anfang der 1990er-Jahre bei rund 30 Prozent. Anfang des 21. Jahrhunderts waren es bereits über 100 Prozent. Gemessen am gesamten Weltkapitalbestand stieg die Schweiz zum siebtgrössten Direktinvestor auf. Als Kehrseite der starken weltwirtschaftlichen Integration der Exportindustrie und des Finanzplatzes etablierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Schweizer Binnenmarkt eine ausgeprägte Kartellkultur. Es bildete sich ein Dualismus in der Schweizer Wirtschaftsstruktur heraus: Auf der einen Seite stand die im internationalen Wettbewerb stehende und konkurrenzfähige Exportwirtschaft, auf der anderen Seite die von Importkonkurrenz geschützte Binnenwirtschaft. In den 1990er-Jahren wurde indes auch der Binnenmarkt geöffnet, sodass sich auch die binnenorientierte Wirtschaft mit einem stärker wettbewerbsorientierten Umfeld zu arrangieren hatte.

    Verschiedene Branchen erlebten im betrachteten Zeitraum Strukturumbrüche. Die Industrielandschaft begann sich im Zuge der Technologiefortschritte besonders seit den 1980er-Jahren deutlich zu verändern. Zugleich setzte eine beschleunigte Verschiebung der Beschäftigung vom Industrie- zum Dienstleistungssektor ein. Noch Anfang der 1960er-Jahre arbeitete mehr als die Hälfte aller Schweizer Beschäftigten im Industriesektor. Die Anzahl der Beschäftigten ging seither kontinuierlich zurück; im Längsschnitt von rund 50 Prozent aller Beschäftigten im Jahr 1964 auf 23 Prozent nach der Jahrtausendwende.¹¹ Die Tage, als ein einzelner Industriekonzern mehr Leute beschäftigte als die gesamte Finanzbranche, waren gezählt.¹² Während sich der Industriesektor in einem einschneidenden strukturellen Anpassungsprozess befand, setzte sich der Boom im Finanzsektor zunächst fort. Doch im Übergang in die 1990er-Jahre geriet auch der Bankensektor in einen Strukturwandel. Die internationale Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte und die Fortschritte in den Kommunikationstechnologien führten in der Branche zu einem gründlichen Bereinigungsprozess. Hinzu kam eine schwere Börsen- und Immobilienkrise in der Schweiz, die den Redimensionierungs- und Konzentrationsprozess in der Bankenbranche verstärkte.¹³

    Die Schweizer Volkswirtschaft zeigte sich in diesem Prozess der Globalisierung insgesamt anpassungsfähig. Die Schweiz konnte sich im internationalen Wettbewerb behaupten und zählt heute wirtschaftlich zu den erfolgreichsten Ländern. Dies verdeutlicht ein Blick auf die volkswirtschaftlichen Indikatoren:¹⁴ Beim BIP pro Kopf belegt die Schweiz einen Spitzenplatz, die Arbeitslosigkeit ist seit Jahrzehnten tief. Das Land verfügt über eine sehr hohe Dichte an Grossfirmen. Gemessen an der Zahl von Patentmeldungen pro Jahr und pro Million Einwohner steht die Schweiz an der Spitze. Es lässt sich feststellen, dass sich die Schweizer Wirtschaft durch eine hohe Leistungs- und Innovationskraft auszeichnet und die stabile wirtschaftliche Entwicklung entscheidend zum anhaltenden Erfolg der Schweiz beigetragen hat.

