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Tochter von Frankreich: Das Geheimnis der Dunkelgräfin
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Tochter von Frankreich: Das Geheimnis der Dunkelgräfin
eBook416 Seiten5 Stunden

Tochter von Frankreich: Das Geheimnis der Dunkelgräfin

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Über dieses E-Book

Wohlbehütet und fernab der Nöte ihres Volkes, verbringt Marie Thérèse Charlotte de Bourbon, die älteste Tochter Marie Antoinettes, ihre Kindheit.
Nach dem Verlust ihrer Familie und über einem Jahr in Einzelhaft, soll die mittlerweile Siebzehnjährige im Austausch gegen französische Gefangene nach Wien gebracht werden.
Aber dort kommt sie niemals an, denn das Schicksal hat anderes mit ihr vor.
"Tochter von Frankreich – Das Geheimnis der Dunkelgräfin" schildert den Lebensweg von Frankreichs letzter Prinzessin Marie Thérèse, wie er auch hätte verlaufen können – als Geschichte eines außergewöhnlichen Lebens und einer nicht minder außergewöhnlichen Liebe zur Zeit der französischen Revolution.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum22. Sept. 2014
ISBN9783847690269
Tochter von Frankreich: Das Geheimnis der Dunkelgräfin

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    Buchvorschau

    Tochter von Frankreich - Kirsten Klein

    Widmung und Dank

    Für Olaf,

    der mich zu diesem Roman inspirierte

    Danksagungen

    Mein ganz besonderer Dank gilt meinem lieben Freund, dem Historiker Olaf Schulze, der mich bei historisch relevanten Fragen beriet und den Roman lektorierte.

    Außerdem danke ich dem Grafik-Designer Gunnar Gstettenbauer (www.gungus.de; mail@gungus.de) für die Gestaltung des Covers.

    Und last but not least danke ich Matthias Busch, Stuttgart, für seine Unterstützung.

    Prolog

    „Da! Sie kommt, die Dunkelgräfin, sie kommt zurück!", rief das Mädchen, ehe die Mutter ihm die Hand auf den Mund pressen konnte.

    Die anderen waren seinem Blick bereits gefolgt. Einige bekreuzigten sich. Manche liefen weg, zurück in ihre Häuser, zu ihrer Arbeit, von der sie sich davongestohlen hatten, aber die meisten bannte die Neugier.

    So standen die Hildburghäuser also am Fuße des Schulerberges, der eigentlich nur ein Hügel war, und starrten auf die dunkel verschleierte Frau. Plötzlich, in der Ferne, war sie aufgetaucht. Zwischen den Bäumen, die keinen Schutz mehr boten und das frische Steingrab umstanden, trat sie hervor. Dabei müsste sie doch darin ruhen – die Dunkelgräfin.

    Wer war diese Frau? Sie trug etwas in der Hand, doch was es war, erkannten die Schaulustigen nicht.

    Ein kleiner Junge wollte es unbedingt wissen, riss sich von seiner Mutter los und rannte auf die Verschleierte zu. Nicht weit, denn zu ihr hin traute er sich nicht. Andere Kinder eiferten ihm nach, machten ein Spiel daraus, wagten sich immer ein bisschen näher heran und rannten dann schreiend zurück.

    Die Erwachsenen ermahnten sie. Immerhin hatte hier kürzlich eine Beerdigung stattgefunden.

    Jetzt hob die Frau ihren Blick. Brachten die Wolken den ersten Schnee mit sich oder Regen? Besonders stürmisch wurden sie heute über den Himmel geweht, immer wieder durchbrochen von Sonnenstrahlen. Einer traf das Steingrab.

    Näher trat die Frau heran, und ein wehmütiges Lächeln umspielte ihre grau verschleierten Lippen. Ihr Blick fiel den Hügel hinab auf die Leute, die dort standen.

    Insgeheim gebot sie ihnen zu weichen, und tatsächlich, sie entfernten sich – zumindest so weit, dass die Frau auf dem Hügel sich nicht mehr von ihnen beeinträchtigt fühlte.

    Langsam hob sie ihren Schleier, senkte den Blick auf den trapezförmigen Stein und drehte den Stiel der weißen Lilie in ihrer Hand, ließ sie tanzen vor ihren Augen.

    Eine Träne benetzte die Blüte. Oder beschloss der Himmel zu weinen? Die Trauernde ließ sie fallen und betrachtete sie, nun hinter einem Tränenschleier – die einzige Blume auf dem Grab. Ihr, Marie Thérèse Charlotte von Frankreich, hatte van der Valck, der Dunkelgraf, es offenbar vorbehalten, das Grab damit zu schmücken.

    Sie ließ den Schleier vors Gesicht fallen und sah auf. Doch ihr Blick wich nach innen, fort von diesem 1837, in dem sie sich dem Ende ihres sechsten Lebensjahrzehntes näherte.

