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Sklaven, Bimm und Alemannia
Sklaven, Bimm und Alemannia
Sklaven, Bimm und Alemannia
eBook434 Seiten6 Stunden

Sklaven, Bimm und Alemannia

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Über dieses E-Book

Von Europas Staaten haben sich Regionen abgespalten. Ein kleiner verbrecherischer Staat ist Alemannia. Hinter ummauerten Gebieten mästet er Sklaven, um sie verwehrten zu können. Zwischen all den Fetten wächst ein dünnes Mädchen heran, das ganz anderes ist als ihre Umgebung. Das Personal hält sich diese Bimm als Maskottchen. Nach einem Unwetter entdeckt das Mädchen an der Mauer eine Unterspülung, sie wagt sich nach draußen und beobachtet die Menschen. Dabei sieht sie in den Häusern bunte Lichter aufflackern und entdeckt Filme. So steht sie jede Nacht vor den Fenstern des nächsten Dorfes und lernt die verwirrende und brutale Welt der Menschen kennen. Eines Tages erfährt der Mann, der sie verbotener Weise gezeugt hat, von ihr, und will sie beseitigen. Eine Jagd beginnt. In der Folge lernt Bimm verschiedene Gesellschaftsformen kennen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Nov. 2016
ISBN9783738092431
Sklaven, Bimm und Alemannia
Autor

Hans Joachim Gorny

9.11.1957 geboren. Maler Lehre, Zeitsoldat, Hausmann, Schriftsteller, seit 2000 selbständiger Biotop Pfleger. Website: gorny biotoppflege

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    Buchvorschau

    Sklaven, Bimm und Alemannia - Hans Joachim Gorny

    Halmschor Drohsdal

    Was zusammenwächst, fällt auch wieder auseinander. Bestes Beispiel ist das römische Weltreich. Auch die europäische Gemeinschaft ist wieder auseinander gebrochen, jedes Mitglied tritt das europäische Recht mit Füßen und macht was es will. Der Euro ist nur noch in den Staaten Zahlungsmittel, die sich keine eigene Währung leisten können. Vom einstigen Musterland Deutschland haben sich Regionen gelöst, die als Zwergstaaten nun eigene Geschäfte machen.

    Der Anfang der Sezession ging von einer Bundesregierung aus, die nicht gerade durch Talente glänzte, die durch eine lang anhaltende Wirtschaftskrise überfordert war und unglückliche Entscheidungen traf. Infolge ihrer wirtschaftlichen Inkompetenz wurde sie durch Neuwahlen ersetzt. Die neue Bundesregierung aber, entpuppte sich als inkonsequent, denn sie hatte Angst die falschen Entscheidungen zu treffen. Sie konnte sich auch nicht gegen Großindustrie und Banken behaupten, nichts wurde mehr ernsthaft geregelt, Deutschland stürzte noch tiefer in die Krise. Als auch die Nachfolgeregierung schwächelte, begann so mancher Ministerpräsident und Bürgermeister die Berliner Obrigkeit zu ignorieren. Das wurde zum Trend. Besonders clevere oder skrupellose Politiker verweigerten der Bundesregierung die Gefolgschaft, verfolgten in ihren Bundesländern oder Städten eine eigene Politik und suchten nach neuen Einnahmequellen. Nachdem sich die erste Region von ihrem Bundesland losgesagt hatte, war die Anarchie geboren, einige andere Regionen folgten dem Beispiel und pochten auf das selbst zuerkannte Recht auf Autonomie.

    Bundesregierung und Bundestag stritten endlos drüber, wie die Einheit wiederherzustellen sei, wurden aber bei der Problemlösung weder von der Bevölkerung noch vom Ausland unterstützt. Mehr und mehr Bundesländer, Regionen, Landkreise und Städte ergriffen die Gelegenheit, sich zu verselbstständigen. So wie im Mittelalter der Kaiser die vielen Herrschaften nicht in den Griff bekam, fand Berlin keine Mittel, um das Land wieder unter seine Fuchtel zu bringen. Nach langen Jahren der Geschlossenheit, war Deutschland wieder in Kleinstaaten zerteilt und dem Ausland war ein schwaches Deutschland recht. Aber auch in anderen Staaten der Europäischen Union spalteten sich Regionen ab.

    Die Bundesregierung in Berlin gibt es nur noch pro forma, regieren tut sie nur noch Ost-und Teile Mitteldeutschlands, die ihre Steuern weiterhin an Berlin bezahlen. Im Rest der Bundesrepublik regieren Anarchie und Chaos. Der größte Einzelstaat ist Bayern, dem aber im Nordwesten die Schwaben abhandengekommen sind. Der kleinste Einzelstaat ist Hamburg, das ganz gut zurechtkommt. Andere Teile Deutschlands, die sich von der Bundes-und ihrer Landesregierung losgesagt hatten, derben in ihrem Chaos.

    Kein Land Europas traut sich mit militärischer Hilfe die alte Ordnung wieder herzustellen. Offen hatten eine Reihe Zwergstaaten gedroht, im Falle einer militärischen Interversion sich einem Nachbarstaat anzuschließen. So würden sich die Holsteiner den Dänen anschließen, die Friesen den Niederländern, die Pfälzer den Franzosen. Ein militärischer Einsatz würde den nächsten nach sich ziehen. Zudem ist das Militär in Deutschland nicht mehr loyal, weil in der Bundeswehr, die nur noch für Ostdeutschland steht, die Ostdeutschen in der Minderheit sind. Das Militär ist europaweit bedeutungslos, die Kleinstaaten verzichten auf eigene Armeen.

