40 Fragen an eine Rolle: Eine Methode zur selbstständigen Erarbeitung der Rolle
Von Jurij Alschitz, Vadim Brodski und Christine Schmalor (Editor)
()
Über dieses E-Book
Eine Methode der Fragen? Eine Frage der Methode.
Das ganze Theatersystem, jede Methode, die hier vorgeschlagene inbegriffen, hat nur dann Sinn, wenn sie künstlerisch und nicht dogmatisch aufgefasst wird. Es erwartet Sie ein Buch der Fragen und nicht der vorgefertigten Antworten. Fragen sollen als Schlüssel zum Wesentlichen dienen. Die Technik, Fragen an eine Rolle zu stellen, bereichert Schauspieler und Regisseure um die seltene aber vitale Qualität, eigene frühere Ideen zu hinterfragen und mit sich selbst eine Perestroika anzuzetteln. Riskieren Sie es, und Sie werden eine wunderbare Welt in der Rolle entdecken, voll der verschiedensten Rätsel und Geheimnisse, die Tausende von Antworten in sich tragen. Manchmal erhalten wir sie in der ersten Sekunde, manchmal nie.
Für den Autor, Regisseur und Schauspielpädagoge Prof. Dr. Jurij Alschitz steht die Selbstständigkeit der Schauspieler als Protagonist eines modernen lebendigen Theaters im Vordergrund. Die Fragen an eine Rolle fördern die Eigenständigkeit bei der Rollengestaltung. Regisseure und Pädagogen finden Anregung und Unterstützung für die eigene Vorbereitung und den Probenprozess und die Lehre.
Jurij Alschitz
Director, theatre teacher and academic, Dr. Jurij Alschitz, received his first director training in Moscow under the tutelage of Prof. J. N. Malkovsky (a former pupil of Stanislavsky). After several acclaimed productions, he continued his education with a second course of training at GITIS Russian Academy for Theatre Arts, under the instruction of Prof. M. Butkevich and Prof. A. Vasiliev, where he subsequently held a teaching post. In 1987, he took part in the foundation of the theatre ‘School of Dramatic Art – Anatoly Vasiliev’, where he established his own rehearsal and training methods. From there, Jurij Alschitz went on to further develop the methods of the famous Russian theatre tradition, creating his own unique pedagogical system, whereby training forms the central basis of educational and rehearsal techniques. In 1992, Jurij Alschitz established his own “School” by teaching and directing at various universities and drama schools throughout Europe and which led to the opening of International Theatre Centres in Berlin, Stockholm, Oslo, Rome and Paris, now commonly known as The European Association of Theatre Culture. EATC has created an extensive network of ideas and a teaching ensemble with the ongoing aim to channel new theatre impulses and instigate practical research. His books have been published in a range of languages and offer practical theatre exercises and advice for thousands of students, teachers, actors and directors.
Mehr von Jurij Alschitz lesen
Die Kunst des Dialogs: Methoden zur Theaterpraxis Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Vertikale der Rolle: Eine Methode zur selbstständigen Erarbeitung der Rolle Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Ähnlich wie 40 Fragen an eine Rolle
Ähnliche E-Books
Traumberuf Schauspieler:in: Der Wegweiser zum Erfolg Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSchauspielen - Ausbildung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFilmszenen für Schauspieler und Filmemacher: Zum Spielen und Inszenieren Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenÜberleben im Darsteller-Dschungel: Wegweiser für freischaffende SchauspielerInnen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSelbstbewusst zum Vorsprechen: Dein Coach für die Aufnahmeprüfung an Schauspielschulen und den Weg in den Schauspielberuf Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenRundum stimmig!: Ein Trainingsbuch für Stimme, Sprechen und Wirkung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie 7 Säulen der Stimme (be-)stimmen: Das Stimmtraining für Ihren persönlichen Erfolg Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenImprovisationstheater. Gruppen, Geld und Management Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSchauspielen - Theorie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHörbuchsprecher - Sein oder Nichtsein: