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Alte Rechnung
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eBook354 Seiten4 Stunden

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Über dieses E-Book

Halb erfroren wird von einem Schneeräumtrupp der österreichischen Eisenbahn ein Mann neben den Schienen im tief verschneiten Ötztal gefunden. Im Krankenhaus stellen die Ärzte neben schweren Erfrierungen auch eine Schussverletzung fest. Daraufhin wird die Polizei eingeschaltet und Kriminalhauptkommissar Anton Gerstel nimmt seine Ermittlungen auf. Der Verletzte ist einer von sechs ehemaligen Direktoren eines international operierenden IT-Konzerns, die sich nach achtzehn Jahren auf dem von einem von ihnen zu einem luxuriösen Domizil umgebauten ehemaligen Bergbauernhof getroffen hatten. Sie hatten sich so lange nicht gesehen, da ihre Freundschaft zerbrochen war, als das Unternehmen, für das sie gearbeitet hatten, mit einem anderen Konzern fusionierte. In dieser Megafusion entbrannte ein höllischer Kampf um Posten, der mit allen Mitteln geführt wurde. Nichts war tabu. Intrigen, Verleumdungen und Lügen über persönliche Verfehlungen waren an der Tagesordnung. In dieser Atmosphäre entstanden tödliche Feindschaften, denn nicht alle gehörten zu den Siegern. Ihre Wege trennten sich und einige stürzten ab. Als sie eingeladen wurden, auf den Berghof, mit dem sie schöne Erinnerungen aus alten Tagen verbanden, zu kommen, waren sie im Glauben, dass die zurückliegenden Ereignisse nach achtzehn Jahren vergessen wären. Doch das war ein Trugschluss. Auf der Hütte ging alles wieder von Neuem los. Alte Wunden brachen auf und jeder gab den anderen die Schuld, nur wegen ihrer Karriere die Freundschaft zerstört zu haben. Die ersten wollten schon wieder abreisen, als heftiges Schneetreiben sie von der Außenwelt abschnitt. Ohne Telefon, Internet, Radio oder Fernsehen waren sie auf sich alleine angewiesen. In dieser Situation passiert ein Unfall. Einer von ihnen stirbt auf unerklärliche Weise. Als der zweite stirbt glaubt keiner mehr an unglückliche Umstände und jeder verdächtigt jeden, etwas mit dem Tod der beiden früheren Freunde zu tun zu haben.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum20. Feb. 2013
ISBN9783844247275
Alte Rechnung

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    Buchvorschau

    Alte Rechnung - Erich Szelersky

    ERICH SZELERSKY

    Alte Rechnung

    Impressum

    Copyright: © 2013 Erich Szelersky
    Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin
    www.epubli.de
    Umschlaggestaltung und Satz:
    Holger Pleus
    www.re-ality.de
    ISBN 978-3-8442-4727-5
    Die Geschichte ist frei erfunden.
    Alle Namen sind fiktiv.
    Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und vom Autor nicht gewollt.

    Buch

    Halb erfroren wird von einem Schneeräumtrupp der österreichischen Eisenbahn ein Mann neben den Schienen im tief verschneiten Ötztal gefunden. Im Krankenhaus stellen die Ärzte neben schweren Erfrierungen auch eine Schussverletzung fest. Daraufhin wird die Polizei eingeschaltet und Kriminalhauptkommissar Anton Gerstel nimmt seine Ermittlungen auf. Der Verletzte ist einer von sechs ehemaligen Direktoren eines international operierenden IT-Konzerns, die sich nach achtzehn Jahren auf dem von einem von ihnen zu einem luxuriösen Domizil umgebauten ehemaligen Bergbauernhof getroffen hatten. Sie hatten sich so lange nicht gesehen, da ihre Freundschaft zerbrochen war, als das Unternehmen, für das sie gearbeitet hatten, mit einem anderen Konzern fusionierte. In dieser Megafusion entbrannte ein höllischer Kampf um Posten, der mit allen Mitteln geführt wurde. Nichts war tabu. Intrigen, Verleumdungen und Lügen über persönliche Verfehlungen waren an der Tagesordnung. In dieser Atmosphäre entstanden tödliche Feindschaften, denn nicht alle gehörten zu den Siegern. Ihre Wege trennten sich und einige stürzten ab. Als sie eingeladen wurden, auf den Berghof, mit dem sie schöne Erinnerungen aus alten Tagen verbanden, zu kommen, waren sie im Glauben, dass die zurückliegenden Ereignisse nach achtzehn Jahren vergessen wären. Doch das war ein Trugschluss. Auf der Hütte ging alles wieder von Neuem los. Alte Wunden brachen auf und jeder gab den anderen die Schuld, nur wegen ihrer Karriere die Freundschaft zerstört zu haben. Die ersten wollten schon wieder abreisen, als heftiges Schneetreiben sie von der Außenwelt abschnitt. Ohne Telefon, Internet, Radio oder Fernsehen waren sie auf sich alleine angewiesen. In dieser Situation passiert ein Unfall. Einer von ihnen stirbt auf unerklärliche Weise. Als der zweite stirbt glaubt keiner mehr an unglückliche Umstände und jeder verdächtigt jeden, etwas mit dem Tod der beiden früheren Freunde zu tun zu haben.

