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Führung und Organisation: Neue Entwicklungen im Management der Sozial- und Gesundheitswirtschaft
Führung und Organisation: Neue Entwicklungen im Management der Sozial- und Gesundheitswirtschaft
Führung und Organisation: Neue Entwicklungen im Management der Sozial- und Gesundheitswirtschaft
eBook925 Seiten8 Stunden

Führung und Organisation: Neue Entwicklungen im Management der Sozial- und Gesundheitswirtschaft

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Über dieses E-Book

Der Band nähert sich dem Phänomen der Führung in Organisationen auf unterschiedlichen Ebenen an und identifiziert verschiedene Diskursstränge, die im Rahmen des 6. Fachkongresses «Führen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft: Neue Denk- und Organisationsmodelle» der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Sozialwirtschaft/ Sozialmanagement (INAS) im März 2018 analysiert und diskutiert worden sind. Die versammelten Beiträge setzen an der Frage an, was Führung ist bzw. wie Führung funktioniert und reproduziert wird. Es geht um das Quo Vadis dieser neuen Entwicklungen. 
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer VS
Erscheinungsdatum24. Juli 2019
ISBN9783658241933
Führung und Organisation: Neue Entwicklungen im Management der Sozial- und Gesundheitswirtschaft

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    Buchvorschau

    Führung und Organisation - Marlies W. Fröse

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019

    Marlies W. Fröse, Beate Naake und Maik Arnold (Hrsg.)Führung und OrganisationPerspektiven Sozialwirtschaft und Sozialmanagementhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-24193-3_1

    Quo Vadis – Leadership und Organisation

    Marlies W. Fröse¹  , Beate Naake¹   und Maik Arnold²  

    (1)

    Evangelische Hochschule Dresden, Dresden, Deutschland

    (2)

    Fachhochschule Dresden, Dresden, Deutschland

    Marlies W. Fröse (Korrespondenzautor)

    Email: marlies.froese@ehs-dresden.de

    Beate Naake

    Email: beate.naake@ehs-dresden.de

    Maik Arnold

    Email: m.arnold@fh-dresden.eu

    „Der Führende steht für die Tugenden der Weisheit, der Glaubwürdigkeit, des Wohlwollens, des Mutes und der Disziplin." (Sun Tzu (5. Jh. v. Chr., chinesischer General und Militärschriftsteller))

    „Die gefährlichste Vorstellung von Leadership ist, dass Führende geboren sind – dass bei Leadership die Gene ausschlaggebend sind Dieser Mythos geht davon aus, dass die Menschen ganz einfach bestimmte charismatische Fähigkeiten haben oder nicht. Das ist Unsinn; das Gegenteil ist wahr. Führende sind eher selbstgemacht als geboren." (Warren G. Bennis)

    „Leadership hat Veränderungen einzuleiten. Das ist seine wichtigste Aufgabe." (John P. Kotter)

    „[…] dass es in Organisationen höchst irrational zugehen kann, dass jenseits der Dienstwege und formellen Zuständigkeiten, jenseits der offenen Ziele und Aufträge ganz andere Geschäfte laufen Dass mitunter Liebe, Eifersucht, Konkurrenz, auch die Neurosen Einzelner eine Organisation mehr beeinflussen können, als es der Erfüllung des eigentlichen Zwecks dienlich ist." (Birgit Volmerg)

    „Die wahre Transzendenz liegt paradoxerweise im Dazwischen." (Francois Cheng)

    1 Einführung – Hinführung

    Organisationen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft stehen heute vermehrt unter dem Postulat des Zeitdiktats. Sie sind ständigen Veränderungen in den rechtlichen Rahmenbedingungen (z. B. Sozialgesetzgebung, Gesundheitsreform und Kostenträger) ausgesetzt, müssen sich in stetig ändernden Konkurrenzbeziehungen bewähren und gleichzeitig auf gesellschaftliche Instabilitäten reagieren. Anbieter sozialer personenbezogener Dienstleistungen stehen mehr denn je unter dem Druck, nicht nur effektiv im Sinne der Verwirklichung ihrer Zielsetzungen, sondern auch möglichst effizient zu wirken, d. h. die ihnen zur Verfügung stehenden personellen und finanziellen Ressourcen wirtschaftlich einzusetzen.

    Sie müssen sich einerseits in einem zunehmend durch (quasi-)marktwirtschaftliche Strukturen gekennzeichneten Wettbewerb mit ihren Leistungsangeboten und Expertisen hervortun und sind andererseits zu einem Großteil von der Finanzierung einzelner Monopolanbieter (z. B. staatlicher Leistungs- und Sozialversicherungsträger) abhängig. Hinzu kommt die herausfordernde Aufgabe, ein attraktives und förderliches Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich Fach- und Führungskräfte mit ihren Kompetenzen (weiter-)entwickeln können.

    Die Schere zwischen den vielfältigen Aufgabenstellungen und den knappen finanziellen Mitteln führt dazu, dass sich die Einrichtungen heute nicht mehr ohne fundiertes Managementwissen und solide Managementfähigkeiten führen lassen. Diese Entwicklungen haben vermehrt dazu geführt, dass in den letzten zwanzig Jahren über einhundert Studiengänge für die Qualifizierung von Fach- und Führungskräften im Management sozialer Organisationen eingerichtet worden sind (vgl. Boeßenecker und Markert 2003, 2007, 2011). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in den deutschsprachigen Management-Studiengängen der Begriff Leadership als Modul bzw. Lehrstoff hingegen kaum auftaucht.

    In Deutschland gehört „Leadership" nicht unbedingt zum Managementwissen. Eher geht es darum, die richtigen Führungsmethoden und Führungswerkzeuge adäquat zu beherrschen und auch gut organisieren zu können. Anscheinend sind die deutschsprachigen Studiengänge im Bereich des Managements sozialer Organisationen eher (sozio-)technokratischer ausgerichtet als sonst international üblich: Man orientiert sich vor allem an Instrumenten.

    Die eingangs beschriebenen Veränderungen weisen auf den Umstand hin, dass klassische Managementinstrumente und technokratisch angewandtes, betriebswirtschaftliches Wissen allein heute nicht mehr ausreichen, die anstehenden gesellschaftlichen und organisatorischen Probleme und Bedingungen von Führung und Leitung in Organisationen zu lösen. Heutige Fach- und Führungskräfte müssen außerdem über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, wie auch psychische und physische Belastungen am Arbeitsplatz sowie die zunehmende Existenzunsicherheit (etwa aufgrund von befristeten Arbeitsverträgen) Ängste der Menschen innerhalb von Organisationen, „gemanagt" werden können (vgl. Bauer und Fröse 2006, S. 4 ff.).

    Führungskräfte geraten angesichts dieser Komplexität an ihre eigenen Grenzen. Zunehmend erkennen Nonprofit- wie auch For-Profit-Unternehmen, dass sie nicht nur Fachwissen, sondern auch Leadership-Qualitäten benötigen. Fragen nach dem Spezifischen und der Vermittlung von Leadership stellen sich also immer häufiger. Leadership, Supervision, Intervision, kollegiale Beratung und Persönlichkeitsentwicklung von Führungskräften tauchen als Lehrinhalte nur vereinzelt auf.¹ Das muss sich ändern. Der biennale INAS-Kongress im Jahr 2018 in Dresden hat sich dieses Themas angenommen. Der vorliegende Sammelband dokumentiert einerseits den Fachkongress „Führen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft: Neue Denk- und Organisationsmodelle", der vom 28. Februar bis 2. März 2018 an der Evangelischen Hochschule Dresden von der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Sozialmanagement/Sozialwirtschaft (INAS e. V.) durchgeführt wurde und Referenten und Referentinnen aus Deutschland, Österreich und Schweiz zusammengebracht hat. Andererseits soll in diesem Sammelband eine aktuelle Bestandsaufnahme von Ansätzen der Führung in den genannten Organisationen auf unterschiedlichen Ebenen und im Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis unternommen werden. Wir wollen vielfältige Diskursstränge aufdecken, zusammenführen und diskutieren. Denn: Führung ist stets ein multifaktorielles und multiperspektives Geschehen.

    Dieser Sammelband versteht sich als ein Nachschlagewerk für Wissenschaft und Praxis des Managements von Organisationen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft, und es vermittelt den Leserinnen und Lesern einen aktuellen Überblick mit zukunftsweisenden Themen, Ansätzen und Konzepten. Nichtsdestotrotz möchten wir eingangs noch gezielt auf den Begriff Führung – im Sinne des Leadership – eingehen, bevor wir die Beiträge im Einzelnen vorstellen.

