BNE in der Kita: Bildung für Nachhaltige Entwicklung in Theorie und Praxis
Von Verlag Herder
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Über dieses E-Book
Michael Brodowski, Professor des Masterstudiengangs für Netzwerkmanagement Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin, ordnet als Herausgeber dieses Werkes, das für die Kita-Praxis oftmals diffus erscheinende Feld der BNE. Neben einer umfassenden theoretischen Einordnung werden konkrete praktische Beispiele und Modelle aus und für Kitas dargestellt.
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Buchvorschau
BNE in der Kita - Verlag Herder
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Covermotiv: © freepik / AdobeStock
Fotos: siehe Bildnachweis
Coverkonzeption und Layout: Uwe Stohrer, Freiburg
Umschlaggestaltung, Satz & Gestaltung: Arnold & Domnick, Leipzig
Lektorat: Julia Pirschl, Freiburg
Konvertierung: Newgen Publishing Europe
Aus Umweltschutzgründen wurde dieses Buch ohne Folie produziert.
ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-81624-6
ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-82348-0
ISBN (Print) 978-3-451-39075-3
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Inhaltsverzeichnis
Informationen zum Buch
Impressum
Inhalt
Michael Brodowski
Was Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung (BNE) ist und was sie für Kitas sein kann – eine Einführung
Kapitel 1
Einordnung „Was ist eigentlich Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung (BNE)?"
Michael Brodowski
Das Weltaktionsprogramm BNE und Ergebnisse der Expert*innengruppe Frühpädagogik
Pia Paust-Lassen
Netzwerke im Weltaktionsprogramm BNE
Kapitel 2
Theoretische und gesellschaftliche Exkurse
Michael Brodowski
Lerntheoretische Einordnung einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung
Stephan Köster
Gesellschaft, Transformation und Kindertagesstätte
Judith C. Enders und Amanda Groschke
Ästhetische Forschung im Kontext von BNE in der Kita
Jens Hübner
Leiten und Führen einer Kita mit Schwerpunkt BNE
Mandy Schulze
Soziale Netzwerke sichtbar machen – ein Beitrag zur Bildung für Nachhaltige Entwicklung und zur Professionalisierung
Rainer Pitschas und Günter Thiele
Nachhaltigkeit der frühkindlichen und jugendspezifischen Bildung durch Sport und Spiel – eine institutionelle Perspektive
Kapitel 3
Praktische Beispiele und Modelle
Michael Brodowski
Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung (BNE) im Studium der Kindheitspädagogik verankern – das Beispiel Master Netzwerkmanagement BNE Schwerpunkt Kindheitspädagogik
Melanie Evans-Eichhorst
Duale Ausbildung und BNE aus Trägerperspektive
Vera Oostinga
Naturerleben – sich selbst begegnen – Nachhaltigkeit spüren. Wie Aufenthalte in der Natur die Persönlichkeit stärken und Nachhaltigkeit erlebbar machen
Pia Paust-Lassen
Kindertagesstätten nachhaltig gestalten
Inka Seidel-Grothe
Zeit für eine neue Haltung – Tiergestützte Pädagogik und Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung (BNE)
Kapitel 4
Projekte zum Nachmachen
Ingrid Miklitz
Nachhaltigkeit mit Kindern leben – wertebasierte Pädagogik in der Kita
Ingrid Miklitz
Auf dem Weg zur plastikfreien Kita
Jasmin Geisler
Die faire Kita
Regina Bestle-Körfer
Waldbaden mit Kindern – Achtsamkeit in der Natur
Heide Bergmann
Urban Gardening mit Kindern – Nachhaltige Gartenprojekte für die Kita
Karin Wirnsberger
Ein Blick über den Tellerrand
Melanie Evans-Eichhorst
„Virtuelles Wasser und „Ökologischer Fußabdruck
– als Einstieg in das Thema Bildung für Nachhaltige Entwicklung
Melanie Evans-Eichhorst
Spurensuche im Supermarkt – oder woher kommt das Obst?
Melanie Evans-Eichhorst
Mitmach-Projekt „Klimaschützer – nachhaltige Mobilität im ländlichen Raum"
Melanie Evans-Eichhorst
Windenergie von „0 bis 99 Jahren"
Melanie Evans-Eichhorst
Was raschelt da in der Hecke?