Die Kunst, Literatur in lebendige Sprache zu übertragen - Ein Leitfaden Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMacht der manipulativen Rhetorik: Wie du Menschen beeinflussen kannst und Manipulationstechniken erlernst Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenTräume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenImprovisationstheater: Band 2: Schauspiel-Improvisation Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWie schleichendes Gift: Narzisstischen Missbrauch in Beziehungen überleben und heilen – überarbeitete und erweiterte Neuauflage Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenImprovisationstheater: Band 1: Die Grundlagen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenChristoph Waltz: Die exklusive Biografie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSchluss mit dem Aufschieben: Endlich anfangen zu leben Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSpontan sein - Improvisation als Lebenskunst Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenImprovisation als soziale Kunst: Überlegungen zum künstlerischen und didaktischen Umgang mit improvisatorischer Kreativität Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMit den Ohren sehen: Die Methode des gestischen Sprechens an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPsychologie für die Seele Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIn 60 Sekunden Sympathie wecken: Wie Sie in weniger als 60 Sekunden die Grundlage für beruflichen Erfolg, Business-Abschlüsse oder Ihr nächstes Date legen. Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Kunst der Filmkomödie Band 2: 1.000 Filmkomödien Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenStilles Wasser: Gedanken eines Hochsensiblen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGrundsätzlich unvorbereitet: 99 Texte über Kunst und Gesellschaft Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenZeige deine Wunde: Kunst und Spiritualität bei Joseph Beuys – Eine Spurensuche von Rüdiger Sünner Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenÜberWunden: Die wahre Geschichte einer zerstörerischen Liebe, tiefer Verletzungen und großer Wunder. Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKörperrhetorik: Eine Anleitung zum Gedankenlesen und -zeigen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen"Kunst" von Yasmina Reza (Lektürehilfe): Detaillierte Zusammenfassung, Personenanalyse und Interpretation Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Darstellende Künste für Sie
Neue Dramaturgien: Zwischen Monomythos, Storyworld und Serienboom Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenElizabeth und ihr deutscher Garten Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Kreatives Drehbuchschreiben Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenRebecca Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Die Frau ohne Schatten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenShakespeare auf Deutsch Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Göttliche Komödie Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Schauspielen - Theorie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLexikon der Symbole und Archetypen für die Traumdeutung Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Retro TV - So war Fernsehen früher: Die schönsten Quiz- und Fernsehshows des deutschen Fernsehens Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAuf dem Weg zu einer Neuen Aufklärung: Ein Plädoyer für zukunftsorientierte Geisteswissenschaften Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenComputergeschichte(n): Die ersten Jahre des PC Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKinderlieder: 100 Liedertexte der schönsten Kinderlieder Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Theater der Dinge: Puppen-, Figuren- und Objekttheater Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWilliam Shakespeare - Dramatiker der Welt: Ein SPIEGEL E-Book Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAnglizismen und andere "Fremdwords" deutsch erklärt: Über 1000 aktuelle Begriffe Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGesammelte Werke Hugo von Hofmannsthals: Dramen und