Renaturierung von Ökosystemen im Spannungsfeld von Mensch und Umwelt: Ein interdisziplinäres Fachbuch
Von Stefan Zerbe
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Renaturierung von Ökosystemen im Spannungsfeld von Mensch und Umwelt - Stefan Zerbe
Stefan Zerbe
Renaturierung von Ökosystemen im Spannungsfeld von Mensch und UmweltEin interdisziplinäres Fachbuch
../images/385600_1_De_BookFrontmatter_Figa_HTML.pngStefan Zerbe
Faculty of Science and Technology, Free University of Bozen-Bolzano, Bozen-Bolzano, Italien
ISBN 978-3-662-58649-5e-ISBN 978-3-662-58650-1
https://doi.org/10.1007/978-3-662-58650-1
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Meinen Kindern gewidmet
Vorwort
Im Jahr 2018 war der „globale Erdüberlastungstag" (Earth Overshoot Day) am 1. August. Das bedeutet, dass an diesem Tag bereits alle natürlichen, nachhaltig nutzbaren Ressourcen der Erde, die für ein ganzes Jahr reichen sollten, verbraucht waren (UBA 2018). Dieser Erdüberlastungstag ist im Vergleich zu 2016 um sieben Tage nach vorn gerückt, was auf einen zunehmenden, nichtnachhaltigen Ressourcenverbrauch hinweist. Man mag über diesen Ansatz, über die Datengrundlagen und über die Festlegung eines genauen Tages streiten. Was allerdings zu den unwiderlegbaren wissenschaftlichen Fakten gehört, ist die Übernutzung unserer natürlichen Ressourcen bzw. Naturkapitalien durch die Weltbevölkerung und die Konsequenzen, die sich hieraus für die Öko- bzw. Nutzungssysteme der Erde und die sozioökonomischen Bedingungen der Gesellschaften ergeben. Weltweit sind dies insbesondere der Verlust an biologischer Vielfalt, Klimawandel, Probleme der Wasserversorgung, nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ im Hinblick auf Eutrophierung und Verschmutzung des Wassers mit Schadstoffen, Verschmutzung der Meere, Bodenerosion von den Berglandschaften bis in das Tiefland, Bodenversalzung mit abnehmender landwirtschaftlicher Produktivität und Desertifikation in ariden und semiariden Gebieten – und all das bei Bevölkerungswachstum, steigendem Energiebedarf und Intensivierung der Landnutzung und damit steigendem Ressourcenverbrauch in stetig zunehmendem Maße.
Dass die erneuerbaren Naturressourcen nur in dem Maße verbraucht werden sollen, wie sie sich wieder regenerieren können, ist keine neue Erkenntnis, sondern wurde bereits in einigen indigenen menschlichen Populationen seit alters zur dauerhaften Sicherung der Überlebensfähigkeit praktiziert (Diamond 2011). Spätestens mit dem Buch Die Grenzen des Wachstums machte aber der Club of Rome (Meadows et al. 1972) eindringlich darauf aufmerksam, dass bestimmte natürliche Ressourcen nicht regenerierbar und deshalb endlich sind. Bereits vor ca. 20 Jahren wies Daily (1995) darauf hin, dass ca. 45 % der Landoberfläche eine reduzierte Kapazität für die Landnutzung hatten, d. h. mehr oder weniger stark anthropogen degradiert waren. Sie macht hierfür eine nichtnachhaltige Landbewirtschaftung verantwortlich. Diese fortschreitende Degradation wird auch gegenwärtig für viele Landnutzungstypen ökologisch und ökonomisch quantifiziert, wie in diesem Buch dargestellt wird.
Die aktuelle Diskussion über das „Insektensterben (z. B. NEFO 2017) etwa macht deutlich, dass die angestrebten Ziele des Natur- bzw. Umweltschutzes in Mitteleuropa trotz jahrzehntelanger gesellschaftspolitischer und praktischer Bemühungen sowie der gegenwärtigen natur- und umweltschutzrechtlichen Rahmenbedingungen vielfach kaum erreicht sind. Auch wenn man den aufgeregten Begrifflichkeiten wie „Waldsterben
(in den 1980er und 1990er Jahren) und „Insektensterben nicht folgen möchte, kommt man nicht umhin, sich mit den Fakten der damit verbundenen Umweltprobleme zu beschäftigen und nach Lösungsansätzen zu suchen. Abgesehen von den tatsächlich lokal aufgrund hoher Schadstoffimmissionen abgestorbenen Waldbeständen (z. B. in den Hochlagen des Erzgebirges) hat die Diskussion um das „Waldsterben
ebenfalls ganz entscheidende Impulse für die Waldökosystemforschung in Mitteleuropa gegeben und zu einer beträchtlichen Erweiterung der Kenntnisse über die Funktionen und Leistungen unserer Waldökosysteme geführt. Auch das „Insektensterben lässt sich nicht nur als emotionaler „Hype
abtun. Die Studie von Hallmann et al. (2017), die in den vergangenen 27 Jahren für verschiedene Lebensraumtypen einen Rückgang der Biomasse fliegender Insekten um ca. 75 % feststellt, ist nur eine von vielen wissenschaftlichen Untersuchungen, die qualitativ und quantitativ den steten Artenrückgang bzw. Biodiversitätsverlust weltweit dokumentieren und damit eindringlich auf den Verlust wichtiger Ökosystemleistungen hinweisen.
Damit stellt sich einerseits die Frage, wie wir zukünftig die natürlichen Ressourcen nachhaltiger nutzen, und andererseits, wie wir die bereits verbrauchten Ressourcen bzw. Naturkapitalien wiederherstellen können. Die Renaturierung von Ökosystemen, wissenschaftlich untermauert durch die Renaturierungsökologie, bietet hierzu eine der möglichen Antworten. Während die praktische Renaturierung bereits so alt ist wie die sesshaft gewordenen menschlichen Gesellschaften, hat sich die Renaturierungsökologie erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Teildisziplin der Ökologie international etabliert und rasch weiterentwickelt. Mittlerweile blickt dieser Zweig der Ökologie auf mehrere Jahrzehnte Forschung zurück und kann heute für die Praxis von Landnutzung, Landschaftsmanagement und Naturschutz einen umfangreichen und wertvollen Kenntnisstand liefern. Wie in dem vorliegenden Buch dargelegt wird, mangelt es weder an Daten und Fakten zum Zustand vieler Öko- bzw. Nutzungssysteme Mitteleuropas noch an Konzepten und Werkzeugen, diesen zu ermitteln und daraus für die Praxis Handlungsempfehlungen abzuleiten. Dennoch sind wir vielfach noch weit davon entfernt, die gesteckten Ziele einer Wiederherstellung funktionstüchtiger Ökosysteme sowie einer nachhaltigen Landnutzung mit den Konzepten und Maßnahmen der Ökosystemrenaturierung in den gesetzten Zeiträumen zu erreichen. Wenn Ökosysteme gar „renaturiert werden, indem Pestizide gespritzt, Vegetation abgebrannt oder Boden und Vegetation komplett abgetragen und entsorgt werden, so möchte man mitunter diese Ökosysteme vor den „Ökosystemrenaturierern
schützen.
Das vorliegende Fachbuch wird in einem Einführungsteil die Grundlagen der Renaturierungsökologie darstellen. Begründungen und Motivationen für die Renaturierung sowie Referenzsysteme werden erläutert. Maßnahmen der Ökosystemrenaturierung werden in einem ersten Überblick vorgestellt, um diese dann am Beispiel der vielfältigen Ökosystem- und Nutzungstypen Mitteleuropas näher zu spezifizieren. Dabei werden die Ökosystem- bzw. Nutzungstypen ökologisch kurz vorgestellt, deren Ökosystemleistungen hervorgehoben, der Renaturierungsbedarf erläutert und die bisher gewonnenen Kenntnisse und Erfahrungen einer Renaturierung aus Forschung und Praxis dargestellt. Ein kurzer Abriss der Nutzungsgeschichte naturnaher Ökosysteme bzw. der Entstehungsgeschichte kulturbedingter Nutzungssysteme ist hierbei unabdingbar für die Ableitung von Renaturierungszielen bzw. die Identifizierung von Referenzsystemen für eine Renaturierung. Dies folgt der Prämisse, dass man nur mit Kenntnis der historischen Entwicklungsprozesse den gegenwärtigen Zustand verstehen und hieraus Handlungsempfehlungen für die zukünftige Landnutzung ableiten kann.
Die praktische Ökosystemrenaturierung basiert zwar wesentlich auf den Konzepten und Kenntnissen der Ökologie, kann aber nur erfolgreich sein, wenn sie in einen inter- bzw. transdisziplinären Kontext eingebunden wird. So spielen sowohl umweltökonomische Erwägungen und Bewertungen eine tragende Rolle wie auch umweltethische, soziologische, anthropologische und religiöse Aspekte, was im sozial- bzw. humanwissenschaftlichen Teil dieses Fachbuches behandelt wird. Das Vordringen eines Naturwissenschaftlers in humanwissenschaftliche Disziplinen ist ein Wagnis. Der Experte der jeweiligen humanwissenschaftlichen Disziplin mag über Begriffe, Argumentationslinien und einen Mangel an Gründlichkeit in seiner jeweiligen Disziplin stolpern. Dennoch soll gerade dieser interdisziplinäre Brückenschlag zu weiterführenden Diskussionen und einer Intensivierung des Diskurses der Natur- mit den Humanwissenschaften, insbesondere zur Lösung von Umweltproblemen und zur Entwicklung von Strategien im Umgang mit dem globalen Wandel (global change), anregen. Mit dem Überschreiten seiner Disziplin, um hierdurch Kausalitäten im Hinblick auf Umweltprobleme zu untersuchen und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, betritt der Wissenschaftler das Feld einer transdisziplinären Wissenschaft (Kap. 22 ). In diesem Sinne folgt dieses Fachbuch einem transdisziplinären Ansatz.
Der geografische Fokus dieses Fachbuches liegt auf Mitteleuropa, einschließlich der Alpen, im Wesentlichen mit den Ländern Deutschland, Österreich, Polen, Schweiz, Slowakei und Tschechien. So werden für diesen geografischen Raum die wichtigsten mitteleuropäischen Ökosystem- bzw. Landnutzungstypen besprochen. Wälder, Flüsse einschließlich ihrer Auen, Seen, Moore und alpine Grasländer als natürliche bzw. naturnahe Ökosysteme werden hierbei ebenso wie die anthropogenen Landnutzungstypen Grünland, Heiden, Äcker, Agroforstsysteme, Abbaugruben und Siedlungsflächen berücksichtigt. Dennoch würde ein umfassender Einblick in die Renaturierungsökologie und praktische Ökosystemrenaturierung zu kurz greifen, wenn Konzepte und Erfahrungen aus anderen Regionen Europas bzw. der Erde vernachlässigt würden. Beispielsweise wären Ausführungen zur Renaturierung von Salzgrasland unvollständig ohne die zahlreichen Untersuchungen und Erfahrungen aus England. Ähnliches gilt beispielsweise auch für die umfangreichen Forschungen und Praxiserfahrungen zur Renaturierung von Heiden aus England, Skandinavien und den Niederlanden. So wird mit der Berücksichtigung von Literatur auch außerhalb Mitteleuropas versucht, ein umfassendes, aktuelles Bild der Renaturierungsökologie bzw. Ökosystemrenaturierung zu zeichnen.
