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Jahrbuch der Baumpflege 2019: Yearbook of Arboriculture
Jahrbuch der Baumpflege 2019: Yearbook of Arboriculture
Jahrbuch der Baumpflege 2019: Yearbook of Arboriculture
eBook1.041 Seiten8 Stunden

Jahrbuch der Baumpflege 2019: Yearbook of Arboriculture

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Über dieses E-Book

Das Jahrbuch der Baumpflege ist Nachschlagewerk und Fachbuch in einem. Hier findet der Leser aktuelles Fachwissen zum Thema Baumpflege – wissenschaftlich korrekt und zugleich verständlich und plausibel aufbereitet. Das Buch wird von erfahrenen Praktikern, Arboristen, Sachverständigen und Wissenschaftlern gleichermaßen als Informationsquelle genutzt. Das Jahrbuch der Baumpflege erscheint 2019 in der 23. Ausgabe.

In dieser Ausgabe enthalten sind 31 Fachartikel zu den folgenden Themenschwerpunkten:
- Baumschutz
- Vitalitätsbeurteilung und Baumpflege
- Baummanagement
- Aktuelles aus der Forschung

Außerdem im Jahrbuch der Baumpflege 2019 zu finden sind:
- Adressen von Verbänden und Forschungseinrichtungen
- Adressverzeichnis Baumpflege
- Gesamtregister 1997 bis 2019 mit Autoren- und Stichwortverzeichnis, im Anhang des Buches, umfasst über 700 Fachartikel
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymarket Media
Erscheinungsdatum31. Aug. 2019
ISBN9783878152651
Jahrbuch der Baumpflege 2019: Yearbook of Arboriculture

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    Buchvorschau

    Jahrbuch der Baumpflege 2019 - Dirk Prof. Dr. Dujesiefken

    1 Baumschutz

    Prägend bis heute, vielfach vergessen: die „Baum-Pioniere"

    Defining to this day, often forgotten: the „tree pioneers"

    von Dirk Dujesiefken

    Zusammenfassung

    Dieser Beitrag befasst sich mit Persönlichkeiten, die unser Wissen über Bäume wesentlich geprägt haben und Pioniere waren für die Forstwirtschaft, die Wissenschaft über Bäume sowie im Naturschutz. Vorgestellt werden nicht die Wegbereiter der letzten Jahrzehnte, sondern die, die vor mehr als 100 Jahren die Grundlagen für spätere Generationen und damit für unsere heutige Arbeit rund um den Baum geschaffen haben: HANS CARL VON CARLOWITZ, ROBERT HARTIG und JOHN MUIR. Es geht dabei um das Konzept der Nachhaltigkeit, heute ein ökonomisch-ökologischer Schlüsselbegriff, der vor über 300 Jahren geprägt wurde, um den Beginn der modernen Wissenschaft über Bäume und deren Krankheiten sowie um die Anfänge des Naturschutzes. Durch diese Wegbereiter hat unsere Arbeit mit Bäumen im Wald und in der Baumpflege eine solide Grundlage erhalten. Es war stets das Engagement Einzelner, das große Wirkung entfaltete und bis heute prägend ist.

    Summary

    This article focuses on individuals who have made a significant contribution to our knowledge about trees and were pioneers in forestry, tree science and nature conservation. Not the pioneers of the last decades are presented, but rather those who more than 100 years ago laid the basis for later generations and thus for today’s work on trees: HANS CARL VON CARLOWITZ, ROBERT HARTIG and JOHN MUIR. It is about the concept of sustainability, today an economical and ecological concept that was developed over 300 years ago, about the beginning of modern science about trees and their diseases and about the beginnings of nature conservation. With these pioneers our work with trees in the forest and in tree care have a solid basis. It has always been the engagement of individuals that has had a great impact and is still influential today.

    1 Einleitung

    Der Umgang mit der Natur und damit auch mit Bäumen hat sich über Jahrhunderte stark verändert. Über lange Zeit gab es aus Sicht der Menschen die gestaltete Landschaft (besiedelte und kultivierte Flächen) und im Gegensatz dazu die ungezähmte Natur, die Wildnis. Diese Flächen galten als wertlos oder wurden genutzt bzw. übernutzt. In Europa kann man noch immer das Ergebnis dieser vor Jahrhunderten erfolgten Rodungen sehen. Die Eingriffe des Menschen haben in der Landschaft deutliche Spuren hinterlassen. Im Laufe der Zeit haben die Schäden in der Natur aber auch zu einem Umdenken geführt. Eine nachhaltige Forstwirtschaft, Naturschutzgesetze und Baumpflege sind letztendlich Ergebnisse dieser Entwicklung.

    Unser heutiges Wissen in der Baumpflege basiert auf den Erfahrungen und Ergebnissen der Vorgänger. Neue Ideen und Impulse stammen von besonderen Persönlichkeiten. In Bezug auf den Umgang mit Bäumen gab es viele Pioniere; in den letzten Jahrzehnten gab es Wegbereiter wie ALEX SHIGO, WERNER KOCH und MICHAEL MAURER, die auf den Gebieten der Baumbiologie und Gehölzwertermittlung sowie der praktischen Umsetzung von Baumpflegemaßnahmen prägend waren. In dieser Betrachtung geht es jedoch nicht um diese Persönlichkeiten, sondern um die, die in der Zeit davor die Grundlagen für spätere Generationen geschaffen haben: HANS CARL VON CARLOWITZ, ROBERT HARTIG und JOHN MUIR.

    Das Wissen dieser „Baum-Pioniere" ist über die Jahrzehnte fast selbstverständlich Teil unseres Grundverständnisses vom Umgang mit Baum und Natur geworden. Ohne diese Wegbereiter wäre die Entwicklung der Baumzunft anders verlaufen und unsere Arbeit im Wald sowie im Naturschutz und in der Baumpflege hätte keine solide Grundlage. Deshalb soll an die Leistungen dieser drei Pioniere für unseren Berufsstand erinnert werden, um diese zu würdigen.

    2 Hans Carl von Carlowitz und der Beginn der Forstwirtschaft

    Am Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert wurden für den Bau von Häusern und Kriegsschiffen sowie für den Bergbau viele Wälder in Mittel- und Westeuropa gerodet. Es gab einen Engpass an Holz- und anderen Waldprodukten. Um diesem Mangel vorzubeugen, wurde damals erstmals eine Nachhaltigkeit der Holzerzeugung gefordert. Diese Zeit markiert damit den Beginn einer geregelten Forstwirtschaft. Die Geschichte führt zurück ins barocke Sachsen zu HANS CARL VON CARLOWITZ (Abbildung 1). Wer war dieser Adelige in der Silberstadt Freiberg?

    HANS CARL VON CARLOWITZ, dessen Vornamen in älteren Schriften „Hannß Carl" geschrieben werden, wurde 1645 in Oberrabenstein bei Chemnitz geboren. Er war das zweite von 16 Kindern, besuchte das Gymnasium in Halle, studierte in Jena Naturwissenschaften, Sprachen und Jura. Er unternahm viele Reisen und lernte, dass die Knappheit an Holz überall in Europa ein akutes Problem war. Anschließend half er seinem Vater bei den sächsisch-böhmischen Grenzvermessungen, wurde Vize-Berghauptmann und übernahm nach dem Tod des Vaters das Gut Arnsdorf. Hier erlebte er extrem trockene Sommer und große Stürme mit erheblichen Baumschäden. Die Borkenkäfer, insbesondere der Buchdrucker, breiteten sich stark in Fichten und Tannen aus. Aufgrund der Holznot war der sächsische Silberbergbau in seiner Existenz bedroht. Die Erzgruben und Schmelzhütten des Erzgebirges (damals eines der größten Montanreviere Europas) brauchten viel Holz als Energiequelle. Der Grubenausbau, der Erzabbau mittels Feuersetzen, vor allem aber die mit Holzkohle betriebenen Öfen der Schmelzhütten vernichteten ganze Wälder. Die Umgebung der Bergstädte war durch Übernutzung weitgehend kahlgeschlagen.

