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Unvergängliches Blut - Die Erben
Unvergängliches Blut - Die Erben
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eBook355 Seiten4 Stunden

Unvergängliches Blut - Die Erben

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Über dieses E-Book

Romantische High Fantasy - Dreißig Winter sind seit dem Rebellenkrieg vergangen. Nach Maksim D'Aryuns Abdankung ernennen die Vampire des Qanicengebirges Damien Tyr zum Herrscher über die Stämme. Für seine Tochter, die Kriegerin Mariana, beginnt eine aufregende Zeit. Sie verliebt sich ausgerechnet in Milo, Damiens Bruder im Blute, der nach Tyr zurückkehrt mit dem Auftrag, die Wajaren - Banditen, Mörder und Wegelagerer - auszumerzen. Ihre Liebe halten Mariana und Milo geheim, wohl wissend, dass Damien sie ablehnen wird. Und dann gibt es da zwei Fürsten, die sich um Mariana bemühen, dabei aber ihre ganz eigenen Ziele verfolgen. Als Mariana sich der Jagd auf die Wajaren anschließt, kommt es zur Katastrophe …
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum22. Okt. 2018
ISBN9783742718624
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    Buchvorschau

    Unvergängliches Blut - Die Erben - S.C. Keidner

    Kapitel 1

    »Das kommt nicht überraschend.« Taran legte den Kopf an seine Schulter.

    Die Flammen des Kaminfeuers tauchten das Schlafgemach in rötliches Licht und warfen flackernde Schatten auf ihre Haut. Ein Scheit zerfiel knisternd, Funken stoben in den Schornstein. Der Frühlingssturm, der um die Türme von Burg Tyr tobte, rüttelte an den Fensterläden, die die Mägde zum Schutz gegen das Sonnenlicht verschlossen hatten.

    »Ja, Maksim hat über die letzten Winter des Öfteren von Abdankung gesprochen.« Damien lag auf dem Rücken, einen Arm um seine Gefährtin geschlungen, den anderen hinter dem Kopf verschränkt. Er starrte gedankenverloren auf die holzvertäfelte Decke des Gemachs. »Ich kann es verstehen. Rodica wird alt. Niemand kann sagen, wie lange sie einander noch haben werden. Sie möchten die ihnen verbleibende Zeit auskosten.«

    Taran zog die Schultern hoch. »Das weiß ich doch. Ich gönne es ihnen von ganzem Herzen. Aber mir auszumalen, dass Mutter sterben wird, ist fürchterlich. Natürlich war es mir schon immer klar, als Mensch hat sie nun einmal eine begrenzte Lebensspanne. Doch jetzt, wo es näher rückt ‒.«

    Er hauchte einen Kuss auf ihren Scheitel. Auch wenn es ihn schmerzte, seine Gefährtin bedrückt zu sehen, mochten ihm keine tröstenden Worte einfallen. Der Lebensweg der Menschen endete unwiderruflich. Gut, auch Vampire und Ewige waren gegen den Tod nicht gefeit. Sie konnten in einer Schlacht oder durch einen Unfall sterben. Das ließ sich verhindern, indem man seine Kampfkünste verbesserte oder sich in gefährlichen Situationen umsichtig verhielt. Doch es war etwas anderes, mit der Gewissheit zu leben, dass der Tod eines Tages unausweichlich an die Tür klopfte.

    »Für Mariana und Arik ist es schwer«, sagte Taran. »Ganz besonders für Arik. Er vergöttert seine Großmutter.«

    »Sie werden lernen, damit umzugehen. Ich glaube, dass es tatsächlich Rodica ist, die die geringsten Schwierigkeiten hat, das Sterben anzunehmen. Verglichen mit ihr komme ich mir wie ein Schwächling vor. Als hätte ich niemals dem Tod ins Auge geblickt.«

    Ihr Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Mutter hat mir verboten, darüber nachzugrübeln. Sie sagt, wenn sie keine Angst davor hat, dann brauchen wir auch keine zu haben.« Mit einer raschen Bewegung drehte sie sich auf den Bauch und musterte ihn. Ihr silbernes Haar, das Zeichen der Ewigen, der Mischlinge aus Mensch und Vampir, fiel über die nackten Schultern nach vorn. Er hob die Hand und steckte es ihr hinter den Ohren fest.