    Ein reicheres Land ist Alemannia, das im südwestlichen Zipfel Deutschlands liegt und in etwa dem ehemaligen Großherzogtum Baden entspricht. Der Landstrich bezeichnet sich nach dem alemannischen Dialekt der dort früher einmal, wie auch in der Schweiz und im Elsass, gesprochen wurde. Und weil alle angrenzenden südlichen Länder eh schon von Allemagne und Alemannia sprechen, hatte sich der Name nahezu aufgedrängt. Jedoch der Norden des Ländchens, nämlich die Städte Heidelberg und Mannheim, hatten sich mit Ludwigshafen, Mainz und Frankfurt am Main zu einem neuen Wirtschaftraum zusammengeschlossen. Geblieben sind den Alemannen die Oberreihnische Tiefebene, der Schwarzwald und ein Stück Bodensee und Allgäu.

    So ist Bruchsal die nördlichste Stadt Alemannias und Karlsruhe die Hauptstadt. Die Westgrenze bildet der Rhein, dahinter liegt der französische Zwergstaat Elsass. Im Süden, von Basel bis zum Bodensee, liegt unverrückbar die Schweiz. Hinter dem Schwarzwald drohen aus ihrer Hauptstadt Stuttgart, die Schwaben mit ihren Begehrlichkeiten. Doch die EX-Badener wissen enge Verbündete an ihrer Seite. Zwischen Alemannia, dem Elsass und der Schweiz existieren vielschichtige Verbindungen, mit Italien und der iberischen Halbinsel herrscht ein lebhafter Handel.

    Die Haupteinnahmequelle des Ländchens ist der Zoll. Die sechsspurige ehemalige A 5 in der Rheinebene stellt die sicherste, schnellste und intakteste Strecke nach Süden und Westen dar. Nördlich von Offenburg und südlich von Freiburg wird der Durchgangsverkehr zur Kasse gebeten, Waren für das Elsass und die Schweiz zahlen die Hälfte. Da es zu dieser Strecke keine Alternativen mehr gibt, ist der Zoll eine ständig sprudelnde Einnahmequelle, die europaweit nur im Rheintal so gut funktioniert.

    In Alemannia regiert weder ein Präsident, noch ein Kanzler, König oder sonst irgendein Kopf, der dem Land sagt wo es lang geht, in Alemannia regiert eine Gruppe. Während der Phase, in der sich die Bundesregierung in Berlin selbst zerfleischte, jeder Minister sein eigener Kanzler sein wollte, was die Republik destabilisierte, hatte ein Konsortium aus Geschäftsleuten in Karlsruhe die Freihandelszone Alemannia ausgerufen. Gleichzeitig verweigerten die Städte Heidelberg und Mannheim die Teilnahme an dieser Freihandelszone, weil sie sich durch eine Verbindung mit Frankfurt bessere Geschäfte erhofften.

    Die ersten Drohungen an das Konsortium kamen aus Stuttgart, erst später aus Berlin, gepaart mit der Ermahnung, sich wieder dem Bundesland und dem Bundesrecht zu unterstellen. Das Konsortium bestand aus extrem flinken und habgierigen Leuten, die sofort mit neu geschaffenen Polizeikräften das Regierungspräsidium in Karlsruhe besetzen und eine Woche später auch das in Freiburg. Die Baden-Württembergische Polizei wurde darauf, soweit noch vorhanden, in die neu geschaffene Alemannische integriert, beträchtliche Teile des Landesverfassungsschutzes liefen zum besser bezahlenden Konsortium über. Da von der Bundesregierung nichts Verwertbares sondern nur Chaos produziert wurde, verselbständigten sich in Deutschland noch andere Landstriche. Die Destabilisierung der Demokratie ergriff auch Nachbarstaaten, die Zentralregierungen wurden nicht mehr ernst genommen.

    Bald war die Idee vom Zoll geboren, die Politik des Konsortiums bestand darin, möglichst viel Geld zu verdienen, Geld verdienen war alles, Natur, Umwelt und Menschen waren nichts. Die Zeit war wenig zimperlich, Moral nicht angesagt, christliche Werte vergessen. Bei Karlsruhe steht ein riesiger, orangegelb angestrichener Betonbunker, in welchem die Brennelemente aufbewahrt werden, die während der Atomzeit in Baden-Württemberg angefallen sind. Diese alten Brennstäbe waren ein begehrtes Handelsgut und das gewissenlose und habgierige Konsortium befriedigte ohne Wissen der Bevölkerung die Nachfrage.

    Als das Geschäft bekannt wurde, protestierten andere reiche Leute des Landes und nutzten die weltweite Empörung, um das Konsortium abzusetzen. Diese Reichen protestierten aber nicht dagegen, weil das hoch radioaktive Material in verantwortungslose Hände geriet. Die Herrschaften protestierten vielmehr dagegen, weil die Einnahmen aus dem Brennelemente-Verkauf in den Taschen des Konsortiums verschwanden. Ihrer Meinung nach hätte es in die Staatskasse von Alemannia fließen müssen, welche noch einzurichten war. Das gestürzte Konsortium wurde durch ein Syndikat ersetzt, das aus den sieben Reichsten Leuten des Landes besteht. Diese Sieben werden jedes Jahr neu ermittelt, so dass auch mal neue Gesichter zum Zuge kommen. Diese regierenden Sieben beendeten das Geschäft mit den Brennelementen, ersannen aber viele neue Geschäftszweige, unter anderem das Geschäft mit den Sklaven.

