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Searcher: Suche nach Leben
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eBook711 Seiten10 Stunden

Searcher: Suche nach Leben

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Über dieses E-Book

Die Wüste kennt keine Gnade. Um das Überleben ihrer Familie zu sichern, begibt sich Shana - eine junge, eigensinnige Frau - immer wieder auf die Suche nach Wasser.
Gerade als sie Hoffnung schöpft, schlägt das Schicksal erneut zu: Unbekannte überfallen ihr Lager, zerstören alles und verschleppen die Bewohner.
Shana findet bei ihrer Rückkehr nur noch die Trümmer vor. Ohne Alternative zieht sie wieder los. Dieses Mal muss sie ihre Familie suchen.
Zu Tode erschöpft stolpert sie durch die brennende Leere, bis sie von einem einsamen Reiter gerettet wird, der sie mit in sein Lager nimmt. Dort trifft sie den aufbrausenden Krieger Karas, der sich in sie verliebt.
Sie ist fasziniert, aber seine Leidenschaft wiegt die Enge des Lagerlebens nicht auf. Außerdem weiß sie noch immer nicht, wo ihre Familie ist ...
Ein Roman mit vielen Facetten: Liebe und Leidenschaft, Erwachsen werden und den Mut in unterschiedlichen Kulturen seinen eigenen Weg zu suchen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum14. Sept. 2014
ISBN9783847607625
Searcher: Suche nach Leben

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    Buchvorschau

    Searcher - E.C. Kuckoreit

    Auf Suche

    Schwer atmend hob sie ihren Kopf. Das strähnige, leicht feuchte Haar fiel ihr ins Gesicht. Sie richtete ihren Blick über das Dickicht hinaus auf das nun sonnendurchflutete Tal. Der endlose Himmel spannte sich über die weite, spärlich bewachsene Ebene, die bis zu dieser Stadt am fernen Horizont reichte. Der Glanz klarer Farben beruhigte ihr aufgebrachtes, keuchendes Ich.

    Mit der Zunge fuhr sie sich über die Lippen. Die Wohltat frischen Wassers genießend. Ganz gebannt von der Intensität des strahlenden Blau blinzelte sie auf die jenseits des Tales liegende Hügelkette, über der neue Wolken orangefarben aufflammten. Sie versuchte ihre Gedanken zusammenzuhalten.

    Dies war die vierte Regenzeit in ihrem Leben, in der es tatsächlich regnete. Die Feuchtigkeit erfüllte die Luft mit unzähligen ungewohnten Gerüchen. Und sie hatte das Gefühl, nicht in der Lage zu sein, dieses Glück ausreichend zu würdigen.

    Die vor ihr liegende Aufgabe nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

    Wie sollte es ihr gelingen? Wie sollte sie über den stetig noch weiter anschwellenden Fluss kommen? Die Stadt lag noch weit dahinter - wie eine Festung. Dort musste sie hinein.

    Wie sollte sie sich dort bewegen, ohne sofort als Fremde wahrgenommen zu werden? Und das waren nur die ersten, unlösbaren Probleme. Mehrfach schluckte sie gegen den Kloß und die Enge in ihrem Hals an, schloss die Augen und sprach sich selbst lautlos Mut zu. Sie würde sich den Problemen stellen. Im Moment brauchte sie eine Pause.

    Das Gesicht zum Himmel gerichtet, überließ sie sich der Erinnerung an die Zeit, in der sie nur eine Sorge gekannt hatte: die Sorge, kein Wasser zu finden.

    Sie blieb sitzen, schob die Gegenwart beiseite und dachte zurück an das Leben, das hinter ihr lag.

    Genauso hatte sie damals, aus einem bedrückenden Gefühl heraus, ihren Kopf gehoben.

    Damals, als sie halb verdurstet in das gnadenlos strahlende Blau geblickt hatte. Damals, als sie schon lange ein erfahrener Searcher war, eine Wassersucherin. Dennoch eine unerfahrene, junge Frau, fast noch ein Mädchen. Frei und stark!

    In der stillen, kalten Zeit kurz vor Morgengrauen war sie damals heimgekehrt. Erschöpft von ihrer langen Wanderung hatte sie nach dem Wasserschlauch neben dem Eingang gegriffen und die letzten darin befindlichen Tropfen begierig in ihre ausgedörrte Kehle rinnen lassen. Dann hatte sie sich in die freie Hängematte vor der Hütte gelegt und war sogleich in einen traumlosen Schlaf gefallen. Die winzige, unscheinbare, wie in der endlos weiten, kargen Sandlandschaft verlorene Grasmattenhütte, war ihr Zuhause. Ein Zuhause für kurze Zeit.

    „Ich hab euch gehört."

    Sie erwachte. weil ein kleines, kugelartiges Ding hart in ihr Gesicht traf. Die gleißende Sonne stand bereits wieder brennend am Himmel. Ihr Mund fühlte sich schon wieder trocken und rau an. Ohne sofort die Augen zu öffnen, waren ihre Sinne geschärft. Gleich darauf spürte sie krabbelnde, winzige Beinchen auf der rissigen, trockenen Haut. Unwillkürlich strich ihre Hand über die Stelle. Ein zweites und drittes Kügelchen traf ihren Körper. Entschlossen schlug sie ihre Lider auf.

    Ein dicker, runder Käfer mühte sich, beinahe direkt vor ihrer Nase, durch das lockere Geflecht ihrer Hängematte. Zwei weitere schillernde Käfer liefen über ihren Bauch und ihre Brust.

    „Igitt!", schrie sie und schwang sich so schnell auf, dass sie fast aus der Matte gefallen wäre.

    Ganz in ihrer Nähe ertönte glockenhelles, mehrstimmiges Gekicher. Drei blitzende, dunkle Augenpaare lugten hinter einem großen Sandsteinbrocken hervor und warteten auf ihre Reaktion.

    „Na wartet, wenn ich euch kriege ...", rief sie den Kindern lachend zu, die darauf, johlend vor Freude, in alle Richtungen davonrannten.

    Erst lächelte sie, dann blickte sie in den wolkenlosen, azurfarbenen Himmel und die Sorge kehrte in ihr Gesicht zurück. Yambi kam aus der Hütte geschlurft. In einem flachen Korb trug sie drei duftende, kleine, handgeformte Brotlaibe. Mit strahlenden Augen bot sie ihr einen der kleinen Laibe an: „Hallo Shana. Schön, dass du wieder da bist! Ich habe deine Sandalen aufgehängt."

    „Danke, Yambi."

    Yambi, eine ältere Frau, gezeichnet von den Entbehrungen des Lebens in diesen wasserarmen Zeiten, teilte mit den Kindern und Shana das Schicksal der freien Wüstennomaden. Sie gaben sich, in dieser trostlosen Zeit, gegenseitig Halt.

    Vorsichtig tastend schob Shana ihre Füße in den staubigen Sand unter der Hängematte, die geschützt zwischen der Hütte und einem längst verdorrten Baum aufgespannt war. Ängstlich darauf bedacht, ja keinen der glänzenden Chitinpanzer unter den Füßen krachen zu fühlen. Sie ekelte sich zu sehr vor diesem Gefühl, mit bloßer Haut eines der herumkriechenden Insekten zu zertreten. Aber der Anblick des trockenen, harten Bodens brachte ihre Gedanken schnell wieder von den widerlichen Dingen dieses Lebens fort.

    Seufzend stand sie vollends auf und ging zum offenen Eingang der Hütte. Die beiden Jungen hatten heute schon Wasser geschöpft. Der Wasserschlauch war wieder gefüllt. Mit tiefen Zügen trank sie von der sandig schmeckenden Brühe. Wie gut das tat.

    Die Welt, rund um die Hütte, war in den letzten Jahren gänzlich grau bis rötlich-braun, einfach komplett sandfarben geworden. Nur der wolkenlose Himmel erstrahlte meist in gleißendem Blau. An den kahlen Zweigen eines weiteren verdorrten Akazienbaumes hingen ihre Sandalen und sie beeilte sich, die flachen Sohlen unter ihre Füße zu binden.

    Yambi, tatkräftig, temperamentvoll, kam erneut aus der Grasmattenhütte und sah sie unverwandt an. Der Blick machte Shana verlegen. Sie senkte den Kopf und fühlte den Kloß in ihrem Hals. Ihr war zum Heulen zumute. Denn jetzt nahte der Zeitpunkt, an dem sie ihren Misserfolg eingestehen und die enttäuschten Gesichter ihrer Familie ertragen musste.

