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Der Weg der Maga
Der Weg der Maga
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eBook413 Seiten5 Stunden

Der Weg der Maga

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Über dieses E-Book

Eine Magierin. Eine Suche. Eine Stadt, die ihr Leben verändert.

Kaum hat Serana Meridan ihre Ausbildung an der Akademie beendet, stellt das Leben sie bereits vor neue Prüfungen, härter und gnadenloser als jedes Examen. Freunde und Feinde treten in ihr Leben, um es für immer zu verändern. Und über allem schwebt stets der Schatten eines drohenden Krieges, der bald näher kommt, als sie es je befürchtet hätte.
So beschreitet Serana einen Weg, von dem es kein Zurück mehr gibt – den Weg der Maga.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum13. Nov. 2016
ISBN9783940036728
Der Weg der Maga

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    Buchvorschau

    Der Weg der Maga - Arndt Waßmann

    Lesetipps

    Erstes Buch

    Was, wenn sie versagte? Würde man sie sterben lassen?

    Serana Meridan blickte zu ihren Prüfern: drei Magier, die sie alle kannte. Die Magister Lindehalm, Rondarius und Van Dijk – Magietheorie, Stabfechten und Dämonologie.

    Magister van Dijk sah von seinen Unterlagen auf. »Adepta Meridan, dies ist Eure letzte Prüfung. Beschwört einen zweigehörnten Dämon aus Malribachs Reich.« Er streckte ihr ein kleines Pergament hin. »Zur Unterstützung erhaltet Ihr seinen wahren Namen. Wählt die geeigneten Paraphernalien und beginnt!«

    Seranas Herz raste. Zweigehörnt? Sie hatte noch nie eine derart mächtige Wesenheit herbeigerufen. Der Dämon würde sie töten, ausweiden und ihre Seele in die ewige Verdammnis ziehen, wenn sie auch nur einen einzigen Fehler beging.

    Sie zwang sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen, als sie auf den schweren Eichentisch zutrat, auf dem Dutzende von Substanzen, Edelsteinen und Knochen bereitstanden.

    ›Nur keine Panik. Es ist bloß ein kleiner, zweigehörnter Dämon.‹

    Malribachs Reich – Tod, Krieg und Vernichtung. Entsprechend würde sie sämtliche Schutzrunen mit Blut zeichnen. Eine Phiole reichte. Sie langte nach einer der Glasflaschen und konnte gerade noch verhindern, dass zwei andere dabei umkippten.

    Nun Fokussierungskristalle, um das Wesen an seinen Beschwörungsort zu fesseln. Doch welche? Wenn sie zu den drei Diamanten griff, die verführerisch in einer Schale gleißten, würde sie zwar den Dämon binden – jedoch hinterher durchfallen, weil sie es sich zu einfach gemacht hatte. Rubine eigneten sich bezüglich der Resonanz sicherlich am besten.

    Da fiel ihr Blick auf mehrere unscheinbare, grau glänzende Steine. Van Dijk hatte es nur einmal kurz erwähnt, aber die waren perfekt für ihre Aufgabe: Hämatite, Blutsteine. Sie entwickelten eine natürliche Sympathie zu den Schutzrunen und stärkten diese sogar.

    Fehlte noch ein Symbol. Die Adepta warf einen Blick auf den wahren Namen, den sie bisher bewusst ignoriert hatte, um zunächst die Paraphernalien für sein Reich auszuwählen. Skrylbeth. Dutzende Dämonenarten hatte sie auswendig gelernt, Hunderte. Aber von diesem hatte sie noch nie gehört. Sollte sie tatsächlich einen Gehörnten rufen, über den sie absolut nichts wusste? Dies lag irgendwo zwischen herausfordernd und hirnverbrannt.

    Serana blickte zu Magister van Dijk. Doch dieser hielt einfach nur die Finger über seinem langen Bart verschränkt und sah sie auffordernd an.

    Nein, sie würde die Prüfung nicht abbrechen. Sie konnte es weder ihren Eltern noch sich selbst antun, hier durchzufallen.

    Spontan griff sie zu einem Ziegenschädel. Zwei Hörner für einen Zweigehörnten. Similia similibus invocantur – Gleiches wird durch Gleiches gerufen.

    Sie trat auf den beeindruckenden Beschwörungszirkel zu, der in den steinernen Boden des Raumes eingelassen war. Zumindest musste sie die Ritualgeometrie nicht aufbringen. Drei Zirkel in vollendeter Perfektion lagen vor ihr: ein großer Kreis, der zwei kleinere enthielt, die einander gegenüberlagen. Ein Schutzkreis für sie selbst, ein Bannkreis für den Dämon. Der größte Kreis schützte die Außenwelt – und er schützte ebenso vor dieser.

    Serana platzierte den Schädel im Zentrum des Invokationspentagramms, das den Bannkreis füllte, fuhr den Zirkel mit Blut aus ihrer Phiole nach und formte ringsum ein Dreieck aus Hämatiten.

    Mit dem Rest des Blutes brachte sie generische Schutzrunen entlang ihres eigenen Kreises an.

