Geschichte des Elbdorfes Rissen: Band 84 in der gelben Buchreihe aus Rissen
Von Hubert Wudtke
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Buchvorschau
Geschichte des Elbdorfes Rissen - Hubert Wudtke
Vorwort des Herausgebers
graphics1Zu den von mir bevorzugt gelesenen Büchern gehören Dokumentationen zur Geschichte, Zeitgeschichte und Biographien. Seit etwa zwei Jahrzehnten sammle ich Zeitzeugenberichte, zunächst von Seeleuten, mit denen ich über Jahrzehnte in meinem Beruf als Diakon und Dipl.-Sozialpädagoge in einem Seemannsheim täglichen Kontakt hatte. So kam es, dass ich seit 1992 in etlichen Bänden Lebensläufe und Erlebnisberichte von Fahrensleuten aufzeichnete und zusammenstellte.
Die positiven Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, weitere Bände zu gestalten Die gelbe Buchreihe enthält jedoch auch etliche nicht maritime Bände.
Diese Rezension findet man bei amazon: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. Danke, Herr Ruszkowski.
Ein kürzlich erschienener Band enthält Bilddokumentation über den Neubau der Stadtteilschule Rissen auf dem Gymnasium-Schulcampus
In diesem Band 84 wird die Geschichte des Elbdorfes Rissen vorgestellt, über die der Autor Professor Hubert Wudtke bereits in vielen Folgen in der Rissener Rundschau berichtet hat. Wiederholt wurde er gefragt, ob er seine Texte und Bilder nicht auch als Buch veröffentlichen könne. Das soll nun mit diesem Band geschehen.
Da für die Gestaltung eines ebooks eine maximale Dateigröße vorgegeben ist, mussten die eingefügten Bilddateien stark verkleinert werden, was sich auf die Bildqualität auswirkt. Im Printbuch erscheinen die Bilder in wesentlich besserer Darstellung.
Hamburg, 2016 Jürgen Ruszkowski
Vorwort des Autors
graphics2Dieses kleine Buch erzählt die Geschichte Rissens bis 1953, es möchte die schönen Veröffentlichungen der Stadtteilarchivgruppe Rissen und die Festschrift zur 750 Jahrfeier ergänzen. Es war anfangs meine Absicht gewesen, nur für die Zeit von 1250 bis 1850 informatives und erzählwürdiges Material zu finden; es war aber ungewiss, ob es überhaupt Dokumente und Aufschreibungen zu einem Bauerndorf ohne eigenes Kirchspiel, ohne große Ereignisse und ohne Schauplätze gab.
Kann man aus Landkarten, Steuerlisten und Gerichtsnotizen etwas Mitteilbares erfahren? Und ist es für den heutigen Leser anregend und interessant etwas von Hufnern und Dorfschulmeistern, von Kätnern und Schiffszimmerern, von Torfstechern und Steinegräbern, von Schweinezucht und Treibjagden, vom Feldertausch und von Hungerzeiten zu erzählen? Ich denke ja, denn die Prosa und die Poesie des Lebens finden wir in jedem Haus, in jedem Leuchtturm und in jedem Krug?
Und dann sind da noch die Jahre von 1925 bis 1945, über sie ist wenig aufgeschrieben worden. Auch zu diesen Jahren habe ich Material gesammelt und habe mit Zeitzeugen gesprochen. Es ist gut sich daran zu erinnern, dass wir die Wahl haben zwischen freundlichen und gewalttätigen Sinnmustern, um unser öffentliches und privates Leben zu gestalten.
Rissen ist ein kleiner Kosmos mitten in der Welt, aus dem man – wie aus einem Guckkasten heraus – in und auf die Welt schauen kann. Die kleinen Erzählungen hier im Buch verbinden sich zu einem Rissener Weltbilderbogen. Wir erzählen, um nicht alles zu vergessen und sind ständig auf der Suche nach einem Kompass, um gelassen in den Nebel der Zukunft zu fahren.