    I

    Verborgen zwischen den Falten des Vorhangs am Bett ihrer Mutter Marie Antoinette, lauschte die achtjährige Marie Thérèse den Worten des Leibarztes. Dabei waren diese Worte an ihren Vater, König Louis XVI., gerichtet. Alles konnte Marie Thérèse nicht verstehen, denn immer wieder stöhnte und schrie die Mutter vor Schmerzen. Wie krank mochte sie wohl sein? Sie würde doch nicht etwa sterben?

    Aus Angst um sie hatte Marie Thérèse sich hier versteckt. Nein, sie konnte ihre Mutter jetzt nicht alleine lassen, verkrampfte ihre schweißnassen Finger in den Vorhangstoff und presste ihren Rücken gegen das prachtvolle Blütenrankenmuster der Brokatpaneele an der Wand. Wenn sie nur artig wäre, bei ihr bliebe und den lieben Gott inbrünstig darum bäte, dann würde er ihr die Mutter nicht fortnehmen. So hoffte Marie Thérèse.

    Ob es vielleicht etwas mit dem zornigen Volk zu tun hatte, dass es der Königin so schlecht ging? Jedenfalls sprachen Vater und Leibarzt darüber, soviel verstand das Kind. Es verstand überhaupt viel mehr, als sie Erwachsenen glaubten. Die sprachen oft achtlos in Gegenwart der Kinder über die politische und wirtschaftliche Lage Frankreichs, über den Unmut des Volkes, seinen Zorn auf die Monarchen. Angstvoll und auch wütend schnappte Marie Thérèse solche Worte auf. Wie konnte das Volk denn ihrer Mutter zürnen, ausgerechnet ihr, die den Armen doch so viel gab, die Bälle für Kinder veranstaltete und sogar die Bürgerlichen dazu einlud? Das Volk sollte Kuchen essen statt Brot, sollte die Mutter einmal gesagt haben. Marie Thérèse konnte darüber nicht genug staunen. Kuchen für die Armen. So großzügig war die Mutter. Marie Thérèse mochte Kuchen allemal lieber als Brot.

    Allein bei dem Gedanken daran knurrte ihr der Magen, so laut, dass sie fürchtete, er könnte sie verraten. Doch schon im nächsten Moment dachte sie nicht mehr an Kuchen und Magenknurren. Was hatte der Arzt eben gerufen? Es kommt! Was kam? Sehen konnte Marie Thérèse kaum etwas durch den dicken, mit goldenen Stickereien durchwirkten Brokat des in grün und rosé gemusterten Vorhangs, nur schemenhafte Bewegungen des Mannes. Der beugte sich nun wieder über ihre Mutter. Vor Schmerzen wand sich ihr Leib. „Ich sehe den Kopf."

    Fast hätte Marie Thérèse alle Vorsicht vergessen und am Vorhang vorbei gespickt. Wovon sprach der Arzt? Wessen Kopf sah er? Auch der Vater schien vor Neugier zu platzen. „Was ist es?, hörte Marie Thérèse ihn fragen. Der Arzt antwortete nicht. Stattdessen schrie die Mutter wieder, so laut, wie das Kind hinterm Vorhang sie noch nie hatte schreien hören. Erschrocken hielt es sich die Hand vor den Mund. Zu spät. Der Schrei war ihm bereits entwichen. Marie Thérèse starrte entgeistert in das Gesicht ihres Vaters, der ihr mit einer Bewegung seiner großen Hand den Vorhang entrissen hatte. Ihre Lippen bebten, brachten das „verzeiht Vater nicht heraus. Auch Louis XVI. fand vor Überraschung keine Worte, schob seine Tochter an der vergoldeten Balustrade entlang, welche das Bett vom übrigen Raum abgrenzte, zur Tür. Sie rannte hinaus, blieb aber hinter der angelehnten Tür stehen und presste ein Ohr dagegen. Ein schwaches, dünnes Stimmchen drang zu ihr. War das möglich? Jetzt begriff Marie Thérèse. Sie hatte ein Geschwisterchen bekommen. Wie schön und wie ärgerlich zugleich! Endlich hätte sie sehen können, woher die kleinen Kinder kamen, und was war? Sie hatte alles verpatzt! War es vom Himmel herabgeschwebt, vielleicht durchs Fenster? Das stand offen. Marie Thérèse hatte es beim Hinauseilen genau gesehen, schon zuvor den Luftzug gefühlt. Aber warum musste ihre Mutter so furchtbar schreien?

    Plötzlich erinnerte sich das Mädchen an ein Gespräch zwischen zwei Hofdamen, das sie vor einiger Zeit belauscht hatte. Da erzählte doch eine der anderen, bei der ersten Niederkunft sei die Luft im Raum durch die vielen Leute so schlecht gewesen, dass die Königin ohnmächtig geworden sei. Deshalb hätte der König beim nächsten Mal keine Anwesenden mehr geduldet, außer ihm und dem Leibarzt.