Die zahlreichen Literaturzitate mögen dem Lesefluss mitunter etwas hinderlich sein, doch sind sie notwendig, um sicherzustellen, dass viele Daten und Fakten, die für die Renaturierung von Ökosystemen von Relevanz sind, bereits umfassend durch entsprechende wissenschaftliche Forschungen erarbeitet worden sind. Zudem sollen diese Hinweise dem Leser ermöglichen, weitergehende Recherchen zu bestimmten Sachverhalten vorzunehmen, auch vor dem Hintergrund, dass Daten und Fakten unterschiedlich interpretiert werden können. In den einzelnen Kapiteln werden Schlüsselbegriffe fett hervorgehoben. Zu den jeweiligen Ökosystem- bzw. Landnutzungstypen werden Fallbeispiele aus der praktischen Renaturierung dargestellt. Die Fallbeispiele spiegeln hierbei eine erfolgreiche Renaturierung wider, sollen ggf. aber auch auf Probleme der praktischen Ökosystemrenaturierung hinweisen. Zweifelsohne hat die Auswahl der Fallbeispiele auch einen subjektiven Charakter, jedoch folgt diese in der Regel den Kriterien einer umfassend vorliegenden Dokumentation des Renaturierungsprozesses von der Planung über die Umsetzung bis hin zur Erfolgskontrolle , einschließlich sozioökonomischer Aspekte, wie beispielsweise Kosten und Akzeptanz . Zahlreiche der hier vorgestellten Fallbeispiele können auch als Beispiele der guten fachlichen Praxis (Best Practice) gelten.
Das vorliegende Buch entstand in wesentlichen Teilen während eines Sabbatjahres, welches mir die Freie Universität Bozen (Südtirol, Italien) großzügig gewährte. Im Verlauf dieses Jahres wurde ich während meiner Studienreisen von verschiedenen Gastgebern herzlich aufgenommen, denen mein Dank gilt, namentlich (in zeitlicher Reihenfolge) Familie Peria auf der italienischen Insel Elba, Prof. Dr. Ana Bozena Sabogal Dunin Borkowski De Alegria an der Pontificia Universidad Católica del Perú (PUCP) in Lima (Peru), David Unger in Cobán (Guatemala), Luz Marina Delgado in San Marcos (Guatemala), Prof. Dr. Victoriano Ramón Vallejo Calzada an der Universitat de Barcelona und am Centro de Estudios Ambientales del Mediterráneo (CEAM) in Valencia (Spanien) und Prof. Dr. Ingo Kowarik an der Technischen Universität Berlin. Während dieser Zeit haben mich Diskussionen und Gespräche mit zahlreichen Personen bzw. Fachkollegen inspiriert, denen ebenso mein Dank gilt.
Für die kritische Durchsicht und inhaltliche Anregungen zu den einzelnen Kapiteln danke ich (in alphabetischer Reihenfolge) Prof. Dr. Christian Ammer (Universität Göttingen) zu Kap. 7 , Dr. Arthur Brande (TU Berlin) zu Kap. 8 , Dr. Ralf Döring (Institut für Seefischerei am Johann Heinrich von Thünen-Institut) zu Kap. 13 , Prof. em. Dr. Ulrich Hampicke (Universität Greifswald) zu Kap. 17 und 23 , Dr. Michael Hupfer (Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, Berlin) zu Kap. 11 , Prof. Dr. Jochen Kantelhardt (Universität für Bodenkultur, Wien) zu Kap. 23 , Prof. Dr. Ingo Kowarik (TU Berlin) zu Kap. 5 und 19 , Prof. Dr. Volker Lüderitz (Hochschule Magdeburg-Stendal) zu Kap. 10 , Prof. Dr. Christoph Leuschner (Universität Göttingen) zu Kap. 7 , Prof. Dr. Konrad Ott (Universität Kiel) zu Kap. 24 , Dr. Markus Salomon (Sachverständigenrat für Umweltfragen, Deutschland) zu Kap. 13 , Prof. Dr. Jutta Zeitz (Humboldt Universität Berlin) zu Kap. 8 und Dr. Wiebke Züghardt (Bundesamt für Naturschutz) zu Kap. 6 .
Des Weiteren danke ich für wertvolle Hinweise und Anregungen zu einzelnen Themengebieten (ebenso in alphabetischer Reihenfolge) Dr. Albin Blaschka (Höhere Bundeslehr- und Forschungsanstalt Raumberg-Gumpenstein), Prof. Dr. Dietmar Brandes (Universität Braunschweig), Prof. Dr. Eckhard Jedicke (Hochschule Geisenheim), Prof. Dr. Vera Luthardt (Hochschule für Nachhaltige Entwicklung, Eberswalde), LFD Uwe Schölmerich (Regionalforstamt Rhein-Sieg-Erft), Heike Seehofer (Regierungspräsidium Stuttgart), Dr. Elisabeth Tauber (Freie Universität Bozen), Dr. Werner Westhus (Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie) sowie Prof. Dr. Dorothy Louise Zinn (Freie Universität Bozen).
Für die interessanten Begehungen von Fallbeispielen zur Ökosystemrenaturierung vor Ort danke ich Jörg Fürstenow (Heinz Sielmann Stiftung) in der Döberitzer Heide, Werner Schubert und Bettina Gräf (Biologische Station Hochsauerland) zu Bergheiden im Sauerland, Jürg Bunje (Niedersächsischer Nationalpark Wattenmeer) und Dr. Holger Freund (Universität Oldenburg) auf der Nordsee-Insel Langeoog, Gregor Eßer (Rheinisch-Westfälische-Energiewerke) zur Renaturierung von Braunkohletagebau- Landschaften im Rheinland und Dr. Hanna Köstler (Büro Dr. Köstler) zum Schöneberger Südgelände, Berlin.
Für die Unterstützung bei der Erstellung von Abbildungen danke ich Dr. Luigimaria Borruso, Dr. Barbara Plagg und Dr. Andrea Polo.
Dr. André Terwei (Bundesanstalt für Gewässerkunde, Koblenz) sei herzlich gedankt für seinen professionellen und scharfen Blick beim Korrekturlesen des Buchmanuskripts.
Und schließlich danke ich dem Springer-Verlag und seinen Mitarbeiterinnen für die professionelle Druckvorbereitung des Buches und die stets angenehme Kooperation und Kommunikation.
Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwende ich in diesem Buch überwiegend das generische Maskulinum. Dies impliziert immer beide Formen, schließt also die weibliche Form mit ein.
Stefan Zerbe
Bozen
im Juni 2019
The more clearly we can focus our attention on the wonders and realities of the universe about us, the less taste we shall have for destruction.
(Rachel Carson, April 1952)
Inhaltsverzeichnis
I Allgemeine Grundlagen
1 Einführung in die Renaturierungsökologie 3
1.1 Ökosystemrenaturierung und Renaturierungsökologie in historischer Perspektive 8
1.2 Ökologische Grundbegriffe und Schlüsselkonzepte als Basis für die Ökosystemrenaturierung 11
1.2.1 Arten und Populationen 12
1.2.2 Ökosysteme und Landschaften 17
1.3 Ökosystemleistungen 23
1.4 Degradation von Ökosystemen 25
1.5 Was bedeutet Ökosystemrenaturierung? Vorschlag einer Definition 25
1.6 Skalenebenen der Ökosystemrenaturierung 30
1.7 Gemeinsamkeiten und Abgrenzung der Ökosystemrenaturierung in Bezug auf die Praxis anderer Fachrichtungen 31
2 Welcher Lebensraum soll wiederhergestellt werden? Referenzökosysteme für die Renaturierung 33
2.1 Ursprüngliche bzw. historische Referenz 36
2.2 Referenzökosysteme der aktuellen Kulturlandschaft 37
2.3 Potenzieller bzw. hypothetischer Referenzzustand 41
3 Maßnahmen der Ökosystemrenaturierung 43
3.1 Nichtstun (passive Renaturierung) 44
3.2 Aufhalten bzw. Zurückdrängung der natürlichen Sukzession 45
3.3 Entzug bzw. Reduktion von Nährstoffen aus Boden und Wasser 46
3.3.1 Terrestrische Standorte, Feuchtgebiete und Moore 47
3.3.2 Stillgewässer 49
3.4 Entzug von Schadstoffen durch Bioremediation 50
3.5 Veränderung des Wasserhaushalts, Wiedervernässung und hydromorphologische Eingriffe 52
3.6 Erosionssicherung und Wiederbegrünung 53
3.7 Diasporeneintrag und Wiedereinführen von Zielarten 53
3.8 Inokulation mit Mykorrhiza-Pilzen 54
3.9 Zurückdrängung unerwünschter Arten durch Pestizide 54
3.10 Kalkung versauerter Ökosysteme 54
3.11 Düngung 55
3.12 Fazit 55
4 Wiedereinführung von Pflanzen- und Tierarten 59
4.1 Wiedereinführung von Pflanzenarten 60
4.2 Wiederansiedlung von Tierarten 66
4.3 Fallbeispiel: Wiedereinführung des Braunbären im Trentino, Norditalien (EU-Projekt LIFE Ursus) 73
5 Zum Umgang mit nichteinheimischen Arten in der Ökosystemrenaturierung 77
5.1 Sind nichteinheimische Arten problematisch? 79
5.2 Nichteinheimische Arten in der Ökosystemrenaturierung 81
5.3 Handlungsempfehlungen für den Umgang mit nichteinheimischen Arten in der Ökosystemrenaturierung 82
5.4 Mit Vernunft und Sachlichkeit für das Fremde: Zum Einsatz nichteinheimischer Arten bei der Ökosystemrenaturierung 86
6 Monitoring und Erfolgskontrolle 89
6.1 Grundlageninformationen und Empfehlungen für ein ökologisches Monitoring 92
6.2 Wann ist ein Renaturierungsprojekt erfolgreich? 93
6.3 Ökologische bzw. naturschutzfachliche Parameter für ein Monitoring und die Erfolgskontrolle 97
6.4 Fallbeispiele und Best Practice 103
II Renaturierung spezifischer Ökosysteme bzw. Nutzungstypen in Mitteleuropa mit den Alpen
7 Wälder 107
