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Eine Faust-Sinfonie: Gespräche mit dem Teufel
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Eine Faust-Sinfonie: Gespräche mit dem Teufel
eBook261 Seiten3 Stunden

Eine Faust-Sinfonie: Gespräche mit dem Teufel

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Über dieses E-Book

"Bist du hier?", fragt der Molekularbiologe Professor Hannes Georg den Teufel, nachdem er sein bisheriges Leben verlassen und auf der Reise ins Ungewisse die Hölle erlebt hat. "Ich war immer bei dir", lautet die Antwort des Teufels.

– Kaum in Rom angekommen führt ein zwielichtiger Kardinal den renommierten Forscher auf die Spuren des Komponisten Franz Liszt, welcher seiner Faszination für den Mythos Faust durch die Komposition eines monumentalen Werks Ausdruck gegeben hat: der Faust-Sinfonie.
Bald realisiert der Professor, dass der Kardinal einen teuflischen Plan verfolgt, welcher den Biologen nicht nur in die Arme einer Novizin des Klosters Santa Anna treibt, sondern ihn auch zum Spielball krimineller Vorgänge im Umfeld des Apostolischen Stuhls macht. In den Gewölben der Vatikanischen Nekropolen erfährt er von Teufelsritualen eines jesuitischen Geheimbundes. Dass er als Mitwisser ins Visier der Gottesmänner gerät, wird ihm erst klar, als ein Agent des Vatikans hinter ihm her ist. Nach einem Treffen mit der Novizin in den Gärten der Villa d'Este, wird die angehende Nonne vom Vatikanischen Geheimdienst entführt. Der Professor schliesst einen Packt mit dem Teufel, um die Novizin aus den Krallen der jesuitischen Priestersekte zu retten. Ein Drama Faustischen Ausmasses.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum19. Feb. 2016
ISBN9783737589291
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    Buchvorschau

    Eine Faust-Sinfonie - José Luis de la Cuadra

    1

    Es irrt der Mensch so lang er strebt

    (DER HERR, Faust: der Tragödie erster Teil)

    Bayreuth

    29. Juli 1886, Liszts Sterbezimmer

    Ich, Ferenc Liszt, habe mein Leben lang das Höchste gesucht und nur den Teufel in mir gefunden.

       Was habe ich nicht alles getan, um mich vom Bösen zu reinigen, zu mir selbst zu finden. Ins Kloster bin ich geflüchtet, um meine Seele zu retten. Zum Priester habe ich mich weihen lassen, als ich den Teufel im Rücken spürte. An den Papst habe ich mich gewandt, um Vergebung von meinen Sünden zu erbitten. In die Einsamkeit habe ich mich zurückgezogen im Bestreben, Gott zu finden. Ich hatte den Willen, die Kirchenmusik zu reformieren, habe mich der sakralen Komposition zugewandt, die Poesie in der christlichen Religion gesucht.

       Und doch, in all meinem Bestreben habe ich geirrt. Meine Musik sprach Verderbtheit und Sünde. Das teuflische Intervall durchdrang die reinen Harmonien. Die Geistlichkeit Roms belegte meine Musik mit dem kirchlichen Bann. Meine Kompositionen verrieten die Sinnlichkeit, die in meinen Adern floss, mein Streben nach grenzenloser Befriedigung. Ich wurde zum Faust der sinfonischen Dichtung, zum ewigen Sucher nach der Kehrseite der Welt. Jedes Mittel war mir recht, jeder Verrat an meiner Gesinnung willkommen. Am Ende triumphierte der Teufelsvirtuose in mir. Er war das Geheimnis meines Erfolges. Trunken vom Rausch des Applauses, geschmeichelt  vom Beifall meiner Anhänger, glaubte ich das Höchste erreicht zu haben.

       Lange ist es her, dass ich in der Kutsche von Rom nach Tivoli in die Villa d’Este reiste und man mir den roten Teppich ausrollte, dass mir Freudentränen des Jubels entgegenströmten. Ich genoss das Bad in der Menge, diese Liebkosungen meiner Seele. Und immer war die sinnliche Weiblichkeit an meiner Seite.