    Was versteht man unter Leadership? Woher kommt der Begriff? Wie grenzt er sich vom Begriff Management ab? Was brauchen gegenwärtig Führungskräfte an Management- und Leadership-Qualifikationen für ein langfristiges und zukunftsweisendes Management? Leadership ist ein schillernder Begriff und theoretisch wie auch praktisch nicht so einfach eingrenzbar. Wer sich aus wissenschaftlichem Interesse mit Führung beschäftigt, muss sich mit drei Diskursen und den dessen Widersprüchlichkeiten auseinandersetzen: dem wissenschaftlichen Diskurs, dem Diskurs der Praxis und dem kulturspezifischen, gesellschaftlichen Diskurs (Eck 2007).²

    2 Leadership im wissenschaftlichen Diskurs: Einbindung in Organisationstheorien und komplexe Systeme

    Der wissenschaftliche Diskurs schlägt sich in einer Fülle von Theorien, Modellen und Begrifflichkeiten nieder, die sich nur selten auf die konkrete Anwendungspraxis beziehen. Eck stellt fest, dass es nach einhundert Jahren Führungsforschung eine relativ große Vielstimmigkeit gibt, aber was Führung letztlich auszeichnet, wie Führung funktioniert und wie sie sich reproduziert, darüber gibt es keinen Konsens (vgl. Eck 2007, S. 10). Dem können wir nur zustimmen. Hervorragende Überblicke geben Neuberger sowie Boltanski und Chiapello und insbesondere die 2005 von Goethals, Sorenson und Burns herausgegebene Encyclopedia of Leadership (Neuberger 2002, Boltanski und Chiapello 2003; Goethals et al. 2004). Einig sind sich Autorinnen und Autoren mehr oder weniger darüber, dass „das Verhältnis der Management- bzw. Führungsliteratur zur Wirtschaft und der herrschenden Wirtschaftsordnung komplex ist und trotz aller angestrebten Wissenschaftlichkeit eher ideologisch beeinflusst ist als wissenschaftlich fundiert (Eck 2007, S. 10). Oswald Neuberger hat über 130 Definitionen von Führung zusammengetragen (vgl. Neuberger 2002, S. 7 ff.). Eine der gängigen Definitionen ist die von Steinle: „Führung wird verstanden als systematisch strukturierter Einflussprozess der Realisierung intendierter Leistungs-Ergebnisse; Führung ist damit im Kern zielorientierte und zukunftsbezogene Handlungslenkung, wobei diese Einwirkung sich auf Leistung und Zufriedenheit richtet (Steinle 1978, S. 27). Ein solches Verständnis von Führung ist Teil des klassischen Managementbegriffs, denn es geht dabei um das aktive Organisieren: Operationalisiere. Handle. Differenziere. Hierarchisiere. Konstelliere. Relationiere. Typisiere. Erzähle eine Geschichte. Integriere. Theoretisiere.³

    2.1 Leadership ist mehr als Management

    Der Begriff Leadership hat eine andere Geschichte.⁵ Zunächst sei festgehalten, dass es im Englischen eine entschiedene Differenz zwischen Management und Leadership gibt. Bennis (1989a, b) hat bereits auf diese Differenz verwiesen, dem folgte später auch Birch (1999). Für ihn entsprechen Manager und Leader zwei archetypischen Führungsfiguren (Neuberger 2002, S. 50; Rigotti 1994, S. 58 ff.). Zusammenfassend hält Bennis fest: „Managers do the things right, leaders do the right thing" (Bennis 2001, S. 50 zit. n. Neuberger 2002). Vermutlich war Zaleznik (1977) der Erste, der auf den Unterschied zwischen Manager und Leader hingewiesen hat. Als „Erfinder gilt dagegen Kotter (1990). Manager/innen schreibt er folgende Eigenschaften zu: Verwalten, erhalten, initiieren, den Status quo akzeptieren, auf Systeme fokussieren, sich auf Kontrolle verlassen, auf kurzfristige Erfolge aus sein, nach Wie und Wann fragen, sind rational und kontrolliert, haben die Bilanz im Auge, machen Dinge richtig und sind „Kopien. Demgegenüber sind Leader innovativ, sie entwickeln, kreieren, fordern den Status quo heraus, fokussieren auf Menschen, setzen auf Vertrauen, denken langfristig, fragen nach dem Was und Warum, sind begeistert und begeisternd, haben die Vision im Herzen, machen die richtigen Dinge und sind „Originale. Der Ruf nach Leadership anstatt Management ist auch im deutschsprachigen Raum nicht neu. Neuberger (2002, S. VI) schreibt dazu: Leadership „steht für die Überwindung seelenloser technischer Rationalität zugunsten von Feuer, Leidenschaft und Ausstrahlung: Das mündet in die programmatische Forderung, die richtigen Leute wieder (oder endlich) führen zu lassen, statt sie in bürokratische Systeme und Routinen einzuzwängen. Neuberger (2002, S. VII) hat gleichzeitig auf den Umstand hingewiesen, dass Leadership mit der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit verbunden ist. Er thematisiert in diesem Zusammenhang die Leader-Manager-Differenzierung (dux versus rex) aus der Perspektive der politischen Theorie nach Rigotti (1994, S. 58 ff.), die eine andere historische Tiefendimension ermöglicht bzw. über die bloße „modische Kontrastbildung, die den visionären, charismatischen „great man auf Kosten des bürokratischen Administrators feiert hinausgeht (Neuberger 2002, S. 50).

    Der hier vorliegende Dualismus kann durch Erkenntnisse aus Diskursen der Führungstheorie weiter modifiziert werden. So sind zum Beispiel die sog. Eigenschaftstheorien (u. a. in der Charisma-Forschung) eine Sammelbezeichnung für diejenigen Ansätze, die der Persönlichkeit des oder der Führenden ausschlaggebende Bedeutung beimessen. Ausgangspunkt sind dabei Eigenschaften, die man ausmachen und objektiv messen kann. Doch wie viele Führungseigenschaften gibt es? In den Untersuchungen von Allport und Odbert (1936) aus den 1930er Jahren wurden an die 18.000 Begriffe festgestellt. Heute wird die Zahl mit 450.000 Begriffen angegeben. Helfen uns diese Eigenschaften tatsächlich weiter?

    Kritiker wie Kompa (2000) gehen davon aus, dass der Diskurs über Führungseigenschaften Privilegien eher sichert und bestehende Verhältnisse schützt. Solche Überlegungen sind auch in die Elite-Diskussionen eingegangen (Hartmann 2002). Es gibt Zusammenhänge zwischen Führung und Eigenschaften sowie Unterschiede zwischen Geführten und Führenden. Doch umfangreiche Untersuchungen weisen darauf hin, dass im Kontext der Eigenschaftstheorie es nach wie vor unklar ist, was Führungseigenschaften sind (vgl. Brown 1956, S. 132). Einen weiterführenden Referenzpunkt bietet die differenzielle Psychologie, die sich mit den Unterschieden von Menschen befasst. Sie geht von weitgehend unabhängigen fünf Grunddimensionen aus: den „Big Five" bzw. dem Fünf-Faktoren-Modell (FFM) (vgl. Allport und Odbert 1936; Goldberg 1993; Borkenau und Ostendorf 1991).⁶

    Auf Basis dieser Differenzierung zwischen dem Management als „doing und Leadership als „leiten und führen wollen wir uns nun mit einer weiteren Leitunterscheidung, nämlich der zwischen transaktionaler und transformationaler Führung auseinandersetzen.

