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Against Fake. Wie Wissenschaft die Welt erklärt
Against Fake. Wie Wissenschaft die Welt erklärt
Against Fake. Wie Wissenschaft die Welt erklärt
eBook307 Seiten2 Stunden

Against Fake. Wie Wissenschaft die Welt erklärt

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Über dieses E-Book

Die moderne Wissenschaft ist ein faszinierendes Instrument zur Gewinnung von Erkenntnissen über Natur und Kultur. Ihre Ergebnisse sind zwar nicht frei von Widersprüchen, aber den meisten anderen Arten, Wissen zu erzeugen, überlegen. Das liegt an bestimmten Regeln, über die sich Wissenschaftler verständigt haben.

Ein zentrales Prinzip von Wissenschaft ist Transparenz. Der Weg zum Wissen soll für alle nachvollziehbar sein, die bereit sind, sich in einen bestimmten Wissensbereich einzuarbeiten. Debatten um Fake News und Alternative Fakten zeigen, wie wichtig transparent erzeugtes Wissen ist. Dabei kann nicht genug betont werden, dass die moderne Wissenschaft als Reaktion auf Aberglauben und Fake entstanden ist.

Einen Einstieg in das Thema Wissenschaft zu finden ist schwer, denn das Prinzip der Transparenz darf leider nicht mit Verständlichkeit gleichgesetzt werden. Ziel des Buches ist es, die Idee von Wissenschaft auch Lesern ohne Vorkenntnisse näherzubringen.

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum15. Juni 2019
ISBN9783662583548
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    Buchvorschau

    Against Fake. Wie Wissenschaft die Welt erklärt - Thomas Vogt

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019

    Thomas VogtAgainst Fake. Wie Wissenschaft die Welt erklärthttps://doi.org/10.1007/978-3-662-58354-8_1

    1. Einleitung: Vertrauen, Transparenz und Fake

    Thomas Vogt¹  

    (1)

    Studium generale, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Deutschland

    Thomas Vogt

    Email: thomvogt@uni-mainz.de

    1.1 Vertrauen in die Wissenschaft

    Die moderne Wissenschaft ist ein faszinierendes Instrument zur Gewinnung von Erkenntnissen über Natur und Kultur. Diese Erkenntnisse sind zwar nicht frei von Widersprüchen, aber den meisten anderen Arten, Wissen zu erzeugen, überlegen. Das liegt an bestimmten Regeln, über die sich Wissenschaftler in einem langen Entwicklungsprozess mehr oder weniger ausdrücklich verständigt haben.

    Eines der zentralen Prinzipien der Wissenschaft lautet heute Transparenz. Der Weg zum Wissen soll für alle nachvollziehbar sein, die bereit sind, sich in einen bestimmten Wissensbereich einzuarbeiten. Die aktuelle Diskussion um Fake News und alternative Fakten zeigt, wie wichtig transparent erzeugtes Wissen ist. Wissenschaftler können dieses Wissen zur Verfügung stellen. In der öffentlichen und medialen Darstellung von Wissenschaft kommt ein Aspekt allerdings zu kurz. Auch wissenschaftliches Wissen ist nicht widerspruchsfrei. Es enthält lediglich Angebote, die in offenen gesellschaftlichen Debatten geprüft werden müssen. Das fördert nicht die Übersichtlichkeit, ist aber unvermeidbar. Allzu einfache Rezepte, wie sie v. a. auf politischer Ebene von Populisten vertreten werden, sind Augenwischerei.

    Noch ist das Vertrauen in die Universitäten als wissenschaftlichen Institutionen hoch. Für eine im Auftrag der RTL Mediengruppe von FORSA durchgeführte repräsentative Umfrage im Dezember 2017 wurden 2307 Menschen nach ihrem Vertrauen in bestimmte Institutionen befragt. 80 % von ihnen gaben an, großes Vertrauen in die Universitäten zu haben. Nur das Ergebnis für die Polizei war mit 83 % noch etwas besser.