    In einer letzten verzweifelten Anstrengung versuchen einige, sich zu retten und mit einem Motorschlitten ins Tal zu gelangen, doch das misslingt. Jemand hat ein Interesse daran, dass keiner das Haus in den Bergen verlässt.

    Autor

    Erich Szelersky war viele Jahre im Management internationaler IT-Konzerne tätig. Mit seiner Pensionierung begann er zu schreiben. Alte Rechnung ist sein erster Roman, in dem die Abgründe der Seele im Kampf um die Karriere offenbar werden.

    Erich Szelersky

    Alte Rechnung

    Roman

    epubli

    Des Menschen grausamster Feind
    ist der Mensch.
    Johann Gottlieb Fichte

    Szenario 1992

    Die Computerbranche ist im Umbruch. Das Klima wird rauer.

    Weltweit operieren fünf IT-Großkonzerne. Darüber hinaus entstehen mit zunehmender Geschwindigkeit neue Unternehmen, die den etablierten Marktanteile streitig machen. Es entsteht ein harter Kampf um Marktpositionen. Fusionen werden unter diesem gewaltigen Druck Realität, die noch einige Jahre zuvor für unmöglich gehalten worden waren.

    Durch den Fall des Eisernen Vorhangs eröffnen sich neue Absatzmärkte.

    Advanced Semiconductor

    Corporation (ASC): amerikanischer Konzern

    56 Milliarden US $ Umsatz

    220.000 Beschäftigte

    Global Technologies

    (GlobalTech): amerikanischer Konzern

    42 Milliarden US $ Umsatz

    160.000 Beschäftigte

    Digital Computers

    Limited (DCL): britischer Konzern

    17 Milliarden US $ Umsatz

    90.000 Beschäftigte

    MicroData:

    deutscher Konzern

    15 Milliarden US $ Umsatz

    70.000 Beschäftigte

    Compagnie des

    Informatique General (CIG): französischer Konzern

    7 Milliarden US $ Umsatz

    38.000 Beschäftigte

    1992 fusionieren GlobalTech und MicroData zur United Technologies (UniTec). Dies ist bis dahin der größte Unternehmenszusammenschluss der Geschichte.

    Handelnde Personen:

    Lennart Jonsson

    Vertriebsdirektor MicroData

    USA, Kanada, United Kingdom, Skandinavien, Finnland

    Herbert Rensing

    Vertriebsdirektor MicroData

    Deutschland, Österreich, Schweiz, Osteuropa

    Reinhard Saatkamp

    Vertriebsdirektor MicroData

    Mittel- und Südamerika,

    Helmut Sikorra

    Vertriebsdirektor MicroData

    Mittlerer Osten, Südostasien, China, Japan, Australien,Russland.

    Dr. Viktor Theißen

    Leiter der Entwicklung

    Siegmund Wittenberg

    Vertriebsdirektor MicroData

    BeNeLux, Frankreich, Südeuropa, Südafrika.