    „Ich war erfolglos", stieß sie leise hervor.

    „Ehn."

    Dieser Seufzer war Yambis einzige Reaktion. Mit wehendem Schleier drehte sie sich um und ging wieder ins schattige Innere. Shana sollte ihre Verzweiflung nicht sehen. Egal wie schwierig es war oder noch werden würde, sie würden zusammenhalten. Für Shana wollte sie Stärke zeigen.

    Das hätte sie nicht tun brauchen. Shana wusste, wie hart ihre Nachricht wirkte und sie schämte sich sehr. Ihre Familie hatte immer gut gearbeitet. Und nun?

    Vor längerer Zeit hatte Shana dieses Fleckchen Erde gefunden, an dem damals karges, aber grünliches Gestrüpp die Wasserstelle anzeigte. Seitdem lebten sie hier. Ungewöhnlich lange für das freie Volk. Dies war ihnen nur möglich, weil sie das Wasserloch ab und zu tiefer gruben. Ihre Brüder mussten dazu mittlerweile in den Schacht hinabsteigen. Beim Graben waren sie stets der Gefahr ausgesetzt, von sich über ihnen lösenden Teilen der Wände, verschüttet zu werden. Früher war es leichter gewesen. Auch im Sommer konnte man an der Wasserstelle, nach ein wenig Graben, noch immer einen glänzenden Wasserspiegel erkennen.

    Und dann hatte ihnen sogar das Glück gelacht.

    Yambi hatte sich damals auf ihrer Suche nach Nahrung sehr weit von der Hütte entfernt. Dabei war sie einer kleinen Karawane begegnet. Einer der Männer war verletzt und sie hatte erfolgreich die Wunde des Mannes behandeln können. Aus Dankbarkeit hatten die Karawaniers ihr einen Sack Hirse geschenkt und respektiert, dass sie ihnen keine Auskunft gab, woher sie kam und wohin sie gehen wollte.

    Mit dem so erworbenen, unglaublichen Nahrungsvorrat und dem noch nicht versiegten Wasserloch, konnten sie länger als üblich an dem jetzigen Ort überleben. Eine seltene Annehmlichkeit.

    Seit einiger Zeit war es nötig, zum Wasserschöpfen das Wasserloch jedes Mal noch tiefer zu graben. Bald würde es zu gefährlich und auch vergebens sein, denn selbst in der Jahreszeit, die eigentlich die Regenzeit hätte sein sollen, stieg der Wasserspiegel nicht mehr.

    In absehbarer Zukunft würde das Überleben hier nicht mehr möglich sein. Länger schon reichte das Wasser nur noch zum Trinken und Kochen. Für alles andere, durfte kein Tropfen verschwendet werden. Bis sie weiterziehen würden, mussten die beiden jüngeren Brüder Yambi helfen. Jeden Tag brauchten sie zusätzliches Wasser. Die Brüder mussten also täglich zu jeder noch so kleinen Wasserstelle, die Shana in der Nähe fand, laufen, um die Wasserschläuche aufzufüllen und so für das notwendigste Wasser zu sorgen.

    Shana unternahm derweil ihre weiten Wanderungen allein - immer auf der Suche nach der neuen Wasserstelle, die endlich einen Lagerwechsel ermöglichen würde. Und ihre Wege wurden immer länger, das durchstreifte Gebiet immer größer. Aber gleichgültig wie müde sie war, sie gab nicht auf. Die Sorge, nichts mehr zu finden, wurde mit jedem Mal stärker, doch das würde sie nicht davon abhalten, ihre Aufgabe zu erfüllen.

    Eigentlich hätten sie die Hütte ja längst aufgeben sollen ...

    In ihrem kurzen Leben hatte sie oft genug, die Opfer des Mangels vorgefunden, wenn sie von einer Wanderung zurückkam. Diesmal waren es nur die enttäuschten Augen der Kinder, die sie mit lautlos bettelndem Blick verfolgten. Die großen, dunklen Augen in den kleinen, ausgezehrten Gesichtern, die trotzdem jedes Mal freudestrahlend aufleuchteten und ihr lachend entgegenkamen. Für sie, war Shana bereit alles zu geben. Wie gerne wollte sie ihnen endlich eine gute Nachricht bringen!

    Als sie sich jetzt zum erneuten Aufbruch vorbereitete, wusste sie, wenn sie bei der kommenden Suche keine ergiebigere Stelle fand, würden sie alle aufs Geratewohl losziehen müssen. Die Sorge erdrückte sie und sie fragte sich, ob es nicht sinnvoll sei, sich von dem Sandland des Westens abzuwenden.

    „Yambi, wie weit ist es bis zum Ostgebirge?", fragte sie in den kleinen, dunklen Raum, während sie zögernd eintrat.

    „Warum in aller Welt willst du das wissen? Im Osten lauern größere Gefahren auf uns, als der Durst. Das hat jedenfalls dein Vater immer gesagt. Das Sandland ist hart, aber sicher."

    „Yambi, ich finde im Sandland keine Wasserstellen mehr", erwiderte sie mit müder, ermattender Stimme und atmete hörbar aus. Sie glaubte, Yambis Augen in dem dämmrigen Licht aufblitzen zu sehen.

    Die ältere Frau richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Noch immer war sie eine schöne, würdevolle Erscheinung, die keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass sie die kleine Sippe beschützen würde. Einen Augenblick lang sah sie Shana stumm an, dann sagte sie mit Nachdruck: „Shana, hör mir zu: Ich habe weder dich noch deine Geschwister oder meine Tochter aufwachsen sehen, um mitzuerleben, wie ihr alle in die Sklaverei geht. Das ist genau das, was uns im Osten erwartet. Und glaube mir, dich wird es am schlimmsten treffen. Du hast das Erbe des alten Volkes. Du weißt, dass deine helle Haut nicht der Segen ist, den dein Vater darin sah. Mir und den Kindern würde kein so viel schwereres Leben drohen. - Aber du? Alleine deine Haare zögen jedes Mal die Aufmerksamkeit auf sich, wenn es jemanden bräuchte, den man benutzen kann. Und deine Haare könnten wir scheren, doch was willst du gegen deine Haut tun? Diese würdest du im wahrsten Sinne des Wortes stets zu Markte tragen. Schnell wärst du vollkommen rechtlos. Und mit 'vollkommen' meine ich vollkommen! Nichts und niemand würde dich schützen. Also vergiss solche Gedanken vom Osten. Setz dich, iss und geh dann nach Südwesten."

    Shana stopfte eilig etwas Brot in ihren Mund, nickte Yambi zu, griff ihre Wasserbeutel und die Provianttasche und marschierte los. Hätte sie auch nur geahnt, dass es das letzte Mal war, an dem sie ihre Sippe sah, wäre sie nicht so leicht davon gegangen.

    Seit sie ihr Grasmattenlager an diesem Ort aufgeschlagen hatten, war Shana in Richtung Norden aufgebrochen. Seitdem ging sie bei jeder Wanderung ein wenig weiter nach Westen los. Jetzt führte der Weg schon südwestlich. Dorthin, wo sich der Sand erstreckte, soweit ihre Augen schauen konnten.

    Stets ging sie von ihrem Lagerplatz startend, geradeaus in die ausgesuchte Himmelsrichtung. Wenn sie nach drei bis vier Tagen kein Wasser fand, ging sie einen halben Tagesmarsch zur bisher eingehaltenen Linie nach links und dann genau Richtung Lager zurück. So kam sie wieder zur Hütte, bevor ihre Wasservorräte gänzlich aufgebraucht waren. Auf diese Weise suchte sie die gesamte Gegend, um die Hütte herum, strahlenförmig ab.

    Ihr Vater, Rodas, hatte sie lange gelehrt, wie man die Richtung wirklich einhalten konnte und wie der Stand der Sonne und der Sterne als Markierung dienten. Immer wieder hatte er dies mit ihr geübt, sie bei den geringsten Fehlern korrigiert. Liebevoll, aber konsequent. Auch die winzigen Unterschiede in der Farbe des Sandes, der Größe der Körnung, hatte er sie lesen gelehrt. Jetzt gab ihr der Sand wertvolle Hinweise auf dem Weg. Ein Searcher, der seine Augen und Ohren nicht optimal ausnutzte, war dem Tod geweiht und damit auch die jeweilige Sippe. Rodas hatte sie bei jedem Aufbruch erneut gewarnt: „Wir verlaufen uns nur ein einziges Mal in unserem Leben."

