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Der Schwindel
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eBook348 Seiten4 Stunden

Der Schwindel

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Über dieses E-Book

Maria will hier nicht mehr arbeiten. Hier, wo lächelnde Menschen durch mit Kunst behängte Büroflure hetzen, zu Meetings, zu Kundengesprächen, zur Toilette. Menschen, die am Arbeitsplatz Currywurst mit Pommes essen und dabei weiterarbeiten.

Ihre Reisen in den Senegal, nach Gambia und Togo öffnen ihr die Augen über Gier und Ängste der Menschen. Sie erlebt die Faszination ihr fremder Kulturen, steigt ein in das Leben, verändert ihre Wertigkeiten und erkennt, dass die Menschen überall Schauspieler auf der Bühne ihres Lebens sind. Projektarbeiten zum Schutz des Meeres, für eine bessere Bildung, im Kampf gegen den Müll und mit Mikrofinanzierungen gegen die Armut gemäß des Friedensnobelpreisträgers Prof. Muhammad Yunus und ihr Einsatz für eine gute Wasserversorgung bringen sie mit Korruption und Machtverhältnissen in Berührung. Fast wäre sie verschleppt worden.
All diese Erfahrungen gaben ihr die Kraft, mit Geduld und gewaltfrei die schrecklichen Unannehmlichkeiten am Ende ihres Berufslebens in einem großen Konzern zu meistern.
Sie lernt Vergebung, und dass Schwindel auch eine Tugend sein kann, sogar eine Lebensphilosophie aller sein muss.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum21. Dez. 2018
ISBN9783742710826
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    Buchvorschau

    Der Schwindel - Dörte Stähler

    Karriere oder Familie

    Maria will hier nicht mehr arbeiten. Hier, wo lächelnde Menschen durch mit Kunst behängte Büroflure hetzen, zu Meetings, zu Kundengesprächen, zur Toilette. Menschen, die am Arbeitsplatz Currywurst mit Pommes essen und dabei weiterarbeiten.

    Sie ist noch ganz beflügelt von ihrer Reise in den Senegal. Ihre Gedanken kreisen noch immer um die Abenteuer dort. Tief beeindruckt von der Fröhlichkeit, der Gemeinschaft und Gastfreundlichkeit, vom Müßiggang der Afrikaner ohne Acht-Stunden-Takt.

    Aber jetzt um sieben Uhr morgens führt ihr Weg wieder zum Arbeitsplatz bei der Three-Star-Bank AG, vorbei an den in akkuraten Abständen hängenden Gemälden, die sie motivieren sollen. Das Großraumbüro bekommt Licht von Neonröhren, versteckt hinter Metallgittern. Je zwei Arbeitsplätze sind mit Kübeln abgetrennt, bepflanzt mit riesigen Plastikpflanzen. Wer hat, schmückt seinen Schreibtisch mit Fotos seines Ehepartners und seiner Kinder.

    Maria ist Single. Ihr Schreibtisch kennt nur Arbeit.

    Aber was ist das?

    Der Schreibtisch, den sie noch vor ihrer Reise mehrere Jahre innehatte, bleibt verschlossen. Ihr Schlüssel zu den Schubladen, in denen sie ihre privaten Utensilien hat, passt nicht mehr.

    Max, der Kollege, der schon immer mit ihr konkurrierte, bemerkt ihre Verunsicherung und klärt hämisch grinsend auf: „Deinen Arbeitsplatz hat ein anderer übernommen, Maria. Vielleicht solltest du zu dem außerirdischen Stern zurückkehren, von dem du gekommen bist? Maria antwortet: „Ja, Max, es gibt viele schöne Sterne. Zurzeit bevorzuge ich diesen hier. Gewöhne dich daran; wir werden noch einige Zeit miteinander verbringen, und sie geht zu ihrem Chef, um die Ungereimtheiten ihres verschlossenen Schreibtisches zu klären.

    Sie kennt ihren Chef Karl Sparlink bereits aus ihrer Studentenzeit, als sie mit ihrer Zwillingsschwester Daria gemeinsam Jura studierte. Daria liebte die Juristerei. Maria dagegen wählte diesen Studiengang nur, weil ihr Notendurchschnitt nicht ausreichte, um die Numerus-Clausus-Hürde für ein Psychologiestudium zu überspringen.