    Prolog

    Hamburg 2010, Altes Speichergebäude im Hafen

    »Weck mich! Bitte, lieber Gott, mach, dass es nur ein Traum ist und lass mich aufwachen!«

    Das Flehen der jungen Frau blieb ungehört, und sie wachte auch nicht schweißgebadet auf wie sonst immer, wenn sie von ihren Albträumen gepeinigt wurde. Sie träumte nicht, denn diesmal war es kein Albtraum. Es war die ungeschönte Wirklichkeit.

    Irgendwann, wer weiß schon wann, wer vermag zu sagen, wie lange es her ist, sie konnte es nicht, war sie in dem völlig dunklen Raum wachgeworden. Sie hatte versucht, sich zu orientieren, sich zu erinnern, wie sie in ihn hineingeraten war; doch sie fand keine Antwort auf ihre Fragen.

    Was war geschehen? Wie jeden Morgen hatte sie ihr Haus in Hamburg-Eppendorf pünktlich um Viertel nach Acht verlassen, um mit ihrem Auto in die Kanzlei am Alsterufer zu fahren. Ihre letzte Erinnerung war, dass ein Fremder sie nach einem Weg fragte. Danach verblasste ihr Gedächtnis, und so sehr sie sich auch anstrengte, herauszufinden, was sich bis zu ihrem Aufwachen in diesem Loch ereignet hatte; es fiel ihr nicht ein.

    Fieberhaft suchten ihre Augen die Dunkelheit ab. Irgendwo musste doch eine Tür sein, denn wie sonst sollte sie hier hineingekommen sein. Sie suchte imaginäre Wände ab, tastete sich auf allen Vieren kriechend voran und suchte Möbel. Alles blieb ohne Erfolg. Erschöpft und mutlos sank sie in sich zusammen.

    Lebendig begraben. Als der Gedanke sie durchzuckte begann sie zu zittern. Sie war eine attraktive und erfolgreiche Frau, gehörte zur feinen Gesellschaft in Hamburg und wollte nicht sterben; noch nicht. Dazu war sie noch zu jung.

    Plötzlich sah sie einen Lichtschein, der sich auf dem Boden zu ihr in den dunklen Raum hineinschlich. Es musste einen Nebenraum geben, und von ihm drang durch die Ritze der Türe spärliches Licht zu ihr hinein, nicht ausreichend, um ihr Orientierung in der Finsternis zu geben, und doch genug, um ihr zu sagen, dass sie nicht alleine war. Irgendwer da draußen hatte sie in dieses modrige Verlies eingesperrt. Aber warum? Die Unsicherheit war das Schlimmste. Was wollte derjenige von ihr? Was hatte sie ihm getan, dass er sie so sehr ängstigte? Hatte man sie verwechselt? Ihre Gedanken überschlugen sich.

    Leise stand sie auf und tastete sich in Richtung Türe. Sie legte ihr Ohr an das Holz und horchte. Auf der anderen Seite herrschte Stille. Was, wenn niemand in dem Raum wäre, wenn sie alleine in diesem Kerker, abgeschieden von der Außenwelt und fernab von jeder Rettung elendig verrecken müsste. Erneut überkam sie Panik bei diesem Gedanken. Sie versuchte, ruhig zu bleiben, doch sie konnte ihre unendliche Verzweiflung nicht bekämpfen. Tränen schossen in ihr Gesicht. Sie trommelte mit den Fäusten gegen die Türe.

    »Lasst mich hier raus! Ich will hier raus!«

    Sie schlug so fest gegen das massive Holz, dass ihre Hände schmerzten, und als ihr Gehirn den Schmerz registrierte hörte sie erschöpft auf. Ihre Hände fielen hinunter und hingen hilflos an ihrem Körper herab. Heftiges Schluchzen ergriff von ihr Besitz. Sie wollte die Tränen unterdrücken, doch sie konnte nicht. Sie hatte Todesangst. Ermattet rutschte sie an der Wand hinunter und setzte sich auf den Boden des Raumes. Ihre Panik verschwand, und Resignation beherrschte ihre Gedanken. Was würde mit ihrem Sohn geschehen?

    Sie hatte sich um ihn gekümmert, war ihm Mutter und Vater zugleich, denn sie war nicht verheiratet.

    Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Könnte es vielleicht sein, dass sich jemand aus ihrem Arbeitsumfeld an ihr rächen wollte? Schließlich war sie Juristin und Partnerin in der auf internationales Wirtschafts- und Handelsrecht spezialisierten Kanzlei Rasmussen, von Örtgen & Theißen, die eine Reihe der renommiertesten Wirtschaftsunternehmen zu ihren Mandanten zählte.

    Frau Dr. Melanie Theißen ging ihre letzten Fälle durch. Es waren einige spektakuläre Fusionen gewesen, an denen sie mitgewirkt hatte. Durch die Heuschreckendiskussion hatte sie mit ihrer Arbeit trotz der Verschwiegenheit, mit der die Merger & Acquisition-Transaktionen durchgeführt wurden, in der öffentlichen Wahrnehmung wiederholt in der Kritik gestanden. War ihr Peiniger vielleicht einer der militanten Kritiker? Sie klopfte an ihren Kopf, doch ihr Gehirn konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ihr Herz raste unter dem Adrenalinstoß und sie spürte ihren Puls an ihren Schläfen.

    Mit einem lauten Knacken drehte sich der Schlüssel im Schloss und die Türe öffnete sich unter lautem Knarren. Von dem ungewohnten Licht war sie geblendet, und ihre Augen mussten sich zuerst an die Helligkeit gewöhnen. Im Lichtkegel der Deckenleuchte erkannte sie die Gestalt eines Mannes, der ihr zu verstehen gab, ihm in den erleuchteten Raum zu folgen. Ängstlich und zugleich ein wenig Hoffnung schöpfend folgte sie ihm. Er wies sie an, sich auf einen Stuhl zu setzen. Vor ihr stand ein Tisch, auf dem ein Blatt Papier und ein Kugelschreiber lag.

    »Schreiben Sie einen Brief. Ich diktiere Ihnen den Text.« Der Mann sprach mit einem leichten Akzent.

    »Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?«

    »Das tut hier nichts zur Sache. Wenn Sie tun, was ich Ihnen sage, wird Ihrem Sohn nichts passieren.«

    Melanie Theißen zuckte zusammen.

    »Meinem Sohn. Was haben Sie mit ihm gemacht?«

    »Ich sagte schon: Schreiben Sie, und es wird ihm nichts passieren.«

    Melanie Theißen machte keine Anstalten, den Forderungen des ihr fremden Mannes nachzukommen. Plötzlich arbeitete ihr Gehirn wieder mit der ihr angeborenen logischen Schärfe.

    »Woher weiß ich, dass Sie nicht bluffen? Ich will mit meinem Sohn sprechen.«

    »Sie haben hier keine Forderungen zu stellen. Schreiben Sie!«

    Als Melanie nicht reagierte griff der Fremde zu und zerrte sie durch die Türe in den stockfinsteren Raum. Er schleuderte sie zu Boden und ehe sie sich versehen hatte fiel die Türe ins Schloss. Melanie Theißen sprang auf und hämmerte an die Tür.

    »Ich will hier raus! Lassen Sie mich hier raus!«

    Sie schluchzte. Dann stieg Wut in ihr auf. Sie trommelte mit ihrer ganzen Kraft gegen die Türe, doch sie öffnete sich nicht. Plötzlich erlosch das Licht im Nebenraum und Melanie Theißen befand sich wieder in absoluter Finsternis. Verzweifelt sank sie in sich zusammen und weinte. Eine Panikattacke jagte die nächste und ihr Kampfeswillen schwand.

    Allmählich verlor sie jedes Gefühl für Raum und Zeit. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als das Licht im Nebenzimmer wieder anging.

    »Hören Sie mich?« Sie hörte die Stimme des Mannes aus dem Nebenraum.

    »Hören Sie mich?«

    »Ja.«

    »Dann hören Sie gut zu.«

    Sie trat näher an die Türe, um die Stimme ihres Peinigers besser verstehen zu können. Was sie vernahm ließ ihr Blut in den Adern erfrieren. Es war die Stimme ihres Sohnes, der sie anflehte, ihm zu helfen.

    »Tobias! Tobias. Was haben sie mit Dir gemacht?«

    Tobias antwortete nicht. Stattdessen öffnete sich die Türe. Melanie stürzte hinaus und suchte ihren Sohn, doch außer dem Fremden war niemand im Raum.

