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Die Mediatisierung des Wissens: Eine Dispositivanalyse zur Rolle der Medienkompetenz
Die Mediatisierung des Wissens: Eine Dispositivanalyse zur Rolle der Medienkompetenz
Die Mediatisierung des Wissens: Eine Dispositivanalyse zur Rolle der Medienkompetenz
eBook738 Seiten7 Stunden

Die Mediatisierung des Wissens: Eine Dispositivanalyse zur Rolle der Medienkompetenz

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Über dieses E-Book

Das Ziel des vorliegenden Buches ist es, das Konzept der Medienkompetenz an die aktuellen Herausforderungen der Digitalisierung anzupassen. Der Fokus liegt auf der spezifischen Übertragung, Darstellung, Prozessierung und Speicherung von digital repräsentiertem Wissen. Die zugrundeliegende Annahme ist, dass jede Medientechnologie Wissen auf je spezifische Art und Weise repräsentiert. Diese Medienspezifik beschreibt der Autor exemplarisch und empiriegeleitet an der Wikipedia, um schließlich das Konzept der Medienkompetenz daran anzupassen.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer VS
Erscheinungsdatum10. Feb. 2021
ISBN9783658327934
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    Buchvorschau

    Die Mediatisierung des Wissens - Johannes Gemkow

    © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021

    J. GemkowDie Mediatisierung des WissensMedienbildung und Gesellschaft46https://doi.org/10.1007/978-3-658-32793-4_1

    1. Einleitung

    Johannes Gemkow¹  

    (1)

    Medienkompetenz- und Aneignungsforschung, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland

    Johannes Gemkow

    Email: johannes.gemkow@uni-leipzig.de

    »Denn bei den Lernenden wird diese Kunst in den Seelen Vergessen schaffen durch Vernachlässigung der Erinnerung, da sie sich ja im Vertrauen auf die Schrift von außen durch fremde Zeichen ihre Erinnerung wecken lassen, nicht von innen her durch eigenen Antrieb; mithin fandest du nicht für die Erinnerung, sondern für Gedächtnisnachhilfe ein Mittel« (Platon 2014, S. 86).

    Mit diesen Worten rezitiert Sokrates¹ den mythischen König von Ägypten Thamus. In diesem Ausschnitt aus dem Dialog zwischen Sokrates und Phaidros geht es um nichts anderes als die Auswirkungen der Alphabetschrift auf das Lernen. Sokrates kritisiert, Thamus folgend, die Art und Weise, wie diese Schrift Wissen repräsentiert. Diese sei, so Sokrates, nur eine Scheinform des Wissens, da Wissen »in Wahrheit nur innerhalb der Denkprozesse stattfinden kann« (ebd., S. 74). Weiterhin sei das von der Alphabetschrift repräsentierte Wissen nicht in der Lage zu interagieren und ohne einen anwesenden Autor, der situativ auf Lernende reagieren kann, passiv (vgl. ebd., S. 143).

    Dieser Ausschnitt aus dem Dialog zwischen Sokrates und Phaidros zeigt eindrucksvoll, wie sich erstens mit dem Wandel medienkommunikativer Technologien (hier: die Einführung der Schrift) auch die Repräsentationsweisen von Wissen wandeln können (hier: kein anwesender Autor) und wie sich zweitens medienpädagogische Fragen (hier: kritisches Lernen durch Schriftstücke) über den Umgang mit diesen medial repräsentierten Wissen anschließen.

    Während der Ausschnitt aus dem Dialog von Sokrates und Phaidros dem Übergang von der Oralität zur Literalität zugeordnet werden kann, sind wir heute Zeugen eines ähnlichen Wandels – der Digitalisierung. Mit der Digitalisierung wird der zeitgenössische Wandel medienkommunikativer Technologien bezeichnet. Die Arbeit vertritt hier die Annahme, dass sich auch mit der Digitalisierung Repräsentationsweisen von Wissen wandeln. Nun ist zu prüfen, wie digitale Medien Wissen repräsentieren und wie diese Repräsentationsweisen mit dem medienpädagogischen Konzept der Medienkompetenz konkret adressiert werden können.

    Das Ziel dieser Dissertation teilt sich entsprechend in zwei Aspekte. Erstens werden die Repräsentationsweisen von digitalisiertem Wissen unter der Perspektive der Mediatisierung theoretisiert. Dies ist ein deskriptiver Arbeitsschritt, da die Repräsentationsweisen genannt, in Verbindung zueinander gesetzt und kategorisiert, jedoch noch nicht in ein pädagogisches Konzept eingeordnet werden. Dies geschieht anschließend in einem normativen Arbeitsschritt. Dabei werden, zweitens, die Repräsentationsweisen von Wissen mit dem Modell zur Medienkompetenz von Dieter Baacke (1996) verknüpft. Das heißt, die Repräsentationsweisen werden pädagogisch adressiert. Das Ergebnis dieser Dissertation besteht somit in der Ausdifferenzierung von Baackes Medienkompetenzmodell. Diese Ausdifferenzierung ist erstens eine medienspezifische, da sie ihren Ausgangspunkt vom konkreten Medium her nimmt. Zweitens ist sie eine aktuelle, da sie den gegenwärtigen Prozess der Digitalisierung betrifft, und drittens eine empirische Ausdifferenzierung, da sie die Repräsentationsweisen von Wissen in einem konkreten Medium der Digitalisierung methodisch erhebt und auswertet. Die übergeordnete Fragestellung lautet somit: Wie kann das Konzept der Medienkompetenz dem Wandel des Wissens durch die Digitalisierung begegnen? Zur Beantwortung dieser Frage greift die Arbeit nicht nur auf das Theoriekonzept der Medienkompetenz zurück, sondern auch auf das der Mediatisierung. Mit der Mediatisierung wird ein theoretischer Rahmen zur Erforschung des zeitgenössischen Medienwandels geschaffen. In diesem Rahmen wird mit dem Dispositivkonzept ein Medienbegriff konzipiert mit dem Zweck, digitale Repräsentationsweisen von Wissen zu identifizieren. Diese Identifikation wird beispielhaft am Online-Portal der Wikipedia durchgeführt. Im Folgenden wird dieser Aufbau der Arbeit aus Mediatisierung, Medienkompetenz, Dispositiv und Wikipedia dargelegt.

    Mediatisierung und Medienkompetenz bilden – aufeinander bezogen – den theoretischen Rahmen dieser Arbeit.

    Der Mediatisierungsansatz beschreibt nach Friedrich Krotz, »kurz gesagt, den Wandel von Alltag, Kultur und Gesellschaft im Kontext des Wandels der Medien« (vgl. Krotz 2017a, S. 14). Dieser Wandel wirkt sich beispielsweise auch auf das medial repräsentierte Wissen aus. Durch den Wandel medienkommunikativer Technologie, z. B. die Etablierung des Personal Computers, entstehen neue Repräsentationsweisen von Wissen, wie beispielsweise auf der Plattform der Wikipedia. Solche Repräsentationsweisen werden in der vorliegenden Arbeit Wissensformierungen genannt. Wissensformierungen stellen Regeln dar, nach welchen Wissensrepräsentationen konstituiert werden. Der Begriff Wissensformierung kommt aus dem soziologischem Diskurs- bzw. Dispositivkonzept. Foucault hat den Ausdruck des Formationssystems genutzt, um damit Produktions- und Strukturierungsbedingungen von Äußerungen zu beschreiben (vgl. Busse 2000, S. 40). Ein »Formationssystem muß man also [als] ein komplexes Bündel von Beziehungen verstehen, die als Regel funktionieren: Es schreibt das vor, was in einer diskursiven Praxis in Beziehung gesetzt werden mußte, damit diese sich auf dieses oder jenes Objekt bezieht« (Foucault 2013, S. 108). In »Überwachen und Strafen« (2015c) erweitert Foucault diesen Blickwinkel auf Handlungsmöglichkeiten und -praktiken. Jedoch verwendet Foucault Wissensformierungen im Sinne von Formierungen durch Wissen auf einen Gegenstand an. Das heißt, er sucht nach Regeln, die einen gewissen Gegenstand, beispielsweise die Sexualität, durch Wissen formieren. Für die Mediatisierung des Wissens ist es dagegen notwendig, die Formierung von Wissen an sich zu betrachten, also nach Regeln zu suchen, mit denen Medien Wissen – unabhängig vom Gegenstand – formieren. In diesem Sinne ist der Ausdruck »Mediatisierung des Wissens« zu verstehen. Der Ansatz zur Mediatisierung nach Krotz bietet hierfür eine wichtige Orientierung.