    Wie versprochen, wandte sie sich wieder ein wenig weiter nach Südwesten. Vor ihr lag die weite, unwirtliche Ebene, deren Anblick jedem vernünftigen Menschen einen Schrecken eingejagt hätte. Doch Shana war nicht vernünftig. Welche Herausforderung es war, genau in dieser lebensfeindlich wirkenden Einöde nach winzigen Fleckchen zu suchen, die ein karges, auf das notwendigste reduzierte Leben ermöglichten, kam ihr gar nicht in den Sinn. Was jedem anderen Bewohner der Gegend als vermeidbarer Wahnsinn erschien, war für sie die einzig denkbare, nicht in Frage zu stellende, gewohnte Lebensform. Das freie Volk, hatte unsichtbar für den Rest der Welt zu existieren. Nur dann konnten sie frei bleiben. Aber darüber hatte sich Shana ebenfalls noch nie Gedanken gemacht. Was sie hier tat, war alles, was sie kannte, war für sie wie die Existenz der kleinen Tiere, mit denen sie diesen Lebensraum teilte, einfach da, so selbstverständlich wie Atem holen.

    Schritt für Schritt setzte sie voran. Bald brannte die Glut des Sandes an ihren Fußsohlen, zwang die sengende Hitze sie anzuhalten. Obwohl ihre Füße mit einer dicken Hornhautschicht bedeckt waren, entschloss sie sich, die ledernen Strümpfe zum Schutz vor dem gnadenlos glühenden Boden anzulegen. Das Atmen fiel schwer, obwohl der Gesichtsschleier verhinderte, dass die heiße Luft direkt in ihren Rachen strömte und mit jedem Atemzug ihre Lungen verbrannte. Jetzt war der eigene Kopf der ärgste Feind. Wenn sie ihren Gedanken auch nur kurze Zeit erlaubte, Zweifel am möglichen Erfolg ihrer Mission zu schüren, war sie verloren.

    Für ein paar Schritte schloss sie die Augen, sperrte das Bild der zitternden Luft aus, lauschte konzentriert auf den Klang des knirschenden Sandes. Der Untergrund änderte sich. Statt des fein geriffelten, festen Bodens betrat sie ein Feld mit einer zunehmend dickeren, weit lockeren Sandschicht. Sie änderte ihren Gang. Schob die Füße schlurfender voran und spähte durch halb gesenkte Lider vor sich. Noch gewährte der Sonnenstand ihr eine längere Strecke. In seinem Zenit würde sie sich einfach niederkauern, den weiten Umhang über den Kopf legen und sich darunter reglos verbergen, bis die ärgste Glut nachließ. Alles deutete darauf hin, dass der Wind stärker werden würde. Gegen den Wind würde sie mehr Kraft brauchen, doch er würde die Hitze scheinbar lindern.

    Die Entfernung von ihrem Lager war noch viel zu gering, als dass sie sich die geringste Hoffnung machen konnte, bereits Anzeichen eines unterirdischen Wasserlaufes zu entdecken. Dennoch durchforstete ihr Blick den vor ihr liegenden Boden mit voller Konzentration. Die Tücke der heutigen Wegstrecke lag in ihrer Eintönigkeit. Diese Strecken wurden mit jedem Dürrejahr länger.

    Am zweiten Tag erreichte sie den Punkt, der vom Lager aus nicht mehr zu sehen war. Er lag jenseits des Horizontes für die Hüttenbewohner.

    Auch wenn Shana nach dem letzten Marsch vermutet hatte, bei ihrem nächsten Gang die leicht hügeligen, sandigen Ebenen zu verlassen, so hatte sie dennoch nicht angenommen, die sich nun vor ihr erstreckende Landschaft schon dieses Mal zu erreichen.

    Sie erblickte die Sandberge. Überwältigt schaute sie auf jene Landschaft, deren leuchtende Farben, rotgoldene, sanfte Hügel vor ewigem Blau, wie eine Verheißung erschienen und die doch lebensfeindlicher war als die meisten anderen Orte. Die Dünen stellten an einen Searcher ganz andere Herausforderungen als die weite Ebene.

    Hohe, weit geschwungene Sandberge und tiefe Schluchten, in sich stetig langsam verändernder Form, eine gewaltige Landschaft, die auf eigene Art Respekt einflößte. In ihrer Nähe war der Mensch selbst nur wenig mehr als ein Sandkorn. Nichts an der glatten Sandwand einer Düne verriet, was sich hinter dem scharfen Kamm verbarg. Mal war dort nichts als Sand, Sand und nochmals Sand. Mal begegnete man einem spärlichen Bewuchs, eine erwünschte Unterbrechung der Eintönigkeit. Pflanzen waren immer ein ersehnter Hoffnungsschimmer. Wo sie waren, musste Wasser nah genug unter die Oberfläche kommen.

    Ein solcher Hinweis auf Wasser würde auf ihrem Weg hilfreich sein. Wenn es auch nicht dem entsprach, was sie finden musste. Allenfalls könnte sie graben bis der Sand feucht wurde, dann noch tiefer und schließlich könnte sie mit Mühe ihre Schläuche auffüllen und damit ihren Suchradius vergrößern.

    Würde sie aber eine solche Stelle, die sich zwischen den Dünen verbarg, ihrer Sippe zeigen wollen, so wäre sie wahrscheinlich kaum mehr auffindbar, selbst wenn sie mit ihrem Bruder genau den gleichen Punkt wiederfinden würde. In der Zwischenzeit hätte die Düne den Zugang bestimmt wieder mit einer viel zu dicken Schicht Sand überlagert. Diese Bewegung machte die Dünen faszinierend und gefährlich zugleich.

    Dennoch gab ihr jetzt der Anblick dieser riesigen rötlich-braunen Wellen neuen Mut. Tief aus ihrem Inneren drang ein Jubelschrei …

    Hier war schon eindeutig Hathaigebiet. Aber Angehörige des Stammes der Hathai waren selten im Sandland unterwegs. Auch störten sie sich nicht an Angehörigen des freien Volkes, die sich in ihrem Gebiet aufhielten. Die beiden Völker ließen sich gegenseitig in Ruhe. Obwohl die Hathai dieses Gebiet als ihr Territorium beanspruchten, lebten sie hauptsächlich in ihren östlicher gelegenen Oasen, ihre Jagdgebiete erstreckten sich in der gleichen Richtung, dort, wo die großen Karawanenstraßen ihre Gebiete kreuzten.

    Shana wusste nicht wirklich viel über Gebietsgrenzen. Sie hatte gelernt, sich sowohl von den sesshaften Arkani als auch von den Hathai möglichst fernzuhalten. Auch wenn beide Völker keine wirkliche Bedrohung für die Freien waren, für eine Hellhäutige war es immer besser, unentdeckt zu bleiben. Das jedenfalls hatten Yambi und ihr Vater ihr immer wieder und wieder gesagt.

    Aus Shanas Sicht, war das gesamte westliche Sandland die Heimat, in der ein Searcher nach Wasser suchen konnte - unabhängig von Stammesgrenzen.

    In ihrem bisherigen Searcherdasein war sie selten zwischen Sanddünen gewandert. Die zum Teil steilen Anstiege forderten Kraft und Aufmerksamkeit. Feste Sandfelder wechselten mit kaum vorhersehbaren Stellen, an denen der Sand bei der leichtesten Berührung ins Rutschen kam, in die Tiefe floss, als wäre er Wasser.

    Wenn der Wind nur ein wenig stärker wurde, führte er die obersten Sandschichten mit sich. Der Boden wurde dann von einer feinen Schicht sandigen Nebels verdeckt. Jeder Schritt musste mit doppelt großer Sorgfalt und Bedacht gesetzt werden und gleich tausend feiner Stiche bohrten sich winzige Sandkörner zwischen die Falten des Stoffes, fanden jeden noch so kleinen Spalt, prasselten auf die Haut.

    So gefährlich und kräftezehrend diese Gegend war, das Bild, das sich ihr bot, betörte Shanas Herz. Sie verspürte eine Art Glück und Geborgenheit wie an kaum einem anderen Ort. Dies hatte nichts von der Trostlosigkeit einer endlos erscheinenden Ebene, vielmehr durchströmte ein Gefühl der Erhabenheit ihren Geist. Trügerisches Paradies. Die Tatsache, dass die Dünen einen Menschen und vieles andere wie ein Geheimnis verbergen, sogar verschlingen konnten, machten zum Teil ihren Reiz aus.