Susanne Sombert und Melanie Evans-Eichhorst
Der Blattwichtel – Photosynthese für Kita-Kinder erfahrbar machen
Anhang
Über die Autor*innen
Bild- und Quellennachweis
Michael Brodowski
Was Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung (BNE) ist und was sie für Kitas sein kann – eine Einführung
Auf den Grundlagen der Agenda 21 – global denken, lokal handeln – fußt der Gedanke, wie man nachhaltige Entwicklung weltweit und flächendeckend umsetzen kann. Wie ändert man also ggf. eine gewachsene Handlungsperspektive, die eben nicht nachhaltig ist? Wie schafft man nachhaltige Alternativen, die es lohnt, auszuprobieren? Wie kann es gelingen, all die bereits vorhandenen Ansätze zu einem mentalen Modell einer nachhaltigeren Welt zu bündeln? Wie kann Ökologie, Ökonomie, Soziales, Politik und Kultur so zusammenwirken, dass für alle auf dieser Erde eine nachhaltige Gegenwart und Zukunft möglich ist?
Der Weg, diese wesentlichen, existentiellen Fragen auch nur ansatzweise zu beantworten, ist Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung. Dahinter steht die Einsicht, dass Lernen über Erfahrungen zu Veränderungen führen kann, die so tiefgreifend sind, dass ein Umdenken und damit eine Entwicklung hin zur Nachhaltigkeit möglich werden. Dabei ist „Nachhaltige Entwicklung […] eine Entwicklung, die die Lebensqualität der gegenwärtigen Generation sichert und gleichzeitig zukünftigen Generationen die Wahlmöglichkeit zur Gestaltung ihres Lebens erhält", wie es die Brundtlandkommission 1987 formulierte. Nachhaltige Entwicklung hat vier Dimensionen: Ökonomische und ökologische, soziale und kulturelle Aspekte müssen dabei zusammenfließen.
Im Sinne dieses Leitbilds ist es eine gesellschaftliche Aufgabe, die natürlichen Lebensgrundlagen für jetzige und folgende Generationen in der einen Welt zu bewahren und einen Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit und kultureller Vielfalt zu leisten.
Dabei ist die Begrifflichkeit der Nachhaltigkeit kein neues Phänomen. Eine ähnliche Erkenntnis erlangten Forstarbeiter und Forstwissenschaftler bereits im 18. Jahrhundert, als Wälder für wachsende Ansiedlungen und zunehmende Metallverarbeitung abgeholzt wurden. In der Forstwirtschaft hatte man schon die Erkenntnis, dass sich der Wald nur dann dauerhaft nutzen lässt, wenn der Holzeinschlag und die Aufforstung in einem ausgewogenen Verhältnis stehen und der Wald wieder nachwachsen kann, so dass auch spätere Generationen, also unsere Kinder und Enkel, noch genügend Holz ernten können. Auch Alexander von Humboldt erkannte die Zusammenhänge der Natur im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung, auch wenn er nicht den Begriff selbst prägte. Bei seinen Forschungen in Südamerika stellte er immer wieder fest, wie die einzelnen Elemente etwa des Regenwaldes miteinander verbunden sind und wie empfindlich das Ökosystem auf Veränderungen reagiert: Veränderungen durch den Menschen zogen dabei, damals noch unbeachtete, Folgen nach sich, die Humboldt aus einer eher ganzheitlichen Perspektive beobachtete und dokumentierte.
Die nachhaltige Entwicklung und Zukunftsfähigkeit zielt darauf ab, dass die Menschheit nur so viel verbrauchen darf, wie im gleichen Zeitraum nachwächst oder auf andere Weise wiederhergestellt wird. Die Forstwirtschaft hat daraus gelernt und ihr Prinzip grundlegend geändert. Doch wie sieht es auf unserem Planeten aus? Hier scheint dieses Gleichgewicht immer spürbarer aus den Fugen zu geraten.
Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) basiert auf der Erkenntnis, dass unsere derzeitige Art, zu leben und zu wirtschaften, nicht fortgesetzt werden kann, ohne dass ökologische Risiken sowie ökonomische und soziale Ungerechtigkeiten weltweit zunehmen. „Der bereits spürbar stattfindende Klimawandel macht heute schon klar: Wir müssen uns deutlich und schnell umorientieren. Das gelingt nur, wenn viele Menschen gemeinsam im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung handeln. BNE möchte die Menschen dazu befähigen. Sie motiviert, Zukunftschancen zu erkennen und gemeinsam mit anderen aktiv und verantwortungsvoll zu nutzen. Zukunftsorientiertes Lernen und Handeln ist dabei an keine Altersstufe gebunden und richtet sich an alle Bildungsbereiche, schulische und außerschulische Lern- und Erfahrungsfelder – auch die der Früh- und Kindheitspädagogik."
1
BNE ist damit ein ganzheitliches Lernkonzept, das nicht nur die Dimensionen der Nachhaltigkeit ausgewogen betrachtet und berücksichtigt, sondern sich auch bereits in der Art des „wie Lernens" zeigt. Neben Lernwerkstätten und Exkursionen, Experimenten und kooperativem Lösen von Problemen ist es immer eine Art des Lernens, die es ermöglicht, umfangreiche eigene, direkte Erfahrungen auch mit anderen gemeinsam zu machen. Die Präsentation dieser Erfahrungen kann dabei durch Impulse von außen unterstützt werden, muss aber im Wesentlichen selbst intendiert sein, wenn sie zu Veränderungen subjektiver Theorien über Nachhaltigkeit führen soll. Das betrifft, wie gesagt, alle Altersstufen, so dass BNE auch ein intergenerationaler Lernprozess ist. Dies gilt ebenfalls und im Besonderen für Bildungsinstitutionen wie Kita, Schule, Hochschule oder Berufsschule. Wir alle sind in diesem Fokus Lehrende und Lernende zugleich, da es keinen klaren Weg gibt, den es zu beschreiten gilt. BNE ist so komplex wie die nachhaltige Entwicklung selbst und damit in hohem Maße voraussetzungsvoll. Dies deshalb, weil man sich ggf. daran gewöhnen muss, etwas auszuprobieren, gemeinsam mit anderen Toleranz gegenüber Fehlern zu üben, aus denen man schließlich auch sehr viel lernen kann, oder sich schlicht im Sinne der Gemeinschaft einzusetzen, ohne genau zu wissen, ob das gemeinsame Projekt am Ende auch gelingen kann.
BNE ist gerade deshalb auch ein wunderbares Konzept für Kindertagesstätten (Kitas), gibt es doch viele Ansätze, die bereits in vielen Kitas etabliert sind, auf denen man aufbauen kann. Genannt seien bspw. neben Klassikern wie Montessori-, Waldorf- und Kneipp-Pädagogik der Situationsorientierte Ansatz, die offene Arbeit oder der Early-Excellence-Ansatz. Aber neben diesen Konzepten gibt es eine Vielzahl kleiner, täglicher Bildungssettings, die sehr viel mit den Grundgedanken einer BNE zu tun haben. Wenn man diese gemeinsam mit Kindern, Eltern und Kolleg*innen entdeckt, kann es gelingen, BNE mit viel Freude und Ideenreichtum auch zu einem Schwerpunkt für die eigene Kita auszubauen oder sogar als Profil zu etablieren.
Bei all den Herausforderungen und Aufgaben, vor denen Kitas heute stehen und auch zukünftig stehen werden – dabei ist permanenter Fachkräftemangel nur eines der vielen strukturellen Probleme –, ist dies sicher keine leichte Aufgabe, denn BNE ist sehr komplex. Wie soll man alle Dimensionen einer BNE in der täglichen Arbeit verbinden? Was, wenn wir bspw. auf die Beschaffung für unsere Kitas gar keinen Einfluss haben? Wie nehmen wir die Eltern mit auf diese Reise zu mehr Nachhaltigkeit? Und ist schließlich BNE nicht noch ein Ansatz oben drauf, wo wir uns doch gerade an die offene Arbeit gewöhnt haben?