    2.2 Transaktionale und transformationale Führung

    Gilt Kotter (1990) als Erfinder des Begriffs Leadership, bekannt wurde er durch How Leadership differs from Management, so hatten sich bereits einige Jahre zuvor Burns und Zaleznik mit den Unterschieden zwischen Manager und Leader sowie mit der transaktionalen und transformationalen Führung auseinandergesetzt (vgl. Burns 1978; Zaleznik 1977).⁷ Entscheidend für die Diskussion sind außerdem die Arbeiten von Bass (1985), Conger (1989) und Neuberger (2002, S. 142–222). Sie haben den Führungsdiskurs grundlegend verändert. Die transaktionale Führung geht von einem Management by Exception (Ausnahme) plus bedingter Belohnung aus. Sie führt zu erwartbaren Anstrengungen und Leistungen, die wiederum eine erhöhte Motivation bewirken (vgl. Avolio 2005; Bass und Avolio 1990). Sie basiert auf dem Effekt von Verstärkung: „Für das, was sie tun oder lassen, haben die Geführten mit positiven oder negativen Konsequenzen zu rechnen, die die Führungskraft vermittelt" (Neuberger 2002, S. 197).⁸

    Die transformationale Führung stellt vor allem das Charisma in den Mittelpunkt. Zentrale Begriffe sind Vision, Mission, Enthusiasmus, Commitment, Innovation, Streben nach höchsten Zielen.⁹ Einerseits werden beide Begriffe häufig synonym gebraucht, andererseits steht die Differenz im Vordergrund. Das Charisma ist meist an die Führungsperson geknüpft und beruht auf Verehrung, Bewunderung, Verklärung. Der transformationale Ansatz hingegen zielt eher auf Förderung und Ermächtigung der Geführten bzw. auf Förderung von Anliegen der Gemeinschaft.

    Die Bedeutung der transformationalen Führung hat insbesondere Hinterhuber (2009) hervorgehoben. Unter wirtschaftlich schwierigen Rahmenbedingungen nimmt seiner Ansicht nach die Bedeutung von Leadership zu. Führung besteht für ihn aus Management und Leadership. Beide Teile sollten eine Einheit bilden, auch wenn sie in ihrem Charakter unterschiedlich sind. Doch auch Hinterhubers (2009, S. 22 f.) Verständnis ist vage, er definiert Leadership zum Beispiel dahin gehend, dass ein Führender derjenige ist, der die berechtigten Bedürfnisse seiner Mitarbeiter/innen und Kolleg/innen erkennt und erfüllt, Barrieren abbaut und Rahmenbedingungen schafft, damit Mitarbeiter/innen und Kolleg/innen die Kunden zu Botschaftern des Unternehmens machen können. Leadership besteht für ihn aus Charakter plus Wissen plus Tun.

    Doch wer definiert Charakter? Wer definiert Wissen? Wer definiert, was wann und wie zu tun ist? Eine entscheidende Rolle spielt dabei unseres Erachtens die Kategorie Authentizität – ein Leader sollte Visionär, Vorbild sein, sollte die Werte des Unternehmens „vorleben", um den Unternehmenswert steigern zu können. Beide Ansätze (die transaktionale wie auch die transformationale Führung) gehen weit über die soziotechnischen Führungsmodelle und Führungsstile hinaus. Insbesondere der Bereich transformationaler Führung stellt eine wichtige Basis für ein neues Leadership-Verständnis dar.

    2.3 Leadership als Begriff

    2.3.1 Leader, Follower, Leadership – Eine erste Sondierung

    Die nachfolgenden Überlegungen zu Leadership beziehen sich in ihrem Fokus vorwiegend auf die englischsprachige Literatur. Der Diskurs hat hier eine fast dreißigjährige Tradition. Um Diskussionen zu Leadership – und damit auch den Beginn des zeitlich versetzt einsetzenden deutschen Diskurs – angemessen einordnen zu können, erlauben wir uns zunächst einen kurzen Abriss über Definition und Entwicklung des Konzepts und dessen neuere Interpretationen (als Folge zunehmender Komplexität) zu geben.

    Zu den bekanntesten und häufigsten zitierten Definitionen von Leadership zählen:¹⁰

    „[…] the behavior of an individual […] directing the activities of a group toward a shared goal" (Hemphill und Coons 1957, S. 7).

    „[…] the influential increment over and above mechanical compliance with the routine directives of the organization" (Katz und Kahn 1978, 1996, S. 528).

    „[…] exercised when persons […] mobilize […] institutional, political, psychological, and other resources so as to arouse, engage, and satisfy the motives of followers" (Burns 1978, S. 18).

    „[…] the ability to step outside the culture […] to start evolutionary change processes that are more adaptive" (Schein 1992, S. 2).

    „The only definition of a leader is someone who has followers" (Drucker 1973 zit n. Hesselbein et al. 1996).

    „Leadership is a function of knowing yourself, having a vision that is well communicated, building trust among colleagues, and taking effective action to realize your own leadership potential" (Bennis 2001).

    In allen diesen Definitionen werden die Begriffe Leader, Follower und Leadership mehr oder weniger stark hervorgehoben. Wir werden diese Begriffe im Folgenden nicht immer ins Deutsche übersetzen, sondern im Original belassen. Innerhalb von Organisationen und Firmen sollen Leader den Prozess der Veränderung leiten und sich dabei auch selbst verändern: „If leadership can’t shift, then no organisational process can succeed" (Kaplan 2002 zit. n. James 2003, S. 2). Des Weiteren muss berücksichtigt werden, dass die gängigen Leadership-Definitionen auf unterschiedlichen Referenzsystemen beruhen. Sie beziehen sich auf personale Eigenschaften (z. B. charismatische Personen), auf Beziehungsmodelle (Gruppenprozesse, Followership, Macht und Einfluss, emergent Leadership, Rollen und Struktur) und auf Verhaltensmodelle und Zielorientierung (vgl. Bass und Stogdill (1990, S. 11–18). Bass und Stogdill (1990, S. 19–20) beziehen sich im Handbook of Leadership auf „Leadership [as] an interaction between two or more members of a group that often involves a structuring or restructuring of the situation and the perceptions and expectations of the members."

    Die vorgenannten Modelle implizieren entweder personen- und situationsbezogene Theorien oder Theorien der Interaktion und des sozialen Lernens, interaktive Prozesstheorien, wahrnehmungsorientierte und kognitive Theorien und natürlich deren Zusammenspiel (vgl. Bass und Stogdill 1990, S. 37–45). Auf neue Leadership-Modelle verweist insbesondere Gill (2006, S. 50–57). Diesen Modellen liegen die bereits oben erwähnten Vorstellungen von Vision, Charisma und Transformation zugrunde. Zudem unterscheiden sie, wie bereits dargelegt, zwischen transaktionaler und transformationaler Führung (zuerst von Burns formuliert). Burns (1978, S. 11) beschreibt Führung als Form von Macht, die als Interaktion von Beziehung, Motiven und Ressourcen zwischen den beteiligten Akteuren verstanden werden muss. Burns (1978, S. 19 f.) unterscheidet ebenso zwischen transaktionaler Führung, bei der Personen Macht für eine Gegenleistung zugesprochen wird, und transformierender Führung, bei der dagegen ethische Motive eine Rolle spielen.

    Während das Begriffspaar Leader und Follower in ihrer Funktion als untrennbar angesehen wird, wird als Leader diejenige Person angesehen, die die Initiative ergreift, die also bei der Ausführung der gemeinsamen Aufgabe die Hauptrolle spielt.¹¹ In diesem Machtkontinuum können Leader entweder absolute Macht übernehmen oder am anderen Ende derart sensibel für die Beweggründe der Follower sein, dass die Leader-Follower-Rollen interdependent werden (vgl. Burns 1978, S. 21). Wenngleich Burns die Leader-Follower-Beziehungen für zentral hält, so kontrastiert er dennoch die Unterschiede zwischen Leader und Follower. Follower tragen seiner Meinung nach weniger Verantwortung, während die Leader als „more skilful in evaluating followers motives, anticipating their responses to an initiative, and estimating their power bases" beschrieben werden (vgl. Burns 1978, S. 20). Follower werden von Burns hingegen auf eine Anzahl von Menschen reduziert, die geführt werden können, so lange Leader ihre Bedürfnisse, Wünsche und andere Motivationen artikulieren – auch ihre eigenen, wodurch die Motive der Follower zunehmend beeinflusst und verändert werden. Diese begriffliche Entwicklung hat verschiedene Wirkung auf die Diskurse im Kontext von Führung und Organisation gehabt, die im Folgenden nur schematisch dargestellt werden können.

    Humanistische Perspektiven wurden insbesondere von McGregor (1966, S. 3–15) in die Organisationstheorie eingebracht. Dabei entfernte er sich von Taylors mechanistischer Theorie. In Theorie XY erläutert McGregor die unterschiedlichen Sichtweisen von Angestellten: Entweder sind sie in der Regel desinteressiert und ohne Initiative (Theorie X), oder sie sind durch das Management motiviert und inspiriert, um Ziele der Organisation zu erreichen (Theorie Y). Während einerseits ein neues Managementdenken verfolgt wird, impliziert die Theorie andererseits eine starke Unterscheidung zwischen Leader und Follower. In dieser Unterscheidung spielen Hierarchien und Positionen eine entscheidende Rolle, denn „the boss must boss" (McGregor 1966, S. 67).

