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Die sizilianische Reise
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eBook296 Seiten4 Stunden

Die sizilianische Reise

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Über dieses E-Book

Zum Inhalt
Klaus Meng, ein erfolgreicher Egoist, Unternehmer, der sich sein Leben seinen Vorstellungen gemäß geschaffen hat und es nach seinen eigenen Gesetzen lebt, ist ein von der Sucht Getriebener, sich immer wieder aufgeben zu müssen und dennoch gleichzeitig die Kontrolle zu behalten. Er ist ein Spieler, der dieses Wechselspiel zu seinem Lebensinhalt gemacht hat, der die ständige Kontrolle, die dieses Spiel verlangt, nicht dauerhaft erträgt, obwohl es außer Kontrolle geraten ist und mit dem unbeabsichtigten Tod einer seiner Geliebten schon die Katastrophe eingetreten ist (vor seinem eigenen Richter "nicht mehr sein zu dürfen"). Er muss sich durch beständige Grenzüberschreitungen das Gefühl für ein eigenes Sein, sein Doppelleben andauernd neu beschaffen, als auch in der ständigen mitleidlosen narzisstischen Bestätigung die Anerkennung der von ihm eroberten Frauen. Dabei ist, getrieben von der Angst vor der eigenen Wahrheit, seine Wahrnehmungsfähigkeit aufs Äußerste angespannt. Gleichzeitig ist er mit Naivität und Blindheit seinem eigenen Don-Juan-Komplex gegenüber geschlagen.
Klaus Meng befindet sich auf der Reise eigentlich auf der Flucht vor sich selbst, bis er erkennt, dass sie sein ganzes Leben spiegelt und er kurz vor dem Ziel auch vor seiner Flucht "flieht". Ein Zusammenbruch und das Buch eines buddhistischen Mönches eröffnen ihm die Möglichkeit, sich selbst neu zu entdecken und neu anzufangen.
Das Buch erzählt gleichzeitig eine tragische Liebesgeschichte. Die innere Spannung reißt die Handlung mit sich fort. Als Ausdruck des inneren Neuerwachens fungieren die Vulkanszenen, in denen die Hauptfigur das eigene innere Aufbrechen spürt, ohne es selbst schon zu begreifen.
Rahmenhandlung ist eine farbig erzählte Sizilien-Rundreise mit Besuch der vulkanischen äolischen Inseln zwischen dem Festland Italiens und Sizilien.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum15. Aug. 2012
ISBN9783844229509
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    Buchvorschau

    Die sizilianische Reise - Jürgen Meyer

    Zum Inhalt

    Klaus Meng, ein erfolgreicher Egoist, Unternehmer, der sich sein Leben seinen Vorstellungen gemäß geschaffen hat und es nach seinen eigenen Gesetzen lebt, ist ein von der Sucht Getriebener, sich immer wieder aufgeben zu müssen und dennoch gleichzeitig die Kontrolle zu behalten. Er ist ein Spieler, der dieses Wechselspiel zu seinem Lebensinhalt gemacht hat, der die ständige Kontrolle, die dieses Spiel verlangt, nicht dauerhaft erträgt, obwohl es außer Kontrolle geraten ist und mit dem unbeabsichtigten Tod einer seiner Geliebten schon die Katastrophe eingetreten ist (vor seinem eigenen Richter „nicht mehr sein zu dürfen"). Er muss sich durch beständige Grenzüberschreitungen das Gefühl für ein eigenes Sein, sein Doppelleben andauernd neu beschaffen, als auch in der ständigen mitleidlosen narzisstischen Bestätigung die Anerkennung der von ihm eroberten Frauen. Dabei ist, getrieben von der Angst vor der eigenen Wahrheit, seine Wahrnehmungsfähigkeit aufs Äußerste angespannt. Gleichzeitig ist er mit Naivität und Blindheit seinem eigenen Don-Juan-Komplex gegenüber geschlagen.

