Aufstieg der digitalen Stammesgesellschaft: Die neue grosse Transformation
Von Oliver Fiechter und Philipp Löpfe
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Buchvorschau
Aufstieg der digitalen Stammesgesellschaft - Oliver Fiechter
OLIVER FIECHTER
PHILIPP LÖPFEl
AUFSTIEG
DER
DIGITALEN
STAMMES-
GESELLSCHAFT
DIE NEUE GROSSE
TRANSFORMATION
VERLAG NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2016 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich
Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2016 (ISBN 978-3-03 810-190-1)
Lektorat: Rainer Vollath, München
Titelgestaltung: TGG Hafen Senn Stieger, St. Gallen unter Verwendung einer Illustration von Andrew Lamb
Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck
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ISBN E-Book 978-3-03810-219-9
www.nzz-libro.ch
NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung
Dieses Buch widmen wir
unseren Kindern Lykke-Sophia und Andrea.
Ihnen und allen Kindern dieser Welt
möge die Zukunft gehören.
Geleitwort
Ein Leben ohne Technik ist kaum mehr vorstellbar. Sie ist unmittelbar geworden, rund um die Uhr verfügbar und hat die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und die Welt wahrnehmen, fundamental verändert.
Zu Beginn dieses Jahres weilte ich am Jahrestreffen des World Economic Forum in Davos, wo Führungskräfte aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft die Aufmerksamkeit der Welt auf die anhaltende technologische Transformation richteten – auf die sogenannte vierte industrielle Revolution. Die Technologie ist im Begriff, jede Dimension der menschlichen Existenz zu verändern, sei es durch intelligente Roboter, selbstfahrende Autos oder genetische Eingriffe. Technologie kann auch eine sehr persönliche Erfahrung sein. Das Internet hat in meinem Leben eine bedeutende Rolle gespielt. Es erlaubte mir, meine berufliche Laufbahn mit den Anforderungen einer Mutter und Ehefrau zu vereinen, erst recht als Frau des britischen Premierministers. Es ermöglichte mir, mit Kollegen und Familie jederzeit und von jedem Ort aus in Verbindung zu stehen.
Für unzählige Menschen auf der ganzen Welt ist Technologie jedoch weit mehr als nur eine Zweckmässigkeit. Sie ist eine wichtige Lebensader – ein Mittel, um sich Möglichkeiten zu erschliessen, die tief greifende Änderungen im Leben bewirken können. Als ich 2008 meine gemeinnützige Stiftung für Frauen gründete, war mir klar, dass Technologie von entscheidender Bedeutung für unsere Mission sein würde: der Förderung von Unternehmerinnen in Entwicklungs- und Schwellenländern.
Die mobile Technologie wurde rasch zu einem Grundpfeiler unserer Arbeit. Eines unserer innovativsten Projekte drehte sich beispielsweise um die Entwicklung einer massgeschneiderten mobilen Applikation zur betrieblichen Unterstützung einer von Frauen geführten, landwirtschaftlichen Genossenschaft im ländlichen Indien. Vor dieser Applikation mussten die Frauen zu einem Verarbeitungszentrum reisen, um die Bestellungen für ihre Produkte aufzugeben. Dies erforderte teilweise eine bis zu siebenstündige Anreise. Es gab auch keine Garantie dafür, dass sie jene Produkte mitbrachten, die ihre Kunden auch wollten, denn das Verarbeitungszentrum konnte keine Prognose für die Nachfrage machen. Und sie konnten auch nur zwei Säcke mit Waren nach Hause mitnehmen – das Maximum, was sie ihre Schultern zu tragen vermochten.
Die von uns entwickelte Applikation ermöglicht es den Verkäuferinnen, ihre Bestellungen aufzugeben, Inventar zu führen und Verkaufsberichte zu erstellen; dies rasch und einfach, alles auf Knopfdruck. Das Ergebnis war ein deutlicher Anstieg der monatlichen Verkäufe, teilweise bis zum Dreifachen.