    Langsame Atemzüge beruhigten ihr immer noch heftig schlagendes Herz, und sie begann, den äußeren Zirkel abzuschreiten.

    »Vis magica, te invoco in eum circulum! Creo vim, creo murum, creo protectionem! Hethenas Kraft, ich rufe dich! Bring Schutz und Obhut über mich! Durch meinen Geist fließ´ deine Macht, die mächt‘gen Wall zum Schutz erschafft. Der Schutzwall, den mein Wille schuf, erstehe nun durch meinen Ruf!«

    Serana konzentrierte sich auf den Fluss der Magie, der ihren Geist ebenso wie ihren Körper durchdrang. Ein herrliches Gefühl, vertraut und doch jedes Mal aufs Neue faszinierend. Sie formte die Ströme der arkanen Macht zu einer Mauer, die verhindern würde, dass irgendetwas aus dem Kreis nach außen drang – und äußere Störungen fernhielt. Ein simpler Steinwurf konnte jedes noch so mächtige Ritual zu einem Desaster werden lassen – und Magister Rondarius traute sie genau so etwas zu, aus rein pädagogischen Gründen natürlich.

    Ein kurzer Analysezauber offenbarte ihr, dass der umgebende Schutzkreis die gewünschte bidirektionale Stabilität aufwies. Auch die beiden verbliebenen Zirkel waren rasch errichtet. Die wahre Herausforderung jedoch stand erst bevor.

    Von ihrer eigenen Position aus fixierte sie die Stelle, an welcher der Dämon erscheinen würde – falls er denn erschien. War er einmal präsent, musste sie ihn noch unter Kontrolle bringen. All die Paraphernalien und der wahre Name halfen dabei – aber schlussendlich blieb es ein Duell des Geistes.

    »Clamo daemonem! Veni ad me! Esto meus servus – Skrylbeth!«

    Die Luft begann zu flimmern. Der arkane Tunnel zur Sphäre der Dämonen nahm Gestalt an. Die Adepta rief die Beschwörung erneut, ließ den wahren Namen laut und voll erschallen – und im Bannkreis ihr gegenüber manifestierte sich ein Wesen, wie sie es noch nie erblickt hatte. Es ähnelte einem gewaltigen Minotauren, erschaffen aus einer Ziege statt einem Stier. Doch anstelle eines gehörnten Kopfes loderten nur Flammen empor, die seinen gesamten Körper überstrichen. Drei Arme ragten aus diesem Körper, derer jeder in einem zähnefletschenden Maul endete, das von Geifer troff.

    Der entscheidende Moment! Der Tunnel riss einen Dämon aus seiner Sphäre. Das machte ihn zwar wütend, aber schwächte ihn auch.

    Eben wollte sie ihren Willen mit dem seinen messen, als zornige Schreie erklangen, deren Ursprung die Mäuler des Dämons waren. Sie sah, wie er mit seinen hufartigen Füßen den Schädel zermalmte, den sie gewählt hatte, und sich dann mit aller Kraft gegen das magische Feld warf, das ihn am Ausbruch hinderte. Ringsum begannen die Hämatite zu glühen, und selbst der Kreis im Boden schien aus purer Lava zu bestehen.

    Nein! Sie würde jetzt nicht in Panik geraten. Mehr als einmal hatten sie bei Magister van Dijk gefährliche Situationen behandelt.

    Sie versuchte, den Geist des Dämons zu erfassen, ohne sich ihm dabei selbst zu öffnen. Hass, Wut und Bosheit schlugen beim ersten Kontakt über ihr zusammen, ließen sie taumeln.

    »Mein Geist sei deine Grenze! Mein Wille sei deine Herrschaft! Mein Wort sei dein Befehl!«, brüllte sie in das Schreien des Dämons. Mit aller Kraft ihres Geistes fesselte sie seine Wut, wandte seinen Zorn gegen ihn selbst – und brachte ihn endlich unter Kontrolle.

    Serana keuchte, aber sie hatte es geschafft! Sie festigte die Verbindung, zog ihre Umklammerung seines Willens enger – und erblickte Magister Rondarius, der außerhalb des Schutzkreises entlang schritt, eine Armbrust spannte und auf sie anlegte.

    Sie spürte, wie der Dämon an ihren geistigen Fesseln riss, als sie in ihrer Konzentration nachließ.

    Da war ein Schutzkreis! Es bestand keine Gefahr für sie, zumindest nicht durch eine Armbrust! Sie musste nur daran glauben!

    Rondarius drückte ab, und der Bolzen zerbrach an der arkanen Mauer.

    Sie atmete durch. Blieb nur noch eines zu erledigen: »Skrylbeth, verbeuge dich! Tue nicht mehr, als was ich dir aufgetragen habe.«

    Seltsamerweise war das die größte Angst vor ihrer Prüfung gewesen: dass sie den zweiten Satz vergaß und damit dem Dämon die Macht verlieh, im Anschluss an ihren Befehl zu tun, was immer er wollte.