    Abbildung 1: HANS CARL VON CARLOWITZ (aus: H. THOMASIUS & B. BENDIX, 2013)

    Seine Erfahrungen, Beobachtungen und Verbesserungsvorschläge fasste VON CARLOWITZ in seinem Hauptwerk 1713 zusammen und veröffentlichte die „Sylvicultura oeconomica oder Haußwirthliche Nachricht und Naturgemäße Anweisung zur Wilden Baum-Zucht" (Abbildung 2). Es gilt als das erste forstwissenschaftliche Werk und beschreibt die Idee und den Begriff der Nachhaltigkeit. HANS CARL VON CARLOWITZ verstarb 1714 in Freiberg.

    VON CARLOWITZ kritisiert in seinem Buch das auf kurzfristigen Gewinn ausgerichtete Denken. Ein Kornfeld bringe jährlich Nutzen, auf das Holz des Waldes dagegen müsse man Jahrzehnte warten. Die fortschreitende Umwandlung von Waldflächen zu Äckern und Wiesen sei ein Irrweg. „Der gemeine Mann würde die jungen Bäume nicht schonen, weil er spüre, dass er deren Holz nicht mehr selbst genießen könne. Er gehe verschwenderisch damit um, weil er meine, es werde nicht alle. Zwar könne man aus dem Verkauf von Holz in kurzer Zeit „ziemlich viel Geld heben. Aber wenn die Wälder erst einmal ruiniert seien, „so bleiben auch die Einkünfte daraus auf unendliche Jahre zurück, … sodaß unter dem scheinbaren Profit ein unersetzlicher Schade liegt. Gegen den Raubbau am Wald setzt VON CARLOWITZ die eiserne Regel: „.daß man mit dem Holtz pfleglich umgehe.

    Holz sei so wichtig wie das tägliche Brot, so VON CARLOWITZ. Man müsse es „mit Behutsamkeit nutzen, so dass „eine Gleichheit zwischen An- und Zuwachs und dem Abtrieb des Holtzes erfolget und die Nutzung „immerwährend. „kontinuirlich und „perpentuierlich stattfinden könne. „Daßwegen sollten wir unsere Oeconomie also und dahin einrichten, daß wir keinen Mangel daran leiden und wo es abgetrieben ist, dahin trachten, wie an dessen Stelle junges wieder wachsen möge. Das traditionelle Wort „pfleglich schien VON CARLOWITZ jedoch nicht eindringlich genug, die langfristige Kontinuität von Naturnutzung und den Gedanken des Einteilens und Sparens von Ressourcen zum Ausdruck zu bringen. So forderte er „eine continuirliche, beständige und nachhaltende Nutzung. HANS CARL VON CARLOWITZ entwickelte damit das „Konzept der Nachhaltigkeit. „Nach gilt hier im Sinne von „auf etwas hin, „halt im Sinne von be- und erhalten, bewahren, in Obhut nehmen. Hierbei muss ein möglichst ausgewogenes Altersklassenverhältnis vorhanden sein oder sukzessive geschaffen werden.

    Abbildung 2: Der aufwändig gestaltete Buchdeckel des 1713 erschienenen Buches von HANS CARL VON CARLOWITZ

    Das Konzept der Nachhaltigkeit erfordert eine Waldwirtschaft, die die Kräfte des Standorts und die Abläufe in der Lebensgemeinschaft Wald optimal nutzt und auch unvorhersehbare Ereignisse berücksichtigt. Sie bietet langfristig mehr Erfolg, größere Sicherheit und zugleich Beiträge für Naturschutz und Landschaftspflege. Die deutsche Forstwissenschaft und damit das Konzept der Nachhaltigkeit erlangten im Laufe des 19. Jahrhunderts weltweite Geltung. Dieser Terminus technicus gehört inzwischen zu den Schlüsselbegriffen für ein erfolgreiches ökologisches und ökonomisches Handeln. Die Nachhaltigkeit (englisch: sustainable development) ist heutzutage ein weltweit diskutiertes Umweltkonzept. Es wurde vor über 300 Jahren von einem sächsischen Wald- und Bergbaufachmann geprägt und ist aktueller denn je.

    3 Robert Hartig und der Beginn der modernen Wissenschaft über Bäume und deren Krankheiten

    In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Naturwissenschaft der Gegenwart begründet. In der Humanmedizin wurden in dieser Zeit erstmals die Zusammenhänge von Mikroorganismen und bestimmten Krankheiten erkannt. ROBERT KOCH (1843 – 1910) kultivierte den Erreger des Milzbrands außerhalb des Organismus und beschrieb somit lückenlos die Rolle eines Krankheitserregers beim Entstehen einer Krankheit. Die Erkenntnisse von LOUIS PASTEUR (1822 – 1895) ermöglichen seitdem die Haltbarmachung flüssiger Lebensmittel durch kurzzeitiges Erhitzen: die nach ihm benannte Pasteurisierung. Weniger bekannt sind die Arbeiten von ROBERT HARTIG (Abbildung 3), der zeitgleich das Leben von Bäumen und deren Krankheiten untersuchte. Er war auf diesem Gebiet der Pionier.

    Abbildung 3: ROBERT HARTIG (aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Hartig)

    ROBERT HARTIG wurde 1839 in Braunschweig in einer Försterfamilie geboren. Sein Vater war der als Forstmann und Botaniker bekannte Professor und Forstrat THEODOR HARTIG und sein Großvater GEORG LUDWIG HARTIG, ebenfalls ein bedeutender Forstwissenschaftler. Von Jugend an hörte er zu Hause von forstlichen und naturwissenschaftlichen Zusammenhängen. Er studierte von 1863 bis 1864 Forstwissenschaft in Berlin und war dann in Braunschweig und Hannover in der Forstverwaltung tätig. 1866 promovierte er in Marburg und erhielt 1867 den Ruf an die Forstakademie in Eberswalde, wo er Vorlesungen zur Forstbotanik hielt.

    Abbildung 4: Querschnitt eines verletzten Eichenstammes mit Darstellung der verschiedenen Wundreaktionen (aus: R. HARTIG, 1900)

    Abbildung 5: Von Polyporus sulphureus zersetztes Holz (aus: R. HARTIG, 1900)

    1871 übernahm HARTIG die Leitung der pflanzenphysiologischen Versuchsanstalt und 1878 erhielt er den Ruf als Professor der Forstbotanik an die Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1901 wirkte.

    In Eberswalde und München hatte er durch die damals noch relativ neue Lichtmikroskopie die Zellstrukturen von Wirtspflanzen und Krankheitserregern eingehend untersucht. Damit wurden Krankheitsabläufe in Bäumen erkannt und wertvolle Hinweise für die forstliche Praxis gegeben. ROBERT HARTIG beschrieb erstmals die sog. Buchen-Komplexkrankheit, eine noch heute wirtschaftlich bedeutende Buchenerkrankung. Er forschte zudem über die Ursachen der Tannen-Nadelbräune und die Zerstörung von Bauholz durch den Echten Hausschwamm, über den er 1885 eine Monographie verfasst hatte. Hervorzuheben sind seine Untersuchungen über die Mykorrhiza an Wurzeln von Wald-bäumen. Das von ihm beschriebene und nach ihm benannte Netzwerk der Ektomykorrhiza-Pilze zwischen den Wurzeln heißt seitdem „Hartigsches Netz". Zu fast allen Fragen der Baumbiologie, Forstwirtschaft und Pathologie findet man Ausführungen in seinen Veröffentlichungen.

    Abbildung 6: Von Polyporus dryadeus zersetztes Holz (aus: R. HARTIG, 1900)

    Bereits 1874 erschien das erste Buch HARTIGS zum Thema: „Wichtige Krankheiten der Waldbäume. Beiträge zur Mycologie und Phytopathologie für Botaniker und Forstmänner. Vier Jahre später folgte „Die Zersetzungserscheinungen des Holzes der Nadelholzbäume und der Eiche in forstlicher, botanischer und chemischer Richtung. 1882 wurde sein „Lehrbuch der Baumkrankheiten" veröffentlicht.