    Wie auch immer, reimte sich Marie Thérèse zusammen, es musste sehr anstrengend sein, ein Kind zu bekommen, zumindest für die Mutter. Noch immer stand das Mädchen hinter der Tür und lauschte. Nur die Stimmen der beiden Männer waren zu hören. Sie klangen aufgeregt, aber was sie berieten, konnte Marie Thérèse nicht verstehen. Ob die Mutter wieder in Ohnmacht gefallen war, trotz des offenen Fensters und des leeren Raumes. Nun, sie, Marie Thérèse, war ja noch drin gewesen. Aber sie konnte ihrer Mutter nicht viel Luft genommen haben, hatte ja fast nicht zu atmen gewagt.

    Das Mädchen fieberte vor Aufregung. Hier durfte sie nicht stehen bleiben, wenn sie nicht wieder ertappt werden wollte, aber sie musste wissen, wie es ihrer Mutter ging. Maman Mackau, die Untergouvernante, ja, die sollte nach ihrem Befinden fragen.

    So schnell ihr weites, langes Kleid es zuließ, eilte Marie Thérèse durch die Privaträume der Königin und erreichte eben die Treppe, die zu den Räumen unterhalb der Spiegelgalerie führte, als ihr die Gesuchte, Baronin Marie-Angélique de Mackau, auch schon entgegenkam. Unterstützt durch das elegante, dunkle Gewand, welches die Würde ihrer fortgeschrittenen Jahre betonte, und die hochgesteckte Frisur, verriet ihr energischer Schritt Ärger, noch bevor das Mädchen ihn von den Gesichtszügen ablesen konnte. Es verharrte.

    Frau von Mackau hatte sie gesucht, natürlich. Es war Anfang Juli und draußen fast dunkel, also Schlafenszeit. Doch Marie Thérèse wehrte jeden Anflug von Schuldgefühl ab wie eine lästige Fliege, reckte das Kinn und sah ihrer Gouvernante standesbewusst entgegen. „Verzeihen Sie, Maman Mackau, wenn ich mich verspätet habe, aber ich muss dringend zu meiner Mutter. Bitte melden Sie mich bei ihr. Noch während sie sprach, bereute Marie Thérèse ihren hochmütigen Ton. Frau von Mackau gehörte nicht zu jenen, die sich von einer Achtjährigen, und sei sie auch Frankreichs Dauphine, verunsichern ließ. Sie nahm das Mädchen an der Hand und führte es die Treppe hinab. Die Kleine folgte zwar, warf aber laufend Blicke zurück, so dass sie zu stolpern drohte. Da nahm die Erzieherin ihren Kopf in beide Hände und sah ihr eindringlich ins Gesicht. „Die Königin muss jetzt für Ihr Geschwisterchen da sein, Madame Royale.

    Ungläubig und entrüstet zugleich weiteten sich die Kinderaugen. „Sie wussten davon?"

    Anstelle einer Antwort zog Frau von Mackau die Prinzessin mit sich fort und lächelte amüsiert. Hochnäsiges Geschöpfchen, diese kleine Madame Royale, dachte sie bei sich. Übt sich frühzeitig im Regieren und Kontrollieren.

    Noch während sie in ihrem Schlafgemach entkleidet wurde, rang Marie Thérèse innerlich mit ihrer Empörung. Alle schienen von diesem wichtigen Ereignis gewusst zu haben, nur ihr hatte man es vorenthalten. „Und mein Bruder?"

    „Der Dauphin schläft schon lange", antwortete die Gouvernante.

    Marie Thérèse wusste, sie würde nicht einschlafen können, nicht, bevor sie erfuhr, wie es ihrer Mutter ging. Dennoch konnte sie sich erst zu ihrer Bitte überwinden, als die Erzieherin das Zimmer verlassen wollte. „Maman Mackau..."

    Die Angerufene blieb im Türrahmen stehen und wandte sich zu ihrem Zögling um.

    „Bitte sagen Sie mir, ist meine Mutter wohlauf?"

    Prüfend blickte Frau von Mackau dem Mädchen ins Gesicht. Den Hochmut, den hat sie von ihrer Mutter, dachte sie dabei wieder einmal. Und die Augen, diese ausdrucksvollen, leicht vorstehenden, blauen Augen – die, so wie jetzt, auch bitten können, wenn ihr etwas wirklich am Herzen liegt.

    Bei diesen Gedanken schwand die Strenge auf dem Gesicht der Gouvernante. „Ihre königliche Hoheit ist nur etwas müde, Madame Royale – so wie Sie. Schlafen Sie gut." Damit zog sie die Vorhänge vors Fenster, schloss die Tür hinter sich und ließ das Kind mit seinen Gedanken allein.