    Die grauenerregende Gestalt aus fremden Sphären verneigte sich – und verschwand nach Erledigung des Auftrags im Nichts.

    Serana atmete erleichtert auf. Es war vorbei! Und sie lebte noch!

    Einen nach dem anderen senkte sie die Schutzkreise und wandte sich dann der Prüfungskommission zu. Sie hatte bestanden! Oder etwa nicht?

    »Adepta Meridan, wartet bitte vor der Tür, während wir uns beraten.«

    Magister Lindehalm streckte sich. »War das die Letzte für heute?«

    Van Dijk blätterte kurz in seinem Verzeichnis. »Noch die Helmbrecht-Brüder.«

    »Gut, gut. Prüfungen sind immer so ermüdend.«

    »Das hat Serana vermutlich eben nicht so gesehen«, lachte Rondarius mit tiefer Stimme. »Eure Meinung?«

    Magister van Dijk sah auf seine Notizen. »Nun, Schutzkreise beherrscht sie recht gut«, wandte er sich zu dem muskulösen Nebenmann, der neben Stabkampf auch Körperertüchtigung lehrte. »Wie der Dämon und Ihr selbst eben unter Beweis gestellt habt. Bezüglich der Paraphernalienauswahl: Die Hämatite hat sie bewusst gewählt. Hochachtung. Allerdings mussten sie ihr auch gleich den Hals retten. Einen Ziegenschädel bei einem Skrylbeth-Dämon!« Er schüttelte den Kopf.

    »Wie oft habt Ihr denn die Skrylbeth durchgenommen? Bei meiner eigenen Prüfung war Serana recht gut vorbereitet«, meinte Magister Lindehalm.

    »Überhaupt nicht. So ein Examen soll ja auch eine Herausforderung darstellen. Aber Malribach straft in seiner Domäne mit Vorliebe, indem er Köpfe abreißt. Da wählt man doch keinen Schädel als Paraphernalie!«

    »Seid Ihr nicht ein wenig streng?«, meldete sich Rondarius zu Wort. »Serana ist zwar etwas ungeschickt und verträumt, aber sie wegen so etwas durchfallen lassen?«

    Van Dijk sah ihn überrascht an. »Ich glaube, das war ein Missverständnis. Selbstverständlich hat sie bestanden. Die Beschwörung war absolut korrekt durchgeführt – und sie hat es trotz der Wut des Skrylbeth und Eures … Lehrbeschusses geschafft, ihn zu beherrschen. Eine wirklich gute Leistung. Nur eben nicht so perfekt wie bei Tirana von Hardenhain letzte Woche.«

    »Ihr meint ihre Freundin, die damals zum Spaß den Eisdämon invoziert hat?«

    Van Dijk nickte.

    »Tja, hoffen wir, dass sie nicht in die politischen Streitigkeiten ihres Landes hineingezogen wird. Das könnte böse ausgehen, für wen auch immer.«

    »Dabei dachte ich stets, Geridorn sei der Frieden selbst«, meinte Lindehalm, »im Gegensatz zu ihren Nachbarn in Galorien. Ich habe Gerüchte gehört, dass es dort bald wieder Krieg mit Pardia gibt.«

    »Wieder?«, lachte Rondarius. »Galorien und Pardia liefern sich doch schon seit Jahrhunderten diese lächerlichen Scharmützel, die sie Krieg nennen – und deren Magierausbildung ist ein ebensolcher Witz. Ein paar von unseren Absolventen könnten dort bereits die Grenzen verschieben.«

    »Möchtet Ihr das Adepta Meridan vorschlagen?«, fragte van Dijk. »Soweit ich weiß, hegt sie noch keine konkreten Zukunftspläne.«

    Alle drei lachten.

    Kantstein – ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart, aber bestimmt nicht ihre Zukunft.

    Serana trat auf den großen Marktplatz vor der Akademie, die so lange ihr Zuhause gewesen war. Sie schloss die Augen und genoss mit einem befreiten Lächeln die wärmenden Strahlen der Kerbalsscheibe. Es war geschafft. Endlich!

    ›… und erheben dich als Maga in die Bruderschaft der Wissenden. Erweise dich dieses Titels als würdig, denn wiewohl du am Ende deiner Ausbildung stehst, stehst du doch erst am Beginn deines Weges‹, hatte es gestern endlich geheißen.

    Stimmen feilschender Händler drangen an ihr Ohr, Krämer, die lauthals ihre Waren anpriesen, der verführerische Duft frisch gebratener Fleischspieße.

    Endlich Zeit, all dies in sich aufzunehmen, endlich Zeit, etwas anderes zu tun, als bei flackerndem Kerzenschein bis spät in die Nacht zu lernen. Sämtliche Prüfungen waren bestanden – und sie eine Magierin!

    »Vorsicht!«

    Überrascht blickte sie auf und stolperte zur Seite, um einem Karren voller Karotten auszuweichen.

    »Zauberer!«, murmelte der bärtige Mann hinter dem Karren und setzte kopfschüttelnd seinen Weg fort.