    Karl Sparlink, der große schlaksige Mann, immer im Anzug, mit Hemd und Krawatte, war zu dieser Zeit Darias Freund und machte gerade sein Abitur über den zweiten Bildungsweg nach. Nebenbei arbeitete er als Aktenzieher in einer Privatbank. Bis zum Prokuristen hat er sich hochgearbeitet. Die entsprechenden Ausbildungen absolvierte er in den Abendstunden. Sein Interesse bestand nur aus Arbeit und Fortbildung. Daria widmete ihr Leben ganz dem Jurastudium, nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Schwester. Klar, haben die beiden Schwestern ihre großen Examensarbeiten gemeinsam geschrieben. Als Erste schloss Daria das Examen mit Prädikat ab, schlüpfte dann in die Rolle ihrer Schwester und schrieb alle Klausuren in deren Namen. Es blieb ihr nur noch die mündliche Prüfung, ohne jegliche Hilfe zu bestehen. Das war ihr schweißgebadet und mit guten Noten gelungen. Ein Prüfungsmensch war sie nie gewesen. Darias Weg führte zum Bundesamt für Migration und Maria begann bei einer holländischen Großbank. Zu dieser Zeit zerbrach die Liebe zwischen Daria und Karl Sparlink. Inzwischen sind viele Jahre vergangen. Jetzt sitzt Maria im Büro von Karl Sparlink, der seit einem Jahr ihr Chef ist.

    Vor zehn Jahren kam sie zur Three-Star-Bank AG in leitender Position in die Rechtsabteilung der Geschäftsstelle Hamburg. Sie führte ein Team von sechs Angestellten. Vor einem Jahr wechselte sie wegen einer Umstrukturierung innerhalb der Bank ihren Arbeitsplatz. Die Rechtsabteilung wurde zentralisiert. Die Gebietsaufteilungen wurden aufgelöst. Sie hätte von Hamburg mit in die Zentrale nach Bissingen ins Schwabenländle ziehen können. Hamburg verlassen, wo ihre Schwester Daria mit ihrer Familie lebt, das lag ihr fern. Familie ist ihr wichtiger als jede Karriere! Wie gut, dass die holländische Bank sie damals nötigte, neben der Arbeit noch eine Bankausbildung zu machen. Ihr Motto war es: egal, welche Arbeitsstelle ihre Mitarbeiter bekleiden, eine abgeschlossene Bankausbildung ist Voraussetzung für einen Arbeitsplatz in ihrer Bank. Nur deshalb haben die Personalabteilung und der Betriebsrat der Three-Star-Bank AG sich bereit erklärt, dass sie auf einen vergleichsweise minderqualifizierten Arbeitsplatz in der Kreditabteilung der Geschäftsstelle Hamburg wechselte. So wurde Karl Sparlink ihr Chef. Gleich im ersten Gespräch mit ihr, untersagte er ihr in Anbetracht seiner Position das „Duzen".

    Heute sitzt sie wieder bei ihm, weil sie keinen Zugang zu ihrem Schreibtisch findet. Karl Sparlink verkündet ihr, dass während ihres Senegal-Urlaub eine weitere Umstrukturierung angelaufen sei. Die Bank wird für die Bonitätsprüfung ein Scoringmodell einführen. Das vielseitige Kreditgeschäft, was bisher von jedem Mitarbeiter von der Kundenbetreuung bis hin zu den Kreditentscheidungen inklusive Bilanzanalysen getätigt wurde, wird in spezielle kleine Aufgaben unterteilt. „Nächsten Freitag ist die gesamte Belegschaft nach Bissingen in die Zentrale eingeladen. Dort werden wir über diese Umstrukturierung informiert, erklärt ihr Karl Sparlink. Er bittet sie darüber zu schweigen. „Es ist noch vertraulich. Aber wir sind ja Freunde aus alten Zeiten.

    Freitagmorgen um sechs Uhr treffen sich alle 39 Kollegen der Hamburger Geschäftsstelle aufgekratzt und fröhlich zum Frühflieger der Eurowing A320 nach Stuttgart. Von dort bringt sie ein Bus zur Hauptstelle der Three-Star-Bank AG nach Bissingen. Ein Jahr zuvor waren sie in Hamburg 78 Kollegen. Diese Reisen nimmt jeder wahr, wenn er nicht sterbenskrank ist. Jeder weiß, dass die Feiern der Three-Star-Bank AG am Abend nach den banküblichen Formalitäten, wie beispielsweise die Informationen über Plan- und Ist-Zahlen, die Unternehmensergebnisse und -veränderungen, gigantisch und nicht zu toppen sind. Die Vier-Sterne-Hotels sind alle in der nahen und weiteren Umgebung für die Belegschaft ausgebucht.