    An einem Montagmorgen Anfang März, machte Halmschor Drohsdal eine Bekanntschaft, die ihn auf Jahre beschäftigen sollte. Das Syndikat regierte seit über 110 Jahre sehr erfolgreich das kleine Land am Oberrhein und Halmschor, der nach dem Willen seiner Eltern Halms-Chor gerufen werden sollte, war ein Angestellter des Syndikats. Er war 32 Jahre alt, hatte eine Frau und mit ihr einen siebenjährigen Sohn. Körperlich entsprach Halmschor dem Landesdurchschnitt, 160 cm groß, 68 Kilo schwer, wie die Meisten leicht übergewichtig und er war blond. Seine Frau Marlesa, sechs Zentimeter kleiner, acht Kilo leichter, dunkelblond, entsprach auch dem Landesdurchschnitt und könnte vom Aussehen her seine Schwester sein. Aber Halmschor Drohsdal hatte eine überdurchschnittlich gut bezahlte Beschäftigung, denn er war Geheimnisträger.

    Sein Sohn Sarus, der seit dem 2. Januar die erste Klasse besuchte, wehrte sich wie jeden Montagmorgen gegen das Aufstehen, was seitens der Eltern auch jedes Mal laute Worte erforderte, damit er rechtzeitig vor der Haustür stand. Im Prinzip wurde er nach dem Anziehen und Zähneputzen, mit der Schultasche auf die Straße gestellt, Essen gab es schließlich in der Ganztagsschule. Der Zwergstaat achtete sehr auf die Ernährung und die Ausbildung seiner Kinder, studierte Leute war einer von Alemannias Exportschlagern. Bevor ein Examinierter das Land verließ, wurde er noch in Spionage geschult.

    Die Drohsdals lebten im eigenen Haus in einer Beamtensiedlung nördlich von Offenburg, sie gehörten zu den wohlhabenderen Bürgern und das hatte seinen Preis. Obwohl Halmschor auf Jahrzehnte die immer gleichen Tätigkeiten zu verrichten hat, würde er nie den Arbeitgeber wechseln können, denn von dem was er machte, durfte nichts in die Außenwelt dringen. Immerhin hatte er die Chance, einmal in eine Führungsposition zu gelangen, dann durfte er in einem Sessel sitzend planen und delegieren. Aber noch bestand keine Aussicht und eigentlich waren sie unterbesetzt. Wenn nur einer seiner Kollegen krank wurde oder in Urlaub ging, hatte er eine Siebentagewoche. Immerhin aber meistens nur einen Siebenstundentag.

    Als erstes wurde Sarus vom fahrerlosen Schulbus abgeholt. Das war ein gläserner Kasten, der wie von Geisterhand auf Luftkissen in das Viertel schwebte, automatisch vor den entsprechenden Häusern hielt, die Schüler an der Vorderfront einsteigen ließ und zur Schule brachte. Ein Aufseher der Fahrer genannt wurde, überwachte aus der Ferne mehrere Buse gleichzeitig und rief Schüler die Unfug trieben, über Lautsprecher zur Ordnung. Danach fuhr seine Frau Marlesa mit dem Elektroeinrad zu ihrer Dienststelle und als Letztes spazierte Halmschor zu seiner nahen Sammelstelle.

    Jeden Morgen Punkt acht sammelten sich einige Beamte des Viertels, die hinter der Mauer arbeiteten, an einer Haltestelle. Mit Halmschor warteten in der Regel ein Allgemeinarzt und eine Frauenärztin, ein Zahnarzt, eine Laborantin, mehrere Arzthelferinnen, ein Lebensmittelberater und eine Gruppe Arbeiter für allgemeine Aufgaben. Alle überdurchschnittlich gut bezahlt, vom Syndikat privilegiert und zu absolutem Schweigen verurteilt. Kurz nach acht Uhr schob sich leise, aber auf acht Rädern, ein extra langer Linienbus um die Häuserecke, den, wie jeden Morgen, das medizinische Personal bestieg. Die meisten Fenster des Buses waren seltsamerweise undurchsichtig. Dem Bus folgte immer ein vielachsiger, langer Lastzug, der Halmschor und die anderen Arbeiter abholte. Die Fahrzeuge summten Fahrerlos aus der Stadt heraus und schwenkten dann Richtung Osten dem Wald entgegen. Kein einziger Passagier achtete darauf, ob die Fahrzeuge auch richtig fuhren, so selbstverständlich fanden sie Tag für Tag ihr Ziel.

    Nach etwa einer viertel Stunde verließen sie die Landstraße, passierten eine automatische Kontrollstelle, die Unbefugten die Durchfahrt verwehren konnte und fuhren auf einem schmalen und kurvigen Weg in den Wald. Halmschor wusste, dass es außer ihnen noch zwei andere Einheiten gab, die hinter der Mauer arbeiteten und die entweder vor oder nach ihnen den Weg benutzten. Mit jedem Meter wurde beidseitig des Weges das Unterholz dichter, wer von den Passagieren vorne durch die Windschutzscheibe schaute, fühlte sich in einer Höhle. Nach einer großen Tafel mit der Aufschrift „Stopp-nicht weiter-Straflager-sie werden registriert", tauchte der Weg auf einmal in eine echte Höhle ein, vielmehr in eine Röhre, die so eng beschaffen war, dass der Bus an den Wänden entlang zu schrubben schien. Die Fahrzeuge konnten hinein, aber nicht einmal ein Kind konnte gleichzeitig hinaus. Bus und Laster fanden problemlos hindurch. Kaum in der Röhre, wurde es vorne hell, weil sich das Tor öffnete, sie kamen in die überschaubare Welt der Sklaven.