    Was meint Vertrauen? Vertrauen ist die subjektive Erfahrung von Verlässlichkeit und Stabilität. Die Dinge sind so, wie ich es von ihnen aufgrund von Erfahrungen erwarten kann. Auf bestimmte Menschen und Institutionen kann ich mich verlassen, sie werden nicht anders agieren, als ich es von ihnen kenne.

    Vertrauen entsteht also über eine lange Kette von Erfahrungen, die Menschen mit anderen Menschen, Organisationen oder auch komplexeren Ideen und Überzeugungen machen. Freunden vertraue ich, weil ich mich auf sie verlassen kann – das hat die Vergangenheit gezeigt. Meinem Lieblingsbäcker vertraue ich, weil er seit vielen Jahren die Brötchen backt, die mir am besten schmecken.

    Aber warum sollte ich der Wissenschaft vertrauen? Nur die wenigsten von uns machen direkte Erfahrungen mit und in der Wissenschaft – und wenn, dann meist nur in einem sehr engen Themenfeld. Unser Vertrauen hat sicherlich wesentlich damit zu tun, dass wir Medizin, Technik, Computer und Internet als etwas wahrnehmen, das mithilfe von wissenschaftlichen Methoden erzeugt worden ist und unser Leben oft verbessert und bereichert.

    Andererseits sind viele Menschen wissenschaftsskeptisch. Leicht können sie argumentieren, Umweltzerstörung, Massenvernichtungswaffen und Atomunfälle seien das Ergebnis von Wissenschaft. Wie könne man in eine Idee vertrauen, die solches hervorbringt? Vertrauen kann also auch missbraucht oder gar zerstört werden.

    Noch ist das Vertrauen in die Idee der Wissenschaft hoch, wobei es im vergangenen Jahrhundert durchaus herausgefordert wurde. Die naive Wissenschaftsgläubigkeit vergangener Zeiten findet man heute kaum mehr. Nur noch wenige sind davon überzeugt, mithilfe der Wissenschaft sei es ein Leichtes, alle Probleme der Menschheit zu lösen.

    Dieses Buch verstehe ich als vertrauensbildende Maßnahme, die es jedem, der sich für das Thema interessiert, ermöglichen soll, die Leistungen und Grenzen von Wissenschaft besser einschätzen zu können. Mein Ziel ist es, dass Sie vertrauter mit der Wissenschaft und ihren Methoden werden. Der besondere Weg der Wissenschaft zur Erkenntnis soll in diesem Buch verständlich gemacht werden.

    Wenn man sehr eng mit einem Thema verbunden ist – und das dürfte bei fast jeder Tätigkeit so sein, die man mit Freude und Motivation ausübt –, dann kann es passieren, dass man Dinge voraussetzt, die eigentlich nicht vorausgesetzt werden dürfen. Ich werde mich bemühen, die notwendigen Voraussetzungen immer mitzuliefern. Die Grenze zum Unverständlichen möchte ich möglichst selten überschreiten.

    Auch wenn sich Bezüge herstellen lassen, sind die Inhalte dieses Buches nicht an tagesaktuelle Debatten gebunden. Es geht um die Darstellung der Grundlagen von Wissenschaft. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich diese grundsätzliche Sichtweise in den kommenden Jahren ändern wird. (Es sei denn, es kommt zu einer radikalen politischen und gesellschaftlichen Abwertung dessen, was wir heute als Wissenschaft schätzen.).

    1.2 Das Ziel von Wissenschaft: Wahres Wissen oder Transparenz?

    Was ist das Besondere an Wissenschaft? Was unterscheidet sie von anderen kulturellen Leistungen des Menschen? Würde man zu diesem Thema eine Befragung durchführen, dann enthielten sicher viele Antworten die Begriffe „Wissen und „Wahrheit oder eine Formulierung wie „Suche nach wahrem Wissen". Diese Antworten sind nicht falsch. Allerdings könnte man entgegnen, dass Wissenschaft bei Weitem nicht die einzige Möglichkeit darstellt, Wissen zu produzieren und verfügbar zu machen. Die Behauptung, vor der Erfindung der modernen Wissenschaft sei kein Wissen produziert worden, ist offensichtlich nicht haltbar (s. Abschn. 4.​4).