    Hm, mit ihren Gedanken nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit abzuschweifen, musste sie wohl noch üben. Allerdings: Wie oft schon hatten die Magister der Arkanen Akademie zu Kantstein sie darauf hingewiesen?

    ›Egal‹, dachte sie beschwingt, während ihre Nase sie unwiderstehlich zu einem der Garbräter zog. Zumindest in den letzten Wochen hatte sie sich alle Mühe gegeben.

    »Ah, meine Lieblingsstudiosa!«, begrüßte sie freundlich ein untersetzter Mann, der langsam ein Spanferkel drehte. »Wo seid Ihr denn in den letzten Wochen gewesen?«

    »Abschlussprüfungen. Keine Zeit für Eure leckeren Schweine«, antwortete sie dem Koch, bei dem sie sicher noch viel häufiger zu Gast gewesen wäre, wenn sie nicht hätte sparen – und zumindest ein klein wenig auf ihre Figur achten müssen.

    »Abschluss? Heißt das, Ihr seid jetzt eine mächtige Magierin, vor der ich zittern muss?«

    »Aber selbstverständlich. Los, zittert!«

    Serana stimmte in das herzliche Lachen des Mannes ein. Zwar durfte sie jetzt offiziell den Titel Maga führen, aber von mächtig konnte keine Rede sein, immerhin war sie gerade erst achtzehn Jahre alt.

    Achtzehn. War es wirklich schon zehn Jahre her, dass sie als kleines, verängstigtes Mädchen an die Akademie gekommen war? Mit kurzgeschorenen Haaren, derentwegen sie alle ausgelacht hatten? An der Hand eines Mannes, den sie kaum kannte und den sie danach nie wiedersah?

    »Hier, oh mächtige Zauberin, Euer Fleisch.«

    Sie liebte diesen Stand. Nirgendwo schmeckten die Spieße so würzig wie hier. Sie würde ihn vermissen. Sehr.

    »Und wisst Ihr schon, was Ihr jetzt tun werdet?«

    »Kendar. Der Kaiserpalast«, antwortete sie leicht schmatzend. Allmählich wurde es wirklich Zeit, auf ihr Benehmen zu achten. Immerhin war sie jetzt eine Maga. Langsam ließ sie das köstliche Fleisch auf der Zunge zergehen, bevor sie weitersprach. »Ich wollte schon immer die Hauptstadt sehen, die Türme des Palastes, die bis in den Himmel ragen, die gewaltige Hethena-Bibliothek – und natürlich den Theaterplatz. Es heißt, dass sie dort jede Woche ein neues Stück aufführen.

    »Ihr klingt ja ganz begeistert. Ich wünsche Euch jedenfalls eine gute Reise. Vergesst mich nicht – und meine Spieße!«

    »Bestimmt nicht!«

    »Hier.« Er reichte ihr ein großes Stück Fleisch. »Damit Ihr nicht schon am Anfang des Weges hungert.«

    Sie griff nach ihrem Geldbeutel. Konnte sie sich das leisten? Der Weg nach Kendar war weit und …

    »Nichts da! Ist mein Abschiedsgeschenk.«

    »Danke! Und falls Ihr einmal eine Magierin braucht…« Serana unterbrach sich. Der Satz war unsinnig. Sie wusste ja noch nicht einmal, ob sie überhaupt je wieder nach Kantstein zurückkehren würde.

    »Dann zittere ich einfach so lange, bis Ihr kommt«, antwortete ihr Gegenüber lachend. »Und im allerschlimmsten Notfall«, er deutete auf ihre Akademie, »gibt es da ja noch einen – oder zwei.«

    Sie folgte seinem Blick. War es wirklich noch ihre Akademie? Heute Morgen war sie ein letztes Mal durch deren weite Hallen, lange Gänge und düstere Gemäuer gegangen. Düster waren sie eigentlich immer nur Fremden vorgekommen. Ihr dagegen hatten sie ein wohliges Gefühl der Vertrautheit und des Schutzes vermittelt. Schon als sie als kleines Mädchen ihre ersten, noch schüchtern-furchtsamen Schritte durch diese Schule gelenkt hatte, die ihr im Laufe der Jahre zu noch so viel mehr geworden war, war ein Gefühl der Geborgenheit in ihr erwacht, welches während all der Zeit dort erhalten blieb.

    Gestern hatte sie nun endgültig Abschied von der ihr so vertrauten Umgebung genommen. Und nun?

    Lange Jahre des Studiums lagen hinter ihr, lange Jahre der Freude, aber auch des Schweißes. Unzählige Erinnerungen an durchwachte Nächte über Büchern, dozierende Magister und Prüfungen mischten sich mit denen an ausgelassenes Lachen, treue Freunde und herrliche Abenteuer.

    Abenteuer, ja, dieser Gedanke holte sie aus ihrer Versunkenheit wieder auf den sonnigen Marktplatz zurück. War es das, was ihr bevorstand? Was würde, sollte, musste ihr das Leben jetzt bringen?