    Und da ist auch schon der Aufruf zum Einsteigen. Während des Flugs sitzt Maria neben Tinchen, einer pummeligen rotblonden Kollegin, die es liebt aus dem Fenster zu schauen. Auf ihrer anderen Seite am Gang stellt sich ihr ein gut gekleideter, grauhaariger Herr mit dem Namen Eberhard vor: „Sie sind aber eine fröhliche Runde! Was führt Sie nach Stuttgart?"

    Sie gibt bereitwillig Auskunft: „Es ist ein Betriebstreffen der Three-Star-Bank AG."

    „Ach, ist da noch Binnich Vorstandsvorsitzender?"

    „Ja, kennen Sie ihn?"

    Erfreut darüber antwortet er: „Ja, es liegt ein paar Jahre zurück. Ich bin der Geschäftsführer der Deutschen Leasing GmbH. Wir hatten seinerzeit ausgesprochen gut zusammengearbeitet, bis sich Binnich durch ein Zeitungsinterview von mir beleidigt fühlte. Ich bedaure es zutiefst. Wenn Sie ihn sehen, grüßen Sie ihn bitte von mir! Mit einem bezaubernden Lächeln erwidert sie: „Ich werde daran denken.

    Nach und nach treffen die Kollegen der acht in Deutschland verbreiteten Geschäftsstellen und der Zentrale in der großen Eingangshalle der Three-Star-Bank AG ein. Vor drei Jahren waren es sechzehn Geschäftsstellen, die die Geschäftsführung den Gebieten und Umsatzzahlen entsprechend zu acht Geschäftsstellen zusammengeführt hat.

    Schnell bilden sich Grüppchen und die Freude der Kollegen ist groß, sich hier wiederzusehen. Wegen der Umstrukturierung und damit verbundenen Ortswechsel haben sie sich lange nicht gesehen. Durch die Namensschilder, die ein jeder unter Angabe seines Arbeitsplatzes trägt, können sich die Kollegen persönlich kennenlernen, die sonst nur telefonisch miteinander Kontakt haben.

    Maria und Anja fallen sich in die Arme. Sie schlossen Freundschaft, als sie bis vor einem Jahr in der Rechtsabteilung in Hamburg zusammen schafften. Anja ist Schwäbin und bei der Zentralisierung seinerzeit in ihre Heimat zurückgekehrt. Inzwischen ist sie stellvertretende Abteilungsleiterin der Rechtsabteilung in Bissingen. Sie kann es kaum glauben, dass ihre Freundin, zu der sie immer aufschaute, weil sie souverän und kompetent ein Team von sechs Juristen führte, nun auf dem beruflichen Abstellgleis verhungern soll.

    „Willst du nicht nach Bissingen übersiedeln? Gehst du auf diesem Kreditsachbearbeiterposten nicht seelisch ein? Maria schmunzelt: „So ist das eben. Wenn du in einem Konzern zur Karriere 'Nein' sagst und das Höher, Weiter, Größer und all ihre Superlative nicht mitmachst, dann landest du auf dem Abstellgleis. Irgendwie kann ich es sogar verstehen. Nur den Aufstrebenden bieten sie die Fortkommensmöglichkeiten. Leider ist mein Wissen in Hamburg nicht mehr gefragt. Ich finde gerade neue interessante Felder. Mein Hunger nach neuem Wissen ist ungebremst. Ich war im Senegal im Urlaub.

    Plötzlich fällt ihr Blick auf Binnich, der neben Karl Sparlink und dessen Vorgesetzten Schatzmeister und ein paar anderen hohen Herren trotz seiner großen Ausstrahlung klein wirkt. Anja guckt erstaunt, als sie ihre Freundin schnurstracks auf diese Gruppe zugehen sieht. Karl Sparlink will sie sofort mit ein paar unverständlich genuschelten Worten von der Gruppe fernhalten, als Binnich Maria freundlich die Hand reicht und sich nach ihrer Geschäftsstelle erkundigt. Sie nimmt die Gelegenheit wahr und überbringt die Grüße von Herrn Eberhard, dem Geschäftsführer der Deutschen Leasing GmbH, den sie im Flugzeug von Hamburg nach Stuttgart an ihrer Seite hatte.