7.1 Waldentwicklung in Mitteleuropa unter dem Einfluss des Menschen: Vom Naturwald zur intensiven Holzproduktion 111
7.2 Vegetation und Ökologie mitteleuropäischer Wälder 115
7.3 Ökosystemleistungen von Wäldern 120
7.4 Degradation von Wäldern und Renaturierungsbedarf 127
7.5 Nationale und internationale Rahmenbedingungen und Renaturierungsziele 131
7.6 Das Konzept der differenzierten Waldnutzung 132
7.7 Erfassung der Naturnähe von Wäldern 133
7.8 Nutzung natürlicher Prozesse für die Renaturierung von Wäldern und Waldstandorten 134
7.8.1 Regeneration von anthropogen degradierten Oberböden und atmogener Stickstoffeintrag 134
7.8.2 Natürliche Verjüngung von Zielbaumarten in Nadelholzforsten 136
7.8.3 Zur Bedeutung kurzlebiger Baumarten bei der Waldrenaturierung 137
7.9 Renaturierung von Feuchtwäldern 139
7.10 Renaturierung von Waldlandschaften 141
7.11 Erhalt und Wiederbelebung traditioneller Waldnutzungsformen 141
7.12 Fallbeispiel: Neuer Wald und neue Waldlandschaften nach Braunkohleabbau im Rheinland – Rekultivierung im Südrevier 145
8 Moore 151
8.1 Vom natürlichen zum degradierten Moor: Zur Geschichte der Moornutzung in Mitteleuropa 153
8.2 Ökologie und Typisierung von Mooren 156
8.3 Ökosystemleistungen von Mooren 162
8.4 Degradationsstufen von Mooren 168
8.5 Regionale, nationale und internationale Moorschutzbestrebungen 168
8.6 Vorbereitung der Renaturierung und Renaturierungsziele 169
8.7 Renaturierungsmaßnahmen 170
8.7.1 Wiedervernässung 170
8.7.2 Flachabtorfung 172
8.7.3 Einbringen von Zielarten und Ammenpflanzen 173
8.7.4 Phosphordynamik und Nährstoffentzug 174
8.8 Schutz durch Nutzung – integrativer Moorschutz 175
8.8.1 Röhrichte als Nutzpflanzen auf Mooren 176
8.8.2 Forstwirtschaft auf Niedermooren 177
8.9 Monitoring und Erfolgskontrolle 177
8.10 Fallbeispiel: Das Dosenmoor in Schleswig-Holstein 179
9 Subalpines und alpines Grasland 183
9.1 Die Alpen als Lebens- und Wirtschaftsraum 184
9.2 Ökologische Standortbedingungen des Hochgebirges 186
9.3 Alpenkonvention zum Schutz und zur nachhaltigen Entwicklung des Alpenraumes 190
9.4 Besondere Herausforderungen der Renaturierung von Hochgebirgsstandorten 191
9.5 Renaturierungsziele für die Hochlagen der Alpen 195
9.6 Renaturierungsmaßnahmen in den subalpinen und alpinen Hochlagen 195
9.6.1 Zurückdrängung der Gehölzsukzession 195
9.6.2 Wiederbegrünung von Skipisten und beschädigten Weideflächen 196
9.6.3 Nährstoffentzug nach Eutrophierung 202
9.6.4 Wiedereinführung bestimmter Tier- und Pflanzenarten 202
9.7 Vermeiden von Eingriffen in den Hochlagen der Alpen 203
9.8 Fallbeispiel: Wiederherstellung der alpinen Kulturlandschaft durch Almwirtschaft in der Steiermark 203
10 Fließgewässer 209
10.1 Ökologie von Fließgewässern und deren Auen 211
10.2 Nutzungsgeschichte und Degradation von Fließgewässern 215
10.3 Ökosystemleistungen von Fließgewässern 219
10.4 Ökologische Zustandsbewertung von Fließgewässern 222
10.5 Internationale Initiativen zur Renaturierung von Fließgewässern 224
10.6 Maßnahmen zur Fließgewässerrenaturierung 225
10.6.1 Eingriffe in die Flussmorphologie 225
10.6.2 Verbesserung der physikalisch-chemischen Wasserbedingungen 228
10.6.3 Wiedereinführung von fließgewässerspezifischen Arten 228
10.6.4 Entfernen von Pflanzenarten 229
10.7 Erfolgskontrolle 230
10.8 Fallbeispiel Elbaue bei Lenzen: Natürliche Dynamik in einer vom Fluss geprägten Kulturlandschaft 230
11 Natürliche und anthropogene Stillgewässer 235
11.1 Vielfalt der Seen in Mitteleuropa 237
11.2 Ökologie von Stillgewässern 240
11.2.1 Schichtung, Zonierung und Sediment 240
11.2.2 Flora und Vegetation 241
11.3 Anthropogene Beeinträchtigungen von Seen 242
11.3.1 Nähr- und Schadstoffbelastung 242
11.3.2 Temperaturanstieg in Seen 246
11.3.3 Verbau von Seeufern 246
11.3.4 Nichteinheimische Arten in Seen 246
11.4 Ökologische Zustandsbewertung von Seen 247
11.5 Ökosystemleistungen von Seen 249
11.5.1 Lebensraum für Arten und Biozönosen 249
11.5.2 Fischerei 250
11.5.3 Selbstreinigung des Wassers 250
11.5.4 Seen als Kohlenstoffspeicher 250
11.5.5 Lebensqualität und Gesundheit 251
11.5.6 Seen als Archive für Landschaftsentwicklung und Umweltveränderungen 251
11.6 Renaturierungsmaßnahmen in Seen und an deren Ufern 251
11.6.1 Renaturierung des Seeufers 251
11.6.2 Eingriffe in das Seesediment 254
11.6.3 Eingriffe in den Wasserkörper bzw. in die Wasserchemie 255
11.6.4 Biomanipulation als künstlicher Eingriff in das Nahrungsnetz von Seen 257
11.6.5 Biologisches Seemanagement mit der Zebramuschel 259
11.6.6 Ernte der submersen und schwimmenden Makrophyten zur „Aushagerung" 260
11.7 Abschließende Bewertung der Verfahren 260
11.8 Fallbeispiel: Der Tegeler See in Berlin als urbanes Gewässer 261
12 Von Salz beeinflusste Ökosysteme und Nutzungstypen 265
12.1 Salzwiesen der Küsten 266
12.1.1 Standortökologie und Vegetation salzgeprägter Küstenlebensräume 267
12.1.2 Ökosystemleistungen von Küstensalzwiesen 269
12.1.3 Nutzungsgeschichte und Veränderungen der Küstensalzwiesen 272
12.1.4 Politische Rahmenbedingungen zum Schutz und zur Renaturierung der Küstenlebensräume in Mittel- und Westeuropa 275
12.1.5 Maßnahmen zur Wiederherstellung von Salzwiesen 279
12.1.6 Fallbeispiel: Renaturierung von Salzwiesen im Nationalpark Wattenmeer auf der Nordseeinsel Langeoog 283
12.2 Salzstandorte des Binnenlandes 288
12.2.1 Vorkommen, Ökologie und naturschutzfachliche Bedeutung primärer Binnensalzstellen Mitteleuropas 288
12.2.2 Sekundäre Binnensalzstellen 290
12.2.3 Nutzungsgeschichte, Degradation und Gefährdung von Binnensalzstellen 291
12.2.4 Renaturierungsmaßnahmen auf Binnensalzstellen 292
12.2.5 Fallbeispiel: Binnensalzstelle Altensalzwedel in Sachsen-Anhalt – erste Erfolge einer Renaturierung 294
13 Marine Lebensräume in Nord- und Ostsee 297
13.1 Meeresökosysteme Nord- und Ostsee 299
13.1.1 Nordsee 299
13.1.2 Ostsee 300
13.2 Belastungen der Meeresökosysteme Nord- und Ostsee 301
13.3 Bedeutung der Meere für den Menschen 307
13.4 Internationale Schutzbestrebungen 309
13.5 Ein übergreifendes Konzept für die Wiederherstellung mariner Ökosystemleistungen? 311
13.6 Maßnahmen der Renaturierung im marinen Bereich 312
13.6.1 Beeinflussung der biotischen Ökosystemkompartimente 312
13.6.2 Beeinflussung der abiotischen Bedingungen 314
14 Heiden im Tief- und Bergland 315
14.1 Vegetationsformation Heide und ihre Verbreitung in Europa 316
14.2 Entstehung und Nutzungsgeschichte der Heiden 316
14.3 Ökologie und Dynamik von Heiden 319
14.3.1 Klima, Boden, Vegetation und Fauna 319
14.3.2 Entwicklungsphasen von Calluna -Heiden 325
14.4 Renaturierungsbedarf 325
14.5 Renaturierungsmaßnahmen 328
14.5.1 Renaturierung und Management von Sandheiden des Tieflands 328
14.5.2 Renaturierung von Feuchtheiden des Tieflandes 333
14.5.3 Renaturierung von Küstenheiden 334
14.6 Probleme für die Renaturierung und das Management von Heiden 334
14.7 Fallbeispiel: Landnutzung und Naturschutz im Spannungsfeld von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – Wiederherstellung von Bergheiden im Hochsauerland 336
15 Wiesen und Weiden mesophiler, feuchter und kalkhaltiger Standorte 341
15.1 Geschichte des Grünlandes in Mitteleuropa 343
15.2 Ökologie des Grünlandes 346
15.3 Degradation des Grünlandes 353
15.4 Ökosystemleistungen extensiv genutzten, artenreichen Grünlandes 356
15.5 Initiativen und Förderprogramme zur Renaturierung artenreichen Grünlandes 358
15.6 Maßnahmen zur Wiederherstellung von Ökosystemleistungen des Grünlandes 360
15.6.1 Wiederherstellung von Grünland nach einer Zwischennutzung 360
15.6.2 Offenhaltung bzw. Pflegemanagement durch Mahd, Beweidung und Entbuschung 363
15.6.3 Oberbodenabtrag und -inversion 365
15.6.4 Aushagerung 365
15.6.5 Wiedervernässung zur Renaturierung von Feuchtgrünland und Flutrasen 366
15.6.6 Wiedereinbringung von Zielarten und Diasporentransfer 367
15.6.7 Inokulation mit Mykorrhiza-Pilzen 371
15.7 Fallbeispiel: Grünlandrenaturierung im Biosphärenreservat Rhön – eine Initiative zur Landschafts- und Regionalentwicklung 371
16 Sandmager- bzw. Sandtrockenrasen der Küsten und des Binnenlandes 375
16.1 Vorkommen und historische Entwicklung von Sandstandorten in Mitteleuropa 376
16.1.1 Küstendünen 376
16.1.2 Sandökosysteme des Binnenlandes 378
16.2 Ökologie und Dynamik von Sandmager- bzw. Sandtrockenrasen 379