    Menschen brauchen keine Wissenschaft, um Wissen zu erzeugen. Das zeigen Beispiele früherer menschlicher Kulturen, die über einen großen Wissensschatz verfügten. Auch in unserer Kultur entsteht neues Wissen keineswegs nur in der Wissenschaft. Literatur, Musik, Kulinarik etc. sind Bereiche, in denen neues Wissen erzeugt wird. Andererseits hat die wissenschaftliche Forschung als systematische Suche nach Erkenntnis in vielen Bereichen unbestreitbare Vorteile gegenüber anderen Formen des Wissenserwerbs.

    Wenn das Besondere von Wissenschaft nicht in der Erzeugung von Wissen liegt, liegt es dann vielleicht in der Suche nach Wahrheit? Je nach Wissenschaftsverständnis spielt Wahrheit tatsächlich eine wichtige Rolle. Aber allein die Tatsache, dass Wahrheit von einer bestimmten Wissenschaftsvorstellung abhängig sein soll, verweist auf die Schwierigkeiten, die mit dieser Idee verbunden sind.

    Die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston (2016) untersucht Vorstellungen, die dem wissenschaftlichen Prozess zugrunde liegen – und nennt sie „epistemische Tugenden". Daston stellt fest, dass sich solche Ideen nur sehr langsam verändern, aber für bestimmte Epochen nachweisbar sind und die wissenschaftliche Arbeit in dieser Zeit bestimmen.

    Die Zeit von der Antike bis zur frühen Neuzeit ist von der Tugend der Gewissheit geprägt. Wissenschaft sollte sicheres und wahres Wissen produzieren. Eine solche Sichtweise war nur auf der Grundlage eines in sich stimmigen Erklärungssystems möglich. Jedes Phänomen sollte – ähnlich wie in der Mathematik – aus nur wenigen Sätzen, sog. Axiomen, abgeleitet werden können.

    Dieses System hatte mehrere Jahrhunderte Bestand, konnte aber viele Naturphänomene nur unzureichend erfassen. Heute würde man formulieren, dass immer mehr Anomalien (Unregelmäßigkeiten) auftauchten – Fälle also, die nicht befriedigend erklärt werden konnten.

    Also verabschiedeten sich Gelehrte in einem langsamen Prozess von der Tugend Gewissheit und damit vom Ziel der Wahrheit. Im Prinzip hatte man die Wahrheit zwar gefunden, sie hatte nur viel zu wenig mit unserer Welt, den natürlichen und kulturellen Phänomenen, zu tun.

    In der frühen Neuzeit um das Jahr 1600 wurde die epistemische Tugend der Objektivität immer sichtbarer und nach und nach bestimmend für die wissenschaftliche Arbeit. Verbunden mit ihr waren Ideen der Nachvollziehbarkeit und Transparenz, direkte Beobachtung und Experiment wurden zentral. Außerdem enthielt dieses Prinzip die Idee, wissenschaftliche Ergebnisse immer wieder infrage zu stellen und ggf. zu verwerfen.

    Gewissheit oder Wahrheit ist in einem solchen System nicht zu erreichen, dafür aber wissenschaftliche Aussagen, die Naturvorgänge mittels Experiment und Beobachtung angemessen erschließen. Aus praktischen Gründen und aus Sorge um den Forschungserfolg lösten sich Wissenschaftler von der Wahrheit und endeten in dem Zwiespalt, dass Wahrheit gute Forschung verhindern könnte.

    Die zeitgenössische Wissenschaft ist von den Prinzipien der Objektivität, Nachvollziehbarkeit und Transparenz geprägt. Viele ihrer Erfolge gehen auf diese Ideen zurück. Aber gibt es in diesem System auch Schwächen? Was könnte problematisch an Objektivität, Nachvollziehbarkeit und Transparenz sein? Wie könnte das Vertrauen in die Wissenschaft dadurch geschwächt werden?

