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Wohlstand macht unbescheiden
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eBook260 Seiten3 Stunden

Wohlstand macht unbescheiden

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Über dieses E-Book

Mit fünfundsechzig Jahren beschließt Phillip Ludwig, einen Roman zu schreiben; er will sich über das Unsinnige dieser Welt auslassen. Das Leitmotiv lautet: Frauen sind nicht das Problem auf diesem Planeten, es sind die vielen Ungeschickten, die es unter den Männern gibt.
Das Wichtigste für Phillip ist von klein auf, Zeit für sich haben. Er ist Minimalist, verabscheut Wohlstand und Luxus. Auf Freunde verzichtet er, seine Mitmenschen hält er für unzuverlässig, nachlässig, fahrlässig und bequem. Und trotzdem ist er immer gut gelaunt, zu allen freundlich, versprüht seinen Charme, weil er sich freut, dass er nicht so ist wie die Anderen. Aber er ist kein Egoist, ist nie auf den eigenen Vorteil aus und denkt auch sozial.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum19. Sept. 2021
ISBN9783753199283
Wohlstand macht unbescheiden
Autor

Hans Joachim Gorny

9.11.1957 geboren. Maler Lehre, Zeitsoldat, Hausmann, Schriftsteller, seit 2000 selbständiger Biotop Pfleger. Website: gorny biotoppflege

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    Buchvorschau

    Wohlstand macht unbescheiden - Hans Joachim Gorny

    Veränderungen

    Wohlstand macht unbescheiden von Hans Joachim Gorny

    In den menschlichen Genen fest verankert sitzt die Angst, zu kurz zu kommen. Das habe ich schon im Kindergarten festgestellt. Nun bin ich Rentner und seit meiner Kindheit hat die Welt sich erstaunlich gewandelt. Ich erlebte, wie meine Eltern, Nachbarn und Verwandte Fernseher anschafften und fahrbare Untersätze. Aus Mopeds und Motorrädern wurden Kleinwagen, dann Limousinen, schließlich SUVs. Die mir bekannten Familien legten sich immer mehr Haushaltsgeräte zu, die irgendwann mit Fernbedienung funktionierten. Heutzutage beherrschen den Haushalt mehr oder minder nützliche elektronische Geräte.

    Die meisten meiner Bekannten können sich nun Fernreisen leisten, während sie in ihrer Kindheit vielleicht mal einige Wochen bei einem Onkel oder einer Tante verbringen durften. Ihre Schränke sind voller Klamotten, die sie sich schicken lassen. Einkaufen gehen kommt immer mehr aus der Mode. Selber machen auch; in den wenigsten Haushalten steht noch eine Nähmaschine oder gibt es noch eine Strickmaschine. Früher hatten unsere Mütter Kleider genäht und Pullover gestrickt. Von einem Schrank voller Schuhe konnte man in den fünfziger Jahren nur träumen. Schuhe wurden paarweise von Schuhmachern hergestellt, waren deshalb sehr teuer, meist klobig, aber robust.

    Vor einem Computer sitzend seine Freizeit zu verplempern, war in meiner Kindheit jenseits aller Vorstellungen. Außerdem war freie Zeit ein seltenes Gut. Damals mussten die Normalsterblichen nach Feierabend und am Wochenende noch aufs Feld und in den Garten, die Lebensmittel baute man selber an. Die Leute hielten sich eine Kuh oder eine Sau, mehrere Milchziegen, Schafe, Hasen und Hühner. Fleisch, Wurst, Gemüse, Obst und Kartoffeln einzukaufen war unüblich, Supermärkte gab es keine, die Begüterten kauften auf dem Markt.

    Wenn ich recht überlege: An verregneten Wintertagen oder in den langen Winternächten wäre so ein Computer gar nicht schlecht gewesen. Die unübersichtlich vielen Spiele hätten die dunkle Jahreszeit erheblich verkürzt.

    Sowas wie das Internet hatten nicht einmal die besten Sciencefiction-Autoren auf dem Schirm. Selbst die durchgeknalltesten Fantasten konnten sich so etwas nicht vorstellen. Ohne dicke Bücher wälzen zu müssen, kann man heute Informationen und Wissen kostenlos im Netz abrufen. Auch die Stammtischbeiträge mit den hässlichen Kommentaren und giftigen Anfeindungen.