    Klaus Meng befindet sich auf der Reise eigentlich auf der Flucht vor sich selbst, bis er erkennt, dass sie sein ganzes Leben spiegelt und er kurz vor dem Ziel auch vor seiner Flucht „flieht". Ein Zusammenbruch und das Buch eines buddhistischen Mönches eröffnen ihm die Möglichkeit, sich selbst neu zu entdecken und neu anzufangen.

    Das Buch erzählt gleichzeitig eine tragische Liebesgeschichte. Die innere Spannung reißt die Handlung mit sich fort. Als Ausdruck des inneren Neuerwachens fungieren die Vulkanszenen, in denen die Hauptfigur das eigene innere Aufbrechen spürt, ohne es selbst schon zu begreifen.

    Rahmenhandlung ist eine farbig erzählte Sizilien-Rundreise mit Besuch der vulkanischen äolischen Inseln zwischen dem Festland Italiens und Sizilien.

    Die sizilianische Reise

    Klaus Meng ließ es geschehen, dass sich sein Gegenüber langsam an ihm vorbeischob, das Zimmer verließ, das Geräusch auf der Treppe, dann die Haustüre, welche in`s Schloss fiel. Dort, wo er stand, ließ sich Meng zu Boden sinken, unfähig zu irgendeiner Empfindung. Das kann nicht sein, flüsterte er, das kann nicht sein...

    Als er sich wieder erhob, wusste der Mann nicht, wie lange er dort gesessen, vielmehr gelegen hatte: Eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, eine Stunde? Er hatte keinerlei Zeitgefühl, machte sich auch nicht die Mühe nachzusehen, ob der andere wirklich fort war. Sollte er doch! Nun war es also zu spät.

    Hatte er in den vergangenen Tagen nur mit äußerster Mühe vermocht, die Fassung zu wahren, so war seine Kraft nun am Ende. Der Anblick ihrer verdrehten Augen, wie sie dalag, leblos, verfolgte Ihn jede Nacht. Woher wusste dieser Prenner?

    Es hatte keinen Sinn; er wusste es. Und es war richtig: allein die Aussage Prenner's, der Vergleich der Fingerabdrücke ... das wäre das Ende seiner Welt.

    Klaus Meng wollte nicht denken, nicht fühlen, wollte nicht sein. Nicht jetzt! Er nahm eine Flasche Cognac hervor, welche sich immer im Schreibtisch befand. Halbvoll. Meng überlegte einen Moment, dann sah er ein, dass es nichts zu überlegen gab: Jetzt nicht.

    Er trank den Cognac direkt aus der Flasche. Nach einigen Schlucken musste er absetzen, weil ihm übel zu werden drohte. Dieses Brennen im Hals, selbst der Brechreiz war ihm lieber als alles andere um ihn herum. Jetzt ging es nur noch schluckweise. Ich kann nicht, stieß Klaus Meng hervor, ich kann nicht, dann lauter, sich steigernd zum Gebrüll: Zuviel. Zuviel!

    Dann fiel er in sich zusammen, während der Alkohol begann, seine Wirkung zu tun. Und doch, flüsterte er, es wird gehen. Es muss gehen. Es wird - gehen...

    Einige Stunden später erwachte Meng mit den entsetzlichsten Kopfschmerzen, wusste weder, wie er ins Schlafzimmer gelangt war, noch, wie er sich seiner Kleider entledigt hatte, welche auf dem Fußboden verstreut lagen. Die Cognacflasche fand sich dazwischen und war leer. Im Bad, als er die Tabletten nahm, erinnerte er sich Prenner´s. Angenehme Gleichgültigkeit nach dem Kurzschluss der Emotionen.

    Und wenn er nicht hinging?

    Sinnlos.

    Später versuchte Meng, zu rationalisieren: Prenner musste ihm ein Dokument seiner Erpressung aushändigen, so waren sie zumindest voneinander abhängig; Prenner konnte ihn nicht anzeigen, ohne sich selbst auszuliefern.

    Klaus Meng beschloss, die Angelegenheit sofort hinter sich zu bringen, ihm war gleich, wie er aussah.