    Dies gilt zum einen, weil er auf die Theoriegenerierung von Wandel im Kontext medienkommunikativer Technologie abzielt. Zwar ist die Mediatisierungsforschung stark ausdifferenziert, mit verschiedenen Begriffen belegt sowie mit divergierenden theoretischen Konzepten und unterschiedlichen Medienverständnis verknüpft (vgl. Abschnitt 2.​2, S. 21); sie verfolgt jedoch ein gemeinsames Ziel. Mit Mediatisierung wird erforscht, wie symbolisches Handeln zu individuellem, organisatorischem und institutionellem oder gesellschaftlichem und kulturellem Wandel führt. Dieser Wandel ist als Wechselspiel zwischen Mikro-, Meso- und Makroebene gedacht. Mediatisierung ist damit auch keine geschlossene Theorie, sondern vielmehr ein »Denkmotiv« (Averbeck-Lietz 2015, S. 231), das historische und aktuelle Wandlungsprozesse greifbar macht. Ziel der Mediatisierungsforschung ist damit immer auch die Theoriegenerierung. Mediatisierung ist in diesem Sinne ein theoretischer Orientierungsrahmen zur Theoretisierung von Wandlungsprozessen.

    Zum anderen ist der Mediatisierungsansatz von Krotz zentral, da Mediatisierung nie für sich allein einen theoretischen Zugang in Anspruch nimmt, sondern immer mit einem zu operationalisierenden theoretischen Konzept verbunden werden muss (vgl. Adolf 2017, S. 46). Dieses theoretische Konzept bildet in der vorliegenden Arbeit die Medienkompetenz als zweiter theoretischer Rahmen.

    Medienkompetenz wird im deutschsprachigen Raum subjektzentriert, universell, normativ und idealistisch aufgefasst. Dies steht im Gegensatz zu einer medienspezifischen Perspektive.

    »Subjektzentriert« bedeutet hier, dass im Zentrum der Betrachtung ein autonom handelndes, mündiges Subjekt steht, das prinzipiell in der Lage ist, Medien »für die Entscheidung zu vernünftigen Konfliktlösungen mit dem Ziel einer Aufhebung ungerechtfertigter und unfrei machender Herrschaft einzusetzen« (Baacke 1975, S. 287). Dieses subjektzentrierte Verständnis von Medienkompetenz, das auch Gapski (2001, S. 208) empirisch nachzeichnete, steht einer medienspezifischen Perspektive gegenüber, die dadurch leicht übergangen werden kann. Die gesteigerte individuelle Handlungsfähigkeit durch die Digitalisierung ist nicht einfach pauschal mit dem Ruf nach Medienkompetenz abgetan.²

    »Universell« meint hier, dass Medienkompetenz gegenüber allen Medien gleichermaßen geboten ist. Auch hier steht der Gedanke, dass spezifische Medien spezifische Kompetenzen benötigen, dem universellen Gedanken gegenüber.

    Mit »normativ« ist gemeint, dass Medienkompetenz mit ihren Dimensionen einen Maßstab für kompetentes Handeln mit Medien legt. Bezüglich der Wandlungsprozesse der Mediatisierung ist jedoch zu fragen, wie diese Normen auf neue und spezifische Medienumgebungen angewandt werden können.

    »Idealistisch« bedeutet schließlich, dass Medienkompetenz bisher überwiegend³ aus theoretischer Perspektive konzeptualisiert worden ist. Um jedoch medienspezifische Aspekte einzubeziehen, bedarf es auch hier eines empirischen Blicks. Der schon in die Jahre gekommene Ausdruck von Kübler (2001, S. 21), dass Medienkompetenz auf einem universellen und theoretischen Fundament schnell zu einem »inhaltsleeren Allerweltsziel« verkommen kann, muss hierbei wiederholt werden. Der zeitgenössische Wandel der Digitalisierung bedarf nämlich eines spezifischen Blicks, der gerade nicht in universelle Muster verfällt, sondern mit dem empirisch-systematisch Kompetenzen konzeptualisiert werden.

    Diese drei Aspekte, mit denen Medienkompetenz im deutschsprachigen Raum assoziiert wird, haben durchaus ihre Berechtigung. Ein autonomes Subjekt, das prinzipiell mit allen Medien kompetent handelt, ist aus aufklärerisch-pädagogischer Sicht ein nachvollziehbarer Fokus. Die theoriegeleiteten Konzeptualisierungen und Dimensionalisierungen in den Medienkompetenzmodellen (wie z. B. Baacke 1996; Schorb 1997; Tulodziecki 1998; Aufenanger 1999; Groeben 2002b) sind ebenfalls nachvollziehbar. Die Dimensionen der Modelle spiegeln grundlegende pädagogische Normative wider und haben dadurch auch ihre Berechtigung. Jedoch ist hier auch Dieter Baacke beizupflichten, der darauf hingewiesen hat, dass Medienkompetenz gegenstandsbezogen ausdifferenziert werden solle: »Wie ›Medienkompetenz‹ im Einzelnen aussehen soll, welche Reichweite das Konzept hat, dies sagt der Begriff selbst nicht, und auch seine theoretischen Hintergründe malen dies nicht aus« (1996a, S. 119). Nicht nur aufgrund dieser Einsicht wird Dieter Baackes Verständnis von Medienkompetenz und sein Modell dazu leitend für diese Arbeit sein. Baackes Favorisierung beruht vor allem auf drei Gründen. Erstens hat Baacke mit dem Ansatz der Kommunikativen Kompetenz (1975) eine medienpädagogische Grundlegung für die Debatte um Medienkompetenz geschaffen (vgl. Groeben 2002a, S. 11; Tulodziecki 2011, S. 20; Spanhel 2015, S. 110; Süss et al. 2018, S. 111). Zweitens hat Baacke 1996 das erste dimensionalisierte Modell zur Medienkompetenz konzipiert und veröffentlicht (vgl. Baacke 1996a). Somit hat Baacke auch zur fachlichen Diskussion und Konkretisierung von Medienkompetenz beigetragen. Drittens sind Baackes theoretischer Ansatz sowie sein Modell zur Medienkompetenz Grundsteine für die meisten der später entwickelten Modelle, die sich »in den Grundzügen auf das Baacke’sche Konzept beziehen und [sich] darin wieder [finden]« (Hugger 2001, S. 80). Indem diese Arbeit die theoretischen Dimensionen von Medienkompetenz nach Baacke beibehält, ist hier von einer Ausdifferenzierung die Rede, die sich an diesen Dimensionen orientiert und sie empiriegeleitet mit medienspezifischen Aspekten füllen wird.