    »Wie geht es dir inzwischen mit deiner neuen Berufung?«, fragte sie.

    So, wie es vor langer Zeit bestimmt worden war, würde er Maksim als Herrscher nachfolgen. Sie hatten darüber im Laufe des Winters gesprochen und es heute Nacht der Familie und dem Rat verkündet. Außer Taran wusste niemand von den Zweifeln, die ihn dann und wann überfielen und an seiner Überzeugung nagten, der Aufgabe gewachsen zu sein. »Es ist eine große Herausforderung. Ich habe diese Momente, in denen ich mich frage, ob ich das Richtige mache.«

    »Wieso nicht? Du sitzt seit vielen Wintern im Rat der Stämme und hast Maksim bei den Regierungsgeschäften unterstützt.«

    »Nun, ich werde nicht mehr nur Ratschläge geben, sondern Entscheidungen treffen.« Die das Leben von Abertausenden von Vampiren, Menschen und Ewigen im Qanicengebirge beeinflussen würden. Im schlimmsten Fall bedeuteten sie Tod und Verderben, im besten die Fortführung des friedlichen Daseins, das seit dem Ende des Rebellenkriegs herrschte. Der Friede war Maksims Vermächtnis, das er erhalten musste. »Es ist eine große Verantwortung, vor der ich Respekt habe. Manchmal erdrückt es mich. Wie nannte Maksim es vorhin im Kaminzimmer? Eine Bürde?«

    »Es gibt niemand Besseren für diese Bürde als dich.«

    »Nun, das wird sich zeigen müssen. Aber du hast recht. Ich habe mich über viele Winter vorbereitet. Das ist nicht, was mir die meiste Sorge bereitet. Es geht mir um dich und Mariana und Arik. Für euch wird sich vieles ändern. Maksim und ich haben diese Entscheidung getroffen, ohne euch anzuhören.«

    »Mach dir um mich keine Sorgen. Ich bin die Tochter des Herrschers und das ganze Brimborium darum gewohnt. Und ich verspreche, mich aufzuführen, wie es sich der Gefährtin des Herrschers über die Stämme geziemt.«

    Er grinste. »Indem du in Lederhosen durch die Gegend läufst und den Schwertkampf übst?«

    »Schwertkampf ist sehr viel nützlicher als Sticken. Oder Nähen. Und es macht mehr Spaß.«

    »Das kann ich nicht beurteilen.«

    Taran lächelte. Dann beugte sie sich vor und küsste ihn sacht, löste ihre Lippen aber viel zu schnell von den seinen. Sein unwilliges Knurren ignorierend sagte sie: »Was Mariana und Arik angeht: Sie haben immer gewusst, dass du Maksims Nachfolger werden sollst.«

    »Bisher waren es Gedankenspiele. Maksim ist unsterblich. Er könnte noch hunderte von Wintern regieren. Jetzt sind Mariana und Arik von einem Tag auf den anderen die Kinder des Herrschers. Einer der beiden wird als mein Nachfolger benannt werden.«

    »Mariana«, sagte sie leise, fast widerstrebend.

    Mariana. Sein kleines Mädchen, das er stets beschützen würde. Das hatte er sich am Tag ihrer Geburt – sie lag winzig, schrumpelig und rot auf seinem Arm – geschworen. Aber er hatte feststellen müssen, dass seinem Schutz Grenzen gesetzt waren.

    Mariana war ein lebendiges Kind gewesen. Immer wieder war sie ausgebüxt und hatte sich in den Kammern und Gängen der Burg versteckt. Mit vier Wintern rannte sie einmal aus der großen Halle hinaus in den sonnigen Tag. Ihr entzücktes Kichern verhallte im Hof. Panisch folgte er ihr. Sie würde in der Sonne verbrennen! Auf der Treppe brach er brüllend vor Schmerz zusammen und roch versengtes Fleisch. Sein eigenes. Sein Bruder im Blute, Milo, und die Krieger zerrten ihn mit Gewalt in die Halle zurück und hielten ihn dort trotz seiner verzweifelten Gegenwehr fest. Er konnte seiner Tochter nicht helfen. Seine Sonnenempfindlichkeit hielt ihn hinter den dicken Mauern gefangen.

