Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen: Serial Teil 5
Von Tobias Fischer
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In der Zwischenzeit reist auch Veyrons Schützling, Tom Packard, nach Elderwelt, um einen Schul-kameraden zu retten. Kaum in Elderwelt angekommen, sieht er sich der Schwarzen Horde gegenüber, einer brutalen Söldnerschar im Dienste der Finsternis.
Während Veyron versucht die Fäden zu entwirren, die der Dunkle Meister gesponnen hat, grün-det Tom die ALLIANZ DER VERLORENEN. Ein Kampf auf Leben und Tod gegen die dunklen Horden ist unabwendbar. Toms kleine verrückte Truppe wird zur letzten Hoffnung der unterdrückten Völker Elderwelts...
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Buchvorschau
Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen - Tobias Fischer
20. Kapitel: Der Aufmarsch
Der Sieg ist schon zum Greifen nah, dachte Ernie erregt, als er früh am Morgen aus seinem Zelt trat. Vor ihm breitete sich die karge Landschaft Chardonians aus, die nördlichste Provinz Neoperseuons. Sein Blick glitt über die hohen Berge im Westen, deren schneebedeckte Gipfel wie Zuckerhüte hinter dem Lager der Schwarzen Horde aufragten. Im Osten, mehr oder weniger direkt zu seinen Füßen, lief das Land dagegen flach dem Horizont entgegen. In der Ferne konnte er die Sanddünen der angrenzenden Wüste erkennen, die nahtlos an die einstmals fruchtbare Ebene anschloss. Weiter im Norden erhob sich das Land zu einer Kette niedrigerer Berge, die zugleich die Grenze zu Hatti markierte. Ernie ballte die Fäuste. Dort gab es viele Stützpunkte und Verstecke der Chardoni, die sich auf diese Weise einer Invasion aus Hatti erwehrten. Dass sie jedoch von Süden, wo es nichts gab als Wüste, angegriffen werden könnten, damit hatte dieses sture und unbeugsame Volk nicht gerechnet.
Der Fürst Kishons war der Xatrapavan, der Provinzgouverneur, traditionell aus dem Adel der Chardoni erwählt. Anders als die übrigen Provinzregenten genoss der Xatrapavan Chardonians weitgehende Unabhängigkeit. Seit jeher garantierten die Großkönige Neoperseuons die Freiheit der Chardoni. Von Natur aus eigenwillig und freiheitsliebend waren einzig die Chardoni von der Pflicht befreit, Soldaten für die Armee des Großkönigs zu stellen, ebenso durften sie ihre eigene Sprache sprechen und Bücher in ihrer eigenen Schrift verfassen. Ein Staat im Staate, aber damit war jetzt Schluss! Auch sie mussten sich dem Schwarzen Manifest beugen, sie hatten auch gar keine andere Wahl. Er wäre sogar bereit, das gesamte Volk niederzumetzeln, wenn sie die Wahrheit nicht anerkennen wollten.
Auf halben Weg zwischen dem Gebirge im Osten und der Wüste im Westen lag Kishon. Umgeben von einer vier Meter dicken und fünfzehn Meter hohen Mauer galt die Stadt als nahezu uneinnehmbar. Von hier aus kontrollierten die Chardoni die Handelsrouten in alle vier Himmelsrichtungen. Ihre Krieger konnten Karawanen den Zugang zu den Wasserquellen des Gebirges gewähren oder abschneiden.
Seit drei Monaten belagerte die Horde die Stadt jetzt schon. Mordkommandant Pratzgul hatte den Chardoni den Weg zu ihren Schlupfwinkeln im westlichen und nördlichen Gebirge abgeschnitten. Mordkommandant Faran Tilesck blockierte mit seinen Einheiten alle Fluchtwege im Süden und Osten. Alle Sturmversuche auf die Stadtmauer waren jedoch kläglich gescheitert. In den vergangenen neunzig Tagen war die Stadt Nacht für Nacht mit Brandladungen bombardiert worden, sodass hinter der mit Narben und Kratern überzogenen Mauer kaum mehr ein Stein auf dem anderen stand. Trotz dieser Zerstörung und aller Entbehrungen hatte die Horde den Widerstand der Chardoni nicht brechen können. Männer wie Frauen kämpften Seite an Seite auf den Mauern, mit Mistgabeln und Küchenmessern, wenn es nötig war.