    Später hat Schein (1991, S. 317) Leadership als Einflussnahme auf die Organisationskultur definiert. Dabei wird von stetiger Anpassung an sich verändernde Situationen ausgegangen. Schein betont die unbewussten, weniger explizit greifbaren Effekte von Leadership auf Organisationen. Er fokussiert den Blick auf die Top-Managementebenen und damit auf eine hierarchische Sicht der Veränderung.

    Bennis (1989a, S. 12 f.) dagegen warnt explizit vor zentralisierender Führung und schlägt vor, Leader müssten „Conceptualists statt „nur Manager sein. Leader sollten das Management von Vision, Bedeutung/Sinn und Vertrauen/Integrität übernehmen (vgl. Bennis 1989a, S. 20–22). Konzepte wie die von Bennis heben im Begriff Leadership eher die Aspekte Partizipation und Empowerment hervor. Unvermeidlich bleibt dabei das Bild des charismatischen Leaders, der überhaupt erst in der Lage ist, andere zu ermächtigen (Empowerment).

    Calás und Smircich (1997, S. 371) untersuchen hingegen Leadership aus einer poststrukturalistischen feministischen Perspektive: „how naïve it is to try to propose ‚alternative organisations‘ without questioning the logic, the metaphysical assumptions, which inform our current thinking and writing about organisations, die sie „masculinist monologic nennen. Für Calás und Smircich (1997, S. 342–356) zeichnet sich der Leadership-Gedanke in erster Linie durch eine patriarchale Sichtweise der gehobenen Klasse aus, die demokratisch partizipative Modelle behindert.

    System-, Chaos- und Komplexitätstheorie wie auch der poststrukturalistische und feministische Diskurs haben neue Perspektiven in den Leadership Diskurs eingebracht. Denn, und das wird für uns auch später relevant sein, die klassische Idee des charismatischen Leaders wird dabei durch die Bedeutung von Beziehungen und kollektive Führung ersetzt. Leadership wird nicht länger als „Anführen von vorn" verstanden.

    Avery (2004 zit n. Gill 2006, S. 56 f.) ist in diesem Zusammenhang davon überzeugt, dass in zukunftsweisenden Organisationen eine neue Art transformationaler Führung notwendig ist, die er „organic leadership" nennt. Führung und Vision werden hier als emergent beschrieben, d. h. gemeinsame Visionen, Werte und Sinnfindung sowie Selbstbestimmung spielen dabei eine signifikante Rolle. Mit Emergenz ist eine nicht mehr steuerbare Situation gemeint. Spontan können sich neue Phänomene herausbilden, die nicht länger auf etwas zurückgeführt werden. Dabei wird gern auf Aristoteles (2008) verwiesen: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile" (Metaphysik VII 17, 1041b). Leader sollen konventionelle Kontrollmechanismen wie Ordnung und Hierarchie außer Kraft setzen und mit Vertrauen und der Akzeptanz ständigen Wandels den Mitgliedern der Organisation mit Respekt begegnen. Mitglieder sollen sich also selbst managen und führen.

    Scharmer und Jandernoa (2006, S. 12) beschreiben drei Arten von Komplexität, mit denen Führung konfrontiert ist:¹² In der dynamischen Komplexität stehen Ursache und Wirkung nicht in direktem Zusammenhang. Voraussetzung dafür ist ein systemisches Verständnis. In der sozialen Komplexität verfolgen die Akteure verschiedene Sichtweisen und Interessen. Dabei müssen auf der Grundlage eines partizipativen Ansatzes verschiedene Akteursgruppen einbezogen werden. Generative Komplexität versteht Emergenz im Kontext von Innovationen und Wandel. Es geht um „Sensing und „Presencing als eine Form von „creative approach."¹³ Ein solches Verständnis von emergenter Führung spielt in den Auseinandersetzungen über das Führen von Gruppeninteraktionen eine Rolle (Bogardus 1929 zit. n. Bass 1990, S. 16).

    Auf andere Konzepte und Modelle wie z. B. die emergente und dienende Führung (servant leadership) von Gill (2006, S. 40 f.) und das Verständnis von dienender Führung als ultimativer Quelle von Bedeutung und Werten bei Zohar und Marshall (2001 zit. n. Gill 2006, S. 41) sei an dieser Stelle nur hingewiesen.

    Gemeinsam haben alle diese Ansätze, dass sie eine Beziehung in der Trias Leader-Follower-Leadership herzustellen versuchen. Unterschiede lassen sich insbesondere hinsichtlich der Betonung von organisationalen Aspekten, des Umgangs mit Komplexität, der Bedeutung, Logik und des inneren Sinns von Führung finden. Geht man schließlich von der Gruppenebene auf Organisationsebene, so stellt sich die Frage, wie Leadership in stetig verändernden Organisationen umgesetzt werden kann.

    2.3.2 Lernende Organisationen und kollektive Führung im Organisationswandel

    Senge kritisiert die traditionell westlichen Führungskonzepte charismatischer Persönlichkeiten und betont die Bedeutung von kollektivem Lernen und von Wissen durch systemische Prozesse (vgl. Senge 1990, S. 340). Damit wird auch eine eng mit Führung verbundene Perspektive von Führung in sich dynamisch verändernden Organisationen bzw. im Rahmen von Organisationswandel verdeutlicht. Nach Senge (1998) wird organisationale Führung durch Schaffung lernender Organisationen erzielt, die über eine stärkere Widerstandskraft angesichts externen Wandels und externer Krisen verfügen.¹⁴ Dabei sind sich Menschen ihrer Vision und ihres Einsatzes bewusst und müssen deshalb nicht auf eine traditionelle Weise geleitet werden. Leader können als Designer von Systemen angesehen werden, die das Lernen fördern (vgl. Senge 1990, S. 341). Leader lassen sich nach Senge (1990) in unterschiedlichen Rollen verorten: 1) Leader als Stewards sehen sich als erster Diener, der andere mitreißt und einen höheren Zweck verfolgt. Stewards sind in der Lage, Geschichten zu kreieren, die auf individueller und kollektiver Ebene der Arbeit tiefere Bedeutung und eine konkrete Vision geben (vgl. Senge 1990, S. 345). 2) Leader als Lehrer unterstützen Menschen, systemische Faktoren und auch das Verstehen von Geschichte (vgl. Senge 1990, S. 356). Um mit produktiver Spannung (creative tension) arbeiten zu können, wird vom Leader eine Vision verlangt, die die Realität jedoch nicht negieren darf (Senge 1990, S. 357). Die Idee kollektiver Führung spielt dabei eine wichtigere Rolle als die soziale Position und Funktion (Senge 1990, S. 360).

    Senge (1990, S. 345–352) beschreibt die tiefere Geschichte und Aufgabe, die der Vision eines Leaders zugrunde liegen. Leader folgen in lernenden Organisationen ihrer eigenen Vision. Während sie lernen, anderen aufmerksam zuzuhören, entsteht etwas Größeres. In diesem Sinne ist die Partizipation an der Vision entscheidend für lernende Organisationen (vgl. Senge 1990, S. 207–209). In einer späteren Veröffentlichung von Senges (2004, S. 192) „Presence wird das zentrale Leadership-Thema als „Menschwerden durch „Selbst-Kultivation" im Sinne einer lebenslangen Verpflichtung zu persönlicher Entwicklung beschrieben.

    Die oben dargestellten Überlegungen wirken hier abstrakt. Sie beinhalten Konnotationen, die kritisch zu betrachten sind. Dies mag an der Überbewertung einzelner Begriffe in der Management-Wissenschaft liegen: So kann der Begriff Kollektive Führung bei vorhandenem Demokratie-Verständnis zur Abgabe und Verlagerung von Verantwortung des Einzelnen an die Gruppe, also zur Entlastung führen, aber auch zu Gruppendruck, dem alle standhalten müssen. Der Begriff der Visionen muss die Frage zulassen, in welchem Interesse und für welche Gesellschaft nach Visionen gesucht wird. Und dann der Begriff der lebenslangen Verpflichtungen, die damit eingegangen werden! Sind sie tatsächlich seitens des Individuums und auch der Organisation gewollt? Und wie passt diese Idee der lebenslangen Verpflichtungen zu den kurzen Halbwertzeiten von Führungskräften, denen wir auch zunehmend im sozialen Bereich begegnen? Dies betrifft aber auch den Begriff Leadership, der ebenso einer subtilen Überbewertung unterliegen kann.