    Shana sog die Luft mit geschlossenen Augen ein und beschloss, ihre Richtung ein wenig zu ändern. Sie wollte den Weg am Saum der Dünen entlang nehmen, entgegen der Zugrichtung der Sandberge. So würde sie am schnellsten auf deren Rückseite kommen und vielleicht geschähe das Wunder, vielleicht fand sie eine neue Wasserstelle für die ihren.

    Um sich eine kurze Weile zu sammeln, hockte sie sich hin. Wurde beinah unsichtbar. So sehr verschmolzen ihre Konturen in den Farben des Sandes.

    Ein paar Augenblicke später huschte am Rande ihres seitlichen Blickfeldes ein Schatten durch den Sand. Ohne zu denken, schoss sie in einer fließenden Bewegung auf den Punkt und erfasste eine Maus. An dem Tier war nicht viel dran, aber es würde ihre Vorräte aufstocken. Ein fester Griff und sie hatte dem kleinen Wesen das Genick gebrochen. Danach befestigte sie es an ihrer Tasche.

    Eingestimmt auf die bevorstehende Aufgabe, erhob sie sich bedachtsam. Die ersten Schritte gingen leicht bergab. Fast war sie versucht, sich herunterrollen zu lassen. Doch dafür kannte sie die Düne nicht gut genug. Hinter der nächsten Kuppe veränderte sich der Geruch der Luft. Jedes der folgenden Sandtäler hatte seine Eigenheiten. Außer in der Zeit des Sonnenzenits gab es sogar schattige Stellen.

    Am späten Tag überschritt sie einen relativ kleinen Hügel. Was sie auf der anderen Seite sah, ließ sie vor Freude fast aufschreien. Im hinteren, leicht östlich gelegenen Teil verwandelte sich der Boden an einer Stelle zu festerem Geröll. Dazwischen reckten sich ein paar Pflanzen der feindlichen Umwelt entgegen. Eines war sicher, dieser Platz würde heute ihr Nachtlager werden.

    Sie betrachtete die Färbung des Bodens auf das Genaueste, dann wusste sie, wo sie graben musste.

    Mit Hilfe ihrer Schale arbeitete sie sich armtief in den Boden. Ab Ellbogentiefe spürte sie die Feuchtigkeit. Kurze Zeit später sammelte sich Flüssigkeit am Grund des gegrabenen Loches. Noch zwei Schalen und sie würde das Versprechen auf Leben ans Tageslicht holen. Dieses Gefühl übertraf, wie jedes Mal, alles - alles, was sie sich vorstellen konnte.

    Sie tauchte die Schale ein, ließ sie auf dem Grund liegen und rollte sich selbst ein wenig zur Seite, die Augen gerade in die unendliche Höhe des ewigen Himmels gerichtet. Zweimal zehn tiefe Atemzüge verharrte sie, dann hob sie die Schale heraus. Da ihre Wasservorräte noch reichlich waren, hatte sie keine Eile. Sie ließ die Schale stehen, wartete bis sich der Sand abgesetzt hatte und die Flüssigkeit sich klärte.

    Und dieser Ort versprach noch mehr für heute Nacht. Ganz in ihrer Nähe entdeckte sie einen längeren, trockenen Ast. Es war nicht ersichtlich, wo er herkam. Aber an solchen Plätzen war es möglich, alte Überreste von längst abgestorbenen Bäumen zu finden, die der Sand viele Jahre bedeckt hatte und die dann vom Wind eines Tages wieder freigelegt wurden. Das Holz reichte für ein kurzes, kleines Feuer. Gerade genug, einen einzelnen Brotfladen zu backen. Solch ein Glück war ihr nun mehrere Suchen nicht widerfahren.

    Das Wasser hatte lediglich einen leicht sandigen Beigeschmack, deutete aber darauf hin, dass hier eine unterirdische Wasserader nahe an die Oberfläche kam. Sie würde heute an diesem Ort bleiben und morgen in Ruhe ihre Schläuche auffüllen können.

    Der Schlaf fand in dieser Nacht leicht zu ihr, mit Träumen von lachenden Gesichtern und Kindern, die genug Wasser hatten, um es in ihre Gesichter zu spritzen.

    Gegen Morgen weckte sie ein schleifend schabendes Geräusch ganz in ihrer Nähe. Sie blinzelte. Vor ihren Augen bewegte sich ein schimmerndes Prachtexemplar einer Dornschwanzagame.

    Instinktiv reagierte Shanas Körper. Jede Faser ihrer Muskulatur machte sich bereit. Bei einer solchen Gelegenheit, gab es nur einen Versuch. Sie war eindeutig noch nicht wach genug. Es war besser zu warten und das Tier zu beobachten. Daher entspannte sie sich mit einem tiefen Atemzug wieder. Sie musste eine andere Haltung einnehmen, damit sie eine Chance hatte, die Agame wirklich zu erwischen. Ihre Muskeln waren von der nächtlichen Kälte noch zu steif. Vor Erregung kribbelte es unter ihrer Haut. Ein wenig später würde die Situation günstiger sein.

    Die Agame entfernte sich eine kleine Strecke. Sie fraß genüsslich an einem niedrigen Gestrüpp in der Nähe. Mit sehr geschmeidigen, geräuschlosen, langsamen Bewegungen erhob sich Shana in eine kauernde Stellung, näherte sich der Echse und sprang.

    Die Gegenwehr des Tieres war unerwartet stark und Shana musste zweimal nachsetzen, um den sich windenden Körper sicher auf den Boden drücken zu können. Sie griff nach ihrem Dolch, schickte ihren Dank an das Leben und die Ahnen, schnitt rasch und sicher die Kehle ihres Opfers durch.

    Bei dem Kampf blieb ihr Überwurf im Gestrüpp hängen und zerriss. Unwichtig, angesichts des Fangs! Das Fleisch des beinah armlangen Tieres reichte sicher für die gesamte Suche. Shana konnte ihr Glück kaum fassen. Mit einem Hochgefühl, Wasser und Nahrung für mehrere Tage, setzte sie kurze Zeit später ihren Weg fort.

    Zum ersten Mal seit längerem veränderte sie ihre Richtung während des Marsches grundlegend. Sie hatte eine Spur. In den nächsten Tagen folgte sie den winzigen Hinweisen auf die Wasserader. Beflügelt von der Hoffnung entging ihr kein Detail. Selbst wenn sie diesmal die eigentliche Wasserstelle noch nicht finden würde, so viele gute Zeichen hatte sie lange nicht gesehen.

    Die Begegnung

    Nach vier Tagen begegnete sie ihm.

    Gerade als sie beschloss, von nun an nur noch zurückzugehen, erregte eine wehende Staubfahne am oberen Teil der großen Düne ihre Aufmerksamkeit. Instinktiv kauerte sie sich so nah wie möglich auf den Boden und beobachtete die Szene.

    Ein einsamer Reiter preschte den Dünenhang herunter, als ob der Teufel hinter ihm her sei. Er schien die Gefahrenstelle der Düne genau zu kennen, denn er ritt trotz des Tempos sehr geschickt um sie herum. In der Talsenke zügelte er sein Pferd und sprang ab, dabei gab er dem Tier einen leichten Schlag auf die Flanke, so dass es in westlicher Richtung davonlief. Sich selbst warf er flach auf den Boden und bedeckte sich mit einer großen, sandfarbenen Decke. Nun war er nicht mehr wirklich zu erkennen.

    Während sie sein Tun weiter beobachtete, zog Shana ihren Umhang und den Gesichtsschleier fest zu, folgte seinem Beispiel und presste ihren Körper flach auf den Boden. Ihren Kopf hielt sie weiterhin ganz leicht angehoben und spähte in die Richtung, aus der der Reiter gekommen war. Dann sah sie erschaudernd die eigentliche Gefahr. Die Gefahr, vor der wohl auch der Reiter floh.

    Männer mit einer dunklen Fahrmaschine, größer als ein Kamel, erschienen am oberen Rand der Düne. Sie hielten an und verließen das Fahrzeug. Mit mehreren Waffen behangen, trugen sie auch noch eine merkwürdige Kleidung. Das mussten Sklavenjäger sein.

    Unbeweglich blieb Shana liegen, alle Stoßgebete Yambis schossen ihr durch den Kopf. Wäre sie nicht durch das Verhalten des Reiters gewarnt und jetzt noch aufrecht gewesen, wäre es um sie geschehen.