Die Schwarze Horde hatte sogar die Wasserleitungen, die aus den Bergen in die Stadt führten, zerstört, doch die Einwohner Kishons gaben nicht auf. Durch geheime Tunnel schafften sie weiter Wasser in die Stadt und stellten so die Versorgung sicher. Pratzguls Männer hatten zwar etliche von ihnen entdeckt und zerstört, doch während des schon so lang andauernden Kampfes gegen Hatti hatten die Chardoni offenbar Hunderte angelegt. Pratzgul schätzte, dass sie Monate brauchen würden, um sie alle aufzuspüren. So weit reichten die konkreten Pläne des Achten jedoch nicht. Mit dem sicheren Sieg in Ergian vor Augen schickte er nun Brigade für Brigade in den Norden. Der Sturm auf Kishon war nur noch eine Frage von Stunden, die Niederlage dieser unbelehrbaren Sturköpfe würde vollkommen sein.
Die Aussicht auf den Sieg zauberte ein breites Lächeln auf Ernies Lippen. Es hielt an, bis ein schäbig aussehender Schrat zu ihm trat.
»Der Achte verlangt nach Euch, Mordkommandant«, bellte der hässliche Strolch.
Ernie nickte. Vor knapp einem Jahr hatte er mit diesen Unholden erstmals Bekanntschaft gemacht, und noch immer waren sie ihm zuwider. Es ließ sich jedoch nicht leugnen, dass sie gnadenlose Krieger waren, unter dem richtigen Kommando sogar ausgesprochen effizient und todesmutig. Sie besaßen eine angeborene – oder anerzogene – Wildheit, die sie zu wahren Bestien im Kampf machten. Wie Raubtiere stürzten sie sich auf ihre Feinde, hackten, stachen, bohrten, bissen und kratzten alles nieder, das ihnen in die Quere kam. Viele der Krieger Neoperseuons hatten schon die Flucht ergriffen, wenn ihre ersten Schlachtreihen von Schraten zerfleischt wurden.
Während Ernie durch das Lager der Schwarzen Horde marschierte, versuchte er, die Zelte zu zählen. Es mussten Hunderte sein. Seine Todesbrigade hatte sich inzwischen mit der Dolchbrigade Pratzguls und der Blutbrigade Faran Tilescks vereinigt. Zusammen neuntausend Menschen und Schrate, die zu allem entschlossen waren. Hinzu kamen noch einmal rund zweitausend Krieger und Spezialtruppen, die der Achte hierher verlegt hatte. Sie bildeten die Mannschaften der Katapult-Bataillone und Bergbaupioniere.
Ernie fand den Achten vor dessen riesigen Kommandozelt zusammen mit Faran Tilesck und Pratzgul. Letzterer war ein korpulenter, verwegen aussehender Schrat, dem nicht nur sämtliche Haare und das rechte Auge fehlten, sondern obendrein noch Nase und Oberlippe. Meist gab er lediglich Grunzlaute von sich, wie ein mordgieriges Wildschwein, besonders wenn Blut floss. Er hatte seine helle Freude an Hinrichtungen aller Art. Ernie fand Pratzgul abstoßend.
Faran Tilesck war das genaue Gegenteil. Als Mann aus dem Adel von Neoperseuon achtete er sehr auf sein Äußeres, zeigte sich stets gewaschen und geschminkt, den schwarzen Bart und das lange Haar wohl frisiert und gepflegt. Soweit Ernie wusste, hatte Tilesck früher als General unter dem Großkönig gedient, doch nach den ersten Siegen der Schwarzen Horde die Seiten gewechselt. Er war auf seine Art ebenso abstoßend wie der Schrat, denn er war unerträglich eitel. Selbst jetzt zeigte er vor dem Achten ungeniert seinen entblößten Oberkörper, dessen wohldefinierte Muskeln unter einem dünnen Ölfilm schimmerten. So zog er auch in die Schlacht, als würden Speere oder Pfeile von seiner Herrlichkeit abprallen. Und so einer war Mordkommandant! In Ernies Augen war Tilesck nichts als ein Aufschneider wie die Jungs in seiner Schule. Noch dazu ein Weiberheld, der seine Leidenschaft nicht unter Kontrolle hatte. Dutzende Kriegerinnen aus den Reihen der Horde hatte er schon geschwängert, trieb es sogar mit Schrat-Weibchen. Gerüchteweise vergewaltigte er ohne jede Hemmung Gefangene in den eroberten Städten. Ernie begriff nicht, wie der Achte ihn gewähren lassen konnte. So ein Verhalten war ein Verstoß gegen das Schwarze Manifest.
Der Achte schätzte jedoch alle seine Mordkommandanten gleichermaßen, und Tilesck war zu Ernies Ärger der Einzige von ihnen, der noch keine größere Niederlage kassiert hatte. Ein Angeber und Schurke mochte er sein, doch immerhin verstand Faran Tilesck sein Kriegshandwerk.