    Am Tor wartete Meng, bis ein einzelner Kunde den Kiosk wieder verlassen hatte. Prenner nickte, als der andere ihm gegenübertrat: Ich habe hier meine Bedingungen schriftlich, mit Maschine, ohne Namen natürlich. Ich möchte nicht, dass uns hier zu viele Leute zusammen sehen, also gehen Sie jetzt wieder. Er legte einen Umschlag auf die Theke. Klaus Meng bemerkte, dass Prenner Handschuhe trug. Sie sehen, ich habe an alles gedacht."

    Ich auch, entgegnete Klaus Meng trocken und nannte seine Bedingung, geschäftsmäßig, denn verhandeln war er gewohnt. Ich bin absolut nicht bereit, Ihnen sonst auch nur einen Pfennig zu zahlen. Wenn Sie mich jetzt anzeigen, bekommen Sie gar kein Geld. Unterschreiben Sie, erhalten Sie, was Sie verlangen.

    Prenner versuchte zwar zu drohen, überlegte sogar kurz, ob es nicht besser wäre, eine Belohnung ... Selbst Zwanzigtausend Mark würden ihm nicht helfen: Er konnte sich ja nicht einmal mit seinen Einnahmen den Lebensunterhalt verdienen. Also zog Prenner die Handschuhe aus, öffnete den Umschlag und unterschrieb mit seinem vollen Namen.

    Klaus Meng atmete auf, innerlich, der andere durfte nichts merken. Keine Schwäche jetzt! Er ging wortlos, öffnete per Funk das Tor und stellte Überlegungen an: Handwerker müssten kommen, damit der Schaden behoben würde, und zwar vor der Rückkehr seiner Frau. Nur noch drei Tage!

    Klaus Meng rief in der Firma an, dass er wieder nicht kommen könne, wie so oft in der letzten Zeit. War er nach dem Geschehenen anfangs mit erstaunlicher Konzentration und Gelassenheit seinen Geschäften nachgegangen, so hatte letztere ihr Ende gefunden, nachdem Prenner ihn derart überraschend und mit solch prüfendem Blick nach seinem Wissen um die Ereignisse in Z-Stadt gefragt hatte. Wie immer in solchen Situationen war es ihm im ersten Moment gelungen, die Fassung zu bewahren, trotz des Schrecks. Gefahr, hatte ihn seine innere Stimme gleich gewarnt, doch sein Verstand, welcher seinen überreizten Zustand geltend machte, war stärker gewesen. Immer derselbe Fehler! Klaus Meng schloss die Haustüre ab, entgegen seiner Gewohnheit, obgleich er sich schon wegen der zerborstenen Scheibe nicht sicher fühlen konnte. Meng fühlte sich betäubt, ungläubig. Zuerst war es Verdrängung gewesen, reine Verdrängung: sachliche Maßnahmen. Dann die Flucht in den Alltag: nur nicht daran denken.

    Wer weiß, wie lange es gut gegangen wäre... Klaus Meng sprach leise zu sich selbst. Prenner hatte alles aufgerissen: seine Tat, die er nicht begangen haben wollte, deren Tatsächlichkeit er vor sich selbst verleugnete. Klaus Meng hätte vielleicht akzeptieren können, unsaubere Geschäfte zum Beispiel, den Ruin eines unbescholtenen Mannes möglicherweise; oder dass seine Frau von seinen Verhältnissen erfuhr und ihn zur Rede stellte; dass Prenner ihn mit solch etwas erpresste; aber, dass er, Klaus Meng, eine andere Frau getötet hatte, sei es mit Absicht oder ohne eine solche, lag außerhalb dessen, was sein Gewissen zu tolerieren bereit war. Seinem Verstand waren alle Tatsachen, welche er in sein Inneres aufzunehmen nicht in der Lage war, durchaus bekannt. Klaus Meng lehnte ab, was er getan hatte. Die Möglichkeit dessen, was geschehen war, erschien ihm geradezu absurd.

