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neukunst oder der Maulwurf
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eBook354 Seiten5 Stunden

neukunst oder der Maulwurf

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Über dieses E-Book

Philip Reissnagel, ein Wissenschaftler, wohnt nach beendetem Arbeitsleben mit seiner lebhaften Ehehälfte Marina in einem Mietshaus am Rande einer größeren Stadt. Neugierig besucht er die Vernissage einer Ausstellung der Gegenwartskunst - für ihn ein aufwühlendes Erlebnis. Er vergleicht mit seinen - aus früheren Zeiten stammenden - Vorstellungen von Kunst. Im Anschluss an einen Französischkurs kommt es mit den Teilnehmer/inne/n zu einer Diskussion in einer Kneipe. Anlass ist ein malendes `Wunderkind`. Mit der Lehrerin Mireille, einer Autodidaktin in Sachen bildender Kunst, verabredet er einen Besuch in deren `Atelier`, einem Keller in einem benachbarten Dorf. Auch der Partner von Mireille, Jean - ein Exzentriker auch in Sachen Kunst - ist dabei. Das Gespräch ist erlebnisreich. Lieselott, eine Freundin von Marina taucht auf. Ihr derzeitiger Partner, `der Toni`, ist ein erfolgreicher international sich bewegender Galerist. An der Hand hat er auch einen aufstrebenden Künstlerstar aus den USA, der in der Fabrik - und zukünftigen Kultur - Halle der Stadt eine riesige Installation aufgebaut hat. Die bricht allerdings anlässlich der Vernissage zusammen. Philip hat dafür eine plausible Erklärung. Der Star bricht nach diesem `Unfall` dann keineswegs auch zusammen, sondern erklärt das Ganze als durchaus beabsichtigte `Performance`: mit einem Blick auf alljährliche Performance - Gedenkfeiern, einschließlich Videos und einem Modell des Zusammenbruchs. In der Zeitung erscheint dazu dann ein Interview des Kulturreferenten. Bei einer Abendparty auf dem Balkon bei Philip und Marina, zu der auch Mireille und Jean eingeladen sind, berichtet Lieselott von ihren vielfältig bunten Erlebnissen bei Messen und Künstlerparties mit Kunstsammlern. Um den Gegebenheiten tiefer nachzugehen verfasst Philip einen größeren Essay, in dem er auch das Modell eines einsichtigen Bewertungskatalogs vorschlägt.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum16. Juli 2014
ISBN9783847697701
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    Buchvorschau

    neukunst oder der Maulwurf - Dr. Wolfgang Mehringer

    neukunst

    Wolfgang Mehringer

    neukunst

    oder

    Der Maulwurf

    ROMAN

    1 Die Erschütterung

    Philip Reissnagel war ein gutmütiger Typ, wie man so sagt. Er entstammte einer Beamtenfamilie, und eigentlich schien es sich nicht zu lohnen, ihn näher zu beschreiben. Er war Wissenschaftler in einer ziemlich untergeordneten Position gewesen und war seit langem mit Marina verheiratet. Eine Tochter – mit Familie – war engagiert und erfolgreich in ihrem Berufsleben. Mit Marina lebte Philip in einer Mietwohnung am Rande einer kleineren Großstadt.

    Er konnte es sich nicht recht erklären, wieso es dazu kam Bei der Lektüre der Morgenzeitung war er an einem Satzfetzen oder vielmehr dem Anfang eines Satzes hängen geblieben Er hatte diesen . Satz dann mehrmals gelesen und dabei vergeblich nach einem Verständnis oder irgend einer klaren Vorstellung gerungen.- „Wie Dalira Kuras-Biele exerzitiv und rigoros das figurativ - transzendierende überwindet und dabei stringent leuchtendes verschwimmen lässt---„ - hatte dies nun stringent auf irgendeine Ecke seines Gehirns zugegriffen, Sollte er in dieser (angekündigten) Kunstausstellung tatsächlich solches oder ähnliches erfahren können?! – bei seiner, wie er meinte, doch sehr nüchternen Natur! Marina lächelte, als er den Satzfetzen zitierte. Nein, sie ginge da nicht hin. Sie hätte mit ihrer Freundin Aschra, jetzt wieder Lieselott, schon zu viel von diesem Zeugs erlebt. Er solle sich das aber ruhig mal ansehen - bei der Vernissage am besten. „Vernissage? - ajaa, bei der Eröffnung der Ausstellung halt, mit ihrem ganzen drum und dran. Um Ausstellungen moderner Kunst hatte sich Philip seit ihrer gemeinsamen Münchner Zeit, nicht mehr gekümmert, sie, besser gesagt, auch nicht sehen wollen. Im Rückblick standen ihm da immer noch irgendwelche schauerlichen „Schmierereien und „Farbklexorgien" vor Augen. Aber doch! - da hat sich vieles geändert. Marina lachte.