Erzählungen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAlles Materie - oder was?: Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenImprovisationstheater: Die Grundlagen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDance Anatomie: Der vollständig illustrierte Ratgeber für Beweglichkeit, Kraft und Muskelspannung im Tanz Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEmilia Galotti Bewertung: 3 von 5 Sternen3/5Animationsfilm: Konzept und Produktion Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Möwe Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMaria Stuart Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Das Gefühl des Augenblicks: Zur Dramaturgie des Dokumentarfilms Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenStar Trek: Voyager Relaunch: Die Reise geht weiter! Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenBessere Handy Videos & Smartphone Storytelling: Beeindruckende Videos erstellen und fesselnde Geschichten erzählen – alles mit deinem Smartphone! Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenBrecht lesen Bewertung: 4 von 5 Sternen4/550 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2 (Golden Deer Classics) Bewertung: 3 von 5 Sternen3/5
Rezensionen für 40 Fragen an eine Rolle
0 Bewertungen0 Rezensionen
Buchvorschau
40 Fragen an eine Rolle - Jurij Alschitz
Prolog
Die Freiheit, Fragen zu stellen
Die Arbeitsmethode, die Sie in diesem Buch kennen lernen werden, kann man ebenso „Sokratische Fragen an eine Rolle nennen. Was eine sokratische Frage ist? Platon nannte dieses Können seines Lehrers Sokrates „Maieutik
, was aus dem Altgriechischen übersetzt „Hebammenkunst" bedeutet. In einer sokratischen Frage kreuzen sich mehrere Gedankenströme, die uns zur Wahrheit führen. Die Liebe zu den Dialogen Platons und das Studieren der Kunst des Sokrates – eines Menschen, der es verstand, Fragen zu stellen – brachten mich dazu, diese Methode auch im Theater anzuwenden. Das Befragen – als ein Mittel der selbstständigen Erforschung einer Rolle, als Proben- und Unterrichtsmethode – ist in dieser Form einzigartig und hat, wie mir scheint, heutzutage eine große Perspektive, obwohl bereits Denker des letzten Jahrhunderts sich darüber Rechenschaft ablegten, wie hoch die Rolle des Fragenstellens zu werten ist. Das riesige Potential, das in der Kunst liegt, Fragen zu stellen, wurde immer schon höher bewertet als Antworten. Die Prinzipien der Dialektik sind allgemein bekannt: die Kunst der Wahrheitserkenntnis mit Hilfe von gekonnten Fragestellungen und den darauf erfolgenden Antworten. Die Lösung eines wissenschaftlichen Problems, egal auf welchem Gebiet, beginnt oft vor allem mit einer Fragestellung, und der Prozess der Erforschung ist stets in erster Linie ein Befragen. Dasselbe gilt auch für das Theater. Ist doch eine Rollenanalyse nichts anderes, als ein Prozess der Erkenntnis, was aber bedeutet, dass der Schauspieler ebenfalls die Kunst des Fragens lernen muss.
Die richtige Frage zu stellen ist nicht einfach. Bloß nichts zu wissen – das ist zu wenig. Und nach nichts zu fragen geht auch nicht. In einer Frage gibt es keine strenge Abgrenzung zwischen Wissen und Nichtwissen; die Grenzen sind fließend, mehr noch – eines geht in das andere über. Oder, wie die Alten sagten: das Wissen davon, dass wir nicht wissen, ist bereits ein Wissen über das Nichtgewusste. Das Wissen, das in einer Frage verborgen ist, dient bereits als Basis für eine Vorwärtsbewegung. Hinter einer Frage und dem Vermögen des Befragens sollte eine besondere Logik stehen, die Logik der Frage-Antwort-Relation. Als Regisseur und Theaterlehrer bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass im Stellen von konkreten Fragen sehr viel mehr Sinn für eine professionelle Erforschung der Rolle liegt, als in einer informativen, oft nur auf das Resultat hinzielenden Analyse. Es ist kein Geheimnis, dass viele Regisseure und Lehrer sofort Hunderte von Antworten vorschlagen, wobei sie nicht nur darauf hinweisen, was, wie, wann und aus welchem Grund etwas geschah, sondern auch, wie man dies auffassen soll. Ein Regisseur rät einem Schauspieler, wie man diese oder jene Rolle spielt, ohne darüber nachzudenken, dass beim Spieler noch nicht einmal die Fragen zur Rolle geboren wurden. Solche schon früher vorbereiteten Antworten fallen auf unvorbereiteten Boden und bringen deshalb keinerlei Ergebnisse. