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Flarow, der Chief – Teil 1 – Maschinenassistent: Ein Schiffsingenieur erzählt – Band 44 in der maritimen gelben Buchreihe
Flarow, der Chief – Teil 1 – Maschinenassistent: Ein Schiffsingenieur erzählt – Band 44 in der maritimen gelben Buchreihe
Flarow, der Chief – Teil 1 – Maschinenassistent: Ein Schiffsingenieur erzählt – Band 44 in der maritimen gelben Buchreihe
eBook375 Seiten5 Stunden

Flarow, der Chief – Teil 1 – Maschinenassistent: Ein Schiffsingenieur erzählt – Band 44 in der maritimen gelben Buchreihe

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Über dieses E-Book

Lothar Rüdiger erzählt in diesem Band 44 der von Jürgen Ruszkowski herausgegebenen maritimen gelben Buchreihe meisterhaft in Romanform seinen beruflichen Werdegang: 1956 als Maschinen-Assistent auf dem Logger "RUDOLF BREITSCHEID" des Fischkombinats Rostock. – Flucht aus der DDR in die Bundesrepublik – 1957 als Ingenieur-Assistent auf dem Nordatlantikliner BERLIN des Norddeutschen Lloyd und später auf dem Tanker CAPERATA der Deutschen Shell. Danach das Studium zum Schiffsingenieur II in Flensburg.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum8. Mai 2014
ISBN9783847688501
Flarow, der Chief – Teil 1 – Maschinenassistent: Ein Schiffsingenieur erzählt – Band 44 in der maritimen gelben Buchreihe

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    Buchvorschau

    Flarow, der Chief – Teil 1 – Maschinenassistent - Lothar Rüdiger

    Vorwort des Herausgebers

    Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

    Im Februar 1992 begann ich, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags": Seemannsschicksale.

    Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften zu meinem Buch. Diese positiven Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben. Diese Zeitzeugen-Buchreihe umfasst inzwischen zwei Dutzend maritime Bände.

    In den Bänden 44 bis 46 können Sie wieder Erlebnisberichte, Erinnerungen und Reflexionen eines Seemanns in Romanform kennen lernen, der ab 1956, zunächst als Maschinen-Assistent auf einem Kombi-Logger von Rostock aus in Nord- und Ostsee fischte und später in großer Fahrt auf dem Atlantikliner „BERLIN" nach Nordamerika und auf einem Tanker unterwegs war, sowie über seine Studienzeit in Flensburg. In diesem Band 44 lesen Sie zunächst seine Erlebnisse als Assi, in den Bänden 45 und 46 die Fortsetzung der Erzählungen des Autors mit weltweiten Reisen als Technischer Wachoffizier und als Chief.

    Hamburg, im Februar 2010/2014 Jürgen Ruszkowski

    Zum Geleit

    Um wirklich leben zu können, muss ein Mensch Stürme kennen, er muss Ozeane als seine Heimat haben oder die Küste als sein zu Hause.

    Er muss Dinge der Erde riechen, die Stimmen der lebendigen Schöpfung hören und die reiche Fülle von Erde und Meer fühlen. (James Michener)

    FLARROW

    Der Name Flarrow entstand auf einem Passagierschiff, das im Nordatlantik-Liniendienst eingesetzt war. Als nämlich der Erste Ingenieur nach seinem Assistenten mit den Worten „Wo ist der Fliegende Pfeil? rief, machte ein findiger Schmierer „Flying Arrow daraus.

    Die übrigen Mitglieder der Vier-Acht-Wache, der englischen Sprache nicht so mächtig, verballhornten dann diesen Namen zu „Flarrow".

    Schon als Kind fand Flarrow nur einen Beruf erstrebenswert. Irgendwie zur See gehen, die großen Meere und die weite Welt sehen. Zunehmendes technisches Interesse präzisierte schon bald seinen Berufswunsch. Er wollte Schiffsingenieur werden. Und als die Zeit gekommen war, begann er damit, seinen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen.

    Vorwort zu „Flarrow steigt auf"

    Allgemeine Bemerkungen zur Hochseefischerei in der DDR (bis 1956)

    Mit der Teilung Deutschlands bei Kriegsende 1945 gab es Hochseefischerei nur im westlichen Teil. Die Küstenfischerei in der Ostsee konnte den Bedarf der damaligen Ostzone und späteren DDR bei weitem nicht decken.