    Vom Tor ausgehend verlief in beide Richtungen eine seltsam geformte Mauer. Die Mauer hatte überhaupt nichts Gerades. Bis in zwei Meter Höhe war sie noch einigermaßen vertikal, dann bog sie sich weitere zwei Meter zunehmend nach innen. Wer gute Augen hatte, konnte im oberen Viertel noch mehrere hauchdünne Drähte erkennen, die der Mauer folgten. Beidseitig des Tores folgte sie der Topografie der Landschaft und verschwand bald hangaufwärts hinter den Bäumen. Die Mauer bestand aus einem sehr harten Betongemisch und von innen erkannte niemand, wie dünn sie eigentlich war, keine 20 Zentimeter stark.

    Nach zweihundert Metern hielten Bus und Laster auf einem weiten, geschotterten Platz, vor einer länglichen Kunststoffbaracke. Dahinter befanden sich noch dutzende weitere längliche Baracken, die nicht so hoch waren wie die vorderste, und dazwischen sah Halmschor jede Menge Kinder, wobei die Kinder ungewohnt dick, träge und leise waren. An den anderen drei Seiten war der Platz von langen, gepflügten Äckern und grün sprießenden Feldern umgeben, im Hintergrund standen knospende Büsche und Bäume. Das medizinische Personal öffnete die Türen des Buses, stieg jedoch nicht aus. Als er dem Lastzug entstieg, sah er sie schon auf sich zukommen, die Sklaven. Auch nach einem Jahr konnte er seinen spontan empfundenen Ekel nicht unterdrücken. Die Sklaven waren alle stark übergewichtig, Frauen, Männer und Kinder schwabbelten nur so von Fett. Gekleidet waren sie alle in ähnlichen Jacken, Hemden und Hosen, die sich farblich nur gering unterschieden. Eigentlich hatte die Sklavenkleidung nur einen Hauch von Farbe, dem grauen Grundton waren blau, rot oder grün beigemischt, gelbe Kleidung gab es überhaupt nicht, die wurde von der Feldarbeit zu schnell schmutzig. Ihre Kleidung war auch sehr einfach geschnitten, im Prinzip sah sie den OP-Anzügen gleich, die man manchmal in uralten Filmen zu sehen bekam. Viele der Klamotten waren mehrmals gestopft oder mehrmals zerschlissen, nicht alle waren fähig mit Nadel und Faden umzugehen. Manche der Sklaven die nun den Fahrzeugen zuströmten, hielten Kleidung in ihren Händen, die sie tauschen wollten.

    Das Schlimmste an den Sklaven war nicht ihre Fettsucht, das Schlimmste war ihre Art sich zu bewegen, die Halmschor sehr gruselig fand. Alles was sie taten machten sie bedächtig, Eile, Eifer, Hektik, schienen ihnen fremd zu sein. Sie waren sogar so bedächtig, dass sie niemals miteinander stritten, eine sehr verhaltene Meinungsverschiedenheit war schon das höchste einer Auseinandersetzung die Halmschor beobachtet hatte. Das konnte aber kaum daran liegen, weil die Sklaven so übergewichtig waren, denn Fette gab es ja auch außerhalb der Mauer genug und die konnten ganz schön gereizt sein. Deshalb hatte er den Verdacht, dass die Lebensmittel die er mit den Arbeitern täglich entlud, mit allerlei Medikamenten angereichert waren, damit sich die Sklaven ruhig verhielten und nicht aufbegehrten. Logisch wären auch Medikamente gegen diverse Krankheiten, vielleicht auch gegen Intelligenz.

    Der Lastzug rangierte sich dicht an die Halle. Nachdem er korrekt stand, öffneten sich am Gefährt die Rolltore und die Tore der Halle auch, Sklaven schoben von innen Rampen an den Lastzug. Wie jeden Morgen, an sieben Tagen in der Woche, wurden sie erwartet, standen viele Sklaven erst auf, wenn sie die Rolltore hörten. Uhren hatten sie nicht und brauchten sie auch keine. Kurz darauf rutschten die ersten Riesenpakete und Tonnen die Rampen hinunter und in die Halle hinein, der nun immer mehr Sklaven zustrebten. Ein Riesenpaket bestand aus hunderten Nahrungsmittelpäckchen, die Päckchen selber hatten einen undefinierbaren breiähnlichen Inhalt, die Tonnen beinhalteten die begehrten Getränke. Sie wurden in einer Reihe auf ein Podest gestellt und die Sklaven füllten sich die verschiedenartigen Flüssigkeiten in Kanister, Krüge und Eimer. War eine Tonne leer, fiel sie in sich zusammen und benötigte so im Laderaum kaum noch Platz. Halmschor konnte nicht anders und hatte einmal seinen Finger in den Krug eines Sklaven gesteckt, weil er unbedingt wissen wollte, weshalb das Zeug aus den Tonnen bei den Dicken so begehrt war. Die Sklaven hatten in jeder Baracke Zugang zu Trinkwasser und auch die Möglichkeit, sich auf Elektroplatten Tee zu kochen. Die Getränke aus den Tonnen, die im Geschmack leicht variierten, schmeckten voll süß, stellte er fest. Sie waren wohl deshalb so wild auf das Zeug, weil sie zuckersüchtig waren, vielleicht ließ das Syndikat auch noch Drogen hineinmischen.

    Den Inhalt der Päckchen musste er dann natürlich auch probieren. Auch der war unterschiedlich beschaffen, einmal fester, dann weicher, mal trockener, mal grober oder feiner, keinen Tag nacheinander brachten sie das Gleiche, aber der Päckcheninhalt war genauso süß wie die Getränke und er war ölig oder fettig, voll der Dickmacher.