»Schön, dass Ihr gekommen seid, Mordkommandant Fraud«, grüßte ihn der Achte. Wie immer trug er sein Gesicht hinter einem Schleier verborgen und stand wie ein fleischgewordener Schatten zwischen seinen Kommandanten, anonym und mystisch. Ernie verbeugte sich gehorsam vor ihm.
»Ich habe Neuigkeiten und Befehle des Dunklen Meisters. Der Goldkaiser ist tot, und in Kadingira greift Panik um sich. Die Königin ist verschwunden und die Allianz der Verlorenen vernichtet, was hoffentlich auch Eure Sorgen wegen dieses vermaledeiten Luftschiffs beseitigt«, verkündete der Achte.
Ein wenig bedauerte Ernie diese Neuigkeiten. Zu gern wäre er es gewesen, der Tom Packard und Vanessa vernichtet hätte. Doch zuerst kam der Dienst am Schwarzen Manifest, dann das Vergnügen. Erneut verbeugte er sich gehorsam vor seinem Gebieter. »Und Euer Aufstieg?«, fragte er halblaut.
Der Achte schwieg einen Moment. Ernie glaubte, Zorn und Enttäuschung hinter dem Schleier zu spüren. Dann sprach er: »Eins nach dem anderen, Mordkommandant. Zuerst der Sieg über Kishon. Erinnert Euch an die Prophezeiungen des Schwarzen Manifests. Die Vollkommenheit ist nicht ohne Blut und Schmerz zu erkaufen. Doch unser Triumph ist nahe. Die verräterische Seelenkönigin befindet sich in der Gewalt des Dunklen Meisters. Zu gegebener Zeit wird er über sie Gericht halten. Die Prophezeiung wird sich erfüllen, daran habe ich keinen Zweifel.« Er klang gelassen, fast schon gut gelaunt.
»Wann greifen wir an?«, wollte Pratzgul wissen. Ernie sah dem mächtigen Schrat an, wie es ihm in den Fingern juckte, das Blut der Stadtbevölkerung zu vergießen.
»Heute Abend ist es so weit. Pratzgul und Tilesck, Ihr werdet die Stadt attackieren. Für Euch, Fraud, habe ich eine andere Aufgabe. Unsere Geheimwaffe ist vollendet, alle Vorbereitungsarbeiten sind abgeschlossen. Diesmal wird Kishon fallen. Wir werden die Stadt vollständig vernichten«, verkündete der Achte.
Endlich! Auf diese Entscheidung hatte Ernie gewartet. Endlich durften sie losschlagen und dem Schwarzen Manifest zu einem weiteren Schritt auf seinem Siegeszug verhelfen.
Als hätte das ganze Lager die Befehle des Achten vernommen, erklang plötzlich das aufgeregte Geschrei der Krieger. Befehle wurden gebrüllt, Melder eilten hin und her. Pratzgul und Tilesck wandten sich überrascht um. Selbst der Achte wirkte für einen Moment verwirrt. Ernie begriff, dass der Tumult keineswegs mit den Befehlen seines Anführers zu hatte. Im Westen hinter den fernen Dünen tauchte etwas auf, das ihn ebenso erstaunte wie maßlos entsetzte.
Als würde er aus dem Sand herauswachsen, schob sich dort ein gewaltiger, silberner Körper über den Horizont, immer höher. Der Sonnenaufgang spiegelte sich in goldenen, roten und violetten Farben auf der riesigen Hülle wider. Es war ein Zeppelin, keine krumme und unausgegorene Konstruktion wie die Allianz der Verlorenen, sondern ein wahrhaftiges Luftschiff aus den zwanziger Jahren. Jetzt erreichte auch das Brummen der Propellermotoren Ernies Ohren. Vier vom Rumpf abstehende Gondeln trieben das titanenhafte Ding vorwärts, und es war schnell, Teufel, war es schnell! Am Bug stand etwas mit schwarzen Lettern geschrieben. Mühsam entzifferte Ernie: USS Los Angeles ZR-3. Dann erstarrte er. An den Heckflossen prangte das Hoheitszeichen Talassairs: drei silberne Gipfel vor einem orangefarbenen Sonnenaufgang auf grünem Grund.
»Die Allianz«, keuchte Pratzgul ungläubig. »Die Allianz der Verlorenen ist gekommen!«
Auf Tom wirkte die ganze Situation so unwirklich, wie sie nur sein konnte. Er saß in einem luxuriösen Ledersessel an Bord der Reisegondel eines Zeppelins, während neben ihm Brokaris und Morga ihre Waffen und Ausrüstung überprüften. Die Hexe und der Schrat wirkten in dieser Umgebung, als hätten sich Figuren aus einem Märchenbuch in die moderne Welt verirrt.