    1.3 Wissenschaft im 21. Jahrhundert: Gefangen in der Aufmerksamkeitsfalle

    Wissenschaft ist ein sehr erfolgreiches Projekt. Die neuen Leitlinien und die mit ihnen verbundenen Forschungserfolge haben die Wissenschaft stetig wachsen lassen. Wissenschaftsforscher schätzen, dass es zur Mitte des 17. Jahrhunderts weltweit weniger als eine Million Menschen mit einer wissenschaftlich-technischen Ausbildung gab. Bis 1950 stieg die Zahl auf rund zehn Millionen, heute geht man von mehr als 100 Mio. Menschen mit einer solchen Ausbildung aus (Marx und Gramm 2002).

    Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen, in denen die Forschungsergebnisse präsentiert werden, wachsen rasant – man spricht gar von einer Informationsexplosion. Eine der ersten Untersuchungen auf diesem Feld stammt von dem Wissenschaftsforscher Derek de Solla Price (1963). Grundlage seiner Untersuchungen waren Originalveröffentlichungen in Fachzeitschriften. Nach seinen Berechnungen verdoppelt sich unser wissenschaftliches Wissen seit der Mitte des 15. Jahrhunderts alle 15 Jahre. Aktuell dürften pro Jahr mehr als 2,5 Mio. wissenschaftliche Artikel erscheinen.

    Bei diesen Mengen an Veröffentlichungen ist es nicht verwunderlich, dass vieles recht schnell nicht mehr beachtet und dann vergessen wird. Das liegt vielleicht daran, dass die wissenschaftliche Entwicklung rasant voranschreitet und Wissen innerhalb kürzester Zeit nicht mehr aktuell genug ist. Genauso gut könnte es der Überforderung geschuldet sein, dass die produzierte Informationsmenge einfach zu groß ist, um sie überhaupt noch angemessen verarbeiten zu können (Briotta Parolo et al. 2015).

    Gibt man bei Google den Begriff science (Naturwissenschaft) ein, dann zeigt die Suchmaschine ungefähr 2,1 Mrd. Ergebnisse. Im Vergleich dazu sind es bei dem Begriff religion nur ungefähr 909.000 Mio. Fundstellen (Tag der Suche: 29.08.2018). Es ist also keineswegs übertrieben, hier von Unübersichtlichkeit zu sprechen.

    Doch der Bedarf an wissenschaftlichem Wissen scheint stetig zu wachsen. Immer mehr Menschen arbeiten in der Wissenschaft, verdienen dort ihren Lebensunterhalt und hoffen auf soziale und gesellschaftliche Anerkennung. Diese bekommen sie für ihre wissenschaftliche Arbeit, die sie meist in Veröffentlichungen dokumentieren.

    Für die Karriere in diesem Feld ist es also entscheidend, Forschungsergebnisse zu produzieren und einen Teil dieser Produktion in den wichtigsten Zeitschriften zu veröffentlichen. Denn um aus der Masse herauszuragen, ist außergewöhnliche Forschung nötig. Dieser Zwang zur Publikation als Indikator für Produktivität setzt die Wissenschaftler in bestimmten Fächern unter Druck. Die Redewendung publish or perish („veröffentliche oder gehe zugrunde") bringt dieses Prinzip auf den Punkt.

    Gleichzeitig ist die Wissenschaft Teil einer Nachrichtenwelt, die durch Internet und soziale Medien einen radikalen Wandel erfährt. Wer als Wissenschaftler in dieser „Aufmerksamkeitsökonomie" gehört werden will, muss sich den dortigen Regeln anpassen und Meldungen mit einem hohen Nachrichtenwert liefern. Spektakuläre Ergebnisse zu Themen der Zeit müssen mittels weniger Worte auf Twitter oder als Statement im Fernsehen darstellbar sein.

    Wenn diese Situation schon für viele Wissenschaftler unübersichtlich ist, so ist sie für die meisten Laien undurchschaubar. Die Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft soll der Wissenschaftsjournalismus schlagen, aber auch er ist Teil der Aufmerksamkeitsökonomie.