    Vor den Computern fanden Plastikkarten in den Alltag. Kleine Plastikkarten machten die Moderne erst richtig spürbar. Kreditkarten, Karten von Banken, Krankenkassen, Versicherungen, Firmen, Payback-Karten und was weiß ich, was es noch alles gab. Anfangs wollten viele Leute möglichst viele Karten in ihrem Portemonnaie stecken haben, so fühlten sie sich up to date, wichtig und geschäftig. Kreditkarten hatten aber die wenigsten. Da mit der Zeit im Geldbeutel für Geld kein Platz mehr war, hat das Kartensammeln beträchtlich nachgelassen.

    Seit die Menschen den Smartphones erlegen sind, ist die Welt noch mal eine andere. Die Leute gehen gebückt, voller Demut vor den Fähigkeiten ihrer Geräte. Der Homo sapiens ist zum Screen-Junky mutiert. Die heutige Bevölkerung beschäftigt sich lieber mit den digitalen Möglichkeiten, als mit ihren Mitmenschen. Sie lässt sich von Smartphones unterhalten, wird von mehr oder weniger nützlichen Informationen zugemüllt. Vereine haben Nachwuchsprobleme.

    Aber weil Fernseher, Computer und Smartphones den Menschen wenig Zeit lassen, einander zuleide zu leben, ist zumindest Deutschland gewaltfreier geworden. Die Leute machen sich jetzt lieber via Internet das Leben schwer. Das strengt kaum an, mit Cyber-Mobbing kann man sich bequemer abreagieren und dabei sogar anonym bleiben. Das allerbeste an der heutigen Zeit ist aber die unbeschreibliche lange, für Geschichtsbewusste unbegreiflich lange, Friedenszeit. Ich bin noch mit Kriegsversehrten großgeworden, mit Leuten denen ein Arm, ein Bein oder beide Beine fehlten, die entstellt oder sogar blind waren. Diese Zeugen aus grausamen Kriegszeiten sind gänzlich aus der Öffentlichkeit verschwunden.

    Heutzutage, über 70 Jahre nach dem 2. Weltkrieg, herrscht in Deutschland Wohlstand. Niemand muss frieren oder hungern, alle haben sauberes Wasser, alles ist immer verfügbar, das Leben ist Konsum orientiert, die Freizeitmöglichkeiten sind unerschöpflich, die ärztliche Versorgung hervorragend. Und ein großer Teil der Bevölkerung ist übergewichtig und unzufrieden.

    Von klein auf interessierte mich, weshalb es so ist, wie es ist. Am meisten interessierte mich, wie die Welt funktioniert und wie die Menschen funktionieren. Schüchtern wie ich noch war, hielt ich mich oft abseits und beobachtete die Gestik, die Reaktionen und das Verhalten der Kinder, Kameraden und Erwachsenen. Und schüttelte des Öfteren ungläubig meinen Kopf, wenn ich hörte, was meine Mitmenschen so von sich gaben. Die meisten Menschen müssen immer reden, wobei sie es inhaltlich häufig nicht so genau nehmen. Vieles wird nur beiläufig erzählt, oft wird vor dem Plaudern nicht einmal nachgedacht. Leider passiert das manchmal auch mir, wonach ich mich über mich ärgere. Menschen sind auch immer neugierig; wenn ihre Neugier nicht bedient wird, bekommen sie schlechte Laune. Das hatte ich schon während meiner Grundschulzeit zu spüren bekommen, weil ich keine familiären Informationen preisgab.

    In meiner 30-köpfigen Schulklasse war ich so ziemlich der Einzige, der ernsthaft am Geschichtsunterricht teilnahm. Weshalb ich eine Eins bekam. Die bekam ich auch in bildhafter Gestaltung, denn malen konnte ich wie kein Zweiter, sogar besser als meine hochintelligenten Geschwister. Auch Erdkunde, Biologie und Sport lagen mir so sehr, dass ich auch in diesen Fächern die Bestnote einheimste. Und in Religion. Aber nicht, weil ich mich religiös gab, nein, einfach nur deshalb, weil ich im Unterricht Faxen frei mitmachte ohne die Religionslehrerin zu ärgern. In den Hauptfächern dagegen ließ ich mich hängen, da war ich nur Mittelmaß. Quälte mich durch Physik, Mathe und Deutsch. Der fleißigste Hausaufgaben-Abschreiber der Klasse war ich.