    HARTIG hatte die besondere Gabe, die von ihm im Lichtmikroskop beobachteten Strukturen auch zeichnerisch darzustellen. So enthalten seine Bücher hervorragende Grafiken vom Aufbau des Holzes, von pilzbefallenem Holz sowie von Pilzfruchtkörpern und Sporen (Abbildung 4 bis 6). Die Bedeutung dieses Wegbereiters zeigt sich auch darin, dass nahezu hundert Jahre nach der Erstveröffentlichung sein Buch „Wichtige Krankheiten der Waldbäume übersetzt wurde und 1975 in der Reihe „Phytopathological Classics der „American Phytopathological Society erschienen ist. Zudem kam von dem „Lehrbuch der Baumkrankheiten 2015 ein Reprint heraus, ebenfalls ein Beleg dafür, dass HARTIGS Arbeiten noch immer bedeutsam sind. ROBERT HARTIG ist somit einer der wesentlichen Begründer der wissenschaftlichen Holzkunde sowie der forstlichen Phytopathologie und hat die Basis für unsere heutige Arbeit gelegt.

    4 John Muir und die Anfänge des Natur- und Baumschutzes

    Während in Europa und den angrenzenden Ländern im Mittelmeerraum bereits seit Jahrhunderten, teilweise seit Jahrtausenden Wälder gerodet wurden, begann in Nordamerika diese Art der Landnutzung erst durch die Siedler ab dem 17. Jahrhundert. Die Ureinwohner lebten anders und hatten keine Bäume für Häuser, Schiffe oder für den Bergbau gefällt. Die Landschaft war quasi noch unberührt und die Neuankömmlinge fanden alte Baumbestände vor.

    Mit der Besiedelung setzte sofort die Rodung dieser ursprünglichen Wälder ein, zunächst an der Ostküste und später auch an der Westküste, wo die Holzfäller riesige, mehrere tausend Jahre alte Bäume vorfanden. Es drohten der Verlust einer beeindruckenden Landschaft und zugleich langfristige Probleme mit der Holzversorgung, wie es sie in Europa seit Jahrhunderten gab. So kam es im 19. Jahrhundert zu der Idee, faszinierende Landschaften unter Schutz zu stellen. 1864 entstand auf Betreiben des Naturschützers JOHN MUIR (Abbildung 7) das erste Schutzgebiet im heutigen Yosemite-Nationalpark (Kalifornien), das 1906 in das entstehende Nationalparksystem eingegliedert wurde.

    Abbildung 7: JOHN MUIR (aus J. MUIR, 2013: Die Berge Kaliforniens)

    Wer war JOHN MUIR? Er wurde 1838 als drittes von acht Kindern in Dunbar, Schottland, geboren. Als er elf Jahre alt war, reiste sein Vater mit ihm und zwei Geschwistern in die USA, um die Auswanderung der Familie vorzubereiten. MUIR wurde streng erzogen und musste bereits als Kind schwere Arbeit auf der Farm leisten. Er besuchte keine Schule, sondern bildete sich autodidaktisch. Er begann, Gerätschaften und Maschinen zu erfinden, verdiente dadurch Geld und konnte so an der Universität in Madison/Wisconsin studieren. Seine Hauptinteressen lagen in der Geologie, Chemie und vor allem in der Botanik. 1863 verließ er die Hochschule ohne Abschluss.

    MUIR unternahm viele Reisen innerhalb Nordamerikas, hier u. a. einen 1.000-Meilen-Fußmarsch von Kentucky zum Golf von Mexiko, sowie nach Europa, Asien, Australien und Neuseeland. Er betätigte sich als Naturforscher, Schriftsteller und Erfinder. 1898 erschien sein erstes Buch „The mountains of California" und es folgten noch viele weitere Veröffentlichungen. Er starb 1914 in Los Angeles/Kalifornien.

    MUIR, der Schriftsteller und Naturwissenschaftler, schrieb mit wunderbaren Worten über die Natur, über die „herrlichen Wälder an der feuchten und milden Pazifikküste, wo die Bäume „dicht beisammen wuchsen wie Gras auf einer Wiese, wo sie „ihre kühnen Kuppeln und Türme 300 Fuß über den Farnen und Lilien, die den Boden überzogen, in die Höhe streckten und jahrhundertelang heiter aufragten und Gottes himmelsfrische Forstarbeit predigten. Und er beschreibt die drohenden Gefahren für die Wälder: „Die Indianer fügten ihnen mit den Steinäxten nicht mehr Schaden zu als nagende Biber oder der Verbiss der Elche. Selbst die Feuer der Indianer und die heftigen Blitzeinschläge schienen gemeinsam nur Gutes zu bewirken, indem sie hier und dort eine Stelle für ebene Präriegärten und eine Lichtung für die lichtsuchenden Sonnenblumen rodeten. Als jedoch die Stahlaxt des weißen Mannes in die erschrockene Luft hinausschallte, war ihr Schicksal besiegelt. Jeder Baum hörte den unheilvollen Klang und Rauchsäulen schickten Zeichen gen Himmel.

    Durch seine Reisen, häufig zu Fuß, per Boot oder auf dem Pferd, lernte er im Westen Nordamerikas viele unberührte Landschaften kennen, Orte, die noch nicht durch menschlichen Einfluss verändert worden waren. Anders als die Menschen in Europa hatten die Indianer keine Wälder gerodet oder Burgen und Schlösser errichtet. Er erlebte das Ursprüngliche dieser Landschaft und zugleich die Bedrohung durch die Siedler. So wurde er im Laufe seines Lebens mehr und mehr zum Naturschützer. In seinen Veröffentlichungen beschreibt er sehr eindringlich die Zerstörung der Natur, speziell der Wälder im Westen der USA: „Bäume vernichten kann jeder Narr. Sie können nicht weglaufen; und selbst, wenn sie es könnten, würden sie vernichtet werden – gejagt und zu Tode gehetzt so lange man Spaß oder einen Dollar aus ihrem Borkenfell, ihren verzweigten Hörnern, ihrem herrlichen Stamm-Rückgrat rausschlagen kann. Nur wenige, die Bäume fällen, pflanzen sie; doch selbst das Anpflanzen würde wenig nützen, um diese noblen Urwälder wiederzuerlangen. Während eines Menschenlebens wachsen nur die Sämlinge anstelle der alten – jahrhundertealten – Bäume heran, die zerstört worden sind."

    Auch wenn JOHN MUIR offenbar auch etwas von einem Einzelgänger oder Asketen hatte (siehe Abbildung 7), war er doch zugleich (wie man heute sagen würde) ein Netzwerker. 1903 lud er den Präsidenten der USA, THEODORE ROOSEVELT, ein, mit ihm die landschaftliche Schönheit und Schutzwürdigkeit bedrohter Regionen zu erläutern. ROOSEVELT hatte bereits Bücher von MUIR gelesen, was offenbar seine Bereitschaft für eine solche Reise erhöht hatte. Zusammen gingen sie auf eine mehrtägige Campingtour und besuchten Yosemite in Kalifornien. Dabei erklärte MUIR die Bedeutung des Natur- und Landschaftsschutzes und dass Yosemite als damaliger „State Park nur ungenügend geschützt sei. MUIR war dabei offenbar so überzeugend, dass ROOSEVELT das Tal wieder auf die Bundesregierung übertrug; 1906 wurde es als „Yosemite-Nationalpark stark erweitert und unter Schutz gestellt.

    Abbildung 8: Durch MUIR wurden viele außergewöhnliche Landschaften geschützt. Die Besucher der Nationalparks (hier in Kalifornien) können noch heute die einmalige Landschaft unverändert erleben.