Ohne Adolf Schmedding, Jürgen Zimmern, Werner Sturm, Dr. Carsten Meyer-Tönnesmann – meine Miterzähler aus der Stadtteilarchivgruppe Rissen – und ohne Hermann Schwarz, Helen Schumacher, Hartmut Bünz, Otto Maak, Erwin Hoff – meine Miterzähler aus dem „Dorf" – wäre dieses Büchlein nicht zustande gekommen, auch nicht ohne die Unterstützungen von Frau Anke Rannegger, der Stadtarchivarin von Wedel.
Mein Dank gilt der Rissener Rundschau und Roland von Ziehlberg, die mir die Plattform und das Format gegeben haben, über drei Jahre in 44 Folgen dieses Buch Schritt für Schritt zu erschreiben. Zuletzt danke ich Herrn Ruszkowski, der mich im Frühjahr 2016 überraschend anrief und mir mitteilte, dass er Lust habe aus den 44 Folgen ein Buch zu machen und in seiner gelben Reihe herauszugeben. So ist es nun geschehen und hier ist das Buch!
Hubert Wudtke
graphics3graphics4Vorgeschichte
Erste Siedlungen nomadisierender Wildbeuter um 10.000 v. Chr. im Bereich des heutigen Rissen
Am Ende der letzten Eiszeit (10.000 v.) durchbrechen Schmelzwasser die Endmoränen im heutigen Elbgebiet. Die gewaltigen Wassermassen lassen den Meeresspiegel steigen und formen in jahrhunderte langer Arbeit das Elburstromtal. Stürme wehen das Tal aus, feine Sande fliegen landeinwärts, und in den Niederungen der Moränenlandschaften entstehen ausgedehnte Dünenflächen – die Holmer Sandberge, die Tinsdaler Düne, der Wittensand, die Sicheldüne im Klövensteen.
graphics5Wittenbergen: Dünen
Die Sande fressen sich in das Sumpfland und in die Moore hinein. Das ganze Land ist durchzogen von Wasseradern, die sich zu kleinen Auen vereinen, die vom Blankeneser Höhenrücken aus das Land nordwärts entwässern. Die Dünenflächen zwischen den Seen (heute: Schnaakenmoor) und das hohe Elbufer, durch die Vor- und Rückwärtsbewegungen des Eises zusätzlich hoch gestellt, bieten sich als trockene Siedlungsplätze an. Bewachsen von Kriecheichen und Krüppelkiefern stellen sie günstige Schutz- und Rückzugsgebiete dar. Das Hochufer bricht hinter Tinsdal und Schulau ab, und stromabwärts schließen sich die langen fruchtbaren Marschen an – ein winziges Stück Marsch liegt auch vor Wittenbergen.
In der Vorzeit durchziehen Großhirsche, Bären, Wölfe und Elche ganzjährig die norddeutschen Tundren und Wälder, im Winter wandern Rentiere aus Skandinavien ein, die ganze Region ist für nomadisierende Wildbeuter – ausgerüstet mit Harpune und Bogen – ein lohnendes Jagdgebiet. Und dann ist da noch die Elbe mit ihrem Fischreichtum an Schollen, Butten, Barschen, Karpfen und Hechten. Schon um 10.000 v. C. im Übergang von der Alt- zur Jungsteinzeit werden im heutigen Rissener Gebiet nomadisierende Wildbeuter zeitweilig sesshaft, wie viele Werkzeugfunde am Elbufer und auf der Sicheldüne (nahe Waldspielplatz) im Klövensteen bezeugen.
Die Schaber, Pfeilspitzen und Federmesser aus Flintsteinen machen die ersten „Rissener" in Expertenkreisen berühmt, sind doch die einseitig scharfen Messer, Schaber und Pfeilspitzen von besonderer Art, und ihre spezielle Fundlage im Dünensand erlaubt eine relativ klare zeitliche Zuordnung, denn im Dünensand werden übereinander zwei Lagen von unterschiedlichen Artefakten aus den Jahren 10.000 und 8.000 vor C. gefunden. Die ältere Lage erhält den Beinamen „Rissener Stufe gefolgt von der „Ahrensburger Stufe
. Über Jahre war die Sicheldüne im Klövensteen das Übungsfeld für Grabungen und Vermessungen von Studenten der Vor- und Frühgeschichte der Hamburger Universität.