Aber bei aller anfänglichen Skepsis trifft man immer mehr Kolleg*innen, die erste Schritte gegangen sind und begeistert waren. Meist haben sie mit kleinen Schritten begonnen, Schritten, die schnell zu einem sichtbaren Erfolg führten, die die Teams nicht überlastet haben und an eben jenen Ansätzen andocken konnten, die bereits etabliert waren. Ergebnis sind oft positive Erlebnisse gemeinsam mit Eltern, Kindern und Kolleg*innen, die dazu motivieren, noch einen Schritt zu gehen. Es sei aber auch deutlich gesagt, dass hierbei die Träger in der Pflicht sind, alles dafür zu tun, dass die Rahmenbedingungen in ihren Kitas stimmen, damit kooperatives Lernen dort gelingen kann. Dahinter sollte auch die Einsicht stehen, dass die Träger selbst ja nur so gut sein können wie ihre Kitas und umgekehrt auch die Kitas nur so gut sein können, wie der Träger es zulässt. Es ist und bleibt eine Wechselbeziehung besondere Art, die wir Autor*innen u. a. mit diesem Band unterstützen wollen. Er ist eben nicht nur für Erzieher*innen, Kindheitspädagog*innen oder Leitungen gedacht, sondern ebenso für Träger und interessierte Eltern. Es soll eine erste Sammlung wichtiger Einsichten und Erkenntnisse sowie praktischer Beispiele über das weite und komplexe Feld der BNE sein, das neben der Unterstützung der Akteur*innen des frühkindlichen Bereichs gleichzeitig die Reihe zur Nachhaltigen Entwicklung im Herder-Verlag rahmt, in der schon einige spannende Praxisbücher erschienen sind.
So steht in diesem Band auch gleich am Anfang die Frage, was eigentlich eine Bildung für Nachhaltige Entwicklung ist? Hierzu führt Michael Brodowski wesentliche Fakten des Weltaktionsprogramms BNE im Nachgang der UN-Weltdekade BNE zusammen und stellt die Ergebnisse der Expert*innengruppe Frühpädagogik, die unter Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung am Aktionsplan mitgearbeitet hat, vor. Hier werden sowohl Ziele als auch Maßnahmen entlang einer BNE aufgezeigt, die in den nächsten Jahren in Bildungsinstitutionen wie Kitas umgesetzt werden sollen. Pia Paust-Lassen stellt in einem Artikel die regionalen Netzwerke auf Länderebene vor, die sich mit der Umsetzung und / oder Koordination einer BNE in den einzelnen Bundesländern beschäftigen. Gedacht ist dieser erste Abschnitt als Einstieg, um den Leser*innen einen Überblick über die bereits vorhandenen und etablierten Strukturen einer BNE im frühpädagogischen Bereich zu geben. Nur so können die nachfolgenden Kapitel und Artikel sinnvoll gerahmt und der Kontext hinreichend erfasst werden.
Im zweiten Kapitel geht es um theoretische und gesellschaftliche Exkurse, die einen ersten kleinen Einblick geben sollen, worüber diskutiert wird. Die Artikel sind so gewählt worden, dass sie einen direkten Bezug zum Kita-Alltag aufweisen und so anschlussfähig an Einsichten und Ansichten der Kolleg*innen vor Ort sind. Uns war es als Autor*innen besonders wichtig, eben an diese bereits gemachten Erfahrungen sowie laufenden Diskurse in den Kitas anzuknüpfen, um ein besseres Verständnis der teils komplexen Zusammenhänge zu erreichen.