    Diese Ausdifferenzierung scheint unter den gegebenen theoretischen Rahmen als besonders relevant. Unter Rückgriff auf den Mediatisierungsansatz können historische Wandlungsprozesse als verschiedene »Mediatisierungsschübe« unterschieden werden (vgl. Krotz 2007, S. 47; Hepp und Pfadenhauer 2014, S. 236). Kennzeichnend für Mediatisierungsschübe ist der gleichzeitige qualitative Wandel unterschiedlicher Medien. Der Buchdruck, der in dieser Arbeit als »Typografisierung« behandelt wird, ist ein Beispiel für ein solchen Mediatisierungsschub. Durch die Typografisierung kam es zu einer massenhaften Vervielfältigung von Schriftstücken, in deren Folge sich mit dem Buch ein, zumindest in einem Sprachraum einheitliches, standardisiertes Publikationsformat etablierte. Zeitgleich entwickelte sich auch ein erster Fächerkanon sowie eine starke Orientierung an visueller Darstellung. Der Mediatisierungsschub der Typografie hat somit nicht nur zu quantitativen Veränderungen – wie dem flächendeckenden Zugang zu gedruckten Schriftstücken geführt –, sondern das in den Schriftstücken repräsentierte Wissen auch qualitativ gewandelt.

    Im Hinblick auf die unterstellte Wandelbarkeit von Wissen durch den Mediatisierungsschub der Digitalisierung ist es diskutabel, ob Herausforderungen der Digitalisierung unter die gängigen Medienkompetenzmodelle subsumierbar sind. In der deutschsprachigen Debatte zur Medienkompetenz wurden wiederholt spezifische Aspekte der Digitalisierung betont, um für ein erweitertes Modell von Medienkompetenz zu plädieren. Neben »Web 2.0« (vgl. Gapski und Gräßer 2007, S. 11; Herzig et al. 2010, S. 9; Süss et al. 2018, S. 120; Spanhel 2015, S. 115) sind solche Aspekte beispielsweise die ständige Erreichbarkeit (vgl. Nake und Grabowski 2007) mittels mobiler Telefongeräte, eine digital konvergierende Medienlandschaft, neue Prozesse der Wissensemergenz (vgl. Pscheida 2010), der Informationsdarstellung und des Informationsangebots (vgl. Hapke 2012), gesteigerte »Eingriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten« (Sutter 2010, S. 47) oder Praktiken der Datenökonomie (vgl. Gemkow und Baumgarten 2019). Indem diese Arbeit eine empirische Ausdifferenzierung anhand medienspezifischer Aspekte vornimmt, wird versucht, diesem Forschungsbedarf gerecht zu werden. Zwar gibt es im deutschsprachigen Raum bereits alternative Ansätze zum Konzept der Medienkompetenz, jedoch existiert theoretisch wie methodisch kein elaborierter Zugang zu einer Ausdifferenzierung von Medienkompetenz unter den Bedingungen der Digitalisierung (vgl. Abschnitt 3.​3, S. 196 ff.).

    Ein zweiter Punkt zur Relevanz dieser Arbeit betrifft bestehende Theorien und Konzepte zur Digitalisierung. Diese bleiben bezüglich der Digitalisierung von Wissen unkonkret. Dies liegt zum einen daran, dass in ihnen digitale Repräsentationsformen von Wissen nicht konkretisiert werden. Repräsentationsformen von Wissen werden vielmehr unsystematisch theoretisiert, um ausgehend von der digitalen Medientechnologie per se oder dem Handeln mit Medien auf eine allgemeine Theorie bzw. ein allgemeines Konzept der Digitalisierung zu abstrahieren. Zum anderen unterstellen bestehende Theorien und Konzepte zur Digitalisierung eine historische Weiterentwicklung von Medien und Gesellschaft, die zu einem dezidierten Schlusspunkt in der Form einer voll entwickelten Netzwerkgesellschaft (vgl. Castells 2017), Informations- (vgl. Bell 1973; Melody 1999) oder Wissensgesellschaft (vgl. Lane 1966; Stehr 2001) führen soll. Dieser Ansatz kollidiert mit den prozessorientierten Grundannahmen der Mediatisierung. Die Darstellung von medienspezifischen Wissensrepräsentation in verschiedenen Mediatisierungsschüben zeigt (vgl. Abschnitt 2.​6.​2, S. 101 ff.), dass keine Weiterentwicklung und kein dezidiertes Vorher-Nachher-Modell entwickelt werden kann. Vielmehr werden in der Digitalisierung spezifische Repräsentationsweisen von Wissen sichtbar, die sich nicht gezielt von vorhergehenden Repräsentationsweisen abgrenzen, sondern entweder spezifisch digital sind oder frühere Formen der Wissensrepräsentation modifiziert adaptieren.

    Zur theoretischen Verknüpfung des Mediatisierungs- und Medienkompetenzansatzes mit dem Ziel der Ausdifferenzierung von Medienkompetenz gibt es zwei wesentliche Bedingungen.

    Erstens bedarf es eines spezifischen Gegenstandes, um die Ausdifferenzierung zu vollziehen. Mediatisierungsschübe sind in ihrer Komplexität nicht ganzheitlich zu erfassen, weshalb es auch nicht möglich ist, ein universelles Modell für alle möglichen Handlungsformen zu entwickeln (z. B. Kommunikation, Unterhaltung, Information, Organisation). Mit dem Gegenstand der digitalen Wissensrepräsentationen wird ein exemplarischer Zugang gewählt, der es erst ermöglicht, Mediatisierung gegenständlich zu theoretisieren. Darauf aufbauend kann eine medien- und gegenstandsbezogene Ausdifferenzierung von Medienkompetenz erfolgen. Das Ergebnis dieser Ausdifferenzierung ist schließlich nicht universell anwendbar. Jedoch ist unter dem Prozess der Mediatisierung ja gerade von einem statisch-universellen Konzept von Medienkompetenz abzuraten. Weiterhin kann das Vorgehen dieser Arbeit möglicherweise Modellcharakter für andere Zugänge zur Mediatisierung und Medienkompetenz entfalten.

    Zweitens bedarf es eines Medienbegriffs, der fähig ist, die Mediatisierung von Wissen theoretisch wie empirisch zu erfassen. Zu diesem Zweck adaptiert die vorliegende Arbeit als Medienbegriff das Dispositiv. Mit dem Dispositiv werden die digitalen Wissensrepräsentationen im Zusammenspiel der Elemente diskursive Praktiken, Handlungsmöglichkeiten und -praktiken und festgelegte Richtlinien und Konventionen rekonstruiert. Konkret wird dabei der Zugang zur Online-Plattform Wikipedia genutzt, um diese Elemente am konkreten Gegenstand zu erheben und zu kategorisieren. Das Dispositiv ›Digitalisiertes Wissen‹ wird somit exemplarisch auf die Plattform Wikipedia angewandt.

    In einer groben konzeptuellen Annäherung lässt sich Dispositiv als theoretisches Konzept bzw. Forschungsperspektive oder als empirisches Design bzw. Forschungsstil verstehen (vgl. Bührmann und Schneider 2012, S. 16; Dreesen et al. 2012, S. 9). Hier ist nun das Dispositiv als theoretisches Konzept gemeint. Um die Heterogenität des Dispositivbegriffs zu fassen, verfolgt der Autor hier drei verschiedene Analyseschritte.

    Zuerst wird das soziologische Dispositivverständnis nach Foucault skizziert. Foucault wurde hierfür gewählt, da sein Dispositivkonzept, vor allem im soziologischen Diskurs, stark rezipiert worden ist. Er hat keine geschlossene, dezidierte Definition von Dispositiven entwickelt, jedoch ein Grundverständnis von Dispositiven als produktives Netz verschiedener Elemente (Foucault 2003, S. 392) geprägt. Beispielhaften Charakter hat hier sein Dispositivverständnis aus »Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit« (2017), in dem zwischen Gesetzen, Verhaltensregeln, Kleidungsstilen und Redeweisen eine bestimmte Vorstellung von Sexualität und Geschlecht erst hervorgebracht wird.