Federmesser
graphics7Grabung Sicheldüne: Karl Stülcken + 3 Rissener Jungen
Die Ausgrabungen begeistern aber auch die Rissener Jungen in den 1940er Jahren; mehrere haben sich freiwillig und mit Elan an den Arbeiten beteiligt. Von einem „großen" Entdecker – vorne links – werden wir noch zu sprechen haben.
Siedlungen: Einzelgehöfte – Ackerbau – Viehzucht – Handel
In der jüngeren Steinzeit beginnt die Besiedlung der Elblandschaften. Bären, Rentiere und Elche ziehen sich in die kälteren Regionen zurück, das Standwild (Rot- und Schwarzwild, Hasen und Wildvögel) erleichtert die Jagd vor Ort und erlaubt die Zähmung der Wildtiere und den Übergang zur Viehzucht.
Der sich durchsetzende Ackerbau (ab 4.000 v. C.) auf Rodungsinseln mit Einzelgehöften steigert die lokale Ökonomie, und die Überschüsse eröffnen Chancen für weitreichende Tauschhandlungen. Vermutlich schon seit der Bronzezeit (2.000 v.) verbindet der Ochsenweg die Elbregion mit Jütland, mit dem Viehhandel steigert sich auch der Fernhandel mit Metallen, Metallprodukten (Werkzeuge, Waffen, Schmuck) und Bernstein.
Auch vor Ort entwickeln sich die technischen Fähigkeiten zur Produktion von Tonwaren und zur Verhüttung von Raseneisenerz, Lehmböden und große Lagerstätten von Raseneisenerz (Iserbarg, Iserbrook) in geringer Bodentiefe werden in den Niederungen von Hamburg bis hinauf nach Flensburg gefunden – Verhüttungsöfen in Wittenbergen. Die neuen Technologien produzieren aber auch Umweltschäden. Die Brandrodungen für den Siedlungs- und Ackerbau und die Erzeugung erheblicher Mengen Holzkohle für die Eisenverhüttung vernichten Waldbestände, und die Heideflächen breiten sich aus.
Hügelgrabkultur und Urnenfelder
Sesshaftigkeit führt auch zu neuen Kulturformen, in der Bronzezeit setzen sich die Bestattungen in Stein- und Hügelgräbern (Erd- und Feuerbestattung) durch und werden dann in der Eisenzeit von großen Urnenfeldern so auch bei Tinsdal (400 Grabstellen) und Sülldorf (250 Grabstellen) abgelöst.
graphics8Hünengrab Groß-Flottbek – zerstört (Helms Museum)
Viele der Stein- und Hügelgräber aus der Region sind verschwunden oder zerstört worden, so beim Bau des kaiserlichen Altonaer Exerzierplatzes in Groß-Flottbek (heute: Desy), in der Suurheide beim Bau der Kaserne in Rissen (heute: Krankenhaus) und beim Bau der Eisenbahn.
graphics9Bronzezeitliches Hügelgrab in Rissen: Ringbettung – zerstört
Gräber und Friedhöfe der Vorzeit im Bereich des heutigen Rissen
Rissen, Wittenbergen, Tinsdal und Sülldorf stellen ein lohnenswertes vorgeschichtliches Siedlungsgebiet dar, das – trotz vieler Plünderungen und Zerstörungen – auch heute noch unser Interesse verdient, denn wer weiß schon, was sich unter dem Dünensand, in den Feldern, an den Ufern der Au oder im abstürzenden Gemergel des Elbhochufers noch finden lässt.
graphics10Lilienberg
Zwei Grabhügel können in Rissen heute noch erkannt werden. Der Lilienberg – ein flacher kreisrunder Hügel mit schönem Baumbestand - liegt zwischen dem Marschweg und dem Feldweg 77 bei den Anlagen des Rissener Sportvereins; und unweit vom Lilienberg auf dem ehemaligen Grundstück Tannenhof an der Ecke Gudrunstraße / Grot Sahl liegt der Kaffeeberg.
graphics11Kaffeeberg
Der Kaffeeberg – einst im Dünengelände – befindet sich heute in einem Vorgarten von Bäumen umgeben, bei Sonnenschein bildschön – wenn man ihn bemerkt. H. Sch. aus der Nachbarschaft hat 1934 bei der Ausgrabung und Untersuchung des Hügels als Jugendlicher mitgeholfen. Er erzählt, dass zuerst von dem Gärtner in geringer Tiefe rund dreißig Meter vom Hügel entfernt 15 teils braune, teils tiefschwarze Urnen entdeckt und freigelegt wurden, die jeweils von einer Steinpackung umgeben waren. Es wurden auch eine Nadel und eine Spange aus Eisen gefunden.