    Marie Thérèse wartete, bis das Klacken der hochhackigen Schuhe Frau von Mackaus auf dem Parkett verhallte. Dann schälte sie sich aus ihren seidenen Decken und tapste barfüßig zum Fenster. Beiläufig schnappte sie sich einen der gebratenen Hühnerschlegel vom Teller auf der Kommode neben dem Bett, knabberte aber nur nervös darauf herum. Sie war nicht hungrig, hatte auch kaum etwas zu Abend gegessen. Umso mehr als sonst üblich, stand nun als nächtliche Mahlzeit für sie bereit und erfüllte die stickige Luft mit dem Duft nach Fleischsuppe, Brathühnchen, hartgesottenen Eiern und einigen Flaschen Bordeaux. Marie Thérèse achtete kaum noch darauf, gehörten doch diese Dinge seit ihrem Säuglingsalter zum nächtlichen Inventar ihres Gemachs, gewissermaßen eine Art essbare Dekoration. Allmorgendlich wurden sie von den Zimmerlakaien abgeräumt und auf deren eigene Rechnung verkauft.

    Die Mutter war also nur müde, laut Frau von Mackau. Das musste an dem neuen Kind liegen. Was es wohl war? Erst ein gutes Jahr zuvor, im März 1785, hatte die kleine Prinzessin ein Brüderchen bekommen. Das war plötzlich einfach da gewesen, lag in seiner Wiege wie eine lebendige Puppe.

    Vorsichtig zog Marie Thérèse die Vorhänge auseinander und spickte hinaus in den Garten, der sich ab der letzten Stufe hinter der Spiegelgalerie endlos weit erstreckte. Kamen sie allein, die kleinen Kinder? Nein. Augenblicklich verwarf Marie Thérèse diesen Gedanken. Sie konnten ja nicht laufen, und Flügel wie die kleinen Putten, von denen so viele überall auf Wandmalereien und als vergoldete Figuren im Schloss herumschwebten, flogen und spielten, die hatten sie auch nicht. Sie mussten also gebracht werden. Oder – bei diesem Gedanken ließ das Mädchen vor Schreck das Hühnerbein fallen – verloren sie womöglich nach der Landung ihre Flügel?

    Nein, nein, sie wurden gebracht, bestimmt wurden die Kinder gebracht, ganz sicher. Aber von wem?

    Marie Thérèses Blick versuchte den Garten zu durchdringen – Bäume, Sträucher, ja, Wolken, die vom Wind getrieben wurden und sich zu bizarren grauen Figuren am schwarzblauen Himmel verzerrten. Dann fiel ihr ein, dass man offenbar im Bett liegen musste, um ein Kind zu bekommen. Immer, so erinnerte sie sich, wurde vom „Wochenbett gesprochen. Sie wandte sich um. Ob ihres den Ansprüchen eines solchen „Wochenbettes wohl genügte? Ein richtiges, lebendiges Kind, das wäre doch tausendmal schöner und interessanter als die prächtigste Puppe. Vielleicht, so überlegte Marie Thérèse, war dieses Wesen, das die kleinen Kinder brachte, noch in der Nähe und hatte noch eines für sie dabei. Mit diesem Gedanken legte sie sich zurück in ihr Bett und stellte sich schlafend.

    Indem keine Reize ihre Augen mehr ablenkten, wurden ihre Ohren hellhöriger und glaubten endlich, Stimmen und Geräusche wahrzunehmen, Rascheln von Reifröcken, leises Klirren aneinander schlagender Armreifen. Ein Lufthauch, wie wehende Fächer ihn für gewöhnlich verursachen, strich über ihre Stirn. Oder war es der Flügel eines Engels? Ihn bloß nicht verscheuchen!

    Marie Thérèse rührte sich nicht. Nur ihre zitternden Lider hätten einem Betrachter verraten, wie unruhig die Pupillen dahinter waren. Allmählich formten sich Worte aus dem Gewisper und Geflüster um sie herum. Ein Lächeln umspielte die Lippen des Kindes, als es zu verstehen glaubte: Du hast ein Brüderchen bekommen – ein kleines, feines Brüderchen.

    Marie Thérèse schlug die Augen auf. Helles Tageslicht drang durchs Fenster, abgemildert durch die mit bunten Blüten gemusterten Vorhänge. Die Gesichter der Hofdamen ihrer Mutter beugten sich über das Mädchen, lächelten verheißungsvoll. Dazwischen erschien das Frau von Mackaus. „Aufstehen Madame Royale, grüßte sie freundlich. „Sie haben ein Schwesterchen bekommen.

    Ungläubig erwiderte Marie Thérèse ihren Blick. „Ein Schwesterchen", kam es schlaftrunken über ihre Lippen.

    Sie hat es noch nicht begriffen, missdeutete die Gouvernante des Mädchens Erstaunen und strich ihr über die Stirn. „Ja, eine kleine Sophie – Marie Sophie Helene Beatrice."

    Stumm formten Marie Thérèses Lippen die Namen nach. Ein Schwesterchen – sie konnte es noch immer nicht glauben.

    Während überall im Land sogar verunreinigtes Roggenbrot immer knapper und somit unerschwinglicher wurde und hungernde Arbeiter und Tagelöhner manch Großbauern und Kaufleute verdächtigten, Getreide zu horten, um es auf diese Weise künstlich zu verteuern, speiste man bei Hofe allerfeinstes Weißbrot. Darüber hinaus vertilgte allein Louis XVI. bereits morgens um sechs ungeheuere Mengen an Gebratenem und Gesottenem.