    Standortrelevante Faktoren im Einflussbereich der Wirtschaftspolitik

    Der Schweiz wird in internationalen Standort-Rankings eine hohe Wettbewerbsfähigkeit attestiert. Das World Economic Forum (WEF) beispielsweise misst die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes anhand von mehr als hundert Indikatoren, die in zwölf Säulen der Wettbewerbsfähigkeit verdichtet werden.¹⁵ Auch wenn diese Rankings nicht über alle Zweifel erhaben sind, so geben sie dennoch einen Eindruck, welches die relevanten Standortfaktoren sind. Zu den WEF-Säulen zählen das institutionelle Umfeld, die Infrastrukturen, die makroökomische Stabilität (inkl. Staatsfinanzen), die Gesundheitsversorgung, die Bildung, die Effizienz der Gütermärkte, die Arbeitsmarkteffizienz, der Entwicklungsgrad der Finanzmärkte, die technologische Leistungsfähigkeit, die Marktgrösse, der Entwicklungsstand der Geschäftstätigkeit und die Innovation. Eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit gelingt gemäss WEF dann, wenn eine Politik verfolgt wird, die möglichst alle Pfeiler stärkt. Dabei spielt die hier untersuchte Wirtschaftspolitik eine wichtige Rolle, liegen doch viele der relevanten Standortfaktoren in ihrem Einflussbereich.

    1.2    Wirtschaftspolitik des Bundes im Fokus

    Dieses Buch beschäftigt sich schwerpunktmässig mit der Wirtschaftspolitik des schweizerischen Regierungssystems. Zu diesem System zählen in erster Linie der Bundesrat und seine Verwaltung, wobei dem Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement (EVD) und dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) eine Schlüsselrolle zukommt. Das EVD zählt seit der Gründung des modernen Bundesstaates zu den umfangreichsten Departementen.¹⁶ Als «Kronamt» innerhalb des Volkswirtschaftsdepartements galt vor allem seit der Nachkriegszeit die Handelsabteilung, die 1979 zum Bundesamt für Aussenwirtschaft (BAWI) umbenannt wurde. Das BAWI war für den Aussenhandel, die Wirtschaftsverhandlungen und generell für die Wirtschaftsintegration verantwortlich. In Fragen der europäischen Integration arbeitete das BAWI mit dem 1961 gegründeten Integrationsbüro (IB) zusammen. War das BAWI der Ansprechpartner für die Schweizer Grossindustrie und die Banken, so waren das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) und das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) für die binnenmarktorientierten Sektoren zuständig. Um die Konjunkturpolitik kümmerte sich das im Jahr 1980 gegründete Bundesamt für Konjunkturfragen (BfK). Im Jahr 1999 wurden der Aussenwirtschafts- und Binnenwirtschaftsbereich sowie die Konjunkturpolitik zusammengefasst. Es entstand das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO). Dem EVD angegliedert sind im Weiteren die für die Wettbewerbspolitik relevante Wettbewerbskommission (WEKO) und der Preisüberwacher.

    EVD-Vorsteher seit den 1970er-Jahren

    Das EFD galt in den Anfangsjahren des Bundesstaates als «Einstiegsdepartement für Bundesratsneulinge»¹⁷, denn die Aufgaben waren überschaubar. Mit der Zunahme von Bundesaufgaben wurden auch die Aufgaben für das Finanzdepartement anspruchsvoller. Bald entwickelte sich das EFD zu einem Schlüsseldepartement, fliessen doch alle Finanzströme durch dieses Departement. Innerhalb des EFD ist primär die Eidgenössische Finanzverwaltung (EFV) für die Politikentwicklung sowie für die finanzpolitischen Strategien und Konzepte zuständig. Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) ist für die Steuergesetzgebung verantwortlich. Das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) befasst sich mit der Aushandlung internationaler Abkommen im Steuerbereich und mit internationalen Finanz-, Währungs- und Steuerfragen.