    Nach einer ihm schier endlos erscheinenden Zeit brachte Taran Mariana mit unversehrter Haut und einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht zurück. Seine Tochter hatte sich als Sonnenwandlerin entpuppt. Sie ertrug die für andere Vampire tödlichen Strahlen. Sie war die Erste ihrer Art gewesen. Inzwischen gab es mehrere von ihnen, allesamt Kinder von Vampiren, die sich Ewige als Gefährten genommen hatten.

    »Arik kann nicht mein Nachfolger sein«, sagte er sanft. »Er ist ein Ewiger, kein Vampir.«

    Sie schüttelte den Kopf. »Auch wenn er ein Vampir wäre: Arik ist dafür nicht geeignet. Und er weiß noch nicht, was er will. Ganz anders als Mariana.«

    Ja, Arik war sehr verschieden von seiner Schwester. Nicht nur, dass sein Blut für Vampire tödlich war, während Mariana Menschenblut zum Überleben brauchte. Auch vom Wesen unterschieden sich die Geschwister wie Feuer und Wasser. Mariana war zupackend und handelte schnell, manchmal zu schnell. Arik war zögerlich. Er musste noch herausfinden, was er vom Leben wollte.

    Damien war sicher, dass sein Sohn seinen Weg machen würde. Er war jung, vierzehn Winter, hatte alle Zeit der Welt, sich zu orientieren! Taran hingegen machte Ariks Ziellosigkeit Sorgen. Er lernte den Schwertkampf, wie seine Schwester vor ihm. Aber im Gegensatz zu Mariana, die unverdrossen und über das Tagessoll der Krieger hinaus übte, brach Arik die Übungen ab, sobald der Pflicht Genüge getan war. Das Einzige, für das er sich begeisterte, waren Bücher. Jeden Abend steckte er seine Nase in einen anderen verstaubten Band.

    »Es ist nur«, fuhr Taran fort, »dass Mariana gerade fünfundzwanzig Winter alt ist. Du warst viel älter und erfahrener, als Maksim dich damals zu seinem Nachfolger bestimmt hat. Du hattest Schlachten geschlagen und am Rebellenkrieg teilgenommen.«

    »Und mich in eine Ewige verliebt.« Er umfasste ihren Kopf und zog sie zu sich herunter. Der Kuss war lang und vielversprechend. Er brummte enttäuscht, als sie ihn unterbrach.

    »Ja, auch das wird Mariana passieren. Was meinst du, wie viele Männer sich um die zukünftige Herrscherin über die Stämme bemühen werden?«

    Die Vorstellung irgendwelcher Kerle, die sabbernd um seine Tochter schlichen, gefiel ihm gar nicht. »Ich werde auf sie aufpassen. Ich werde nicht zulassen, dass ein dahergelaufener Glücksritter sie für sich einnimmt.«

    »Damien, Mariana ist eine mündige Frau und eine Kriegerin, kein Mädchen mehr! Sie kann auf sich aufpassen!«

    »Gerade eben sagtest du noch, dass sie jung ist!«

    »Für eine mögliche Nachfolgerin des Herrschers über die Stämme, ja. Sie konnte nie die Erfahrungen sammeln, die du gemacht hast. Stell dir vor, sie müsste dir jetzt, zu diesem Zeitpunkt, nachfolgen. Was wäre, wenn jemand Krieger um sich schart und versucht, die Herrschaft an sich zu reißen? Du musst das nicht befürchten, denn deine Stellung ist gefestigt.«

    »Das ist der Grund, warum ich sie so früh als meine Nachfolgerin benenne. Sie kann sich ihren Ruf und ihre Stellung in Ruhe erarbeiten.«

    »Da hast du allerdings recht«, meinte sie nachdenklich. Dann lächelte sie verschmitzt.

    »Was willst du mir mit diesem Lächeln sagen?« Er verschränkte seine Arme hinter ihrem Rücken, hielt sie sanft gefangen.