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung kann ich wohl mit Überzeugung sagen, dass dies ein Weg mit sehr niedrigem Koeffizienten ist, was die Teilnahme des Schauspielers an der Rollenanalyse betrifft. Wenn man aber die Taktik der Probe ändert, wenn der Regisseur Fragen stellt und der Schauspieler Antworten sucht, nimmt die Qualität der Analyse gleich zu. Dies ist dann bereits keine monologische, sondern eine dialogische Analyse. Bei einem echten Dialog handelt es sich aber nicht einfach nur um Frage – Antwort, sondern vor allem um eine gemeinsame Bewegung zur Erkenntnis hin. Bei solch einer sokratischen Rollenanalyse stellt der Regisseur Fragen, nicht um seine eigene Meinung zu verkünden, sondern viel mehr, um den Schauspieler nach Kräften für eine gemeinsame Suche zu stimulieren. In diesem Fall lässt sich der Schauspieler in die Suche hineinziehen, er präzisiert die Fragen des Regisseurs durch seine eigenen Fragen und horcht gleichzeitig nach, ob darin nicht schon die gesuchte, unbekannte Antwort versteckt liegt. Wenn der Regisseur die Frage richtig stellt, wird der Schauspieler, während er nach einer Antwort sucht, nicht nur nach einer einzigen Variante streben, sondern das Gebiet der Fragen ausdehnen und seine Antwort in ein ganzes Thema verwandeln. Deshalb besteht die Aufgabe eines Regisseurs bei einer solchen Arbeitsmethode nicht darin, eine Frage so schnell wie möglich abzuschließen. Er muss vielmehr das entfachte Feuer der Neugier am Leben erhalten und neue Fragen hinwerfen und dabei versuchen, den Weg für eine lebendige Energie der Erkenntnis zu öffnen. Auf diese Weise nähern sich Regisseur und Schauspieler im Dialog dem Gebiet der Antworten. Sie suchen gemeinsam nicht nach einer, sondern nach einer Summe von Antworten.
Doch in den letzten Jahren habe ich diese Arbeitsmethode modifiziert, weil ich dachte, dass die Arbeitsqualität besser werde, wenn der Schauspieler selbstständig seine Fragen formuliert und selbst darauf Antworten findet. Ich bemühte mich darum, dass beim Schauspieler eigene Fragen zur Rolle auftauchen und er erst danach mit der Suche nach Antworten beginnt. Dabei handelt es sich ebenfalls um eine dialogische Analyse, doch es ist ein innerer Dialog, der vom Schauspieler eigene, freie Entscheidungen fordert. Selbstständig gefundene Erkenntnisse sind und bleiben immer die eigenen! Das ist wichtig.
Ich versuche noch andere Gründe zu nennen, warum ich die Methode verändert habe. Es gibt diesen Ausdruck „Freiheit ist das Recht, Fragen zu stellen". Meiner Auffassung nach sollte jede Arbeitsmethode an der Rolle vor allem die Freiheit des Schauspielers wahren. Gewöhnlich spricht man von der Freiheit der Handlung des Schauspielers und seiner Ausdrucksfähigkeit, doch in der heutigen Theaterpraxis ist gerade das Problem der Freiheit in der Wahrnehmung des Schauspielers überaus wichtig. Was ist damit gemeint? Vor allem ist es die Fähigkeit und Möglichkeit des Schauspielers, frei – ohne äußere emotionale, intellektuelle oder andere Einflüsse – das Material der Rolle zu sehen, zu hören, zu fühlen, und – als höhere Erscheinungsform der Freiheit – es vertrauensvoll der Welt zu öffnen. Aber garantieren denn die Sinnesorgane des Schauspielers ihm diese Freiheit etwa nicht? Eben nicht – und genau darum geht es. Die Wahrnehmung ist eine seelische Arbeit des Schauspielers und nicht die seiner Sinnesorgane. Und die Seele öffnet sich erst, wenn Freiheit erscheint. Deshalb ist dies so wichtig. Wie interessant die Arbeit mit einem Regisseur auch sei – die unmittelbare Wahrnehmung des Schauspielers erlischt dabei rasch und wird zu einer vermittelten, bedingten Wahrnehmung, das heißt aber: zu einer abhängigen und unfreien. Eine passive Wahrnehmung ist meiner Ansicht nach die Hauptkrankheit der heutigen Schauspieler. Das ist der Grund, weshalb ich in den letzten Jahren meine Aufmerksamkeit vor allem auf die selbstständige Arbeit des Schauspielers richtete, denn ich meine, dass er nur auf diese Art und Weise in eine lebendige, aktive Position zurückgeführt werden kann.