    Die Sklavenjäger schienen vollkommen auf ihre ausgewählte Beute fixiert zu sein. Sie hatten ihn zwar aus den Augen verloren, aber seine Richtung gut eingeschätzt. Einer von ihnen wollte der Pferdespur folgen, rutschte aus, schlitterte haltlos die Düne herab. Er geriet in den Treibsand. Nach den stürmischen Winden der letzten Tage war dieser ohnehin gefährliche Boden zu einer tödlichen Gefahr geworden. Sein Gefährte beobachtete den Fehltritt. Er schien die Lage richtig einzuschätzen, denn er versuchte nicht einmal zu helfen. Stattdessen drehte er sich um, warf einen langen, dunklen Gegenstand in das Fahrzeug und stieg selbst wieder hinein. Er ließ den Motor aufheulen. Das Geräusch dröhnte bis in Shanas Ohren. Doch er fuhr nicht vorwärts, sondern ließ das Fahrzeug rückwärts rollen und war verschwunden.

    Shana bewegte sich trotzdem nicht, genauso verhielt sich der unbekannte Reiter. Beide blieben reglos unter ihrer Tarnung. Vielleicht versuchte der Sklavenjäger sein Opfer zu täuschen und tauchte unvermutet wieder auf. Lange harrte Shana wie erstarrt aus. Dann sah sie das Pferd zurückkehren. Von den Sklavenjägern aber war keine Spur mehr zu sehen, weder von dem Mann im Treibsand noch von dem Fahrer. Zögernd richtete sie sich wieder auf und wartete hockend, für eine kurze Dauer, bevor sie den Abstieg wagte. Mit ruhigen, bedachten Schritten tastete sie sich in die Nähe der Stelle, wo sie den Reiter noch immer vermutete. Der leichte Wind hatte hier in der Talsenke den Mann mit einer dünnen Schicht Sand bedeckt und gänzlich unsichtbar werden lassen. Tatsächlich stieß sie auf ihn, bevor sein Pferd zwei Pferdelängen von ihm entfernt stehen blieb. Erst jetzt hob er den Kopf.

    Im Gegensatz zu den Sklavenjägern war er schon von seiner Kleidung her ein Angehöriger des Wüstenvolkes. Er gehörte zum Stamm der Hathai. Die vielen Lagen seiner Gewänder und die Art wie er seinen Kopfschleier gebunden hatte, waren in dieser Beziehung eindeutig. Yambi hatte Shana die feinen Unterscheidungsmerkmale der Wüstenstämme erklärt.

    Sie begrüßten einander mit dem gebührenden Respekt, wissend, dass sie nichts voneinander zu befürchten hatten. Shana verneigte sich mit ihrem ganzen Oberkörper und sagte deutlich: „Meinen Gruß – Fremder."

    Der Hathai hob dagegen die Hand bis zum Herz und dann zur Stirn: „Sei gegrüßt, Searcher."

    Wie Shana rasch bemerkte, unterschied sich der Dialekt ihrer Sippe anscheinend nur wenig von der Hathaisprache, so dass sie sich mit ein wenig Mühe verständigen konnten. Sorgfältig und langsam formulierte sie ihre Frage: „Wer waren deine Verfolger?"

    Der Hathai starrte zum Treibsand hinüber und sagte: „Ortsunkundige!, wobei sein Blick auf den ruhigen Treibsand fiel. Sie hörte, dass er bei den nachfolgenden Worten grinste: „Sonst hätten sie mich längst erwischt.

    „Sklavenjäger aus dem Osten?"

    „Ja und sie haben mich heute Morgen zu ihrer Beute erklärt."

    „Respekt! Nur wenige schaffen es so lange, nicht erlegt zu werden."

    „Dir meinen Respekt, Searcher. Du scheinst sehr jung zu sein und ich habe gesehen, dass du sehr erfahren bist."

    Er ließ seinen Blick über die Dünen und den Horizont schweifen: „Die Nacht kommt. Willst du noch weiter?"

    Shana folgte mit den Augen seinem Blick und meinte, es würde sich nicht mehr lohnen. Es war die Zeit kurz nach Neumond und damit viel zu dunkel, um bei Nacht sinnvoll unterwegs zu sein. Der Fremde schien dies ebenso zu sehen. Bei aller Vorsicht, die geboten war, fühlte sie sich von ihm nicht bedroht. Dabei wusste sie genau, wie leichtsinnig eine solche Haltung sein konnte. Denn, traf man jemanden hier draußen, so war es nie klar, ob man eine Nacht in seiner Nähe verbringen konnte, ohne befürchten zu müssen, am nächsten Morgen ausgeraubt oder gar tot zu sein. Daher mieden Searcher selbst solche Begegnungen.

    Jedoch diesmal war etwas anders. Dieser Hathai war allem Anschein nach allein unterwegs. Ein merkwürdiger Umstand. Bevor sie sich von ihm entfernte und ihm damit den Rücken zukehren oder gar trauen konnte, wollte sie den Grund für sein alleiniges Auftauchen erfahren. Wenn er sie töten wollte, hätte er es wahrscheinlich schon getan. Er konnte es allein auf ihr Wasser abgesehen haben, denn an die Sklavenjäger würde er sie bestimmt nicht ausliefern. Für diese Annahme hatte sie zwei Gründe. Erstens war sie vor den Hathai stets gewarnt worden - es hieß, sie seien plündernde Horden, aber ihnen ging auch der Ruf voran, Feinde der Menschenhändler zu sein – und zweitens war dieser hier selbst verfolgt worden.

    „Ich will weder dein Wasser, noch dein Leben", sagte er, als habe sie ihre Gedanken laut ausgesprochen.

    „Was willst du dann?", gab sie zurück.

    „Nun, diese Sklavenjäger haben mir eine Richtung aufgezwungen, die ich nicht vorhatte. Von der Gefährlichkeit der großen Sifadüne wird an unseren Lagerfeuern immer wieder erzählt und ich erkenne Treibsand, wenn ich ihn suche. Als ich die Dünen vor mir sah, dachte ich, es sei einen Versuch wert. Aber ich weiß nicht genug von dieser Gegend. Ich weiß nicht genau, ob die Dünen eher westlich oder östlich von Rmadar liegen, nur dass sie weiter nördlich sind. Kannst du mir sagen, in welche Richtung ich mich halten muss? Für heute Nacht bleibe ich allerdings gerne in deiner Gesellschaft und teile meine Vorräte und mein Wasser mit dir."

    Sie blickte ihm prüfend in die Augen. Er hielt dem Blick stand und sagte: „Mein Name ist Handar."

    Ihr Kopf sank verlegen nach vorne und sie schüttelte ihn leicht: „Verzeih mein Misstrauen. Man begegnet nur selten einem einzelnen Reiter. Würdest du allerdings etwas Übles vorhaben, so könnte ich es wahrscheinlich sowieso nicht mehr verhindern. Ich nehme deine Einladung an. Mich ruft man Shana."

    „Shana?, der Hathai gab sich nicht einmal die Mühe, seine Verblüffung zu verbergen, „Du bist eine Frau!

    Searcher kleideten sich zweckmäßig für die Wanderungen und das Überleben in der Wüste. Sie trugen einheitliche Gewänder, die dem Stil der übrigen männlichen Wüstenbewohner ähnelten, doch diesem Hathai schien das nicht geläufig zu sein.

    „Verzeih! Darf ich dir meinen Schutz anbieten?"

    „Nein, lachte sie und fuhr mit ernsthafterer Stimme fort, „und es gibt auch nichts zu verzeihen. Du bist noch nicht vielen Searchern begegnet?

    Nun war es an Handar zu lachen: „Wohl wahr. Ich dachte, Searcher sind ein Mythos. Nur weil du mir vollkommen unbekannt erschienst und ganz offensichtlich nicht zu den Karais zählst, allein und ohne Reittier unterwegs bist, keinerlei Waffen, stattdessen aber gleich zwei Wassersäcke geschultert trägst, habe ich auf deinen Stand geschlossen. Es ist mir eine große Ehre, dir zu begegnen."

    Sie hatte darauf keine Antwort.

    Nachdem sie sich auf diese Weise ein wenig bekannt gemacht hatten, suchten sie sich gemeinsam einen Platz, an dem die Düne sich bog und sie von dem aufkommenden Ostwind abschirmte. Obwohl die Nacht hier draußen sehr kalt werden würde, beschlossen sie, kein Feuer zu machen. Die Gefahr eventuell doch weitere, suchende Sklavenhändler auf sich aufmerksam zu machen, erschien ihnen einfach zu groß.