Meine Stiftung betreibt weiter ein globales Mentoring-Programm, das die Möglichkeiten des Internets nutzt, um Beziehungen herzustellen, die sonst nicht zustande kämen: Unternehmerinnen und Mentoren zusammenbringen, die oft tausende Kilometer trennen. So haben wir einen heimarbeitenden Schneider in Malaysia mit einem Universitätsprofessor im Libanon zusammengeführt, einen Fremdenführer in Südafrika mit einem Unternehmer aus Bulgarien und einen Gastronomen in Palästina mit dem Direktor eines Unternehmens im Vereinigten Königreich. Dank der Technologie bleibt kein Experte ausser Reichweite.
Überall auf der Welt bauen Technologien Schranken zu Bildung und Wirtschaftstätigkeit ab. Lernen findet nicht mehr im traditionellen Klassenzimmer statt, Finanzgeschäfte nicht mehr in physischen Bankfilialen. Gerade die Finanzbranche wird durch den technologischen Wandel in bisher unbekanntem Masse durchgeschüttelt. Neue Dienstleistungen und Produkte entstehen und werden für Menschen zugänglich, die bislang vom Finanzwesen ausgeschlossen waren.
Zwischen 2011 und 2014 erhielten über 700 Millionen Menschen Zugang zum formalen Finanzsystem, weitgehend via mobile Technologien. In Afrika hat deren Nutzung exponentiell zugenommen, etwa in Kenia, wo fast 70 Prozent der Erwachsenen ihre Mobiltelefone für Geldtransaktionen einsetzen.
Die technologische Innovation im Finanzbereich bringt nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für Länder und Volkswirtschaften neue Aussichten. So konnte die mexikanische Regierung mehr als 1 Milliarde Dollar pro Jahr einsparen, indem sie auf die digitale Zahlung von Löhnen, Renten und Sozialleistungen umstellte.
Der Klimawandel ist ein weiterer Bereich, auf den sich die vierte industrielle Revolution mit Bestimmtheit markant auswirken wird. Der technologische Fortschritt trägt in sich das Potenzial, um Innovationen in der Landwirtschaft und Biotechnologie zu fördern, die Entwicklung von kohlenstoffarmen Energiestrategien zu beschleunigen und damit eine sicherere, sauberere Welt für alle zu schaffen.
Die Technologie verheisst viel für die Entstehung jener Art von Gesellschaft, die in diesem kühnen Buch vorgestellt wird – eine Gesellschaft, die sich auf die Grundsätze von Gleichheit, Gegenseitigkeit und Fortschritt stützt. Natürlich sind wir noch nicht soweit. Die Reise an dieses Ziel ist angetreten, doch es müssen noch viele Herausforderungen bewältigt werden.
Zu viele der durch den technologischen Fortschritt in Aussicht gestellten «digitalen Dividenden» wurden nicht realisiert, weil grosse Teile der Weltbevölkerung offline und damit nicht miteinander verbunden sind. Schlechte Verbindungen und ein teures Internet verhindern weiterhin, dass viele Menschen Technologien besitzen oder nutzen können, mit denen sie eine aktivere Rolle in ihrer Gesellschaft und Wirtschaft einnehmen könnten. Die folgende Feststellung der Organisation «Alliance for Affordable Internet» fängt diese harte Realität gut ein: «Für Norweger kostet der ständige Zugang zu schnellem und unbegrenztem Breitband-Internet kaum mehr als der Latte Macchiato, den sie auf dem täglichen Weg ins Büro kaufen; für Nigerianer hingegen können bereits 500 MB Prepaid-Datennutzung teurer sein als die Ausbildung ihrer Kinder.»
Das Geschlecht spielt auch hier eine wichtige Rolle. Die Forschung zeigt, dass Frauen die Mehrheit der weltweiten Bevölkerung stellen, die offline ist. In Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen haben sie gegenüber Männern eine 14 Prozent tiefere Wahrscheinlichkeit, ein Mobiltelefon zu besitzen.
Um diese Lücken zu schliessen und sicherzustellen, dass alle gleichberechtigt an diesem neuen digitalen Zeitalter teilhaben können, bedarf es eines enormen politischen Willens, grösserer finanzieller Investitionen in die technologische Infrastruktur und einer Erneuerung der Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor. Es ist keine Übertreibung, dies als die globale Herausforderung unserer Zeit zu bezeichnen. Für die Vorstellung einer Zukunft, in der die digitale Technologie die Grundlage für eine gerechtere soziale und wirtschaftliche Realität legen kann, ist dieses Buch eine eindringliche Erinnerung, weshalb wir alle diese Herausforderung annehmen müssen.