So beginnt dieses Kapitel mit den lerntheoretischen Ideen, die hinter dem Konzept einer BNE stecken. Michael Brodowski gibt in diesem Zusammenhang sowohl Einblicke in Formen kooperativen Lernens als auch hinsichtlich der Frage der Zusammenhänge informellen und formalen Lernens im Sinne nachhaltiger Lernprozesse. Stefan Köster nimmt sich der Aufgabe an, das komplexe Thema von Transformation, Gesellschaft und Kita verständlich zu entfalten und an Beispielen aus der Kitapraxis zu verdeutlichen. Er veranschaulicht, wie wichtig die Kita im Zuge einer gesellschaftlichen Transformation ist, und verleiht ihr dadurch auch als Bildungsinstitution außerhalb einer BNE zusätzliches Gewicht. Judith C. Enders und Amanda Groschke nehmen die Ästhetische Forschung in den Blick und zeigen, wie sie ein tragfähiges Modell sein kann, um in Kitas BNE umzusetzen. Forschung meint hier im weiteren Sinne vor allem das gemeinsame Suchen, Erfinden, Experimentieren entlang einer kooperativen Auseinandersetzung mit BNE. Jens Hübner widmet sich in seinem Beitrag dem Zusammenhang von BNE und Kita-Leitung und belegt, wie wichtig die Rolle der Leitung im Prozess einer Umsetzung von BNE in der Kita ist. Er zeigt aber auch, welche Chancen in dem Konzept einer BNE stecken, wenn man sie als positive Herausforderung begreift oder sogar als Profil entwickeln möchte. Mandy Schulze begibt sich in ihrem Artikel auf Spurensuche nach für die BNE bedeutsamen Netzwerken. Sie sieht diese Netzwerke kooperativen Lernens als Teil der Professionalisierung von Sozialer Arbeit in Kindertagesstätten. Sie verdeutlicht dabei, dass BNE ein wesentlicher Bestandteil eines solchen Professionalisierungskonzeptes ist. Schließlich geben Rainer Pitschas und Günther Thiele Einblicke in Bildungsmöglichkeiten durch Sport. Dabei nehmen sie eine institutionelle Perspektive ein und veranschaulichen, wie wichtig dieses Thema auch mit Blick auf eine BNE ist.
Im dritten Kapitel sind praktische Beispiele und Modelle im Zuge der Umsetzung einer BNE versammelt, die Anregungen und Einblicke geben sollen, wie es bisher in anderen Bereichen früher Bildung gelungen ist, BNE umzusetzen. Michael Brodowski eröffnet dieses Kapitel mit Beispielen, wie es gelingen kann, BNE im Studium der Kindheitspädagogik zu verankern und welche Herausforderungen, aber auch Chancen damit verbunden sind. Melanie Evans-Eichhorst widmet sich in ihrem Beitrag der Implementierung von BNE im Bereich der dualen Ausbildung. Sie nimmt hier eine Trägerperspektive ein und zeigt, wie BNE in diesen Ausbildungsgängen zum / zur Erzieher*in verankert werden kann. Vera Oostinga nimmt wiederum einen ganz anderen, praktischen Aspekt in den Blick. Sie zeigt, wie Naturerleben als Form der gemeinsamen Begegnung nicht nur die Persönlichkeit stärkt, sondern Nachhaltigkeit erlebbar macht. Pia Paust-Lassen geht darauf ein, wie man Kindertagesstätten nachhaltig gestalten kann und welche Grundlagen dafür notwendig sind. Sie macht deutlich, dass dies nur als gemeinsam abgestimmtes Konzept mit Kindern und Eltern erfolgreich sein kann. Schließlich berichtet Inka Seidel-Grothe zum Abschluss dieses Kapitels über eine besondere Form Tiergestützten Lernens und BNE. Sie setzt sich für eine veränderte Grundhaltung ein und zeigt dies an einem spannenden Projekt mit Hühnern, Kindern, Eltern und Kolleg*innen.
Im vierten Kapitel sind schließlich 12 Projekte zum Nachmachen zusammengestellt, die es den Leser*innen dieses Bandes leichter machen sollen, selbst auszuprobieren, was BNE ganz praktisch in ihrer Kita sein kann. Ingrid Miklitz beschreibt unter der dem Titel „Nachhaltigkeit mit Kindern leben die konzeptuellen Grundsätze des lebenspraktischen Ansatzes. Anhand einer konkreten Projektidee wird erklärt, wie ein „blumenfreies Mandala
hergestellt werden kann. In einem weiteren Artikel beschreibt Ingrid Miklitz, wie sich eine Kita ganz konkret auf den Weg machen kann, plastikfrei(er) zu werden. Als hilfreiches Instrument zur Selbstanalyse dient hierbei u. a. der (hier auch enthaltene) Erhebungsbogen „Plastik & Alternativen".