    Bei seiner Rückkehr von der Ausstellung war ihm wenig anzumerken. Leere Räume, sagte er fast tonlos. Das kenn ich, bemerkte Marina. Ein Raum aber war voll, vollgestopft mit Menschen. Dieser Raum, mit den bereits geleerten Weinflaschen und einigen wenigen noch verbliebenen Lachsbrötchen. Davon wollte er später noch erzählen. Zunächst mal seine Eindrücke von dem sehr sehr wenigen, das er in den leeren Räumen vorgefunden hätte. Da war dieser „Operationssaal. Das heißt, aus diesem Saal waren bereits alle medizinischen Geräte entfernt worden, nur der „Operationsmüll sei noch verstreut in einer Ecke gelegen. Binden, Spritzen, viel weißes Zeug - zum Glück das meiste ohne Blutflecken. Und - fragte Marina - wie sie diesen Haufen künstlerisch geadelt haben, hast du das dann gelesen? Bei diesem Haufen noch nicht, sagte Philip. Er zog einen bunten Packen gefalteter Papiere aus seiner Jackentasche. Marina nahm sie an sich und begann aus einem der Blätter vorzulesen: „Die weißen Brücken, die uns übersetzen in das fern bewusst Bewegte, treiben überständig neben der Ideenflut. Dem Künstler geht es neben der Vorstellung" - - - Genug! - Philips Tonfall bedurfte keiner Interpretation. Und danke. Dessen Vorstellung (Philip wurde ein wenig heftig) - geht - mich - aber - überhaupt - nichts an! Was er da denkt, fühlt oder sagt! Hör dir das da an (Er entfaltete eines der bunten Papiere

    ) – und frag mich dann, was ich gesehen haben könnte: „Alles Persönliche ist aus der Zeit herausgehoben. Wir finden dabei eine Identifizierung mit dem sehr Konkreten des hier und heute Abstrahierten. Einzigartig ist dabei die Übertragung der abstrakten Form in die

    materielle Behandlung im Figurativen. Die Vermittlung ist dabei auch besonders transparent, denn die Unschärfe in diesem Spannungsfeld ist nicht auflösbar, als eine Symbiose zwischen dem Figurativen und der zum Raum gewordenen Form". Stopp, und so weiter. Philip blickte Marina ironisch an. Marina gab sich unbeeindruckt. Alles Mögliche kann das sein, meinte sie trocken. Nichts erraten also! Philip freute sich. Zur Auflösung des Rätsels; Es handelt sich um einige wirklich sehr schlichte Portraitzeichnungen - und auch wenn ich etwas überheblich sein sollte; jede begabte Schülerin aus der zehnten Klasse könnte das so - oder sogar erheblich besser - hinbringen. Der

    Clou - hahaha! - ist dann eine schwach farbige Kreisscheibe, die einen Teil des Gesichts überdeckt. Fertig - - - 7,8,9 - aus! Eine Pause, beide lachten. Vielleicht auch mehr zum Gähnen, meinte Philip. Wie Du`s schon beschworen hast, unterbrach ihn Marina, kann es uns denn nicht ganz wurscht sein, was eine Künstlerin mit ihrem Werk im Sinn hat? Philip war am überlegen, Ja, sicher, ja doch - ich meine allermeistens. Wem gefallen nicht die Höhlenmalereien aus der Steinzeit? - und wir wissen dabei absolut, oder eben fast nix darüber, warum das gemalt wurde! Oder glaubst du, dass mich das am Ende doch noch faszinieren könnte, wenn einer malt wie im Kindergarten, aber alle Bilder verkehrt rum aufhängt – und mir dann geheimnisvoll ins Ohr raunt, weshalb er das so macht?!

    Marina lachte. Kunst ist eben Ausdruck der Zeit - hab ich mal in der Schule gelernt. Das passt doch - oder? Philip war empört. Und das soll dann noch Kunst sein?! Marina blieb hartnäckig bei ihrer Meinung. Das ist - das ist - - -. Philip war im Moment tatsächlich sprachlos (was nur selten vorkam), Du hast recht, sagte er dann. Es wird nur gelabert, gelästert, oder aber - sophisticated – irgend so was wie ein Lob dahingehudelt, Aber - ja! - wir müssten das - mit klaren Worten, also mit bestimmten, mit vernünftigen Kriterien, sag ich mal, behandeln, bewerten können. Ich werd mich da - mmhh - ein bisschen drum kümmern. Er blickte dabei reichlich verunsichert drein. Marina erlöste ihn. Du wolltest ja noch was von den anderen Kunstwerken - - -. Philip nahm diese Erleichterung dankbar an.