    Was für Blicke treffen Maria, als sie von Binnich zur Seite genommen wird: „Sie kennen Dr. Eberhard?"

    Er wartet gar nicht ihre Antwort ab. Er erzählt ihr, wie viel Spaß und Erfolg er und Binnich in ihrer Zusammenarbeit hatten. Ein Zeitungsartikel hat ihre hervorragenden Geschäftsbeziehungen jäh abgebrochen. Sie bestätigt ihn, dass er ihr dasselbe mitgeteilt hatte. Binnich freut sich sichtlich: „Ich werde ihn anrufen. Grüßen Sie ihn bitte zurück, wenn Sie ihn sehen" und geht zu seiner Gruppe zurück.

    Auf dem Weg zur im Keller liegenden Toilette spürt sie überraschend einen Arm auf ihrer Schulter. Er ist von Karl Sparlink, der sie verschiedenen Herren aus der Führungsebene vorstellt: „Maria muss man kennen. Sie ist eine interessante Frau, die über die Grenzen hinaus bekannt ist. Max, der Hüne mit Augen wie Schießscharten, stürmt herbei und verkündet lauthals, dass sie wohl den falschen Beruf erlernt habe, denn an ihr sei eine Ethnologin verloren gegangen. „Erzähle mal! Wie war's im Senegal?

    Sie lässt sich nicht beirren und folgt ihrem Weg zur Toilette.

    Zurück wundert sie sich über die lauten Motorengeräusche in der Halle, die inzwischen von über 2000 Personen gefüllt ist. Binnich kommt mit dem neuesten Modell des Mercedes SLC vorgefahren und springt dynamisch auf das Podium, wo bereits drei weitere Vorstände und eine berühmte Fernsehmoderatorin auf ihn warten. Jedes Vorstandsmitglied berichtet per Power-Point-Präsentation über die Zahlen – Daten – Fakten seines Verantwortungsbereiches. Binnich bedankt sich bei der Belegschaft für ihr enormes Engagement, ohne das dieser Erfolg nicht möglich gewesen wäre.

    „Wir, der gesamte Vorstand, sind sehr überrascht über dieses tolle Ergebnis in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten!" Um im kommendem Jahr wieder in diesem starken Wettbewerb Spitzenreiter bleiben zu können, ist eine Umstrukturierung nötig. Er freut sich das Scoringmodell einführen zu können und baut auf Innovation und Teamgeist.

    „Keine Sorge: die Arbeitsplätze sind sicher. Wir schaffen das!"

    Es werden sich nur die Tätigkeitsfelder verändern. Ein Grummeln zieht durch den Saal. Die Moderatorin schnappt eine Äußerung einer Frau aus den ersten Reihen auf: „Mit Frauen in der Führung wäre manches besser! und fordert Binnich heraus: „Haben Sie das gehört, Herr Binnich? Wo sind die Frauen auf der Führungsebene? Der Vorstand ist eine reine Männerdomäne. Was sagen Sie dazu?

    Wer genau hinsieht, kann erkennen, dass er seine Augen verdreht. Ein leichtes Zittern liegt anfänglich in seiner Stimme, als er sich langsam fasst und verkündet, dass ihm eine Frau unter den Vorstandskollegen aufrichtig erfreuen könnte, schließlich liebe er die Frauen, was ihm ein Schmunzeln auf die Lippen zaubert.

    „Wir leben in einer Unternehmenskultur, in der Frauen wie Männer gemäß ihren Leistungen in die entsprechende Position gelangen. Wenn die Frauen diese Leistungen nicht erbracht haben, dann...Wir haben beispielsweise einen Mann in leitender Funktion in einer unserer Geschäftsstellen, der sich vorstellt, die Führungskräfteleiter zu erklimmen, und der sich wundert, dass es ihm nicht gelingt. Ich sage Ihnen, fachliche Qualifikation ist eine Grundvoraussetzung, um bei der Three-Star-Bank-AG tätig zu sein. Um höhere Positionen zu erreichen bedarf es noch anderer Fähigkeiten."

    Entsprechendes Auftreten.