Cherie Blair
Inhalt
Titelei
Geleitwort
Einleitung
1 Ändern sich die Medien, ändert sich die Gesellschaft
2 Menschliche Erfahrungen sind stärker als rationale Theorien
3 Entfremdet wie ein seelenloser Roboter
4 Der Tanz auf dem Vulkan
5 Glaubenskriege um ökonomische Gesetze verhindern die Transformation
6 Die alte Tauschgesellschaft mit neuen Mitteln wieder aufleben lassen
7 Die Zeichen stehen auf Veränderung – die Richtung ist offen
8 Die digitale Revolution hat die Kraft, die soziale Ungleichheit zu besiegen
9 Der Krieg ist nicht die Antwort
10 Die Blase des billigen Geldes platzt
Zusammenfassung: Noch ist offen, ob Sharing für gemeinschaftliches Handeln steht
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Die Autoren
Weitere E-Books
Einleitung
«Verstehen kann man das Leben rückwärts,
leben muss man es aber vorwärts.»
Sören Kierkegaard
Auf dem Weg ins digitale Paradies?
Wir schreiben das Jahr 2045. Die technologische Entwicklung wächst seit Jahrzehnten exponentiell, und die Rechenleistung von Mikrochips verdoppelt sich noch immer alle zwei Jahre. Die vor 80 Jahren prophezeite Entwicklung des Computerwissenschaftlers Gordon Moore hat sich bewahrheitet. Längst übersteigt ein handelsüblicher Computer die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns um das Milliardenfache. Unsere Maschinen reflektieren sich selbst und lösen Probleme eigenständig. Das wurde bereits vor über 30 Jahren von dem Wissenschaftler Ray Kurzweil in einem seiner Bücher vorausgesagt.
Heute sind 12 Milliarden Menschen via World Wide Web miteinander verbunden. Als Erweiterung unseres Gehirns setzen wir Computerleistungen wie Flossen beim Schwimmen ein. Viele von uns haben ein Implantat im Kopf, das unsere Gedanken liest und sie ins Web einspeist. Wer etwa wissen will, wie man ein bestimmtes Fischgericht kocht, kann sich in der Zeit eines Wimpernschlags rein gedanklich via Internet mit jemandem verbinden, der ihm das Rezept dazu verrät. Ganz selbstverständlich tauschen wir Details aus allen Bereichen unseres Lebens aus. Unsere bevorzugten Reiseziele, unsere Lieblingsmusik, unsere Krankheiten, Charaktermerkmale und Gefühle – wir alle wissen alles voneinander und bilden so eine Gefühls-, Fähigkeits- und Wissensgemeinschaft.
Alltägliche Dinge erledigen wir bequem über eine zentrale Kommunikationsplattform: über E-Mails. Wir bestellen Lebensmittel, schliessen einen Krankenkassenvertrag und eine Hypothek ab, verkaufen das alte Auto, buchen Reisen, suchen und finden einen Lebenspartner, bereiten Hochzeiten vor und organisieren Scheidungen sowie Begräbnisse. Die zentralisierte und vernetzte Kommunikation hat längst das Paradigma einer zentralisierten Politik und einer monopolisierten Wirtschaft zerschlagen. Nationalstaatliche Grenzen gibt es nicht mehr. Der Wettbewerb zwischen Nationalökonomien hat sich erledigt, und die einstige Logik der Märkte existiert nicht mehr.
Wir haben ein neues altes Wirtschaftssystem erschaffen: die Tauschwirtschaft. Die Älteren unter uns wissen, wie fundamental sich dadurch unsere sozialen, politischen und vor allem wirtschaftlichen Strukturen verändert haben. Der Tausch ist nicht Mittel zum Zweck, sondern der Zweck selbst. Die Kapitalakkumulation spielt in unserer Tauschwirtschaft nur noch eine untergeordnete Rolle. Produkte, Leistungen und Wissen werden nicht primär gegen Geld, sondern gegen Gefühle wie Anerkennung und Liebe, gegen Fähigkeiten und Wissen getauscht. Damit der Tausch zwischen einzelnen Individuen optimal abläuft, übernehmen die Computer eine genaue Passung und bringen so Angebot und Nachfrage in Einklang. Diese Wertschöpfung durch Synchronisation funktioniert aufgrund vollkommener Transparenz reibungslos. Je mehr wir preisgeben, desto grösser wird der Profit für jeden Einzelnen von uns. In jeder Beziehung. Unseren Lebensunterhalt ausserhalb des Tauschens bestreiten wir mit einer Art Grundeinkommen, das für unsere zur Verfügung gestellten persönlichen Daten von einer Peer-to-Peer-Bank täglich berechnet und ausbezahlt wird.