    »Wo ist mein Sohn?«

    Der Fremde sagte nichts. Er zeigte ihr nur ein Tonbandgerät, das er in Händen hielt.

    »Gut aufgehoben, Frau Dr. Theißen.«

    Dann wies er ihr den Stuhl am Tisch.

    »Schreiben Sie.«

    »Melanie Theißen war unschlüssig.

    »Wenn Sie den Brief schreiben werden wir Ihren Sohn freilassen.«

    Melanie nahm den Kugelschreiber.

    »Was soll ich schreiben?«

    Der Fremde diktierte ihr einen Brief. Als sie fertig war nahm er den Briefbogen an sich und las sorgfältig die Zeilen, die Melanie Theißen geschrieben hatte. Er schien zufrieden.

    »Und? Lassen Sie jetzt meinen Sohn frei?«

    Der Fremde nickte.

    »Kommen Sie. Ich bringe Sie nach Hause.«

    Melanie Theißen fasste ein wenig neuen Mut. Als sie nach draußen kamen war es schon dunkel. Nach einer Viertelstunde erreichten sie Melanie Theißens Haus.

    »Ist mein Sohn schon zu Hause?«

    »Noch nicht. Wir haben noch etwas zu erledigen.«

    Ängstlich folgte sie ihm in ihr Haus. Als sie im Wohnzimmer waren forderte er sie auf, auf einen Stuhl zu steigen.

    »Ich kann Sie leider nicht frei lassen.«

    Er nahm einen Strick, der an der Decke befestigt war, und legte ihn um ihren Hals. Paralysiert von dem, was gerade mit ihr geschah, reagierte sie nicht. Dann stieß er den Stuhl um.

    In dem abschließenden kriminaltechnischen Untersuchungsbericht stand, dass Frau Dr. Melanie Theißen durch Erhängen zu Tode gekommen war. Da keine Hinweise auf äußere Gewaltanwendung festgestellt werden konnten, wurde auf Selbstmord als Todesursache erkannt. Daraufhin stellten die Untersuchungsbehörden die Ermittlungen ein.

    Der Tod der jungen Frau erregte die Öffentlichkeit und war über einige Tage Thema der Medien in der Hansestadt Hamburg. Ihr Vater, Herr Dr. Viktor Theißen, emeritierter Professor der Technischen Hochschule Aachen und jahrelanger Topmanager eines internationalen Großkonzerns, hat sie tot aufgefunden.

    Melanie Theißen hinterlässt einen fast erwachsenen Sohn.

    Innsbruck

    Tiroler Landeskrankenanstalten, 12. Dezember 2010

    Allmählich kam ich wieder zu Bewusstsein. In meinem Kopf hämmerte es, als ob ein Schnellzug über die Gleise von Malmö nach Stockholm rasen würde. Alles drehte sich vor meinen Augen. Wo war ich? Was war geschehen? Verschwommene Fragmente einer Erinnerung geisterten in meinem Gehirn umher. Ich lag auf dem Rücken und konnte mich nicht rühren. In meinem Handrücken steckte eine Nadel mit dem Schlauch für eine Infusion. Als ich mich ein wenig auf die Seite drehen wollte durchzuckte ein stechender Schmerz meinen linken Arm. Vor meinen Augen lag ein trüber Schleier, durch den das kalkweiße Licht einer Lampe schien. Köpfe waren über mich gebeugt. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten. Ich schloss die Augen und drehte meinen Kopf vorsichtig zur Seite.

    Wie lange mochte ich hier schon liegen? Verzweifelt versuchte ich mich zu erinnern, aber so sehr ich mich auch anstrengte, irgendetwas blockierte mein Gehirn. Ich wusste nicht, wo ich war, und es fiel mir auch nicht ein, wie ich an diesen Ort gekommen war.

    »Herr Jonsson; hören Sie mich?« Jonsson; das war ich. Lennart Jonsson, schwedischer Staatsbürger, siebzig Jahre alt. Irritiert nickte ich mit dem Kopf, ließ es aber sofort wieder, weil mir der Kopf zu platzen drohte.

