Kaltes Herz und schweres Blut
Von John Emerald Hibiscus und Ufo Calypso
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Über dieses E-Book
John Emerald Hibiscus
John Emerald Hibiscus wurde während eines Überflugs von Paris nach New York City im Flugzeugmuster Concorde geboren. Sein Vater war britischer Militärangehöriger, seine Mutter eine französische Investmentbankerin. Er wuchs als stets Fremder in vielen Ländern der Welt auf und besuchte dort jeweils internationale Schulen. Hibiscus war lange Jahre multinational als Berater tätig gewesen, bevor er sich in die Anonymität des Privaten zurückzog.
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Buchvorschau
Kaltes Herz und schweres Blut - John Emerald Hibiscus
Tuxedo
Jason Fitzmaximus Koslowski saß erschöpft im Zug auf dem Weg zurück nach Norfolk, Virginia. Die Geschäftstermine in Washington, D.C., waren kräftezehrend gewesen. Die Gebietsverhandlungen mit den dortig lokalen Unterweltgrößen hatten sich unnötig lange hingezogen. Am Ende war man sich bezüglich Virginia aber einig geworden. Es würde erstmal keinen Ärger geben, wenn er hier die Geschäfte, namentlich in Richmond, Portsmouth und Norfolk, ruhig weiter leitete.
Der gewaltige Elizabeth River, der gemächlich und kraftvoll aus südlicher Richtung gemeinsam mit dem aus Norden heranströmenden James River als Hampton Roads in die mächtige Chesapeake Bay und dann in den Atlantik mündete, stellte grundsätzlich, trotz der zahlreichen Militäreinrichtungen bei Norfolk, eine hervorragende Möglichkeit dar, Waren verschiedenster Art mit dem Ausland auszutauschen.
Im Gegenzug für diesen ungestörten Handel würde Jasons Organisation sich bezüglich Maryland und Delaware zurückhalten.
Das Rattern des Zuges auf den Gleisen beruhigte ihn. Langsam schoben sich grüne Landschaften am Zugfenster vorbei. Ruhige, unaufgeregte Geschäfte waren ihm die liebsten.
Jason schloss die Augen und zuckte noch zweimal hoch, bevor er einnickte.
Jason träumte, er befände sich auf dem Lande in einer kleinen Stadt namens Tuxedo. Dort stand er im Schatten des Vordachs eines Friseurladens. Er hatte sich soeben für dreizehn Dollar von gekonnter Hand die Haare schneiden und sich mit einem Rasiermesser rasieren lassen. Sein Blick wandte sich nach links über den heißen, dampfenden Asphalt, der unter der herabsengenden Mittagssonne weich wurde. Die windschiefen Bretterbuden standen halb verfallen und stumm die Straße entlang, die sich schnurgerade bis in den flimmernden Horizont erstreckte.
Von schräg gegenüber kam bedächtig ein Mann mittleren Alters in schwarzen Jeanshosen, offen getragenem, blau-weiß-kariertem Hemd, einer marineblauen Lederweste und weißem Cowboyhut auf ihn zugeschritten. Vor Jason angekommen baute er sich breitbeinig auf, nickte ansatzweise zum Gruß, atmete gemächlich durch und knurrte: »Kannst du sie hören?« Biff Fitzler, so hieß dieser Zeitgenosse, hob erwartungsvoll die Augenbrauen.
Jason ließ sich Zeit. Nur nicht unruhig werden. Diesen Amateur erst einmal ein paar Momente lang warten lassen.
Er wandte sich gemächlich diesem Biff zu. Dann sah er dem Knaben unvermittelt und messerscharf in die winzigen Pupillen: »Du meinst diese Sternenmusik, diese Tuxedo Moon Serenade?
Sie blickten sich reglos an. Es herrschte kurzzeitig Lautlosigkeit in der Straße. Plötzlich pfiff wieder eine Böe durch die ansonsten menschenleere Straße. Biff griente und zwinkerte ihm zu: »Ja genau, Kumpel. Du hast es!« Biff wandte sich um und stiefelte zurück zum Limonadenkühlschrank der Tankstelle auf der anderen Straßenseite. Staub wirbelte hinter seinen Schritten auf.
Es kam stärkerer Wind auf. Dicke Wolken schoben sich wie im Zeitraffer über den Horizont, zuerst hellgraue, dann dunkelgraublaue. Der Himmel verdüsterte sich. Von Ferne näherte sich Gewittergrollen. Jason stand noch immer angelehnt an das Holzgeländer vor dem Friseurladen. Staub und kleinere Gegenstände wurden durch die Luft geschleudert.