    Importe aus Island, Skandinavien und im Rahmen des innerdeutschen Handels waren auf Dauer mit dem chronischen Devisenmangel der DDR unvereinbar. Fisch war daher dort Mangelware. Das erkannte sogar die sowjetische Besatzungsmacht, die zum Aufbau ihrer eigenen Fischerei auf den ostdeutschen Werften in Stralsund, Boizenburg und Rosslau ein Logger-Programm aufgelegt hatte, das im Rahmen der Reparationsleistungen von der DDR zu erfüllen war. Sie war bereit, aus dem „1.000–Logger-Programm" 35 Schiffe abzuzweigen, die 1950/51 dem Fischkombinat Rostock zuliefen und die Hochseefischerei der DDR begründeten.

    Bereits im November 1949 hatte der Rat der Stadt Rostock als endgültigen Standort des Hochseefischereibetriebes das Gelände der Heinkel AG in Rostock-Marienehe vorgeschlagen. Am 19. Juni 1950 löschten die Logger „HEINRICH MANN (ROS 101) und „ROSA LUXEMBURG (ROS 104) als erste in Rostock. Dieses Datum gilt als Gründungstag des Betriebes, der 1952 in VEB Fischkombinat Rostock umbenannt wurde.

    Logger sind Fischereifahrzeuge, die mit Treibnetzen fischen. In der DDR bezeichnete man einen Schiffstyp als Logger, der für Treibnetzfang entwickelt worden war, aber auch für das Fischen mit Schleppnetzen benutzt werden konnte und deshalb auch „Kombilogger" genannt wurde. Für die Fischerei mit Schleppnetzen war dieser Typ jedoch stark untermotorisiert.

    Die Logger hatten folgende Auslegungsdaten:

    Länge über alles 38,50 m

    Reichweite 6.300 sm

    Einsatzdauer bis zu 25 Tage

    Besatzung 18 Personen

    Antriebsleistung 300 PS

    Geschwindigkeit 9 Kn

    Laderaumvolumen 182 m³

    ca. 1400 - 1800 Korb

    Vermessung 260 BRT

    Jahresfang (geplant) 965 t

    Alle Fischereifahrzeuge haben eine Kennung, die sich aus einem Hinweis auf den Heimathafen und die Klassifizierung zusammensetzt. Sie wird von der zuständigen Behörde vergeben. Die Rostocker Logger hatten die Kennung ROS 101 bis ROS 135. Die später zugelaufenen Trawler ROS 201 bis ROS 225. Dazu kam der bei der Schiffstaufe verliehene Schiffsname.

    Auf dem Logger „RUDOLF BREITSCHEID" (ROS 107) fuhren 1956 15 bis 18 Mann Besatzung einschließlich Kapitän. Sie waren im Vor- und Achterschiff untergebracht. Im Vorschiff wohnten in drei 4-Mann-Kammern Leichtmatrosen, Matrosen, ein Maschinen-Assistent und der Bestmann/Netzmacher. Im Achterschiff in einer 4-Mann-Kammer der Zweite Maschinist, der Funker, der Koch und ein Maschinen-Assistent, weiterhin in einer 2-Mann-Kammer die beiden Steuerleute. Der Erste Maschinist (Chief) und der Kapitän wohnten in Einzelkammern im Hauptdeck.

    Die Logger waren Frischfischfänger. Der Fang wurde an Bord sofort in Eis und Salz gelagert und blieb so etwa vierzehn Tage haltbar. Kehrte das Schiff von der Fangreise zurück, machte es an der Löschpier fest, wo der Fang gelöscht wurde. Die Besatzung hatte nun 48 Stunden frei. Um den Logger kümmerte sich während dieser Zeit der „Landbereich" des Fischkombinates, der ihn auch für die nächste Reise auszurüsten hatte. Die 1.085 m Kailänge des rechteckigen, zum Warnow-Fahrwasser hin offenen, Hafenbeckens war in vier Bereiche eingeteilt:

    Löschpier, mit den Fischhallen zur Weiterverarbeitung des Fanges.

    Querpier, mit Werkstätten und Lagerräumen.

    Ausrüstungspier, mit Netzboden und den Vorrichtungen für Wasser-, Brennstoff- und Schmierölübernahme.

