Globalisierung nach der Corona-Krise: oder wie eine resiliente Produktion gelingen kann – Ein Essay
Von Hartmut Frey, Engelbert Westkämper und Dieter Beste
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Buchvorschau
Globalisierung nach der Corona-Krise - Hartmut Frey
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
H. Frey et al.Globalisierung nach der Corona-Krisehttps://doi.org/10.1007/978-3-658-31183-4_1
1. Wie das Coronavirus SARS-CoV-2 die Schwächen der Globalisierung offenlegt
Hartmut Frey¹ , Engelbert Westkämper² und Dieter Beste³
(1)
Esslingen am Neckar, Baden-Württemberg, Deutschland
(2)
Stuttgart, Baden-Württemberg, Deutschland
(3)
Mediakonzept, Düsseldorf, Deutschland
Hartmut Frey (Korrespondenzautor)
Email: hartmut.frey@t-online.de
Engelbert Westkämper
Email: engelbert.westkaemper@ipa.fraunhofer.de
Dieter Beste
Email: d.beste@mediakonzept-duesseldorf.de
Durch die Corona-Pandemie beginnt man den Sinn der Globalisierung zu hinterfragen. Grundstoffe für Medikamente werden in Indien und China hergestellt, gleiches gilt für einfache medizinische Geräte, Schutzkleidung und Masken. Was sich bei der Softwareentwicklung, der Computerhardware und der Handyproduktion bereits seit Jahren abgezeichnet hat, wird bei Medikamenten und medizinischen Produkten in der Corona-Pandemie offensichtlich. Die Globalisierung hat die Organisationsstruktur von Unternehmen, die Verlagerung von Produktionsstätten, die Forschungsaktivitäten insbesondere die Lieferketten von Unternehmen schleichend verändert.
Dass Gewinnstreben, Macht und Propaganda in der Entwicklung der Ökonomie eine viel größere Rolle spielen als allgemein angenommen wird, lässt sich auch an einer Analyse der Weltwirtschaftskrisen erkennen. Weil heute alles mit allem kommunizieren kann, wächst die Menge an Informationen, die sich gewinnbringend verwerten lassen. Die Ökonomie wird sich dadurch grundlegend verändern. Es entstehen neue Geschäftsmodelle mit völlig veränderten Arten der Entscheidungsfindung.
Vermehrt haben sich weltweit operierende Unternehmen entwickelt, die dort fertigen lassen, wo die Herstellungskosten am geringsten sind mit der Perspektive, dass die weltweiten Transportkosten expandieren und dadurch das klimaschädliche CO2 ansteigt. Ökonomen, die global agierenden Manager der Finanzierungsgesellschaften und die CEO der Investmentfonds im Verein mit den Marketingstrategen von Großkonzernen entscheiden über die Globalisierungsstrategien, die Finanzierung den Kauf oder Verkauf von Unternehmen, und die Politik schaut hilflos zu und springt dennoch mit Steuergeldern ein, wenn wie gegenwärtig im Corona Shutdown Krisen auftreten.
Das bisherige Wachstumsmodell der Wirtschaft beruhte auf der Erzielung eines möglichst großen Profits, verbunden mit dem Raubbau an der Natur und der Externalisierung der Kosten bis zum Entstehen globaler Müllhalden. Die Ökonomie dreht sich global in nie gekanntem kurzatmigem Takt, Neues, ja sogar nur wenig Verbessertes, gilt es durch aufwendige Werbekampagnen gegen Altes auszutauschen, und zwar ohne Rücksicht auf den Verbrauch von Ressourcen. Nachhaltigkeit wurde inflationär, aber inhaltsleer, wurde zum Beipackzettel von Werbestrategien und Wahlprogrammen politischer Parteien.
Die Corona-Pandemie führt nun den Akteuren in Wirtschaft und Politik die Schwachstellen der entfesselten Globalisierung insbesondere der letzten Jahrzehnte vor Augen. Hersteller, die ihre Lieferketten zu dünn über den Erdball gezogen haben, müssen erkennen, dass diese im Zuge der Pandemie schnell zerreißen. Wer Teile aus China bezog, das bisher von weltweit agierenden Unternehmen häufig schlicht als billige verlängerte Werkbank wahrgenommen wurde, konnte schon im Februar dieses Jahres Probleme bekommen. Und wer im Frühjahr 2020 seinen einzigen Lieferanten in Italien hatte, konnte eventuell nicht weiterproduzieren. Seitdem das Coronavirus SARS-CoV-2 die Welt in Atem hält, beginnt sich auch das Verständnis von Effizienz zu ändern: Lieferungen just in time, bisheriger Effizienz-Standard in der Zulieferung, passen irgendwie nicht mehr in die Zeit.
Aber wer profitiert wirklich, wenn alles bis ins Letzte unter Profitaspekten optimiert ist? Zuallererst Kapitaleigner und ihre Manager, die diese Prozesse vorantreiben.
Die Corona Pandemie führt jetzt allerdings zu einer schleichenden Erosion bislang höchst einträglicher Globalisierungskonzepte und erschüttert in der Folge die bislang – wenn auch auf kleinerem Niveau – von diesen Geschäftsmodellen ebenfalls profitierenden Industriegesellschaften.