    Derjenige Teil in ihm, der wusste, bekämpfte denjenigen, welcher nicht wissen konnte oder wollte, je nachdem. Er litt. Bisweilen in Form tiefer Niedergeschlagenheit, bisweilen stand er unter schier unerträglicher Spannung, die ihn zu zerreißen drohte. In solchen Momenten sah Klaus Meng sich weder in der Lage, seiner Arbeit nachzugehen, noch, mit anderen Menschen zusammen zu sein. Er versuchte dem Druck zu entkommen, indem er hinaus ins Freie ging. Oder, vor allem abends, indem er unmäßig trank. In der Firma merkten sie wohl, dass etwas nicht stimmte. Sein Autoritätsverlust war nicht mehr zu übersehen. Doch wie sollte er seiner Frau begegnen? Ein Geständnis kam auf keinen Fall in Frage. Auf keinen Fall!, entfuhr es ihm tatsächlich. Klaus Meng ging ins Wohnzimmer und schleuderte seinen Mantel zu Boden.

    Überarbeitung, natürlich, das wäre eine Möglichkeit! Hatte nicht seine Frau schon lange zuvor zu ihm gesagt, er solle sich mehr schonen? Wenn sie sich in der Firma erkundigte, es konnte plausibel klingen, so häufig er in der letzten Zeit ausgefallen war; Bekannte würden ebenfalls berichten, Klaus Meng nicht zu Gesicht bekommen zu haben. Und hatte er sich nicht mit Unwohlsein entschuldigt, er sei müde, hätte einen harten Tag gehabt, müsse morgen schon früh wegfahren usw? Doch würden sie ihm seine Rolle glauben? Konnte er eine Ungeheuerlichkeit, eine Katastrophe, die er niemals vor sich selbst rechtfertigen konnte, hinter einer solchen Maske verbergen?

    Andererseits, was tun? Auf keinen Fall jetzt Panik! Die Zeit würde helfen, die Zeit...vielleicht...

    Später ging Klaus Meng zur Bank, um die von Prenner geforderte Summe zu besorgen, tausend Mark weniger, als verlangt, ein trotziger Rest von Kampfgeist, von Protest: er wollte zeigen, dass er nicht alles mit sich machen ließ.

    Ein Zeitschriftenkiosk in der Morgendämmerung. Leichter Nieselregen, ab und zu ein paar Flocken Schneematsch auf der breiten, von alten Kastanien gesäumten Straße, Pfützen im Rinnstein und auf den Gehwegen. Prenner, in einen dicken Wollpullover gehüllt, trat von einem Bein auf das andere und zitterte. Ausgerechnet heute hatte der kleine elektrische Heizofen seinen Dienst versagt, was ein Pech war; Lieber trocken-kalt als nass-kalt, dachte Prenner, doch er konnte es sich nicht erlauben, seinen Laden hier deshalb einfach zu schließen, im Moment schon gar nicht. Der Gedanke an seine augenblickliche Lage ließ ihn noch verdrießlicher werden. Ja Meng, der Verleger, der schräg gegenüber in seiner Villa wohnte und sicherlich drei- oder viermal im Jahr irgendeinen teueren Urlaub machte, sicher, der konnte sich so etwas leisten, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber er, Prenner ? Er hatte sich längst damit abgefunden, dass der eine Glück hatte und der andere nicht. Es musste eine Gesetzmäßigkeit dahinterstehen: so wie manche Menschen das Glück anzogen und ihnen alles und immer glänzend gelang, wie seinem Gegenüber in seiner Villa zum Beispiel, so zog er jedenfalls das Pech an. So war es immer gewesen, würde es auch bleiben; Seit sie die neue Brücke über den Fluss gebaut hatten, war der Verkehr wenn nicht stark, so doch spürbar zurückgegangen; es hielten jetzt merklich weniger Autos an, weniger Passanten gingen an seinem Kiosk vorbei, selbst eine Buslinie verkehrte nicht mehr hier, auch wenn die ein paar Meter entfernte Bushaltestelle noch geblieben war. Schon vorher war es ihm nicht rosig gegangen, aber jetzt ... er durfte nicht daran denken. Das Wasser stand jedenfalls bis zum Hals: die Schulden, auch nur teilweise vom Kauf des Kioskes herrührend, waren so hoch, dass er sie bei gutem Umsatz hätte bezahlen können, in einigen Jahren wäre er aus dem Gröbsten herausgewesen, aber so, wie die Sache jetzt aussah ... Was sollte er tun? Er war keinesfalls mehr der Jüngste. In seinem Alter noch mal Arbeit zu finden: aussichtslos, hier konnte nicht einmal Glück helfen, sondern höchstens ein Wunder, ein richtiges Wunder... Natürlich wusste Prenner, dass keines geschehen würde. Und dann, wenn er seine Wohnung nicht mehr bezahlen könnte, dazu verdammt, den Rest seines Lebens wenn nicht als Bettler, so doch - bestenfalls! - als Bittsteller zu verbringen, am Rande der Gesellschaft; keine begehrenswerte Perspektive.