    Also, in einem dieser doch ziemlich großen Räume lag - ein großer runder Stein; und darüber, aufgehängt an der Decke, schon irgendwie kunstvoll gemacht, schwebend, ein weißes Tuch. Marina frotzelte ihn; Du warst da dann doch ein bi0chen begeistert? Er suchte zu relativieren. Das war sicher kein - - unerfreuliches Bild, im Gegensatz zum chirurgischen Müll. Und, weil du ja doch ein gewisses Faible für die künstlerischen Intentionen zu haben scheinst - möglicherweise hat dich dabei die Lieselott beeinflusst - da, bei diesem Kunstwerk, so nenn ich`s mal, scheint’s mir klar zu zu sein. Es geht darum, den Gegensatz empfinden zu lassen zwischen gewichtigen Dingen und den anderen, leichten. Wenigstens damit, meinte Marina, konntest du endlich mal was anfangen. Aber, hast du dann dazu auch noch den Beipack - Zettel gelesen? Eben! - sagte Philip. Was soll das? Diese Installation, so könnte man`s vielleicht nennen, hat mich bei all ihrer Schlichtheit klar angesprochen. Alles andere, sicher, als ein großes Kunstwerk - -. Marina lachte. Hast du nicht gerade eben vom „labern gesprochen?! Aber, du willst ja noch auf die Jagd nach Kriterien gehen, oder? Philip lächelte - fast verschämt, zugleich aber auch verschmitzt. Wohl zu meinem Glück hab ich in diesem Fall, wie auch sonst meistens, den Beipack - Zettel, wie du ihn nennst, nicht gelesen. Und bin auch keinem Zwang unterlegen, mich bei diesem, sagen wir halt mal Kunstwerk, meditativen Exerzitien zu unterwerfen. Ich bin also relativ schnell in den nächsten Raum gegangen. Bilder einer Ausstellung, komponiert von Philip Reissnagel, lachte Marina. Auch Philip musste lachen. Da waren also zwei junge Damen, beschäftigt mit solchen Exerzitien. Das heißt, sie saßen am Boden und blickten gebannt auf einen Lichtfleck, der auf eine Wand projiziert wurde. Dieser Lichtfleck bewegte sich langsam, langsam ein wenig zur Seite, und dann wieder zurück. Das Tolle dabei war dann, dass er auch irgendwann einmal seine Farbe änderte. Ich habe nicht gewartet, etwa um herauszufinden, in welchem Rhythmus das nun passiert oder welche Farben da noch auftauchen würden. Für die zwei Damen anscheinend tatsächlich ein Mysterium. Tatsächlich? Marinas Tonfall war eindeutig spöttisch. Philip lächelte. Es wurde ihm also klar gemacht, dass man sich bei einer solchen Beurteilung doch sehr irren konnte. Er sagte dann nur; Für mich jedenfalls nicht, mit oder ohne Beipack - Zettel .Im nächsten Raum gab’s dann noch einiges mehr - zu meiner Ernüchterung: zwei - oder waren es drei? - größere Bilder. Ich bin geflüchtet, obwohl nichts Schreckerregendes zu sehen war, allerdings wirklich ungemein langweilige eckige Muster. Marina hatte in den Zetteln herumgeblättert. Da! - sagte sie und begann vorzulesen: Die Muster erscheinen materialisiert, ohne dies jedoch preiszugeben. Es scheint einen Weg durch die Geschichte zu nehmen - undurchsichtig und dem Unbewussten nahe. Und so weiter. Du hättest also doch auch hier wieder meditieren sollen! - - Es klang ziemlich frech, wie Marina das sagte. Irgendwas hat sie im Hinterkopf, dachte er. Denn ihr Lächeln dabei - -. Also gut, im nächsten Raum dann, die nächste Flucht? Kein Grund, mich Provoziert zu fühlen, dachte Philip und erzählte weiter: Ein kurzer Stopp mit einem Blick auf ein paar Ornamente - farbig? - nein, schwarz-weiß, irgendwelche Kreise, mit ein paar Spitzen dran.- - . Bitte nichts aus dem Beipack!! Nächster Raum, eine Wand voll mit Buchstaben, Wörtern, Sätzen, groß und klein, englisch, ein irres Kauderwelsch, völlig unverständlich. Im nächsten Saal ein großer Sandkasten mit Collagen, irgendwelches drauf gepapptes Zeug, ein helles zerrissenes Foto dabei, Strichmännchen artige Figuren, auch mal ein Farbklex dazwischen. Marina fing wieder vorzulesen: Die Künstlerin arbeitet an den Facetten der Vieldeutigkeit des Sandes, seinen strukturellen Metamorphosen, die sie von der Aura des Kosmischen überwölbt sieht. Dabei lässt sie Bezüge zur alltäglichen Wahrnehmung, soweit sie unser Bewusstsein erreichen - . Ja, das reicht. Philip unterbrach sie. Ich hab mich von dieser Öde verabschiedet. - Marina kam in Fahrt; Das geht wieder in die Richtung von Gelaber. Dazu möchte ich - später noch verschiedenes sagen. Aber du verstehst jetzt mein Desinteresse an solchen Ausstellungen! Philip suchte sich zu verteidigen. Öde! - oder wie sollt ich’s denn sonst nennen? - das Gefühl zunächst, die Enttäuschung auch. Man erwartet ja doch irgendetwas - Was?? (Marina war sehr gespannt) - so etwas wie (Philip kämpfte hart mit Gedanken und Formulierungen) - wie einen Zusammenhang mit all dem, was man in der Kunst - in der Kunst von Jahrtausenden! - so gesehen hat. Wobei man irgendwie gestaunt hat, sich gefreut hat, dabei das Können - ja, das Können in den Kunstwerken gespürt hat. - - . Okay, dann bin ich mitten hinein, in die Feier, in die volle Stube, wo diese Ausstellung - ja doch! - wie es mir schien, gefeiert wurde. - - . Wie es dir schien? Marinas Unterton war wieder etwas spöttisch. Philip überlegte einen Moment. - . Erwartet hatte ich - einen Bezug zu dieser Ausstellung, irgendwelche Diskussionsrunden in irgendwelchen Ecken. Eigentlich hätte dazu doch auch noch die eine oder andere Gruppe vor den Exponaten der Ausstellung stehen können – oder sollen?! Nix von alledem! Ein „Event eben, den man feierte. Dass dabei irgendwie auch Kunst mit im Spiel war - oder sein sollte, sein sollte! - war an diesem Künstlermaskenfest, so möchte ich`s mal nennen, dann doch nicht zu verkennen. Hüte, Schals, kunstvolle bunte Kleider, Bärte, Pullover, Schminke, verwegen bis riskant. Auch gab es ein paar ausgezehrt - griesgrämige Gesichter - dabei vermutlich echte Künstlerinnen und Künstler. Marina lachte. Die richtige Gesellschaft für dich! Philip lächelte. Kam mir in meinem simplen Aufzug - Jeans und Pullover hattest du mir geraten - zum Glück nicht völlig deplatziert vor - konnte unbemerkt , sozusagen, an den vielen mir völlig unbekannten Gruppierungen, die Leute meine ich, vorbeischlendern und ein bisschen mithören. Nein! - nichts wurde hier diskutiert. Gelächter, freudiges Jauchzen, ernste Empfehlungen: das sollten Sie sich mal ansehen! - wirklich toll! - also wir machen das jedes Jahr – und so weiter und so weiter. Auch ein paar Einsame standen herum, mit ziemlich leerem Blick, teilweise, oder auch erwartungsvoll in irgendeiner Hinsicht. Philip machte eine Pause. - - . Ja - und Wein trinken, in winzigen Schlückchen, war noch die Pflicht, oder zumindest, sich an einem Glas festzuhalten. Ja, weshalb trinken die Leute? Man weiß, ein Zeremoniell beim Zusammensein. Mehr noch! Die Bestätigung fürs Zusammengehörigsein! Das war’s wohl. Und noch ganz schlicht - hier gab’s die Möglichkeit, eine Party zu feiern ohne eingeladen zu sein. Zunächst hatte ich auch gedacht, diese Leute wären alle vor den Werken der Ausstellung geflüchtet, so wie ich. Einige vielleicht schon auch. Andere könnten mit halb geschlossenen Augen durch die Räume getappt sein. Wenn ich mal versuche, diese Show irgendwie zu verstehen - - die künstlerische Uniformierung, die uniformen kunstvollen Gebärden - -. Jede und jeder ist hier eben Künstlerin und Künstler und man ist dabei unter seinesgleichen. Anders als die Masse draußen. Und alle sind jung, besonders die Alten. Mehrere Wunder sozusagen gleichzeitig - Kunst wird zum Erlebnis! Bleibt die Frage: Was. ist der Grund für die Magie des Wortes - des Wortes! - Kunst? Erkennbar als ein Klebstoff, der einige Fetzen unserer Gesellschaft zusammenbringt. In der Ausstellung für einen Moment - wie anderswo neben dem Fußballplatz, Wir sind wieder - eine Steinzeitmenschengruppe!