    Im Nachhinein denke ich, dass die meisten meiner Klassenkameraden für Gymnasium und Studium genetisch einfach noch nicht reif waren. Da fehlten noch ein, zwei Generationen Zivilisation. Das zeigte sich auch als sie Auto fuhren, jeder musste demonstrieren wie gut er es konnte. So leichtsinnig wie damals fahren heute nur noch von Wenige (Ausnahmen gibt es bei allem, immer und überall.)

    Vom Charakter her bin ich meinen Eltern wenig ähnlich; eher dem Großvater mütterlicherseits, der ein cleverer Handwerker war, aber leider früh verstarb. Zu meiner eigenen und aller Überraschung wurde ich als Klassenbester aus der Hauptschule entlassen. Bei der Abschiedsfeier glänzten meine Eltern durch Abwesenheit. In den niederen Gestaden der Volksschule hatten sie sich nie blicken lassen, denn mein sieben Jahre älterer Bruder Franz und meine fünf Jahre ältere Schwester Katharina hatten sich beide mit einem Einser Abitur hervorgetan, was auch meinen Eltern, die meine Geschwister dahin getrieben hatten, Anerkennung brachte.

    An meine Zeit im Kindergarten, um auf den zurückzukommen, habe ich intensive Erinnerungen. Mit Unverständnis und Verwunderung hatte ich festgestellt, dass es Kinder gab, die mich und andere grundlos ärgerten, Spiele oder Gebautes kaputt machten, Täschchen und Jacken versteckten. Es gab welche, die mit einer Selbstverständlichkeit logen, die mich fassungslos machte. Die schmutzigsten und disziplinlosesten Kinder waren die größten Angeber. Schon die Kleinen kennen Minderwertigkeitsgefühle. Die am wenigsten hatten und kannten, fantasierten sich ein schillerndes Elternhaus zusammen. Im Kindergarten lernte ich außer Süßigkeiten auch Streit und Aggression kennen. Bei mir zuhause konnte sich jeder beherrschen, nie wurde gebrüllt oder eine Tür zugeknallt.

    Damals hatte ich noch nicht kapiert, dass es in anderen Elternhäusern weitaus unfeiner zuging als im eigenen. Dass es Kinder gab, die vernachlässigt und geprügelt wurden, denen daheim man Angst machte und unglaublichen Mist erzählte. Einige wurden von ihren Geschwistern furchtbar drangsaliert, wurden von ihnen oder von Verwandten, oder sogar von den eigenen Eltern, sexuell missbraucht. In einigen Wohnungen und Häusern regierte König Alkohol, es gab Kinder, die Alkohol geschädigt waren. Solche konnten Nerv tötend unruhig sein, unlogisch auf Annäherungsversuche reagieren oder aggressiv werden und ausrasten. In der Regel waren sie unkonzentriert und konnten dem Unterricht nicht lange folgen. Ich hatte Kameraden, die nach mehrmaligem Sitzenbleiben in der fünften Klasse entlassen wurden.

    Der Aufwand, der heutzutage schon mit Kleinkindern betrieben wird, wäre damals peinlich gewesen. Sobald die Kinder der Wohlstandsbürger in die Schule kommen, rotieren deren Eltern noch höher. Das arme Volk reagierte anders, Armut macht gelassen, vielleicht auch phlegmatisch. Wohlstand macht unruhig, man hat etwas zu verlieren, der Fatalismus der Besitzlosen ist verloren gegangen. Im Wohlstand ist alles wichtig, der kleinste Missstand ist ein Aufreger, der eigene Vorteil und Materielles haben oberste Priorität. Wie man sein Geld am besten ausgibt, lässt so Manchen schlecht schlafen. Und wer was hat, der will noch mehr, verschuldet sich und führt, trotz Wohlstand, ein sorgenvolles Leben in Unsicherheit.

    Mein Name ist Phillip Ludwig. Jetzt, mit fünfundsechzig Jahren, habe ich mir in den Kopf gesetzt ein Buch zu schreiben. Es drängt mich, die Unsinnigkeiten der Menschen zu beschreiben. Dabei sind auf diesem Planeten nicht die Frauen das Problem, sondern die vielen Ungeschickten, die es unter den Männern gibt. Sie dürfen aber keine geschliffene und tiefsinnige Abhandlung erwarten, denn ich bin ein Handwerker. Oder anderes herum, sie haben keine komplizierten Sätze zu befürchten.

    Schule

    Am 9. November 1955 wurde ich geboren. Der 9.11. ist ein Tag, an dem seit Jahrhunderten viele schreckliche Dinge passieren.