16.3 Bedeutung für den Arten-, Biotop- und Kulturlandschaftsschutz und Renaturierungsbedarf 382
16.4 Renaturierungsstrategien und -maßnahmen für offene Sandlebensräume 386
16.4.1 Beweidung 386
16.4.2 Oberbodenabtrag und -inversion 387
16.4.3 Auftrag von nährstoffarmem Tiefensand 388
16.4.4 Aushagerung 388
16.4.5 Manueller und maschineller Diasporentransfer 388
16.4.6 Zulassen von Dynamik 389
16.5 Fallbeispiel: Der ehemalige Truppenübungsplatz Döberitz – Megaherbivoren und Schafe anstelle von Militärpanzern 389
17 Äcker 393
17.1 Geschichte: Vom Blütenmeer zum Hochleistungsacker 394
17.2 Flora, Fauna und Vegetation von Äckern 397
17.3 Naturschutz- und Renaturierungsstrategien: Artenreiche Schutzäcker und Randstreifen 399
17.4 Fallbeispiel: Extensivierung als Renaturierung von artenreichen Äckern in NO-Deutschland 403
18 Traditionelle Agroforstsysteme 407
18.1 Streuobstwiesen 408
18.1.1 Nutzungsgeschichte und heutiger Bestand 408
18.1.2 Bedeutung für Naturschutz und den Menschen 409
18.1.3 Förderstrategien und Renaturierung 411
18.1.4 Fallbeispiel: Europa fördert den Vogelschutz in Streuobstwiesen Baden-Württembergs 412
18.2 Lärchenwiesen und -weiden in den Alpen 413
18.2.1 Bestand und Nutzung 413
18.2.2 Ökosystemleistungen: Artenvielfalt und Kohlenstoffspeicher 414
18.2.3 Förderung eines Kulturlandschaftselements 415
18.3 Baumwiesen in Skandinavien und dem Baltikum 416
19 Städtische Ökosysteme 417
19.1 Besonderheiten urbaner Ökosysteme 420
19.2 Städtische Umwelt und menschliche Gesundheit 426
19.3 Motivation und nationale bzw. internationale Impulse für die Renaturierung von Stadtnatur 430
19.4 Renaturierung und Renaturierungsmaßnahmen auf urbanen Standorten 432
19.5 Neue Ansätze grüner Stadtentwicklung und der Wiederherstellung von Stadtnatur 434
19.6 Internationale Perspektive einer nachhaltigen Stadtentwicklung 435
19.7 Fallbeispiel: Wildnis in der Innenstadt – das Schöneberger Südgelände in Berlin 437
20 Berg- bzw. Tagebaustandorte und Deponien 441
20.1 Standortsökologische Besonderheiten von Abbaustellen und Bergbaufolgeflächen 443
20.1.1 Flächengröße 443
20.1.2 Geomorphologie 444
20.1.3 Geologie und Böden 444
20.1.4 Wasserhaushalt und Wasserqualität 445
20.1.5 Flora, Fauna und Vegetation 446
20.2 Planerische und rechtliche Grundlagen zur Renaturierung von Abbaustellen 447
20.3 Passive und aktive Ökosystemrenaturierung auf Abbauflächen 449
20.4 Renaturierung von Bergbauhalden und Haldenabdeckung 455
20.5 Renaturierung von Mülldeponien 457
20.6 Fallbeispiel: Kreidebrüche auf Rügen – anthropogene Vielfalt an Arten und Lebensräumen 459
III Renaturierung im Spannungsfeld von Mensch und Umwelt: Sozial- bzw. humanwissenschaftliche Aspekte
21 Gründe und Motivationen für eine Ökosystemrenaturierung 465
21.1 Umweltwissenschaftliche Fakten zur Begründung einer Renaturierung von Ökosystemen 466
21.2 Degradation und Ökosystemleistungen: Kosten und Nutzen als Begründung für die Renaturierung 467
21.3 Rechtliche Verpflichtungen und internationale Vereinbarungen 468
21.3.1 Nationale Vorgaben 468
21.3.2 Internationale Konventionen und Vereinbarungen 469
21.4 Umweltethische, religiöse und emotionale Begründungen und Motivationen 470
22 Akteure und ihre Rolle in der Ökosystemrenaturierung: Konfliktlösung und Akzeptanz durch Partizipation 473
22.1 Akteursanalyse 474
22.2 Akteure im Naturschutz und der Ökosystemrenaturierung 476
22.3 Mangelnde Akzeptanz als limitierender Faktor der Ökosystemrenaturierung 477
22.3.1 Wiedereinführung von Großräubern 479
22.3.2 Ablehnung von natürlichen Prozessen 482
22.3.3 Akzeptanz durch Information 483
22.4 Wissenschaft und Praxis ziehen am gleichen Strang: Transdisziplinäre Forschung 484
23 Ökonomische Aspekte der Renaturierung: Kosten und Nutzen 489
23.1 Methoden zur Erfassung von Kosten und Nutzen der Ökosystemrenaturierung 491
23.1.1 Marktpreis- und kostenbasierte Methoden 491
23.1.2 Methoden zur ökonomischen Bewertung von Nichtmarktgütern 492
23.1.3 Habitat- oder Ressourcen-Äquivalenz-Analyse 493
23.1.4 Ergebnisübertragung (benefit transfer) 493
23.2 Opportunitätskosten 494
23.3 Umfassende Kosten-Nutzen-Analyse: Von der Degradation zur Renaturierung 494
23.4 Welche Faktoren beeinflussen die Renaturierungskosten? 495
23.5 Finanzierungsquellen für die Renaturierung 496
23.6 Kosten und Nutzen der Ökosystemrenaturierung mit Beispielen aus Europa 499
23.6.1 Grünlandrenaturierung: Einbringen von Zielarten 499
23.6.2 Heiderenaturierung und -management in Nordwestdeutschland 499
23.6.3 Beweidung zur Renaturierung und zum Management von Offenland 502
23.6.4 Ökosystemrenaturierung zum Klimaschutz 505
23.6.5 Wild- und Honigbienen als Bestäuber in der Landwirtschaft 506
23.7 Erst rechnen, dann handeln 507
24 Normen und Werte in der Ökosystemrenaturierung 509
24.1 Umweltethik und Implikationen für die Ökosystemrenaturierung 511
24.1.1 Natur als Fälschung? Kritik aus der Umweltethik an der Ökosystemrenaturierung 514
24.2 Renaturierung im Dienste einer starken Nachhaltigkeit 516
24.3 Traditionelles ökologisches Wissen 517
24.4 Umweltanthropologie 518
24.5 Ökosystemrenaturierung als tätige Verantwortung für die Schöpfung 520
24.6 Renaturierungsmaßnahmen auf dem ethischen Prüfstand 521
24.6.1 Einsatz von Pestiziden in der Ökosystemrenaturierung 522
24.6.2 Kontrolliertes Brennen zum Erhalt von Offenland 523
24.6.3 Oberbodenabtrag 525
24.7 Nichteinheimische Organismen und Fremdenfeindlichkeit 528
IV Synthese
25 Zusammenfassende Überlegungen und Ausblick 531
25.1 Limitierende Faktoren für die Ökosystemrenaturierung 532
25.2 Langfristig degradieren und kurzfristig regenerieren? 534
25.3 Ökosystemrenaturierung gegen die Eutrophierung der terrestrischen und aquatischen Lebensräume – eine Sisyphusarbeit? 536
25.4 Grenzen der Planbarkeit, Unsicherheiten und Unvorhergesehenes – mehr Dynamik zulassen 538
25.5 Ökosystemrenaturierung im Lichte aktueller Trends 539
25.6 Ökosystemrenaturierung um jeden Preis? 539
25.7 Wissen, Wissenstransfer und gesellschaftspolitische Entscheidungen 540
25.8 Fazit 541
Serviceteil
Verzeichnis der Arten 544
Literatur 568
Stichwortverzeichnis 723
Über den Autor
../images/385600_1_De_BookFrontmatter_Figb_HTML.jpgStefan Zerbe
Stefan Zerbe, Professor für Umwelt und Angewandte Botanik an der Freien Universität Bozen in Südtirol (Italien)
Stefan Zerbe hat an den Universitäten Würzburg und Stuttgart-Hohenheim Biologie mit dem Schwerpunkt Ökologie studiert. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Würzburg und der Technischen Universität Berlin, wo er 1992 zum Dr. rer. nat. promoviert hat. Am Institut für Ökologie der TU Berlin forschte und lehrte er bis 2005. 1998 wurde er im Fach Botanik habilitiert. Nach einer Gastprofessur für Biologie/Botanik an der TU Berlin wechselte er auf den Lehrstuhl für Geobotanik und Landschaftsökologie an die Universität Greifswald, wo er das Institut für Botanik und Landschaftsökologie als Geschäftsführender Direktor leitete. 2006 folgte er einem Direktruf an die Freie Universität Bozen in Südtirol auf die Professur Umwelt und Angewandte Botanik.
Stefan Zerbe gründete und leitete zwei internationale Masterstudiengänge: Landscape Ecology and Nature Conservation (LENC) an der Universität Greifswald und Environmental Management of Mountain Areas (EMMA) an der Freien Universität Bozen. Aus zahlreichen regionalen wie auch internationalen und interdisziplinären Forschungsprojekten und Kooperationen auf nationaler wie internationaler Ebene sind über 250 wissenschaftliche Publikationen, Buchbeiträge und Monografien entstanden. Neben vielfältigen anderen Interessen und Themenbereichen in Forschung und Lehre beschäftigt sich Stefan Zerbe bereits seit seiner Doktorarbeit über die Vegetation von Fichtenmonokulturen und deren Umwandlung zu Laubmischwäldern mithilfe natürlicher ökologischer Prozesse mit der Renaturierung von Ökosystemen. Hierbei bilden Grundlagenforschung und praktische Aspekte der Ökosystemrenaturierung einen Fokus. Das vorliegende Fachbuch ist deshalb sowohl eine Synthese des aktuellen Wissensstands in interdisziplinärer Perspektive als auch eine Reflexion der eigenen Forschungsarbeiten im Hinblick auf eine nachhaltige Landnutzung und Ressourceneffizienz.