    Diesem Beispiel folgte bald die Ausweisung weiterer Nationalparks in den USA und in anderen Ländern. Inzwischen existieren weltweit mehr als 2.200 Nationalparks. In Deutschland gibt es 16 dieser Schutzgebiete, das älteste ist der „Nationalpark Bayrischer Wald" aus dem Jahr 1970. Die landschaftliche Vielfalt der Gebiete ist enorm und umfasst fast alle Landschaftstypen. Die Koordination für alle Nationalparks erfolgt durch die IUCN (International Union for Conservation of Nature, www.iucn.org). Die IUCN organisiert alle zehn Jahre einen internationalen Kongress, auf dem Strategien zum Naturschutz in Nationalparks festgelegt werden. Das Engagement eines Einzelnen, dem die Natur am Herzen lag, hat letztendlich zu weltweiten Kooperationen geführt.

    Die Definition eines Nationalparks ist nicht in allen Staaten gleich. Doch gibt es eine gemeinsame Idee, die auf den Intentionen MUIRS beruht: die Erhaltung großer, nicht durch menschliche Eingriffe veränderter Naturgebiete für die Nachwelt. Als Nationalpark wird allgemein ein ausgedehntes Schutzgebiet verstanden, das meistens nur der natürlichen Entwicklung unterliegt und durch spezielle Maßnahmen vor nicht gewollten menschlichen Eingriffen und vor Umweltverschmutzung geschützt wird. In der Regel sind dies Gebiete, die ökologisch besonders wertvoll oder von herausragendem landschaftlichem Reiz sind und im Auftrag einer Regierung verwaltet werden. Sie werden oft als Erholungsgebiete und für den sanften Tourismus genutzt (Abbildung 8).

    Der besondere Verdienst MUIRS besteht darin, dass durch sein Engagement erstmals die Idee des Naturschutzes in die Politik hineingetragen wurde. Es war eine Initialzündung. Die Einrichtung eines Nationalparks ist eine sehr weitreichende Unterschutzstellung. Der Gedanke wurde anschließend weiter ausgestaltet bzw. modifiziert. Derzeit gibt es viele Arten des Schutzes vom Nationalpark bis hin zur Ausweisung eines einzelnen Baumes als Naturdenkmal, einem der Tätigkeitsfelder von Baumpflegern. Diese Art des Natur- bzw. Baumschutzes sowie seiner Pflege wurde erst in den folgenden Jahrzehnten entwickelt.

    Heutzutage fließen Aspekte des Naturschutzes bei vielen Entscheidungen mit ein, von der Land- und Forstwirtschaft bis hin zur Städteplanung und Industrieproduktion. Er ist damit ein selbstverständlicher Teil unseres täglichen Lebens. Grundlage sind europaweite Programme und Regelungen (z. B. Natura 2000 oder die Europäische Wasserrahmenrichtlinie) und in Deutschland das Grundgesetz Art. 20a sowie das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG). Danach ist es das Ziel des Naturschutzes, Natur und Landschaft aufgrund ihres eigenen Wertes und als Lebensgrundlage des Menschen zu erhalten. Der Naturschutz ist damit eine öffentliche Aufgabe. Hierzu gehört auch der Baumschutz.

    Weiterhin gründete JOHN MUIR mit seinen Mitstreitern 1892 die erste Naturschutzorganisation im modernen Sinne: den Sierra Club. Dieser Club ist noch heute eine der größten und einflussreichsten Umweltorganisationen Nordamerikas (www.sierra-club.com). MUIR war dessen erster Präsident und behielt das Amt bis zu seinem Tod. Inzwischen gibt es viele Umweltverbände, wie BUND, Greenpeace, NABU und WWF. Alle diese national und international arbeitenden Verbände wurden erst Jahrzehnte später gegründet. Auch auf diesem Gebiet war MUIR ein Pionier.

    5 Folgerungen

    Kein Berufsstand muss in so großen Zeiträumen planen wie Förster, Naturschützer und Baumpfleger. Wer dies nicht leistet, wird scheitern. Die Langlebigkeit der Bäume prägt zwangsläufig auch das Denken. Von dieser Art zu denken können andere Wirtschaftsbereiche und auch die Politik lernen. Das Konzept der Nachhaltigkeit ist ein Beispiel dafür.

    Die Ausführungen zeigen zudem, dass Zerstörungen und Krankheiten an Bäumen die Antreiber für Innovationen waren. Die „Baum-Pioniere" haben Arbeitsgrundlagen geschaffen und waren prägend für nachfolgende Generationen. Durch diese Wegbereiter hat unsere Arbeit mit Bäumen im Wald und in der Baumpflege eine solide Grundlage erhalten. Es war stets das Engagement einzelner, das große Wirkung entfaltete und bis heute prägend ist.

    Verwendete und weiterführende Literatur

    Hans Carl von Carlowitz

    VON CARLOWITZ, H. C., 1713: Sylvicultura oeconomica oder Haußwirthliche Nachricht und Naturgemäße Anweisung zur Wilden Baum-Zucht. Leipzig, verlegts Johann Friedrich Braun, 414 S.

    HABER, W., 2010: Die unbequemen Wahrheiten der Ökologie. Eine Nachhaltigkeitsperspektive für das 21. Jahrhundert. Carl-von-Carlowitz-Reihe Band 1, Oekom, München, 72 S.

    HAMBERGER, J. (Hrsg.), 2013: HANS CARL VON CARLOWITZ, Sylvicultura oeconomica oder Haußwirthliche Nachricht und Naturgemäße Anweisung zur Wilden Baum-Zucht. Oekom, München, 638 S.

    THOMASIUS, H.; BENDIX, B. 2013: Sylvicultura oecononomica. Transkription in das Deutsch der Gegenwart. Kessel Verl., Remagen, 368 S.

    Robert Hartig

    HARTIG, R., 1874: Wichtige Krankheiten der Waldbäume. Beiträge zur Mycologie und Phytopathologie für Botaniker und Forstmänner. Springer Berlin, 127 S.

    HARTIG, R., 1875: Die durch Pilze erzeugten Krankheiten der Waldbäume. Für den deutschen Förster. Zweite Auflage. Breslau: Morgenstern.

    HARTIG, R., 1878: Die Zersetzungserscheinungen des Holzes der Nadelholzbäume und der Eiche in forstlicher, botanischer und chemischer Richtung. Springer Berlin, 151 S.

    HARTIG, R., 1882: Lehrbuch der Baumkrankheiten, Berlin

    HARTIG, R., 1885: Der ächte Hausschwamm (Merulius lacrymans Fr.), (Die Zerstörungen des Bauholzes durch Pilze I), Berlin

    HARTIG, R., 1891: Lehrbuch der Anatomie und Physiologie der Pflanzen unter besonderer Berücksichtigung der Forstgewächse, Berlin

    HARTIG, R., 1898: Die anatomischen Unterscheidungsmerkmale der wichtigeren in Deutschland wachsenden Hölzer, 4. Auflage, München

    HARTIG, R., 1900: Lehrbuch der Pflanzenkrankheiten. Für Botaniker, Forstleute, Landwirthe und Gärtner, 3., völlig neu bearbeitete Auflage des Lehrbuches der Baumkrankheiten, Berlin, 324 S.

    HARTIG, R., 1975: Important Diseases of Forest Trees. Contributions to Mycology and Phytopathology for Botanists and Foresters. Phytopathological Classics No. 12, English translation by W. MERRILL, D. H. LAMBERT and W. LIESE. Am. Phytopath. Soc., St. Paul, Minnesota/USA, 120 S.

    HARTIG, R., 2015: Baumkrankheiten. Reprint. nexx Verlag Villingen-Schwenningen, 224 S.

    RUBNER, H., 1994: Hundert bedeutende Forstleute Bayerns. Mitt. Staatsforstverwaltung Bayerns. 47. Heft, 334 S.

    John Muir

    MUIR, J., 1898: The Mountains of California. The Century, New York, 381 S.

    MUIR, J., 1901: Our national parks. Houghton Mifflin, Boston/New York, 370 S.