    Hübsch - da ist was dran, meinte Marina. Mir fällt da noch was andres ein. Erinnerst du dich noch an die Geschichte? - die ging etwa so Es war einmal eine Ministerpräsidentin, die liebte es sehr, sich abwechslungsreich in phantasievollen, insbesondere auch bunten Kleidern zu zeigen. Und jeden Tag zog sie verschiedenes neues an. Eines Tages kamen zu ihr einige Fachleute und teilten ihr mit, sie hätten, extra auch für sie, etwas ganz tolles entwickelt. Mittels einer neuen Technologie sei es ihnen gelungen, „Psychotex zu weben. Das sei ein Stoff mit völlig ungeahnten Möglichkeiten, insbesondere auch zur künstlerischen Gestaltung. Das tollste dabei wäre aber dann gerade noch folgendes. Die mit Psychotex hergestellte Bekleidung wäre für alle diejenigen unsichtbar, die in ihrem Amt nichts taugten! Die Präsidentin war begeistert. Denn sie erkannte sofort, dass ihr damit die Möglichkeit eröffnet wurde, unfähige Minister schnellstens aus ihren Ämtern zu entfernen. Denn diese würden ja keine Beschreibung ihrer Kleider geben können! Die Psychotex-Technologen bekamen sofort eine leerstehende Suite in einem Technologiezentrum zugewiesen und erbaten sich nach drei Tagen einen Gutachter. Dieser sollte die Qualität einer fertiggestellten Auswahl von Psychotex-Mustern überprüfen. Der Gutachter kam und sah, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Psychotex-Webergruppe ächzend eine größere Menge an Stoffballen herbeischleppten und sie anschließend auf Tischen und Bänken und sogar noch auf dem Boden auslegten. Der Gutachter rieb sich die Augen. Er hatte doch gesehen, dass diese Leute verschiedene Stoffe hinlegten – aber – er sah diese Stoffe nicht!! Ogottogott!! Er war also unfähig für sein Amt!! Der Gutachter riss sich zusammen. Er war ja nicht dumm. Es sollte einfach keiner merken, dass er nichts sah! Er fragte also den Leiter der Gruppe eingehend aus und notierte sich, was dieser ihm so im Einzelnen zur Gestaltung der Gewebe erzählte. Die Präsidentin war sehr erfreut über einen entsprechenden Bericht des Gutachters. Sie verabredete auch gleich für den nächsten Tag eine Anprobe mit ihrer Modellschneiderin. Es geschah das gleiche. Beide sahen – nichts! Die Präsidentin traf das besonders hart, natürlich. Aber die beiden Damen spielten ihre Rolle ebenso gut wie der Gutachter und übertrafen sich gegenseitig ständig im Lob über die überaus vorzüglichen und insbesondere auch phantasievoll gestalteten Muster der Gewebe, Die Technoleute lächelten und nahmen dankbar das vereinbarte Honorar in Empfang. Sie reisten allerdings noch am gleichen Tag wieder ab, zu einem weiteren wichtigen Termin, der sich inzwischen ergeben hatte, wie sie sagten.