       Ohne die teuflischen Verführungen wäre meine Kraft erschöpft, mein Erfolg ausgeblieben, mein Dasein in der Bedeutungslosigkeit erstickt. Wie hätte ich die wesentlichen Dinge des Lebens erkennen können? Nur das fortwährende Ringen des Teufels mit dem Herrn in meinem Inneren öffnete mir den Weg zu den Grenzen menschlicher Erkenntnis, zur Entfaltung der Macht meiner Musik.

       Rom, ewige Stadt lustvoller Verführung, wie kostbar bist du mir geworden. Madonna del Rosario, Santa Francesca Romana, Villa d’Este. Heiliger Engel, der du vom Herrn abgefallen bist und dem Menschen ewig dienst. Nie mehr will ich auf dich verzichten, nie dich aus meinem Leben verbannen. Ich brauchte dich, habe dich umarmt und bis zum letzten Tropfen dein verderbliches Blut getrunken.

       Jetzt ist die Stunde gekommen, um Rechenschaft über mein Leben abzulegen. Hier in Bayreuth, an der Wahnfriedstrasse 9, unweit   des  Festspielhauses  meines   Schwiegersohnes  Wagner. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit, weggesperrt, ein Gefangener meiner selbst. Allein vor dem Gericht Gottes. Allein in den Armen des Teufels. Mitten im Ringen der übermenschlichen Kräfte. Schutzlos und nackt den Mächten ausgeliefert, die den Tod verlangen. Wer soll über mich richten, wenn nicht ich selbst? Wo bleibt die letzte Ölung, die mich von den Sünden des Lebens befreit und die man mir vorenthält? Wer spielt mir die Musik, die mich erlösen wird?

       Nur das Schluchzen der Weiblichkeit begleitet mich auf meinem letzten Weg. Das Verlangen ist groß, der Schmerz unerträglich. Ich spüre die sanfte Berührung, die kühle Haut, höre die zarten Worte. Die Himmelskönigin spricht zu mir: Wohin gehst du? Ich will zu ihr. Nur sie, nur ihre Vollkommenheit kann meine Seele retten. Nur sie wird mich über den Tod hinaus begleiten.

       Herr, ich begebe mich in deine Hände.

    Ferenc Liszt starb am 31. Juli, 1886, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, im Beisein seiner Tochter Cosima.

    2

    Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen in dieser Stunde mehr gewinnen als in des Jahres Einerlei.

    (MEPHISTOPHELES, Faust: Der Tragödie erster Teil)

    Rom

    2015, Eine Taverne in Trastevere

    Die Dunkelheit der Nacht schlich wie eine Katze durch die enge Türe des rauchgeschwängerten Raumes. Einzelne mit Kerzen bestückte Kandelaber reflektierten feine Muster an die Steinwände. Lichtfetzen entwichen den Flammen und tanzten über den Tischen und Stühlen der Schenke. Auf dem Tresen stapelten sich Flaschen, Gläser und rauchende Glimmstängel. Der korpulente Barkeeper mit Schnauzbart und knolliger Nase ließ das Bier aus der Zapfsäule sprudeln. In seinem Mundwinkel hing eine längst erloschene Zigarette. Von draußen drang Gassenlärm  herein.  Ein fast  beängstigendes  Zeugnis fröhlichen Treibens.

       Ich saß zuhinterst in der Weinschenke an einem kleinen Tisch. Meine Hand umfasste krampfhaft ein Glas rubinroten Liutprando 2007 aus dem Latium. Seine volle und saftige Note entfachte ein sanftes Begehren in mir und trübte meine Sinne. Die Gedanken in meinem Kopf kreisten wild und ließen mich schwindlig werden. Ängste, die in mir tobten, trieben mir kalten Schweiß aus den Poren. Die abgründige Stimmung in diesem finsteren Gewölbekeller Roms verstärkte das Unbehagen, welches meine Entscheidungen in mir hervorgerufen hatte. Die Trunkenheit, eine Folge des schweren Weines, konnte der Furcht, die seit der Ankunft in der heiligen Stadt in mir steckte, nicht Herr werden.