    Während westliche Leadership-Konzepte diesen Aspekt vernachlässigt haben, gilt in den fernöstlichen Traditionen (Zen Buddhismus, Konfuzianismus und Tao) „personal mastery" – allem Verstehen geht Selbsterkenntnis voraus – als wichtige Voraussetzung für Leader (Master Nan zit. n. Senge et al. 2004, S. 186).

    Senge und andere heben hervor, dass sich Führung künftig durch Gruppen, Institutionen, Gemeinschaften und Netzwerke vollzieht, während in der Vergangenheit die Entwicklung von Individuen für den Leader zentral war. Daher sollten die Formen von Führung gefördert werden, die die Weisheit der Gruppe hervorbringen beziehungsweise unterstützen. Anstatt sich auf Helden zu verlassen, soll Zukunft innerhalb der Gruppe entstehen (vgl. Senge et al. 2004, S. 191–192). Die „Theorie U, dazu gehört auch der „Presencing-Ansatz, beinhaltet ein solches Modell für kollektives Lernen im Hinblick auf emergente Zukunftsmöglichkeiten (vgl. Senge et al. 2004, S. 88).

    Kritisch bewertet werden muss allerdings, dass Leadership dabei nicht auf ein neues Management-Instrument reduziert wird. Vor allem die Modelle eines sich öffnenden Denkens erweisen sich als theoretisch wie praktisch produktiv. Dieses Denken ist in der Lage, neue Wirtschaftsformen auch im Hinblick auf Organisationen einzubeziehen.

    Argumentationen wie die von Senge et al. (2004) verfolgt auch Capra (2002): Er unterscheidet zwischen traditioneller Führung durch charismatische Personen und einer Führung des „facilitating the emergence of novelty" (Capra 2002, S. 121–123). Um Emergenz zu fördern, sollen Leader Kommunikationsnetzwerke aufbauen und dabei in offenen Systemen agieren. Auf diese Weise kämen neue Ideen, neues Wissen und damit eine Lernkultur in die Organisation.

    Wheatley (2007, S. 110 f.) vergleicht Organisationen und auch größere Systeme z. B. Gesellschaften mit Ökosystemen, in denen Beziehungen und Interdependenz für das Überleben wichtiger sind als Konkurrenz und Wettbewerb. Lebende Systeme sind selbstorganisierend (Autopoiesis). Wheatley geht davon aus, dass autoritative Verhaltensweisen ihre Funktion verloren haben. Vorgesetzte von Organisationen sollten vielmehr die Vielfalt der Sichtweisen fördern, was nur im ständigen Dialog mit den Mitarbeiter/innen gelingt. Für Griffin und Stacey (2005, S. 10 f.) ist Leadership vor allem dann emergent wirksam, wenn soziale Anerkennungsprozesse in kommunikativer Interaktion entstehen.

    An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Leadership als eine andauernde Aktivität („doing) zu Initiation, Verwirklichung und Kontrolle von Organisationsentwicklungsprozessen verstanden werden muss. Entscheidungen sind dabei häufig von staatlichen und fachpolitischen Ziel- und Zwecksetzungen, Ressourcen und Bedarfen abhängig. Wenn man voraussetzt, dass (nicht nur, aber insbesondere) Leader als „Organisations‒Gestalter und Vertreter des Arbeitgebers in erster Linie für die Umgestaltung und Weiterentwicklung des Profils einer Einrichtung verantwortlich sind, so kann man sich fragen, nach welchen Managementprinzipien diakonische Einrichtungen zweckmäßig geleitet und gesteuert werden können. Eine Möglichkeit bietet hierzu die Praxis des adaptiven Führens (Heifetz et al. 2009). Ein partizipatives Führungsverständnis erweist sich in aller Regel als ein Schlüssel erfolgreicher Steuerung von Organisationen, insbesondere wenn Leader ihre Follower für sogenannte adaptive Herausforderungen mobilisieren, damit sie in ihrem Arbeits- und Handlungsfeld vorankommen und gemeinsam Lösungen suchen. Adaptive Herausforderungen sind die, die eine Lücke zwischen dem existierenden Know‒how und dem gewünschten zukünftigen Zustand aufzeigen, das geschieht insbesondere durch organisationales Lernen, das zu Änderungen von gewohnten Verhaltensweisen der Mitarbeitenden, Strukturen und ggf. der Organisationsvision führen kann. Zu den wesentlichen Bestandteilen dieses Führungsstils gehören u. a. die Begleitung anstatt Anweisung von Teams, die Schaffung eines motivierenden Arbeitsklimas, das Mitarbeitenden Stabilität vermittelt, das Ziele klar kommuniziert und die Reflexion der fachlichen Praxis wie des eigenen Führungsstils aus der Metaperspektive ermöglicht.

    Kotter hat in diesem Zusammenhang verschiedene Anforderungen an Führungskräfte in Verbindung mit Leading-Change-Prinzipien beschrieben. Im Veränderungsprozess sollten Leader die Dringlichkeit der Veränderungen anzeigen, eine arbeitsfähige Steuerungsgruppe bilden, eine tragfähige und dauerhafte Vision entwickeln und diese auch kommunizieren, Hindernisse für die Umsetzung der neuen Vision aus dem Weg räumen, die Erreichung kurzfristiger Ziele ansteuern, ohne die große Vision aus dem Blick zu verlieren. Erfolge sollten nicht zu früh ausgerufen und die Mitarbeitenden in einem „produktiven Ungleichgewicht" (Heifetz et al. 2009) gehalten sowie die erreichten Veränderungen in die Unternehmenskultur integriert werden (vgl. Kotter 1995, S. 59 ff.).

    Auf der Ebene der Theoriebildung muss Leadership stets auch im Zusammenhang von Herrschafts- und Machtinteressen gedacht werden. Zu fragen ist: welche Rolle dies in Management- und Leadership-Programmen, also bei der Qualifizierung von Fach- und Führungskräften in Organisationen, in Unternehmen spielt? Leadership-Programme beziehen sich in erster Linie auf einzelne Personen, die zumeist Führungspositionen in ihrer Organisation innehaben. Systemisch verstanden ist Leadership oder Führung das Resultat innerhalb eines sozialen Systems, in dem jede Person, nicht nur diejenigen in Führungspositionen, Führung übernehmen kann (Day 2000 zit. n. Lord und Hall 2005, S. 591). Wie Führung durch Leadership-Programme gefördert werden kann, bleibt unklar, weil die Programme in erster Linie für Manager angeboten werden.¹⁵

    Wilber (2000) hat Leadership – wissenschaftlich durchaus umstritten – in einer integralen Theorie auf individueller und kollektiver, auf interner und externer Ebene verortet. Im Hinblick auf die Leadership-Entwicklung sollten auf der individuellen Ebene sowohl die persönliche Entwicklung und Reflexion (intern) als auch das Vermitteln/Aneignen von Fachwissen und Methoden im Vordergrund stehen. Anders auf der kollektiven Ebene: Dort spielt Leadership sowohl auf der unbewussten kulturellen Ebene, also der Ebene der symbolischen Ordnung, als auch auf der Ebene sichtbarer Systeme und Strukturen eine Rolle. Sie können die Formen von Führung fördern oder behindern.

    Mit zunehmenden globalen Veränderungen müssten auch die Anforderungen an Leader von Organisationen flexibler gestaltet werden. Erwartungen an Arbeitnehmer in Führungspositionen, sich selbst weiter zu entwickeln, nehmen seitens des Arbeitgebers zu, werden jedoch nicht immer im gleichen Atemzug auch ermöglicht und gefördert. Erwartungen an Führungskräfte werden künftig immens wachsen.

    Erinnern möchten wir nur an Erkenntnisse von langfristigen Prozessen aus Supervision und Therapie. Diese zeigen deutlich auf, wie sehr Persönlichkeitsentwicklung Zeit und Raum zur Reflexion benötigt: Hailey (2006, S. 32) stellt heraus, wie wichtig für Leadership-Programme auch die Beachtung der „dunklen" Seite von Führung sei. Darunter versteht er Machtmissbrauch und autokratisches Verhalten. Und Argyris (1991, S. 100) warnt vor Lernbehinderungen von Managern und durch Manager. Sie seien aufgrund ihrer Ausbildung und Position oft nicht offen für selbstreflexives Denken und double-loop-Lernen. Gabriel (2005) kritisiert in diesem Zusammenhang MBA-Leadership-Programme, mit ihnen würden eher Follower als Leader produziert. Und parodistisch auf die Spitze getrieben spricht er vom Glauben an einen „Gott namens Leadership" (Gabriel 2005, S. 4).