    Bereits für den folgenden Tag war ein Auftritt der Präsidentin in der Öffentlichkeit geplant. Es hatte sich inzwischen herumgesprochen, welche phantastische Eigenschaft das neue Gewebe Psychotex besaß. Und - man höre und staune - die Bekleidung der Präsidentin wurde - beinahe! - von der gesamten Bevölkerung bewundert. Philip lachte. Jaja, ich kenn die Story. Die kleine Emma, die noch kein Amt zu verlieren hatte, sagte ganz laut. Mama, warum hat denn die Frau nix an? Und plötzlich riefen dann alle - -. Und die Präsidentin entriss ihrer Begleiterin den Mantel, lachte Marina. Im Moment, sagte Philip, finden ja auch noch viele so genannte Kunstkenner das ganze Brimborium dieser Neukunst so - so - attraktiv, lachte Marina. Du hast`s ja gerade erlebt! Und wer ist die Emma, die das ganze irgendwie „entzaubert"? Philip holte Luft. Emma bedeutet hier die Bewertung mit rational nachvollziehbaren Kriterien. Und auch eine Auseinandersetzung über solche Kriterien könnte

    mit vielen daran Interessierten rational verlaufen. Ich denke, es gibt genügend Menschen, die von der fortgesetzten Öde in der Kunst die Nase voll haben. Marina lächelte. Da gibt es aber auch viele andere, die um ihre Sache fürchten. Sie werden schreien, Kunst muss frei sein, darf nicht gegängelt werden! Philip blieb gelassen. Kann sie doch. Aber vieles wird dann vielleicht nicht mehr als große Kunst verkauft und dazu noch jahrzehntelang imitiert werden, sondern wandert - sozusagen - sehr viel früher in einen Abfalleimer. Da ist aber wirklich vieles noch ganz unklar, gab Marina zu bedenken.