       Am 27. Mai 2015 hatte ich beschlossen, mein Leben als anerkannter Wissenschaftler zu verlassen. Ein unbefriedigendes und unergiebiges Dasein, vollgepackt mit Zwängen und Verpflichtungen, eine unaufhörliche Suche nach dem Sinn meiner Ziele. Gefesselt durch die Stränge des gutbürgerlichen Lebens, erstickt in gesellschaftlichen Normen und abgestumpft durch die Monotonie des Alltags, wollte ich ausbrechen und die verborgene Seite meiner Existenz an neuem Ort entdecken.

       Warum Rom? Ich kannte die Stadt von früheren Reisen. Für mich war sie eine Drehscheibe menschlicher Rastlosigkeit, eine Schnittstelle der Begegnungen, Kulturen und Künste. Sie strahlte Begehrlichkeit und sinnliche Befriedigung aus. Zudem stand sie im Spannungsfeld der kirchlichen Macht, des Vatikans. Sie schwankte zwischen Erhabenheit und tiefster Verderbtheit. Ein idealer Ort, um die eigenen Widersprüche zu erkennen, sich von Verstrickungen und Abhängigkeiten zu lösen.

       Die Zweifel an der Richtigkeit meines Ausbruchs aus dem Käfig, den ich mir selbst gebaut hatte, führten mich jedoch immer tiefer in eine neue, mir bisher unbekannte Abhängigkeit, diejenige der Trunksucht. Sie war ein Zeichen meiner ungeahnten Schwäche und bedeutete nichts anderes als die Unfähigkeit, mich außerhalb schützender Gesellschaftsnormen zu behaupten. Gequält von fremdartigen Visionen griff ich immer häufiger zur Flasche. Welcher Teufel hatte mich dazu gebracht, mein bisheriges Leben zu verlassen?

       Hast du mich gerufen?

       Wen soll ich gerufen haben?

       Mich.

       Den Teufel?

       Nenn mich, wie du willst.

       Bist du der wahrhaftige Teufel?

       Wenn du es zulässt.

       Wie gelähmt blickte ich mich um. Woher die Stimme?

       Ein älterer Herr in schwarzer Soutane und weißem Kollar hatte sich zu mir an den Tisch gesetzt. Er blickte mich an.

       „Entschuldigen Sie, wenn ich Sie anspreche. Sind Sie fremd hier?"

       „So könnte man es nennen. Nicht nur fremd in dieser Stadt, sondern fremd vor mir selbst."

       Ich sah die Umrisse des Geistlichen verschwommen, seltsam verzerrt. Wer sprach die Worte? Halluzinierte ich unter Alkoholeinfluss?

       Bist du das, Teufel, versteckt in einer Soutane?

       Was glaubst du denn?

       Es könnte ein Geistlicher sein.

       Na und? Schließt das den Teufel aus?

    „Wer sind Sie, Monsignore?"

       „Ich bin ein Priester der Ordensgemeinschaft Gesellschaft Jesu, ich bin Jesuit und Kardinal am Apostolischen Stuhl."

       „Soll ich das glauben? Ein Pater in dieser Spelunke? Es scheint mir mehr als seltsam, einen katholischen Priester an einem so profanen Ort anzutreffen."

       „Das Unheilige, die Orte der Finsternis sind Teil meiner Welt. Aber ich muss mich entschuldigen. Komme ich ungelegen? Ich dachte nur ..., nun, Sie machen einen verzweifelten Eindruck. Ich würde wetten, dass Sie in einer Krise stecken. Könnte es sein, dass Sie sich hier in Rom nicht zurechtfinden?"