    Eispier, mit der Eisfabrik (Kapazität: 50 t/Tag) und den Vorrichtungen zur Eisübernahme. Am Eispier wurden auch die Fässer mit Salz übernommen und zu allerletzt, kurz vor dem Auslaufen, wurde der Proviant geliefert, der ebenfalls dort übernommen wurde. Hier stieg auch die Besatzung wieder ein, übernahm das Schiff vom „Landbereich", und lief mit ihm zu einer neuen Fangreise aus.

    Mit der Fertigstellung des 5.000-Tonnen-Kühlhauses im Frühjahr 1956, wurde die erste Aufbauphase des Fischkombinates im Wesentlichen abgeschlossen. Es begann nun eine Phase der Stabilisierung der Betriebsabläufe, mit dem Ziel, mehr Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Diesem Ziel kam man aber kaum näher, denn nur selten waren die Logger zum Auslauftermin wirklich seeklar. Meistens musste die Besatzung Ausrüstung und Proviant übernehmen und verlor dabei viel Zeit. Auch deshalb wurden die Planziele nur selten erreicht.

    Mit der Stabilisierungsphase begann auch der Schlendrian. Nach den Anstrengungen der Aufbaujahre, wurden gewissermaßen Verschnaufpausen eingelegt, die die Überbewertung der politischen Arbeit seitens der Kombinatsleitung noch förderten. Partei- und Kaderleitung hatten nun Zeit für die Entwicklung eines „sozialistischen Betriebes", was für besonders wichtig gehalten wurde. Durch immer stärkere Forcierung der politischen Arbeit wurde aber, wie in anderen VEB-Betrieben der DDR auch, ein Betriebsklima erzeugt, das die Ideologie vor die Wirtschaftlichkeit stellte, was aber nicht zur Verbesserung der Betriebsergebnisse beitragen konnte.

    Flarrow steigt auf

    *) In Rostock sagt man „aufsteigen, in Bremerhaven „einsteigen auf ein Schiff

    An jenem Julitag lagen die Gebäude des Fischkombinates in brütender Mittagshitze. Der Lärm aus den Hallen, die um das Hafenbecken herum gebaut waren, verstummte.

    Fischwerker aus den Fischhallen, Netzwerker vom Netzboden und Lagerarbeiter aus Magazinen und Provianthallen machten sich auf den Weg zur Kantine. - Mittagspause.

    Im Hafenbecken, das leicht zwanzig Fischereifahrzeuge aufnehmen konnte, lagen nur zwei Logger, einer, der erst am Morgen eingelaufen war am Löschpier, der andere am Eispier, schon mit dem Bug zum nahen Warnowfahrwasser hin, als ob er klar zum Auslaufen wäre.

    Flarrow setzte den schweren Koffer ab. Schweißperlen tropften von seiner Stirn, brannten in seinen Augen und liefen von seinem Kinn den Hals hinunter in den offenen Hemdkragen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er zu dem Logger am Eispier hinüber. An seinem Heck stand in großen weißen Buchstaben: RUDOLF BREITSCHEID – ROSTOCK.

    Er wischte sich den Schweiß ab und atmete auf. Dort lag es - sein Schiff. Nach all den Tagen des Wartens, war er vor einer Stunde ins Heuerbüro gerufen worden. Man hatte ihm Seefahrtsbuch und Heuerschein in die Hand gedrückt, er war damit angemustert. Der Logger sei klar zum Auslaufen, er solle sich gefälligst beeilen.

    Flarrow war in die vergammelte Wohnbaracke gestürmt, in der er bisher untergebracht war, hatte hastig seinen Koffer gepackt, und war dann über das Trümmerfeld, das seit Kriegsende auf eine sinnvolle Nutzung wartete, zum Hafen gelaufen.

    Dort lag es nun, das Schiff auf dem er angemustert hatte. Er riss den Koffer wieder hoch, immer noch von der Angst gepackt, es könnte plötzlich losfahren, nicht auf ihn warten. Atemlos stand er vor zwei Männern, die sich, an die Stelling gelehnt, unterhielten, und stotterte: „Ich möchte den Ersten Maschinisten sprechen".

    Der in den Holzpantinen wandte sich ihm zu, und Flarrow blickte in ein hartes, kantiges Gesicht voller Falten, dessen blaue Augen durch ihn hindurch blickten, und seine Stimme sagte: „Du bist der neue Assi, na dann komm mal mit." Der Mann schlurfte über das schmutzige Deck zum vorderen Niedergang. Flarrow folgte ihm die steile Treppe hinab in einen winzigen Raum mit vier Kojen, jeweils zwei und zwei hintereinander und übereinander an der Bordwand.