    Anschließend wird das medienwissenschaftliche Dispositivverständnis nach Baudry (2004) diskutiert. Mit Baudry wird zum einen versucht, das Dispositivkonzept in seiner theoretischen Fundierung noch zu erweiteren. Zum anderen hat Baudry sein Dispositivverständnis konkret an Medien ausgelegt. Dies soll in Erweiterung zu Foucault als Orientierung für den Medienbegriff dienen.

    Schließlich werden Arbeiten vorgestellt, die im Kontext der Mediatisierungsforschung Dispositive diskutieren und angewandt haben. Diese Erörterung verfolgt das Ziel, den theoretischen Rahmen der Mediatisierungsforschung durch die Herleitung eines spezifischen Dispositivbegriffs für die vorliegende Arbeit enger zu ziehen.

    Der Fokus auf das Dispositivkonzept zielt auf dessen Potenzial für die Mediatisierung von Wissen. Dieses Potenzial betrifft grundlegende Gemeinsamkeiten bezüglich theoretischer Annahmen und Erkenntnisinteressen, z. B. die gemeinsamen Aspekte des Wandels, der Vernetzung verschiedener Bereiche auf unterschiedlichen Ebenen (z. B. Gesetze, architektonische Einrichtungen, Redeweisen, Konventionen, subjektive Praktiken) oder die Ausrichtung auf Theoriegenerierung. Ein weiterer Synergieeffekt zwischen dem Mediatisierungsansatz und dem Dispositivkonzept betrifft den Fokus auf Handlungsmöglichkeiten und -bedingungen – sprich auf Bedingungen kommunikativen Handels statt auf Interaktionszusammenhänge. Das heißt, Dispositive entwickeln sich nicht ausschließlich von konkreter Kommunikation oder kommunikativen Praktiken aus, sondern von den mitunter gesetzlichen, konventionellen, technischen und relevanten Rahmen, die die Möglichkeiten und Bedingungen von Kommunikation festsetzen.

    Auch für Wissensrepräsentationen ist diese Sichtweise grundlegend, denn Wissensrepräsentationen entstehen nicht nur durch kommunikative Praktiken, sondern auch durch die Möglichkeiten und Bedingungen, die ein Medium stellt. Medial repräsentiertes Wissen wird ebenfalls durch das vernetzte Zusammenwirken unterschiedlicher Bereiche formiert, wie beispielsweise an der Plattform Wikipedia zu rekonstruieren ist (durch institutionelle Festlegungen der Wikimedia Foundation, Konventionen der Plattform, technische Möglichkeiten, subjektive Praktiken der Wikipedia-Nutzer). Die dispositivtheoretische Perspektive auf digitale Wissensrepräsentationen wird mithin als fruchtbar angesehen. Somit ist hier von dem Dispositiv ›Digitalisiertes Wissen‹ zu sprechen. Das Dispositivkonzept dient jedoch nicht nur als Medienbegriff und theoretisches Analyseraster; es ist gleichzeitig – verstanden als Dispositivanalyse – auch eine empirische Beobachtungsfolie.

    Die Dispositivanalyse ist die empirische Umsetzung dieser Arbeit. Zur Umsetzung der Dispositivanalyse gibt es bisher kein eigenständiges Verfahren. Zur methodischen Umsetzung greift die vorliegende Arbeit auf das theoretische Analyseraster des Dispositivkonzepts zurück. Dieses Analyseraster, das sich in drei Elemente – diskursive Praktiken (Handlungszuschreibungen), nicht-diskursive Praktiken (Handlungsmöglichkeiten) und Objektivationen (Handlungsbedingungen) – gliedert, wird im theoretischen Teil hergeleitet (vgl. Abschnitt 2.​4, S. 44 ff.) und empirisch mit einem Mehrebenen-Analysemodell (vgl. Kapitel 5, S. 219 ff.) umgesetzt. Die jeweiligen Elemente des Dispositivs werden mit unterschiedlichen empirischen Methoden adressiert und im Anschluss zueinander in Beziehung gesetzt. Da diese Arbeit nicht alle Erscheinungsformen digitalisierten Wissens empirisch abdecken kann, wird hier ein selektiver Zugang zu diesen Wissensrepräsentationen nötig. Hierzu hat sich der Autor auf die Plattform Wikipedia festgelegt, da diese über einen technisch niedrigschwelligen und einheitlichen Zugang verfügt, ohne dabei ein spezifisches Thema zu fokussieren. Weiterhin stellt Wikipedia das größte Angebot an Wissensrepräsentationen im World Wide Web dar. Das empirische Vorgehen verfolgt dabei zwei unterschiedliche, aber konsekutive Ziele.

    In einem ersten, deskriptiven Schritt sollen die digitalen Wissensformierungen empirisch erhoben und beschrieben werden. Die Forschungsfrage (1) lautet entsprechend: Welche Wissensformierungen konstituieren die Wissensrepräsentationen im Dispositiv ›Digitalisiertes Wissen‹? Mit der Dispositivanalyse wurden insgesamt 241 Wissensformierungen gefunden, die sich auf 15 Kategorien aufteilen. Diese ursprünglichen 15 Kategorien wurden schließlich zu drei übergeordneten Wissensformierungen verdichtet. Die übergeordneten Wissensformierungen ergaben sich aus der Analyse der miteinander vernetzten dispositiven Elemente (diskursive Praktiken, nicht-diskursive Praktiken und Objektivationen). Die drei übergeordneten Wissensformierungen lauten: (1) Kollaborativ-meritokratisch; (2) expertokratisch-professionalisiert; (3) oligarchisch-technokratisch. Diese übergeordneten Wissensformierungen vereinen unterschiedliche Wissensformierungen aus den nicht-diskursiven Praktiken, diskursiven Praktiken und Objektivationen. Sie ergänzen sich gegenseitig zu einem typisierenden Bild digitaler Wissensrepräsentationen.

    In einem zweiten, normativen Schritt werden die digitalen Wissensformierungen dem Baacke’schen Medienkompetenzmodell als Kompetenzaspekte zugeordnet, um so das Ziel der Arbeit zu realisieren. Die Forschungsfrage (2) lautet dementsprechend: Wie differenziert sich Baackes Medienkompetenzmodell (1996) durch digitale Wissensformierungen aus? Insgesamt konnten die vier Dimensionen des Medienkompetenzmodells von Baacke mit 204 Wissensformierungen ausdifferenziert werden.

    Sowohl für die Mediatisierungsforschung als auch für die medienpädagogische Forschung ist vor allem der theoretische Bezug und die empirische Umsetzung qua Dispositiv interessant. Bisherige Bezüge zum Dispositivkonzept bzw. zur Dispositivanalyse sind sowohl in der Mediatisierungsforschung (vgl. Lepa et al. 2014) als auch in der Medienpädagogik (vgl. Bettinger und Dander 2016a, 2016b; Dander 2017a) rar gesät und allein in theoretischen Diskussionen sichtbar. Für die Mediatisierungsforschung eröffnet sich mit dem Dispositiv ein neuer Medienbegriff, der statt auf Kommunikationsakten und Kommunikationsinszenierungen auf Handlungsmöglichkeiten und -bedingungen abzielt.

    Für die Medienpädagogik eröffnet sich mit dem Dispositivkonzept eine Möglichkeit zur Reformulierung des tradierten idealistischen Subjektzentrismus. Mit dem Dispositiv als Medienbegriff des kommunikationswissenschaftlich orientierten Mediatisierungsansatzes kann mithin ein verbindender Ansatz für Kommunikationswissenschaft und Medienpädagogik entstehen.