    EFD-Vorsteher seit den 1970er-Jahren

    Wirtschaftspolitische Kompetenzen des Bundes

    Der wirtschaftspolitische Aktionsradius wurde für den Bundesrat ursprünglich relativ eng abgesteckt.¹⁸ Die Schweiz hat seit der Gründung des modernen Bundesstaates von 1848 eine prinzipiell freiheitliche marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung. Der harte Kern dieser Wirtschaftsordnung ist die seit 1874 verfassungsrechtlich garantierte Handels- und Gewerbefreiheit.¹⁹ In die Bundesverfassung von 2000 fand dieser Grundsatz unter dem Begriff der Wirtschaftsfreiheit Eingang. Die Wirtschaftsfreiheit regelt das Verhältnis zwischen dem Staat und den Wirtschaftsteilnehmern, indem sie den Bürgern und den Unternehmen Schutz vor staatlichen Eingriffen gewährt. Nur dort, wo vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit abgewichen wird, entsteht Handlungsspielraum für eine staatliche Wirtschaftspolitik. Im Laufe der Zeit gewährte der Gesetzgeber solche Abweichungen. So wurde mit den 1947 vom Volk angenommenen Wirtschaftsartikeln das Verhältnis von Staat und Wirtschaft in dem Sinne geregelt, dass die generelle Handels- und Gewerbefreiheit weiterhin als oberstes Prinzip galt, jedoch unter Vorbehalt verschiedener verfassungsmässig verankerter Kompetenzen für den Bund. Er wurde befugt, Massnahmen zu ergreifen gegen volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen, für die Erhaltung des Bauernstandes sowie zum Schutz wirtschaftlich bedrohter Landesteile. Auch im Bereich der Konjunkturpolitik erhielt der Bund die Kompetenz, Massnahmen zur Verhütung von Wirtschaftskrisen und zur Bekämpfung eingetretener Arbeitslosigkeit zu ergreifen. Implizite Abweichungen vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit gibt es unter anderem auch in der Infrastruktur-, der Sicherheits- und der Sozialpolitik sowie in der Geld- und Währungspolitik.

    Der Bund konzentrierte sich in der Wirtschaftspolitik seit je auf eine grundsätzlich offene Aussenwirtschaftspolitik mit dem Ziel, für die Exportwirtschaft einen optimalen Zugang zu den Absatzmärkten zu schaffen. Was die Wirtschaftspolitik im Innern betrifft, legte der Bund den Schwerpunkt auf die Setzung von Rahmenbedingungen (Ordnungspolitik) und bis in die 1990er-Jahre auf die Förderung und den Schutz von gewissen Regionen und Branchen (sektorieller Protektionismus). Eine aktive Strukturpolitik im Sinne einer industriepolitischen Lenkung des Ressourceneinsatzes betrieb der Bund mit Ausnahme im Bereich der Landwirtschaft nicht.²⁰ Im Bereich der budgetären Wirtschaftspolitik (Finanz- und Steuerpolitik) hatte der Bund aufgrund des ausgeprägten Föderalismus ursprünglich nur wenige Kompetenzen. Vergleichsweise bescheiden blieb denn auch die Prozesspolitik. Eine ausgeprägt nachfrageorientierte Konjunkturpolitik, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen Industriestaaten üblich war, verfolgte die Schweiz nicht.²¹