    Nach diesen theoretischen Überlegungen stellt sich nun die Frage nach der Praxis. Dafür schauen wir uns die Seite des kulturellen, gesellschaftlichen wie auch des praktischen Diskurses zu Leadership an. Dieser mündet abschließend in ein vorläufiges Fazit zum wissenschaftlichen Diskurs über Leadership.

    2.4 Ein Plädoyer für einen Kulturspezifischen, Gesellschaftlichen und Praktischen Diskurs über Leadership

    Eck (2007) spricht von einem kulturspezifischen, gesellschaftlichen Diskurs über Leadership. Forschungen zu diesem Diskurs gibt es nicht. Er zeichnet sich durch große Ambivalenz aus. Idealisierungen, Heroisierungen und Personalisierungen sind an der Tagesordnung und werden unter dem Stichwort Glaubwürdigkeitskrise in unseren Medien zunehmend thematisiert. Kurzlebige, heftige Empörungen über spektakuläre Fälle von Führungsversagen sind den Tageszeitungen zu entnehmen. Eck sieht eine „erstaunliche Naivität des gebildeten Publikums bezüglich der real existierenden gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse" (Eck 2007, S. 11). Auch dies ist eine Seite des Leadership-Diskurses: Führung sollte nicht nur die Binnenprozesse unserer Organisationen betrachten. Ein Untersuchungsgegenstand wird sein, warum die Leadership-Debatte erst seit Mitte 2005 in Deutschland geführt wird, während Management und Leadership in den USA bereits eine lange Forschungstradition haben.

    Weitere Untersuchungen sind auch deshalb unerlässlich, weil die „Halbwertzeit" von Führungskräften mittlerweile auf vier Monate gesunken ist – so die Untersuchung von Managern der 500 Top-USA-Unternehmen (vgl. Leitl 2007).¹⁶ Die Zahlen für Deutschland liegen bei 4,7 Jahren. Die Tendenz ist eindeutig: sie sinkt (Dammann 2007). Bereits 1983 stellten McCall und Lombardo (1983a, b) fest, dass Führungskräfte zunehmend scheitern, weil sie oft unsensibel gegenüber anderen Menschen sind. Einschüchternd, scharf, tyrannisierend, kalt, distanziert, arrogant, Vertrauen nicht würdigend, nur an den eigenen Aufstieg denkend (überehrgeizig) und in politisches Kalkül verwickelt, haben sie die Neigung zum Übermanagen, können nicht delegieren, sind unfähig, ein Team zu bilden, neue Mitarbeiter zu gewinnen oder gar strategisch zu denken. Das bestätigen neuere Untersuchungen (vgl. Dammann 2007; Babiak und Hare 2007). Es fehlen Analysen zu Macht und Machtstrukturen. Insbesondere die Schattenseiten von Führung und Leitung müssen verstärkt zum Gegenstand werden (vgl. hierzu ebenso die Beiträge von Dammann 2007 sowie Babiak und Hare 2007). Mit der Ambivalenz von Macht setzt sich die Forschung unzureichend auseinander. Macht wird zwar heutzutage vor allem im Zusammenhang mit Korruption gesehen und ist dann wiederum verbunden mit der Vorstellung, Führungskräfte seien per se gut und gütig (Dammann 2007, S. 34). Die Vorstellung von der guten Führungskraft herrscht in der Managementliteratur vor. Darüber hinaus hat insbesondere die neue Institutionenökonomik und die Transaktionskostentheorie dem Denkmodell eines opportunistisch handelnden Menschen zu einer neuen Renaissance verholfen. In der Realität dominiere das seinen Eigennutz maximierende Individuum, das seine Interessen mit List und Tücke verfolgt.¹⁷ Nicht von ungefähr weisen schon heute Erkenntnisse des Bundeskriminalamtes darauf hin, dass rund ein Drittel aller Wirtschaftsdelikte von Mitgliedern des Topmanagements – den CEOs – begangen wird (Dammann 2007, S. 96; Grunwald 2009, S. 6), deshalb warnt Khurana (2002 zit. n. Dammann 2007, S. 96) eindringlich vor den zunehmenden Gefahren durch Führung und Leitung in Organisationen.

    In einem weiteren Schritt stellt sich die Frage nach dem Diskurs der Praxis: Die Führungsverhältnisse sind so unterschiedlich wie die Wirklichkeit. Dabei klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Leadership soll Organisationen zu Höchstleistungen führen. Dazu gibt es eine Vielzahl von Instrumenten und Managementmoden, die ständig wechseln. Leadership wird auch für soziale Organisationen gefordert.¹⁸ Dabei wird der Mangel an Leadership insbesondere auf den unteren Führungsebenen beklagt. Es werden deshalb Unmengen von Management-Trainings angeboten (dabei wird zwischen Leadership und Management häufig nicht unterschieden). Auch hier ist die Verfallszeit der Moden beachtlich. In einer Harvard-Untersuchung wurde über einen Zeitraum von 20 Jahren festgestellt, dass es nicht einzelne Instrumente sind, die zum Erfolg führen (vgl. ausführlicher zu „Managementmoden Nohria und Robertson 2003). Bedeutsam sind vielmehr „schlichte Grundlagen wie Kommunikation, Transparenz und Offenheit sowie klare Strukturen und Vertrauen, die immer schon jenseits der herrschenden Modethemen existieren. Es ist nicht zu übersehen, dass gerade im Diskurs über die Praxis Leadership ein wichtiges Thema geworden ist – auch in den Studiengängen von Hochschulen, die eingehender betrachtet werden sollen.

    2.5 Vorläufiges Fazit zum wissenschaftlichen Diskurs von Leadership

    Der Literaturbericht lässt offen bzw. bleibt zumeist an dem Punkt unklar, zu welchem Zweck Leadership entwickelt werden soll und ob die ethischen Werte, von denen in Leadership-Programmen die Rede ist, ernst genommen werden können, wenn die Profitinteressen von Organisationen im Vordergrund stehen (vgl. Gabriel 2005). Leadership wird zwar generell mit ethischen Werten in Verbindung gebracht, aber auch mit persönlicher Entwicklung der Führungspersonen in ihrer Leadership-Rolle. Dass diese Entwicklungen Konflikte implizieren – wenn nämlich die persönliche Vision und Ethik nicht mit Firmeninteressen vereinbar sind – wird in der Wissenschaft kaum diskutiert. In der Leadership-Literatur werden nur bedingt Machtfragen angesprochen (vgl. Burns 1978; Heifetz 1995). Das heißt, der Großteil der Leadership- und Organisations-Literatur beschäftigt sich nicht mit Machtunterschieden im System. Auch wenn von Leadership auf allen Ebenen gesprochen wird, ist nicht immer klar, was gemeint ist. Die Machtfrage wird auch dann wichtig, wenn entschieden werden soll, was ethisch und richtig ist und wer darüber entscheidet. Gerade bei diesem Phänomen gibt es ein offensichtliches Forschungsdesiderat. In der systemisch-orientierten Literatur wird Leadership als Beitrag beziehungsweise als ein Verhalten beschrieben, das überall im System seinen Ort haben kann. Demnach geht es bei der Leadership-Entwicklung in erster Linie um die Fortbildung von Führungskräften. Damit wird Leadership also mit einer Position beziehungsweise Funktion in Verbindung gebracht. Wenn die Qualitäten von Leadern betont werden, setzt das eine überfällige personenbezogene, charismatische Auffassung von Leadership voraus.

    In der englisch-amerikanischen Literatur ist jedoch eine Entwicklung zu beobachten, die die Zukunft von Führung vor allem als kollektive Form von Führung sieht. Organisationen müssten über Dialog und Geschichtserzählungen (Storytelling) eine eigene Lernkultur entwickeln, die sich bis in die Gesellschaft auswirke. Interdependenz wird in diesem Zusammenhang als wichtiges Kriterium gesehen. Netzwerken kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Leadership der Zukunft sollte gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und darauf zielen, Polaritäten zu überwinden und Kooperationen zu fördern.