    Karl Sparlink fühlt sich nicht ohne Grund angesprochen und verwandelt sich schlagartig in eine rote Ampel. Trotz seiner zwei Meter Länge wirkt er klein und ist stets bemüht, sich besonders aufrecht zu halten, um größer zu wirken. Er macht gute Miene zum bösen Spiel, was keine erfolgversprechende Basis für eine Karriere ist. Fast alle Blicke sind auf ihn gerichtet. Frauen in Führungsetagen sind kein Thema mehr.

    Binnich leitet den gemütlichen Teil des Tages ein und verweist darauf, dass vor der Tür Busse bereitstehen, die alle zur eigens für dieses Event gebuchten größten Diskothek des Schwabenländle bringen. Ab 22 Uhr findet ein stündlicher Busshuttle zu den Hotels statt. Eine Sambatruppe heizt die Ankömmlinge ein. Die jung dynamischen Banker stürmen zu den fürstlich hergerichteten Buffets. Was für eine Auswahl, nicht nur an Essen und Getränken! Maria und Anja begutachten zunächst die Räumlichkeiten: Es gibt draußen einen Biergarten, drinnen eine gemütliche Lounge, einen Vorraum mit einer Wand mit Fotos des Tages zur freien Verfügung, wo sich tatsächlich jeder wiederfindet und als Erinnerung mitnehmen kann und zwei große Säle, in dessen einem Saal zu fortgeschrittener Stunde DJ Ötzi und dem anderen Saal Bernd Stelter die Massen bespaßt.

    Sie sind völlig geflasht von dem Angebot und gönnen sich erstmal einen Apérol Sprizz. Max stolpert ihnen völlig betrunken vor die Füße. Erregt teilt er ihnen mit, dass er gerade aus einer benachbarten Kneipe komme. Zwei Bissinger Kollegen haben ihn dort zu mehreren schwäbischen Brezelschnäpsen eingeladen. Gegenüber gäbe es einen McDonalds, falls sich in den Morgenstunden vom vielen Feiern ein neuer Hunger einstellen würde. Maria und Anja schütteln ihre Köpfe. Sie freuen sich über ihr Wiedersehen, genießen das gute Essen und tauschen sich über ihre Erlebnisse in Familie, auf ihren Reisen und im Büro aus. Ab und an halten sie einen Small-Talk mit ihren Kollegen. Sogar Binnich sucht immer wieder ihre Nähe.

    Es ist eine ausgelassene Party, bei der viele Verbindungen geknüpft werden. Karl Sparlink ist von der Tanzfläche nicht wegzubekommen und flirtet sich durch die Nacht. Beim Frühstück treffen sich alle wieder. Jeder übertrifft den Nächsten, wer den kürzesten Schlaf hatte. Sie tratschten, wer mit wem und wo und warum. Anja kommt extra von Ludwigsburg nach Bissingen ins Hotel, um sich von Maria zu verabschieden. Während des Fluges nach Hamburg schwelgen die Kollegen in Erinnerungen und zerreißen sich die Mäuler. Nur Karl Sparlink und Maria hängen verstummt ihren Gedanken nach. Am Flughafen eine kurze Verabschiedung und alle verstreuen sich in diversen Richtungen nach Hause. Viele werden von ihren Ehepartnern abgeholt.

    Am Montag herrscht im Büro eine beredte Fröhlichkeit, verursacht von der großartigen Feier. Sie sind sich einig. Feiern, das können sie. Karl Sparlink bittet Maria sofort in sein Büro und händigt ihr den neuen Schlüssel zu ihrem Schreibtisch aus. Es gab eine einfache Erklärung, dass ihr Schlüssel nicht mehr passte. Im Zuge der Umstrukturierung wurden die Schreibtische ausgetauscht, als sie im Urlaub war. Er verkündet ihr, dass er sie für den Scoringbereich eingesetzt hat. Das bedeutet, dass sie das Tätigkeitsfeld des Vertriebsunterstützers ohne jegliche Entscheidungsgewalt bekleidet. Ihre Kompetenzen über Kredite bis zu 1.000.000 EUR sind gestrichen. Max wird ihr die neuen Aufgaben erklären. Sie staunt nicht schlecht und hält gegen: „Was für eine Karriere! Vom Juristen zum Datatypisten!"