Teil IAllgemeine Grundlagen
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1 Einführung in die Renaturierungsökologie 3
Kapitel 2 Welcher Lebensraum soll wiederhergestellt werden? Referenzökosysteme für die Renaturierung 33
Kapitel 3 Maßnahmen der Ökosystemrenaturierung 43
Kapitel 4 Wiedereinführung von Pflanzen- und Tierarten 59
Kapitel 5 Zum Umgang mit nichteinheimischen Arten in der Ökosystemrenaturierung 77
Kapitel 6 Monitoring und Erfolgskontrolle 89
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019
Stefan ZerbeRenaturierung von Ökosystemen im Spannungsfeld von Mensch und Umwelthttps://doi.org/10.1007/978-3-662-58650-1_1
1. Einführung in die Renaturierungsökologie
Stefan Zerbe¹
(1)
Faculty of Science and Technology, Free University of Bozen-Bolzano, Bozen-Bolzano, Italien
Stefan Zerbe
Email: Stefan.Zerbe@unibz.it
1.1 Ökosystemrenaturierung und Renaturierungsökologie in historischer Perspektive
1.2 Ökologische Grundbegriffe und Schlüsselkonzepte als Basis für die Ökosystemrenaturierung
1.3 Ökosystemleistungen
1.4 Degradation von Ökosystemen
1.5 Was bedeutet Ökosystemrenaturierung? Vorschlag einer Definition
1.6 Skalenebenen der Ökosystemrenaturierung
1.7 Gemeinsamkeiten und Abgrenzung der Ökosystemrenaturierung in Bezug auf die Praxis anderer Fachrichtungen
Die Renaturierung von Ökosystemen wurde in den vergangenen Jahrzehnten weltweit zunehmend zu einer Herausforderung – mit dem Ziel, dem Verlust an Ökosystem(dienst)leistungen entgegenzuwirken sowie die natürlichen Ressourcen bzw. das Naturkapital (natural capital) auf lokaler, regionaler und globaler Ebene wiederherzustellen (Aronson et al. 2007; Jackson und Hobbs 2009; Zerbe et al. 2009). Hierzu liegen umfassende wissenschaftliche Grundlagen und viele Jahrzehnte Praxis der Ökosystemrenaturierung vor. Die Renaturierungsökologie, als Teildisziplin der Ökologie bzw. Landschaftsökologie, hat hierzu einen erheblichen Beitrag geleistet (vgl. Übersicht über Lehr- und Fachbücher in Tab. 1.1). Es besteht heute allerdings auch Konsens darüber, dass ein Ökosystem bzw. Nutzungstyp mit dessen spezifischen Ökosystemleistungen nur dann erfolgreich renaturiert werden kann, wenn nicht nur ökologischen Grundlagen und Prinzipien gefolgt wird, sondern die Ökosystemrenaturierung auch in einen sozioökonomischen Kontext eingebettet ist (Cairns und Heckman 1996; Higgs 1997; Gobster und Hull 2000; Throop 2000; Diggelen et al. 2001; Aronson et al. 2007; Egan et al. 2011; Squires 2016). Die Praxis der Ökosystemrenaturierung liegt damit im Spannungsfeld von zahlreichen anderen wissenschaftlichen Disziplinen und deren Implikationen für die Praxis (Abb. 1.1). So benötigt eine Wiederherstellung von funktionsfähigen Ökosystemen mit deren Leistungen auf einem ehemaligen Industriestandort im Stadtgebiet, insbesondere bei Einsatz aufwendiger Maßnahmen, eine Kostenkalkulation ebenso wie die Integration von betroffenen Akteuren und Entscheidungsträgern. Die Renaturierungsökologie wird transdisziplinär, wenn sie sich zur Lösung komplexer Umweltprobleme beispielsweise der Konzepte, Denkweisen und Methoden aus den Human- bzw. Sozialwissenschaften bedient (vgl. Mittelstrass 2011; Bernstein 2015; zu Mode 1 der Transdisziplinarität vgl. Scholz 2011; Scholz und Steiner 2015a; Abschn. 22.4) bzw. „über traditionelle Systemgrenzen hinausgeht" (Rentz 2004, S. 150).
Tab. 1.1
Auswahl an thematisch und geografisch übergreifenden Lehr- und Fachbüchern der Renaturierungsökologie bzw. Ökosystemrenaturierung seit 1980, chronologisch nach Erscheinungsjahr geordnet
../images/385600_1_De_1_Chapter/385600_1_De_1_Fig1_HTML.pngAbb. 1.1
Die Praxis der Ökosystemrenaturierung im interdisziplinären Kontext, wissenschaftlich begleitet durch die Natur- und Sozial-/Humanwissenschaften sowie praktische Beiträge aus der angewandten Forschung verschiedener Disziplinen. Das dargestellte Übergreifen der Naturwissenschaften in die Sozial- bzw. Humanwissenschaften soll den transdisziplinären Charakter insbesondere der Renaturierungsökologie hervorheben
Als eine der wichtigsten Triebfedern bzw. Rechtfertigungen für eine Renaturierung von Ökosystemen gelten der Verlust und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt auf der Ebene der Arten (einschließlich der genetischen Vielfalt), der Lebensräume sowie der Landschaften. Dies wird in Übersichtsstudien immer wieder herausgestellt, so z. B. für Heiden (Abb. 1.2) und für Moore (Bonnett et al. 2009). Zweifelsohne ist der Verlust der Biodiversität ein globales Problem, auf das von wissenschaftlicher und naturschutzfachlicher Seite seit Jahrzehnten eindringlich hingewiesen wird (z. B. Ehrlich 1994; Tilman et al. 1994; Pimm et al. 1995; Sala et al. 2000; Barthlott et al. 2009; Cardinale et al. 2012; Hooper et al. 2012) und in vielen Ländern der Erde, spätestens seit der Umweltkonferenz von Rio de Janeiro im Jahr 1992, in umweltpolitische Strategien und Handlungen umgesetzt wird. Dennoch greift die Schwerpunktsetzung der Ökosystemrenaturierung auf den Erhalt und die Wiederherstellung der Biodiversität zu kurz, wenn nicht umfassend die gesamten Ökosystemleistungen (Abschn. 1.3) qualitativ und quantitativ miteinbezogen und vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit (Kap. 24) bewertet werden.
../images/385600_1_De_1_Chapter/385600_1_De_1_Fig2_HTML.pngAbb. 1.2
Wissenschaftliche Publikationen im Zeitraum 1900–2011 über Heiden mit einem Fokus auf Biodiversität, Naturschutz und Renaturierung.
(Nach Fagúndez 2013)
Zunächst werden in diesem Kapitel wichtige Grundlagen der Renaturierungsökologie dargestellt, die für das Verständnis dieses Fachbuches unabdingbar sind. Es wird ein kurzer historischer Abriss der Ökosystemrenaturierung und Renaturierungsökologie gegeben. Ökologische Grundbegriffe bzw. Schlüsselkonzepte werden erläutert, die für die Praxis der Ökosystemrenaturierung die wissenschaftlichen Grundlagen liefern. Hierbei wird insbesondere auch auf das Konzept der Ökosystemleistungen (z. T. auch als Ökosystemdienstleistungen bezeichnet) eingegangen und der Begriff „Degradation" erörtert. Aus dem gegenwärtigen Stand des Wissens wird eine neue Definition der Ökosystemrenaturierung abgeleitet. Abschließend werden in diesem Kapitel die unterschiedlichen Skalenebenen der Ökosystemrenaturierung umrissen.
In Teil I dieses Fachbuches liegt der Fokus auf ökologischen bzw. naturwissenschaftlichen Befunden, und in Teil II wird ein Brückenschlag zu den human- bzw. sozialwissenschaftlichen Disziplinen mit deren Implikationen für die Ökosystemrenaturierung vorgenommen.
1.1 Ökosystemrenaturierung und Renaturierungsökologie in historischer Perspektive
Die Renaturierung von Ökosystemen ist so alt und gebräuchlich wie der landwirtschaftlich tätige Mensch, reicht also prinzipiell bis ins Neolithikum zurück, denn nichts anderes als eine Art der Renaturierung ist die Brache auf landwirtschaftlichen Kulturflächen, auf denen sich die abiotischen Ressourcen regenerieren. Wie der kurze historische Abriss der Geschichte des Ackerbaus in Kap. 17 zeigt, fand die Brache in der traditionellen Dreifelderwirtschaft erst dann ein Ende, als mineralischer Dünger eingeführt wurde und dieser höhere landwirtschaftliche Erträge durch eine kontinuierliche Nährstoffzufuhr möglich machte.
Eines der großflächigsten und umfassendsten Renaturierungsprojekte in Mitteleuropa überhaupt waren vor ca. 200 Jahren die Aufforstungen des durch Übernutzung entstandenen Offenlandes mit Nadelgehölzen. Beweidung, Rodung, Streunutzung und andere die natürlichen abiotischen und biotischen Ressourcen auszehrende Nutzungen hatten zu einem großflächigen Verlust der Wälder und damit der Ressource Holz geführt. Wälder waren in vielen Regionen weitestgehend abgeholzt, und Heiden und mageres Grünland bedeckten große Teile Mitteleuropas. Die Aufforstungen v. a. mit Kiefer im Tiefland und Fichte im Mittelgebirge, insbesondere seit Ende des 18. Jahrhunderts, stellten auch den Beginn einer geregelten Forstwirtschaft (Kap. 7) und des Nachhaltigkeitsgedankens dar (Kap. 24).
Noch ohne die theoretischen Grundlagen der modernen Renaturierungsökologie, wurden bereits seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts gezielt genutzte und degradierte Standorte renaturiert. So entstand beispielsweise der im Stil des Neobarock errichtete Körnerpark in Neukölln (Berlin) in den Jahren 1912 bis 1916 als eine Maßnahme der Rekultivierung auf dem Gelände einer ehemaligen Kiesgrube. Welch hohe Bedeutung diese Parkanlage heute mit Blick auf die Ökosystemleistungen in einem der am dichtesten besiedelten Bezirke Berlins hat (Statistischer Bericht 2016 für Neukölln: 14.295 Einwohner pro km²), erschließt sich dem Besucher leicht durch das Miteinander von Mensch und Natur an einem Sommertag (Abb. 1.3).
../images/385600_1_De_1_Chapter/385600_1_De_1_Fig3_HTML.pngAbb. 1.3
Der Körnerpark in Berlin-Neukölln, Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Rekultivierung einer ehemaligen Kiesgrube hervorgegangen. (S. Zerbe, August 2017)
Mehrere Jahrzehnte Erfahrungen der Renaturierung liegen insbesondere für Flüsse, Moore, Seen und die großflächigen Braunkohletagebau-Folgelandschaften vor. Aus all den unterschiedlichen Erfahrungen in den verschiedenen Ökosystemen bzw. Landnutzungstypen heraus hat sich die Renaturierungsökologie konzeptionell und methodisch entwickelt. Als international richtungsweisend für die Entwicklung der Renaturierungsökologie werden die Aktivitäten zur Wiederherstellung der charakteristischen Prärien in Nordamerika seit den 1930er Jahren angesehen. Als eine der ersten Initiativen wird hierbei die Renaturierung der Curtis Prairie des Arboretums der University of Wisconsin–Madison genannt (Sperry 1983; Cottam 1987; Wegener et al. 2008), auch wenn dies kein wissenschaftlich dokumentiertes, renaturierungsökologisches Experiment war (Anderson 2009) und mittlerweile eher den Charakter eines Gründungsmythos der Renaturierungsökologie hat (Jordan III und Lubick 2011, S. 75). Mit Blick auf Mitteleuropa beginnen in diesem Zeitraum auch hier erste gezielte Renaturierungsversuche auf wissenschaftlicher Grundlage. Sieht man von ersten Initiativen vor 1920 ab, so begannen ausgedehntere Rekultivierungsmaßnahmen mit Aufforstungen im Rheinischen Braunkohlerevier in den Jahren 1920 bis 1945 (Schölmerich 2013). Heute sind diese, z. T. sehr naturnahen Wälder, die interessante Experimentalflächen der Waldrenaturierung darstellen, bereits über 80 Jahre alt (Kap. 7). Hinzu kommen ökologische Untersuchungen auf Abraumhalden des Bergbaus. In den 1960er Jahren wurden beispielsweise von Bornkamm (1985) vegetationsökologische Dauerbeobachtungsflächen auf Aufschüttungsmaterial des Braunkohletagebaus angelegt, um die natürliche Besiedlung im Verlauf einer passiven Renaturierung zu untersuchen.