Jasmin Geisler berichtet im Rahmen der fairen Kita über nachhaltige Projekte, die Kinder begeistern – wie z. B. ein faires Frühstück. Regina Bestle-Körfer zeigt in ihrem Beitrag „Waldbaden mit Kindern, wie Kinder Achtsamkeit gegenüber der Natur erfahren können – z. B. durch Atemspiele oder Waldspaziergänge. Heide Bergmann verdeutlicht unter dem Stichwort „Urban Gardening
, dass die Verwirklichung nachhaltiger Gartenprojekte – wie beispielsweise „Microgreens ziehen oder „Naschkisten
– sehr gut in Kitas gelingen kann. Wie der „Blick über den Tellerrand, das heißt nachhaltige Ernährung in der Kita, ganz konkret umsetzbar wird, zeigt Karin Wirnsberger z. B. anhand der Idee einer Brotverkostung. Melanie Evans-Eichhorst widmet sich in jeweils einzelnen Beiträgen den Themen „virtuelles Wasser und ökologischer Fußabdruck
,, „Herkunft des Obstes im Supermarkt sowie „Klimaschützer und Mobilität im ländlichen Raum
. Darüber hinaus beschreibt sie Projektideen zur Windkraft, Beiträge zur Veranschaulichung und Förderung von biologischer Vielfalt im Außengelände der Kita und – gemeinsam mit Susanne Sombert – erzählt sie die Geschichte des Blattwichtels, um den Kindern die Photosynthese näherzubringen.
Allen diesen Beiträgen ist gemeinsam, dass sie nur ein kleiner Einblick in die mögliche Praxis einer BNE in der Kita sind und als Anregung dienen sollen, ruhig auch mal das eine oder andere so oder auch so ähnlich auszuprobieren. Quasi als ersten kleinen Schritt, sich gemeinsam mit anderen auf den Weg zu machen. So ist dieses Buch für uns alle ein erster Schritt, Gedanken und Ideen zu sammeln und publik zu machen. Nur so kann es gelingen, motivierten Nachahmer*innen, Ideengeber*innen und Nachhaltigkeitsvorreiter*innen in den vielen Kitas Mut zu machen, einen gemeinsamen Prozess mit Eltern, Kindern, Kolleg*innen und der Leitung sowie dem Träger zu beginnen, fortzusetzen oder gar gemeinsam ein Kitaprofil zu etablieren. Fast wäre man geneigt zu behaupten, was nicht nachhaltig ist, ist auch nicht zukunftsfähig, aber damit soll niemand unter Druck gesetzt werden. Im Gegenteil kann dies ja auch im Positiven heißen, dass wir unsere Kitas mit einem ersten Schritt in Richtung BNE zukunftsfähig machen. Dieses Buch soll Sie, liebe Erzieher*innen, Kindheitspädagog*innen, aber auch Eltern und Kinder, auf diesem Weg unterstützen. Mit jeder neuen Auflage wird es vielleicht auch durch Ihre Ideen reicher, bunter, verständlicher und praktischer. So freue ich mich als Herausgeber gemeinsam mit den Autor*innen und dem Verlag auf Ihre Anregungen, ganz im Sinne eines gemeinsamen Lernens und Wachsens am großen Thema einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Wir wünschen Ihnen mit diesem Band viel Freude – möge er Ihnen Motivation zu viel Tatkraft und Umsetzungswillen sein.
Berlin, im Januar 2022
1 Aus: Leuchtpol gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung von Umweltbildung im Elementarbereich mbH (2009): Leuchtpol – Ein Projekt zur Förderung von Bildung für nachhaltige Entwicklung im Kindergarten.
Kapitel 1
Einordnung „Was ist eigentlich Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung (BNE)?"
Michael Brodowski
Das Weltaktionsprogramm BNE und Ergebnisse der Expert*innengruppe Frühpädagogik
Nach der erfolgreichen Umsetzung der UN-Weltdekade „Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung" wurde von der UNESCO 2016 ein Weltaktionsprogramm BNE beschlossen. Ein wesentlicher Grund war die Fortsetzung und weitere weltweite Verortung der BNE, wobei hier explizit wieder der Bildungsgedanke im Vordergrund steht. Da eine zweite UN-Weltdekade gleichen Themas nicht möglich war, wurde auf diese Aktionsform zurückgegriffen. Für Deutschland bedeutete dies, dass die Umsetzung dieses Weltaktionsprogramms noch stärker als bisher auch politisch verortet werden sollte. Dies zeigt sich daran, dass von der Bundesregierung das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit der Unterstützung und Federführung beauftragt wurde.