    An einem kleinen Beispiel wird deutlich, dass der Wissenschaftsjournalismus manchmal Gefahr läuft, den Nachrichtenwert über unangemessene Schlagzeilen zu erhöhen. Ein Artikel aus der Wochenzeitung Die Zeit vom 3. Juni 2015 berichtete über eine wissenschaftliche Studie und war wie folgt überschrieben: „Der Affe als Küchenmeister. Ein Experiment zeigt: Schimpansen verstehen etwas vom Kochen. Warum tun sie es dann nicht öfter?"

    Welches Bild entsteht in Ihrem Kopf, wenn Sie diesen Titel lesen? Ich denke an einen Affen, der sich eine warme Mahlzeit zubereitet, nachdem er sich Gedanken gemacht hat, welches Gericht heute auf den Tisch kommen soll. Er hat die Zutaten besorgt und vorbereitet. Die Pfanne steht jetzt auf dem Herd, wird heiß und nach und nach entsteht aus den rohen Zutaten eine leckere Mahlzeit, die vor dem Verzehr nur noch abgeschmeckt werden muss. Guten Appetit!

    In dieser kurzen Schilderung sind einige Elemente versammelt, die die Kulturtechnik Kochen ausmachen. Aber hatten die Wissenschaftler das gleiche Konzept von Kochen im Kopf? Oder haben die Autoren des Zeitungsartikels mehr in die Studie hineininterpretiert als es gerechtfertigt wäre?

    Worum geht es in der Studie? Wildlebenden Schimpansen wurde ein Topf mit doppeltem Boden präsentiert, der scheinbar durch Schütteln eine rohe in eine gekochte Süßkartoffel verwandelte. Die Schimpansen entwickelten eine Vorliebe für die gekochten Kartoffeln. Sie legten die rohen Kartoffelstücke zielsicher in die „Kochschüssel", um dann nach kurzer Wartezeit die gekochten Stücke zu bekommen. Selbst zu einem Wissenstransfer waren sie in der Lage. Sie packten Karotten in den Topf, ohne dass ihnen das vorher gezeigt worden wäre.

    Von der menschlichen Idee des Kochens ist diese Versuchsanordnung jedoch weit entfernt. Was lässt sich an dem Experiment ablesen? Schimpansen mögen lieber gekochte als rohe Kartoffeln. Sie können auf die gekochten Kartoffeln warten, obwohl sie in anderen Situationen verfügbare Nahrung sofort verzehren – auch aus Angst, andere Gruppenmitglieder könnten sie ihnen wegnehmen. Sie scheinen zu verstehen, dass eine Verwandlung der Lebensmittel stattfindet. Schimpansen bringen also kognitive (geistige) Fähigkeiten mit, die für das Kochen benötigt werden, aber noch kein Kochen sind.

    Mehr zu sein, gibt die Studie aber nicht vor. Sie ist überschrieben mit dem Titel: „Cognitive capacities for cooking in chimpanzees (Warneken und Rosati 2015) und konzentriert sich auf die Untersuchung eines engen Bündels von kognitiven Fähigkeiten. Der Titel des Zeitungsartikels ist also durchaus missverständlich, womöglich mit der Absicht, größere Aufmerksamkeit zu erzeugen. Auch andere berichteten über die „kochenden Affen, dort aber mit Schlagzeilen, die weniger irreführend waren und den Kern der Studie eher trafen: „Affen haben genug Grips zum Kochen" (Der Tagesspiegel, 03.06.2015), oder: „Affen würden ihr Gemüse gerne kochen" (Süddeutsche Zeitung, 03.06.2015).

    1.4 Die Anfälligkeit für Betrug und Fake

    In allen Bereichen unseres Lebens nehmen einzelne Menschen mehr oder weniger illegale Abkürzungen, um ihre Bedürfnisse nach Geld oder Ansehen zu befriedigen. Betrug in der Wissenschaft dürfte daher so alt sein wie die Wissenschaft selbst. Aber ist sie besonders anfällig dafür?