    Abgeschirmt vom Volkszorn, der darüber brodelte und kochte, genossen Marie Thérèse und ihre Geschwister, dass sich die Mutter im Sommer des Jahres 1786 vorrangig ihnen widmete. Der tiefere Grund dafür wurzelte freilich darin, dass man an ihrer Unschuld bezüglich der so genannten „Halsbandaffäre" zweifelte.

    Marie Antoinette trotzte der höfischen Etikette, ließ ihren Kindern luftige Baumwollkleider mit weiten Ärmeln anziehen und flüchtete, wann immer sie konnte, mit ihnen vor der Öffentlichkeit in die Idylle ihres Dorfes Hameau. Erst vor wenigen Jahren war es im Park des kleinen Trianons erbaut worden – ein Spielplatz mit Mühle, Hühnerstall, Taubenschlag, Molkerei-Käserei und Ställen, alles malerisch gelegen an den Ufern eines Sees. Hier konnte die verwöhnte Königin, gemäß der Naturlehre Rousseaus, nach Herzenslust Bäuerin spielen, ohne mit der realen Not ihrer Vorbilder konfrontiert zu werden.

    Und waren sie oder die Kinder des Melkens und dergleichen leid, so lockte das große Trianon. Dieses einstöckige Gebäude lag an den Grenzen von Versailles. Es war zwar weniger prunkvoll, als das nahe gelegene Schloss, bot aber dennoch einen einladenden Anblick mit seinen beiden Seitenflügeln, deren Fassaden aus einem gleichmäßigen Wechsel von Pfeilern und großen Bogenfenstern bestanden und mit weißem und rosa Marmor verkleidet waren. Verbunden wurden sie durch einen Säulenhof, den der König selbst entworfen hatte. Er führte in einen Garten, dessen Bepflanzung den strengen geometrischen Formen der übrigen Versailler Gärten unterworfen war, wenn auch in wesentlich kleinerem Maßstab.

    An dieser Pracht durften selbst Bürgerliche teilhaben – zumindest gelegentlich und falls sie gut gekleidet waren, was gering Betuchte von vornherein ausschloss.

    Vor allem Marie Thérèse war es zu verdanken, dass im Herbst nach der Geburt des Geschwisterchens wieder einmal ein Kinderball im großen Trianon stattfand. Lange zuvor saß das Mädchen in seinem Ankleidezimmer vor der Spiegelkommode und ließ sich von zwei Zofen herrichten, unter strenger Aufsicht Frau von Mackaus. Mehrere Flaschen Lavendelwasser, Tiegel mit Pomade und Reispuder wurden angebrochen, seidene Bänder ins Haar geflochten, dann durch andere ersetzt, die der kleinen Prinzessin besser gefielen, so dass ihr Stuhl schließlich umgeben war von einem bunten Meer aus Seidenstoffen.

    Als Stunden später alle Beteiligten sie zufrieden umstanden, glich Marie Thérèse in ihrem weit ausladenden, golddurchwirkten und mit Perlen sowie Juwelen bestückten Damastreifrock verblüffend einer Miniaturausgabe ihrer Mutter. „Mousseline-la-sérieuse" hätte ihr Onkel, der Graf von Artois, sie wieder einmal nennen können, wäre er da gewesen.

    Endlich nahm die königliche Gesellschaft in mehreren Kutschen Platz und fuhr, entlang der weitläufigen Gärten, deren Farben in der untergehenden Sonne ein letztes Mal aufleuchteten, beim großen Trianon vor.

    Standesbewusst empfing die Dauphine ihre kleinen Gäste, das Haupt mit der hochgesteckten und durch den Reispuder künstlich gealterten Rokokofrisur stolz erhoben, so stolz, dass keiner der wenigen Bürgerlichen es wagte, sie anschließend zum Tanz aufzufordern. Den kleinen Herzögen und Grafen, entsprechend hergerichtet, winkte die Gnade ihrer hohen Geburt. „Traut euch!, schien sie ihnen zuzurufen, „bewerbt euch beizeiten um den Platz an der Seite von Frankreichs Dauphine, während ihre erwachsenen Begleiter insgeheim auf eine solch hervorragende Partie spekulierten. Doch auch von diesen Blaublütigen fanden zunächst nur zwei den Mut, unter den Blicken der anderen die Gunst Marie Thérèses zu erbitten. Der etwas jüngere dieser beiden, etwa neun Jahre alt, trat rasch auf die Prinzessin zu, als er hinter sich seinen Nebenbuhler bemerkte, und forderte sie mit artiger Verbeugung zum Tanz.

    Nicht gerade begeistert folgte ihm Marie Thérèse von ihrem rotsamtenen Bänkchen aufs Parkett. Der andere wäre ihr lieber gewesen, aber das verbarg sie hinter ihrem hochmütigen Blick. Ein Lächeln? Nein, der hier sollte froh sein, dass sie ihn überhaupt erhörte.