Ebenfalls eine Peer-to-Peer-Bank managt anfallende Arbeiten und steuert Produktionsprozesse. Sie verwaltet eingehende Informationen und leitet sie an Roboter weiter, denn einzig Roboter verrichten bei uns noch produktive bzw. alltägliche, repetitive Arbeit. Wir haben sehr viel Freizeit. Zu tun gibt es nicht mehr viel – ausser dem Suchen und Finden von Tauschpartnern und dem Entwickeln von Ideen. Vielleicht entwerfen wir einen Schuh, der genau unseren Bedürfnissen entspricht. Via Synchronisation finden wir andere, daran ebenfalls Interessierte, um gemeinsam einen Produzenten zu suchen, der den massgeschneiderten Schuh herstellt. Die Organisation der Produktionskette nehmen wir selbst in die Hand.
Grosskonzerne und Markennamen kennen wir nur noch aus der Geschichte. Genau wie die Kapitalmaximierung mittels freier Märkte und die Konzentration von Macht auf wenige. Heute agieren Verwaltungen und Unternehmen ausschliesslich in globalen, dezentralen Netzwerken. Dadurch haben die einzelnen Beteiligten an Bedeutung gewonnen – Hierarchien hingegen haben sie abgeschafft. Wir halten zwar nach wie vor am Prinzip der freien Märkte fest, haben dieses jedoch umgedeutet. Es unterliegt nicht mehr der Kapitalmaximierung, sondern dient dem Tausch von Bedürfnissen gegen entsprechende Fähigkeiten. Die Digitalisierung hat die heutige Tauschwirtschaft erst möglich gemacht. Ihretwegen haben wir die letzte Ausfahrt aus einer Sackgasse ohne Wiederkehr gerade noch erwischt.
Der Fluch des Trilemmas
Doch zurück in die Gegenwart. Die Wirtschaft hat sich tief in unserer gesellschaftlichen Struktur verankert. Sie durchdringt nahezu alle Aspekte unserer sozialen Interaktionen und prägt unsere Denk- und Gefühlswelt. Die Art und Weise, wie wir Güter produzieren und bereitstellen, um unsere Bedürfnisse, Wünsche, Sehnsüchte und Erwartungen zu befriedigen, übt einen grossen Einfluss auf uns als Individuum und als zukünftige Generationen aus.
Auch der Blick in die Vergangenheit zeigt: Schon immer hat unser wirtschaftliches Verhalten die soziale Ordnung unseres Zusammenlebens beeinflusst. Und seit Jahrtausenden versuchen Menschen, die für sie zweckmässige Wirtschaftsform zu finden. In der Stammesgesellschaft war der Tauschakt der Kitt, der die Gemeinschaft zusammenhielt, oder anders ausgedrückt: Auch Leistungen ohne Preis hatten ihren sozialen Wert. Dafür mussten diese Gesellschaften auf Fortschritt und Innovation verzichten. Sie kannten keine individuelle Selbstverwirklichung und hatten – kulturell gesehen – keine Geschichte.
Später entstanden daraus hierarchische Gesellschaften, die in der indischen Kastengesellschaft ihre extremste Ausformung erlebten. Der Homo hierarchicus seinerseits verzichtete auf die Gleichheit der Menschen. Stattdessen musste er sich in eine starre Ordnung nicht verhandelbarer und metaphysisch verordneter Pflichten und Ansprüche einfügen. Dank der bürgerlichen, demokratischen Ideologie und der Dynamik der sozialen Marktwirtschaft hat die aufgeklärte Gesellschaft diese hierarchische Ordnung abgelöst. Doch auch unsere liberale Gesellschaft muss ihren Preis dafür bezahlen und auf einen zentralen humanen Grundwert verzichten: auf die Gegenseitigkeit. Sie wurde durch ein darwinistisches Auslese- und ökonomisches Leistungsprinzip ersetzt. «Survival of the fittest» lautet bis heute das oberste Credo unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung.