    Inwieweit jedoch kollektives Denken und Führen durch Leadership-Programme realisiert werden kann, ist fraglich – insbesondere, wenn Firmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen sollen und dies ohne Einbindung der Gesellschaft tun.

    Doch wohin führt uns dieser Weg – wie sieht die Praxis der Führung und Leitung von Organisationen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft aus.

    3 QUO VADIS – Aufbau des Buches

    Alltagssprachlich wird dies mit „Wohin soll das noch führen? oder „Wie soll das weitergehen? verwendet, so möchten wir dies auch im vorliegenden Buch verstanden wissen. Es ist ein Zwischenergebnis. Der Sammelband gliedert sich in drei Kapitel, die nachfolgend kurz skizziert werden und die einzelnen Aufsätze hinsichtlich ihrer Beiträge zur Diskussion von Führung und Organisation vorgestellt werden.

    Das erste Kapitel „Quo Vadis – Transformationen und Herausforderungen" fasst sieben Aufsätze zusammen, die sich gegenwärtig abzeichnende zukunftsweisende Veränderungsprozesse aufzeigen.

    Jürgen Weibler und Jürgen Deeg (Hagen) setzen sich mit den Führungsmythen auseinander, und dies ist, angesichts von rechtem Populismus und der Zunahme von Autoritätskonzepten verbunden mit einem klaren Blick nach vorn, dringend erforderlich. Nach wie vor leiten uns Führungsmythen, es sollte stattdessen ein angemessener realistischer Blick auf die Führungspraxis geworfen wird. Mehr denn je muss Führung von ihrer mythologischen Verbrämung, Überhöhung und Vereinseitigung befreit werden. Weiterführend sehen die beiden Autorinnen Gudrun Sander und Ines Hartmann (St. Gallen) in diesem Zusammenhang die Einführung einer „Diversity-and-Inclusion-Kultur" als herausfordernde Managementaufgabe. Sie kann nur gelingen, wenn Organisationen und Führung sich mit ihrem Verständnis zu Diversity und Inklusion dezidiert auseinandersetzen. Durch eine Beschäftigung mit der eigenen Organisationskultur können umfassende Veränderungsprozesse entstehen, die heutzutage unerlässlich sind, um Organisationen als attraktiven Arbeitgeber zu positionieren. Verortungen und Begriffsklärungen sind erforderlich, um die strukturellen, politische, kulturelle wie auch die Humanressource Perspektiven einnehmen zu können, die dann in einer wertschätzenden Kultur münden.

    Eine stärker auf die Kommunikation in Organisationen ausgerichtete Perspektive thematisiert Friedrich Glasl (Salzburg) in seinem Beitrag. Konfliktmanagement wird darin als eine wesentliche Führungskompetenz verstanden, um angemessen mit den Differenzen, Spannungen und Herausforderungen von Organisationen umgehen zu können, um Lösungen für komplexe Aufgaben herbeizuführen und destruktive soziale Konflikte zu vermeiden, wohl wissend natürlich, dass Differenzen zum Führungsalltag gehören und nicht einfach ignoriert werden können. Aber nicht jede Differenz muss gleich ein Konflikt sein, zumal der Begriff Konflikt mittlerweile inflationär gebraucht wird. Diese Konfliktmanagement-Kompetenz darf eben nicht nur als lediglich als Technik betrachtet werden, sie baut stets auf einer moralischen Intuition kombiniert mit emotionaler Intelligenz auf.

    In dem Beitrag von Dorothea Greiling (Linz) – hier wird ein Perspektivenwechsel vorgenommen – geht es um die Nachhaltigkeitsberichterstattung am Beispiel der Rechenschaftslegungsinnovationen für Nonprofit-Organisationen. Hier wird deutlich, dass zusätzlich zur finanziellen Berichterstattung auch die ökologische und soziale Performance von Organisationen künftig einbezogen werden muss. Der entsprechende „Markt" zur Prüfung, Berichterstattung und Zertifizierung boomt. Zu klären ist jedoch, im Anschluss an die Darlegung der begrifflichen Grundlagen und deren historische Entwicklungslinien und im Hinblick auf Vertrauenswürdigkeit und Transparenz, wie gewinnbringend eine Implementierung auch für den Sektor der Nonprofit-Organisationen sein kann bzw. ob mit einem Boom im NPO-Sektor überhaupt zu rechnen ist.

    Wolf Rainer Wendt (Tübingen) wendet sich in seinem Beitrag gezielt von der Organisations- zur Lebensführung und behandelt die individuelle und gemeinsame Selbststeuerung im Fokus des sozialwirtschaftlichen Betriebes. Seine Hauptthese ist, dass nicht nur Organisationen geführt werden, sondern auch die Steuerung des Alltags unseres Lebens für die jeweilige Person und die Familie eine wichtige Ressource für Leadership darstellt. Im Weiteren steht die Frage nach den Erfordernissen der Bewirtschaftung der Handlungsfelder aller Akteure im Vordergrund seiner Ausführungen. Er greift damit einen Diskurs auf, der schon zu anderen Zeiten unter dem Begriff des „Arbeitskraftunternehmers" (Voß 1998) Ende der 1980er Jahre geführt wurde und der für den sozialen Sektor nun weiterentwickelt wird.

    In dem Aufsatz von Alexander Carey (Villingen-Schwenningen) wird ein weiterer Blick auf die entgrenzte Arbeit in atopischen Strukturen von Organisationen gerichtet, die sich gegenwärtig in einem massiven Wandlungsprozess befinden: sei es der ökonomische Wandel mit seinen Auswirkungen auf die Finanzierung von Sozialunternehmen, sei es die Gefährdung der Staatsfinanzierungsmöglichkeiten und – wie überall – die Digitalisierung von Lebenswelten und Alltagspraktiken. Diese Überlegungen sind hilfreich für die Diskussion von Rollenveränderungen wie wir sie derzeit in der Sozialen Arbeit und im Pflege- und Gesundheitsbereich sowie in ihren verschiedenen Organisationsformen beobachten. Ausgangspunkt muss dabei erst einmal ein Kassandrischer Blick sein, der es möglich macht, die Gegenwart zu verstehen und zu gestalten.

    Maik Arnold (Dresden) behandelt in seinem Aufsatz die Bedeutung des Wandels von sozialen Organisationen insbesondere unter dem Verständnis des adaptiven Leadership Modells, das mittlerweile eine große Resonanz nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in Nonprofit- und öffentlichen Einrichtungen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft gefunden hat. Nach einem Literaturüberblick wird in dem Beitrag auf die Praxis des adaptiven Leaderships eingegangen, dessen Prinzipien werden vorgestellt und abschließend kritisch gewürdigt.

    Das zweite Kapitel „Quo vadis – Ansätze, Modelle und Konzepte von Führung in Organisation" behandelt das Thema mit sieben Aufsätzen aus soziologischer, sozialpsychologischer und ethischer Perspektive. Gerade die unbewussten Dynamiken von Führung werden oft negiert. Und trotzdem, hinter den Kulissen von Organisationen spielt sich das Organisationsgeschehen (nach Bailey 1977) auf drei Bühnen ab: Auf der Vorderbühne wird das Stück eines Autors/einer Autorin gespielt. Auf der Hinterbühne wird die Regie gemacht, die Schauspieler/in ausgewählt, werden die Rollen interpretiert. Auf der Unterbühne, die unter den beiden oberen Bühnen liegt, geht es um die verborgenen Themen und Prozesse, um Emotionen und die Geheimnisse. Verborgene Themen und unbewusste Prozesse präsentieren sich in ihrem Selbstverständnis oft als Regel und Träger sachbezogener Aufgaben, rationaler Entscheidungen, getragen von Effektivität und Effizienz und anderem mehr. Zu solchen verborgenen Themen gehören z. B. Aufträge hinter den Aufträgen, doppelte oder mehrfache Ebenen von Kommunikationen, Ängste und deren „Management", Sozialisations-, Anpassungs- und Widerstandsvorgänge, Integrations- und Ausgrenzungsprozesse, Steuerung von unten oder (nichtsichtbaren) Mitarbeitenden, störende Führungskräfte, Rituale und Tabus. In der Forschung ist man bisher noch zurückhaltend, wie man diese Dynamiken in der Führung sichtbar machen könnte. Die Rationalität von Führung wird häufig vorgeschoben, obwohl wir alle als Mitglieder unterschiedlicher Organisationen wissen, dass Führung nicht so einfach zu begreifen ist – auch bezogen auf die Handlungsfelder der Sozial- und Gesundheitswirtschaft.