    Zum Beispiel hatte Napoleon Bonaparte am 9. November (18. Brumaire VIII) 1799 geputscht und den Rat der 500 aufgelöst. Zahlreiche totbringende Feldzüge waren die Folge.

    1848 wurde der deutsche Revoluzzer Robert Blum am 9.11. in Wien hingerichtet. Damals ein reichsweiter Skandal. Ausgerechnet am 9. November hatten die deutschen Truppen 1870 gegen die Franzosen bei Coulmiers ihr einziges Gefecht verloren. Am 9.11. 1918 hatte Kaiser Wilhelm der Zweite abgedankt, war 1923 der Putsch in München, 1938 die Kristallnacht. Um nur einige Daten zu nennen. An einem 9. November sind auch große Persönlichkeiten gestorben. Zum Beispiel 1970 Charles de Gaulle.

    Der absolut einzige positive 9. November war 1989, als die Mauer geöffnet wurde.

    Meine männlichen Vorfahren platzierten, seit Menschen Gedenken, vor ihrem Familiennamen den Namen eines ehemaligen französischen Königs; der weibliche Nachwuchs bekam den Namen einer französischen Königin. So hieß mein Urgroßvater Franz, wurde mein Opa als Karl getauft, mein Vater als Heinrich und mein älterer Bruder heißt wieder Franz, weil Franz I. ein so gigantischer König gewesen war, der allerdings mit den Bourbonen, die alle Ludwig hießen, nicht viel zu tun hatte. Ludwig Ludwig hieß noch keiner meiner Vorfahren. Meine Schwester wurde nach Katharina de Medici getauft, die mit Heinrich II. verheiratet war; ich selber nach Phillip, einem Bruder von Ludwig XIV. Aber mit doppel-„l, nicht mit doppel-„p am Ende, wie der originale Philipp. Mein Vater fand doppel-„l" schöner. Was mich aber herzlich wenig interessiert und worüber ich selten spreche. Meine Mutter hatte den Quatsch bereitwillig mitgemacht.

    Meine Heimatstadt liegt in Baden an der französischen Grenze. Baden ist der wichtigste Landstrich der Welt. Dort wurde das Fahrrad erfunden und bald darauf auch das Auto. Aus Baden stammen solche Titanen wie Oliver Kahn, Jogi Löw, Jürgen Klopp, Hansi Flick, Boris Becker, Steffi Graf und Wolfgang Schäuble, den besten Bundeskanzler den wir nie hatten. Etwas südlicher meiner Heimatstadt wurde sogar Amerika erfunden. Der Offenburger Kartograph Martin Waldsehmüller benutzte 1506 die Daten des Navigators Americo Vespucci für den ersten Globus und nannte den neuen Erdteil, zu Vespuccis Ehren, Amerika. Mit „a" deshalb, weil Kontinente weiblich benannt wurden. Was mir eine extra Freude bereitet, ist die große politische Bedeutung meiner recht kleinen Heimat. 1871 hatte Friedrich I von Baden in Versailles Wilhelm I zum Kaiser ausgerufen. Max von Baden hatte dann am 9.11. 1918 Wilhelm II entlassen. Und der erste Reichspräsident der Weimarer Republik war auch ein Badener, Friedrich Ebert aus Heidelberg.

    Meine Eltern besaßen eine Anwaltskanzlei, die gleichermaßen deutsche wie französische Mandanten vertrat. Mein Elternhaus war ziemlich frankophil. So hatte ich als Kind unbewusst nebenbei Französisch gelernt, weil das bei uns zuhause oft gesprochen wurde. Richtig schreiben und lesen kann ich es bis heute nicht. Anwalt war aber nur mein Vater, sein Beruf war sein ein und alles. Mittelgroß, gertenschlank, mit schütterem dunkelblondem Kurzhaar, war er außerhalb des Hauses nur im Dreireiher anzutreffen. Meiner Mutter Hilde unterlag die Büro-Organisation. Als schwangerschaftsbedingte Studienabbrecherin hatte sie keinerlei Abschlüsse, war aber sehr etepetete. Mager, agil und immer geschäftig, trug sie jeden Tag ein anderes Kostüm und ein anderes Paar Schuhe, dazu leichten aber stark funkelnden Schmuck, sie war dezent geschminkt und ihre üppige blonde Frisur saß immer wie frisch aus dem Coiffeur-Salon. Wer sie kennenlernte, gewann den Eindruck, vor irgendeiner Hauptaktionärin zu stehen. Oder vor Ursula von der Leyens größerer Schwester.