    Bundesrat als Akteur in einem sich wandelnden Umfeld

    Der Bundesrat nimmt als oberste vollziehende und leitende Behörde der Eidgenossenschaft eine führende Rolle in der Wirtschaftspolitik ein.²² Er definiert die Ziele, die Strategien und die Reformen. In seiner Aufgabe als leitende Behörde nimmt er sowohl eine reaktive als auch eine innovative Funktion wahr: Auf der einen Seite reagiert der Bundesrat auf wirtschaftspolitische Anstösse und Initiativen, die von aussen an die Regierung herangetragen werden. Auf der anderen Seite hat der Bundesrat eine eigene Innovations- und Impulsfunktion. Er entscheidet über die Aufnahme von aussenpolitischen Verhandlungen und definiert entsprechend Verhandlungsmandate, Strategien und Ziele. Mit dem Initiativrecht bei der Rechtsetzung nimmt der Bundesrat im Rahmen der Vorbereitung der Gesetzgebung Einfluss auf die Gesetzesinhalte. Der Bundesrat agiert innerhalb des direktdemokratischen und föderalistischen Systems. Das Referendumsrecht hat zur Folge, dass Bundesrat und Parlament eng mit referendumsfähigen Organisationen – vor allem Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften – zusammenarbeiten und in der Regel pragmatische und ausgewogene Reformen präsentieren. In der schweizerischen Wirtschaftspolitik spielt das Verbandswesen eine wichtige Rolle.²³ Die Politikwissenschaft hat das Zusammenspiel von Staat und Verbandswesen, also den (Neo-)Korporatismus in der Schweiz näher erforscht.²⁴ Wie aufgezeigt werden kann, hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein eigentümliches wirtschaftspolitisches Schweizer Modell des sogenannten liberalen Korporatismus herausgebildet. Dieses Modell zeichnete sich dadurch aus, dass alle wichtigen Konflikte zwischen Kapital und Arbeit sowie zwischen den binnenmarktorientierten Industrie- und Gewerbezweigen und der international orientierten Exportwirtschaft auf privater Ebene unter Beizug des Staates als Vermittler gelöst wurden. Der Bund überliess jene wirtschaftspolitischen Bereiche, die privat geregelt werden konnten, der Selbstregulierung. Dieses Nichteinmischen des Staates hatte verschiedene Folgen. Mit Blick auf die Produktmärkte trafen viele Branchen Preis- und Gebietsabsprachen und beschränkten so den Wettbewerb, was der Staat lange Zeit tolerierte. Mit Blick auf den Arbeitsmarkt ist es Arbeitgebern und Arbeitnehmern gelungen, eine autonome und funktionierende Sozialpartnerschaft einzurichten, sodass die Notwendigkeit und das Bedürfnis nach staatlichen Gesetzen im Bereich des Arbeitsmarktes relativ klein blieben. In denjenigen wirtschaftspolitischen Bereichen, die einer gesetzlichen Regelung bedurften, suchte der Staat die Zusammenarbeit mit den betroffenen Interessengruppen.²⁵ Für die inhaltliche Ausrichtung der Wirtschaftspolitik bedeutete dies, dass der Bund in den Nachkriegsjahren unter dem Einfluss des Kompromisses zwischen Kapital und Arbeit eine relativ restriktive Migrationspolitik (Schutz der einheimischen Arbeiter, keine Personenfreizügigkeit) verfolgte. Die Arbeitgeberseite duldete diese Politik, da sie im Gegenzug darauf zählen konnte, dass die Gewerkschaften im Bereich des flexiblen Arbeitsmarktes auf zusätzliche Regulierungen verzichteten. Der Kompromiss zwischen Binnenwirtschaft und Exportwirtschaft lautete, dass die auf den Binnenmarkt ausgerichteten Betriebe die für die Exportwirtschaft wichtige Offenheit die Aussenwirtschaft betreffend akzeptierten, weil sie im Gegenzug von der Exportwirtschaft auf die Schützenhilfe bei der Aufrechterhaltung der kartellfreundlichen Wettbewerbspolitik und der staatlichen Regulierung des Produktmarktes zählen konnten.²⁶ Der Bundesrat verfolgte somit in den Nachkriegsjahren eine zunehmend dualistische Wirtschaftspolitik einer offenen Aussenwirtschaftspolitik auf der einen und einer protektionistischen Binnenmarktpolitik auf der anderen Seite. Dieses Kompromissmodell der Wirtschaftspolitik begann in den 1990er-Jahren zu erodieren.²⁷ Die Globalisierung, die Integrationsdynamik in Europa und generell der Liberalisierungsdruck von aussen erforderten von der Schweiz eine stärkere Marktöffnungspolitik. Die zunehmende internationale Vernetzung der Schweiz erfasste auch die Wirtschaftspolitik.²⁸ Der Bundesrat und die Handelsdiplomaten

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1