    Leer blickte Prenner nach draußen. Der Regen hatte ein wenig nachgelassen, jetzt waren kaum noch Schneeflocken darunter; es wollte heute einfach nicht hell werden. Nur das kleine Radio versprudelte seine sinnlose Lebendigkeit in die Leere des beginnenden Tages.

    Ein weißer Mercedes Kombi verlangsamte sein Tempo, hielt vor dem schmiedeeisernen Tor des gegenüberliegenden Anwesens, das Tor öffnete sich für einen Moment, schloss sich wieder, nachdem der Wagen hindurchgeglitten war.

    Der kann es sich erlauben, die Nacht zum Tage zu machen, raisonnierte Prenner, unsereins... Er war sich sicher, dass Klaus Meng, der Verleger erst heimkehrte und nicht kurz zuvor fortgefahren war. Er, Prenner, war schon seit halb sieben hier, hatte um sieben geöffnet und Klaus Meng fuhr niemals vor halb neun in seine Firma. Und wovon lebte er? Indem er eine Illustrierte herausgab, die auch er, Prenner verkaufte; indem er Geld verdiente sozusagen mit dem geistigen Müll unserer Tage, dem überflüssigsten, was man sich denken konnte; sehr viel Geld. Prenner bemerkte an sich selbst, dass er seinen Gegenüber umso mehr beneidete, je prekärer seine eigene Lage wurde. Manchmal ertappte er sich dabei, wie er sich in seiner Vorstellung ausmalte, welches Leben Meng führen mochte: einen gehörigen Luxus, feine Kleider, gutaussehende Frau, Reisen, teuere Restaurants ... wahrscheinlich spielte er den Chef und musste sich nicht einmal besonders anstrengen, und gerade im Moment lag er sicher in seinem warmen Bett, während er, Prenner, hier herumstand und fror.

    Der Acht Uhr Dreiundvierzig Bus brachte zwei Kunden.

    Am nächsten Morgen stand es in den Zeitungen der Region: Rätselhafter Mord in Z-Stadt. Das hiesige Blatt brachte es sogar auf der ersten Seite, wenn auch unten rechts; Z-Stadt war nicht weit entfernt, Prenner hatte einen Bruder dort. Prenner mochte Sensationsmache nicht leiden, wennschon er zum Teil von der Sensationsgier anderer lebte und las den Artikel eigentlich nur wegen seines Bruders. Das Opfer, Margarete L., wohnhaft in einem anderen Teil von Z- Stadt hatte die Tatwohnung offenbar nur angemietet, um sich mit einer unbekannten Person im Verborgenen zu treffen. Es handelte sich ganz offensichtlich um eine heimliche Liebesbeziehung, was an sich ja noch nichts besonderes war. Dem mutmaßlichen Täter musste jedoch sehr an seinem Inkognito gelegen gewesen sein, denn, sofern man ihm im Treppenhaus überhaupt begegnete (den Aufzug benutzte er grundsätzlich nicht, zumindest konnte keiner der Hausbewohner bezeugen, ihn jemals dort gesehen zu haben), hatte er stets dieselbe merkwürdige und doch wirksame Verkleidung getragen: langer Regenmantel, dunkle Sonnenbrille, dunkler Hut; auch im Sommer, und selbst abends wurde er niemals ohne Sonnenbrille gesehen, was im Haus zwar zu Gerede Anlass gegeben hatte, den seltsamen Gast aber nicht im geringsten stören konnte.