Ziel war zunächst die Entwicklung eines Nationalen Aktionsplanes der Bundesregierung u. a. unter der wesentlichen Frage, wie denn BNE zukünftig vor allem in den Bildungsinstitutionen fest verankert werden kann. Die 10-jährige UN-Weltdekade war ja vor allem als Möglichkeit gedacht, BNE in jegliche Form von Lernen und Bildung, also auch in die Fläche zu bringen. So wurden etwa die Institutionen Kita (frühe Bildung), Schule, Hochschule, Berufsbildung, aber auch Lernfelder wie Kommunen (kommunale Bildungslandschaften) oder Jugend- und Sozialarbeit (informelles Lernen) in den Blick genommen.
In der Folge wurden Expert*innengruppen berufen, die die Ausarbeitung der Themenfelder mit Unterstützung des BMBF vornehmen sollten. Diese Expert*innen kamen sowohl aus der Berufspraxis, aus der Wissenschaft, von Trägern und Verbänden, aber auch aus Betroffenengruppen. So setzte und setzt sich das Expert*innengremium für den Bereich frühkindlicher Bildung (Kita) aus Kindheitspädagog*innen, Erzieher*innen, Hochschuldozent*innen, Trägervertreter*innen, aber auch Elternvertreter*innen zusammen.
Grundgedanke bei der Entwicklung aller avisierten Teilbereiche des Aktionsplanes war, hier zunächst Handlungsfelder festzulegen, um darauf aufbauend dazugehörige Ziele zu formulieren. Mit Blick auf die Ziele wurden Maßnahmen erarbeitet, wie diese umzusetzen seien. In der späteren Folge wurden dann auch praktische Handlungsleitfäden erarbeitet, die den verschiedenen Anspruchsgruppen die Umsetzung erleichtern sollen.
Wie im Folgenden zu sehen ist, ist auch der Teil frühkindliche Bildung genau so aufgebaut. Am Ende wurden alle Bereiche zum „Nationalen Aktionsplan Bildung für eine nachhaltige Entwicklung / Der Deutsche Beitrag zum UNESCO-Weltaktionsprogramm"
1
zusammengefasst.
Was dabei deutlich wird, ist, dass – obwohl die Expert*innengruppen überwiegend zu einem speziellen Bereich gearbeitet haben, trotzdem – die Frage der möglichen Verankerung einer BNE in den Institutionen der Bildung wie ein roter Faden zu lesen ist. Einen Wermutstropfen bildet die Tatsache, dass der Bereich Schule relativ klar von der Frühpädagogik abgetrennt ist. Die Auffassung der Expert*innengruppe Frühpädagogik, dass doch mit Blick auf die länderspezifischen Bildungspläne die Anspruchsgruppen von 0–12 Jahren definiert sind und damit der Bereich der Grundschule zumindest zu großen Teilen auch in das kindheitspädagogische Arbeitsfeld gehört, wurde aus organisatorischen Gründen nicht geteilt. So ist der nachfolgende Teil des Aktionsplanes nur für den Bereich Krippe / Kita und die Altersgruppe von 0–6 Jahren von Relevanz. Wichtiger wäre aber, zumindest auf absehbare Zeit, hier einen Zusatz gemeinsam mit dem Bereich Schule auszuarbeiten, der zumindest dem Segment der Ganztagsschule gerecht wird. Man wird sehen, inwiefern dies bis zum Ende des Weltaktionsprogramms noch gelingen kann.
Für dieses Buch war es den Autor*innen wichtig, den vollständigen Text für den Bereich der Frühpädagogik aus dem Nationalen Aktionsplan zu entnehmen und hier abzudrucken. Wird doch hier in diesem Buch BNE und damit das Zusammenspiel von Sozialem, Wirtschaft, Ökologie und Politik vor dem Hintergrund von Lernsettings betrachtet, die im Wesentlichen auch den Zielen des Aktionsplans entsprechen oder zumindest daran orientiert sind.
Zum Weiterlesen wird an dieser Stelle der gesamte Nationale Aktionsplan empfohlen und daraus vor allem, mit Blick auf dieses Buch, auch der Bereich Schule sowie Hochschule und Kommune, da einige der hier veröffentlichten Beiträge ebenfalls darauf Bezug nehmen.