Die von staatlicher Regulierung immer mehr entfesselte Globalisierung folgte bislang dem amerikanischen Beispiel: Die gegenwärtig größte und reichste Volkswirtschaft der Erde saugt das Kapital der Welt wie ein Schwamm auf, um es dann für den Konsum zu verwenden oder in Finanzprodukte zu investieren. Das Werkzeug dieser Umverteilung ist die weltweite Leitwährung, der US-Dollar. Die Corona-Pandemie beginnt nun, diese Mechanismen außer Kraft zu setzen, verbunden mit ganz neuen Unsicherheiten und Gefahren im globalen Wettbewerb.
Wie ist es dazu gekommen? In den letzten mehr als zwei Jahrhunderten hat die von Adam Smith begründete klassische Nationalökonomie die Entwicklung der Volkswirtschaften geprägt. Mit der Weigerung der Ökonomie seither, auch nur irgendwelche Grenzen des Energie- oder des Ressourcenverbrauchs anzuerkennen, war die Marktwirtschaft bislang extrem erfolgreich: Kein anderes Wirtschaftssystem der Geschichte hat in so kurzer Zeit mehr Reichtum generieren und verteilen können. Marktwirtschaft wurde – auch in Konkurrenz zur kommunistischen Staatswirtschaft zum Synonym für die Effizienz ökonomischer Prozesse.
Allerdings wird schon seit Längerem deutliche, dass der zunehmend wettbewerbsarme Marktmechanismus des Neo-Kapitalismus¹ etwa in Gestalt der führenden amerikanischen Internet-Konzerne zu weltweiten Oligopolen führt, deren Geschäftsführung nicht mehr von den politischen Entscheidungsträgern der Länder kontrolliert werden kann.
Noch sind die Nationalstaaten die wichtigsten Aktoren innerhalb der politischen Globalisierung, die Unternehmen aber die treibende Kraft beim Aufbau der globalen Weltwirtschaft. Was die Handelsbeziehungen betrifft, welche die Unternehmen (Hersteller, Finanzierungsgesellschaften, Internet-Konzerne und Banken) miteinander sowie mit Staaten und Konsumenten pflegen, sind sie letztlich auf die Produktion angewiesen, um Gewinn zu erzielen. Die globale Ausdehnung der Warenmärkte einschließlich der Geldmärkte war die Folge. Dieses Bild beginnt langsam zu verblassen und wird durch die Corona-Pandemie zusätzlich verschleiert. Das Bruttosozialprodukt, die Messlatte der Ökonomen, kann nicht durch Medien, Versicherungen, Bildung, Pflege und Kinderbetreuung gesteigert werden, und auch nicht durch Finanzdienstleistungen, wie es der Großteil der Ökonomen vertritt, sondern durch die Erzeugung von Produkten, für die das Individuum bereit ist zu arbeiten bzw. Risiken als Unternehmer auf sich zu nehmen oder auf einen Teil seines Einkommens zu verzichten, um dies den Finanzierungsgesellschaften oder den Banken anzuvertrauen mit der Hoffnung, dafür eine Rendite zu erzielen.
Das Streben nach Gewinn bzw. nach Rendite hat nicht nur Nach- sondern auch Vorteile. Nachteilig ist die Anstachelung von Bedürfnissen zum Konsum durch Werbekampagnen mit dem Effekt der Ressourcenverschwendung und der Naturausbeutung, die immer tiefer in das Leben des Individuums eindringen. Verdeutlicht wird dies an der Produktion möglichst billiger, kurzlebiger Konsumgüter, die Suche nach billigen Rohstoffen und nach billigen Arbeitskräften ist die Folge. Diese Motive werden bei globaler Betrachtung Makulatur, denn sobald nationale Aspekte zu einem Politikum werden, entstehen Konflikte, bei denen es um Machtverteilung bzw. Machterhaltung geht und nicht um Wettbewerbsfähigkeit oder steigenden Konsum. Eine globale Auseinandersetzung zwischen den Staaten um das richtige Wirtschaftsmodell, herunter gebrochen auf Forschungsinstitutionen und Unternehmensmodelle bis hin zu betriebswirtschaftlichen Konzepten, findet anhand der Digitalisierung gegenwärtig statt und hat durch die Corona-Pandemie zusätzlich an Aktualität gewonnen.
Löst man sich aber von der Vorstellung des Unternehmensgewinns, der Triebfeder der Marktwirtschaft, so ergibt sich eine überraschende Möglichkeit der Zukunftsgestaltung, die jedoch ein grundlegendes Umdenken erfordert. Die derzeitige Finanzierung der Gesellschaft beruht größtenteils auf der Besteuerung von menschlicher Arbeit und menschlichem Konsum. Dieses Prinzip ist tief in die Fundamente der Gesellschaft einzementiert und bildet quasi die Grundlage der Marktwirtschaft. Die Corona-Pandemie wirkt dabei wie ein Blick durch ein Brennglas auf den erforderlichen Umbau der Sozial- und Steuersysteme hin zur indirekten Besteuerung von nichtmenschlicher Arbeit und damit zu einer Vergesellschaftung der Automatisierungsdividende bzw. Rendite. Eine automatisierungsfreundliche Gesellschaft, in der niemand aus finanziellen Gründen seinem Job nachtrauern muss, der von einem Roboter oder einem intelligenten Computersystem übernommen wird, ist auch eine partielle Antwort auf eine alternde Gesellschaft.
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