    »Herr Jonsson; Können Sie mich hören und sehen?«

    Vorsichtig öffnete ich die Augen. Der milchige Schleier verstellte mir den klaren Blick auf die Person, die mich angesprochen hatte.

    Eine Hand winkte hinter dem Milchschleier vor meinen Augen herum. Mit größter Mühe versuchte ich zu antworten, doch es kam nur ein gequältes Ja aus mir heraus.

    Aus dem einen Kopf wurden langsam mehrere, und alle starrten mich an.

    »Wo bin ich?«

    Die Köpfe kümmerten sich nicht um meine Frage.

    »Sie können mich hören, Herr Jonsson. Können Sie mich auch sehen?«

    »Ja. Wo bin ich?«

    »Im Krankenhaus. Wir kümmern uns um Sie. Machen Sie sich keine Sorgen.«

    »Warum bin ich hier?«

    »Sie hatten einen Unfall, Herr Jonsson.«

    »Einen Unfall?«

    »Ja, einen Unfall.«

    »Was für einen Unfall?« Ich war verwirrt. Mit der Hand, in der keine Nadel steckte, rieb ich mir über die Augen.

    »Ich kann nicht richtig sehen?«

    »Das kommt schon noch. Sie haben lange geschlafen.«

    »Warum?«

    »Das besprechen wir später. Schlafen Sie jetzt wieder. Wir kommen wieder, und dann geht es Ihnen bestimmt schon wieder besser.«

    Düsseldorf-Oberkassel

    Penthaus 8. August 2010

    Er hatte es geschafft. Helmut Sikorra stand auf der Terrasse seines Penthauses in Düsseldorf-Oberkassel und schaute über den Rhein auf die Silhouette der Düsseldorfer Altstadt. Er liebte es, sonntags morgens auf die noch verschlafene Altstadt zu schauen und den Glocken von St. Andreas, St. Maximilian oder der sich vor den Touristen etwas verschämt versteckenden Neanderkirche zuzuhören.

    Besonders liebte er die Neanderkirche. In ihr wurde er konfirmiert, hier wurden seine beiden Kinder getauft, und in ihr hatte er seine große Jugendliebe geheiratet. Das war vor achtunddreißig Jahren; lange her. Er hätte sich gewünscht, dass seine in dieser Kirche geschlossene Ehe unter einem glücklicheren Stern gestanden hätte, aber das hatte sie nicht.

    Helmut Sikorra engagierte sich im Freundeskreis für Musik in der Kirche. Für den Erhalt der Barockkirche, die von evangelischen Christen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts errichtet worden war, und für die musikalischen Veranstaltungen, die in ihr stattfanden, spendete er viel Geld. Sikorra war nicht sehr religiös, aber für ihn war dies ein Beitrag, dass sich das künstlerische Leben in der Stadt auch im Umfeld dieser Kirche weiter entwickelte.

    Hätte man ihn gefragt, was ihm an der Neanderkirche so sehr gefiel, wäre Helmut Sikorra vielleicht die Antwort schuldig geblieben, doch wer ihn kannte wusste, dass es die, für eine in der Blütezeit des Barock entstandene Kirche, ungewöhnliche Schlichtheit war, die ihm gefiel.

    Es entsprach seinem Naturell, nicht mit Wohlstand zu protzen, und deshalb liebte er diese kleine Kirche, die vor mehr als dreihundert Jahren nur in einem Innenhof gebaut werden durfte, weil der römisch-katholische Landesherr eine protestantische Kirche versteckt wissen wollte.

    Erst die Zerstörungen des zweiten Weltkrieges haben die Kirche stärker ins Blickfeld der Menschen gerückt. Wie durch ein Wunder hatte sie den Krieg annähernd unbeschadet überstanden, während die sie umgebenden Häuser dem Bombenhagel zum Opfer gefallen waren.