    Halmschor hatte sich deshalb, aus Sorge, dass ihnen bei dieser Ernährung die Sklaven wegsterben, bei einer Ärztin erkundigt. Die erklärte ihm hinter vorgehaltener Hand, dass sämtliche Nahrungsmittel mit Medikamenten gegen Herz- und Kreislauferkrankungen angereichert wären. Außerdem riet sie ihm davon ab, von den Nahrungsmitteln die für die Sklaven gedacht seien zu probieren. Das seien alles nur aufbereitete Abfallprodukte aus ihrer Gesellschaft, voller Fette und Zucker, denen noch Mineralien, Vitamine und Spurenelemente aus den Laboren beigemischt wären und außerdem jede Menge Hormone, Medikamente und Drogen für und gegen weiß der Teufel was alles.

    Die Sklaven, die Halmschor heimlich für sich als Quallen bezeichnete, wurden auch mit etwas salzigem versorgt, auf das sie richtig scharf waren. Doch dafür mussten sie arbeiten, aus gesundheitlichen Gründen sollten sie sich bewegen und sie sollten aus psychischen Gründen beschäftigt sein. Sämtliche Sklaven, klein und groß, wurden dazu angehalten auf den Feldern zu rackern, die Wege in Ordnung zu halten und vor allem ihre Behausungen zu reinigen. Leute wie Halmschor mussten dafür sorgen, dass selbst im Winter, wenn Gemüse und Knollen nur langsam wuchsen, genug Arbeit vorhanden war, damit sich die Quallen bewegten. Diverse Knollen und Rüben machten auch im Winter genug Arbeit, um die Quallen auf trapp zu halten. Besonders die Neuzüchtung einer kleinen Kartoffelsorte, vielleicht war es auch etwas anderes, denn sie konnte unbedenklich auch roh gegessen werden, wuchs auch in den milden Wintern. Ab März wurden dann wieder die Kohl-und Rübensorten, sowie Hülsenfrüchte angebaut. Zu diesem Zwecke brachte der Lastzug Saatgut mit.

    Auf jeden Fall strömten die Sklaven jeden Morgen dem Lastzug entgegen, um ihre Ernteprodukte gegen heiß begehrte Stangen zu tauschen, die man von weitem für Brot halten konnte. Doch wer diese Stangen einmal probiert hatte, wusste sie nicht einzuordnen, denn für Brot kauten sie sich zu grob und schmeckten sie zu salzig. Es war bestimmt auch Getreideschrot darin, aber Halmschor war sich sicher, auch Sägemehl herauszuschmecken. Bestimmt war das Zeug entwickelt worden, um die Zähne und Verdauungsorgane der Sklaven zu beschäftigen, denn nur Brei und Zucker war schon sehr ungesund und ohne Salz starb jeder Mensch.

    Wie selbstverständlich entluden die Sklaven in ihrer phlegmatischen Weise den Lastzug, schoben die Paletten mit den Nahrungsmitteln in die Halle, wo sich dann jeder bediente und mitnahm was er brauchte. Viele hatten auch einen Becher mitgebracht und blieben gleich bei der einen oder anderen Tonne stehen, um ordentlich einen zu heben. Alkohol, Zigaretten, Kaffee und andere Genussmittel kannten sie nicht, Zucker und Salz waren ihr ein und alles. Kaum war der Laderaum entleert, brachten schon die ersten auf Handkarren ihre Ernteprodukte, die im Winter hauptsächlich aus ausgegrabenen Knollen und Rüben bestanden. Im Herbst bestand die Hauptaufgabe darin, die geernteten Knollen und Rüben zu vergraben, damit sie den Winter über nicht austrieben. Frostgefahr bestand sehr selten und Schnee gab es überhaupt nie.

    Vor dem Bus mit dem medizinischen Personal bildeten sich derweil drei lange Schlangen. Die erste vor dem Zahnarzt, denn ständig mussten schmerzende Zähne gezogen werden, die Zweite vor dem Allgemeinarzt, denn ständig mussten Verletzungen behandelt werden und die dritte vor der Laborantin. Bei der letzteren Person schauten die Sklaven nur in ein Gerät, das sie anhand der Irisstruktur identifizierte. In diesem Fall wurde festgestellt, wann sie das letzte Mal Blut gespendet hatten, denn das durften sie nur alle zwei Wochen. Die Schlange vor der Laborantin war die längste. Wer Spenden durfte, erhielt einen Stempel auf den Unterarm und begab sich in die Halle. Dort warteten eine Reihe Stühle und die Arzthelferinnen auf die Spender, um ihnen einen halben Liter Blut, oder auch mehr, abzulassen. Zur Belohnung bekamen sie danach eine kleine Tafel künstlicher Schokolade, die bei keiner anderen Gelegenheit erhältlich war. Als normaler Mensch würde man erwarten, dass die Erwachsenen Sklaven die Schokolade unter ihren Kindern verteilen. Dem war aber nicht so, sie aßen sie selber und der Traum eines jeden Kindes war, endlich Blut spenden zu dürfen, um eine eigene Tafel Schokolade zu ergattern.