    Zunächst hatte sie natürlich mit dem Gedanken gespielt, zurück nach Grünweiler, ihr Heimatdorf zu gehen, ihre Eltern auf dem kleinen Bauernhof zu besuchen, Zeit mit ihren drei Geschwistern zu verbringen: nach ihrem kleinen Bruder zu sehen und ebenso ihren Schwestern, die beide im letzten Jahr den Maranisbund geschlossen hatten und im Nachbarort lebten. Aber … Nein, darüber hatte sie wahrlich lange genug nachgedacht. Kendar rief!

    Serana säuberte sich ihre Finger gründlich mit einem Tuch. Wo sie jetzt hinging, waren fettige Hände äußerst unpassend.

    »Habt vielen Dank für all die leckeren Spieße in den letzten Jahren. Gehabt Euch wohl!«, verabschiedete sie sich.

    »Glück auf den Weg. Mögen die Götter Euch beschützen!«

    Serana stützte sich auf ihren mannshohen Zauberstab, während sie weiter über den Markt schlenderte und ein letztes Mal all die Eindrücke des belebten Ortes auf sich wirken ließ. Würde es in Kendar noch quirliger zugehen? Wie auch immer, der Stab jedenfalls würde von nun an stets an ihrer Seite weilen. Ungeheurer Stolz hatte sie erfüllt – und tat es noch immer – als ihr diese Insignie ihrer neuen Würde zuteilwurde, zusammen mit dem Akademiesiegel auf ihrer linken Handfläche.

    Das Siegel schmerzte noch etwas, obwohl man den Adepten der unteren Klassen stets beibrachte, dass der Prozess, mit dem es unauslöschlich in die Haut gebracht wurde, kaum zu spüren sei. ›Vielleicht sollte man den uralten Siegelstock ‘mal wieder neu justieren?‹, dachte Serana, als sie an den dicht gedrängten Ständen der Marktfrauen entlangging. Was den Stab betraf, so war dieser tief mit ihr verbunden und würde erst vergehen, wenn sie starb. Schon vor Wochen war sie durch den Hain vor der Stadt gestreift, um geeignetes Holz zu finden: gerade und ebenmäßig, etwa so groß wie sie, am besten von einer Ulme. Der Stab eines Magiers war etwas derart Persönliches, dass selbst jene Adepten ihres Jahrgangs, die genügend Silber besaßen, sich alles anfertigen zu lassen, das Holz selbst geschnitten hatten.

    Ihr Lehrmeister für Stockkampf, Magister Rondarius, hatte sie beim Ritual der Stabweihe unterstützt, sie mit seiner tiefen, ausnahmsweise einmal nicht strengen Stimme sicher hindurchgeleitet. Doch es war ihre Magie, die durch die Waffe floss und Unzerstörbarkeit verlieh, ihre Magie, die einen Gefährten erschaffen hatte, der ihr vom Scheitel bis zur Sohle reichte und stets an ihrer Seite blieb.

    Siegel und Stab waren die Insignien, die alle Magier trugen – als Zeichen der Verbundenheit mit Hethena, der Göttin der Magie. Zwar fühlte sie sich noch nicht ganz so vollwertig, wie diese Symbole es suggerierten, zwar glitten ihre Gedanken immer wieder zurück zur Akademie und würden dies wohl auch noch lange Zeit tun, aber sie wusste und fühlte, dass mit dem Abholen ihrer wenigen Habseligkeiten, die sie jetzt in einem ledernen Rucksack bei sich trug, ein neues Leben begann – oder vielleicht schon begonnen hatte. Wie genau dieses aussah, stand noch in den Sternen. Einige Kommilitonen hatten sich bei örtlichen Handelshäusern verdingt, zur »interpersonalen Kommunikationssupervision«, wie diese sich damit brüsteten. Serana kannte diejenigen, hatte sie in allen Vorlesungen über Hellseherei fleißig mitschreiben sehen– um dann doch nur Mittelmaß zu sein. Nun ja, sollten sie ruhig versuchen, sich mit dem Bespitzeln der Gedanken anderer ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Serana wusste, dass es für sie nicht das Richtige gewesen wäre. Was jedoch das Richtige war, stand ihr zwar noch nicht genau vor Augen, aber voller Neugier und Hoffnung ging sie nun Schritt um Schritt auf dem Weg, es zu finden. Blieb nur zu hoffen, dass es auch ein wenig Silber eintrug, denn gleich würde ihr Geldbeutel deutlich leichter werden.

    Festen Schrittes begab sie sich auf den letzten Weg, der heute in Kantstein noch ausstand: die Schneiderei. Die meisten Mädchen aus ihrem Jahrgang (und wohl auch einige Jungen) kannten den Schneider Tirson recht gut, da sie viel Zeit in seinem Geschäft verbrachten, um sich die neuesten Entwürfe aus der Hauptstadt erklären zu lassen, oder sich in Kleidern zu bewundern, die sie weder tragen noch sich leisten konnten. Serana hatte stets nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken können, wenn die übrigen Mädchen sich über die »Frauen von Welt« unterhielten, überzeugt, sie gehörten dazu, obwohl Seranas Meinung nach keine das eine und nur die wenigsten das andere waren.