       „ Mischen Sie sich immer in die persönlichen Angelegenheiten von Leuten ein, die Sie nicht kennen?"

       „Nun, ich bin Priester. Die Hingabe zu meiner Berufung leitet mein Tun. Auch wenn ich als Vertreter der kirchlichen Institution nicht immer fehlerfrei handle, so bin ich doch für Vieles nützlich. Ich kann Ihnen helfen."

       Ich traue diesem Herrn nicht.

       Du solltest dich mit ihm anfreunden.

       Ich kenne ihn nicht.

       Das ist es ja. Du musst ihn kennenlernen.

       Habe ich nicht schon genügend Probleme?

       „Ich brauche Ruhe, Monsignore. Bitte lassen Sie mich allein. Ich komme selbst zurecht."

       „Das ist Ihre Sicht der Dinge. Menschen neigen dazu, sich zu überschätzen. Dabei entgleitet ihnen oft die Kontrolle."

       Der Priester ging mir allmählich auf die Nerven. Was wollte er von mir? Ich hatte mich entschlossen, ein anderes Leben zu beginnen und wollte das durchstehen.

       In diesem Augenblick brach die Welt über mir zusammen. Erinnerungen prasselten auf mich herunter wie Peitschenhiebe: Wie ich zu Hause mit dem Revolver in der Hand dasaß. Der Blick meiner Frau, die mich ertappt hatte. Der Wutanfall. Der Kontrollverlust. Das Wort Trennung. Die Tränen in den Augen meiner Partnerin. Der Entschluss, alles hinter mir zu lassen, zu zerstören, was ich mir aufgebaut hatte, Beruf, gesellschaftliche Stellung, Familie.

       Hatte ich den richtigen Weg gewählt? War das Ungewisse wünschbar? Wo war das Tor der Erkenntnis? Auf der anderen Seite der Welt? Konnte ich das Unvorstellbare finden? Welche Kraft in mir hatte mich dazu getrieben, den Hafen meines sicheren Lebens zu verlassen?

       Ich, natürlich.

       Teufel?

       Du rufst mich schon wieder?

       Es scheint, du verfolgst mich.

       Das will ich meinen.

    Hatte ich als Forscher und Mensch versagt? War das biologische Gerüst jeglichen Lebens, waren diese seelenlosen Eiweißstränge aus Nucleinsäuren eine Fiktion meines Geistes, Strukturen für die Projektion von Trugbildern?

       Elender Zweifler, ich glaube, ich kann dir wirklich nützlich sein.

       Kannst du mir nützlicher sein, als ich mir selbst?

       Blödmann. Ich bin doch ein Teil von dir.

       Jetzt reicht’s.

       Ist es so schwer, die Hilfe seines Schattenmanns anzunehmen? Ich

       bin dir näher als du glaubst.

       „Sie haben Recht. Der Wein vernebelt meine Sinne. Er macht mich überheblich. Ich kann mich tatsächlich nicht rühmen, mein Leben im Griff zu haben."

       „Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, mein Herr. Erlauben Sie mir, Ihnen einen Vorschlag zu machen. Ich kann Sie auf Ihrer Romreise begleiten, gewissermaßen als Gesellschafter oder Freund. Ich werde Sie zu den Geheimnissen dieser Stadt führen, zu ihrer Schönheit und Sinnlichkeit, zu einem Leben, das Ihnen bisher verschlossen blieb."

       „Ihr Angebot tönt verlockend. Aber meiner Meinung nach ist es unvereinbar mit der Gesinnung, die von einem Würdenträger des Bistums Rom erwartet wird, Monsignore. Sie scheinen mit einem Fuß in einer anderen Welt zu stecken. Ich frage mich, warum Sie mir als Priester zur Sinnlichkeit raten. Nein, ich glaube nicht, dass dies mein Weg sein sollte."

       „Wie Sie meinen, aber mein Angebot bleibt. Erlauben Sie mir also, mich zu verabschieden. Ich bin übrigens Monsignore Diabelli."