    Als die Glocken verklungen waren, ging Helmut Sikorra zurück in seine Wohnung und begann den Tag. Seit sieben Jahren war er ein vermögender Pensionär. Vorher war er ein vermögender Manager gewesen, bis er seinen Vertrag als Vorstand eines internationalen Konzerns nicht mehr verlängerte. Für viele war es unverständlich, dass er seinen gut dotierten Job aufgab, obwohl der Vertrag erneut verlängert werden sollte. Sikorra hat über die Motive für seine Entscheidung nie gesprochen. Eine große Verabschiedungszeremonie lehnte er ab. Von seinen engsten Mitarbeitern verabschiedete er sich persönlich, und in einer Videobotschaft an die Belegschaft gab er sein Ausscheiden aus dem Unternehmen, das er als das weltweit beste, innovativste und zukunftsorientierteste der IT-Branche bezeichnete, bekannt. Als er am Ende seiner kurzen Rede erklärte, mit ruhigem Gewissen in den Ruhestand zu gehen, weil er die UniTec in den Händen der Besten ihres Faches wisse, jubelten ihm Tausende Mitarbeiter in der ganzen Welt zu, die seine Abschiedsworte auf riesigen Videowänden mit verfolgten.

    Mit seiner neu gewonnenen Freiheit ging Helmut Sikorra sehr bewusst um. Er kümmerte sich um seine Hobbies und versuchte, das zerrüttete Verhältnis zu seinen Töchtern in Ordnung zu bringen.

    Er hatte alles, was er brauchte. Geld, ein Haus in einer der besten Lagen Düsseldorfs, ein Anwesen in den Bergen oberhalb eines der schönsten Skigebiete Österreichs, einen eigenen Hubschrauber, den er selbst flog, seit er vor acht Jahren die Lizenz erworben hatte, und ein Liebesverhältnis mit einer fünfundzwanzig Jahre jüngeren Frau, das so lange völlig unproblematisch für ihn war, solange er sie mehr mit seiner finanziellen Großzügigkeit als mit seiner Warmherzigkeit bediente. Das lag ihm auch näher, denn warmherzig war er nicht. Helmut Sikorra brauchte keine Zuneigung, und er verbreitete auch keine Wärme.

    Seine Frau hatte ihr Leben lang darunter gelitten, dass er sich für sie nur am Rande interessierte, und seine beiden Töchter machten sich bald nach dem Abitur aus dem Staub. Eine studierte an der Sorbonne in Paris, die andere lebte im Sommer an der Cote d`Azur und im Winter in St. Moritz. Keiner wusste so recht, womit sie ihr Geld verdiente. Es hieß, sie sei eine erfolgreiche Geschäftsfrau.

    Helmut Sikorra war viel unterwegs gewesen. Es hatte ihn nicht gestört, wenn er wochenlang von seiner Familie nichts hörte. Er ging auf eine Geschäftsreise und kam irgendwann wieder zurück. Anfangs hatte seine Frau ihn noch gefragt, wann er denn voraussichtlich wieder zurück wäre. Als er darauf unbestimmt antwortete und sich nie an einen möglichen Termin hielt, wurde ihr klar, dass er ihr nicht sagen wollte, wann er wieder zurück sein würde. Helmut Sikorra hielt dieses Verhalten für einen Teil seiner persönlichen Freiheit.

    Jetzt, nach seiner Pensionierung, wenn er auf der Terrasse stand und über den Rhein den Glocken zuhörte, kamen ihm manchmal Zweifel, er könnte vielleicht auf einen wesentlichen Teil seines Lebens leichtfertig verzichtet haben. Meistens schüttelte er sich dann, so als wollte er diesen Anflug von Sentimentalität abschütteln. Er hasste diese Gefühle. Sie waren für ihn ein Zeichen von Schwäche, und wenn Helmut Sikorra etwas hasste, dann war es Schwäche. Sein Leben lang hatte er sich nach oben geboxt. Dazu bedurfte es neben geistiger Flexibilität und eloquentem Umgang Disziplin und erbarmungsloser Härte. Sikorra glaubte daran. Sein Leben lang folgte er dieser Überzeugung, denn nach seiner Vorstellung konnte man ohne diese Eigenschaften keine Karriere machen.

    Erst im Alter, in der Ruhe, abseits von Erfolgsstreben, Machtausdehnung und Argwohn gegenüber potentiellen Wettbewerbern, denen er dieselben rüden Methoden unterstellte, überkamen ihn schon mal Zweifel. Meistens geschah dies, wenn ihm ohne irgendeinen besonderen Anlass Geschehnisse einfielen, die er schon längst verdrängt hatte. Dann konnte es auch schon einmal vorkommen, dass er Mitleid für seine Frau empfand.