Konzeptionell bereits gut in den Naturwissenschaften (z. B. Biologie, Ökologie, Hydrologie) verankert, wurden z. B. in Schweden (Björk 2014) seit den 1960er Jahren Projekte der Seenrenaturierung durchgeführt. Auch die Renaturierung von Mooren und Fließgewässern kann auf eine langjährige Praxiserfahrung zurückblicken (z. B. Brülisauer und Klötzli 1998; Succow und Joosten 2001; Jürging 2006). Seit den 1990er Jahren bringt die Forstwirtschaft in vielen deutschen Bundesländern mit naturschutzfachlich und ökologisch begründeten Waldbauprogrammen den Waldumbau und damit die Renaturierung von Wäldern voran. Abgesehen von diesen naturnahen Ökosystemen liegt heute ein Fokus einerseits auf traditionellen Nutzungssystemen der Kulturlandschaft, wie z. B. Wiesen, Weiden, Trockenrasen und Heiden, und andererseits auf stark gestörten Landschaften wie Abbaustellen (z. B. Braunkohle), Truppenübungsplätzen und urban-industriellen Standorten. Neben einer Vielzahl von lokalen und kleinflächigen, häufig leider nur unzureichend wissenschaftlich dokumentierten Renaturierungsprojekten haben insbesondere auch groß angelegte Renaturierungsvorhaben Impulse für die Entwicklung der Renaturierungsökologie gegeben. Viele der vom Bund geförderten Naturschutzgroßprojekte mit einer Gesamtfläche aller bisher geförderten Projekte von ca. 3700 km² (Abb. 1.4) sehen beispielsweise eine Renaturierung von Lebensräumen vor (Doerpinghaus und Bruker 2016).
../images/385600_1_De_1_Chapter/385600_1_De_1_Fig4_HTML.pngAbb. 1.4
Abgeschlossene und laufende Naturschutzgroßprojekte in Deutschland (Stand: 1. Juli 2016); viele dieser Projekte haben auch eine Wiederherstellung von Lebensräumen zum Ziel.
(Aus Doerpinghaus und Bruker 2016)
Ähnlich wie dies Jordan III und Lubick (2011) mit einem Fokus auf Nordamerika vornehmen, wäre es sicherlich ebenfalls lohnend, die Geschichte der Renaturierungsökologie und der Ökosystemrenaturierung in Mitteleuropa umfassend aufzubereiten, auch mit Blick auf die Wechselwirkungen der Natur- und Humanwissenschaften sowie die interdisziplinären Impulse, die sich aus diesem Zusammenspiel der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen ergeben.
Für die Entwicklung der Renaturierungsökologie als Teildisziplin der Ökologie muss als internationaler Meilenstein die Gründung der Society for Ecological Restoration (SER) im Jahr 1987 gelten. Die Gesellschaft umfasst Vertreter aus Wissenschaft und Praxis und bietet mit regelmäßigen internationalen Konferenzen eine Plattform des Informationsaustauschs. Zudem gibt die SER einen Newsletter heraus, der über aktuelle Aktivitäten in Forschung, Lehre und der Renaturierungspraxis informiert (www.ser.org). Im Vergleich zu diesen internationalen Aktivitäten wurde erst 1997 innerhalb der Gesellschaft für Ökologie (GfÖ) ein Arbeitskreis Renaturierungsökologie gegründet, welcher 2016 zum AK Naturschutz und Renaturierungsökologie vereint worden ist.
Neben der wissenschaftlichen Zeitschrift Restoration Ecology, die von der SER herausgegeben wird, widmen sich auch andere internationale wissenschaftliche Zeitschriften dem Schwerpunkt Renaturierungsökologie bzw. Ökosystemrenaturierung, so z. B. Environmental Management, Ecological Restoration, Ecological Engineering, Land Degradation and Development, Landscape and Ecological Engineering, Restoration & Management Notes und Ecological Management & Restoration. Eine Vielzahl englisch- und deutschsprachiger Zeitschriften für Wissenschaft und Praxis, u. a. in den Disziplinen Ökologie, Tierökologie, Vegetationsökologie, Landschaftsökologie, Ingenieurbiologie, Land- und Forstwissenschaft sowie Umweltwissenschaften, berichtet zunehmend über Projekte und Experimente der Ökosystemrenaturierung im weitesten Sinne (vgl. Ormerod 2003; Fagúndez 2013). Seit den 1980er Jahren werden kontinuierlich umfassende Lehr- und Fachbücher mit unterschiedlichen thematischen und geografischen Schwerpunkten herausgegeben (Tab. 1.1).
Über praktische Renaturierungsprojekte informieren auch die finanziellen Träger der Projekte (Kap. 23), etwa die Europäische Union, Naturschutzverbände, Stiftungen (z. B. Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Umweltstiftung Michael Otto, Michael Succow Stiftung, Deutsche Wildtier Stiftung, Stiftungen im Stifterverband) oder die nationalen Ämter für Natur- und Umweltschutz. Zudem finden sich Hinweise auf Renaturierungsprojekte in den Kommunen bzw. auf deren Webseiten. Ein Problem für die Renaturierungsökologie, insbesondere im Hinblick auf die kritische Analyse der vielen praktischen Erfahrungen und deren Auswertung für zukünftige Renaturierungsvorhaben, ist, dass Informationen häufig nur schwer zugänglich in der grauen Literatur niedergelegt sind. Zudem wird im Gegensatz zu, zumindest kurzzeitig erfolgreichen Renaturierungsprojekten, oft nicht ausreichend oder überhaupt nicht über die Misserfolge berichtet, was es erschwert, hieraus zu lernen und die Ansätze, Methoden und Maßnahmen der Renaturierung von Ökosystemen konsequent weiterzuentwickeln.
Im Rahmen der Studiengänge Biologie, Ökologie, Landschaftsökologie, Umwelt- bzw. Ressourcenmanagement, Umweltingenieurwesen, Agrar- und Forstwissenschaft, Ingenieurökologie, Umweltplanung etc. werden heute auf der Ebene von Bachelor oder Master an vielen Universitäten und Fachhochschulen Europas Kurse bzw. Module zur Renaturierungsökologie oder Ökosystemrenaturierung angeboten. Studiengänge, die ausschließlich auf die Renaturierung von Ökosystemen ausgerichtet sind, ggf. mit einem speziellen Fokus (z. B. Feuchtgebiete), sind in Europa bisher vergleichsweise selten (Tab. 1.2). Dagegen kann man an außereuropäischen Universitäten Ökosystemrenaturierung z. B. an der Simon Fraser University in Burnaby, B.C., in Kanada und am Defiance College und Paul Smith’s College, an der Montana State University, der State University of New York, der Texas University sowie der University of Florida in den Vereinigten Staaten von Amerika studieren (SER 2017 mit Stand 2016).
Tab. 1.2
Beispiele von Studienprogrammen (Masterprogramm (MSc) oder Weiterbildung) mit einem Fokus auf Ökosystemrenaturierung bzw. Renaturierungsökologie in Europa. D = Deutschland, E = Spanien, NL = Niederlande, PL = Polen, UK = Großbritannien
1.2 Ökologische Grundbegriffe und Schlüsselkonzepte als Basis für die Ökosystemrenaturierung
Als Teildisziplin der Ökologie baut die Renaturierungsökologie auf deren wissenschaftlicher Terminologie sowie den ökologischen Grundlagen bzw. Schlüsselkonzepten auf. Zahlreiche dieser Schlüsselkonzepte finden in der praktischen Ökosystemrenaturierung ihre Anwendung (Tab. 1.4). Vielfach werden ökologische Hypothesen im Rahmen von Renaturierungsprojekten in einem Versuch-und-Irrtum-Verfahren (trial and error) verifiziert oder falsifiziert. Bradshaw (1987, S. 23) hat dies treffend mit den Worten „ecosystem restoration is an acid test for ecology ausgedrückt. Auch wenn bei der Notwendigkeit eines raschen Handels (z. B. starke Ausbreitung unerwünschter Arten) oder neuartigen Ausgangsbedingungen (z. B. aufgelassener Industriestandort) und damit einem Mangel an wissenschaftlichen Grundlagenuntersuchungen die Ökosystemrenaturierung nach Diggelen et al. (2001, S. 115) eher „Kunst
als Wissenschaft ist, so hat die Renaturierungsökologie in den vergangenen Jahrzehnten einen umfassenden Wissensstand erreicht, der sich gewinnbringend in die Renaturierungspraxis einbringen lässt.
Im Folgenden werden einige wichtige Grundbegriffe bzw. ökologische Schlüsselkonzepte kurz umrissen, wobei zwischen der Populations- bzw. Artebene sowie der Ökosystem- bzw. Landschaftsebene unterschieden wird, auch wenn dies nicht immer konsequent möglich ist. Für weitergehendes Studium sei auf die zahlreich vorliegenden ökologischen Lehrbücher (z. B. Chapman und Reiss 1999; Odum und Barrett 2004; Begon et al. 2005; Schulze et al. 2005; Smith und Smith 2009; Loreau 2010; Chapin et al. 2011; Nentwig et al. 2012; Frey und Lösch 2014; Leuschner und Ellenberg 2017a, b) und die entsprechenden Kapitel dieses Buches verwiesen, in denen der konkrete Bezug zur Ökosystemrenaturierung hergestellt wird (Teil II).
1.2.1 Arten und Populationen
Artenpool
Die Artenzahl in einem bestimmten räumlichen Ausschnitt (z. B. eines Waldökosystems) wird durch die verfügbaren Arten auf der nächsthöheren räumlichen Ebene (Waldlandschaft, biogeografische Region) bestimmt (Zobel 1997; Zobel et al. 1998; Herben 2000; Lepš 2001; Abb. 1.5). Der Artenpool eines geografischen Raumes ist nicht statisch, sondern dynamisch. Diese Dynamik wird heute im Wesentlichen durch den Menschen beeinflusst, d. h., es können Arten aufgrund des Nutzungseinflusses und der Veränderungen von Lebensräumen aus dem Artenpool verschwinden (zur globalen Situation vgl. IUCN 2016), oder die anthropogene Einführung von nichteinheimischen Arten (Neobiota; Kowarik 2010) vergrößert den Artenpool, wie z. B. in Städten (Kap. 5 und 19). Durch die Wiedereinführung von Arten kann sowohl der lokale (z. B. Wiedereinführung von Grünlandarten auf einer Mähwiese) wie auch der regionale Artenpool (z. B. Wiedereinführung von Großräubern) verändert werden (Kap. 4).
../images/385600_1_De_1_Chapter/385600_1_De_1_Fig5_HTML.pngAbb. 1.5
Der Artenpool auf verschiedenen räumlichen Skalenebenen und eine mögliche Beeinflussung durch die Wiedereinführung von Arten.