    Eigentlich sollten ja gerade die wissenschaftlichen Prinzipien den Betrug verhindern – und vermutlich tun sie dies bis zu einem gewissen Grad. Andererseits bietet die bereits beschriebene Unübersichtlichkeit genügend Schlupflöcher für nicht ganz saubere Wissenschaft. Die große Menge an Studien führt dazu, dass nicht alle einer ernsthaften Qualitätskontrolle unterzogen werden können.

    Der Druck, dem die Wissenschaftler in bestimmten Bereichen ausgesetzt sind, ist enorm. Sie sollen innovativ sein und Erfolgsmeldungen liefern, ohne dafür große Risiken eingehen zu dürfen. Veröffentlicht werden muss auch dann, wenn keine neuen Ergebnisse vorliegen. Deshalb wird vorsichthalber alles in kleinen inhaltlichen Häppchen publiziert, um auch dann etwas in der Hinterhand zu haben, wenn die Forschung nicht läuft.

    Für kreative Prozesse wie Wissenschaft ist es aber notwendig, riskantere Wege beschreiten zu dürfen und für das mögliche Scheitern von Forschung nicht bestraft zu werden. Bei der Beantragung von Forschungsmitteln muss den Geldgebern allerdings fast schon eine Erfolgsgarantie gegeben werden, das schränkt die Kreativität ein. Tatsächlich innovative Prozesse können so nicht entstehen, denn auf wirklich Neues können sich Wissenschaftler in diesem System nicht einlassen.

    Im Prinzip gibt es auch keinen Ort, keine ernsthaften Publikationsorgane für gescheiterte Wissenschaft, aus denen andere lernen könnten. Wiederholungen von Studien, sog. Replikationsstudien, werden nur selten durchgeführt, weil man mit ihnen das eigene Ansehen und den Status kaum verbessern kann – und sie kosten fast das Gleiche wie die innovative Forschung, mit der deutlich mehr Anerkennung verbunden ist. Diese Praktiken treffen allerdings nicht auf alle Disziplinen gleichermaßen zu.

    Zudem kommen auf die Wissenschaft immer wieder neue Herausforderungen zu, wie die Debatte um Fake News zeigt oder die Verwendung bestimmter, oft auch umstrittener Studienergebnisse durch populistische Politiker. Neben dem Druck von innen kommt es durch Teile von Politik und Gesellschaft zur Vereinnahmung von außen.

    Betrug dominiert die Wissenschaft sicherlich nicht, aber es gibt Betrüger. Vor allem gibt es Graubereiche, für die nicht eindeutig zu entscheiden ist, ob ein Betrug vorliegt oder nicht. An einem prominenten und gut dokumentierten Beispiel möchte ich zeigen, wie ein Wissenschaftler langsam und über einen breiten Graubereich ins Betrügerische und Kriminelle abgleitet (im Folgenden beziehe ich mich v. a. auf Rauner 2014).

    Der akademische Lebenslauf von Diederik Stapel (* 1966) war zunächst völlig unauffällig. 1991 schloss er sein Studium der Sozialpsychologie und Kommunikationswissenschaften an der Universität von Amsterdam ab. Es folgten Auslandsaufenthalte und Stipendien als die typischen Elemente einer solchen Karriere. Nach der Promotion 1997 im Fach Sozialpsychologie wurde er drei Jahre später zum Professor für Kognitive Sozialpsychologie in Groningen berufen. 2007 wechselte er an die Universität von Tilburg.

    Man könnte Stapel vor dem Hintergrund der bereits angesprochenen Aufmerksamkeitsökonomie als sehr erfolgreichen Wissenschaftler bezeichnen, denn seine Arbeiten fanden ein weltweites Medienecho. Er hatte ein außergewöhnliches Gespür für die Themen der Zeit: Diskriminierung, Körperkult, Kapitalismuskritik etc.

    In einer zusammen mit dem renommierten

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