    Mit dem Blut der Sklaven betrieb das Land einen schwunghaften Handel, Menschenblut war eines der Exportschlager. Die Ärztin, mit der Halmschor manchmal vertraulich eine Pfeife rauchte, hatte ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt, dass die Sklaven vermutlich auch zu Organspenden herangezogen würden. Blieb die Frage, ob es sich dabei auf Nieren oder Leberteile beschränkte, oder ob dafür auch manchmal einer getötet wurde, um an alles zu kommen. Beim Überdenken der Frage, lief Halmschor ein kalter Schauer den Rücken hinauf und hinunter. Ab und zu wurde ein Bus voller „Freiwilliger, die sich für eine Umsiedlung „begeistern konnten, aus der Mauer herausgefahren, um eine Übervölkerung zu vermeiden. Die Sklavenverwaltung achtete peinlichst darauf, dass von den Ausgesiedelten auch mindestens einer im Jahr wieder zurückgebracht wurde, sei es aus Strafe, weil er sich daneben benommen hatte oder weil er aus irgendwelchen Gründen zurückwollte. Der bestätigte dann, dass es auch noch andere Sklavengebiete gab und erzählte, dass es dort genauso gut sei wie hier. Wo sich die befanden, wussten weder Halmschor noch die Ärztin und würden es vermutlich auch nie erfahren. Es sei denn, sie wurden Chef der Verwaltung oder kamen in das Syndikat, was mangels Reichtum aber ausgeschlossen war.

    Am Lebendigsten war es im Geburtshaus, jeden Tag brachten einige Mamas Nachwuchs zur Welt. Wenn die Frauenärztin morgens in das Geburtshaus ging, das hinter der Lebensmittelbaracke stand, lagen dort meistens schon dicke Frauen denen man gar nicht ansah, dass sie hochschwanger waren. Manche hatten in der Nacht selbständig ein Kind oder mehrere Kinder geboren, den Nachwuchs mit Hilfe einer anderen Frau gewaschen und den Raum gereinigt. Geburt war hinter der Mauer Alltag und Routine, jede Frau und jedes Mädchen bekam jährlich Nachwuchs, Säuglinge und Kleinkinder bildeten die größte Bevölkerungsgruppe. Mit der Muttermilch die sie bis zur nächsten Geburt bekamen, schluckten die Säuglinge auch die Beruhigungsmittel aus der Erwachsenennahrung. Die Babys der Sklaven waren ungewöhnlich leise. Die Ärztin versorgte die Neugeborenen und deren Mütter, untersucht zukünftige Mütter und verabreichte die nötigen Medikamente. Es wäre die Gelegenheit, jeden Sklaven elektronisch zu markieren, aber aus einem nicht nachvollziehbaren Grund war das Syndikat strikt dagegen.

    Mit Verspätung öffnete sich das Tor nach innen und der Dritte und letzte Trupp Sklavenbetreuer fuhr durch den Tunnel auf das Gelände. Bus und Lastzug fuhren normal achtlos an Halmschors Einheit vorbei und weit in das Tal hinein. Doch heute stoppten sie neben ihren Kollegen. Sie bräuchten dringend einen Mann, bei ihnen seien heute Morgen gleich zwei nicht erschienen, sie seien berechtigt, jemanden zu rekrutieren. Ohne Nachzudenken hob Halmschor seinen Arm. Das liegt an meiner verflixten Neugier, schalt er sich. Dem Führer des Trupps, ein älterer Arzt, war das egal und er winkte Halmschor zu sich herein. „Ui, dachte er, „ich darf sogar im Bus mitfahren. Der einzige freie Platz war neben dem Arzt, der auch Chef der Truppe war. „Na, schon lange dabei? wollte er von Halmschor wissen. „Seit einem Jahr, antwortete der artig, „aber dort hinten war ich noch nie. „Dann entführe ich sie ja in eine neue Welt, grinste der Alte.

    Halmschor, der keine Vorstellung davon hatte wie groß das ummauerte Gelände war, staunte nicht schlecht, als in Sichtweite zum Weg ein ganzes Dorf mit zum Teil uralten Häusern auftauchte. Oberhalb, auf den Hügeln, blitzten einige Mauerteile zwischen den Bäumen hervor, hinter der Mauer schien nichts mehr zu sein. Sie ließen das Dorf links liegen, Halmschor schaute verwundert zurück. „Da sind schon die Kollegen, sagte ihm der Arzt. „Wir haben ein schöneres Dorf. Der Talboden war von den unterschiedlichsten Feldern bedeckt, immer mal wieder waren Übergewichtige in unmodischer grüngrauer, blaugrauer und rotgrauer Kleidung zu sehen. Manche schoben oder zogen einen Handkarren, andere trugen Schaufeln oder Hacken auf den Schultern, wieder andere hatten einfach nur die Hände in den Hosentaschen, welche der einzige Luxus war, mit dem ihre Klamotten ausgestattet waren.

    Den Weg zwei Kilometer weiter, tauchte nach einer Wegbiegung das versprochene Dorf auf. Wie das andere auch, hatte es einen richtig alten Ortskern, nur lag es dicht am Waldrand, was es für das Auge malerischer machte. Von oben herab leuchtete ein Stück der hellen Mauer und Halmschor vermutete nun am Ende des Sklavengeheges zu sein. Sie wurden von einer riesigen Quallenmasse erwartet. „Wieviel leben hier eigentlich innerhalb der Mauer, erkundigte er sich beim Arzt. „So an die zehntausend. Was drüber geht wird umgesiedelt. Halmschor blieb der Mund aufstehen. „Zehn". In Anbetracht des Auflaufs sah es gewaltig nach Überstunden aus.