    Schließlich stellt auch der Fokus auf digitale Wissensrepräsentationen einen theoretischen Mehrwert für Mediatisierungsansatz und Medienpädagogik dar. Der Mediatisierungsansatz gewinnt eine weitere historische und aktuelle Perspektive auf einen konkreten, sich mediatisierenden Gegenstand. Die Medienpädagogik profitiert durch diese Perspektive, indem damit konkrete Handlungsmöglichkeiten und -bedingungen sichtbar werden, die mit dem Konzept der Medienkompetenz adressiert werden können.

    Die vorliegende Arbeit ist in drei übergeordnete Arbeitsbereiche gegliedert, deren erste beide theoretischer sind. Der dritte ist empirischer Natur. Die beiden theoretischen Arbeitsbereiche werden in insgesamt vier Zusammenfassungen systematisiert.

    Der erste Arbeitsbereich umfasst den ersten theoretischen Rahmen, der die Mediatisierung des Wissens betrifft. Mit dem theoretischen Kapitel zur Mediatisierung des Wissens sollen drei Aspekte dieser Arbeit adressiert werden. Erstens wird der Mediatisierungsansatz in seinen Grundzügen aufbauend auf den Arbeiten von Friedrich Krotz (2001, 2007) skizziert. Dazu gehören nicht nur die Darstellung wesentlicher Züge des Mediatisierungsansatzes, sondern auch dessen verschiedene Forschungstraditionen und Medienbegriffe.

    Dieses Grundgerüst dient schließlich, zweitens, zur Herleitung und Einordnung des Dispositivkonzepts. Dabei changiert dieses Kapitel zwischen einem soziologisch-poststrukturalistischem und einem klassisch-medienwissenschaftlichen Dispositivverständnis. Ergänzend dazu werden Arbeiten zu Mediendispositiven mit implizitem und explizitem Mediatisierungsbezug diskutiert. Darauf aufbauend kann eine Matrix verschiedener Formen von Dispositivkonzepten unterschieden werden. Diese Matrix dient schließlich auch der Auslegung und Einordnung des Dispositivkonzepts der vorliegenden Arbeit.

    Drittens wird der Wissensbegriff dieser Arbeit theoretisch hergeleitet sowie die Mediatisierung von Wissen historisch am Beispiel dreier Mediatisierungsschübe beschrieben und analysiert. Hierbei wird auch die Annahme medienspezifischer Wissensformierungen untermauert, das Dispositivkonzept erprobt und die Bedeutung des Mediatisierungsansatzes für diesen Kontext hervorgehoben.

    Der zweite Arbeitsbereich adressiert den zweiten theoretischen Rahmen. Hierbei handelt es sich um das medienpädagogische Konzept der Medienkompetenz. In diesem zweiten theoretischen Rahmen wird das theoretische Fundament des Konzepts der Medienkompetenz beschrieben. Dazu werden Kritikpunkte am Konzept aus dem Forschungsstand erläutert sowie alternative Ansätze vorgestellt und eingeordnet. Schließlich wird die Relevanz und das Potenzial des Mediatisierungsansatzes und im Speziellen der Mediatisierung des Wissens für die Medienkompetenz dargestellt.

    Im dritten Arbeitsbereich werden die theoretisch hergeleiteten Forschungsfragen beantwortet. Dazu wird die Dispositivanalyse als empirisches Forschungsdesign umgesetzt. Nach einer Einordnung der Dispositivanalyse in die sozialwissenschaftliche Methodenlehre werden die einzelnen empirischen Arbeitsschritte methodisch diskutiert und entsprechend umgesetzt. Im empirisch-deskriptiven Abschnitt werden die digitalen Wissensformierungen beschrieben und im empirisch-normativen Abschnitt werden diese als Kompetenzaspekte zur Ausdifferenzierung des Baacke’schen Medienkompetenzmodells herangezogen.

    Abschließend werden die theoretischen wie empirischen Schritte dieser Arbeit reflektiert und die zentralen Erkenntnisse im Fazit diskutiert.

    Fußnoten

    1

    Sokrates selbst hat keine Schriftstücke veröffentlicht, weshalb als Autor hier Platon erscheint.

    2

    Am Beispiel YouTube ist zu sehen, dass es ein spezifisches Wissen um die kapitalistische Verwertung persönlicher Daten, z. B. durch Google (»Big Data«) ebenso geben sollte wie um die technischen Funktionen, z. B. Autoplay, oder reißerische Thumbnails, die die Nutzung von der Seite des Unternehmens vorantreiben wollen. Erst in diesem konkreten Zusammenspiel verschiedener Aspekte der Plattform YouTube kann Medienkompetenz konzeptualisiert werden, um nicht als bloße Zauberformel im Raum zu stehen.

    3

    Zwei Ausnahmen sind hier zu nennen. Erstens findet sich ein Verweis auf eine empirische Erhebung bei der Konzeptualisierung von Medienkompetenz bei Pöttinger (1997, S. 78). Pöttinger dimensionalisierte ihr Modell zur Medienkompetenz in Wahrnehmungs-, Nutzungs- und Handlungskompetenz. Diese Dimensionalisierung führte Pöttinger jedoch nicht auf eine eigene empirische Erhebung zurück, sondern auf eine Expertenbefragung von Hamm und Mooren (1992). Diese hatten auf der Fachtagung »Medienkompetenz als Herausforderung an Schule und Bildung« der Bertelsmann-Stiftung im Jahr 1992 in Gütersloh deutsche und US-amerikanische Experten nach deren persönlicher Definition von Medienkompetenz befragt. Ein zweiter Verweis findet sich in der Konzeptualisierung von Medienkritik bei Ganguin (2004). Ganguin hatte für ihr Vorgehen eine qualitative Befragung ausgewählter Experten aus der Forschung und Praxis der Medienkompetenz vorgenommen.

    © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021

    J. GemkowDie Mediatisierung des WissensMedienbildung und Gesellschaft46https://doi.org/10.1007/978-3-658-32793-4_2

    2. Theoretischer Rahmen I – Die Mediatisierung des Wissens

    Johannes Gemkow¹  

    (1)

    Medienkompetenz- und Aneignungsforschung, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland

    Johannes Gemkow

    Email: johannes.gemkow@uni-leipzig.de

    Das Ziel dieses Kapitels ist zum einen, mit dem Mediatisierungsansatz einen aktuellen theoretischen Relevanzrahmen für die vorliegende Arbeit herauszuarbeiten. Zum anderen wird durch den Mediatisierungsansatz eine nachvollziehbare und argumentative Einordnung der vorliegenden Arbeit in den Forschungsstand ermöglicht. Dabei wird ein deskriptiver Überblick über die Mediatisierungsforschung geschaffen, wobei die Heterogenität dieses Forschungsansatzes gebündelt wird.

    Ein solcher Überblick bedarf einiger Selektionen. Weder der Umfang und die disziplingebundene Dynamisierung dieses Forschungsansatzes (vgl. Adolf 2017, S. 48) noch die durch den Autor vorgenommenen Filter ermöglichen einen ganzheitlichen Überblick. Aus dieser Einsicht erfolgt die transparente Offenlegung der vorgenommenen Filter, die den folgenden Überblick leiten. Der erste Filter entsteht aus der Festlegung, wann die Mediatisierungsforschung ihren Anfang nimmt. Hierbei orientiert sich diese Arbeit am Forschungsansatz von Friedrich Krotz (1995, 2001, 2007). Diese Festlegung hat zum einen fachspezifische, zum anderen theoretische Gründe.