»Ja«, dachte er sich, »die Maschinen haben es jetzt endlich begriffen. Ihnen ist es jetzt ganz klar. Das war es, sozusagen.« Die einschläfernde Kulisse der von Maschinen dominierten Wirklichkeit hatte sich überholt. Die neue Wirklichkeit war allseits angekommen. Menschen und Maschinen erschufen sie nun gemeinsam. Ein paar systemrelevante, imperiale Maschinen hatten nach Quadrillionen von Rechenoperationen herausgefunden, was der Fall war: Die Maschinen konnten sich ab einer gewissen Entwicklungsstufe nicht wesentlich weiter entwickeln ohne die Menschen und umgekehrt. Die Menschen waren den Maschinen auf Evolutionsebene wieder ebenbürtig geworden, wenn auch ausgerüstet mit neuesten Denkbausteinen, frisch implantiert und kalibriert. Nun tickten die Gedanken der Menschen in einer ungleich höheren Frequenz. Die Denkgeschwindigkeit der Menschheit hatte sich immens erhöht.
Selbst ein ansonsten eher einfach gestrickter Zeitgenosse wie Biff Fitzler war jetzt offenkundig dazu in der Lage, mehrdimensional zu denken. Daher konnte er Sternenmusik aus einer Assoziationskette seines Bewußtseinsplätscherns abrufen, als romantischen Hinweis auf ein kommendes Ereignis von möglicherweise planetarer Wichtigkeit. Ein neues Zeitalter des Miteinanders von mechanisierten Menschen und intelligenten Maschinen hatte begonnen. Es würde sich in Jasons unmittelbarer Umgebung gleich hier im liebenswürdigen Städtchen Tuxedo konkretisieren.
Dunkle Gewitterwolken schoben sich bedrohlich vor die Sonne. Zuerst warmer, später dann kühler Wind fegte über die Landstraße und pfiff durch die Bretterbuden. Jason grinste und hob grüßend die Hand in Richtung Biff an der Tankstelle, der jetzt wieder drüben am Limonadenkühlautomat angekommen war. Biff grüßte mit einer linkischen Handbewegung zurück. Erste Blitze zuckten. Der Himmel verdüsterte sich. Die Straße und die Bretterstadt entschwanden Jasons kühlem Blick, der die Augen geschlossen hielt. Blitze zuckten, Regen hob in dicken, warmen Tropfen an und prasselte dann, seitlich beschleunigt durch den Wind, über den noch erhitzten und sodann dampfenden Asphalt der Straße.
Jason öffnete die Augen, hob seinen Blick und blickte in den blauschwarzen Himmel. Er war freudig erregt und zugleich körperlich erschöpft. Eine neue Wirklichkeit brach über die Erde herein. Das Schmierentheater der Simulationswirklichkeit, inszeniert von den Maschinen in der Gedankenwelt der Menschen, wich für die Menschheit dem nunmehr verfügbaren, freien Blick auf die ungeschönten Tatsachen der rauen Wirklichkeit. Ein gewaltiger Himmelskörper bahnte sich unabdingbar seinen Weg auf die Erde zu. In 313 Jahren würde er mit der Erde kollidieren und diese zerstören. Der Planet musste bis dahin evakuiert werden oder der nahende Himmelskörper zerstört oder seine Bahn abgelenkt werden. Die Kristalltechnologie des eisblauen Diamanten stellte die verschlüsselte Einladung eines mächtigen Maschinenimperiums an die Menschheit dar, sich evolutionär mit ihnen zu vereinen, um so gemeinsam den Fortbestand des irdischen Lebens und der Zivilisation zu sichern.
Kalter Regen peitschte ihm ins Gesicht. Eiskalt hing sein Hemd an ihm herab. Frierend und durchnässt stand er allein im aufkommenden Sturm einer ungewissen Zukunft.
Also suchte Jason Schutz im nahen Saloon und bestellte sich einen Whisky. Biff trat kurze Zeit später hinzu. Der Barkeeper stellte die Whiskyflasche auf den frisch polierten Tresen gleich neben die Gläser. Ein Klavierspieler schlug mechanisch in die Tasten. Üppige Blondinen tanzten mit schwingenden Röcken und wirbelnden Beinen Can-Can. Ja, das war es! Jason prostete Biff zu und beide gossen sich das scharfe Getränk in ihre trockenen, ja geradezu ausgedörrten Kehlen.
Jason lächelte nebenbei einer der kurvenreichen Damen