    »Es ist lustig, dass du Mariana auf der einen Seite zutraust, deine Nachfolgerin zu werden, aber auf der anderen Seite der Meinung bist, sie vor der Männerwelt beschützen zu müssen.«

    »Sie hat keine Erfahrung mit Männern! Die werden sie wegen ihrer Stellung umschwirren! Ich werde sie davor bewahren!«

    »Sie ist fünfundzwanzig Winter alt. Denkst du nicht, dass sie bereits Erfahrung mit Männern gemacht hat?«

    »Was?«, fragte er empört. Doch nicht Mariana! Sie war viel zu jung!

    »Ach, Damien. Versprich mir bitte, nichts Dummes zu machen, was Mariana und Männer angeht. In Ordnung?«

    »Was könnte ich denn ›Dummes‹ machen deiner Meinung nach?« Jetzt war er gereizt.

    »Eben versuchen zu verhindern, dass sie sich verliebt. Sie muss ihr Glück allein finden.«

    Er knurrte. Mariana und sich verlieben! Das war abwegig!

    »Vertrau ihr, Damien. Das ist alles. Sie wird das Richtige machen. Genauso, wie sie es machen wird, wenn sie an deiner Seite und im Rat der Stämme arbeitet.«

    »Na gut«, murmelte er und zog ihren Kopf wieder zu sich herunter. »Was kriege ich dafür?«

    »Was? Wofür?«

    Er fuhr mit seinen Lippen über die ihren, eine sanfte Berührung nur, und genoss, wie ihre Atemzüge flacher und schneller wurden. »Ich denke, ich verdiene eine Belohnung, wenn ich mich so verhalte, wie du es möchtest.«

    »Belohnung? Damien!«

    Er grinste und verschloss ihren Mund mit einem nachdrücklichen Kuss, den er nicht mehr gedachte abzubrechen.

    Kapitel 2

    Der Aufprall der Schwertklingen vibrierte in den Knochen. Sie umklammerte den Knauf ihrer Waffe umso fester. Jetzt bloß nicht nachgeben! Wie sie es beabsichtigt hatte, lag Goswins Klinge über der ihren. Hochhebeln! Mariana drehte das Schwert und drückte es nach oben. Die Bewegung schmerzte in den Armen, hielt Goswin doch mit aller Kraft dagegen. Es nützte ihm nichts. Die Waffe wurde ihm aus der Hand gewunden, wirbelte durch die Luft und prallte auf den sandigen Boden des Kampfplatzes.

    Von der Umzäunung hörte sie die anerkennenden Rufe der Krieger. Ihr Bruder im Blute zischte einen Fluch, als sie ihm triumphierend die Spitze des Schwerts auf die Brust setzte.

    »Sehr gut!« Frans, Schwertmeister der Ewigen, kam zu ihnen. »Mariana, nur etwas schneller, du hast zu lange überlegt, bevor du Goswin entwaffnen konntest. Goswin, diesen Moment hättest du nutzen können, achte beim nächsten Mal darauf. Wer kommt jetzt?«

    Mariana nickte und stellte sich mit Goswin hinter den hölzernen Zaun. Sie wiederholte die Bewegung mit dem Schwert. Frans hat recht. Es muss schneller gehen, wie eine instinktive Handlung.

    Goswin fuhr mit dem Daumen über seine Klinge, bevor er sie in die Scheide steckte. »Manchmal glaube ich, ich werde die Kampftechniken der Ewigen nie beherrschen.«

    »Das geht mir genauso. Ich muss immer noch überlegen, wie ich eine Taktik am besten anwende. Deswegen geht es nicht schnell genug. Aber wir werden es schon noch lernen.«

    »Hoffen wir’s.«

    Sie lernten die Kampfkünste der Ewigen seit zwei Wintern. Frans hatte prophezeit, dass es lange dauern würde, sie zu meistern. Sie unterschieden sich von den Techniken der Vampirkrieger in feinen, aber wichtigen, Nuancen. Wenn Mariana und Goswin geglaubt hatten, ihr Können als Vampirkrieger verschaffte ihnen einen Vorteil, dann waren sie eines Besseren belehrt worden.