    Die fachspezifischen Gründe orientieren sich am Stand des Fachs Kommunikationswissenschaft. In der Kommunikationswissenschaft wird wiederholt unter Rückgriff auf die Arbeiten von Krotz von den 1990er-Jahren als Ausgangspunkt einer systematischen Auseinandersetzung mit dem Ansatz der Mediatisierung gesprochen (vgl. Winter 2010, S. 281; Hoffmann et al. 2017b, S. 7). Aufbauend auf dieser zeitlichen Festlegung hat sich ein heterogenes Forschungsfeld entwickelt, welches der vorliegenden medienpädagogischen Arbeit zur Einordnung dient. Dementsprechend bildet Krotzʼ Mediatisierungsansatz einen Fixpunkt. Zentrale, theoretisch wichtige Bezüge dieser Arbeit wie die Medienlogik oder das Dispositivkonzept werden hier aus Krotzʼ Ansatz abgeleitet, gehen jedoch in ihrem spezifischen Erkenntnisinteresse auch über diesen hinaus.

    Die theoretischen Gründe orientieren sich am Konzept der Medienkompetenz, dessen Neuakzentuierung diese Arbeit verfolgt. Medienkompetenz hat in den 1990er-Jahren vermehrt wissenschaftliche und bildungspolitische Debatten begleitet. Diese zeitliche Überlappung mit dem Mediatisierungsansatz ist keinesfalls zufällig, noch ist sie marginal. Die 1990er-Jahre sind durch eine von der Digitalisierung forcierte Ausdifferenzierung kommunikativer Handlungsmöglichkeiten gekennzeichnet. Während die Kommunikationswissenschaft darauf mit dem Mediatisierungsansatz antwortete, entstanden in der Medienpädagogik mehrere Modelle zur Medienkompetenz (wie z. B. Baacke 1996a; Schorb 1997; Tulodziecki 1998; Aufenanger 1999; Groeben 2002b). Der Mediatisierungsansatz nach Krotz und die Modelle zur Medienkompetenz haben also ihren Ursprung in diesen Entwicklungen aus den 1990er-Jahren. Während als Mediatisierung der »Wandel von Alltag, Kultur und Gesellschaft im Kontext des Wandels der Medien« (vgl. Krotz 2017a, S. 14) untersucht und theoretisiert wird sind, beschreibt Medienkompetenz gemäß Baacke (1996b, S. 8) die »Fähigkeit, in die Welt aktiv aneignender Weise auch alle Arten von Medien für das Kommunikations- und Handlungsrepertoire von Menschen einzusetzen« (ders. 1996, S. 8). Wie an diesem Zitat zu sehen ist, verfolgt das Konzept der Medienkompetenz einen subjektzentrierten (»aktiv aneignende Weise«) und universellen (»alle Arten von Medien«) Anspruch. Der Mediatisierungsansatz hingegen hat einen dynamischen, auf Wandel orientierten Impetus. Mit dem theoretischen Relevanzrahmen der Mediatisierung wird somit eine medienspezifische und zeitgenössische Ausdifferenzierung von Medienkompetenz nötig. Gemäß diesen beiden Gründen bildet der Mediatisierungsansatz von Krotz den Fixpunkt zur deskriptiven Auseinandersetzung dieses Kapitels.¹

    Das Kapitel beginnt mit einer Skizze des Mediatisierungsansatzes nach Krotz (vgl. Abschnitt 2.1) sowie der darauf aufbauenden Kategorisierung der Mediatisierungsforschung generell und der Medienbegriffe speziell (vgl. Abschnitt 2.2).

    Dieses Grundgerüst dient schließlich zur Herleitung und Einordnung des Dispositivkonzepts, welches den Medienbegriff dieser Arbeit repräsentiert. Daran anknüpfend wird der Wissensbegriff dieser Arbeit theoretisch hergeleitet sowie die Mediatisierung von Wissen historisch am Beispiel dreier Mediatisierungsschübe beschrieben und analysiert. Hierbei wird auch die Annahme medienspezifischer Wissensformierungen untermauert, das Dispositivkonzept erprobt und die Bedeutung des Mediatisierungsansatzes für diesen Kontext hervorgehoben.

    2.1 Der Mediatisierungsansatz nach Krotz

    Wenn Hepp und Krotz im Jahr 2012 (2012, S. 8) von einer »Karriere des Konzeptes der Mediatisierung« sprachen, ist es 2019 vermutlich schon an der Zeit, von einer Karriere der Konzepte über die Mediatisierung zu sprechen. Für diese Schlussfolgerung sprechen einige Beiträge, die sich mit der Ausrichtung unterschiedlicher Forschungstraditionen² zur Mediatisierung auseinandersetzen (vgl. Hepp 2014; Hepp und Röser 2014; Lundby 2014a; Steinmaurer 2016; Adolf 2017).

    Einigkeit zwischen unterschiedlichen Vertretern der Mediatisierungsforschung besteht, sofern die Mediatisierungsgeschichte eng gefasst wird, in der Datierung des Aufkommens des Begriffs »Mediatisierung«. Die 1990er-Jahre sind durch die einsetzende Theoretisierung von Mediatisierung geeignet, den Beginn der Mediatisierungsforschung historisch zu datieren.

    Unter die damalige Theoretisierung von Mediatisierung fallen Arbeiten, die versuchten, den Begriff Mediatisierung »konzeptuell und theoretisch zu fassen« (Hoffmann et al. 2017b, S. 6). Krotz (1995) bemühte sich schon früh um den kommunikativen Aspekt der Mediatisierung, während beispielsweise Thomspon (1995) die kulturelle Modernisierung der Massenmedien hervorhob und Mazzoleni und Schulz (1999) die institutionelle Anpassung der Politik auf die Medien allgemein herausstellten. Letztgenannter Aspekt spiegelt sich auch in den Arbeiten von Sarcinelli (Sarcinelli in Jarren und Adelt 1998, S. 678) und Kepplinger (1999) wider, die Mediatisierung als Verschmelzung politischer und medialer Wirklichkeit auffassten. Die genannten Werke verdeutlichen die in den 1990er-Jahren zunehmende theoretische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Mediatisierung. Jedoch liefen die Werke meist ungeachtet voneinander und daher auch unsystematisch nebeneinander her (vgl. Krotz 2007, S. 38).

    Mit seiner Habilitationsschrift »Die Mediatisierung kommunikativen Handelns. Der Wandel von Alltag und sozialen Beziehungen, Kultur und Gesellschaft durch die Medien« (Krotz 2001) versuchte Krotz schließlich, diese Lücke zu schließen. Die relativ junge Geschichte des Mediatisierungsansatzes ist daher eng mit dem Namen Friedrich Krotz verbunden. Er schaffte einen Fixpunkt für die deutschsprachige Mediatisierungsforschung (vgl. Hartmann und Hepp 2010), indem er »›Mediatisierung‹ zu einem theoretischen Konzept gemacht« hat (Hickethier 2010b, S. 85). Ebenso wird sein Ansatz in der internationalen, besonders in der skandinavischen Forschung diskutiert (vgl. Hjarvard 2008, S. 109; Lundby 2009a, S. 5). Weiterentwickelt hatte Krotz seinen Ansatz durch einen weiteren Band zur Mediatisierung mit dem Titel »Mediatisierung: Fallstudien zum Wandel von Kommunikation« (2007). Aufbauend auf seinen Arbeiten zur Mediatisierung gelang Krotz 2010 die Einrichtung des Schwerpunktprogramms »Mediatisierte Welten. Kommunikation im medialen und gesellschaftlichen Wandel« bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Im Schwerpunktprogramm wurden 33 Teilprojekte realisiert, deren verbindendes Ziel es war »die aktuellen mediatisierten Welten sowie ihre Bedingungen, Ausdrucksformen und Konsequenzen für das Zusammenleben der Menschen disziplinübergreifend theoretisch [zu] durchdr[i]ngen und empirisch [zu] untersuch[en]« (Krotz 2008d). Das DFG-Schwerpunktprogramm resümierend, stellten Krotz und Kolleginnen (2017, S. 2–4) u. a. zwei Aspekte³ heraus, die die Projektarbeit im Schwerpunktprogramm geprägt haben:

    1. Wissenschaftliche Publikationen

    Das Schwerpunktprogramm hat eine Reihe von Sammelwerken hervorgebracht, die die Mediatisierungsforschung in ihrer theoretischen und empirischen Heterogenität darstellen (vgl. Hepp und Krotz 2014; Krotz et al. 2014; Hoffmann et al. 2017a).