       „Sehr erfreut. Ich bin Professor Hannes Georg von der ETH Zürich."

       Der Priester lächelte, erhob sich und verließ das Lokal. Er hinkte leicht. Irgendetwas stimmte nicht mit seinem Fuß.

       Das wirst du bereuen.

       Schweig.

       Unwillentlich griff ich zum Glas Rotwein.

       Monsignore Diabelli? Ein komischer Kauz. Sprach zu fremden Menschen und biederte sich als Freund und Begleiter an. Er wollte mir zu Schönheit und Sinnlichkeit verhelfen. Wollte ich das nicht? Nun ja, eigentlich schon. Es war mein innerster Wunsch, das Ziel meiner Flucht aus der Verantwortung meines früheren Lebens. Ich wollte eine neue Dimension des Lebens erfahren. Triebhaftes mit Genuss verbinden. Mich der Essenz der menschlichen Existenz hingeben.

       Monsignore Diabelli? Ein Jesuit, ein Anhänger der strengsten katholischen Lehre, ein Sektierer mit Machtinstinkt, ein Verschwörer. Ein Verführer? Mein Retter in der Not?

       In Gedanken versunken blickte ich mich in der düsteren Taverne um. An der Bar saß eine junge Dame, die Beine übereinander geschlagen, großzügiger Ausschnitt und weit hochgezogener Minirock. In der einen Hand ein Glas Sekt, in der anderen eine Zigarette. Ihr schwarzes Haar reichte bis weit über die Schultern. Sie blickte ständig zu mir herüber und schlug ihr Haar wiederholt über das Ohr zurück. Dabei sprach sie unaufhaltsam mit dem Barkeeper und gestikulierte mit den Armen. Mehrmals schwappte Sekt aus dem Glas. Schließlich erhob sie sich und blieb einen Moment neben dem Barhocker stehen, um die Zigarette auszudrücken. Sie fixierte mich mit verführerischem Blick. Dann, nach kurzem Zögern, näherte sie sich meinem Tisch.

       „Seien Sie vorsichtig."

       „Wie bitte?"

       „Ich möchte Sie vor dem Mann warnen, der zuvor bei Ihnen saß."

       „Wie meinen Sie das?"

       „Er ist gefährlich."

       „Kennen Sie ihn?"

       Sie trat nervös von einem Bein auf das andere. Ihr Busen wippte. Spürte ich Angst in ihrem Gebaren?

       „Ja und nein, ich kenne ihn nicht persönlich. An meinem Arbeitsplatz ist er aber wohl bekannt."

       „Wo ist denn Ihr Arbeitsplatz?"

       „Im Vatikan."

       „Höre ich recht?"

       Spielte die Welt verrückt? Diese anzügliche und nicht gerade dezent gekleidete Dame sollte im Vatikan arbeiten?

       „Sie haben mich richtig verstanden."

       „Und was tun Sie dort?"

       „Ich stehe zu Diensten."

       Eine Kurtisane?

       „Von welchem Dienst sprechen Sie"?

       „Vom sexuellen."

       Sie fand das offenbar ganz normal. Mir wurde es langsam zu viel.

       „Ich glaubte immer, in der Umgebung des Apostolischen Stuhls gelte das Keuschheitsgelübde."

       „Das glaubte ich auch einmal."

       „Was hat das Ganze mit dem Priester zu tun, der vorher bei mir saß?"

       „Ich habe Kolleginnen, die ihm zu Diensten sind."

       „Und was geht mich das an?"

       „Ich wiederhole, er ist gefährlich."

    Sie blickte unruhig um sich, zündete eine neue Zigarette an, drehte sich auf dem Absatz um und verließ eiligst das Lokal.