    Sie drehte sich um. Die Pflastersteine des von Fackeln erleuchteten Burghofs glänzten vom Nieselregen, der schon die ganze Nacht fiel. Die Hunde in den Zwingern bellten einen mit Holz beladenen Wagen an, der schwerfällig durch das Tor rumpelte. Am Zaun des Kampfplatzes standen etwa zwanzig Krieger, die auf ihren Waffengang warteten. »Bis zum Morgenmahl ist noch Zeit und die Regenwolken haben sich fast verzogen. Warum reiten wir nicht ins Tal und üben da mit den Pferden?«, schlug sie vor. »Hier kommen wir sowieso nicht mehr dran.«

    Für Kampfübungen zu Pferd war der Hof zu klein. Tyr lag auf steilen Felsklippen hoch über den Tälern des Qanicengebirges und wurde überragt von schneebedeckten Gipfeln. An regnerischen Tagen verschlangen graue Wolken die Burg. Der Hof, in dem neben dem Kampfplatz die Gärten und der Brunnen lagen, war von der Halle mit den daran anschließenden Wohngemächern, dem Haus des Bundes der Ewigen, Wirtschaftsgebäuden, Ställen, Scheunen und Werkstätten umgeben. Um all dies zog sich die aus dem schwarzen Stein des Gebirges erbaute Mauer mit den wuchtigen Wehrtürmen, die den Wachen einen ungehinderten Ausblick in die Ferne erlaubten. Burg Tyr hatte nur einen Zugang, den über das Tor, zu dem ein steiler Weg aus dem bewaldeten Tal weit unterhalb der Felsklippen führte.

    »Gute Idee!«, sagte Goswin. »Lass uns ‒.«

    »Mariana!« Die breitschultrige Gestalt ihres Vaters, mit kahl geschorenem Kopf und gekleidet in ein weißes Hemd und Lederhosen, stapfte auf sie zu. Er grüßte die älteren Krieger und Frans mit Handschlag. Die Jüngeren wichen respektvoll zurück und neigten die Köpfe. Wie jeder, der im Rebellenkrieg gekämpft hatte, war er eine Legende.

    »Goswin.« Vater nickte ihrem Bruder im Blute zu, der den Gruß ehrerbietig erwiderte. »Das war ein guter Waffengang.«

    Goswin errötete.

    »Jawohl.« Frans grinste. »Noch fünf oder sechs Winter und die beiden sind halbwegs brauchbar als Kämpfer der Ewigen. Jetzt entschuldigt mich, ich muss sehen, ob das nächste Paar das genauso gut hinkriegt.« Er begab sich auf den Kampfplatz, wo sich Vlad und Lys bereits gegenüberstanden.

    Mariana verzog das Gesicht. ›Halbwegs brauchbar‹! Goswin und sie hatten besser gekämpft als Sandor und Reyk, die erfahrene Krieger waren!

    Ihr Vater lachte und sagte: »Mariana, ich möchte mit dir sprechen.«

    »Natürlich, Vater. Entschuldige, Goswin.«

    Der zuckte mit den Schultern. »Ich reite ins Tal. Komm einfach nach«, entgegnete er und machte sich auf den Weg zu den Ställen.

    »Er ist ein exzellenter Kämpfer. Er braucht nur mehr Selbstvertrauen«, meinte ihr Vater. »Lass uns in mein Studierzimmer gehen.«

    Das Studierzimmer lag in dem Turm über dem Tor. Mariana hatte hier oft mit ihrem Vater gesessen. Bei ihrem allerersten Gespräch in diesem Raum war sie gerade sechs Winter alt geworden und hatte ihn informiert, dass sie Kriegerin werden wollte. Er hatte gelächelt und sich ernsthaft mit ihr darüber unterhalten, ob es ratsam sei, auf ihrem Pony Schneeflocke in die Schlacht zu ziehen.

    Das Zimmer war sparsam eingerichtet, mit einem Tisch, einfachen Holzstühlen und einem Regal. An den mit dunklen Holzpaneelen verkleideten Wänden hingen Öllampen und ein kunstvoll geknüpfter Teppich, der eine Jagdszene darstellte. Durch das Fenster sah man den Weg, auf dem Goswin und eine kleine Gruppe von Kriegern ins Tal hinuntertrabten. Es gab ihr einen Stich, sie davonreiten zu sehen, wäre sie doch gerne dabei gewesen.