    MUIR, J., 1911: My first summer in the Sierra. Houghton Mifflin, Boston/New York, 355 S.

    MUIR, J., 1912: The Yosemite. The Century, New York, 284 S.

    MUIR, J., 1916: A thousand-Mile Walk to the Gulf. Houghton Mifflin, Boston/New York, 220 S.

    MUIR, J., 1913: The Story of my Boyhood and Youth. Houghton Mifflin, Boston/New York, 294 S.

    MUIR, J., 2013: Die Berge Kaliforniens. Übersetzt, kommentiert und mit einem Essay von Jürgen Brocan. Matthes & Seitz, Berlin, 352 S.

    MUIR, J., 2017: Bäume vernichten kann jeder Narr. Matthes & Seitz, Berlin, 122 S.

    STEINER, D., 2011: Die Universität der Wildnis: John Muir und sein Weg zum Naturschutz in den USA, Oekom, München, 402 S.

    WULF, A., 2016: Schutz und Natur. JOHN MUIR und HUMBOLDT. Kapitel in: ALEXANDER VON HUMBOLDT und die Erfindung der Natur. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Bertelsmann, München, 392–415.

    Autor

    Prof. Dr. Dirk Dujesiefken

    Institut für Baumpflege Hamburg

    Brookkehre 60

    21029 Hamburg

    Tel. (040) 7241310

    dirk.dujesiefken@institut-fuer-baumpflege.de

    Bäume auf Deichen und Dämmen – Von den wasserbaulichen Grundlagen bis zum Stand der Wissenschaft

    Trees on Dikes and Dams – From Basics of Hydraulic Engineering to the State of the Art

    von Holger Schüttrumpf und Babette Scheres

    Zusammenfassung

    Die möglichen Ursachen für ein Deich- oder Dammversagen sind vielfältig und unterliegen vielen Einflussfaktoren, z. B. der Deichgeometrie, der Meteorologie, dem Deichbaumaterial und der Vegetation. Bäume stellen hierbei aus Sicht der Deichsicherheit eine potenzielle Gefahrenquelle für Bauwerksschäden oder ein Bauwerksversagen dar. Den ökologischen, kulturellen und ästhetischen Funktionen von Bäumen auf Deichen und Dämmen steht ein erhöhtes Versagensrisiko infolge von Baumumsturz, Oberflächen- oder innerer Erosion und Zerstörung von funktionalen Bauwerkselementen (z. B. Abdichtungen) entgegen. Bei Monitoring-, Unterhaltungs- oder Verteidigungsmaßnahmen können Bäume zu Komplikationen führen. In Ausnahmefällen, z. B. mit bestimmten baulichen Maßnahmen (Deichüberdimensionierung, Baumsicherung o. ä.), können Bäume auf Deichen zugelassen und ihre positiven Auswirkungen genutzt werden.

    Summary

    Possible causes for failures of dikes or dams are diverse and underlie a range of influence factors, e. g. the dike geometry, meteorology, dike material and vegetation. In this matter, trees represent a potential safety hazard for structural damage or failure as found during past floodings and storm surges. The ecological, cultural and aesthetic functions of trees on dikes or dams are in contrast with the increased risk of structural failure due to tree failure, surface or inner erosion and damage of functional elements (e. g. sealings). During monitoring or maintenance measures or in case of flood fighting operations, trees may act as obstacles and lead to complications. In specific cases, e. g. with special structural measures (dike oversizing, tree securing, etc.), trees can be allowed on dikes and positive effects can be attained.

    1 Einleitung

    Deiche und Dämme schützen weltweit entlang der Küsten und Flüsse umfangreiche Landflächen vor Überflutungen bei erhöhten Wasserständen. Versagen die Deiche jedoch wie bei Sturmflutkatastrophen (z. B. Holland im Jahr 1953 oder Deutschland im Jahr 1962 bzw. 1976) oder Hochwasserkatastrophen (wie z. B. an der Oder im Juli 1997, der Elbe im Sommer 2002 bzw. im Sommer 2013) so können Menschenleben gefährdet sein. Außerdem können die materiellen Verluste (Eigentum, Ernte, Arbeitsplatz, Schaden für die Volkswirtschaft) sehr hoch sein (z. B. SCHÖNFELD & TORNOW 1976). Daher sind Deiche und Dämme aus Sicht des Hochwasserschutzes so zu bemessen, dass sie auch bei extremen Fluten den hohen Belastungen des Wassers widerstehen können. Infolge natürlicher Gegebenheiten oder von Pflanzungen sind streckenweise Bäume auf Deichen und Dämmen zu finden. Während positive Effekte für Mensch und Umwelt infolge der ökologischen Aufwertung durch hölzerne Strukturen zu verzeichnen sind, dürfen die negativen Auswirkungen auf das Schutzbauwerk Deich nicht unberücksichtigt bleiben (SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002).

    2 Deiche und Dämme – wasserbauliche Grundlagen

    2.1 Begriffsbestimmung

    Deiche sind temporär eingestaute Erdbauwerke zum Schutz des Hinterlandes gegen Überflutung. Sie können in drei verschiedene Deichtypen klassifiziert werden:

    Seedeiche: Seedeiche sind, besonders wenn es sich um scharliegende Deiche (ohne Vorland) handelt, bei Sturmflut einer hohen Wellenbelastung ausgesetzt. Die Belastungsdauer ist aufgrund der täglichen Tideschwankungen (Flut und Ebbe) im Vergleich zu den folgenden Deichtypen relativ gering. Daher treten die meisten Deichschäden infolge Wellenbelastung durch Wellendruckschlag und Wellenüberlauf auf.

    Strom- oder Ästuardeiche: Strom- bzw. Ästuardeiche befinden sich entlang der Tideflüsse (in Deutschland Elbe, Weser, Ems und Eider). Bei Sturmflut ist der Wasserstand abhängig vom Oberwasserzufluss und vom seeseitig in die Flussmündung eindringenden Meerwassers. Daher kann der Wasserstand höher als bei Seedeichen sein. Die Wellenbelastung ist aufgrund der meist fehlenden Streichlänge und der Abschirmung von Seegang aus der offenen See geringer. Viele Stromdeiche wurden in der Vergangenheit überströmt (z. B. Hamburg 1962, KOLB 1967). Die Stromdeiche sind sowohl auf eine hohe Belastungsdauer infolge lang anhaltender Wasserstände als auch auf Wellenbelastung auszulegen.

    Flussdeiche: Flussdeiche befinden sich entlang vieler Flüsse und werden auf den zu erwartenden Hochwasserabfluss bemessen. Da die Hochwasserwelle mehrere Tage bis Wochen andauern kann, sind Sickerströmungen bei der Deichbemessung zu beachten.

    Im Gegensatz zu Deichen handelt es sich bei Dämmen um dauerhaft eingestaute Erdbauwerke, z. B. Staudämme. Abbildung 1 zeigt schematisch den Aufbau von zwei typischen Seedeichen (Schardeich, Vorlanddeich). Abbildung 2 zeigt Fotos klassischer See- und Flussdeiche (SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002).

    Abbildung 1: Schematische Darstellung zweier typischer Deichprofile (Quelle: SCHÜTTRUMPF 2002) 

    Abbildung 2: Typischer Seedeich (links) und Flussdeich (rechts)

    Zentrale Aufgabe von Deichen ist die Gewährleistung der Deichsicherheit, die wie folgt definiert ist:

    Als Deichsicherheit wird die Eigenschaft eines Deichkörpers mit seinen Sicherungs- und Schutzwerken einschließlich der Deichschutzfunktion des Vorlandes definiert, den angreifenden Kräften aus allen festzulegenden Belastungsgrößen (Seegang, Wasserstände, Schiffswellen etc.) einen ausreichenden Widerstand gegenüberzustellen, und den Deich in seiner festgelegten Konstruktion, in einem gepflegten Unterhaltungszustand und ggf. mit Mitteln der Deichverteidigung zu erhalten.