In dem Hügelgrab hat vermutlich eine Familie über Generationen ihre Toten beerdigt. Diese Grabstelle verfügt neben dem Basisgrab über mehrere spätere Grabeintiefungen aus der Bronze- und Eisenzeit. An den Schäden der Steinpackungen war gut erkennbar, dass die Gräber schon vor langer Zeit geöffnet und geplündert worden waren: Gefunden wurden nur Feuersteinstücke und Tonscherben. An den Stempel-Ornamenten auf einer rotgelben Trinkbecherscherbe erkannten Experten spanische Einflüsse.
graphics12Urnen Tinsdal / Sülldorf
Die großen Urnenfelder von Tinsdal und Sülldorf aus der Eisenzeit (Nordeuropa: 100 – 400 n. Chr.) legen beredtes Zeugnis davon ab, wie die Besiedlungsdichte zunimmt. Der Dorfschullehrer Caspar Hinrichs Fuhlendorf (1844-1903) hat – mit Hilfe von Schülern – in Sülldorf einen ganzen Friedhof von Urnen mit und ohne Grabhügel ausgegraben.
graphics13Bronzenadeln aus Tinsdal und Sülldorf (aus: Beuche)
Er hat die Grabstätten kartographiert und die Urnen, Urnenscherben und Beigaben aus der Bronze- und Eisenzeit – Nadeln, Fibeln, Ketten, Schnallen – nach Kiel ins Museum verbracht. Fuhlendorf hat sich um die Entdeckung und Sicherung prähistorischer Funde aus den Elbgemeinden große Verdienste erworben.
Das Elbhochufer bei Tinsdal war vor seiner Befestigung in den 1960er Jahren eine wahre Fundgrube für Flintstein- und Feuersteinwerkzeuge: Klingen, Beile, Pfeilspitzen. Aber bearbeitete Feuersteine wurden auch an der Au, auf den Feldern, in den Dünen gefunden. Hier soll nun noch von Funden am Elbhochufer von Rissen erzählt werden.
graphics14Elbhang Wittenbergen 19. Jahrhundert
graphics15Bearbeitete Feuersteine – gefunden von Jürgen Zimmern an der Au in Rissen
Luusbarg in Wittenbergen
Der Luusbarg in Wittenbergen ist ein attraktiver baum- und heidebewachsener Abschnitt des Elbhochufers. Das Gelände gehörte Ende des 19. Jahrhunderts dem Bauern E. Ladiges aus Tinsdal. Auf diesem Gelände brach eines Tages unter dem Tinsdaler Schäfer die Erde ein, und er landete in einer Grabstelle mit Steinrahmung, Skelettknochen und kleinen Beilagen. An der Nordseite des Luusbargs wurde dann ein weiteres Grab, dieses Mal ein Kinder-Doppelgrab zusammen mit einem Tongefäß und den Resten eines bronzenen Vollgriffmessers: „beidseitig verziert, mit rhombischen, glatt abschließendem Knauf" (Prüssing, S. 61) gefunden. Kein Wunder, dass der Luusbarg nun das Interesse auf sich zog.
Ab 1880 ließ Bauer Ladiges „fast alle Hügel und Berge an der Elbe gegen Vergütung bis zu einer Tiefe von 2-3 m nach Steinen durchgraben. Fuhlendorf gegenüber hatte er sich verpflichtet, alle Funde für das Kieler Museum herzugeben" (Krahn 1981).
Bauer Ladiges war ausschließlich kommerziell an den Steinen interessiert und nicht an den ärmlich ausgestatteten Grabstätten, ihren Knochen und Tonscherben. Die Findlinge, die in der Eiszeit an die Elbe verbracht worden waren oder schon in der Vorzeit beim Grabbau gebraucht worden sind, wurden im 19. Jahrhundert als Grenzsteine, Pflastersteine und erneut als Grabsteine gern verwendet und waren