    Wie auch immer – sie hatte sein Haus nur selten besucht. Doch heute lagen die Dinge anders. Sie wollte etwas abholen, auf das sie sich schon seit Monaten, wenn nicht länger, freute, und das ihr erst jetzt, nach ihrem Abschluss erlaubt war zu tragen: ihr Reisegewand. Eigentlich stellte dieses Kleidungsstück nichts wirklich Besonderes dar. Es war ein weitgeschnittener, dunkelgrauer Mantel mit langen, nach vorn weiter gearbeiteten Ärmeln, gefertigt aus stabilem und festem Stoff, der angenehme Wärme spendete und mit seiner Kapuze auch bei Regen recht gut schützte. Ein paar Symbole ihrer »Zunft« schmückten die Vorderseite: ein Heptagramm, die Zeichen der Elemente und manch anderes. Alles in allem also tatsächlich nichts Besonderes. Die meisten reisenden Magi trugen Besseres und selbst auf dem Marktplatz, von dem sie jetzt in die kleine Gasse mit der Schneiderei einbog, wäre sie damit kaum aufgefallen.

    Der Grund dafür, den heutigen Tag schon seit vielen Mondwechseln zu ersehnen, lag in etwas ganz anderem: der Tradition der Gilde, der sie nun endlich als Maga und nicht mehr als Adepta angehörte. Die Bruderschaft der Wissenden war in ihrer Kleiderordnung ausgesprochen streng. Die jungen Adepten durften nur dieses, die älteren nur jenes tragen. Und da es ihnen während der Lehrzeit ohnehin untersagt war, ohne Begleitung durch Magistri die Stadttore zu passieren, war der Nutzen von Reisekleidung natürlich begrenzt. Für die Heimreise während der Sommermonate, zu denen die Akademie ihre Pforten schloss, hatte sie seit Jahren den gleichen, abgetragenen Umhang verwendet, der langsam zerfiel und auch nicht mehr wirklich passte. Daher war dieses neue Gewand nicht nur ein Symbol für die Freiheit, allein die Stadt zu verlassen, es war auch das erste Stück, was sich eine echte Maga der Tradition nach zulegen sollte. Sonst nahm sie es zwar mit den Regeln oft nicht so genau, doch das erste eigene Gewand, das war etwas anderes, Wichtiges. Das Geld dafür hatte sie sich in den letzten Monaten in der Akademie verdient. Unter Umständen, an die sie mit einer Mischung aus Lachen und Unwohlsein zurückdachte: Es war nicht eben angenehm, Zielperson für Angst- und Kontrollzauber jüngerer Jahrgänge zu sein, obwohl sie dadurch mehr Wissen über deren Abwehr gesammelt hatte, als es ihr in den Theoriestunden zu diesem Thema je möglich gewesen wäre. Und wenn ein Schüler der höheren Klassen kreischend durch die Gänge schoss, weil er sich selbst statt sie verzaubert hatte, dann entschädigte der Spaß daran allein schon für vieles.

    Angenehme Kühle schlug ihr entgegen, als sie die knarrende Tür der Schneiderwerkstatt öffnete und Stab wie Rucksack in eine Ecke stellte. Natürlich war sie während der Anprobe und am Tag ihres Auftrags bereits hier gewesen, doch schien ihr dieses Geschäft noch immer fast wie eine andere Welt. Hohe Regale, gefüllt mit Leder und den verschiedensten Stoffen umgaben sie. In Pailletten und metallverzierten Borten brach sich das Sonnenlicht, und der Schneider herrschte wie ein gütiger König über ein Reich von gewebten Untertanen.

    Tirson war ein schlanker, älterer und stets auf die Wünsche seiner Kunden bedachter Meister seines Fachs. Zwar gab es noch zwei andere Schneider in der Stadt, doch wer wirklich etwas auf sich und seine Kleidung hielt, war Kunde bei Tirson.

    »Seid gegrüßt, junges Fräulein!«, unterbrach er Serana in ihren Gedanken, »oder vielleicht sollte ich Euch besser mit Maga ansprechen? Der Titel steht Euch ja nun augenscheinlich zu«, ergänzte er, als sein Blick auf Seranas Stab fiel.

    Erfreut ob dieser kleinen Schmeichelei fragte sie nach dem Gewand. Tirson verschwand in einem Nebenraum, der eigentlichen »Schneiderei« und kehrte kurz darauf mit einem dunkelgrauen Mantel wieder, den ein Heptagramm und die Zeichen der Elemente schmückten. Sonst war an ihm nichts Außergewöhnliches zu entdecken. Der Mantel schien recht stabil und strapazierfähig und wäre ohne seine arkane Verzierung schwerlich aufgefallen. Selbst mit dieser zog er wohl die Blicke kaum auf sich. Oder galt dies nur für Kantstein, wo aufgrund der Akademie weder Magier noch ihre Symbole etwas Außergewöhnliches waren? Nun, sie würde es bald erfahren.