    „Hier wohnst Du, zieh Dich gleich um, wir haben noch zu tun. „Ich soll mich aber beim Ersten Maschinisten melden hörte Flarrow sich sagen. Der Mann griente ihn freundlich an: „Und wer glaubst du bin ich? Ist schon gut, gib mir mal dein Seefahrtbuch und komm dann in die Maschine."

    Die Holzpantinen polterten den Niedergang hoch und über das Deck zurück zum Achterschiff. Flarrow war fassungslos. So sah also der Chief, der Leiter der Maschinenanlage, wie es vornehm hieß, aus: Schmierige Hosen, ein Unterhemd voller Ölflecken und -Holzpantinen! Na ja, dachte sich Flarrow, ein Wunder ist das nicht. Bei der Seereederei hatten sie gesagt, dass es „gemäß den Planzielen" noch fünf Jahre brauche, bis es ein Schiff für ihn geben würde. Wenn er jedoch gleich los wollte, sollte er es beim Fischkombinat versuchen, da wäre immer mal ein Platz frei.

    Wo war er hier gelandet? Sah so der Beruf aus, den er so sehnlich anstrebte, den er für etwas ganz Besonderes hielt?

    Es bewegte sich nichts. Nur das Ticken der Uhr über dem Fahrstand klang zu ihm herüber, als er den Maschinenraum betrat. Flarrow hatte sich gut vorbereitet, viel gelesen. Mühelos erkannte er den Hauptmotor und die zwei Dieselaggregate für die Bordstromerzeugung, Pumpen und Rohrleitungen an der Backbordseite; E-Schalttafel, Batterien und eine Werkbank mit Schraubstock und Schleifmaschine an Steuerbord. Darüber die Anlassluftflaschen für die Startluft der Dieselmotoren. Achtern, hinter dem Niedergang der zylinderförmige Hilfskessel für die Heizung der Wohnräume, der Kommandobrücke und das Trankochen.

    Zum ersten Mal nahm er den Geruch des Maschinenraums wahr, eine Mischung von Schmieröl, Brennstoff und Bilgenwasser, den dieser Arbeitsplatz verströmte, und der ihn zukünftig, sicher in unterschiedlichen Nuancen, niemals mehr verlassen würde, wenn er mit einem Schiff unterwegs war.

    „Du bist der Neue? klang es vom Niedergang her. „Heiße Dieter und habe hier schon fünf Reisen gemacht. Halt mal den Eimer. Ehe Flarrow antworten konnte begann der andere an einer Schraube zu drehen. Etwas wäre verstopft, Flarrow sollte mal schön den Eimer darunter halten. Und dann ergoss sich ein satter Strahl in den Eimer, der bald gefüllt war und der einen Atem beraubenden Gestank verströmte.

    Flarrow an Bord

    „Wenn es leer gelaufen ist, machst du es wieder dicht", sagte Dieter und verschwand grinsend nach oben. Über und über mit Jauche bespritzt, starrte Flarrow entsetzt auf den Eimer. Der verstopfte Abfluss der Mannschaftstoilette war nun leer gelaufen, die Leckschraube lag im Eimer; ganz unten drin. Flarrow fluchte leise vor sich hin. Abitur, Maschinenschlosserlehre, Erfahrungen im Motorenbau und nun das hier. - Doch dann fischte seine Hand nach der Schraube.

    Der neue Assi von ROS 107 stand an Deck und blickte in die untergehende Sonne. Er versuchte nachzuempfinden, was ihm seine Bücher so alles erzählt hatten. Hafen, Salz, Tang und Teer und - Fernweh. Was er wahrnahm war der Geruch von Dieselöl, Brackwasser und vergammeltem Fisch. Langsam nahm das Heimweh von ihm Besitz.

    Der Chief hatte ihm gesagt, dass sie erst morgen mit Eis rechnen könnten, und dass er heute Bordwache hätte. Einen Hafenmaschinisten hätten sie nicht parat. Dann waren alle an Land gegangen. Morgen sollte es losgehen, auch das hatte der Chief gesagt.