    2 Persönliche Rückschau

    Philip kämpfte in den nächsten Tagen mit seiner ziemlich wirren Gefühls- und Gedankenwelt. Es war, als befinde er sich irgendwo in den Bergen, in einer äußerst nebligen Gegend. Es gab keine Wegweiser, alles was er genauer betrachten wollte, verschwand in diesen Nebelschwaden. Endlich sah er doch etwas klarer. Er mu0te zwei Dinge voneinander trennen. Zum einen musste er in sein Inneres blicken und herausfinden, was seine Kunstwahrnehmung ihm bedeutete und dabei vor allem auch, wie sie im Laufe seines Lebens zustande gekommen war. Dies musste er dann sozusagen als ein Vorurteil betrachten - von dem er sich lösen mu0te - um? - ja, um auf einem rational - logischen, wissenschaftlich gesehen also tadelsfreiem, Wege die allgemeinen Kennzeichen für eine gewisserma0en objektivierte Bewertung von Kunst zu erarbeiten. Aber - was bedeutete da „erarbeiten? Und für welche Kunst? Für die bildende Kunst, gewiss - dabei für die alte ebenso wie für die ganz neue! Aber - eben nicht nur für die bildende Kunst. Es müsste ein Dach für alle Arten von Kunst sein. Das war so ein etwas springender Punkt. Ich postuliere also, sagte Philip zu sich selbst - aber vielleicht gibt’s da auch ganz andere Postulate - ich postuliere: Es gibt nur eine Kunst. (Er bedauerte fast, in diesem Moment eine Assoziation „beiseite schieben zu müssen, die sich ihm - dabei aber auch irgendwie „gewaltsam, fand er - aufdrängen wollte: die Religion als Parallele zur Kunst, oder dabei wiederum das Postulat eines einzigen Gottes. Das ging dann wohl wirklich in Richtung Kulturtheorie - - -). So gesehen irgendwie logisch, dachte er, denn es gibt ja auch nur eine species homo sapiens. Philip geriet dann doch ein wenig ins Grübeln,, als die ganze Vielfalt von Kunstformen vor ihm auftauchte, für die seine Bewertungskriterien „zuständig sein sollten, also ganz gleich ob es sich um Musik, Literatur, Theater, Architektur, ja aber auch die tausenderlei Mischformen handeln sollte, die da ständig kreiert wurden - mit Hilfe irgendwelcher elektronischen Medien, Performances. Installationen - alles irgendwie weit weg, und doch ganz nah bei der bildenden Kunst?! Mit einem mal türmten sich vor ihm - die bereits erwarteten - zwei Schwergewichte auf: mit einander Hand in Hand, in bewährter Verbundenheit, die Wissenschaft mit dem rational-logischen Denken. Sollte er denn nun, um wissenschaftlich arbeiten zu können, erstmal ein kunstwissenschaftliches, dabei auch kunstphilosophisches und natürlich kunsthistorisches Studium in sich aufnehmen? Er musste fast schon gequält lachen, als er daran dachte, wie viel Zeit und Energie das wohl in Anspruch nehmen würde. Dies im Vergleich mit der - hoffentlich eintretenden - Restphase seines Lebens. Andererseits: Wo waren denn speziell im Feld der neuen oder gar neuesten Kunst überhaupt klare Lehrmeinungen zu finden, zu erkennen? Klar zu erkennen war jedoch, dass sich eigentlich niemand auf Kunst bewertende Kriterien wirklich einließ, vielmehr phantastisches Zeug formuliert wurde, wobei vieles weder von der Wortbedeutung noch von irgendeiner Logik her zu begreifen war. Er konnte sich sogar an einen Zeitungsartikel erinnern, in dem eine Diskussion über solche Fragen strikt abgelehnt worden war! Es sei einfach kontraproduktiv - und könne ja auch auf gar keinen Fall in der Praxis objektiv richtig sein – an so etwas überhaupt nur zu denken, geschweige denn es anzuwenden! Und es sei vielmehr nötig, die Kunst zu befreien aus den Gefängnissen, in die sie im Lauf ihrer Geschichte eingesperrt wurde und somit ihren Fortschritt zu ermöglichen.