    Meine Eltern wirkten vornehm, tranken nur wenig Alkohol und rauchten selbstverständlich auch nicht. Sie verkehrten nur in den Kreisen, die sich für die Elite unserer Kleinstadt hielt. Also mit dem Bürgermeister, den Stadträten, der Ärzteschaft, den Industriellen und angesehenen Geschäftsleuten. Um diese vielen Bekanntschaften und Beziehungen pflegen und auch neue knüpfen zu können, was für die Kanzlei nur von Vorteil sein konnte, waren meine Eltern mehrmals die Woche abends außer Haus.

    Lief die Kanzlei gut, verließen sie morgens mit uns schulpflichtigen Kindern das Haus. Alle zu Fuß. Zu Mittag aßen meine Eltern mit Geschäftsleuten in jeweils wechselnden Restaurants, abends wurden noch Überstunden gemacht und Gespräche geführt. Lief die Kanzlei schlecht, blieb der Tagesablauf der gleiche, weil meine Eltern bis spätabends herumtelefonierten, um neue Mandanten zu werben. Mutter Hilde ging meist etwas früher, um uns zu erziehen.

    Zuhause ging es gepflegt zu, die Wohnung war immer aufgeräumt. Die Möbel waren aus Frankreich und eingekauft wurde auch nur auf der anderen Seite des Rheins. Selbst unsere Raumpflegerin kam von drüben und durfte nur französisch sprechen. Sie war es dann auch, die uns Kinder mit warmen Mahlzeiten versorgte. Nachdem sie das Haus Richtung la France verlassen hatte, pflegte meine Mutter ins Haus zu schneien. Zuerst mussten alle drei Kinder antreten und vom Tag berichten. Was ich mit einem Satz erledigte. Dann wurde Schulisches durchgekaut, anschließend die neusten Verhaltensregeln ausgegeben. Nachdem sie ihren Nachwuchs ordentlich aufgemischt hatte, wurde sie gnädiger. Manchmal wurde ein wenig Fernsehzeit erlaubt; eine erfolgreiche Anwaltsfamilie musste damals selbstverständlich einen Fernseher besitzen und eine Garage haben, in der ein Mercedes stand. Die Raumpflegerin indes, unsere geliebte Anike, hatte Erbarmen und ließ uns heimlich fernsehen. Wir wollten ja in der Schule mitreden können, was es so alles gab. Vor jeder Sendung mussten wir drei in ritueller Weise Anike schwören, sie nicht zu verraten. Sonst wäre es aus gewesen mit fernsehen, weil sie entlassen worden wäre. Wenn ich mit ihr allein war, ich hatte ja weniger Unterricht als meine älteren Geschwister, konnte ich den Fernseher anmachen wie ich wollte. Sie achtete darauf, dass er rechtzeitig abgestellt wurde, damit er bis zum Eintreffen meiner Geschwister abkühlen konnte. In unserem Haus gab es nur eine verschworene Gemeinschaft, das waren Anike und ich.

    Meinen Geschwistern Franz und Katharina wurden Ordnung, Disziplin und Ehrgeiz beigebracht. Eine Erziehung, die in der damaligen Zeit selbstverständlich war. Im Hause Ludwig geschah das aber ohne Gewalt; der gewünschte Erfolg wurde durch moralischen Druck und Stubenarrest erreicht. Trotz ihrer häufigen Abwesenheit, widmeten unsere Eltern ihre wenige Freizeit ganz der Formung ihrer Kinder. Womit aber nur Franz und Katharina gemeint waren. Beide nahmen die Sache Abitur bierernst. Beide waren überdurchschnittlich ehrgeizig und auch begabt, wollten aus ihrem Leben etwas machen, zeigen, dass sie etwas Besonderes waren und sich von den Mitmenschen unterschieden. Haben sich vermutlich in Gedanken über andere erhoben.

    Besonders unsere Mutter betrachtete die Erfolge ihrer Kinder als ihre eigenen. Da sie selber keine Lorbeeren eingeheimst hatte, wollte sie wenigstens die errungenen Lorbeeren ihrer Kinder auf sich beziehen. Mutter Hilde sonnte sich in den sehr guten Noten, den Theaterauftritten, sportlichen Erfolgen, künstlerischen Produkten und Einser Abituren ihrer zwei Gymnasiasten. Franz wollte ein erfolgreicher Politiker, Katherina eine berühmte Ärztin werden. Die Eltern unterstützen sie wo sie nur konnten, rieben sich dabei richtiggehend auf. Der Name, den sich die eigenen Kinder machen, wirft auch Licht auf die Eltern.