    Er war ins Vorschiff gegangen, um einzuräumen. Vom Depositenlager war ein Seesack angeliefert worden, seine Ausrüstung, die das Kombinat stellte: Ölzeug, Stiefel und Bettwäsche. Er hatte seine Koje bezogen, Kopfkissen, Decke und Matratze. Es machte sich richtig gut, das blau-weiß karierte Kojenzeug. Dann hatte er seine Sachen verstaut, das Logis gefegt und den Koffer in den Stauraum gebracht.

    An einem kleinen Tisch schrieb er die ersten Zeilen nach Hause, teilte mit, dass er jetzt zur Abteilung „Flotte gehöre, sowie Name und Nummer seines Schiffes, damit sie seine Adresse hatten. Morgen würden sie fahren, in die Nordsee, „auf Hering hatten sie gesagt. Der Brief lag nun im Postkasten, der unweit des Liegeplatzes auf zwei Stelzen an dem Pier stand. Flarrows Blick wanderte über das Schiff. Ein grüner Rumpf. Achtern die rostroten Aufbauten. Bis auf den Schornstein war nichts in Farbe, das Deck schmutzig und unaufgeräumt. Ein kleines rostiges Schiff. Schlagseite hatte es auch.

    Es war so ziemlich alles anders gekommen, als er sich das gedacht hatte. Niemand hatte sich wirklich um ihn gekümmert, sie hatten ihn kaum wahrgenommen, er zählte einfach nicht mit. Und dann der Laden hier. Ein kleiner rostiger Motorlogger des VEB Fischkombinats Rostock. Das war einfach nicht seine Welt. Drüben an der Löschpier hatte am Nachmittag einer von den neuen Trawlern festgemacht. ROS 218 kam direkt von der Werftprobefahrt und war deshalb gut in Farbe. Das weckte die Sehnsucht. Das war ja wenigstens noch ein Schiff. Weiße Aufbauten und mehr als doppelt so groß als dieser Logger hier. Aber dort wurden nur befahrene Assistenten angemustert, die mindestens sechs Monate Fahrzeit hatten. Damit konnte Flarrow nicht dienen. Er hatte noch nicht einmal auf einer Werft gearbeitet, das hatte die Kaderabteilung des Kfz-Werkes verhindert. Deshalb war er trotz allem angelesenen Bücherwissen fremd an Bord.

    Die Nacht brach herein. Flarrow kontrollierte die Maschinenraumbilge und die außenbords hängende Laterne. Alles klar auf der Back, die Lampen brennen, so stand es in den Büchern. Hier aber war niemand, der sich dafür interessiert hätte. Er war allein mit diesem Schiff. Die Wache hatte man ihm doch auch nur gegeben, weil sonst keiner da war. Nur um ihn zu beschäftigen. Zumindest sah er das so.

    Als er schließlich über den kleinen Tisch in die Oberkoje kletterte, war er sicher, alles falsch gemacht zu haben. Die Seegrasmatratze war besser, als das Stroh in der Wohnbaracke, stellte er lächelnd fest. Ansonsten fand er keinen Grund zur Freude, und seine Stimmung war deshalb entsprechend weit unter Null.

    Draußen auf der Warnow brummte das Typhon eines sowjetischen Frachters. - Ja, ein Frachter, dort müsste man an Bord sein, dort war bestimmt alles so, wie er sich das erträumt hatte. Auf einem Frachter, da war die Welt in Ordnung! Frachter hatten aber zu jener Zeit im Ostblock vor allem die Russen.

    Krachend flog das Schott auf. Vom Niedergang her polterte ein Koffer herunter, der auf dem kleinen Tisch, mitten in seinen Sachen landete. In der Tür stand ein Riese und der schrie: „Hallo ein Neuer! Flarrow sprang aus der Koje auf den kleinen Tisch. Hatte er verschlafen? Der Riese hielt ihm die Hand hin. „Du bist der neue Assi, ich bin Audi, der Netzmacher. Flarrow machte fast eine Verbeugung. Audi drehte sich zu einem anderen Riesen um, der inzwischen ebenfalls unten angekommen war. „Er ist noch ganz neu bei die Fischerei."