    Philip zuckte ein wenig zusammen. War es überhaupt sinnvoll, für die Kunst so etwas wie „Fortschritt" zu postulieren, ja sogar ihn zu fordern?! Erkennbar waren doch nur kulturbedingte Formen von Kunst - und mit den kulturellen Wandlungen die daran orientierten Veränderungen. Aber was trieb nun, genauer betrachtet, gerade die neueste Kunst zu derart grotesken Erscheinungen, wie er sie (bislang sicher nur sehr beschränkt!) wahrnehmen konnte und in deren Erzeugung sich offensichtlich große Massen - und dabei besonders die etabliert -arriviertesten - von Künstlerinnen und Künstler (bedenkenlos? - fragte sich Philip) irgendwie hineinzustürzen schienen und dabei sicher auch zu profilieren suchten. Oder aber hineingestürzt wurden?

    Wie konnte er denn nun die vielen „Stolpersteine, die er vor sich liegen sah, aus dem Weg räumen? Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig - aber damit konnte er sich gerade auch viel Sucherei in der Literatur und Auseinandersetzungen mit irgendwelchen „Schulen oder „Strömungen ersparen, wie sie eine Tätigkeit in der Wissenschaft erzwingt - als eben, ganz simpel, sprich logisch-rational von den allgemein bekannten Eigenschaften und Eigenheiten, der Beschaffenheit von Kunstwerken auszugehen Sie waren aufzulisten und führten dabei auf einige Sammelbegriffe, die justament als Kriterien, als sinnvolle sowie ausreichende Kennzeichen zur Bewertung von Kunstwerken dienen konnten. Wenn in der Kunstwissenschaft bereits eine solche Liste existierte, umso besser! (Aber wo, im Rahmen der „neuen Künste wäre dann von ihr eine Anwendung zu erblicken?!). Das könnte der nötigen Diskussion ja wirklich nur förderlich sein! Er erinnerte sich auch an verschiedene immer wieder einmal zitierte oder geforderte Eigenschaften von Kunst - wie „Schönheit, „Ebenmäßigkeit oder „kunstvolle Arbeit. Tatsächlich konnte er nun dagegenhalten, dass ähnliche Begriffe nur jeweils eine Qualitätsrichtung innerhalb einer größeren Palette im Rahmen eines einzelnen Kriteriums anzeigten konnten. Eine Gesamtbewertung musste dann aus den verschiedenen Kriterien, sprich den ihnen zugeordneten Qualitätsmerkmalen entstehen. „Schönheit mochte man für so etwas wie ein Gesamturteil halten. Allerdings war ein solcher Begriff nur schwer zu definieren und dabei auch sehr abhängig von den jeweiligen kulturellen, also auch historischen und insbesondere auch individuellen Voraussetzungen. Gerade im Hinblick auf solche Beschreibungen wurde Philip die Bedeutung seiner Forderung nach Rationalität, nach Einsichtigkeit von Kriterien zur Bewertung von Kunst noch klarer. Es wurde ihm dabei nämlich auch bewusst, dass dieser ganze „Komplex, der einer Abwehr von rationalen Kriterien zu dienen schien, in einer engen Verbindung stehen musste mit einer Mystifizierung von Kunst - einem Punkt, dem er sicher noch nachgehen musste! Und dabei - das musste wirklich klar sein - durften in „seinem Kriterienkatalog auch eben keineswegs diejenigen Aspekte fehlen, bei denen alle möglichen irrationalen, insbesondere also psychisch - unbewusst begründete Wahrnehmungen einbezogen wurden. Gerade auch die Wahrnehmung „Schönheit" käme dabei infrage.