    2.2 Versagensformen

    Zur Beschreibung des Versagensprozesses von Deichen und Dämmen werden einige Begriffe verwendet, die im Folgenden kurz definiert werden sollen:

    Infiltration: Eindringen von Wasser aufgrund hoher Wasserstände von der Außenböschung, Deichkrone oder Binnenböschung in den Deichkern entweder durch den Boden oder durch Gänge von Wühltieren.

    Erosion: Abtragung der Erdschichten durch Strömungskräfte infolge von Strömungen, Wellenauflauf oder Wellenüberlauf.

    Ausschläge: Ausschläge entstehen durch Druckschläge infolge an der Deichböschung brechender Wellen an der Außenböschung von Deichen und werden durch die auf- und ablaufenden Wellen weiter vertieft.

    Rutschung: Bei einer Rutschung rutscht die lockere, durchwurzelte Kleidecke auf dem Deichkern bzw. einer kompakten Kleischicht ab. Hierbei handelt es sich um einen Böschungsbruch auf einer geraden Gleitfläche.

    Kappensturz: Ein Kappen- oder Kammsturz bezeichnet das Abrutschen eines Teils der Kappe (oder des Kammes bzw. der Deichkrone) oder der gesamten Kappe auf die binnenseitige Böschung.

    Eine detaillierte Analyse von Deichschäden an See-, Strom- und Flussdeichen zeigt (SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002), dass für das Eintreten eines Schadensfalls das Zusammentreffen mehrerer ungünstiger Faktoren entscheidend ist. Hauptursachen für eine Schädigung sind eine nicht ausreichende Kronenhöhe, eine unzureichende Pflege der Grasnarbe, Bäume und Installationen im Deich, ungünstige Bodeneigenschaften sowie zu steile Böschungsneigungen.

    Ein Schaden an der Deichaußenböschung beginnt durch die Erosion der Grasnarbe infolge auf- und ablaufenden Wassers. Hierdurch werden Bodenpartikel aus der Grasnarbe ausgespült. Bei ansteigendem Wasserstand und anhaltender Wellen- oder Strömungsbelastung kommt es dann zu Ausschlägen. Hierbei wird die Grassode aufgerissen und die Außendichtung zerstört. Der so entstandene Schaden vergrößert sich durch rückschreitende Erosion und es kommt zur Ausbildung von Kliffen, die an der Küste Höhen bis zu 3 m erreichen können (Bsp. s. Abbildung 3) (SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002).

    Abbildung 3: Versagensformen und ihre Ursachen auf der Außenböschung (Quelle: SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002)

    Ein Schaden an der Binnenböschung beginnt überwiegend durch Erosion der Grasnarbe (Abbildung 4a). Der lockere Boden zwischen den Wurzeln wird ausgewaschen (Rasenabschälen). Durch Infiltration löst sich die lockere Pflanzendecke von der Deichkrone ab (Rasenabsetzen, s. Abbildung 4b) und rutscht schließlich als flüssige Masse auf der Binnenböschung ab (En-Bloc-Rutschung, Abbildung 4c). Während die Erosion die Primärbelastung darstellt, die zu einer ersten Beschädigung des Deiches führt, bewirkt die Infiltration als sekundäre Belastung das Teilversagen des Deiches (Abrutschen der Deichbinnenböschung). Damit ist der Deich vorgeschädigt und weiter überlaufende oder überströmende Wassermassen haben die Möglichkeit, den Deich weiter zu zerstören (Abbildung 4).

    Hat das Wasser die Möglichkeit, durch Spalten in der Oberflächendichtung bis zum Deichkern vorzudringen, so kann ein Böschungsbruch eintreten, der als Kappensturz bezeichnet wird (Abbildung 4d). Der so geschädigte Deich hat nur noch ein geringes Widerstandsverhalten und wird dann relativ schnell von der Binnenseite zerstört, bis es schließlich zum Gesamtversagen des Bauwerks (Deichbruch) kommt (Abbildung 4e, f).

    Abbildung 4a-f: Versagensformen und ihre Ursachen auf der Binnenböschung (Quelle: SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002)

    Dieses Schadensmuster kann auf die überwiegende Anzahl der Deichschäden übertragen werden, die seit Beginn des Deichbaus eingetreten sind. Während in früheren Jahrhunderten die vollständige Überströmung des Deiches zum Gesamtversagen führte, sind die meisten Schäden an Seedeichen bei den beiden großen Sturmfluten 1962 und 1976 auf Rutschungen der Binnenböschung infolge Wellenüberlauf zurückzuführen. Schäden an Fluss- und Stromdeichen sind dagegen überwiegend auf Überströmung bzw. lang anhaltende Durchsickerungen zurückzuführen.

    Das Versagen eines Deiches kann auch infolge Durchsickerung, Durchströmung bzw. Unterströmung eines Deiches eintreten. Die morphologischen Prozesse entsprechen im Wesentlichen denen, die auch bei Wellenüberlauf bzw. Überströmung auftreten, d. h. die durchweichte Binnenböschung rutscht auf dem Deichkern ab, oder es kommt zum Kappensturz. Das durch den Deich sickernde Wasser kann großflächig oder lokal aus dem Deich austreten und weicht so die Binnenböschung vom Deichfuß her auf. Derartige Wasseraustrittsstellen werden auch als Hangquelle und das austretende Wasser als Qualmwasser bezeichnet (DVWK 1986). Die durch das austretende Wasser durchweichte Binnenböschung verliert schließlich ihre Standsicherheit und rutscht ab (En-bloc-Rutschung oder Kappensturz).

    Neben dem großflächigen Verlust der Standsicherheit kann auch die Umlagerung der Bodenteilchen durch Suffusion (Auswaschen feiner Bodenteilchen aus dem Gefüge) oder Kontakterosion (Auswaschung von Bodenteilchen einer feinkörnigen Bodenschicht durch eine grobkörnige Bodenschicht) stattfinden. Wurden auf diese Weise Bodenteilchen ausgespült, so kann es zur rückschreitenden Erosion kommen. Hierdurch kann eine Erosionsröhre entstehen, durch die das Wasser von der Wasserseite zur Landseite strömt. Die Wandungen der Erosionsröhre werden weiter erodiert, bis es schließlich zum Deichbruch kommt. Rückschreitende Erosion kann aber auch an durchströmten Wühlgängen oder abgestorbenen Baumwurzeln beginnen.

    Auch bei Schäden infolge Durchsickerung des Deiches ist der Bodenaufbau entscheidend. Ein sandiger Deich bzw. ein sandiger oder torfhaltiger Untergrund begünstigt die Durchsickerung und damit die Gefahr eines Deichbruchs. Ansatzpunkte für Schwachstellen im Deichuntergrund können aber auch Wehlen früherer Deichbrüche und sogar Bombeneinschläge sein.

    Neben der Unterscheidung der Versagensprozesse ist auch eine Unterscheidung nach der physikalischen Ursache sinnvoll (SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002):

    Erosion infolge Auf- und Ablaufgeschwindigkeiten auf der Deichaußenböschung

    Ausschläge infolge Druckschlagwirkung brechender Wellen

    Ausschläge infolge dynamischen Auftriebs (eher Deckwerke)

    Erosion infolge Überströmung oder überlaufender Wellen

    Infiltration von Wasser durch Deichaußenböschung, Deichkrone und Deichbinnenböschung

    Durchsickerung und Durchströmung des Deiches

    Eisbelastung

    2.3 Einflussfaktoren auf Deichschäden

    Deich- oder Dammschäden sind selten das Ergebnis einer einzelnen Schadensursache. Meistens führt erst die Überlagerung mehrerer ungünstiger Faktoren zu einem Schaden und damit zu einem möglichen Gesamtversagen des Bauwerks. Die Faktoren, die bei einem ungünstigen Aufeinandertreffen einen Schaden begünstigen können, sind in der Regel folgender Natur (Abbildung 5).