       Zurück blieb der Professor, der Ausreißer, ich. Zurück blieb auch ein mulmiges Gefühl in mir. Ein Gefühl von Hilflosigkeit, von Ratlosigkeit. Nein, ich konnte nicht glauben, dass ein Kardinal offen über Sinnlichkeit sprach und eine Hure im Vatikan die Priester bediente. Natürlich wusste man von den Verfehlungen der Geistlichkeit, aber direkt damit konfrontiert fühlte sich das Ganze irgendwie klebrig an. Das einzig Gute war, dass ich von meinen Problemen abgelenkt wurde. In meinem Innersten widerhallte diese seltsame Stimme. Das wirst du bereuen. Mein Alter Ego? Warum warnte mich die Dirne vor einem sündigen Priester, der mein Freund werden wollte?

       Irritiert griff ich schon wieder zum Glas. Da fiel mein Blick auf einen Prospekt, welchen der Jesuit offenbar auf meinem Tisch liegengelassen hatte. Ich muss zugeben, dass meine Hände zitterten, als ich nach der Schrift griff, vermutete ich doch eine unangenehme Botschaft Diabellis.

       Erleichtert atmete ich auf, als ich feststellte, dass es sich bei dem Papier lediglich um ein Konzertprogramm des Auditoriums Parco della Musica handelte. Das RAI-Sinfonieorchester Roms spielte morgen die Faust-Sinfonie von Liszt. Als ausgesprochener Musikliebhaber und weil das Auditorium Parco della Musica sowieso auf meinem Besuchsprogramm stand, beschloss ich, mir eine Karte zu besorgen. Dieses monumentale Werk war praktisch nie im Konzertsaal zu hören. Es war zu schwierig in den Harmonien und erforderte ein immenses Orchester. War der Jesuit ein Musikliebhaber? Oder wollte er mir etwas mitteilen, mich auf seine Pfade lenken?

       „Il conto!" rief ich zur Bar hinüber, dann begab auch ich mich zum Ausgang der Taverne.

    3

    Du bist noch nicht der Mann, den Teufel festzuhalten! Umgaukelt ihn mit Süßen Traumgestalten, versenkt ihn in ein Meer des Wahns;

    (MEPHISTO an die Geister, Faust: Der Tragödie erster Teil)

     Das Auditorium Parco della Musica ist ein phantastisches Kulturzentrum im Stadtteil Parioli in Rom. Es wurde nach den Plänen des italienischen Stararchitekten Renzo Piano erbaut und 2002 eröffnet. Die Sala Santa Cecilia bietet 2800 Sitzplätze und ist für große Orchester und Chöre bestens geeignet.

       Nachdem ich im Konzertsaal Platz genommen hatte, vertiefte ich mich in das Programmheft mit den Erläuterungen zur Faust-Sinfonie Liszts. Die Abhandlung beleuchtete vor allem die  Kompositionstechnik. Es war die Rede von einem teuflischen Intervall, das einer halbierten Oktave entsprach und früher als furchterregend und böse galt. Das Intervall, auch Tritonus genannt, wurde als Diabolus in Musica bezeichnet und irritierte wegen seiner verwerflichen Eigenschaft zeitweise die Kirche, während es in neuerer Zeit der Schauerdramatik in der Filmmusik dient.  

       Dieses teuflische Intervall verwendete Liszt zur musikalischen Charakterisierung Mephistos. Faust teilte der Komponist die aufstrebende übermässige Quinte zu. Die beiden Intervalle stellen die Gegenpole des Seins dar.

       Als gegeneinander gerichtete Kräfte gipfeln sie in einer von Liszt nachträglich angefügten Komposition. Es handelt sich um den Chorus Mysticus. Mit diesem gigantischen Chorwerk sprengte Liszt den Rahmen des ersten Teils der Faustdichtung und nahm die Apotheose des Ewig Weiblichen aus dem zweiten Teil der Fausttragödie vorweg.

       Schon die einleitenden Harmonien des ersten Satzes zogen mich in ihren Bann. Ich fühlte das Toben der Quintharmonien, die aufwärtsstrebende Kraft Fausts, durch alle Glieder hindurch. Erst als

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