    Es entstand ein sonderbares Vertrauensverhältnis zwischen ihnen. Shana beschloss, zum ersten Mal entgegen Yambis Warnungen zu handeln. Nachdem sie mit diesem Fremden geredet hatte, konnte sie auch einige Zeit mit ihm zusammen verbringen. Was geschehen sollte, würde geschehen!

    Gebannt hörte sie an diesem Abend seiner Geschichte zu.

    „Ich bin vor drei Tagen mit zwei Gefährten aufgebrochen. Wir wollten Getreide besorgen. Das gehört zu den Dingen, die es in unserer Oase nicht gibt. Also beschlossen wir, in Richtung Rmadar zu ziehen, ein friedliches Arkanistädtchen in genau der richtigen Entfernung zu unserem Lager."

    „Du gehörst zu dem Hathailager östlich vor dem großen Sandland?"

    „Sandland? Ach ja, ihr Freien nennt die große Sandwüste des Westens so. Ja, dort lebt mein Clan, nickte er. Dann fuhr er fort: „Wir begegneten schon nach einem Tag einer Karawane, die uns Getreide abgab. Meine Begleiter hatten damit, was sie wollten. Das Lager wartet auf die Vorräte, deshalb sind sie zurückgeritten. Ich will aber noch auf den Pferdemarkt von Rmadar, dort soll ein Tier aus einer mir bekannten Zucht zum Verkauf angeboten werden, auf das ich schon lange ein Auge geworfen habe. Also trennten wir uns heute Morgen. Aber ich war nicht vorsichtig genug. Als ich die Staubfahne gesehen habe, war es fast schon zu spät. Die Fahrzeuge der Sklavenhändler sind schneller als alle Reittiere. Leider ähneln ihre Staubfahnen denen einer großen Schar galoppierender Reiter. Als ich sie erkannte, kamen sie schon in meine Richtung. Ich habe meinen Weg verlassen und bin einfach geradewegs in das Dünengebiet geritten, in der Hoffnung, mich dort vor meinen Verfolgern verstecken zu können. Dabei musste ich viele kleine Täler hinter mich bringen, bis ich sicher war, dass der Abstand zu den Fahrmaschinen und die Höhe der Düne ausreichen würde, um Zeit genug zu finden, mich unsichtbar zu machen. Den Rest der Geschichte kennst du.

    „Warum jagen sie Hathai?"

    „Sie gehören zu dem Volk, das an den Küsten des Meeres lebt. Ihnen fehlen die traditionellen Kenntnisse zum Überleben in der Wüste. Sie können trotz ihrer Maschinen und Techniken nicht genug Wasser finden, um sich in der Wüste sicher zu bewegen. Ich will mich nicht mit euch Searchern messen, aber die Hathai überleben auch seit Jahrhunderten in dieser Wüste. Es sind unsere Fähigkeiten zu überleben, die für sie interessant sind."

    „Yambi sagt, ich sei zu hell für die Welt und müsse jeden Fremden meiden. Warum genau, hat sie mir nie verraten. Sie sagte, ich würde nicht mehr ruhig schlafen können, wenn ich die Gefahr zu genau kenne."

    „Wohl wahr! Die Frau tut recht daran, dich vor solchen Dingen bewahren zu wollen. Aber vielleicht ist es nun, da du der Gefahr so nah kommst, wirklich besser für dich, zu wissen, worum es geht. Diese Leute wollen dich versklaven."

    „Was heißt 'versklaven'?"

    „Sie nehmen dir deine Freiheit. Du musst tun, was dir jemand anderes sagt und kannst nie selbst entscheiden, was du tun willst. Du kannst auch nicht entscheiden, wohin du gehst. Es heißt, dass dein Herr mit dir machen kann, was er will, wann er will, wo er will und wenn er dein Leben will, dann nimmt er es sich."

    „Sind sie Götter?"

    „Nein, eher das Gegenteil."

    Shana erbleichte. Sie schluckte gegen das erstickende Gefühl an, welches in ihrem Hals entstand. Sie hatte zu wenige Kenntnisse über das Leben jenseits ihrer eigenen Erfahrungen. Yambi hatte wohl Recht gehabt: Sklaverei war schlimmer als tot sein. Um sich auf andere Gedanken zu bringen, fragte sie den Hathai nach seinem Pferd. Sie wies mit dem Kopf auf das Tier und fragte: „Sind diese Tiere alle so groß?"

    Handar lächelte: „Nein, einige sind noch größer. Meine Stute aber ist das klügste und treueste Tier, das je in der Zucht meiner Väter gelebt hat. Ich würde sie nicht gegen ein schnelleres oder größeres Tier tauschen."

    „Aber du willst doch auf dem Markt tauschen."

    „Nein, nein! Ich will nicht tauschen. Ich will einen Hengst für sie kaufen. Feela gäbe ich niemals her. Sie soll Fohlen haben, die für meine Kinder und Enkel den Augapfel ihrer Herden bilden werden."

    Handar schien so viel zu wissen, viel mehr als Yambi. Alles, was sie selbst wusste, wusste sie von ihrem Vater und Yambi. Sie kannte die Zeichen der Wüste und des Wassers, des Windes und der Sonne, des Sandes und der Savanne, aber sie wusste nichts über Pferdeherden oder Städte. Sie stellte Handar noch viele Fragen und er gab ihr bereitwillig Antwort. Wahrscheinlich, weil er erkannt hatte, dass sie niemals eine Gefahr für ihn und die seinen sein würde.

    Als die Nacht vorüber war, zeigte sie Handar die Punkte in der Landschaft, an denen er sich orientieren musste, um schnell nach Rmadar zu kommen. Da sein Weg fast an ihrer Hütte vorbeigehen würde und sie dorthin zurück musste, weil ihre Vorräte knapp geworden waren, beschlossen sie, einen Teil der langen Strecke gemeinsam zu ziehen.

    Einen halben Tagesmarsch von der Hütte entfernt trennten sie sich. Alles andere wäre Shana zu leichtsinnig vorgekommen. Soweit durfte man Fremden nicht trauen. Auch nicht, wenn man sie seit mehreren Nächten kannte.

    Nachdem sie sich verabschiedet hatten, wartete sie, bis sie Handar nur noch als kleinen Punkt am Horizont sah. Dann schlug sie den Weg nach Hause ein. Es dauerte nicht lange, da stand sie vor der Senke mit der kleinen Ebene auf der ihre Grasmattenhütte stand oder besser gestanden hatte.

    Kiur

    Acht Hathai zügelten ihre Pferde. Der Wind blies ihnen entgegen, bauschte ihre Gewänder und vergrößerte ihre Silhouette. In der leichten Talsenke vor ihnen lag die Grenze zwischen ihrem Stammesgebiet und dem der Karais. Dahinter, auf Seite der Karais, die kleine Ansiedlung Kiur. Nicht viel mehr, als ein paar schlichte Lehmhütten um einen Brunnen. Die äußerste Bastion der Karais auf deren Gebiet.

    Von Kiur aus hatten die Karais vor nicht allzu langer Zeit einen Vergeltungszug gegen die Hathai gestartet und einige der großen Viehherden in der Savanne überfallen. Dabei war Achud, der Clanälteste der Hathai, getötet worden. Ein solcher Frevel auf ihrem eigenen Gebiet, schrie nach Rache.

    Nun standen die Krieger im Morgengrauen als dunkle Bedrohung vor den Toren ihres Feindes, entschlossen dem feindlichen Stamm eine Lehre zu erteilen.

    Noch schliefen die ahnungslosen Bewohner. Doch der trommelnde Wirbel der Hufe wurde zu ihrem letzten Weckruf. Mit trillerndem Kampfschrei und gezogenen Schwertern jagten die Männer zwischen die Hütten.

    Der eigentliche Kampf währte nicht lange. Die weniger kampferprobten und überraschten Männer der Karais hatten keine wirkliche Chance. Ihre Verteidigung war schwach und ohne jeglichen Erfolg. Die Hathai erschlugen sie, wo sie sie antrafen. Am Ende des Kampfes sahen sie sich in aller Ruhe um. Sie würden ein paar Kamele mitnehmen, doch darum ging es ihnen bei diesem Überfall nicht.

    Die Sonne schwebte gerade erst über dem Horizont, als sich nichts mehr zwischen den Hütten zur Verteidigung rührte. Nur das Wimmern einiger Frauen und Kinder kündigte von ihrem Leid.