    Frank Eibisch (Leipzig) geht deshalb der soziologischen Frage nach, wie „gute Führung" in Verbindung mit Erfahrungen von Resonanz verstanden werden kann. Unter Heranziehung, Entfaltung und Weiterentwicklung des Resonanzbegriffs von Hartmut Rosa werden wichtige theoretische und konzeptuelle Anhaltspunkte eines neuen Führungsverständnisses – im Sinne des Resonanzgeschehens – entwickelt.

    Leadership wird im Aufsatz von Ricarda Rehwaldt (Berlin) als sozialpsychologisches Phänomen analysiert. Narzissmus, Macht und Sozialisation bilden nach diesem Ansatz die Handlungsbarrieren für Glück in Organisationen – und zwar hinter den Kulissen. Die Autorin stellt drei zentrale Handlungsbarrieren, die sie im Rahmen einer umfangreichen empirischen Studie eruiert hat, zur Diskussion. Der Aufsatz versteht sich als Einladung zu einer reflektierten Auseinandersetzung mit den positiven und negativen Aspekten von Macht und Einfluss in Organisationen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft.

    Dass Führung und Ethik in sozialen Organisationen in einem Spannungsfeld von Ansprüchen, Herausforderungen und Ressourcen stehen, das thematisiert Michael Herzka (Zürich) in seinem Beitrag. Mehr denn je steht die Wirtschaftsethik im Mittelpunkt neuerer ökonomischer Diskussionen, zudem der Ruf nach einem Umdenken in Richtung „humaner Ökonomie" lauter wird.

    Andreas Laib (St. Gallen) erörtert Schwarmintelligenz als neuen Modebegriff oder als unverzichtbaren Ansatz für Organisationen der Sozialen Arbeit, in einer unbeständigen, komplexen, ungewissen, mehrdeutigen Welt. Auf solche Komplexitäts- und Kontingenzbedingungen müssen Menschen, die heute in sozialen Organisationen tätig sind, adäquat reagieren können. Schwarmintelligenz ermöglicht gemeinsames Agieren von Individuen, das in der Summe zu intelligenten Ergebnissen führen kann. Praxisbeispiele verdeutlichen diese neuen Organisationsformen.

    Stefan Eugster Stamm und Urs Kaegi (Basel/Muttenz) wenden sich in ihrem Aufsatz der integral-evolutionären Organisation zu, indem sie das Konzept der Selbstorganisation einer analytischen Betrachtung unterziehen – gerade im Hinblick auf die Organisationen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft. In diesem Aufsatz werden die sich gegenwärtig abzeichnenden Tendenzen der Individualisierung und Kollektivierung sowie die Bedeutung des Konsenses vor dem Hintergrund von integral-evolutionären Organisationen ausführlich diskutiert und reflektiert.

    Das Spannungsfeld zwischen Anforderungen und Herausforderungen auf der Leitungsebene in der Wiener Sozialwirtschaft wird unter dem Titel „Eigentlich müsste man eine eierlegende Wollmilchsau sein" von Eva Fuchshuber (Wien) bearbeitet. In diesem Beitrag werden empirische Ergebnisse einer Befragung von Leitungskräften aus der Sicht ihrer tagtäglichen, komplexen Anforderungen und ihrer dabei eingesetzten Kompetenzen vorgestellt. Im Zentrum der Diskussion stehen dabei nicht nur die sozialen, fachlichen, personalen und methodischen Kompetenzen, die die Leitungskräfte zur Ausübung der Führungsfunktion mitbringen, sondern auch die wahrgenommenen Herausforderungen und Spannungsfelder der Führungskräfte.

    Thomas Prinz (Linz) beschäftigt sich zum Abschluss dieses Kapitels – pointiert mit der Frage nach einem wirkungsorientierten Führen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft und stellt verschiedene Steuerungselemente aus dem öffentlichen Sektor in Österreich vor, Aspekte, die in ein wirkungsorientiertes Controlling münden sollen.

    Das dritte Hauptkapitel „Quo Vadis – Trends im Feld des Human Resources Management" ist mit seinen zehn Aufsätzen ein weiterer gewichtiger Schwerpunkt dieses Bandes, denn ohne Personal geht bekanntlich in Organisationen nichts. Der Mensch ist und bleibt die wichtigste Ressource – und das gilt auch für Organisationen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft.

    Der Aufsatz von Alexandra Cloots und Sebastian Wörwag (St. Gallen) diskutiert Möglichkeiten zur Aktivierung des Potenzials älterer Erwerbstätiger für den Arbeitsmarkt und deren Bereitschaft für einen freiwilligen Verbleib im Erwerbsarbeitsleben über den Pensionierungszeitpunkt hinaus. Dabei handelt es sich um ein Thema, das in Zeiten des Fach- und Führungskräftemangels zur großen Herausforderung werden wird. Vor diesem Hintergrund wird das „Arbeitsportfolio"-Modell als ein wirkungsvoller Ansatz für Erwerbstätige 50+ vorgestellt. Die im Aufsatz angestellten Überlegungen fußen auf zwei in St. Gallen in den Jahren 2015 und 2017 durchgeführten Studien, deren Ergebnisse präsentiert werden.

    Eine andere Perspektive dazu nimmt der Aufsatz von Roger Pfiffner (Bern) ein. Auf der Mikroebene werden die Arbeitsmotive sowie die organisationale Passung von Sozialarbeitenden im Sozialdienst untersucht. Zu den arbeitsbezogenen Bedürfnissen und Zielen von Sozialarbeitenden sowie zum Einfluss dieser persönlichen Eigenschaften auf die individuelle Leistungsbereitschaft liegen im deutschsprachigen Raum der Schweiz bislang nur wenige empirische Analysen vor. Grundlage der im Aufsatz vorgestellten Ergebnisse ist eine Untersuchung mit mehreren hundert Sozialarbeitenden in acht Kantonen der Schweiz.

    Brigitte Zierer (Wien) wendet sich den Herausforderungen für Führungskräfte in der Sozialwirtschaft in Österreich zu, die immer flexibler, rascher und effizienter handeln müssen. Dabei werden die sozialpolitischen Entwicklungen und Rahmensetzungen, auch bezogen auf die Auswirkungen der Flüchtlingsbewegungen, analysiert. Gerade aufgrund der demografischen Entwicklungen ist das Personalmanagement ständig neu herausgefordert.

    Der Beitrag von Andrea Tabatt-Hirschfeld, Jürgen Stremlow, Frank Unger, Uli Sann, Oliver Kessler und Thea-Maria Caputo beschäftigt sich mit Einschätzungen von Führungskräften des mittleren und oberen Managements im Hinblick auf Führung und Public Governance in deutschen und schweizerischen Kommunen. Mittels teilstandardisierter Leitfadeninterviews wurde fall- und praxisorientiert an den Dimensionen Umweltfaktoren, Haltungen/Werte, Verhalten und Persönlichkeit geforscht, die auf Grundlage von fünf Thesen diskutiert werden.

    Daniel Iseli und Simon Steger (Bern) beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit der Frage nach den Erfordernissen an Professionalität zur Führung effektiver Sozialdienste in der Schweiz. Dazu stellen sie ihr Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Nachhaltige Ablösungen in der Sozialhilfe" vor, das nicht ohne Weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragbar ist, aber doch aufschlussreich durch den Vergleich.

    Monika Sagmeister (Stuttgart) behandelt in ihrem Beitrag das informelle Lernen am Arbeitsplatz in der Community of Practice. Ihre These ist, dass neben dem Studium, dem fallspezifischen Wissen und den dazugehörenden „handwerklichen" Fähigkeiten weitere Lernfelder gerade des situierten Lernens geschaffen werden müssen, und das hierbei der informelle Austausch in Gruppen einen besonderen Stellenwert wieder einnehmen müsste und dafür stellt sie ihren Ansatz der Community of Practice vor – der zu einer legitimierten peripheralen Partizipation führen soll.

    Paul Brandl (Linz) erörtert in seinem Beitrag die These, warum die Führungskräfteentwicklung zur Unternehmensentwicklung gehört. Er demonstriert dies anhand des St. Gallener Managementmodells.

    Yvonne Knospe (Dresden) untersucht in ihrem Aufsatz das Personalmanagement insbesondere im Feld von Organisationen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft. Sie

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