    Meteorologie: Deichschäden entstehen meistens als Folge von Sturmfluten oder Hochwasserereignissen und der damit verbundenen Anhebung des Wasserstandes und der Dauer und Intensität der Wellen- bzw. Strömungsbelastung. Weiterhin führen starke Regenfälle zu einer zusätzlichen Durchweichung des Bodens. Bei sehr steilen Deichböschungen ist bereits ein starker Regenguss ausreichend, um die Binnenböschung ins Gleiten zu bringen. Eine lange Trockenzeit dagegen führt zu Spaltrissen im Deichboden, wodurch das Wasser leichter in den Deichboden eindringen kann. Auch eine lange Frostperiode greift die schützende Kleidecke an und macht diese rissig. Durch Risse in der Kleidecke wird die Infiltration begünstigt und Gleitfugen können wirksam werden (Schmierschicht!) (SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002).

    Deichgeometrie: Grundvoraussetzung für eine Beschädigung der Binnenböschung durch überlaufende Wellen ist eine nicht ausreichende Freibordhöhe und zu steile Böschungsneigungen, sodass das Wasser nicht schadlos abgeführt werden kann. Auch für die Außenböschung ist die Wahl der richtigen Neigung entscheidend für die Vermeidung von Ausschlägen. Generell wird die Verwendung flacher Böschungsneigungen (Seedeiche 1:n = 1:6, Flussdeiche 1:n = 1:3) empfohlen. Für die Neigung der Binnenböschung wird die Verwendung von 1:3 geneigten Böschungen empfohlen. Auch die Topographie des Deichvorlands (Schardeich, Vorlanddeich) hat indirekt über die Entwicklung des Seegangs einen Einfluss auf die Deichbelastung.

    Deichboden: Für die Entwicklung eines Deichschadens ist die Beschaffenheit des Deichbodens verantwortlich. Trockenrisse infolge ungenügender Befestigung oder ein zu hoher Sandgehalt können zu einer starken Infiltration von Wasser führen. Auch nachträglich auf den Deich aufgebrachte Kleischichten rutschen bei extremer Belastung vom Deichkern ab, da in Spaltrisse eindringendes Wasser eine Schmierfläche zwischen Deichkern und neuer Kleischicht entstehen lässt.

    Abbildung 5: Einflussfaktoren auf Deichschäden (Quelle: SCHÜTTRUMPF 2002)

    Vegetation: Der Zustand der Grasdecke, insbesondere der Wurzelbeschaffenheit, beeinflusst das Widerstandsverhalten des Deiches maßgeblich und bildet häufig einen ersten Ansatzpunkt für einen Deichschaden. Wühltiere (Maulwürfe, Feldmäuse, Bisamratten, Kaninchen und Füchse) im Deich fressen an den Wurzeln und ermöglichen mit ihren Gängen ein Eindringen des Wassers und somit eine Durchweichung des Bodens. Ein weiterer Ansatzpunkt für Deichschäden sind Bäume im Deich, in deren Schatten weniger Gras wächst und die außerdem vom Wind gerüttelt werden, sodass der Boden gelockert wird. Vermodernde Wurzeln begünstigen ebenfalls die Infiltration von Wasser in den Deichkörper. Die Beweidung der Deiche durch Kühe, Schafe, Pferde oder Gänse führt zu Trittschäden an der Grassode und bei steilen Böschungen zu einer Umlagerung des Deichprofils. Auch die Pflanzenbeschaffenheit selber beeinflusst den Erosionswiderstand einer Böschungsoberfläche. Ein hoher Anteil an dikotylen Pflanzen (z. B. Distel, Wiesenkerbel, Pestwurz) schwächt infolge der großen Blätter die Wurzeldichte der Pflanzendecke.

    Installationen: Dränrohre, Wasserleitungen, Kabel, Weidezäune, Masten, Treppen, Häuser im Deich, Bänke und Überfahrten bilden Ansatzpunkte für eine Erosion der Deichoberfläche, da es hier zu örtlich erhöhten Strömungsgeschwindigkeiten des überlaufenden Wassers kommt und die Pflanzendecke im Bereich dieser Objekte häufig geschwächt ist.

    Unterhaltung: Fahrspuren und Trampelpfade sind die Hauptursache von Schäden an der Deichkrone. Auch eine mangelhafte Pflege der Grasdecke wie z. B. eine nicht geräumte Treibseldecke, die Schädlingen (Wühltieren) Unterschlupf bietet und die Unkrautbildung begünstigt, schwächt die Deichoberfläche. Selbst am Deich spielende Kinder können mit ihren Bauten den Deich beschädigen und schaffen damit Ansatzpunkte für größere Deichschäden.

    Treibgut: Treibgut hat für die Belastung der Außenböschung eine hohe Bedeutung. Gegenstände werden bei schwerem Sturm losgerissen und treiben unkontrolliert im Wasser. Hierbei kann es sich z. B. um Treibholz, Bäume, Container, Fischerboote, Sportboote etc. handeln. Diese Objekte schädigen die Grasnarbe bzw. die Kleidecke und begünstigen somit die Wirkung der Wellen bzw. des Wasserstandes (Infiltration von der Außenböschung) (SCHÜTTRUMPF & OUMERACI 2002).

    3 Im Detail: Bäume auf Deichen und Dämmen

    3.1 Deichschäden infolge hölzerner Vegetation auf Deichen und Dämmen

    Immer wieder werden Bäume als negativer Einflussfaktor bei Hochwasser oder Sturmflut und damit als Mitauslöser für Deichschäden identifiziert (Abbildung 6). Dokumentationen, z. B. der Schäden an Deichen während der Sturmflut vom 16./17. Februar 1962, zeigen Bäume als Gefährdung der Binnenböschung, da durch windinduzierte Bewegungen von Bäumen Bodenauflockerungen verursacht werden können und im Falle eines Baumversagens Löcher in der Deichoberfläche entstehen können (MELF 1962). Auf der Außenböschung wirken Bäume als Angriffspunkt für Erosion bei starker Strömung oder Wellenangriff (TRAEGER 1962). Weiterhin wurden Verschlechterungen der Grasnarbe infolge des Schattenwurfs der Bäume festgestellt (TRAEGER 1962). Diese Erfahrungen und Lehren aus vergangenen Hochwasserereignissen und Sturmfluten haben zu der heutigen Praxis geführt, Bäume und Sträucher auf Deichen weitgehend zu vermeiden, da sie eine Gefährdung der Sicherheit des Schutzbauwerks Deich darstellen.

    Auch in jüngeren Jahren wurde von Deichschäden infolge von Baumsturz berichtet. Während des Sturmtiefs „Ela" im Jahr 2014 stellten Bäume eine Gefahr für den Hochwasserschutz dar, da sie einen Angriffspunkt für Wind und Wasser bildeten. Konnten die Wurzeln keinen ausreichenden Halt gegen die angreifenden Kräfte bieten, so wurden die Bäume umgerissen und ließen große Löcher in der Deichoberfläche zurück.

    Abbildung 6: Deichschaden infolge von Bäumen an einem Deich in Vietnam: Erhöhte Erosionserscheinungen im Bereich der Bäume mit Wurzelfreilegungen nach Überströmung

    3.2 Bäume auf Deichen – Ja oder Nein?

    Hölzerne Vegetation auf Deichen oder Dämmen ist nach wie vor ein umstrittenes Thema. Im Allgemeinen haben sich dichte Grasnarben zum Schutz der Oberfläche von Deichen und Dämmen bei milden bis mittleren Belastungen bewährt (EAK 2002). Durch natürliche Entwicklung oder menschliche Einflüsse können jedoch gelegentlich auch hölzerne Vegetationen in Form von waldähnlichen Beständen, Baumreihen oder einzelnen Bäumen auf Deichen und Dämmen auftreten (HASELSTEINER 2010b). Während hölzerne Vegetation ökologische Funktionen, z. B. Bereitstellung von Lebensräumen und Wasser-, Luft- und Temperaturverbesserungen sowie kulturelle, der Erholung dienende und ästhetische Funktionen bietet (KISSE & ELLEBRACHT 2015; ZANETTI et al. 2016), werden die Effekte auf die Deichsicherheit kontrovers diskutiert.