    Ihr Vater nahm an dem Tisch Platz, der, wie das Regal auch, mit Pergamenten und Büchern überladen war. Sie setzte sich ihm gegenüber. Er kam sofort zum Punkt. »Du wirst wissen, was ich mit dir besprechen will.«

    »Ja. Was wird, wenn du der Herrscher bist.«

    »Das ist richtig. Du wirst als meine Nachfolgerin benannt werden. Sollte mir etwas zustoßen, wirst du die Herrschaft übernehmen müssen.«

    Sie schluckte. »Ich hoffe, das wird niemals passieren.«

    Er sah sie prüfend an. »Machen dir deine neuen Verantwortlichkeiten Angst?«

    »Nein, ich habe keine Angst.« Sie nestelte an einem Faden, der unter dem Armschutz ihrer Lederrüstung hervorlugte. »Ich freue mich darauf, mehr über die Regierungsgeschäfte zu erfahren. Das, was du mit Maksim morgens vor dem Kamin beredest, klingt spannend. Zumeist jedenfalls.« Er lachte und auch sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Nun ja, welche Menge an Pelzen an die blaue Stadt gesandt wird, finde ich nicht besonders faszinierend. Nein, es ist eher die Verantwortung, die mir Unbehagen bereitet. Du hast so viel Erfahrung, genau wie all die Fürsten, die im Rat sitzen. Ich habe gar keine. Ich … ich weiß nicht, ob ich das kann.«

    »Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Du wirst dich auf lange Winter einstellen müssen, in denen du lernst, worum es in Regierungsgeschäften geht. Du wirst mit mir zusammenarbeiten und in den Rat aufgenommen. Zunächst als Gast, also ohne Stimmrecht.«

    Das klang nicht mehr ganz so furchteinflößend.

    »Es stimmt, wir binden dich sehr früh in all dies ein. Aber so hast du Zeit, um Erfahrungen zu sammeln, ohne dass man weitreichende Entscheidungen von dir erwartet. Du sollst zunächst einmal zuhören und lernen. Nicht mehr und nicht weniger.«

    Sie nickte entschlossen. »Das werde ich, Vater.«

    »Gut. Ich werde den Rat zum Teil neu besetzen. Einige Räte haben angekündigt, dass sie zu ihren Stämmen zurückkehren möchten. Andere werden ohne Maksim nicht im Rat verbleiben wollen. Ich will die Entscheidung, wer sie ersetzt, bis zu Maksims Abdankung getroffen haben. Wir benötigen fünf neue Räte. Ich möchte, dass du mit mir die Kandidaten durchgehst.«

    »In Ordnung. Aber was bedeutet das für mich? Ich meine, ich werde mit dir arbeiten, aber werde ich noch eine Kriegerin sein?« Das bereitete ihr die meisten Sorgen. Es würde ihr schwerfallen, das Kriegerleben aufzugeben.

    »Ja. Du wirst deine Kampfübungen wie gewohnt fortsetzen. Also wirst du zukünftig sehr viel mehr zu tun haben und musst dir deine Zeit gut einteilen.«

    Sie atmete auf. Die Gefahr, fortan in düsteren Zimmern gefangen zu sein, um beim schummrigen Licht einer Kerze auf verstaubten Pergamentrollen herumzukritzeln, war also nicht gegeben. Ein Mehr an Arbeit fürchtete sie nicht.

    »Während der ersten Monde geht es darum, dass du dich einfindest und verstehst, welcher Art die Regierungsgeschäfte sind. Dann wirst du nach und nach Aufgaben übernehmen. So wächst du in deine neue Rolle hinein.« Er zog zwei Pergamente aus dem Stapel vor ihm. »Hier sind die Mitschriften der letzten Ratssitzungen. Lies sie dir bitte bis morgen Nacht durch. Bis dahin habe ich eine Liste der Kandidaten für den Rat erstellt. Sei bei Einbruch der Nacht morgen hier, dann können wir sie gemeinsam durchgehen.«

    Mit sinkendem Herzen nahm sie die Pergamentrollen. Soweit zu dem Plan, für den Rest der Nacht ins Tal zu reiten. Die Rollen waren dick. Es würde dauern, sie zu lesen.