    Getrennt von solchen Überlegungen schien es Philip ja auch wichtig zu sein, sein eigenes Kunstverständnis kritisch zu überprüfen. Wie und wo war es überhaupt entstanden?! In Gedanken setzte er Kunstverständnis bereits in Anführungszeichen, denn zunehmend hielt er es für ein „irgendwie produziertes Vorurteil. Er zog aus einer Schublade der alten im Flur stehenden Kommode eine Sammelmappe heraus. Im Zeichenunterricht, wie das damals noch im Gymnasium hieß, in der vierten Klasse, hatte es ihm Spaß gemacht, sie zu basteln: aus Pappe. Danach wurde sie mit weißen Papierbögen überklebt und mit einem aus einer Kartoffel geschnitzten Stempel farbig bedruckt. Ein Himmel von bunten Sternen war so auf der Mappe entstanden. Viele Jahrzehnte hatte die Mappe schon unbeschadet überstanden. Sie enthielt die gesammelten „Kunstwerke aus seiner Schulzeit. Dazu noch ein paar Kritzeleien und Malereien aus seinen Kindertagen. Keine Frage, die technischen Fahrzeuge hatten ihn fasziniert, neben den Autos ganz besonders auch knatternde, stinkende Motorräder und - unübertrefflich eindrucksvoll - die gigantischen, fauchenden, zischenden, ratternden Dampflokomotiven. Motorräder - mit Tankstellen im Hintergrund - bezog er auch in den Zeichnungen der ersten Jahre seiner Gymnasialzeit mit ein . Das heißt, wenn es sich, thematisch gesehen irgendwie machen ließ. Schwierig wurde das dann etwa beim Malen von Christi Geburt. (Traditionellerweise musste zunächst alles gezeichnet und durfte dann ausgemalt werden). Später hatten ihn dann die Seen und Berge in Bayern sehr beeindruckt, die im Urlaub mit seinen Eltern im Voralpenland vor ihm auftauchten. Diese Objekte tauchten wiederum sehr oft - fast wie bei manchen Renaissance - Malern - im Hintergrund seiner, von dem auf Kunst bezogenen gymnasialen Erziehungsplan geforderten Werke auf. So etwas wie eine Entscheidungsschlacht, seinen Zugang zur Kunst betreffend, schien sich dann bei seinem Eintritt in die Pubertät mit fünfzehn Jahren abzuzeichnen. Der Kunsterzieher (er hieß inzwischen nicht mehr Zeichenlehrer), ein noch jugendlich wirkender Herr namens Lenz, trennte im Unterricht, so erkannte es Philip, seine „Schafe, das waren die mit den guten Noten, von den Böcken. Philip erinnerte sich an dessen übermäßig großen kugeligen Kopf, und dass er überdies auch fast ständig in seltsamster Weise lächelte. Philips Widerstand gegen ihn wuchs. Fraglos spielte dabei auch der Umstand eine Rolle, dass Philip für seine, durchaus mit einer gewissen Hingabe fabrizierten Werke meist mit der Note „mangelhaft oder, wenn es mal „gut ging, gerade mal mit „ausreichend bedacht wurde. Eines Tages dann, beim Thema „Käfer, die mit Tusche und Feder gezeichnet werden mussten, beschloss Philip zu rebellieren. Er kreierte zwei Typen von Phantasiekäfern, längliche und rundliche, teilweise auch irgendwie auf dem Rücken liegend und strampelnd. Und dabei stets lächelnd. Herr Lenz stellte sich neben ihn. Philip arbeitete ruhig an seinen Käfern weiter. Er hörte, wie Herr Lenz einen unruhigen Atem bekam. Und plötzlich - Philip konnte sich noch genau daran erinnern (es war wirklich sehr eklig) - flog ein kleines grünes Etwas auf seinen Zeichenblock. Im Augenblick musste Philip lachen, als er daran dachte. Damals hatte aber nur sein Unterbewusstsein reagiert und ihn dabei nicht zum Denken kommen lassen, etwa zur Behandlung der Frage, ob er dieses Ding, diesen „Beitrag zu seinem Werk vielleicht dem Klassenlehrer oder gar dem Schulleiter vor Augen führen sollte.

    Sein Instinkt hatte vermutlich das Ergebnis einer solchen Aktion blitzschnell erkannt: Man würde aus einer solchen „Fliege keinen Elefanten machen. Im Grunde seines Herzens war ihm Herr Lenz ja auch völlig „wurscht. Das heißt, er wollte eigentlich nur seine Ruhe vor ihm haben und alle Probleme, die dessen Existenz mit sich brachten, möglichst schnell loswerden. In diesem Sinne erfolgte dann auch seine Reaktion. Mit dem Mittelfinger der linken Hand (in seiner rechten ruhte die Zeichenfeder) schnippte er das grüne Ding einfach weg - es war wirklich weg! Philip wusste in diesem Augenblick allerdings nicht, ob Herr Lenz den Ablauf des Verfahrens registriert hatte. Nach einer Weile - Philip hatte inzwischen seine Arbeit fortgesetzt – fragte ihn Herr Lenz dann ganz plötzlich: Was?! - wollen Sie denn mal werden? Philip blickte kurz zu ihm hoch und sagte trocken: Zeichenlehrer. Worauf sich Herr Lenz eilends von ihm wegbewegte. Für die Käfer gab es dann - natürlich - die schlechtest mögliche Note, eine sechs, „ungenügend", ebenso wie für eine weitere Zeichnung. In dieser ließ Philip auf einer Bühne zwei Degenfechter einander umarmen. Als Kommentar hatte Herr Lenz darunter geschrieben: Quatsch! (Die künstlerische Freiheit wurde also durch weitgehendst unbekannte Vorschriften infrage gestellt). Immerhin war Philip Herrn Lenz zum Ende des Schuljahres auch schon wieder los.

    Und es begannen . - es war kaum zu glauben - paradiesische Zeiten in Sachen „Kunsterziehung"! La mer von Claude Debussy gurgelte Philip und seinen Mitkämpferinnen und -kämpfern um die Ohren und sie malten

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