    Flarrow fuhr hastig in seine Kleider, stürzte an Deck und nach achtern. Die Tür zum Waschraum war verschlossen. Also fiel die Morgentoilette völlig aus. Flarrow verschwand in der Maschine, um zu kontrollieren, was man ihm aufgetragen hatte. Plötzlich stand ein Mann im Trainingsanzug neben ihm. Ein Mann, kaum älter als er, glattes Haar und eine mächtige Schmalzlocke über der Stirn. Sehr gepflegt, dachte Flarrow, aber Trainingsanzug und Turnschuhe? - Nicht einmal die vorgeschriebenen Maschinenschuhe hatte er an. Schmalzlocke ließ ihm keine Zeit zu weiteren Betrachtungen. „Ich bin Bobby, Zweiter Maschinist, und Du bist der neue Assi. Du kannst ‚Du’ zu mir sagen. Wieder ein schmerzhafter Händedruck. „Du bist wohl schon seit gestern an Bord und ganz unbefahren? Wir gehen zusammen Nullsechs, kennst Dich wohl noch nicht so ganz aus hier? Na das wird schon. Jetzt geh’ und weck den anderen. - „Wo schläft der? - „Ach so, komm mit. Tänzelnd verschwand Bobby nach oben und nach ein paar Metern in einem Niedergang, der wieder nach unten führte. Flarrow hechelte hinterher und landete in einer Kammer mit zwei Bullaugen, dreimal so groß wie seine im Vorschiff, die keine Bullaugen hatte. Hier gab es ebenfalls vier Kojen, aber die Kammer war dreimal so groß! Flarrow konnte nicht wissen wie unbedeutend das für das Wohnen auf See sein würde. Er ahnte aber auch nicht, welchen wirklichen Vorteil diese Kajüte im Achterschiff hatte. Hier wirkte sich nämlich der Seegang weit weniger heftig aus als im Vorschiff, und man brauchte nicht über Deck, um in den Maschinenraum zu gelangen.

    Bobby schrie: „Reise, Reise, Amigo! Ein Grunzen antwortete. Da langte der Zweite in die Oberkoje, und schon stand der Assistent Dieter in voller Schönheit mitten in der Kajüte. „Los, komm` schon, wer saufen kann, kann auch Likör! - „Scheiße das hier. - „Ach was, mach hin, Store übernehmen, nimm den da mit! und Bobby zeigte auf Flarrow.

    Der Logger lag in der Nähe des Ausrüstungspiers, wo die für die Reise benötigte Ausrüstung in Magazinen und Netzboden bereitgestellt worden war. Sie schleppten Ausrüstung an Bord, Ersatzteile für die Maschinen, einen Reservebrenner für den Hilfskessel, Sicherungen, Glühbirnen, Putzwolle und Putzlappen, mehrere Sätze Brennstoffdruckleitungen für die Hauptmaschine. Zuletzt zwei Flaschen Sauerstoff und zwei Säcke mit Karbid zur Acetylenerzeugung, denn sie hatten ein Gasschweißgerät an Bord. Das hatten beileibe nicht alle Logger.

    Der Mann hinter dem Schalter hielt Flarrow mürrisch einen Zettel hin: „Unterschreib!" Flarrow kapierte und suchte Dieter, der sich, weiß Gott woher, eine Flasche Selterwasser besorgt hatte, die er nun in sich hineinschüttete, um den Nachdurst aus der Metro-Bar zu lindern. Dieter nickte nur, und Flarrow unterschrieb die Empfangsbestätigung. Sie hatten nichts gezählt, nichts kontrolliert, nur geschleppt. Wozu also noch unterschreiben? fragte sich Flarrow.

    Draußen an der Pier hielt ein LKW direkt vor dem Schiff. Riesenradau - der Proviant wurde geliefert. Ein zweiter Wagen kam dazu: Brote, Körbe mit Gemüse, Schweinehälften und immer wieder Kartons mit Konserven. Flarrow bekam große Augen. Das alles sollte ins Schiff? Und da er mitten im Weg herumstand, war er gleich dabei, die Brote auf das Peildeck zu schaffen, wo sie in einem Bretterverschlag verstaut wurden. Brot für 18 Mann und drei Wochen auf See.

    Überall liefen Leute herum, schimpfend und fluchend, schleppend und scherzend - die Besatzung. Überall aber auch eine schreckliche Unordnung. Zertrümmerte Paletten, Tauwerk, dazwischen Salatkisten und zwei Matrosen, die eine Luke öffneten. Ein großer Rüssel wurde in die Öffnung gesenkt, und dann rauschte das Eis in die Hocken. Zusammen mit Kochsalz würde die Mischung den Fisch bis zum Löschen in Rostock ausreichend kühlen.