    »Darüber hinaus werdet Arik und du repräsentative Pflichten haben. Wenn wir Gäste erwarten oder zu den Stämmen reisen. Und natürlich auch bei den Zeremonien zur Abdankung und Ernennung des Herrschers. Dazu gibt es festgelegte Abläufe, mit denen ich euch vertraut machen werde. Aber das kann warten, es gibt Wichtigeres.« Er seufzte. »Auch wenn die Schneider da anderer Meinung sind, wie mir deine Mutter sagte. Ihr bekommt für die Zeremonie neue Festgewänder. Wundere dich also nicht, wenn dich einer der Schneider in eine Ecke zerrt und deine Maße nimmt.«

    Sie lachte. Gegen neue Kleider hatte sie nichts einzuwenden. Aber Arik würde es hassen, eines seiner heiß geliebten Bücher dafür aus der Hand legen zu müssen. Ihr Vater grinste. »Und jetzt ab mit dir. Ich erwarte, dass du morgen Abend alles über die letzten Ratssitzungen weißt.«

    Mariana studierte die Pergamentrollen bis weit in den Morgen hinein. Ihre Befürchtungen hatte sie rasch vergessen und war tief in die Angelegenheiten des Qanicengebirges eingetaucht. Die Bandbreite der Aufgaben überraschte sie, auch wenn sie durch die Gespräche zwischen ihrem Vater und Maksim bereits viel mitbekommen hatte. Abgaben wurden festgesetzt und verteilt, der Handel von Weizen und Fleisch diskutiert. Da war der Fall eines Fürsten, der ohne Erben gestorben war – die Ursache seines Todes blieb unklar, es gab vage Hinweise auf einen Schwertkampf um eine Frau – und dessen Stamm in einen benachbarten aufgehen sollte. Der Rat bestimmte, mit wie viel Gold und Kriegern die Stämme unterstützt wurden, die die Grenzen zum Niemandsland und den nördlichen Grasländern bewachten. Es wurde debattiert, wie man den Wajaren – Banditen, Mördern und Wegelagerern – beikommen konnte, deren Zahl stark angestiegen war und die Stammesfürsten immer mehr Gold und Krieger kosteten, um ihre Liegenschaften und Untertanen zu schützen. Außerdem sprach der Rat bei Streitigkeiten zwischen Stämmen und bei Kapitalverbrechen Recht.

    Am interessantesten aber fand sie die Beziehungen zu den von Menschen beherrschten Gebieten. Mit der blauen Stadt, weit im Westen jenseits der Grasländer an der Küste des Meeres gelegen, herrschte ein lebhafter Austausch. Es gab einen regen Handel. Die Bewohner des Qanicengebirges versorgten die Städter mit Pelzen, Fleisch und Erzen und bezogen dafür Handwerkskunst wie Schmuck oder Keramik. Dies war dem Einfluss des Bundes der Ewigen geschuldet, der in der blauen Stadt sein Haupthaus unterhielt. Die Ewigen hatten Maksim während des Rebellenkriegs unterstützt und waren mit Frans als ihrem Schwertmeister auf Burg Tyr im Rat der Stämme vertreten.

    Mit den beiden anderen Städten der Menschen, Insan und Quadin, in den Grasländern nördlich des Gebirges gelegen, gab es keine Beziehungen. Grußworte wurden nicht erwidert und in den Debatten des Rats ging es darum, wie man das ändern konnte.

    Einige Räte waren laut den Mitschriften nicht an der Änderung dieses Status Quos interessiert. Sie hielten das für vergebliche Mühe und verbrachten mehr Zeit darauf, über das Niemandsland nachzudenken, dessen bewaldete Hügel sich zwischen dem westlichen Rand des Gebirges und den Grasländern erstreckten. Hier lebten Menschen ohne eine Regierung. Die versprengten Dörfer und Weiler verwalteten sich selbst. Es gab Räte, die argumentierten, dass das Niemandsland von einer Herrschaft der Vampire profitieren würde. Der Großteil des Rats lehnte diese Überlegungen ab.