    Für Frau Sikorra entwickelte sich das Leben mit Helmut Sikorra zu einer Qual. Sie hatte Helmut einmal sehr geliebt. Sie mochte seine direkte Art, seinen Humor, seine lebensbejahende Fröhlichkeit, und sie bewunderte sein Durchsetzungsvermögen. Es gab nie eine Situation, in der sie Angst hatte, wenn er in ihrer Nähe war; aber im Laufe der Jahre ihrer Ehe änderte sich ihre Einstellung zu ihm. Er vernachlässigte sie immer mehr, und das merkte sie.

    Sie suchte nach einem Ausgleich, wenn er unterwegs war, und das kam immer häufiger vor. Ein guter Freund half ihr, wieder als Fotografin zu arbeiten, und sie war recht erfolgreich. Sie richtete sich ein Atelier ein. Geld war vorhanden, und Helmut war nicht geizig, doch alle Bemühungen, ihn für ihre Arbeit zu interessieren, blieben erfolglos. Helmut Sikorra lehnte sie und ihre Leistungen nicht ab. Es war für sie schlimmer. Er ignorierte sie einfach.

    Helmut Sikorra war nach der Fusion der MicroData mit der Global Technologies zum Vorstand der neuen United Technologies aufgestiegen, einem international tätigen Technologiekonzern. Dieser Job forderte ihn und erforderte seine gesamte Aufmerksamkeit. Es kam für sie auch nicht überraschend, dass er ihr eines Tages eröffnete, auszuziehen, und eine Wohnung in Düsseldorf zu nehmen. Sie nahm das zur Kenntnis. Was blieb ihr auch anderes übrig, doch insgeheim litt sie sehr darunter, dass ihre Ehe gescheitert war. Immer öfter tröstete sie sich mit Alkohol. Sikorra blieb dies nicht verborgen, doch je mehr sie trank desto mehr stieß sie ihn ab, und desto weiter entfernte er sich von ihr. Als dann die Töchter das Haus in Bad Homburg verließen, erlitt sie einen Nervenzusammenbruch und verbrachte mehrere Wochen in der Klinik.

    Nach ihrer Entlassung arbeitete sie eine Zeit lang als freie Fotoreporterin. Dies wurde ihr aber nach einer Weile zu uninteressant. Sie wollte nicht länger auf den Schuss eines Fotos warten, das es auf die Titelseiten der internationalen Magazine schaffte und sie mit einem Schlag berühmt machen würde. Ein solches Foto könnte sie über Nacht wohlhabend machen und ihr damit die finanzielle Unabhängigkeit von ihrem Ehemann bringen, doch sie gab diese Art von Fotografie auf und wurde wieder künstlerisch tätig.

    Ihre Arbeit lenkte sie von ihren Sorgen ab, und ein Jugendfreund bestärkte sie in ihrem Schaffen.

    Zwei Jahre später bekam sie ihre erste Fotoausstellung. In ihrer ersten Freude schickte sie Helmut eine Einladung.

    Am Tag der Eröffnung war sie sehr nervös. Ihre Gedanken kreisten darum, ob Helmut käme. Sie hoffte darauf, denn die öffentliche Anerkennung war ihr nicht so wichtig wie die persönliche Meinung ihres Mannes. Die Ausstellung war ein Riesenerfolg. Die Presse überschlug sich in ihrem Lob. Sie wurde gefeiert; aber Helmut war nicht gekommen.

    Noch in der Nacht ihres bis dahin größten Erfolges und zugleich auch ihrer schlimmsten Enttäuschung entschloss sie sich, neu anzufangen. Als sie die Scheidung einreichte, akzeptierte er ausdruckslos ihre Bedingungen. Wahrscheinlich hatte er mit größeren finanziellen Forderungen gerechnet, doch für so etwas war sie sich zu schade. Und sie brauchte seine finanzielle Unterstützung bald auch nicht mehr. Sie hatte sich von ihm abgenabelt; in jeder Beziehung.

    Helmut Sikorra trank einen Espresso. Alte Geschichten fielen ihm wieder ein. Vor allem dachte er an die Menschen aus seiner Zeit

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