    Dann kamen die Netze auf mit Gummi bereiften Tafelwagen von der Netzmacherei herangerollt. An Deck wurde der Ladebaum gestellt und unter der Aufsicht des Netzmachers Audi verschwanden die Netze in der Luke.

    Flarrow, der immer im Weg stand und von den Leuten um ihn herum kaum beachtet wurde, machte sich keine Gedanken mehr. Er tat, was ihm gesagt wurde, und fluchte heimlich, weil sein leerer Magen knurrte.

    Alles musste so gestaut werden, dass zum jeweiligen Zeitpunkt der Reise der richtige Proviant griffbereit war. Das besorgte der Koch im Proviantraum, und deshalb gab es eben kein Frühstück.

    Er hatte gerade das Karbid in einen Stahlbehälter unter dem Maschinenraumoberlicht verstaut, als Bobby von unten heraufwinkte. Flarrow kletterte die Steigleiter hinunter zum Fahrstand und sah zu, wie Bobby den Dieselgenerator startete. Da tauchte der Chief auf. Flarrow bekam das Manöverbuch in die Hand gedrückt: „Schau dir das an, du schreibst Manöver, es geht jetzt los."

    Dann machten die beiden Maschinisten die Hauptmaschine klar, starteten sie ein paar Mal, und Bobby kuppelte den Luftkompressor ein, um die verbrauchte Startluft zu ergänzen. Plötzlich war Leben im Schiff und Flarrow starrte gebannt auf den 300-PS–Dieselmotor, der mit kleiner Drehzahl warmlaufen sollte. Bobby pustete in das Sprachrohr zur Brücke, brüllte etwas hinein und stellte die Uhr über dem Fahrstand. Zeitvergleich. - Nachdem er die Uhr aufgezogen hatte, gab er Flarrow den Schlüssel: „Jeden Mittag bei Wachbeginn aufziehen! Da sprang der Maschinentelegraf auf „Maschine Achtung! Bobby quittierte, und Dieter schwang die Ölkanne, um die Ventile des Hauptmotors zu schmieren.

    Flarrow schrieb in das Manöverbuch:

    13. Juli 1956, 13:48 h, Maschine Achtung.

    Bobby stoppte die Maschine. Nun war nur das Rattern des Bordgenerators zu hören, der die Bordstromversorgung übernommen hatte. Gespannt warteten alle. Dann hörte man, wie eine losgeworfene Leine auf das Wasser klatschte. Der Maschinentelegraf klingelte, Bobby quittierte, bediente die Hebel, und der Achtzylinder-Hauptmotor sprang an.

    Flarrow notierte: 13:51 h: Voraus Halbe.

    Gespannt verfolgte er, wie Bobby den Motor auf Drehzahl brachte. Das Spiel der Kipphebel fesselte ihn, und dabei vergaß er völlig, dass soeben seine erste Reise begonnen hatte.

    Der Logger nahm Fahrt auf, erreichte das Warnowfahrwasser und später den Breitling. In Warnemünde wurde noch einmal festgemacht. Das Schiff musste „zollmäßig ausklariert werden. Die Besatzung stürzte in den „Seehund. In diesem Lokal gab es den besten Grog der Ostseeküste. Dort wurde der letzten Pfennig auf den Kopf gehauen. Danach liefen sie durch den Seekanal, und gegen 18:00 Uhr hatten sie die Reede von Warnemünde passiert.

    ROS 107 lief nun durch eine glatte See mit nördlichem Kurs von Land ab in Richtung Sund, Kattegatt und Skagerrak. Ihr Ziel war die Nordsee. „Fladengrund hieß der nordöstlich von Schottland liegende Fangplatz. „Auf Hering, hatten sie gesagt.

    Mit Bobby stand auch Flarrow an Deck und schaute nach dem entschwindenden Land hinüber. Da war der Strand und die Holzhäuser von Warnemünde, schnell kleiner werdend. Schließlich waren nur noch Mole und Leuchtturm zu erkennen.

    „In drei Wochen sehen wir das wieder, da werden wir wohl auch diese Reise geschafft haben", seufzte Bobby. Und Flarrow begriff, dass er an Bord war, auf See mit einem Fischereimotorschiff kaum vierzig Meter lang, eingeschlossen in einer engen, kleinen Welt, und er war nunmehr ein Teil von ihr, ob er wollte oder nicht.