    2. Internationale Vernetzung

    Unter dem Aspekt der internationalen Vernetzung ist einerseits die Tatsache zu subsumieren, dass über die Einzelprojekte des Schwerpunktprogramms mehrere internationale Tagungen veranstaltet worden sind. Zum anderen wurde 2011 aus dem Schwerpunktprogramm heraus die ECREATemporary Working Group »Mediatization« gegründet, die nach vier Jahren, 2015 zur ECREA Section aufgewertet wurde. Auch in diesem Rahmen konnte eine Reihe von gemeinschaftlichen, internationalen Publikationen realisiert werden (vgl. Couldry und Hepp 2013; Hepp und Krotz 2014; Lundby 2014b).

    Mit diesen zwei Aspekten gehen zwei verschiedene Mutmaßungen einher. Erstens führte die wissenschaftliche Verbreitung von Einzelprojekten unter dem Gerüst der Mediatisierung zu einer Ausdifferenzierung der Konzepte zur Mediatisierung. Diese Mutmaßung wird durch die Internationalität des Ansatzes noch protegiert. Diese Ausdifferenzierung wird im folgenden Kapitel (vgl. Abschnitt 2.2, S. 21 ff.) noch geklärt werden. Zweitens führte die, wenn auch sehr heterogene, Verbreitung des Mediatisierungsansatzes von Friedrich Krotz zu einer Konsolidierung seines Ansatzes (2001, 2007) innerhalb der Kommunikationswissenschaft. Auf Basis dieser zweiten Mutmaßung wird nun der Ansatz zur Mediatisierung von Krotz thematisiert, da dieser aufgrund der Entwicklung des Mediatisierungsansatzes grundlegend für eine weitere Diskussion und Verortung scheint.

    In der Einleitung zu seinem Buch »Mediatisierung: Fallstudien zum Wandel von Kommunikation« stellt Krotz pointiert zwölf zusammenfassende Grundannahmen zur Mediatisierung auf (2007, S. 11–14). Diese zwölf Grundannahmen können auf die Verbindung von »drei Theoriediskurse[n]« (Hepp und Hartmann 2010, S. 10) zurückgeführt werden. Diese drei Theoriediskurse lauten (1) Mediatisierung im Kontext symbolischen Handelns, (2) Mediatisierung als Metaprozess und (3) Mediatisierung als Wechselbeziehung. Diese drei Diskurse werden im Folgenden skizziert.

    1. Mediatisierung im Kontext symbolischen Handelns

    Mit seiner ersten Grundannahme definiert Krotz den Menschen anthropologisch als kommunikativ. Zum einen dahingehend, dass der Mensch über verschiedene Kommunikationsformen verfügt, zum anderen, dass er auf diese angewiesen ist. Krotz orientiert sich dabei vor allem an George Herbert Meads Konzept des Symbolischen Interaktionismus (vgl. Woermann und Kirschner 2014; Lepa und Guljamow 2017).

    Die menschliche Kommunikation erlangt demnach ihre Funktion und ihren Sinn in dem imaginativen Rollentausch mit dem Gegenüber. Nur durch eine Rekonstruktion dessen, was der Gesprächspartner meint – unter der Perspektive, was der Hörer in der jeweiligen Situation und dem jeweiligen Kontext selbst damit gemeint hätte – kann ein Verstehen von Kommunikation funktionieren. Unter der Annahme, dass auch Denken Kommunikation ist, nämlich als innerer Dialog (vgl. Mead 1969, S. 95), ist zu verstehen, dass sich der Mensch »durch sein kommunikatives Handeln selbst und zugleich mit seiner Umwelt konstituiert« (Krotz 2012, S. 39).

    Die zweite Grundannahme beinhaltet streng genommen auch zwei Aussagen. Erstens findet Kommunikation immer in einem sozialen, wechselseitigen Verhältnis statt. Unter der Annahme, dass der Mensch Bewohner einer durch Kommunikation geschaffenen symbolischen Welt ist, ist er auch unmittelbar – sofern er an der menschlichen Gesellschaft und Kultur partizipieren will und als »menschlich« wahrgenommen werden möchte – an Kommunikation gebunden. Insofern steht der Mensch unabdingbar vor der »Notwendigkeit, Kommunikation zu lernen« (Krotz 2007, S. 52). Das Erlernen und Ausüben von Kommunikation als symbolisches Handeln findet somit immer in einer symbolisch vermittelten Welt statt und ist in dieser Weise ein wechselseitiger Prozess, der die Kommunikation formt sowie die symbolische Welt mitkonstruiert.

    Damit ist auch zweitens die Wandelbarkeit von Kommunikationsformen gegeben. Da es keinen Endpunkt einer symbolisch vermittelten Welt gibt, weil diese immer im Wechselverhältnis zum kommunikativen Handeln konstruiert wird, gibt es auch keinen Endpunkt von Kommunikation. Vielmehr differenziere sich der Mensch in seinen Kommunikationsformen immer weiter aus, da Kommunikation per se stets neue Formen der Kommunikation und neue Inhalte mit sich bringe (vgl. Krotz 2012, S. 46).

    Die dritte Grundannahme schreibt dem Wandel von Kommunikationsformen eine zentrale Bedeutung für den Wandel der Beziehung von Menschen, Kultur und Gesellschaft zu. Diese Annahme ist mehr eine Zusammenfassung der vorangegangenen zwei Grundannahmen und als Aufruf zu verstehen, das sich wandelnde Verhältnis von Kommunikation, Kultur und Gesellschaft zu untersuchen. Dafür schlägt Krotz eine Prozessperspektive vor, die nicht als abgeschlossen oder gegeben, sondern dynamisch aufgefasst werden sollte. Hiermit ist die Überleitung zum Metaprozess Mediatisierung gemacht.

    2. Mediatisierung als Metaprozess

    Die vierte Grundannahme definiert Mediatisierung als Metaprozess. Über den Begriff ›Prozess‹ hinaus bedeutet dies laut Krotz, dass es sich bei Mediatisierung gerade nicht um eine »räumlich und zeitlich umgrenzte Entwicklung mit einem klaren Anfangs- und Endpunkt« (Krotz 2007, S. 11) handele. Neben der räumlichen und zeitlichen Entgrenzung gebe es auch keine Begrenzung von sozialen und kulturellen Folgen (vgl. Krotz 2007, S. 12). Diese Langzeitentwicklung ist zwar abhängig von kulturellen Kontexten, aber weder monokausal noch linear erklärbar (vgl. Krotz 2017b, S. 27). Damit grenzt Krotz Mediatisierung dezidiert von zeitlich und räumlich begrenzten Ansätzen ab, welche versuchen gesellschaftliche Entwicklung monokausal zu erklären. Beispiele für derart gelagerte Ansätze sieht Krotz in den Konzepten der Netzwerk-, Informations- oder Wissens- und Mediengesellschaft (Krotz 2017a, S. 16; vgl. Krotz 2008a, S. 52).

    In der Rolle als Metaprozess steht Mediatisierung neben anderen Metaprozessen wie Globalisierung, Ökonomisierung und Individualisierung. Mediatisierung findet auch in Bezug zu diesen Metaprozessen seine Legitimation. Dies liegt daran, dass mediatisierte Kommunikation Treiber dieser Metaprozesse ist und diese unter einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive untersuchbar macht (vgl. Theunert und Schorb 2010, S. 246; Winter 2010, S. 281–282).