    Jetzt, da es vorüber war, stand Ra'un auf dem kleinen Platz inmitten der Hütten und blickte um sich. Er entdeckte keine Spur von denen, die er seit längerem suchte. Die Zerstörung aber, die er und seine Clanbrüder über dieses Lager gebracht hatten, ekelte ihn mit einem Mal an. Er legte den Kopf in den Nacken und schickte eine Bitte um Erbarmen für die erschlagenen Seelen zum Himmel hinauf. Dann wurde seine Aufmerksamkeit von dem flehenden Winseln einer Frau wieder auf das Geschehen gelenkt.

    Die Frau verstummte für einen Augenblick. Das dumpfe Geräusch eines zu Boden gestoßenen Körpers ging ihrem Wimmern voraus. Karas kam langsam aus der Hütte geschritten und richtete seine Gewänder.

    Ra'un starrte ihn an und stieß mit gepresster Stimme hervor: „Warum tust du das?"

    Statt einer Antwort grinste Karas.

    „Diese Karais sind Menschen", fauchte Ra'un.

    „Was willst du? Wieso verteidigst du sie? Sie haben Achud getötet und sie betreiben Menschenhandel," knurrte sein Bruder.

    „Nicht alle Karais beteiligen sich daran! Und diese Frauen ganz bestimmt nicht!"

    Er wendete sich ab, versuchte seiner Empörung Herr zu werden. Nachdem er mehrmals tief durchgeatmet hatte, drehte er sich wieder zu Karas, der seelenruhig die Dinge rund um die Hütte nach Brauchbarem durchstöberte, und fuhr mit ernstem, ruhigen Ton fort: „Sie sorgen sich auch nur um ihr Überleben. Und sie versorgen auch nur ihre Frauen und Kinder."

    Mehr konnte er nicht sagen. Er kämpfte gegen aufsteigende Übelkeit. Diese grausame Gleichgültigkeit stieß ihn ab. Eiligen Schrittes ging er zu seinem Pferd, schwang sich auf und gab mit gellendem Schrei das Signal zum Abzug und er fühlte sich erleichtert, als er sah, dass die anderen ihm folgten.

    Keiner der Hathai hatte auch nur eine Verletzung davongetragen.

    Kiur aber würde sich von ihrem Besuch nur schwer erholen. Die restlichen Bewohner würden sicher überleben, aber - was noch wichtiger war - sie würden für lange Zeit keine Gefahr mehr für die Hathai bilden. Nachdem sie sich noch ein paar Kleinigkeiten und einige von den vorhandenen Tieren als Beute genommen hatten, zogen sie ab. Dieser Überfall hatte einen anderen Zweck, als daraus einen Raubzug zu machen. In der Gruppe herrschte denn auch mehr eine befriedete als ausgelassene Stimmung.

    Schon am späten Nachmittag teilten sich die acht Krieger in zwei Gruppen auf und ritten auf getrennten Wegen weiter. Ein Teil kehrte direkt zum heimatlichen Lager zurück. Karas und einige andere wollten noch eine Weile durch das Land streifen. Es war eine ihrer Aufgaben, nach durchziehenden Karawanen und etwaigen Veränderungen in ihrem Gebiet zu schauen. Aufmerksam suchten sie nach den kleinsten Anzeichen, die darauf hindeuteten, dass sich jemand in ihr Gebiet verirrt hatte. Dabei überprüften sie die Wasserstellen. Für ihre üblichen Unternehmungen war es äußerst wichtig zu wissen, wie es dort gerade aussah, denn davon konnte ihr Überleben abhängen, wenn sie sich auf ihren Besorgungsritten zu weit von dem derzeitigen Hauptlager entfernten. Während der zurzeit vorherrschenden Dürre war es besonders wichtig, dass der Clan alles erfuhr, was sich in den Weiten ihres Landes abspielte. Nur wenn sie aufmerksam beobachteten, wer sich ihren Wasserstellen und Brunnen näherte, waren sie im Zweifelsfall zur notwendigen Verteidigung bereit. Das sicherte ihre Unabhängigkeit, sowohl von den Meeresstädtern als auch von dem Handel der Karais.

    Außerdem wollten die jüngeren Krieger nach dem Vergeltungszug noch ein paar Vergnügungen genießen, die sie nur außerhalb des eigentlichen Lagers finden konnten.

    In der Savanne gab es kleinere Lagerplätze. Dort trafen sie sich mit ihren Freunden, die noch als Hirten und Hirtinnen die Herden der Familien hüten mussten. Der Klang der Trommeln rief sie zusammen. Sie feierten ihren Sieg, trugen, wie üblich, spielerische Wettkämpfe aus und genossen alle Freiheiten, die ausschließlich fern der Familienzelte möglich waren. Ausgelassen musizierten und tanzten sie miteinander und die älteren Mädchen und Jungen begegneten sich, ohne die strengen Regeln des Lagers beachten zu müssen. So manches Pärchen stahl sich in der Nacht heimlich davon und suchte ein verstecktes Plätzchen auf. So versuchten sie bedrückende Eindrücke des hinter ihnen liegenden Kampfes zu vergessen. Hier konnten sie ungestraft weinen und lachen oder sich von Freunden trösten lassen und sich mit Albernheiten ablenken.

    Seit sein bester Freund, Arak, verheiratet war, verbrachte Karas so viel Zeit wie möglich in den Hirtenlagern oder mit Pferderennen.

    „Wird es nicht langweilig, immer und immer wieder zu gewinnen?", scherzte Roben finster knurrend und zahlte dem spöttisch dreinblickenden Sieger seinen Preis, einen herrlichen Umhang, aus.

    Amas, der den besten Freund seines großen Bruders bewunderte, mischte sich ein. „Niemand hat dich gezwungen, gegen Karas zu reiten."

    Karas fuhr dem Jungen mit der Hand durch die Locken und steckte seinen Gewinn beiläufig in einen der großen Sattelsäcke, grinste Roben zu und sagte: „Langweiliger als das Lager kann gar nichts sein."

    Dabei bemerkte er nicht einmal, wie sehr drei zusammenhockende Mädchen ihn anhimmelten. Er war nicht auf Mädchen aus. In dieser Nacht stand ihm der Sinn nach einem anderen Vergnügen, das kaum einer seiner Freunde zu schätzen wusste, und morgen würde er mit Roben und den anderen heimkehren.

    Hathailager

    „Neiiiiin!" Ihr Schrei gellte in ihren eigenen Ohren und vertrieb den Schlaf.

    „Ist ja gut, ist ja gut! Beruhige dich, Mädchen. Hier bist du in Sicherheit!"

    Kari, eine zierliche Frau mittleren Alters, hielt das Mädchen fest und wiegte es zur Beruhigung. Wie so oft war es aus dem Albtraum aufgeschreckt, den es mittlerweile seltener, aber immer noch zu oft, durchleben musste. Selbst jetzt am späten Nachmittag, wo sie nur ein wenig gedöst hatte, jagten die Geister der Vergangenheit ihr im Schlaf nach.

    „Komm, Mädchen. Steh auf und hol Wasser. Das bringt dich auf andere Gedanken."

    Seit Beginn dieses Mondlaufs war Shana im Lager der Hathai. Ihre Haut war gut verheilt, ihre Augenlider nicht mehr entzündet und ihr Blick nicht mehr getrübt. Sie begann, ihre Umgebung mit weit aufgerissenen Augen genauer zu betrachten und stellte Kari Fragen, über all die ungewohnten Dinge, die sie hier sah. Sie fühlte sich zunehmend kraftvoller und richtete ihre Gedanken langsam wieder auf das, was in der Zukunft lag. Yambi hatte ihr zwar beigebracht, dass sie jetzt leben und denken müsse. Aber Shana hatte es nicht lassen können und immer darüber nachgedacht, was wohl einmal käme.

    Vor ein paar Tagen hatte Shana beobachtet, wie der Ziegenbock bei der Ziege aufritt. Bestürzt hatte sie Kari gefragt, warum der Bock sich denn tragen lassen wolle, ob er zu alt sei, um selbst zu stehen. Kari hatte bei dieser Frage nur den Kopf geschüttelt und, nachdem sie sich tapfer das Lachen verkniffen hatte, geantwortet: „Nein, Shana, der Bock will nur kleine Ziegen machen!"

    Das Mädchen hatte sie verständnislos angeblickt und sich hastig eine andere Beschäftigung gesucht.

    Während sie jetzt an der Quelle die Krüge füllte und sich gerade darüber Gedanken machte, wann sie das Lager verlassen würde, bemerkte sie eine kaum wahrnehmbare, sich rasch nähernde Staubwolke am westlichen Horizont. Ihre jahrelange Konzentration auf solche Zeichen und die gelernte Vorsicht versetzten sie sofort in erhöhte Aufmerksamkeit.