    Die Arbeiter begannen mit Halmschors Hilfe die Lebensmittel auszuladen und zu verteilen. Dabei verzweifelten sie an der Langsamkeit der Sklaven, mussten sich aber zusammenreißen, um nicht zu fluchen und zu schimpfen. Jedes unbedachte Wort und erst recht jedes Schimpfwort das ihnen entfuhr, machten sich die Sklaven aus lauter Freude am Neuen sofort zu Eigen und konnte schon am nächsten Tag dem Personal tausendfach entgegenschallen. Erst recht durfte das Personal keine Wörter benutzen die Fragen aufwarfen, aus denen man sich dann herausreden musste. Worte wie Fernsehen, Telefon, Supermarkt, Musik, singen und tanzen, waren den Sklaven unbekannt und konnte ihre Neugier erwecken. Gespräche über Politik, Sport, Religion und Familie durften nur außer Hörweite geführt werden. Alles Unbekannte konnte zu Missverständnissen führen und Unzufriedenheit verursachen, was die Quallen bockig machte und den Arbeitstag in die Länge zog.

    Als gegen Mittag endlich die Lebensmittel verteilt waren, atmete Halmschor erst einmal tief durch und ging zum Bus, um sein Mittgebrachtes zu verzehren. Danach mussten noch die Tauschprodukte, also die Knollen und Rüben, und die Blutkonserven eingeladen werden. Es war ein anstrengender Morgen gewesen, sogar der anstrengendste des Jahres. Die Sklaven hier hinten waren zwar genauso lahmarschig wie die vorne, wo er bislang gearbeitet hatte, aber hier empfand er sie als bedrohlicher. Vermutlich kam das auch daher, weil sie Feuer machen konnten. Während der Lastzug auf dem Dorfplatz entladen und die Pakete und Tonnen in einer ehemaligen Festhalle aufgestapelt wurden, hatte sich am Dorfrand die kleine Rauchfahne eines erloschenen Feuers emporgekräuselt. Irritiert wollte er nach dem Rechten sehen, doch eine gewichtige Phalanx schwerer Rücken hatte sich zwischen ihm und der Rauchquelle aufgebaut. Auf so ungewohnte Weise verunsichert, sucht er den Chef und meldete seine Beobachtung.

    „Tja, da hatten wir anfangs nicht schlecht gestaunt und die ersten Feuer gleich wieder gelöscht, verriet der Alte. „Es gibt aber irgendetwas mit dem sie täglich ein neues Feuer entfachen können, bloß kommen wir nicht dahinter. Altholz sammeln scheint hier eine beliebte Beschäftigung zu sein. Wir nehmen an, dass die Horde sich nachts um ein Feuer versammelt.

    „Haben sie noch keine Augen aufgehängt, um die Sache zu beobachten? wollte Halmschor wissen. „Doch, doch, da hängt eine ganze Reihe von diesen Dingern herum, aber viele funktionieren nicht mehr. Sobald der Mensch vom Sicherheitsdienst wieder gesund ist, gehen wir der Sache nach, meinte der Chef der Dr. Albritz hieß.

    Halmschor saß in einer offenen Tür des Buses und verspeiste sein Mitgebrachtes, eine Wurst-und Käse-Rolle, als ihm ein kleines Kind auffiel, das ihm beim Essen zusah. Er rechnete damit angebettelt zu werden, es war aber strikt verboten den Sklaven Essen und Trinken von außerhalb zu geben. Nie durften sie merken, dass es noch andere Nahrungsmittel gab als die, die sie kannten. Da die Haare der meisten Sklaven so kurz waren, wie sie innerhalb eines Jahres wuchsen, war der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Kindern oft nicht zu erkennen. Halmschor betrachtete das Kind genauer, da es nicht recht in das gängige Sklavenschema zu passen schien, und, um dahinter zu kommen ob es männlich oder weiblich war. Das Kind das höchstens fünf Jahre alt sein konnte, hatte ein ausgesprochen hübsches Gesicht. Mit einem Mal merkte er auch an was es lag. Das Mädchen, so war er nun überzeugt, hatte keine dicken Backen wie die anderen Kinder. Trotz der unförmigen Kleidung konnte man erahnen, dass es wenig auf den Rippen hatte, vermutlich war das schöne Kind krank.

    „Wie heißt du denn?" fragte Halmschor das Mädchen.

    „Bimm", war die einsilbige Antwort. Er musste sich ein Lachen verkneifen, denn die Sklaven, die Null Bildung und noch nie etwas von einer Schule gehört hatten, gaben sich die kuriosesten Namen.

    „Und du?" fragte das Mädchen zurück. Da musste Halmschor vorsichtig sein, denn bei der Ausbildung hatte man ihnen eingeschärft, niemals den Sklaven den Namen zu verraten. Jemand der das einmal gemacht hatte, hatte dadurch jahrelange Unruhe provoziert, weil bald die Hälfte der neugeborenen Buben Thorvald gerufen wurden und das brachte automatisch schlechte Stimmung. Ein Vermittler hatte dann den Sklaven erklärt, dass sie den Namen auch in Variationen zerlegen konnten. Zum Beispiel nur Tor, oder nur Wald, oder auch Waldtor. Waldtor gefiel dann allgemein sehr gut, was das Problem wieder in das Anfangsstadium katapultierte.

    „Ich heiße Hal, freut mich dich kennenzulernen, Bimm", antwortete Halmschor ungewohnt freundlich. Er rechnete immer noch damit um sein Essen angebettelt zu werden, als es die nächste Frage stellte.

    „Was habt ihr denn auf eure fahrende Hütte gemalt?" zeigte sie auf die Beschriftung des Buses. Hal überlegte, mit was er sie anlügen sollte. Die Arbeiter hatten strikte Anweisungen den Sklaven keine Bildung zukommen zu lassen, weil man nie wissen konnte wohin das führte.