Die Kunst, Fragen zu stellen, ist eine seltene, doch sehr notwendige Eigenschaft des heutigen Schauspielers, die eine Umstellung vieler seiner traditionellen Arbeitsprinzipien erfordert. Aus einer befragenden Position heraus spielt der Schauspieler nicht nur die Rolle, erlebt sie und stellt sie dem Zuschauer vor – sondern er richtet Fragen an sie. Auf diese Art erforscht er die Rolle. Indem er eine Frage stellt, öffnet sich der Schauspieler für die ihm unbekannte Rolle, bereitet sich auf die Begegnung vor, auf eine Beziehung mit ihr. Sie sind jetzt zusammen. Ich bin überzeugt davon, dass so wie der Schauspieler sich zu der Rolle hinbewegt, sich auch die Rolle auf ihn zubewegt. Sie sind einander gleichwertig, so wie ein Fragender und ein Antwortender einander gleichwertig sind. Auch die Rolle selbst erforscht den Schauspieler, das Niveau seiner Kultur, seines Denkens, weil nämlich der Schauspieler mit seinen Fragen bekundet, wo und an welchem Punkt des Nichtwissens er gerade steht. Aus eben diesem Grund begrüßen Zuschauer es stets, einen denkenden Schauspieler zu sehen, der auf der Bühne interessante Fragen stellt und nicht bloß immer wieder dieselben bereits fertigen Antworten gibt. Bei einer Frage wird immer sichtbar, ob sich darin mächtige Energie verbirgt, die ein persönliches Interesse und den Wunsch des Schauspielers zeigt, unbekanntes Terrain zu klären – oder ob es bloß um eine formelle Kommunikation geht. Wenn bei einem Schauspieler Fragen zur Rolle aufkommen, kann er sich gar nicht mehr distanziert, ohne einen persönlichen Aufhänger zur ihr verhalten. Die Rolle türmt sich zu einer riesigen, noch nicht eroberten Welt vor ihm auf, die von ihm eine aktive Position verlangt. Probleme in der Rolle, die er als seine eigenen, persönlichen annimmt, erlauben dem Schauspieler seine eigene Welt mit der Welt der Rolle in Beziehung zu setzen, verschiedene Logiken zu vergleichen, zwischen dem einen und dem anderen Leben auszuwählen. Nur eine solche Position hebt den Schauspieler auf die gleiche Ebene wie die Rolle, und aufgrund dessen stellt sich heraus, dass ein Schauspieler, indem er der Rolle Fragen stellt und sie erkennt, sich vor allem selbst erkennt.
Wenn der Schauspieler anfängt zu spüren, dass in ihm Fragen auftauchen, wird die Arbeit sofort leicht und interessant vonstatten gehen. Das wichtigste beim Fragenstellen ist, dass man spürt wie man sich nach vorne bewegt. Dies wird hauptsächlich erreicht aufgrund einer freien Montage der Fragen. Sowie der Schauspieler anfängt merkt, dass die Energie einer Frage versickert, muss man die nächste Frage stellen und sich nicht auf ein- und dasselbe versteifen. Jeder Übergang zu einem neuen Fragenkomplex entfacht einen Funken Wahrheit. Gerade aufgrund einer Montage der Fragen kann ein innerer, verborgener Kern der Rolle zum Vorschein kommen. Die Kunstgriffe der Montage sind sehr vielfältig: sie können scharf, kontrastreich oder weich sein, die vorige Frage weiterführen oder die nächste in sich bergen. Versuchen Sie es, und Sie werden merken, dass dies eine sehr fesselnde und schöpferische Übung ist.
40 Fragen sind nicht genug. Tatsächlich können es unendlich viele sein. Ich war bemüht, lediglich das Hauptprinzip einer Analyse dazustellen. Alle Fragen in dieser vorgeschlagenen Methode sind ungefähre Fragen. Sie haben die Aufgabe, den Schauspieler zu eigenen Fragen zu animieren. Natürlich können nicht alle möglichen beliebigen Fragen, sondern nur solche, die zu den ewigen, weltweiten, ungelösten gehören, ihn dazu bringen, neue Qualitäten in sich zu öffnen – die eines Erforschers, der