    Serana überlegte, wer wohl in dunkler Vorzeit dieses Gewand erdacht und in den Gildenstatuten verankert hatte. Es schien so gar nicht zu dem Schillern und Glanz zu passen, mit dem sich die hochrangigen Mitglieder ihrer Zunft sonst so gern umgaben. Vielleicht musste man ebenjene Dinge erst verdienen und ein bescheidenes Gewand sollte die frischgebackenen Absolventen der Akademie an ihre noch bescheidene Erfahrung und Macht gemahnen? Vielleicht waren sie nur Ausdruck eines übersteigerten Geltungsbedürfnisses? Vielleicht – was auch immer. Serana verscheuchte die sich aufdrängenden Gedanken. Sie hatte keine Wahl zwischen Prunk und Einfachheit. Sie wollte sie auch nicht haben. Vor ihr lag etwas, auf das sie sich schon seit langer Zeit gefreut hatte, etwas, das sie sich in jeder Beziehung verdient hatte – etwas, auf das sie stolz war!

    Ihre Finger glitten langsam über den Stoff, als sie sich in einem großen Eckspiegel betrachtete. Sie spürte das raue, feste Material. Woraus genau dieses bestand, war ein Geheimnis der Gilden und ihrer Schneider. Dass es damit wirklich ein großes Geheimnis auf sich hatte, bezweifelte Serana. Der Stoff fühlte sich an wie festes Leinen. Aber trotzdem war die Vorstellung, in einem magischen Gewebe einherzuschreiten, reizvoller als die von normalem Tuch.

    Für Serana spielte das im Moment aber keine Rolle. Endlich trug sie das Gewand, das sie so lange ersehnt und erträumt hatte. Sie schritt vor dem Spiegel auf und ab, strich ihre langen, blonden Haare, die sie sonst immer zu zwei starken Zöpfen geflochten trug, nach vorn und dann wieder zurück, sodass sie ihren Rücken bedeckten.

    »Verzeiht, Meister Tirson, dürfte ich mich kurz kämmen? Euer Spiegel ist so herrlich.«

    Leicht verwundert blickte der Schneider sie an, schien jedoch seltsame Allüren seiner Kundschaft gewohnt. »Aber selbstverständlich.«

    Serana wurde leicht rot, als sie in ihren Rucksack griff und eine weiche Bürste hervorzog. Für wie eitel mochte er sie jetzt halten? Dabei …

    ›Nein!‹, schalt sie sich. ›Bei der Sache bleiben!‹

    Sie bürstete gründlich ihr Haar und flocht es zu zwei langen Zöpfen. Sicher war sicher. Wer wusste schon, was ihr auf der Reise alles begegnete? Erneut betrachtete sie sich im Spiegel. Ja, definitiv sicherer. Und insgesamt recht passabel.

    Serana war stets ausgesprochen zufrieden damit gewesen, wie die Götter sie vor nunmehr achtzehn Jahren geschaffen hatten: beinahe zwei Schritt groß, blaue, freundliche Augen und einen Körper, um den sie manche Mitschülerinnen beneideten.

    Die junge Maga hatte nie viel auf Äußerlichkeiten gegeben und tat es eigentlich auch jetzt nicht, doch sie konnte nicht leugnen, dass ihr Spiegelbild in dem neuen Gewand einen gewissen Reiz auf sie ausübte. Das Gewand passte perfekt und kam ihrer Idealvorstellung sehr nahe. Sie beschloss, den neuen Mantel gleich am heutigen Tage zu tragen, selbst wenn es dafür fast etwas zu warm war, bezahlte Tirson die üblichen drei Golddukaten und bedankte sich für die hervorragende Fertigung. Serana wusste nicht, seit wann dieser Preis »üblich« war. Er galt als Symbol.

    ›Symbol wofür? Unverhältnismäßigkeit?‹ Sie dachte an die vielen Monate zurück, die sie für diesen Betrag mit den jungen Adepten hatte üben müssen, obwohl eher jene mit ihr geübt hatten, und sie wusste auch, dass man von drei Dukaten Monate leben konnte – wenn auch bescheiden. Nie im Leben hätten ihre Eltern derart viel Geld für Kleidung ausgegeben, gar nicht ausgeben können. Und auch ihre eigenen finanziellen Mittel waren nun wieder auf einem sehr bescheidenen Stand angelangt.

    Doch die frisch initiierte Magierin ließ sich von diesen Überlegungen nicht ihre Freude verderben. Es würde schon alles seine Richtigkeit und einen tieferen Sinn haben, der für sie bloß noch nicht offen zutage trat. Als kleine Schülerin der unteren Klassen, eine Adepta Minor, hatte sie oft zu hören bekommen, dass all die Dinge, die sie lernen musste, ihre tiefere Bedeutung erst später erführen. Und bei manchen hatte es sogar gestimmt. Der Mantel markierte den ersten Schritt in das Leben außerhalb der Akademie. Und dieser musste aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln getan werden.

    Als Serana aus der Schneiderei trat und die wärmenden Strahlen der Frühsommersonne auf ihrem Gesicht spürte, schloss sie mit der knarrenden Tür des Ladens auch die letzte Tür, die noch in unmittelbarer Verbindung zur Akademie stand.