Die einstige Utopie eines Wirtschaftsmodells, das sich ohne staatliche Eingriffe selbst steuert, scheint im Jahr 2016 am Ende seiner Entwicklungsmöglichkeit angekommen. Der Kapitalismus frisst allmählich seine Kinder. Höher, weiter, schneller – Unternehmen produzieren mehr und mehr. Aber immer vom Gleichen. Wie Marktschreier bieten wir austauschbare Waren an. Die Märkte sind zu Kampfplätzen verkommen, der Wirtschaftsalltag ist zum Wettkampf entartet. Begrenzten Mitteln stehen unbegrenzte Angebotsmöglichkeiten gegenüber. Beim Feilschen um den günstigsten Preis gibt es viele Verlierer und wenige Gewinner.
Die liberale Gesellschaft mit ihrer Überzeugung, dass beständiges Wirtschaftswachstum, also die unaufhörliche Steigerung des Bruttosozialprodukts, für allgemeinen Wohlstand und globale Lebensqualität sorgt, steht am Punkt ohne Wiederkehr. Zwar hat unser Glaube an die «unsichtbare Hand» über die letzten Jahrhunderte einer breiten Masse materielle Sicherheit beschert – aber durch eine starke Vermögenskonzentration auch eine besorgniserregende Ungleichheit geschaffen. In einer Welt von Überkapazität und Überproduktion nimmt ein auf Effizienz getrimmtes Wirtschaftssystem monströse Gestalt an. Das neoklassische Prinzip des Eigennutzes und der Profitmaximierung nach westlichem Vorbild hat uns Menschen verändert – und entfremdet. Die Globalisierung hat das bewährte Gleichgewicht zwischen Markt- und Gemeinwohl brüchig gemacht, das ökologische System ruiniert und die Finanzmärkte an den Rand des Kollapses getrieben. Diese bedrohliche Megakrise wird durch die Digitalisierung und die Vernetzung der Welt über das Internet und die sozialen Netzwerke zusätzlich verstärkt und beschleunigt. Fremdbestimmt wie der Rhesusaffe Sam, der im Dezember 1959 von der NASA in einer Rakete ins Weltall katapultiert wurde, beobachten wir mit einer Mischung aus Naivität, Faszination und Furcht den technischen Fortschritt, der um uns herum geschieht – und seine enorme Disruptionskraft. Der Kapitalismus und die digitale Transformation sind zu den schicksalsvollsten Mächten unseres modernen Lebens geworden.
Die drei Grundformen der menschlichen Gesellschaft – Stammesgesellschaft, hierarchische Gesellschaft und liberale Gesellschaft – müssen von jeher auf einen der drei humanen Grundwerte – Geschichte, Gleichheit und Gegenseitigkeit – verzichten. Dieses wirtschaftliche und gesellschaftliche Trilemma hat uns einmal mehr zu nicht überwindbaren Widersprüchen geführt. Damit das Schicksal der Menschheit, gefangen in diesen gegenläufigen Abhängigkeiten, nicht tragisch endet und wir unseren Untergang noch rechtzeitig verhindern können, ist ein neues Gemeinschaftsverständnis zwingend geworden.
Die letzte Hoffnung
Menschliche Innovation und Markteffizienz sind die Glaubensaxiome unserer westlich-kapitalistischen Gesellschaft. Der reinen Lehre neoliberaler Orthodoxien entsprechend sind sie für unseren zunehmenden Wohlstand verantwortlich. Diese Überzeugung bildete demnach die Basis für den Fortschrittsimperativ der letzten Jahrhunderte. Die These vom unentwegten Fortschritt ist schon öfter angezweifelt worden: zuerst von dem Pfarrer und Ökonomen Thomas Robert Malthus zu Beginn des 19. Jahrhunderts, zuletzt von dem Biologen Paul Ehrlich und dem Club of Rome in den 1960er-Jahren. Bisher sind sie alle mit ihrer Kritik gescheitert. Malthus’ Befürchtung, dass die zu Beginn der industriellen Revolution rasch