(Nach Zobel 1997)
Metapopulation
Nach dem Modell der Metapopulation sind Populationen einer Art in deren Areal räumlich als Teilpopulationen getrennt (Hanski und Gaggiotti 2004). Bei diesem System von Populationen ergibt sich aufgrund des Aussterbens einer lokalen Teilpopulation und deren Neubegründung durch Immigration ein ständiger Wandel der räumlichen Verbreitung einer Art innerhalb des potenziellen Siedlungsgebiets (Nentwig et al. 2012). Der Individuenaustausch (Genfluss) in diesem System von Populationen trägt auch dazu bei, dass die Teilpopulationen genetisch nicht verarmen. Verschiedene Modelle gehen von verschieden großen Teilpopulationen aus, so z. B. das Modell der Inselbiogeografie von einer großen sowie verschiedenen kleinen Teilpopulationen (MacArthur und Wilson 1967) oder das von verschiedenen, ähnlich großen Teilpopulationen (Levins 1969). Kenntnisse über Populationsbiologie und -ökologie einer Art sowie Populationsdynamik, Ausbreitungsvektoren und Habitatansprüche sind einerseits für das Verständnis dieser Metapopulationen und andererseits für die Ableitung von Zielen und Maßnahmen zum Arten- und Biotopschutz unabdingbar. Die Ökosystemrenaturierung hat häufig zum Ziel, insbesondere in einer nutzungsbedingt stark fragmentierten Landschaft mit deren (oft isolierten) Restbeständen an naturschutzfachlich wertvollen Biotopen, durch eine Wiederherstellung der entsprechenden abiotischen Standortbedingungen Teilpopulationen zu stabilisieren oder den lokal-regionalen Artenpool durch eine Wiedereinführung von Individuen aufzufüllen (Biere et al. 2012; Van Wieren 2012). Entsprechendes Management, z. B. im Rahmen eines funktionellen Biotopverbunds, soll den Individuenaustausch zwischen den Teilpopulationen fördern. Weitere Implikationen des Metapopulationsmodells für die Ökosystemrenaturierung werden von Maschinski (2006) erörtert.
Diasporen und Diasporenbank
Als Diasporen werden die Ausbreitungseinheiten von Pflanzen bezeichnet. Diese umfassen Früchte bzw. Samen der Gefäßpflanzen und Sporen der Kryptogamen (Moose, Pilze, Flechten). Die Diasporen bilden im Boden eine Diasporenbank, die in Abhängigkeit von den abiotischen Umweltbedingungen und vom Vegetations- bzw. Nutzungstyp kurz- (wenige Jahre) bis langlebig (viele Jahrzehnte) sein kann. Die Diasporenbank mitteleuropäischer Vegetations- bzw. Nutzungstypen ist vergleichsweise gut untersucht (z. B. Schmid und Stöcklin 1991; Thompson et al. 1997; Bonn und Poschlod 1998; Wäldchen et al. 2005; Baskin und Baskin 2014; Murphy 2016), sodass die praktische Ökosystemrenaturierung diese theoretischen Grundlagen nutzen kann. Das Vorhandensein einer Diasporenbank mit den entsprechenden Zielarten, die Verarmung an Diasporen im Boden durch eine intensive Nutzung oder gar der vollständige Verlust z. B. nach einem Oberbodenabtrag gehören mit zu den wichtigsten Faktoren, die bei einer Renaturierung zu berücksichtigen sind. Trotz der sehr guten theoretischen Grundlagen empfiehlt sich häufig eine Analyse der aktuellen, lokalen Diasporenbank, um hieraus die Notwendigkeit der künstlichen Einbringung von Arten im Rahmen einer Renaturierung ableiten zu können. Solche Untersuchungen, die die keimfähigen Diasporen qualitativ und quantitativ ermitteln, sind allerdings meist zeitaufwendig (z. B. Skowronek et al. 2013).
Ausbreitungstypen der Pflanzen
Die Ausbreitung von pflanzlichen Diasporen erfolgt artspezifisch und wird in Ausbreitungstypen differenziert (Müller-Schneider 1986; Frank und Klotz 1990; Bonn und Poschlod 1998). In Abhängigkeit vom Ausbreitungsvektor unterscheidet man Zoochorie (durch Tiere mit Endo- und Exozoochorie), Anemochorie (Wind), Hydrochorie (Wasser) und Hemerochorie (durch den Menschen). Hinzu kommt die Autochorie, bei der die Pflanze durch entsprechende Mechanismen selbst für die Entfernung der Diasporen von der Mutterpflanze sorgt wie z. B. beim Springkraut (Impatiens spec.). Die Ausbreitungstypen können noch feiner differenziert werden, wobei dieselbe Art auch verschiedene Strategien verfolgen kann. Die Ausbreitung der Arten spielt bei der Wiederherstellung von Lebensräumen durch Renaturierung eine oft entscheidende Rolle. Da eine langsame natürliche Ausbreitung von Arten (im Wald beispielsweise durch Ameisen) häufig einen limitierenden Faktor bei einer Renaturierung darstellt, werden die Zielarten oft direkt (z. B. durch Einsaat, Aufbringung von Mahdgut bzw. Heu oder durch Pflanzung) oder indirekt (z. B. über Weidetiere) gezielt in die zu renaturierende Fläche eingebracht.
Safe site
Der Mikrostandort, der einem Pflanzensamen unter den gegebenen abiotischen und biotischen Standortbedingungen (s. unten) die sichere Keimung und Keimlingsentwicklung gewährt, wird als safe site (Kratochwil und Schwabe 2001: „Schutzstellen") bezeichnet (Harper et al. 1961). Urbanska (2000) hat gerade auch mit Blick auf renaturierungsökologische Fragestellungen das Konzept erweitert auf vegetative Ausbreitungseinheiten. Zudem kann ein und derselbe Mikrostandort eine Schutzstelle für Diasporen mehrerer Arten darstellen. Insbesondere beim Einbringen von Zielarten über Diasporen muss bei der Renaturierungsfläche sichergestellt sein, dass die entsprechenden safe sites vorhanden sind, etwa durch eine Wiedervernässung (z. B. Feuchtwiese) oder Bodenverwundung durch Beweidung (z. B. Heide oder Magerrasen).
Lebensformen
Raunkiaer (1934) hat die Pflanzen nach der Lage der Überdauerungsknospen während der ungünstigen Jahreszeit differenziert in die Lebensformen Phanerophyten (Bäume und Sträucher), Chamaephyten (Zwergsträucher), Hemikryptophyten („Erdschürfepflanzen"), Kryptophyten (Pflanzen mit Überdauerungsorganen wie Knollen, Zwiebeln oder Rhizomen im Boden oder unter Wasser) und Therophyten (als Same überdauernd). Kratochwil und Schwabe (2001) verstehen heute unter einer Lebensform den gesamten Komplex von artspezifischen Eigenschaften, die in Anpassung an die besonderen physiografischen Bedingungen (z. B. Relief, Klima, Licht) eines bestimmten Lebensraumes entstanden sind. Kennzeichnend sind hierbei morphologische und physiologische Merkmale, die das Überleben einer Art in einem bestimmten Lebensraum ermöglichen. Das System der Lebensformen ist mittlerweile sehr viel differenzierter (z. B. Ellenberg und Mueller-Dombois 1967; Frey und Lösch 2014) und findet auch in der Tierökologie Anwendung, welche die Lebensformentypen nach Ernährungs- und Fortbewegungsweise sowie dem Aufenthaltsort differenziert (Koepcke 1973, 1974; Kratochwil und Schwabe 2001). Ellenberg und Leuschner (2010) heben hervor, dass der Anteil der Bäume im mitteleuropäischen Lebensformenspektrum mit 1,8 % sehr gering ist, dagegen 45 % von den Hemikryptophyten gestellt werden (Tab. 1.3). Angaben zu den Lebensformen der mitteleuropäischen Pflanzenarten finden sich in der Liste der Zeigerwerte von Ellenberg et al. (1992).
Tab. 1.3
Lebensformenspektrum von ca. 2880 Gefäßpflanzen Mitteleuropas. (Nach Ellenberg und Leuschner 2010)
Strategietypen
Pflanzen und Tiere haben bestimmte Strategien entwickelt, um auf die abiotischen und biotischen Standorteigenschaften zu reagieren und damit ihre Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen bzw. zu optimieren. Diese Strategien werden in Strategietypen differenziert. Ausgehend von einer einfachen Differenzierung in r- und K-Strategen hat Grime (1974, 1979) mit Blick auf Störungen und das Ressourcenangebot in Ökosystemen drei Strategietypen eingeführt:
Konkurrenz-Strategen(competitors): Meist langlebige, konkurrenzstarke Arten
Stresstoleranz-Strategen(stress tolerators): Meist langsames Wachstum auf Extremstandorten mit schwer verfügbaren Ressourcen
Ruderal-Strategen(ruderals): Kurzlebige, meist krautige Arten, die einen raschen Zuwachs haben, v. a. in die generative Produktion investieren (hohe Samenzahlen) und an häufige Störungen angepasst sind
In diesem System der Strategietypen gibt es vielfältige Übergänge zwischen den drei Typen (Frank und Klotz 1990). Strategietypen stellen funktionelle Gruppen (s. unten) dar, die z. B. bei der Auswahl von Zielarten in einem bestimmten Lebensraum und dessen Management Berücksichtigung finden.
Funktionelle Gruppen
Insbesondere in der Biodiversitätsforschung haben in den vergangenen Jahren funktionelle Gruppen zunehmend an Bedeutung gewonnen. Diese umfassen Pflanzen (plant functional types), Tiere oder Mikroorganismen, die sich in einer oder mehreren morphologischen, physiologischen bzw. phänologischen Eigenschaften bzw. Merkmalen (functional traits) innerhalb des Ökosystems gleichen und damit zu Gruppen zusammengefasst werden können (vgl. Poschlod et al. 2003; Violle et al. 2007). Beispiele für solche Merkmale bei Pflanzen sind Lebens- (s. oben) bzw. Wuchsformen, Blattfläche, Eigenschaften der Samen (z. B. Gewicht, Größe), Ausbreitungstyp (s. oben) sowie vegetative bzw. generative Reproduktion. Die Vielfalt an funktionellen Gruppen wird beispielsweise im Hinblick auf Stabilität und Resilienz (s. unten) der Ökosysteme diskutiert (z. B. Eisenhauer et al. 2011; Byun et al. 2013; Fry et al. 2013). Mit Blick auf funktionelle Gruppen können Ökosystemprozesse und insbesondere die Auswirkungen anthropogener Einflüsse, des Ökosystemmanagements oder von Renaturierungsmaßnahmen in ihrer Kausalität besser verstanden werden (z. B. Duckworth et al. 2000; Roscher et al. 2012; Gillhaussen et al. 2014; Piekarska-Stachowiak et al. 2014; Müller et al. 2016). Gemäß den Empfehlungen der SER (2004) ist ein Merkmal eines renaturierten Ökosystems das Vorhandensein aller funktionellen Gruppen, die für die Entwicklung bzw. die Stabilität des Ökosystems notwendig sind, bzw. dass die fehlenden Gruppen potenziell die Fläche auf natürlichem Wege besiedeln können (s. unten).