    „Werra, schau dort hin! Wird jemand erwartet?"

    Werra, Karis älteste Tochter, hob den Kopf. Sie brauchte lange, bis sie in der gewiesenen Richtung überhaupt etwas erkennen konnte.

    Entweder hatte die Kleine mit ihren neuneinhalb Jahren noch nie einen Überfall erlebt und die Sicherheit, die alle hier behaupteten, entsprach den Tatsachen oder die Angst verlangsamte dem Mädchen schlicht den Verstand. Anders konnte Shana sich diese lahme Reaktion nicht erklären.

    „Nö. Außer Karas und so", verkündet die Kleine völlig gelassen und beschäftigte sich weiter mit den Käfern, die sie hier am Wasser entdeckt hatte.

    Shana füllte die Krüge gewissenhaft bis zum Ende, ehe sie zum Zelt zurückging. Sie wollte die Kleine nicht verängstigen. Gleichzeitig blinzelte sie unentwegt gegen die tiefstehende Sonne. Ihre Augen suchten immer wieder die sich nähernde Staubfahne. Wenigstens ein paar andere Bewohner des Lagers mussten sie mittlerweile bemerkt haben. Doch keiner schien darauf sonderlich reagieren zu wollen.

    Ohne weiter zu zögern, trat sie ins Zelt ein, stellte den Wasserkrug ab und suchte ihre Sachen. Wenn Gefahr drohte, wollte sie wenigstens vorbereitet sein. So wie sie aber bemerkte, dass sie nach wie vor die Einzige war, die auf die sich nähernde Gefahr reagierte, bezwang sie ihre Instinkte und versuchte ebenso ruhig zu bleiben, wie die Übrigen.

    Als Kari das Zelt betrat und Shana ganz ruhig fragend ansah, brach sich Shanas Anspannung ihren Weg.

    „Was tut ihr? Es nähern sich Reiter dem Lager und ihr tut alle, als ob es vollkommen normal sei!", schimpfte sie laut.

    Ihr Gesicht war verzerrt vor Angst, sie kämpfte sichtlich gegen die aufkommenden Tränen an.

    Kari eilte zu ihr, schlang die Arme um sie, streichelte über ihren Kopf und wiederholte in stetigem Singsang: „Ist ja gut! Es ist alles in Ordnung!", und dabei hielt sie Shana erneut wie ein kleines Kind.

    Tatsächlich fasste sich Shana dadurch schnell wieder: „Verzeih!"

    „Ist schon gut. Du hast Schlimmes erlebt, aber hier bist du in Sicherheit."

    Diese Sätze hatte Shana jetzt schon so oft gehört und doch begriff sie sie nicht wirklich.

    Hier, an diesem Ort, hatten die Hathai keine Angst vor Feinden. Warum dies so war, war für Shana einfach nicht zu verstehen. Den Grund sollte sie erst lange Zeit später begreifen.

    Das Lager schmiegte sich an den südlichen Saum eines größeren Dattelpalmhains, unter dessen Schatten sich ein kleiner Teich erstreckte, der von einer Quelle gespeist wurde, die zwischen ein paar Felsbrocken hervorsprudelte. Die Zelte waren großzügig in einem Oval aufgestellt, an dessen nördlicher Seite sich ein größerer, sandiger Platz anschloss, hinter dem sich unter wenigen Bäumen eine Wand aus halbhohem, dichtem Dornengestrüpp befand. Auf diesem Platz hielten die Männer ihre Ratsversammlungen ab. Genau gegenüber, gewissermaßen beim Eingang des Lagers, befand sich ein größerer Pferch im äußersten Schattenbereich der Palmen.

    Von der Quelle aus blickte man zwischen dem Pferch und Handars Zelt hindurch auf die große Sandwüste des Westens. Aus dieser Richtung näherten sich gerade die Reiter, deren Hufschläge bereits zu hören waren. Shana beunruhigte das Geräusch; daran änderten auch Karis abwiegelnde Worte und Gesten nichts.

    Kari bemerkte es und ein resignierendes Lächeln überzog ihr Gesicht. Sie nahm ihr jüngstes Kind und forderte Shana mit fröhlichem Ton auf: „Na komm schon, lass uns nachschauen, wer da kommt!"

    Erleichtert stellte Shana fest, dass nun doch einige Lagerbewohner vor den Zelten standen und den Reitern entgegen blickten. Da drang aus Karis Mund ein heller, lang gezogener, freudiger Triller.

    Fünf zwar offensichtlich prächtig gekleidete, aber mit Sandstaub überzogene Reiter zügelten vor dem Lager die Pferde und ritten in gemächlichem Schritt zwischen die Zelte. Die dunklen Tücher, die ihre Köpfe und Gesichter verbargen, leuchteten in der untergehenden Sonne. Es waren ausnahmslos Männer, die eindeutig zu den Hathai gehörten, die Gesichter hinter dem Schleier verborgen. In dem schmalen Streifen zwischen dem Stoff, der ihre Stirn und ihre Nasen bedeckte, funkelten ihre dunklen Augen hervor. Mit stolzer, aufrechter Haltung und gleichzeitiger Lässigkeit näherten sie sich verschiedenen Zelten.

    Vor ihren Sätteln lagen je zwei mittelgroße, prall gefüllte Säcke, die sie den Wartenden hinunterreichten. Einer der Reiter hielt genau vor Kari, aber statt abzusteigen oder ein Wort des Grußes zu sagen, starrte er nur auf Shana, die sich die ganze Zeit hinter Kari gehalten hatte. Shana stand aufrecht und blickte dem jungen Mann geradewegs in die dunklen, glitzernden Augen.

    „Karas, was ist los? Willst du deine Mutter nicht begrüßen oder mir wenigstens das Salz reichen? Weißt du nicht mehr, was sich gehört?, gluckste Kari mit gespielter Entrüstung. „Nun sieh dir diesen Kerl an. Kaum erblickt er eine junge Frau, kann er sich nicht mehr bewegen oder sprechen! Komm endlich runter und mach den Mund zu, sonst denkt Shana noch, sie wäre ein Wunder und du ein Kamel.

    Der Angesprochene bewegte sich immer noch nicht. Er saß wie gelähmt auf seinem Pferd und glotzte. Kari nahm die Säcke einfach selbst vom Pferd, drückte sie Shana in die Hände und schob sie damit in das Zelt zurück.

    Shana hörte, wie der junge Mann umständlich vom Pferd stieg und sie vernahm die Stimme der kleinen Werra, die jetzt ebenfalls von der Quelle zurückgekommen war, um den Ankömmling zu begrüßen. Ihre helle Stimme plapperte in ihrer üblichen, unbekümmerten Art: „Karas. Karas, hast du mir etwas mitgebracht? Karas, stell dir vor, Papa hat eine Freie gefunden. Er ist gejagt worden und musste sich verstecken. Da hat er sie einfach mitgebracht. Sie ist ganz hell. Ganz hell, überall!"

    Die letzten Worte hatte das Mädchen nur kichernd ausgestoßen und Shana bemerkte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss, obwohl sie im Zelt war. Sie konnte sich selbst nicht recht erklären, warum ihr dieses Geplapper so peinlich war. Denn an das Erstaunen, welches ihr Aussehen auslöste, war sie ja inzwischen gewöhnt. Hier im Lager war sie in den ersten Tagen ständig angestarrt worden. Schließlich war sie sogar in ihrer eigenen Familie die einzige Hellhäutige nach ihrer Mutter gewesen.

    „Nein, du versorgst erst das Pferd und klopfst den Staub ab, bevor du hier rein kommst!", befahl Kari mit lautem und strengem Ton. Und es war klar, dass sie ihren Sohn damit meinte, der sich geräuschvoll dem Zelteingang genähert hatte. Der grunzte unverständliche Laute, bevor er fluchend das Pferd zum Pferch führte.

    Der Klang seiner Stimme war ungewöhnlich dunkel und volltönend, obwohl er sehr leise zu fluchen schien.

    Zu Shana gewandt sagte Kari lächelnd und gleichzeitig ernst: „Das hab ich noch nicht erlebt, du hast dem Kerl total den Kopf verdreht! Aber hüte dich vor ihm!"

    Mit diesen Worten ging sie scheinbar ungerührt weiter ihren Tätigkeiten nach, reichte Shana das Salz und Mehl aus dem einen und öffnete den anderen Sack. Während Shana die Lebensmittel an ihren Platz brachte,

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