    Er erwidert: „Wollen Sie sich denn den Stress noch antun? Sie werden bald 50 Jahre alt und waren vor einem halben Jahr wegen eines Tumors unterm Arm krank. Es ist viel besser für Sie, etwas kürzer zu treten. Dort werden sicherlich viel weniger Überstunden anfallen. Freuen Sie sich doch!" Maria spürt ihren Blutdruck steigen. Hitzewallungen durchlaufen ihren Körper.

    Karl Sparlink spricht weiter: „Ich verstehe gar nicht, in meinem persönlichen Umfeld sterben gerade so viele Frauen an Krebs." Das war zu viel.

    Es platzt aus ihr heraus: „Ich hatte einen gutartigen Tumor, der operativ entfernt ist. Ich bin vollständig geheilt!"

    Er unterbricht sie: „So fing das bei denen auch an."

    Sie bedankt sich für die einfühlsamen Worte und verlässt sein Büro. Kurz bevor sie die Tür öffnet ruft Sparlink ihr hinterher: „Denke daran, dass wir beide wissen, wer dein Examen gemacht hat."

    Rasend nimmt sie den kürzesten Weg zur Damentoilette und hofft, dass keiner dort ist. Sie schüttet sich wieder und wieder kaltes Wasser ins Gesicht, um einen klaren Kopf zu bekommen. Plötzlich erfasst sie dieses Darmkneifen, rennt zur Toilette und lässt krachend los, was es loszulassen gibt. „Ich scheiß auf dich, du Freund aus alten Zeiten! Ihre Gedanken kreisen: „Was habe ich falsch gemacht? Sie beschließt Ruhe zu bewahren und begibt sich gemächlich in ihr Büro, öffnet ihren Schreibtisch und sucht nach einem Tee der sie in die Balance zurückbringen könnte. Sie findet schwarzen Tee, grünen Tee, Früchtetee, Salbeitee, Kräutertee und Pfefferminztee. Der Kräutertee ist sicherlich die richtige Entscheidung.

    Als sie aus der Küche zurückkommt, bittet sie Max, ihren Widersacher, ihr die neue Software des Scorings zu erklären. Ohne eine zynische Bemerkung setzt er sich zu ihr und weist sie geduldig in das neue Programm ein. Schnell hat sie alles aufgenommen. Was bleibt ist learning by doing. Nach kurzer Zeit erkennt sie, dass das eine Tätigkeit ist, bei der die Gefahren gerade in ihrer Einfachheit lauern. Flüchtigkeitsfehler können böse Folgen haben und gegen das Kreditwesengesetz verstoßen. Sie fürchtet sich vor einer Abmahnung mit anschließender Kündigung, die sie bei solchen Routinearbeiten nicht verwundern würde. Sie ist analytisches Arbeiten gewohnt. In ihrem Alter hätte sie erhebliche Schwierigkeiten, eine neue Arbeit zu finden. Sie müsste sich auf eine lebenslange Arbeitslosigkeit mit anschließender Sozialhilfe einstellen. Schreckliche Gedanken begleiten sie.

    Ihr ist plötzlich schwindelig. Ein Grund, heute mal keine Überstunden zu machen. Heute benötigt sie in der Hauptverkehrszeit anderthalb Stunden mit dem Auto bis nach Hause. Sonst schafft sie das in knapp einer Stunde.

    Zuhause angekommen stellt sie sofort den Fernseher an. Es ist ihr egal, welches Programm läuft. Ihr ist alles recht, wenn sie nur ihre Gedanken zum Erliegen bringen könnte. Im Kopf dreht es sich; nicht nur um diesen Tag. Sie fühlt sich elendig und ohnmächtig. Früh begibt sie sich ins Bett, zieht sich die Decke über den Kopf und versucht zu schlafen. Immer wieder blinzelt sie auf den Wecker, um zu überprüfen, wieviel Zeit ihr für einen erholsamen Schlaf bleiben. Um fünf Uhr rasselt der Wecker wie an allen Arbeitstagen. Sie zwingt sich ins Bad. Frische kehrt leider nicht in ihren Körper zurück.