    Mit zierlichen Schritten tanzten die Kinder ein Menuett, bald gefolgt von anderen Paaren. Immer noch saßen viele auf den mit Samt überzogenen Bänken an den mit vergoldetem Stuckwerk und Spiegeln verzierten Wänden – abwartend, gelangweilt, manche auffallend schüchtern. In Grüppchen standen einige Mädchen herum, warfen verstohlene Blicke auf die Tanzenden, besonders auf Marie Thérèse, kicherten in sich hinein und tuschelten miteinander. Zuvor hatten sie sich vergewissert, dass kein Erwachsener in unmittelbarer Nähe weilte und sie beobachtete. Nicht einmal den Anschein durfte es haben, dass jemand sich der Prinzessin gegenüber ungebührlich verhielt. Und sie selbst, wie empfand Marie Thérèse ihre Sonderstellung? Mit einigen der Mädchen war sie von vorigen Bällen her bekannt, und während sie sich von ihrem kleinen, sichtlich stolzen Kavalier zu den Klängen der Musik übers Parkett führen ließ, schweiften ihre Blicke immer wieder ab.

    Da! Die, die gerade scheu wegschaute, als ihr Blick sie traf, war das nicht jene Tochter des Kammerdieners Lampriquet und dessen Gattin Marie-Philippine, die vor noch gar nicht allzu langer Zeit auf Anordnung der Mutter mit ihr speisen durfte, der sie sogar Ehrerbietungen erweisen sollte? Marie Thérèse hatte ihren Namen vergessen, nicht aber ihr Gesicht. Keines der beiden Mädchen hatte bei jenem Mahl viel verzehrt, die Prinzessin aus Empörung und die andere aus sichtlicher Beklemmung.

    Marie Thérèses Blicke waren ihrem Tanzpartner nun so lange untreu gewesen, dass der kleine Graf sich vernachlässigt fühlte und sie ansprach, aber er musste seine Worte wiederholen, denn ihre Gedanken hatten sich allzu weit von ihm entfernt. „Danke, ich befinde mich sehr wohl", entgegnete sie geistesabwesend, verabschiedete sich mit einem Knicks und ließ ihn stehen.

    Auf einer der Bänke, etwas abseits in einer Nische, hatte sie Louis Joseph entdeckt, ihren Bruder. Das Gesicht des meist ernsten und nachdenklichen Fünfjährigen wirkte heute noch schmaler als sonst. Die weiße Schminke und das Grau seiner Perücke taten ihr Übriges dazu, ihn weit älter wirken zu lassen. Marie Thérèse setzte sich zu ihm und ergriff besorgt seine Hand. „Was hast du, möchtest du nicht tanzen? Geht es dir nicht gut?"

    Louis Joseph zwang sich zu einem Lächeln. „Warum sollte ich mich noch im Tanzen üben?"

    Erschrocken sah die Schwester ihn an. „Warum? Aber du wirst tanzen müssen, noch viel, sehr viel sogar. Denk nur, du bist doch der Thronfolger. Wenn..." Sie stockte, denn sie hatte bemerkt, dass er ihr nicht wirklich zuhörte. Sanft, fast mit dem Ausdruck eines wissenden Greises, ruhten seine Augen auf ihr. Marie Thérèse fühlte einen Stich im Herzen. Was machte ihr auf einmal solche Angst? Sie verstand es nicht, fühlte nur, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte. Irgendetwas bedrohte ihre heile Kinderwelt. Marie Thérèse wollte das nicht zulassen, wehrte es ab. Trotz lag auf ihrem Gesicht, als sie sich dem Jungen zuwandte, der plötzlich vor ihr stand und sie zum Tanz aufforderte.

    Marcel Charier war es nicht leicht gefallen, das zu tun. Aber er wusste, er würde hier wohl zum ersten und gleichzeitig zum letzten Mal sein, denn die vorschriftsmäßige Kleidung, die er trug, gehörte ihm nicht. Ein Freund, der kurz vor dem Ball erkrankt war, hatte sie ihm heimlich geliehen und musste sie spätestens morgen zurück haben. Unmöglich hätte Marcels Vater, ein Kleinbauer, seinen Sohn so ausstaffieren können. Jetzt oder nie, sagte sich der Junge. Einmal mit einer Prinzessin tanzen, mit der Dauphine Frankreichs. Also hatte er sich ein Herz gefasst. Oh, wie es raste in seiner Brust, als er nun vor ihr stand, und seine Beine... Lange konnten die nicht mehr stillstehen. Schon wankten ihm die Knie. Doch die Prinzessin schien ihn nicht erlösen zu wollen. Warum sah sie ihn so feindselig an? Trotzdem konnte Marcel den Blick nicht von ihr wenden. Hinter ihrer stolzen Stirn, da verbarg sich noch etwas anderes, das spürte er genau. Und hinter seinem Rücken?