    Dann meinte er: „Etwas, damit wir sie wiedererkennen, es gibt ja noch eine ähnliche".

    „Es gibt sogar vier", wusste das Göhr. Stimmt, wusste auch Halmschor, es gab noch ein Ersatzfahrzeug, die Kleine war hellwach und hatte die Unterschiede auf der Beschriftung erkannt.

    „Weißt du wie alt du bist?" fragte er neugierig.

    „Sechs oder sieben Jahre, meine Mutter ist mit dem Zählen durcheinander gekommen. Ich glaube, sie kann gar nicht zählen", erklärte sie mit der größten Selbstverständlichkeit.

    „Aber du kannst zählen?" fragte er belustigt.

    „Bis zwanzig."

    „Und woher kennst du die Zahlen?"

    „Ihr zählt doch jeden Morgen die Pakete mit dem Essen", war des Rätsels Lösung. Halmschor schloss daraus, dass hier hinten im Wald jeden Morgen zwanzig Paletten abgeladen wurden, fünf mehr als bei ihm vorne.

    Er ging auf Bimm zu, streckte ihr die Hand entgegen und meinte: „Komm, ich zeige dir mal die fahrende Hütte", denn er wollte von dem alten Arzt untersuchen lassen, weshalb das aufgeweckte Mädchen so mager war. Aber so schnell wie sie sich aus dem Staub machte, konnte Halmschor gar nicht reagieren. Na, so fit wie die war, konnte sie nicht besonders krank sein. Er ging trotzdem zum Arzt und erkundigte sich nach dem Mädchen.

    „Ist ihnen diese kleine dunkle Lockige schon einmal aufgefallen?"

    Der Arzt zog die Augenbrauen nach oben. „Scheint aus der Art zu schlagen. Sie ist viel lebendiger als die anderen Kinder und keiner weiß wovon sie sich ernährt. Uns ist aufgefallen, dass sie keine Süßigkeiten mag. Nicht einmal Schokolade."

    „Na, wenn das Schule macht, grinste Halmschor „ist es bald Essig mit dem Blutspenden.

    Dr. Albritz sah ihn forschend an. „Noch mehr von der dürren Sorte können wir tatsächlich nicht gebrauchen. Schließlich machen wir die Sklaven deshalb so dick, damit wir möglichst viel Blut ernten können. Wenn unter den Sklaven die Enthaltsamkeit Mode wird, ist das schlecht für das Geschäft."

    Abends auf dem Rückweg zum Tor, betrachtete Halmschor die Sklaven die ihnen begegneten, besonders die Kinder, und alle waren dick. Auf einmal viel es ihm wie Schuppen von den Augen, Bimm unterschied sich von den anderen auch in der Haarfarbe. Er sah nur braune, dunkelbraune, rote, blonde und dunkelblonde Haare, kein Kind und kein Erwachsener hatte schwarze Haare, so richtig schwarze mit Blauschimmer wie Bimm. Und erst recht nicht schwarz und kleingelockt wie bei einem Südländer. Nach dieser Erkenntnis war sie für ihn kein Sklave mehr, eher ein Wesen aus einer unbekannten Welt.

    Die freie Stelle

    Hinten im Wald, in der gewachsenen Struktur eines Dorfes, hatte er es schöner gefunden, auch wenn die Arbeit anstrengender gewesen war. Aber am nächsten Morgen arbeitete Hal wieder auf seinem gewohnten Platz, wo es nur moderne Kunststoff-Baracken gab, die sehr spartanisch ausgestattet waren. Deren unzerstörbaren Fenster verfügten zwar über Lüftungsschlitze, ihnen fehlte aber eine Verdunkelung. Die Sklaven waren nicht anspruchsvoll, legten auch nicht viel Wert auf Intimsphäre, was man nicht kennt, vermisst man nicht. Die Räume zwischen den Fertigwänden waren sehr klein, die Sklaven hatten ja kaum Besitz. Ersatzklamotten, Teller, Tassen, Krüge, Kanister, Waschmittel und Seife lagen oder standen auf einem Bord. Den Sklaven wurden auch keine Betten gegönnt. Eine dünne, abwaschbare Kunststoffmatratze mit einer Kunststoffdecke, die aber sehr gut wärmte, musste reichen. Die Toiletten befanden sich außerhalb und wurden von mehreren Familien genutzt, das Werkzeug stand in einer Gemeinschaftshalle.

    Hinten im Dorf hausten sie mehrheitlich in alter Bausubstanz, Kunststoffbaracken standen dort nur im Außenbereich. Egal ob alt oder neu, alle Behausungen verfügten über Licht und einen beheizbaren Raum. Die Wärme kam tief aus der Erde und war praktisch immer verfügbar und genauso unendlich wie Wind und Sonne, die den Strom lieferten. Wenn sie noch so viel Fett auf den Rippen hatten und deshalb wenig froren und die Winter noch so mild waren, konnten die Temperaturen nachts doch frostig werden und die Gesundheit der Sklaven gefährden. Dem Syndikat war es ein ernstes Anliegen, die Sklaven gesund zu halten und auch vor Kälteschäden zu schützen. Krankheiten verursachten nur Kosten. Deshalb stand jedem Sklave ein warmer, wasserdichter Kapuzenmantel und ein paar wasserdichte, gefütterte Winterstiefel zur verfügen, die praktisch unkaputtbar waren.

    Halmschor kam es so vor, als ob die Sklaven dort hinten irgendwie lebendiger wären. Nicht nur weil sie Feuer machen konnten, es war auch ein ständiges Kommen

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