    Da die meisten Mieter den Aufzug benutzten, begegnete man dem mutmaßlichen Täter überhaupt nur sehr selten. Was den Fall weiterhin so kompliziert machte, war, dass das Opfer, Margarete L. selbst diese Beziehung geheim gehalten hatte; zudem hatte die Ermordete kaum Freunde, lebte nach Aussagen einer Arbeitskollegin und einer Bekannten sehr zurückgezogen, geradezu isoliert. Keine dieser Personen hatte von der Existenz jener Wohnung Kenntnis gehabt, welche Margarete L., von Beruf Krankenschwester, von dem Geld bezahlt haben musste, das der Täter ihr gab, denn alleine hätte sie sicherlich keine zwei Wohnungen unterhalten können, ebenso den in einem anderen Stadtteil angemieteten Stellplatz in einer Tiefgarage und den Wagen, der nur dazu diente, den Täter, welcher sein Fahrzeug vermutlich dort in der Nähe abstellte, zum Ort des Treffens zu bringen. Eine solch auffällig gekleidet Person war aber auch hier nicht bemerkt worden und es erschien durchaus denkbar, dass der Täter, der nach Angaben der wenigen Zeugen stets erst nach Einbruch der Dunkelheit erschien, zuvor die Tiefgarage dazu benutzt hatte, um sich dort unbemerkt zu verkleiden, bevor er seinem Ziel entgegenfuhr. Zwar fand die Polizei einige dunkle Haare im Bad, ebenso Fingerabdrücke. Aber Spuren einer dritten Person wurden nicht gesichert, ebenso keine Notizen über Namen, Adresse und Herkunft des Unbekannten; kein Foto, kein schriftliches Zeugnis, das Aufschluss hätte geben können, keine Telefonnummer, weder in der Wohnung des Opfers, noch in der Tatwohnung, wodurch man einen Verdacht hätte bilden können; so wurde es der Polizei fast unmöglich, eine Phantomzeichnung zu veröffentlichen, anhand derer der Täter hätte identifiziert werden können.

    Was Prenner weiterhin neugierig machte, war die Tatsache, dass sein Bruder nur ein paar Häuserblocks vom Ort des Geschehens entfernt wohnte. Und nun, da seine Erinnerung durch die Vertrautheit des Ortes angeregt wurde, war es Prenner, als hätte er diese rätselhafte Gestalt sogar einmal gesehen, vor ungefähr eineinhalb Jahren, im Sommer, abends in der Dämmerung; wer an einem warmen Sommerabend einen Regenmantel und bei einbrechender Dunkelheit eine Sonnenbrille trug, musste ja auffallen. Unvorstellbar... So war er also möglicherweise einem wirklichen Mörder begegnet...

    Der Tod des Opfers war infolge eines Sturzes eingetreten, und dieser wiederum die Konsequenz eines Schlages mit einem dumpfen Gegenstand auf den Hinterkopf oder eines heftigen Stoßes gegen die Wand. Zuvor hatte es Streit gegeben, Nachbarn hatten erregte Wortwechsel gehört, später Poltern. Danach sei es still gewesen, aber niemand habe deshalb an ein Verbrechen geglaubt, Streit konnte ja schließlich vorkommen ...

    Mit der Zeit verschwand der Fall auch aus der hiesigen Zeitung, nachdem er zuerst von Seite Eins auf Drei, später auf die vorletzte Seite gewichen war; die Ermittlungen dauerten an, hieß es zuletzt.

    Prenner vergaß den Fall, obgleich nicht alltäglich, bald wieder; schließlich handelte er mit Sensationen und eine war den Leuten genauso recht wie eine andere. Sein Kiosk ging schlecht, er hatte Sorgen genug...