    Dann saßen sie in der Messe. Ein Tisch, die Back, querschiffs aufgestellt, bot Platz für die 18 Besatzungsmitglieder und den Kapitän. Flarrow hatte einen Platz am Schott gewählt, doch dann tauchte der Kapitän auf, und er musste aufrücken. Nun saß er fest zwischen Bobby und dem Alten, der zunächst einmal ungehalten über die Kombinatsleitung schimpfte. Sie hatten wieder einmal zwei Tage verloren, weil die Instandsetzungsarbeiten der Eismaschinen nicht termingerecht beendet worden waren, und sie deshalb auf Eis warten mussten.

    Als die Teller mit gebratener Leber und Kartoffelpüree herumgereicht wurden, verstummten die Gespräche. Plötzlich fragte der Alte: „Na Assi, hast du schon gefahren? - „Nein, dies ist meine erste Reise. - „Na dann sag Bescheid, wenn Du seekrank bist. Kotz mir bloß nicht auf die Wäsche!" Allgemeines Gelächter, Flarrow schluckte.

    Als sich der Alte auf die Brücke verzogen hatte, begannen sie zu erzählen. Von zu Hause, den Sauftouren, und wie sie das Geld sonst noch auf den Kopf gehauen hatten. Flarrow hörte zu. Er wagte es nicht etwas dazu zu sagen. Er hätte ja auch nichts zu sagen gehabt – aber sie beachteten ihn gar nicht. Dann mahnte Bobby: „Los in die Koje, um Mitternacht sind wir wieder dran."

    „Viertel vor, kam es von ganz weit her, wurde lauter, kam sich wiederholend, näher und dröhnte schließlich in seinem Kopf - „Viertel vor! Flarrow sprang auf, Dieter verschwand schon im Niedergang. Es war Zeit für die Wache von null bis sechs Uhr, die Hundewache. Zusammen mit dem Rudergänger trottete er über das dunkle Deck nach achtern. Am Maschinenraumschott wartete Bobby: „Also denn man los!"

    Drinnen hämmerten die Diesel. Gleichmäßig das dumpfe Ra-ta-ta-tan, ra-ta-tatan der Hauptmaschine, dazwischen das Flap-flap-flap-flap des Bordgenerators. Flarrow trabte hinter Bobby her, der auf dies und das zeigte. Schließlich standen sie am Fahrstand. Bobby nickte, und Dieter, der die Achtzehn-Vierundzwanzig-Wache hinter sich hatte, verschwand mit einem gequälten Lächeln nach oben.

    Nun musste Flarrow alles noch einmal kontrollieren –- die Ausbildung hatte begonnen. Bobby schaltete die Batterien auf Ladung. Später setzte er sich auf die Twistkiste. „Pass gut auf, und alle zwei Stunden abschmieren, schau dir das Journal an, alle zwei Stunden Temperaturen und Drücke eintragen." Damit vertiefte er sich in einen Kriminalroman, einen Westkrimi, wie der erstaunte Flarrow schließlich feststellte. Er ließ nun den Hauptmotor nicht mehr aus den Augen. Die dreihundert PS nötigten ihm gehörigen Respekt ab, und weil er die ganze Anlage noch nicht kannte, ihre Geräusche nicht einschätzen konnte, war er ziemlich unsicher. Besonders nervös machte ihn, dass der Zweite sich scheinbar um nichts kümmerte, ihm augenscheinlich alles überließ. Dass erfahrene Seemaschinisten oft mit den Ohren besser sehen konnten, als mit den Augen, das musste Flarrow erst noch lernen.

    Ein Uhr! Die Eintragungen ins Maschinentagebuch wurden fällig. Abschmieren, Fischräume lenzen, Maschinenraumbilge kontrollieren. - Plötzlich war Bobby da, um Brennstoff in den Tagestank zu pumpen. „Aufpassen, wenn der überläuft, gibt’s große Schweinerei. - „Fünf Uhr vierzig, geh’ jetzt wecken!

    Als er zurückkam, wurden Seewassertemperatur und Propellerdrehzahl an die Brücke gemeldet. Aus dem Sprachrohr kam die Lufttemperatur zurück, die ebenfalls in das Maschinentagebuch eingetragen wurde.

    Dann tauchte Dieter auf. „Gute Wache – „Gute Ruh. Die erste Seewache war herum. Müde schlich Flarrow hinter dem Zweiten nach oben. In der Messe gab es Bohnen mit Speck zum Frühstück. Danach fiel er todmüde in die Koje.

    ROS 107 hatte

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