    Während meine Geschwister zu Höherem gepuscht wurden, wuchs ich Spätling unbeschwert heran. Keinen störte, dass ich in den Kindergarten ging wie es mir gerade passte. Keiner vermisste mich, wenn ich auf dem Nachhauseweg in der Stadt herumstromerte und mein Umfeld genauer unter die Lupe nahm, als meinen Eltern recht sein konnte. Die Raumpflegerin-Köchin-Miterzieherin Anike ließ mich gewähren, weil sie mit den zwei anderen schon überfordert war. Meine Eltern waren unglaublich froh, dass ihr Nachzügler sich alleine beschäftigen konnte. Geschwister und Eltern vergaßen zeitweise, dass es mich gab.

    Als ich in die Schule kam, waren die Eltern voll und ganz in das gymnasiale Leben meiner Geschwister verstrickt und verbrauchten damit ihre Energie. Um den ganzen Aufwand auch noch mit ihrem Jüngsten durchzuziehen, fehlte ihnen danach der Elan. Meine Mutter hatte schlicht und einfach von Erziehung die Nase voll, mein Vater hatte schon einen erfolgreichen Sohn, was ihm genügte. Ich kleiner Phillip wurde mir selbst überlassen.

    Mit Erleichterung registrierten alle Familienmitglieder und Anike, dass ich keine Ansprüche stellte. Für mich galten nicht einmal die allgemeinverbindlichen gemeinsamen Mahlzeiten. Ich bin bei dem und dem, reichte meinen Eltern und Geschwistern als Entschuldigung. Ich behauptete es mit einer angeborenen Selbstverständlichkeit und einem natürlichen Charme, der Gedanken, dass es nicht seine Richtigkeit haben könnte, gar nicht zuließ. Wie ich Erwachsene für mich einnehmen und um den Finger wickeln konnte, hatte ich schon im Kindergarten herausgekriegt. Ich lernte auch früh, mich aus dem Kühlschrank zu versorgen. Ich genoss Freiheiten, von denen meine Geschwister gar nicht wussten, dass es sie gab.

    Als ich in die Schule kam, bekam ich, außer einer übertrieben großen Schultüte und einigen halbherzigen Ratschlägen und Ermahnungen, ein üppiges Taschengeld, damit ich als Sohn einer erfolgreichen Familie angegeben konnte, womit sich meine Eltern halbwegs von ihrem schlechten Gewissen befreiten, das sie mir gegenüber hatten.

    Mit dem Geld hätte ich mich beliebt machen und Freunde kaufen können, so wie es einige andere vormachten. Doch das hatte ich nicht nötig, denn ich bin von speziellem Charakter und bis heute ein Separatist.

    Die Eltern hielten es für gegeben, dass ich in die Fußstapfen meiner Geschwister trat. Mein fröhliches und sorgloses Auftreten ließ sie im Glauben, dass in der Schule alles in Ordnung sei. Für mich war es das auch. Doch in der zweiten Klasse gab es die ersten Noten. Als das Zeugnis zur Unterschrift auf dem Küchentisch lag, hielten meine Eltern es für eine Halluzination. Da standen mehrere Ausreichend drin, d.h. Vieren. Und wenige Gut. Meiner Mutter hatte es die Sprache verschlagen. Auch meinem Vater fehlten zuerst die Worte.

    „Ist das dein Ernst?, fragte er schließlich. „Bei deinen Geschwistern stand da überall Sehr gut.

    „Muss ich so unlustig werden wie meine Geschwister?" fragte ich allen Ernstes mit einem völlig offenen und unschuldigen Gesicht, in dem sich Empörung ankündigte.

    „Ja willst du nicht mal was Großes werden und viel Geld verdienen?" wagte die Mutter einzuwenden.

    „Ich wüsste nicht für was das gut sein soll, sagte ich doch glatt als Zweitklässler. „Ich will mal Bauer werden und nicht immer im Büro sitzen so wie ihr. Da war ich schon zu sehr von meinem Freund Michael und dessen Familie beeinflusst, die in einer Gasse der

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