Nationaler Aktionsplan Bildung für eine nachhaltige Entwicklung – Frühkindliche Bildung
2
Kindertageseinrichtungen und andere Formen der Kindertagesbetreuung sind erste Orte der Bildung außerhalb der Familien. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur frühen Bildung und legen neben dem Elternhaus einen Grundstein für die individuelle Bildungslaufbahn der Kinder und für ein lebenslanges Lernen.
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in Kindertageseinrichtungen umzusetzen bedeutet, Kindern im Alter von null bis sechs Jahren die Möglichkeit zu bieten, sich spielerisch mit zukunftsrelevanten Themen und Fragestellungen zu beschäftigen, ihnen den Raum zu geben, selbst Verantwortung zu übernehmen und ihr unmittelbares Lebensumfeld im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung mitzugestalten. Die konkreten Alltagserfahrungen, Bedürfnisse und Interessen der Kinder stellen hierbei primäre Bezugs- und Ansatzpunkte für die Bearbeitung und das Aufgreifen der vielfältigen Themen einer nachhaltigen Entwicklung dar (wie zum Beispiel Wasser, Ernährung, Energie, Gerechtigkeit). Abwechslungsreiche Lernzugänge und offene Lernarrangements wie Morgenkreise, Projektarbeit, Experimentieren, Philosophieren, Freispiel und viele andere Angebote prägen den Alltag in den Einrichtungen und bieten Gelegenheiten, nachhaltige Entwicklung erlebbar zu machen.
Mit den nachfolgenden Handlungsfeldern, Zielen und Maßnahmen werden die Aufgaben definiert und konkretisiert, die erforderlich sind, um entsprechend der Zielsetzung des Weltaktionsprogramms BNE langfristig in den Strukturen der frühkindlichen Bildung zu verankern. Diese fokussieren Idealvorstellungen für die Zukunft und haben sowohl einen inhaltlichen als auch einen politischen Kern.
Die aus den Handlungsfeldern und Zielen abgeleiteten Maßnahmen sind als Unterstützungsleistungen zu verstehen, mit denen es gelingen kann, BNE noch stärker als bisher als Teil des professionellen Handelns von Kindertageseinrichtungen, Trägern, Verbänden sowie von Aus- und Weiterbildungsinstitutionen zu verankern. Handlungsleitend ist dabei ein ganzheitliches Bildungsverständnis, das an vorhandene konzeptionelle Grundlagen und Strukturen im Arbeitsfeld der Kindertageseinrichtungen anknüpft, soziale, kulturelle, ökonomische und ökologische Dimensionen ebenso berücksichtigt wie physische und kognitiveKompetenzenund sich als integraler Bestandteil des bestehenden Systems versteht.
Die Mitglieder des Fachforums Frühkindliche Bildung haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Umsetzung der Ziele und Maßnahmen zu koordinieren und zu unterstützen, um damit einen Beitrag zur strukturellen Verankerung von BNE im Elementarbereich zu leisten.
Commitment des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF):
Das BMBF fördert die Stiftung „Haus der kleinen Forscher" mit dem Fokus auf BNE bis zum Ende des Weltaktionsprogramms (2019).
Handlungsfeld I:
BNE in den Bildungsplänen verankern
In den zurückliegenden Jahren haben einige Länder das Konzept von BNE bereits in unterschiedlicher Form in ihre Bildungspläne aufgenommen. Zu prüfen ist, an welchen Stellen Weiterentwicklungen notwendig sind und welche Empfehlungen anderen Ländern für die Aufnahme von BNE gegeben werden können. Zugleich gilt es, Strategien und Maßnahmen zu entwickeln, die eine Umsetzung der Bildungspläne in die Kita-Praxis sicherstellen.
Commitment der Stiftung „Haus der kleinen Forscher":
Die im Rahmen des Projekts „Förderung der Bildung für nachhaltige Entwicklung im Bereich der frühkindlichen Bildung erarbeiteten Ergebnisse („Bestandsaufnahme zur Verankerung von BNE in den Bildungs- und Rahmenplänen
, Zieldimensionen einer BNE für die Ebene der Kinder, der pädagogischen Fach- und Lehrkräfte und der Kita-Leitungen) fließen in die Erarbeitung eines Wertekerns, einer inhaltlich-konzeptionellen Konkretisierung von BNE und in länderspezifische Cross-Matrixen ein.
1. Ziel:
Ein Wertekern,