    Eines morgens, um neun Uhr etwa, öffnete sich lautlos das große schmiedeeiserne Gittertor, aber kein Wagen fuhr hindurch, nur Klaus Meng, der Verleger trat hinaus auf die Straße, überquerte diese vor dem Kiosk, man grüßte sich kurz; auch wenn es nur ganz selten zu einer kurzen Unterhaltung gekommen war, so war Prenner doch so etwas wie ein Nachbar, da er den größten Teil des Tages hier verbrachte, um erst nach achtzehn Uhr nach Hause zu fahren. Diesmal jedoch bemerkte Prenner fast verwundert, dass ihn etwas anrührte, als der andere an ihm vorbeiging, er konnte es sich nicht genauer erklären. Irgendetwas schien anders als sonst; Haltung, Ausdruck ... es kam ihm vor, als sei Klaus Meng geschrumpft, über Nacht; Prenner schob es auf seine Stimmung. Als der Mann später wieder vor ihm vorbeiging, fragte er sich wiederholt, was es denn nun sei; Und als jener schon längst verschwunden war, verglich er ihn unwillkürlich mit dem Phantom seiner Zeitungslektüre der vergangenen Tage: An jenen Mann, dem er glaubte, einmal begegnet zu sein. So ein Unsinn, dachte Prenner, so steht es also schon mit dir ... Sein Bruder hatte recht, so durfte es nicht mehr weitergehen. Man konnte nicht den ganzen Tag herumstehen und während der meisten Zeit nichts tun, wenn man schon allein lebte. So kam man nur auf fixe Ideen ... Der andere hatte es gut, und er? Aber Prenner wurde diese Idee nicht mehr los, warum auch immer, spielte zuerst mit ihr, tat sie dann als unsinnig ab, als vollkommen verrückt, später als Ausgeburt einer kranken Phantasie. Als er ein paar Tage danach wieder Klaus Meng vor seinem Kiosk vorbeigehen sah, beobachtete er ihn dennoch genau: die Größe des Mannes, seine Art, sich zu bewegen, die ihm sein Alter verriet, sein Gang, seine Haltung. Außerdem: wieso gerade Klaus Meng. Prenner wusste um sein gutes Personengedächtnis und dachte wiederholt: Unsinn, das kann nicht sein. Außerdem hatte er den Unbekannten - wenn dieser die fragliche Person überhaupt gewesen war - nur in dessen Verkleidung gesehen ... und doch: wenn es die Wahrheit wäre...

    Die viele unnütz vertane Zeit, viele unnütze Gedanken ...

    Vielleicht war es nur ein Gedankenspiel, um die Langeweile zu vertreiben, nicht mehr; und dennoch, es trieb ihn dazu, diese Idee weiterzuverfolgen, auszuspannen: Was wäre, wenn.

    Zur Polizei gehen? Unsinn! Aufgrund einer vagen Vermutung ... geschehen würde nichts, außer, dass der reiche Verleger von gegenüber es ihm übelnehmen würde. Was er sich im Moment gar nicht erlauben konnte. Sollte er etwa Detektiv spielen? Aber Halt: Alles Irrsinn! Außerdem: Für solche Spiele war er ohnehin zu alt.

    Doch es fraß in ihm: Geld, ..Geld hatte sein Gegenüber, viel Geld ... Prenner verbohrte sich in sein Spiel wie ein Kind in die Idee einer Eisenbahn durch das ganze Haus, doch die Vorstellung des Geldes ließ ihn nicht mehr los. Wenn er es wirklich wüsste, sich wirklich sicher sein könnte, wäre er am Ende mit ein wenig Glück alle seine Sorgen los... Glück ... Halb aus tödlich erscheinender Langeweile, halb im Fieber seiner kreisenden Gedanken, beschloss Prenner, etwas zu unternehmen; es musste sein; und sei es nur, um sich Ruhe zu verschaffen vor sich selbst; sein Plan war ganz einfach: wenn Klaus Meng wieder an seinem Kiosk vorüber käme, würde er versuchen, ihn auf die Probe zu stellen.