    Wie es wohl in den Städten und Dörfern der Menschen aussah? Vampire lebten zumeist in Festungen, deren Mauern sie vor der Sonne schützten. Von Menschen oder Vampiren bewohnte Flecken gab es im Qanicengebirge, aber das waren in der Regel nicht mehr als zwei oder drei Häuser, etwa rund um eine Mühle, Erzmine oder einen Bauernhof. Und das Meer! Die blaue Stadt, hatte Frans erzählt, lag hoch oben auf den Klippen über dem Ozean. Bis zum Horizont sah man nichts als Wasser, das in einer ewigen Brandung an die Felsen rollte und über dem Abertausende von Seevögeln kreisten.

    Sie berichtete ihrem Vater in der folgenden Nacht von diesen Gedanken.

    Er nickte. »Ja, die Beziehungen zu den Menschen sind schwierig. Einige unserer Bediensteten, die Verwandte in Insan oder Quadin haben, sagen, dass wir dort als menschenmordende Blutsauger verschrien sind.«

    »Aber die Städte haben doch nie unter den Vampiren gelitten. Die Grasländer, so ganz ohne Höhlen, sind für uns wegen unserer Sonnenempfindlichkeit unüberwindbar. Ich könnte die Angst verstehen, wenn die Städte im Niemandsland gelegen und überfallen worden wären, aber so?«

    »Nun, inzwischen sind die Grasländer für einige Vampire kein Hindernis mehr.« Er schmunzelte. Mariana stieg die Hitze in die Wangen. Ab und an vergaß sie, dass sie sich in diesem Punkt grundlegend von anderen ihrer Art unterschied. »Viele Menschen haben auch heute noch Angst vor uns. Wir Vampire haben über lange Zeit Menschen versklavt. Zwar waren davon die Menschen im Niemandsland betroffen, aber die Erzählungen sind bis zu den Städten gedrungen. Das Ganze hat erst durch den Rebellenkrieg und Maksims Machtübernahme vor dreißig Wintern geendet. Die Erinnerung an die alten Verhältnisse ist lebendig. Es wird lange dauern, bis die Menschen uns voll vertrauen.«

    »Deswegen immer noch die Grußworte nach Insan und Quadin. Um Vertrauen aufzubauen.«

    »Ja. In der Hoffnung, dass dies dazu führt, irgendwann mit den Menschen in diesen Städten einen Austausch zu pflegen.«

    Dann fragte er nach ihrer Meinung zu dem Stamm, der in einem anderen aufgehen sollte, und kam schließlich zu den neuen Mitgliedern des Rats. »Wir verlieren fünf Fürsten, die zu ihren Ländereien zurückkehren werden.« Er deutete auf die Namensliste, die auf dem Tisch lag. Mariana kannte jeden von ihnen. Einer der Räte war Vater geworden und wollte zukünftig bei seiner Familie sein. Die Fürsten Rakta und Dhiig waren auf Maksims Bitten in den Rat gekommen und würden mit ihm abdanken. Dann gab es zwei Fürsten, die sich fortan auf die Geschäfte ihrer Stämme konzentrieren wollten. »Ich habe mir Gedanken zu ihren Nachfolgern gemacht. Wir müssen darauf achten, dass alle Gegenden des Qanicengebirges gleich repräsentiert werden. Und wir brauchen Leute mit Erfahrung. Insgesamt kämen acht Fürsten oder Krieger in Frage.«

    Die meisten Namen auf der zweiten Liste sagten Mariana nichts. Bei einem der zwei, die sie kannte, sank ihr Herz. »Mir sagen nur diese beiden etwas. Bei der Fürstin Shazad habe ich einen Teil meiner Kriegerausbildung absolviert. Und Milo Yirdar kenne ich aus deiner und Mutters Erzählungen.«

    Yirdar war Vaters Bruder im Blute und hatte mit ihm im Rebellenkrieg gekämpft.

    Die Fürstin war die Mutter von Jesko. Tief drinnen hoffte Mariana, dass Vater sie nicht zur Rätin ernannte, denn dann würde Jesko auf Tyr auftauchen. Jesko, in den sie sich verliebt und dem sie sich hingegeben hatte. Nur, um von ihm irgendwann einmal erklärt zu bekommen, dass es ihm leidtäte und er sie nicht liebte. Einige Nächte danach hatte sie gesehen, wie er

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