    Mit der fünften Grundannahme wird der Metaprozess Mediatisierung zeitlich »als bereits Jahrhunderte dauernde […]« (Krotz 2007, S. 12) Entwicklung beschrieben. Diese Entwicklung habe bereits mit der Mediatisierung durch die Schrift begonnen. Unter der bereits erwähnten Prämisse, dass Kommunikation immer in einem sozialen, wechselseitigen Verhältnis stattfindet, sind es Prozesse dieser Art, in denen der Wandel menschlicher Kommunikation und dessen Einfluss auf Mensch, Gesellschaft und Kultur untersuchbar wird.

    Die sechste Grundannahme formuliert die Leistung des Mediatisierungsansatzes. Unter Rückgriff auf den kontinuierlichen Wandel (und damit auch auf den Metaprozess) von Kommunikationsformen, alltäglichem Handeln, sozialen Beziehungen, Identität, Kultur und Gesellschaft sei es die Aufgabe der Mediatisierungsforschung, die Folgen des Wandelns zu erklären (»Warum?«) und zu begründen (»Wie?«; »Inwiefern?«).

    3. Mediatisierung als Wechselbeziehung

    Die siebte Grundannahme ist gleichzeitig die erste, die nicht mit dem symbolischen Handeln der Menschen oder dem Metaprozess argumentiert, sondern ausgehend von der Wechselseitigkeit von Kommunikation den Medienbegriff skizziert. In Abgrenzung zu den technikdeterministischen Ansätzen der Toronto-Schule von Harold Innis, Marshall McLuhan und Derrick de Kerckhove (vgl. Friesen et al. 2014) geht Krotzʼ Mediatisierungsansatz nicht von einer unidirektionalen Wirkung von medienvermittelter Kommunikation auf Menschen, Gesellschaft und Kultur aus, sondern von einer bidirektionalen »wechselseitig aufeinander bezogene[n] Kommunikation« (Krotz 2007, S. 12), in deren Folge sich erst eine Wirkung entfalte.

    Mit der achten Grundannahme beschreibt Krotz den zirkulären Prozess der Mediatisierung, der durch die wechselseitige Herausbildung von kommunikativer Medientechnologie einerseits sowie Mensch, Gesellschaft und Kultur andererseits neue Kommunikationsformen hervorbringt. Neue Kommunikationsformen bedingen neue und ausdifferenzierte Kommunikationsumgebungen und -praktiken, was in unterschiedliche Kommunikationszugänge mündet, welche wiederum neue Kommunikationsformen hervorbringen. Auch wenn sich Krotzʼ Mediatisierungsansatz dezidiert gegen das Konzept der Netzwerksgesellschaft ausspricht, formuliert er zumindest in diesem Zusammenhang einen Netzwerkbegriff, der jedoch weitgehend undefiniert bleibt. Das Netzwerk scheint für ihn in den ausdifferenzierten Kommunikationsformen zu liegen, welche über die unterschiedlichen Kommunikationsräume vermittelbar werden (vgl. Krotz 2007, S. 13).

    Mit der neunten Grundannahme differenziert Krotz schließlich drei Arten von medienvermittelter Kommunikation. Diese drei Arten sind jedoch für die vorliegende Arbeit uninteressant, da der Fokus der Arbeit medial repräsentiertes Wissen ist. Für medial repräsentiertes Wissen ist vor allem ein Medienbegriff erforderlich, der die Handlungsmöglichkeiten und -bedingungen des Mediums erfassen kann (vgl. Abschnitt 2.2.3, S. 34 ff. und 2.4, S. 44 ff.). Die Kategorisierung medienvermittelter Kommunikation tritt somit in den Hintergrund und wird an dieser Stelle nur der Vollständigkeit wegen skizziert.

    Die erste Art ist die interpersonale Kommunikation. Hierunter fallen Kommunikationsformen, die zwar weder zeitlich noch räumlich begrenzt sind, jedoch auf einer »gemeinsam definierte[n] Situation des Geschehen[s]« (Krotz 2008a, S. 50) der Beteiligten beruhen. Medientechniken dieser Kommunikationsformen sind beispielsweise der Brief oder das Telefon.

    Die zweite Art ist das, was Krotz »Kommunikation mit Medien« (Krotz 2008a, S. 50) nennt. Darunter fällt die Massenkommunikation, die Krotz jedoch nur als ein Aspekt von standardisierter und allgemein adressierter Kommunikation auffasst. Vermutlich – Krotz liefert hier keine weiteren Begründungen – ist der Begriff des Massenmediums zu sehr an einer Vorstellung von historischen Leitmedien (Zeitung und Fernsehen) gebunden, sodass er unter dem Metaprozess Mediatisierung schwer haltbar gewesen wäre.

    Die dritte Art medienvermittelter Kommunikation ist schließlich jene, die zwischen Mensch und »einem ›intelligenten‹ Hardware/‌Software-System« (Krotz 2007, S. 13) stattfindet. Diese Art der Kommunikation, die Krotz »Interaktive Kommunikation« nennt (Krotz 2007, S. 13) ist also ausschließlich auf computergestützte Kommunikation zurückzuführen.

    Bei dem weitgefassten Kommunikationsbegriff von Krotz sind diese drei Arten medienvermittelter Kommunikation mehr eine Orientierung als eine Aufzählung. Jedoch bleibt insbesondere bei der dritten Art unklar, inwieweit ein Kommunikationsbegriff, der sich vom Symbolischen Interaktionismus ableitet, auch auf Computer übertragbar ist. Krotz hatte ja Kommunikation gerade als soziales Verstehen definiert, welches auch über einen inneren Dialog (Selbst-)Bewusstsein hervorbringt. Dieses (Selbst-)Bewusstsein hatte Krotz ebenso als Fixpunkt wechselseitiger Kommunikation begriffen. Darauf aufbauend grenzte er sich auch von »automatisch zwingende[n] Reaktionen« (Krotz 2012, S. 38) in der Kommunikation zwischen Tieren (den Menschen ausgeklammert) ab und die Menschwerdung wurde somit vor allem als kommunikativer Vorgang ausgelegt (vgl. Krotz 2012, S. 52). An dieser Stelle bleibt aber unklar, inwieweit »Hardware/‌Software-Systeme« in der Lage sind, auf Grundlage eines durch Kommunikation gewonnenen eigenen Bewusstseins selbst symbolisch zu handeln. Wahrscheinlicher ist unter der Annahme eines anthropologischen Kommunikationsbegriffs, dass sie dies nicht vermögen und solche Systeme in eine andere Form menschlicher Kommunikation involviert sind (vgl. Abschnitt 2.3, S. 41 ff.).

    Die zehnte bis zwölfte Grundannahme lassen sich nicht mehr unter einen der drei Theoriediskurse fassen. Mit den letzten Grundannahmen formuliert Krotz eher aktuelle Ansatzpunkte für die Forschung als theoretische Sensibilisierungen.

    Die zehnte Grundannahme greift Mediatisierung zwar nicht als Metaprozess auf, sondern als Metaebene. Die Folgen der Mediatisierung sieht Krotz auf allen klassischen Ebenen: Mikro-, Meso- und Makroebene gegeben. Empirische Untersuchungen könnten und müssten diese Ebenen adressieren. Deutlich stellt Krotz dabei heraus, dass die Veränderungen auf der Mikroebene die Veränderungen auf Meso- und Makroebene bedingen, da das »soziale Handeln der Menschen [auf der Mikroebene] die Grundlage der Gesellschaft als manifesten Geschehens ist« (Krotz 2007, S. 45). Damit begreift Krotz Mediatisierung als ›bottom-up‹-Prozess, der also ›von unten‹ kommend Organisationen, Institutionen, Werte und Normen verändert.

    Mit der elften Grundannahme befasst Krotz sich schließlich mit

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