    Widerwillig führt sie ihren geschwächten Körper ins Büro, atmet vor dem Eingang einmal tief durch, setzt ihr hübschestes Lächeln auf und begrüßt ihre Kollegen ohne ihre wahren Gefühle Preis zu geben. Als wenn nichts gewesen wäre begrüßt Karl Sparlink alle per Handschlag mit kleinen, witzigen Sprüchen, die keiner wirklich hören will. Maria konzentriert sich auf ihre Arbeit und ärgert sich über ihre Empfindlichkeiten. Ihr Kopf fühlt sich an, als hätte sie Ohropax in den Ohren. Sie hört ihr Blut in ihren Adern fließen. Es ist ihr gerade recht, dieser anspruchslosen Tätigkeit nachgehen zu müssen. Panik kommt in ihr auf. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, erklärt sie ihren Kollegen, dass sie kurz an ihr Auto müsse und verschwindet nach draußen, wo sie ungestört ihren Hausarzt anrufen kann. Sie bekommt einen Termin für heute Abend 19 Uhr. Erleichterung steigt in ihr auf. Damit geht ihre Arbeit viel leichter von der Hand. Der Schwindel aber will noch nicht aufhören.

    Dr. med. Pille berichtet sie ihre Symptome. Die Vorkommnisse bei der Arbeit verschweigt sie. Er misst bei ihr einen Blutdruck von 180 zu 99. „Das ist viel zu hoch! Wir machen ein Langzeit-EKG. Einverstanden?" Sie bekommt ein Messgerät an ihren Arm, was halbstündlich ihren Blutdruck über 24 Stunden misst und mit einem zweiten Gerät verbunden ist, das die Messungen aufzeichnet. Sie selbst schreibt dazu ein Blutdrucktagebuch. Donnerstag um 19 Uhr ist ihr nächster Arzttermin.

    Die Langzeitmessung kann sie in der Firma nicht verheimlichen. Sie erklärt sie als Routineuntersuchung, die bereits vor ihrem Urlaub anberaumt war.

    Dr. med. Pille ist von den Messergebnissen nicht erbaut. Die erhöhten Werte beweisen, dass sie selbst in der Nacht nicht zur Ruhe kommt. Er überweist sie für eine anderthalbstündige Messung auf dem Kipptisch in die Schönklinik, die nicht weit von ihrem Arbeitsplatz entfernt liegt.

    Sie informiert Karl Sparlink darüber, dass sie hierfür ihre Mittagspause ausnahmsweise nicht am Arbeitsplatz verbringen würde. Sie würde diese sogar für eine ungewisse Zeit überziehen. Er bittet sie darum, sich an der Arbeitszeitschaltuhr auszustempeln.

    In der Schönklinik schwankt ihr Blutdruck zwischen 230 zu 130 und 200 zu 100. Mit so einem hohen Blutdruck will der Arzt sie nicht gehen lassen, sondern stationär aufnehmen. Das lehnt Maria mit Nachdruck ab. Das ist ihr aus beruflichen Gründen nicht möglich. Der Arzt gibt ihr eine blutdrucksenkende Tablette. Kurz nach Einnahme des Betablockers ergibt die erneute Messung einen Wert von 90 zu 60. Sie bekommt ein Rezept, fährt zur Apotheke und direkt zu ihrem Arbeitsplatz.

    Übers Wochenende geht es ihr zusehends schlechter. Der Schwindel nimmt überhand. Sie traut sich nicht, ihre Wohnung zu verlassen. Montag früh ist sie die Erste im Wartezimmer von Dr. med. Pille. Tränen kullern ihr übers Gesicht. Nach einer Untersuchung setzt er die Betablocker ab und verschreibt ihr ein gefäßerweiterndes Medikament. Wegen des fortwährenden Ohrdrucks überweist er sie zum Hals-Nasen-Ohrenarzt am selben Tag. Dort stellt der Arzt eine Linie in seinen Messungen fest, die auf einen Hörsturz hindeute. Er sagt ihr: „Das kann kein Hörsturz sein. Damit würden Sie nicht hier sitzen. Ich schreibe Sie zwei Wochen krank. Sie brauchen Ruhe. „Oh, nein, das geht nicht! Ich werde in der Firma gebraucht. Es gibt gerade so viele Krankheits- und Urlaubsfälle. Sie einigen sich auf zwei Tage Krankschreibung. Völlig erschöpft geht sie nach Hause. Auf ihrer Couch fühlt sie sich am wohlsten. Die nötigen Einkäufe würde sie morgen in aller Ruhe erledigen.