    Die zurückliegenden Jahre dort waren anstrengend gewesen, hatten sie oft bis an die Grenzen gefordert und ihr viele durchwachte Nächte beschert. Und doch war sie in jenem uralten Gebäude stets glücklich gewesen. Eine Person hatte ihr dabei nähergestanden, als eine Schwester es hätte tun können: ihre beste Freundin Tira. Eigentlich war ihr Name Matirana von Hardenhain, aber so war sie nur in den Pergamenten der Verwaltung verzeichnet. Weder Serana noch die Magistri hatten »die Erhabene des Landes«, was der Name in der Sprache ihrer Heimat bedeutete, jemals so genannt – und sich damit alles andere als ihr Missfallen zugezogen. Tira hatte nicht viel Wert auf Namen und Titel gelegt. Sie glaubte, sich beides erst wirklich verdienen zu müssen. Um das zu erreichen, war sie schon am gestrigen Tag nach Osten aufgebrochen, um sich dort einen Namen als Maga zu erwerben und sich dadurch ihrem eigentlichen Namen würdig zu erweisen.

    Serana kamen jetzt noch die Tränen, wenn sie sich an die Kutsche erinnerte, die Tira in ihr neues Leben trug. Sie hatten einander geschworen, sich eines Tages wiederzusehen und vor allem beste Freundinnen zu bleiben, was auch immer geschehen mochte. Tempora mutantur, sed nos non mutamur in illis – die Zeiten ändern sich, doch wir verändern uns nicht, war der Leitspruch ihrer Freundschaft über all die Jahre gewesen – und Serana war fest entschlossen, sich in Bezug auf Tira daran zu halten. Ihr eigenes Leben würde sich jetzt jedenfalls drastisch ändern und damit vielleicht auch sie selbst.

    Doch die junge Maga hielt sich nicht lange mit solchen Grübeleien auf. Ob sie sich ihm nun entgegenstellte oder mitreißen ließ, fand sich noch früh genug ganz von allein.

    Sie ging die ersten Schritte ihres neuen Lebensweges. Momentan führte sie dieser zwar nur über den Marktplatz, den sie schon tausendmal gesehen hatte, aber das hielt sie nicht davon ab, von fernen Ländern, großen Abenteuern und gut aussehenden Männern zu träumen. Der letzte Gedanke ließ ein Lächeln über ihr ohnehin meist fröhliches Gesicht huschen, da es bisher in dieser Hinsicht immer nur beim Träumen geblieben war. Es hatte da zwar den einen oder anderen gegeben und auch Situationen, in denen sie nicht unbedingt gern ihre Eltern dabeigehabt hätte, doch wirklich verliebt war sie noch nie gewesen. Und von ein paar Küssen und vielleicht ein klein wenig mehr abgesehen, hatte sich auch nie etwas ereignet. Vermutlich lag dies an ihren zugegebenermaßen sehr romantischen Vorstellungen in diesem Bereich, wofür sie ein Gefühl, das bloße Zuneigung weit überstieg, beim ersten Mal als unabdingbar ansah. Sich einem Mann hinzugeben, den sie nicht aufrichtig liebte? Unvorstellbar.

    Die örtliche Priesterin der Liebesgöttin Arjana hatte dies zwar etwas anders betrachtet, worauf schon ihre Kleidung hinwies, die aus wenig Stoff und sehr viel Nichts bestand, aber ihren Unterricht hatten Tira und sie immer gern besucht, und wenn es nur war, um heimlich zu kichern. Die Vorlesungen der Priesterin waren stets ausgesprochen anschaulich gewesen. Und wenn sie auch nur, im Gegensatz zu Tira, das wenigste praktisch umgesetzt hatte, so war sie doch froh, dieses Wissen im Notfall zu besitzen. An der Akademie war jedenfalls noch nie der Umstand aufgetreten, sich mit den Folgen gewisser »Unfälle« auseinandersetzen zu müssen. Interessanterweise wurde der Unterricht der Priesterin äußerst gründlich evaluiert. Fast jeder ihrer Vorlesungen wohnten nahezu sämtliche Vertreter des Lehrkörpers bei, zumindest die maskulinen. ›Komisch‹, dachte Serana schmunzelnd, ›alle anderen Fächer sind nur alle paar Jahre kontrolliert worden.‹ Tja, auch die Priesterin würde sie höchstens noch zufällig wiedertreffen.

    Der Weg zum nördlichen Stadttor führte sie erneut über den Markt, erneut vorbei am Duft gebratenen Fleisches und kräftig gewürzter Suppen, der ihr verführerisch in die Nase stieg. Überall auf dem Markt reizten die verschiedensten Speisen. Fischer priesen eben erst im nahen Fluss gefangene Ware an, Köche lockten mit frischem Wildbret.

    Nein! Sie musste sparsam sein. Zu Pferde war Kendar fünf Tage entfernt. Wie lange sie zu Fuß benötigte, würde sich herausstellen.

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