    Prenner musste warten, doppelt ungeduldig, zum einen, weil die Zeit ohne rechte Tätigkeit quälend langsam verging, zum anderen, weil Klaus Meng nicht erschien. Endlich, an einem Morgen Mitte Dezember, als die als die Sonne hin und wieder zwischen den Wolken hindurch brach , öffnete sich das Gittertor, und nicht der Wagen rollte hinaus auf die Straße, wie jedes Mal in den vergangenen Tagen, sondern es kam Klaus Meng, zu Fuß. Wie üblich überquerte er die Straße, um am gegenüberliegenden Flussufer zu spazieren, vor dem Kiosk. Sofort begann Prenner, am Sinn seines Unterfangens zu zweifeln und nicht nur allein daran, sondern gleichzeitig an seinem eigenen Verstand. Doch dann überfiel es ihn aufs Neue: Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Meng, grüßte Prenner, etwas ausführlicher als üblich, worauf der andere seinen Schritt verlangsamte und zu ihm herübersah.

    Guten Morgen Klaus Meng nickte.

    Haben Sie auch von dieser Sache in Z-Stadt gehört? Eine merkwürdige Geschichte, nicht wahr? Prenner versuchte, belanglos zu wirken und doch überdeutlich, sprach seinen Gegenüber direkt an. Was ging in diesem Mann vor... schien der andere überrascht? Dann glaubte Prenner zu bemerken, dass in dessen Blick etwas Lauerndes eintrat wie bei jemandem, der sich gefasst, aber dennoch etwas zu verbergen hat.

    In Z-Stadt?, fragte Klaus Meng, ohne seinen stets gleich, fast geschäftsmäßig und ordentlich wirkenden Gesichtsausdruck aufzugeben. "Tut mir leid. Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen.„ Wieder nickte Klaus Meng, scheinbar zerstreut.

    Während des Gesprächs war Klaus Meng nicht stehengeblieben, hatte kurz angebunden, geradezu unfreundlich gesprochen, alles in allem bei einer Dauer von höchstens zehn Sekunden. Dass Klaus Meng orientiert war, wäre nicht verwunderlich, hier, in der Provinz. Prenner sah ihm nach. Ging er schneller als gewöhnlich, hastiger oder geradezu: beherrschter? Prenner stellte an sich fest, dass er schwitzte. Es wurde langsam Zeit, mit diesem Spiel aufzuhören, bevor er Schaden anrichtete... Nicht Klaus Meng konnte Schuld sein, sondern nur seine Gier nach Geld, seine Sorgen, die ihn in manchen Nächten schier um den Verstand zu bringen drohten.

    Als der Verleger von seinem Spaziergang zurückkehrte, überquerte er die Straße schon oberhalb des Kioskes und ging auf der anderen Straßenseite vorbei, ohne den Blick zu ihm zu wenden.

    Sicher war es ungewöhnlich, dass er, Prenner das Gespräch eröffnet hatte. Bislang war dies Klaus Meng's Vorrecht gewesen, quasi eine huldvolle Geste. Aber dies konnte kein Grund sein, ihn auf dem Rückweg zu meiden. Denn das hatte er noch nie getan. Stets nahmen die Spaziergänge Klaus Meng's denselben Weg: vom Tor aus über die Straße am Kiosk vorbei, am Flussufer entlang und wieder zurück. Doch dies alles besagte schließlich noch gar nichts! Prenner fühlte sein Herz pochen. Konnte er überhaupt noch klare Gedanken fassen? Hatte er überhaupt noch eine andere Chance? Auch wenn die Tatzeit stimmte, an jenem Morgen, an dem der elektrische Heizofen ausfiel, Prenner erinnerte sich daher genau ... Klaus Meng kehrte normalerweise nicht erst um diese Uhrzeit zurück... sein plötzliches abweisendes Verhalten auf die Frage hin; Prenner wischte sich den Schweiß von der Stirn, atmete tief durch; doch wenn ... das viele, viele Geld; wie jemand, der beim Roulette alles auf eine einzige Zahl setzte; andererseits?

    Von diesem Standpunkt aus gesehen musste er es doch einfach versuchen: Wenn Klaus Meng der Täter

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