Ökosystem-Ingenieure (ecosystem engineers)
Arten, die ihren Lebensraum physikalisch stark beeinflussen, diesen gestalten und damit direkt oder indirekt die Ressourcenverfügbarkeit für andere Arten verändern, werden als Ökosystem-Ingenieure bezeichnet (Jones et al. 1994; De Visser et al. 2013). Diese können in allen Organismengruppen vorkommen. Für die Renaturierung von Flusslandschaften spielt beispielsweise der Europäische Biber (Castor fiber) eine wichtige Rolle, da er sowohl die Vegetation stark beeinflussen als auch den Landschaftswasserhaushalt verändern kann (Kap. 10). Auch unter kleinwüchsigen Lebewesen (z. B. Wirbellosen), die aber in großer Individuenzahl in einem Lebensraum auftreten können, wie beispielsweise Ameisen und Regenwürmer, gibt es Ökosystem-Ingenieure (Jones et al. 1994; Folgarait 1998; Jouquet et al. 2006). Ökosystem-Ingenieure können bei der Renaturierung von Lebensräumen einen wertvollen Beitrag leisten, indem sie beispielsweise die Zersetzung von Humus fördern (z. B. Regenwürmer, Mikroorganismen) oder zur Ausbreitung von Zielarten beitragen (z. B. Ameisen, Vögel). Wie das Beispiel des Bibers zeigt, können allerdings auch unerwünschte Ökosystemveränderungen auftreten.
Ammenpflanzen (nurse plants)
Bestimmte Pflanzenarten beeinflussen andere Pflanzen in ihrer Keimung bzw. ihrem Wachstum positiv (facilitation), indem sie beispielsweise Schutz (z. B. im Hinblick auf das Mikroklima) bei der Keimung oder dem Wachstum der Jungpflanze bieten (Ren et al. 2008). Weitere Vorteile können Schutz gegen Herbivorie oder eine verbesserte Nährstoff- und Wasserversorgung am Mikrostandort (safe site; s. oben) sein. Ammenpflanzen können bei der Renaturierung genutzt werden, um die Vegetationsentwicklung an Extremstandorten oder bestimmte Zielarten zu fördern (Frey und Lösch 2014). Beispielsweise sind bei der Moorrenaturierung Scheidiges Wollgras (Eriophorum vaginatum), Schmalblättriges Wollgras (E. angustifolium) und Grau-Segge (Carex canescens) als Ammenpflanzen identifiziert worden (Sliva 1997; Wendel 2010). Auch bei der Renaturierung von ehemaligen Braunkohletagebauflächen mit ihren z. T. extremen Bodenbedingungen oder auf alpinen Standorten können Ammenpflanzen eine Rolle spielen (Anthelme et al. 2014).
Mykorrhiza
Die Mykorrhiza ist eine Form der Symbiose, bei der ein Pilz mit der Wurzel der höheren Pflanze in Kontakt und einem Stoffaustausch steht. Die Mykorrhiza-Pilze liefern der Pflanze Nährsalze und Wasser und erhalten einen Teil der durch die Photosynthese der Höheren Pflanzen erzeugten Assimilate. Die Mykorrhiza spielt, neben vielen anderen angewandten Aspekten in der Ökosystemrenaturierung (Turnau und Haselwandter 2002), insbesondere bei Gehölzen und der Waldentwicklung eine große Rolle, aber auch auf mageren Standorten, auf denen eine standörtliche Nährstofflimitierung besteht (z. B. Phosphor auf Kalktrockenrasen). So kann beispielsweise bei einer Aufforstung eines Rohbodens nach Braunkohletagebau eine Beimpfung mit den entsprechenden Pilzen notwendig werden, um die Waldentwicklung zu beschleunigen (Kap. 20).
Bet hedging (Risikostreuung)
Pflanzen streuen das Risiko einer Keimung, indem die Samen nicht alle bei geeigneten Umweltbedingungen auskeimen. Einige bleiben dormant. So kann die Mortalität der Keimlinge unter sehr variablen Umweltbedingungen durch die Keimung eines Anteils der Samen in einem anderen Jahr kompensiert werden (Philippi 1993). Auch Tiere verfolgen diese Strategie z. B. mit ihrem Eigelege und deren unterschiedlicher Entwicklung (Freese und Zwölfer 1996; Olofsson et al. 2009) oder Mikroorganismen mit ihren Sporen (Baskin und Baskin 2014). Diese Strategie ist bedeutsam für Populationen in Lebensräumen, die stark schwankenden abiotischen Standortbedingungen unterliegen oder stark gestört sind wie z. B. Äcker (Kap. 17).
1.2.2 Ökosysteme und Landschaften
Ökosystem (ecosystem) und Ökosystemfunktionen (ecosystem functions)
Ein Ökosystem ist ein dynamischer Komplex von Lebensgemeinschaften aus Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen sowie deren nicht lebender Umwelt, die als funktionelle Einheit in Wechselbeziehungen (über Energie- und Stoffflüsse) stehen (Patten und Odum 1981; Begon et al. 2016). Die Wechselbeziehungen der Organismen bestehen in einem Nahrungsnetz aus Primärproduzenten, Konsumenten und Destruenten. Diese funktionalen Beziehungen bzw. Prozesse innerhalb des Ökosystems werden als Ökosystemfunktionen (ecosystem functions) bezeichnet und umfassen beispielsweise die Primärproduktion, Denitrifikation, Mineralisation, Bodenbildung, Selbstreinigung und Speicherung von Wasser, die biochemischen Kreisläufe (z. B. Stickstoff, Phosphor), Pollenausbreitung sowie Bestäubung (Groot et al. 2002; Jax 2005). Im Gegensatz zu den Ökosystem(dienst)leistungen (Abschn. 1.3), die explizit auf den Menschen bezogen sind, bedürfen die Ökosystemfunktionen definitionsgemäß nicht dem Menschen, auch wenn diese sehr häufig vom Menschen beeinflusst werden. Die Größe bzw. Begrenzung eines Ökosystems kann räumlich oder funktional definiert werden. In der Ökosystemrenaturierung wird häufig das Ökosystem mit einem Biotop oder Landnutzungstyp (z. B. Wald, Acker, Wiese) gleichgesetzt. Eine Stadt kann als Ökosystem oder auch Ökosystemkomplex verstanden werden (Kap. 19).
Standort (site) und Standortfaktoren (site factors)
Der Standort ist die Summe aller abiotischen und biotischen Faktoren, die auf ein Ökosystem, ein Biotop bzw. eine Lebensgemeinschaft wirken. Die abiotischen Standortfaktoren umfassen Klima (Sonneneinstrahlung, Niederschlagshöhe, Schneedecke, Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Windverhältnisse), Boden (z. B. Ausgangsgestein, Bodenart, Wassergehalt, Humusart und -menge, Kalkgehalt, pH-Wert, Nährstoffgehalt, Salzgehalt, Grundwasserstand), Relief (z. B. Hangneigung) und die biotischen Standortfaktoren die Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen. Zu den biotischen Standortfaktoren gehört auch der Einfluss des Menschen. Bei der Ökosystemrenaturierung werden häufig die abiotischen Standortfaktoren beeinflusst (z. B. durch Oberbodenabtrag auf Heiden oder Flachabtorfung von Mooren, Wiedervernässung von Salzgrasland der Küsten), um damit geeignete Bedingungen für Zielarten bzw. die Zielvegetation herzustellen.
Biozönose und Pflanzengesellschaften
Tier- und Pflanzenarten, die miteinander in einer Gemeinschaft (community) leben und die zumindest teilweise in direkten oder indirekten Wechselbeziehungen stehen, bilden eine Biozönose (Lebensgemeinschaft; Kratochwil und Schwabe 2001). Die für Lebensräume bzw. Standorte typischen Pflanzenartenbestände werden als Pflanzengesellschaften bezeichnet. Sie sind Untersuchungsgegenstand der Pflanzensoziologie (Phytozönologie) bzw. Vegetationsökologie (z. B. Braun-Blanquet 1964; Dierßen 1990; Dierschke 1994; Glavac 1996; Wilmanns 1998; Ellenberg und Leuschner 2010; Leuschner und Ellenberg 2017a, b).
Diversität
Diversität umfasst in der Ökologie verschiedene Aspekte und Skalenebenen der Vielfalt, Vielzahl, Variabilität und Komplexität. Als Forschungsgegenstand der Biologie und Ökologie sind der Begriff und dessen Analyse keineswegs neu (vgl. die Studien von C. von Linné, C. Darwin, A. von Humboldt; vgl. auch Whittaker 1972), hat sich aber seit der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 mit dem Zusatz „Bio (= Biodiversität) sehr rasch in der Ökologie und im Naturschutz und damit in Wissenschaft und Praxis verbreitet. Biodiversität oder biologische Vielfalt bezeichnet gemäß der Biodiversitätskonvention (Convention on Biological Diversity, CBD 2016) „die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter unter anderem terrestrische, marine und andere aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören
. Hier werden auch explizit, neben der Vielfalt der Arten, die Ebenen der genetischen Vielfalt innerhalb der Arten und die Vielfalt der Lebensräume (bzw. Ökosysteme) und Landschaften miteinbezogen. Für weiterführende Informationen zu Diversität bzw. Biodiversität und zur Gefährdung der Artenvielfalt sei u. a. auf Wilson (1988), Kratochwil und Schwabe (2001), Streit (2007), Barthlott et al. (2008, 2009), Reichholf (2008), Baur (2010), Neßhöver (2013) sowie Wittig und Niekisch (2014) verwiesen. Die Wiederherstellung der Vielfalt auf diesen unterschiedlichen biologischen Organisationsebenen ist weltweit eines der Hauptziele der Ökosystemrenaturierung (z. B. Isselstein et al. 2005; EU 2011; Jørgensen 2015).
Unimodale Diversitätshypothese (hump-back model, „Buckelkurve")
Bei dieser Hypothese geht man davon aus, dass zwischen der Produktivität bzw. dem Nährstoffgehalt (z. B. Stickstoff, Phosphor, Kalium) des Standorts und der Phytodiversität eine hump back-Beziehung (= unimodale bzw. eingipflige Beziehung; Abb. 1.6) besteht (Grime 1979, 2001). Unter nährstoffarmen Bedingungen ist die Artenzahl eher gering und steigt mit zunehmender Ressourcenverfügbarkeit zunächst an. Mit steigender Produktivität kommt es zu einem Rückgang der Artenzahl. Diese Beziehung ist für verschiedene Lebensräume nachgewiesen (z. B. Al-Mufti et al. 1977; Willems 1980; Day et al. 1988; Oomes 1990; Wheeler und Shaw 1991; Janssens et al. 1998; Graham und Duda 2011; Fraser et al. 2015). Für die Renaturierung artenreicher Lebensräume auf eutrophierten Standorten bedeutet dies, dass durch entsprechende Maßnahmen der Nährstoffgehalt des Bodens reduziert werden muss, um die Artenvielfalt zu erhöhen (Marrs 1993).
../images/385600_1_De_1_Chapter/385600_1_De_1_Fig6_HTML.pngAbb. 1.6
Beziehung zwischen der oberirdischen Phytomasse und der Artenvielfalt; um artenreiche Lebensräume wiederherzustellen, bedarf es einer Beeinflussung des Nährstoffgehalts bzw. der Produktivität des Standorts.
(Vereinfacht dargestellt nach Al-Mufti et al. 1977; Grime 1979)
Störung
Die Störung bezeichnet in der Ökologie ein einzelnes, zeitlich abgrenzbares Ereignis, das in ein Ökosystem, die Biozönose oder Population eingreift und damit sowohl die abiotischen als auch die biotischen Standortbedingungen zumindest kurzfristig verändert. Eine Störung nimmt damit