    Auf dem Weg zum Markt fühlt sie sich wie betrunken. Schwankend macht sie vor dem Haus ihrer Schwester Daria halt und klingelt: „Daria, mir geht’s gerade nicht so gut. Ich muss mich mal kurz hinlegen." Daria ruft sofort den Krankenwagen, der sie in die Universitätsklinik bringt. Dort wird der Hörsturz bestätigt. Die Infusionen bewirken eine Genesung.

    Zurück im Büro begrüßen sie die Kollegen erfreut. Karl Sparlink bittet sie in sein Büro. Er kredenzt ihr einen Kaffee, erkundigt sich nach ihrem Befinden, fragt, ob er etwas für sie tun könne. Mit so einem Hörsturz sei nicht zu spaßen. Er erzählt ihr, dass er einen Urlaub in zwei Monaten im Whistler-Golf Resort in Kanada, in einem malerischen Tal, umgeben von riesigen mit Schnee bedeckten Bergen und unberührten Seen, gebucht habe.

    Ihr bietet er an, zur selben Zeit ihren nächsten Urlaub zu nehmen. Das täte ihr sicherlich gut. Sie weiß nicht, was sie von dieser Fürsorge und Freundlichkeit zu halten habe. Der Gedanke aber in zwei Monaten wieder in den Senegal zu reisen, gefällt ihr.

    Sie nutzt die Gelegenheit, dass er und die Kollegen ihr einen Urlaubsantrag ohne lange Debatten unterschreiben. Gesagt, getan. Der Antrag wurde von allen ohne zu murren unterschrieben. Die Reise ist gebucht.

    Vom Glück, zu geben

    Maria kam vor gut drei Monaten erstmals in den Senegal. Sie erinnert sich, wie es zu dieser Reise kam. Den Norden Afrikas mit Marokko, Tunesien und Ägypten und den Osten mit dem Sudan, Kenia und Tansania hatte sie bereits kennengelernt. Sie war auch in Südamerika, in der Dominikanischen Republik und Venezuela. Von Asien, wie Sri Lanka, Malaysia, Indonesien, Bali, Thailand und Myanmar war sie besonders begeistert. Es war der Buddhismus mit seinen Meditationen und die traditionelle Medizin, wie Ayurveda, was sie interessierte.

    Diese vielfältige Natur löste Gefühle wie zu Teenagerzeiten in ihr aus. Da gab es Schmetterlinge in ihrem Bauch. Sie wollte jeden Fleck der Erde einmal gesehen haben, bis plötzlich bei dieser Art zu reisen ein Gefühl von Langeweile in ihr aufkam. Drei Wochen Urlaub, in dem sie von Ort zu Ort hetzte, war ihr plötzlich zu oberflächlich. Sie fand es egal, ob die Menschen schwarzer, gelber, roter oder weißer Hautfarbe waren; die Bonzen waren überall Bonzen und die Freaks überall Freaks. Eine ihr fremde Kultur wollte sie in der Tiefe kennen lernen. Der Gedanke daran, Thailand, das Land des Lächelns näher kennenzulernen, ließ ihr Herz höherschlagen. Üblicherweise hört sie auf ihr Herz.

    Diesmal gab sie ihrem Zeigefinger die Aufgabe, die Entscheidung zu übernehmen. Sie legte eine Woche lang jeden Abend nach der Arbeit die Weltkarte auf ihren Wohnzimmertisch, schloss ihre Augen und ließ ihren Finger kreisen. Täglich dasselbe Spiel und immer landete ihr Finger auf dem Senegal.

    „Was ist das für ein Land?" fragte sie sich und wollte von Daria wissen, ob sie ihr Näheres über dieses Land sagen könnte. Daria lachte schallend, als sie hörte, wie ihre Schwester auf den Senegal kam.

    „Du mit deiner Spiritualität! Wenn ich meinen Finger kreisen lasse, wird er auch immer auf derselben Stelle landen. Du veränderst doch deine dir eigenen Bewegungen nicht."

    Das überzeugte Maria nicht und bat sie, ihren Finger auch über einer Weltkarte kreisen zu lassen. Ihr Finger traf nie dasselbe Land. Das war Grund genug für eine Reise in den Senegal.

    Als sie im Oktober die Gangway des Flugzeugs auf dem Flughafen Dakar Leopold Senghor betritt, fühlte sie sich, als würde sie gegen eine Wand enormer feuchter Hitze laufen, die sie zu erschlagen droht. Die Regenzeit hatte entgegen ihrer

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