    Da lauerten Marie Antoinettes Hof- und Ehrendamen. Ja, er glaubte bereits zu fühlen, wie ihre neugierigen Blicke sich in seinen Rücken bohrten.

    Marie Thérèse betrachtete das Gesicht des Jungen. Hätte es einem Adligen gehört, dann hätte es ihr gefallen können, oh ja. Aber behaftet mit dem Makel des Bürgerlichen... Ein letzter Hauch von Sorge um den Bruder wich aufkeimendem Ärger. Warum nur hatte ihre Mutter keinen adligen Jungen eingeladen, der aussah wie dieser hier? Marcel Charier – kein Graf, kein Herzog, nein, einfach nur Marcel Charier. Würden die anderen Mädchen königlichen Geblüts sie nicht auslachen, wenn sie erfuhren, sie habe mit einem Marcel Charier getanzt? Und dennoch hätte sie es gern getan, zu gern.

    „Nein, hörte sie sich sagen und zog zornig ihre Stirn in Falten, „bedaure, ich bin unpässlich.

    Marcel verstand sehr wohl, was das wirklich hieß. Bis unter die Wurzeln seiner dunklen Locken spürte er, wie sein Gesicht rot anlief. Durchhalten, beschwor er seine Beine, haltet durch, wenigstens für einen ehrenhaften Abgang.

    Leider konnte Marie Thérèse nicht mehr sehen, wie gut ihm dieser gelang, denn sie war schon aufgesprungen und durchquerte jetzt den Saal. Seltsamerweise hielt sich nämlich ihre Mutter bei solchen Begegnungen oft in der Nähe auf und nahm sie anschließend beiseite. Eine hochmütige Natur mache sich nicht beliebt, musste sich die kleine Prinzessin dann belehren lassen.

    Artig erwiderte Marie Thérèse die Verbeugungen der an ihr vorüber schreitenden Hofdamen und versuchte, zwischen deren ausladenden Reifröcken den Marie Antoinettes auszumachen. Als es ihr nicht gelang, entspannte sie sich allmählich, und gleich bot sich ihren Augen ein passendes Objekt, um einen doch noch aufflackernden Funken von Schuldbewusstsein zu ersticken. Dabei handelte es sich um jene Tochter eines Kammerdieners. Schüchtern, fast scheu, stand sie da mit dem Rücken zur Wand, als wüsste sie nicht, wohin. Jetzt fiel der Prinzessin auch ihr Name wieder ein – Ernestine Lambriquet. Erfreut darüber, wäre Marie Thérèse beinahe auf sie zu gerannt, als ihr eben noch einfiel, dass sich das in einem Ballsaal nicht schickte, vor allem nicht für sie. Also raffte sie gekonnt elegant ihr Kleid an beiden Seiten und trippelte auf Ernestine zu. Die wirkte noch schüchterner, als sie bemerkte, dass die Prinzessin nahte und wäre gern nach hinten ausgewichen, am liebsten durch die Wand. Weil das natürlich unmöglich war, verbeugte sie sich untertänig.

    „Nun richte dich wieder auf, forderte Marie Thérèse ungeduldig, nahm das Mädchen an der Hand und zog es mit sich fort. „Hast du schon getanzt?

    „Nein, Madame", erwiderte Ernestine.

    „Ich durchaus, sagte Marie Thérèse, ohne sich nach ihr umzusehen, „aber nun habe ich keine Lust mehr.

    Innerlich widerstrebend folgte Ernestine der kleinen Prinzessin zum hinteren Ausgang, der in den Garten führte. Was mochte die im Schilde führen?

    Ein milder Luftzug wehte von draußen herein und bauschte die Kleider der Kinder. Marie Thérèse ließ Ernestines Hand los, drehte sich lachend im Kreis und tanzte dabei in den Garten hinaus. „Komm, tanz mit mir!"

    Ernestines innere Anspannung löste sich. Für Augenblicke tanzten beide Mädchen gleichberechtigt, wie Blüten vom Wind getrieben, über Wiesen und Beete. Dann und wann leuchteten die bunten Kleider im grauen Dämmerlicht auf.

    „Komm!, rief Marie Thérèse atemlos, „ich zeige dir mein Schwesterchen.

    Ernestine warf einen unsicheren Blick zum Trianon zurück. „Ich weiß nicht, meine Mutter wird sich um mich sorgen."

    „Bis die uns vermissen, sind wir längst wieder da", meinte die Prinzessin.

    Achselzuckend folgte ihr Ernestine. So recht überzeugt war sie davon zwar nicht, doch wie hätte sie Madame Royale widersprechen können? Obendrein fühlte sie sich geehrt. Die Prinzessin zeigte sicher nicht jeder Hergelaufenen ihr Schwesterchen. Also ließ sich Ernestine durch die Versailler Gärten führen, vorbei an riesigen Wasserbassins und Springbrunnen mit Statuen, deren schattenhafte Umrisse vor dem marmorgrauen Himmel gespenstisch anmuteten. Unweigerlich ergriff sie die Hand Marie Thérèses, ließ sie aber gleich darauf erschrocken los und entschuldigte sich.