    Gräser bewirken eine vergleichsweise flache Verwurzelung des Bodens, während Bäume und Sträucher ein tiefer reichendes Wurzelwerk aufweisen (GRAY 1995). Somit unterscheidet sich auch die Wirkung auf das Schutzbauwerk Deich. Durch die tieferen und stärkeren Wurzeln von Bäumen wird eine erhöhte (globale) Standfestigkeit erzeugt, während Gräser und Kräuter durch eine dichte Bodendeckung den Widerstand gegen Oberflächenerosion erhöhen (GRAY 1995; PFLUG & STÄHR 1999; LAMMERANNER & HASELSTEINER 2010). Weiterhin werden Bäumen positive Effekte auf die Bodenfeuchte infolge von Interzeption, Wasseraufnahme und Transpiration (GRAY 1995; SEETHALER 1999; ZANETTI et al. 2016) und die Wirkung als Wellenbrecher oder Strömungsberuhiger und Schutz gegen Eisgang (SEETHALER 1999; HASELSTEINER 2010b; LAMMERANNER & HASELSTEINER 2010) zugesprochen. Vereinzelt wird ein reduzierter Unterhaltungsaufwand in Verbindung mit Bäumen auf Deichen oder Dämmen genannt (PFLUG & STÄHR 1999; LAMMERANNER & HASELSTEINER 2010).

    Positiven Effekten des Wurzelwerks auf die Standfestigkeit des Bauwerks stehen ein erhöhtes Risiko von baumbedingten Deich- oder Dammschäden, z. B. bei einem Baumversagen, oder Schäden der Abdichtung entgegen. Zudem gelten Bäume als Angriffspunkt für Oberflächenerosion durch Strömungskonzentrationen und Turbulenzen. Innere Erosion kann infolge der Hohlraumbildung bei Wurzelsterben begünstigt werden (SEETHALER 1999; DWA-M 507–1; CIRIA 2013; ZANETTI et al. 2016). Weiterhin können zusätzliche Kräfte (z. B. Windkräfte) in die Böschung übertragen, die Entwicklung einer dichten, erosionsresistenten Grasdecke durch Beschattung erschwert und das Risiko, Wühltiere anzulocken, erhöht werden (DWA-M 507—1; CIRIA 2013). Bei Monitoring- und Unterhaltungsmaßnahmen sowie insbesondere bei Deichverteidigungsmaßnahmen im Hochwasserfall können Bäume als Störelemente zu Komplikationen führen (GRAY 1995; DWA-M 507–1; CIRIA 2013).

    Während gängige Empfehlungen und Regelwerke für Planung, Bau und Unterhaltung von Dämmen und Deichen das Vorhandensein von Bäumen grundsätzlich untersagen (DIN 19712/1997; USACE 2014), können Ausnahmen möglich sein, sofern die Bauwerkssicherheit und Funktionalität nicht eingeschränkt sind oder erhöhte Risiken akzeptabel sind (HASELSTEINER 2010a). Verstärkungs- oder Ausgleichsmaßnahmen, z. B. in Form von Deichüberdimensionierungen oder Baumsicherungen, können dabei Optionen zur Gewährleistung der Deichsicherheit darstellen und den Erhalt von Bäumen auf Deichen ermöglichen. Ausführliche Beschreibungen und Darstellungen von statisch wirksamen Dichtungen zur Gewährleistung der weiteren Hochwasserschutzfunktion im Falle von Windwurf oder Deichschäden und Möglichkeiten zur Sicherung von Einzelbäumen auf Deichen sowie erforderlicher Unterhaltungsmaßnahmen können beispielsweise HASELSTEINER & STROBL (2006) entnommen werden. Hierbei ist zu beachten, dass die Sicherung und Ertüchtigung von Deichen mit Bäumen i. d. R. mit einem erheblichen finanziellen Mehraufwand verbunden ist (HASELSTEINER & STROBL 2006). Für weitere Praxisbeispiele wird zudem auf DUJESIEFKEN & HAGEN (2019) und HASELSTEINER (2019) verwiesen.

    Aktuell befindet sich das Regelwerk zu landschaftsökologischen Aspekten für Deiche an Fließgewässern in der Bearbeitung, in dem auch eine Thematisierung von Bäumen auf Flussdeichen zu erwarten ist (DWA-M 507–2).

    Literatur

    CIRIA, 2013: The International Levee Handbook. London: CIRIA (CIRIA, C731).

    DIN 19712/1997, 1997: Flussdeiche.

    DUJESIEFKEN, K.; HAGEN, F. C., 2019: Erhalt von Altbäumen auf Dämmen – Konflikte – Lösungen – Umsetzung am Beispiel der Stör-Wasserstraße. In: DUJESIEFKEN, D. (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2019. Haymarket Media, Braunschweig,52–66.

    DVWK, 1986: Merkblätter zur Wasserwirtschaft. Flußdeiche. Nr. 210. Verlag Paul Parey.

    DWA-M 507–1, 2011–12: Deiche an Fließgewässern Teil 1: Planung, Bau und Betrieb.

    DWA-M 507–2, in Bearbeitung: Deiche an Fließgewässern Teil 2: Landschaftsökologische Aspekte bei Flussdeichen.

    EAK, 2002: Empfehlungen für Küstenschutzwerke. Korrigierte Ausgabe 2002. In: Kuratorium für Forschung im Küsteningenieurwesen (KFKI) (Hrsg.): Die Küste, Bd. 65. Karlsruhe: Bundesanstalt für Wasserbau (BAW).

    GRAY, D. H., 1995: Influence of Vegetation on the Stability of Slopes. In: BARKER, D. H. (Hrsg.): Vegetation and Slopes. Stabilisation, Protection, and Ecology. Proceedings of the International Conference held at the University Museum, Oxford, 29–30 September 1994. London, New York, NY: T. Telford; American Society of Civil Engineers [distributor], 2–25.

    HASELSTEINER, R., 2010a: Woody Vegetation on Small Embankments. In: Proceedings of the 8th ICOLD European Club Symposium: dam safety – sustainability in a changing environment. Innsbruck, Austria, 22.-23.09.2010.

    HASELSTEINER, R., 2019: Bäume an und auf Hochwasserschutzanlagen – Praxisbeispiele und Hinweise. In: DUJESIEFKEN, D. (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2019. Haymarket Media, Braunschweig, 41–52.

    HASELSTEINER, R.; STROBL, T., 2006: Deichertüchtigung unter besonderer Berücksichtigung von Gehölzen. In: HERMANN, J.; JENSEN, J. (Hrsg.): Sicherung von Dämmen, Deichen und Staunanlagen: Handbuch für Theorie und Praxis, Bd. 2. Siegen: Siegen – universi, 325–353.

    HASELSTEINER, R., 2010b: Der Bewuchs an und auf Hochwasserschutzdeichen an Fließgewässern aus technischer und naturschutzfachlicher Sicht. In: Wasserbauliche Mitteilungen, Bd. 40. Dresdner Wasserbaukolloquium. Dresden, 373–382.

    KISSE, A.; ELLEBRACHT, M., 2015: Bäume auf Deichen – Hochwasserschutz kontra ökologische Landschaftsplanung? In: HERRMANN, R. A.; JENSEN, J. (Hrsg.): Sicherung von Dämmen, Deichen und Stauanlagen. Siegener Symposium zur „Sicherung von Dämmen und Deichen". Siegen, 189–201.

    KOLB, A., 1962: Morphologie der Deich- und Flurbeschädigungen zwischen Moorburg und Cranz. Gemeinschaftsarbeit des Inst. Für Geographie und Wirtschaftsgeographie der Universität Hamburg. Selbstverlag. Hamburger Geographische Studien. H. 16.

    LAMMERANNER, W.; HASELSTEINER, R., 2010:

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