    „Fürchtest du dich?", fragte die Prinzessin mitfühlend. Ernestine nickte stumm.

    „Das brauchst du nicht, belehrte sie Marie Thérèse. „Die stehen alle hier, um uns zu beschützen.

    Das Laufen in den spitzen Seidenschuhen erwies sich als beschwerlich. Bald bezweifelte auch Marie Thérèse, dass sie rechtzeitig zurück sein würden, wenn sie das gegenüber Ernestine auch nie zugegeben hätte. Als sie die breite Treppe erreichten, die zum Spiegelsaal führte, verzog Ernestine das Gesicht.

    „Was hast du?, fragte Marie Thérèse vorwurfsvoll. „Willst du mein Schwesterchen nicht sehen?

    „Das ist es nicht, versicherte Ernestine schnell. „Mir tun bloß die Füße so weh.

    Marie Thérèse seufzte. „Mir auch. Aber jetzt sind wir ja gleich da." Zielstrebig führte sie ihre Begleiterin durch die Spiegelgalerie in den angrenzenden Saal des Friedens, von wo aus sie in die im Südflügel gelegenen Prunkgemächer der Königin gelangten. Überall an den Türen standen Kammerlakaien. Sie grüßten die Prinzessin und schauten anschließend wieder scheinbar unbeteiligt vor sich hin. Nur einer, der gerade den Kamin im Schlafzimmer der kleinen Sophie beheizt hatte, wandte sich nach seiner Verbeugung nochmals zu den Kindern um und betrachtete sie nachdenklich. Dann trat er in den Friedenssaal und ließ seinen Blick durchs Fenster schweifen.

    „Es scheint, da braut sich was zusammen, wurde er von einem anderen Kammerlakaien angesprochen und nickte. Tatsächlich hatte der Wind aufgefrischt und dunkle Wolken herangetrieben. „Nicht nur da. Ich heizte eben das Gemach der kleinen Madame. Andere Kinder werden sicher im kommenden Winter erfrieren oder verhungern – oder beides. Wer weiß, wie lange das Volk die Not noch hinnimmt.

    Mit einem Ausdruck des Erstaunens in den Augen sah Sophie aus ihrem spitzenbesetzten Häubchen zu ihrer Schwester und deren Begleiterin auf. Letztere weilte allerdings gedanklich noch woanders. „Wieso sah der Kammerlakai uns so seltsam an?", dachte sie laut.

    Marie Thérèse hörte nicht hin. Auf Kammerlakaien pflegte sie selten zu achten. Weit mehr beschäftigte sie die Frage, wieso ihre Schwester hier ganz alleine lag. Wo mochte die Herzogin von Polignac sein? Oder eine andere ihrer Gouvernanten, Madame de Soucy, die Tochter Madame de Mackaus?

    Sophie streckte ihre kleinen Händchen aus, grabschte den Mädchen in den Gesichtern herum und brabbelte vor sich hin.

    „Oh, das kitzelt", kicherte Ernestine.

    Marie Thérèse hob das Kind aus der Fülle spitzenbesetzter Kissen, drückte es an sich und stellte insgeheim fest, dass es weit schwerer wog, als sie angenommen hatte. „Komm, wir nehmen sie mit ins Spielzimmer."

    Soll die Polignac ruhig erschrecken, wenn sie die leere Wiege sieht, überlegte die Prinzessin unterwegs auf dem Flur. Doch stattdessen wurde sie zur Rechenschaft gezogen und das ausgerechnet vor Ernestine. „Madame, wie können Sie die Kleine einfach aus der Wiege nehmen?", kam die Herzogin von Polignac ihr vorwurfsvoll entgegen und nahm sie ihr aus den Armen.

    Marie Thérèse lief rot an, gleichermaßen vor Wut wie vor Beschämung. „Verzeihen Sie Madame, aber Sie waren abwesend. Ich sorgte mich um meine Schwester."

    Grinsend wies die Herzogin zum Spielzimmer. „Und da wollten Sie mit ihr spielen gehen. Haben Sie nicht genügend Puppen aller Art, Madame?"

    „Gewiss, konterte Marie Thérèse, „aber nur eine Schwester.

    Stumm wohnte Ernestine der Szene bei. Vielleicht konnte sie sich damit einen Vorwurf ersparen, vielleicht übersah man sie einfach, wie so oft. Doch wie hatte sie auch nur für einen Augenblick vergessen können, dass Menschen untergeordneter Klasse nie übersehen wurden, wenn man ihnen etwas anlasten konnte. „Und du, traf sie auch gleich der scharfe Blick der Herzogin, „hast die Prinzessin zu diesem Unsinn verleitet.

    Ernestine wusste nicht, was sie sagen sollte, blickte hilfeheischend zu Marie Thérèse. „Ich wollte

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