Am Tag, als die Fische starben
Von G. J. Wolff
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Buchvorschau
Am Tag, als die Fische starben - G. J. Wolff
Bewusstlos
1
„Die, die, die wollen uns umbringen!", stammelte Sina entsetzt und zeigte auf die Silhouetten, die rasch durch den nächtlichen Sommerwaldweg auf sie zukamen.
„Sie werden uns finden. Wir sind hier nicht sicher!", flüsterte David, weil sie sich hinter einem Busch versteckt hatten.
David wusste, dass Bert mit ihm abrechnen wollte. Die Schatten näherten sich schnell.
„Wenn ich jetzt
sage, rennen wir los! Wir müssen versuchen, die Siedlung zu erreichen!, zischte David. „Lass auf keinen Fall meine Hand los!
Im nächsten Moment gab er das vereinbarte Zeichen und sie stürzten los.
„Achtung! Sie machen die Fliege!", brüllte eine Stimme hinter ihnen, die sie beide gut kannten.
David und Sina spurteten so schnell sie konnten, aber im dichten Gestrüpp des Waldes kamen sie nur schwer voran. David hatte erwartet, dass er Sina würde mitziehen müssen, aber sie hetzte voraus und zog ihn so heftig vorwärts, dass ihm bereits nach wenigen Metern der Arm schmerzte.
„Aua!, rief David. „Du reißt mir ja den Arm aus!
„Lauf so schnell du kannst, sonst geschieht dir Schlimmeres!"
Sie spurteten wie Slalomläufer zwischen den Bäumen und Büschen hindurch.
„Die verdammten Zweige!", keuchte Sina.
Sie fühlte den ekligen Geschmack von Blut in ihrem Mund. Die Äste hatten ihr das Gesicht zerkratzt.
Nach wenigen Metern waren sie vor Anstrengung völlig durchgeschwitzt. Die Kleider klebten klamm an ihren Körpern. Sina spürte ihren rasenden Puls, ihr vor Aufregung hämmerndes Herz, ihre zitternden und feuchten Hände. „Schneller, schneller!", keuchte sie.
David drehte sich im Laufen um und erschrak. Die Verfolger waren nur noch wenige Meter hinter ihnen und grölten wild. Ein Sturm aus Schrecken durchfuhr ihn. Es war noch ein ganzes Stück bis zur Straße.
„Wir müssen es schaffen!, raste es durch seinen Kopf. „Wir müssen es einfach schaffen!
Er versuchte, noch schneller zu laufen. Das Gebrüll der Verfolger wurde lauter. Da stürzte Sina und riss ihn beinahe ebenfalls zu Boden.
„Steh auf! Steh doch auf!", schrie er sie an.
„Ich, ich kann nicht mehr!", stieß sie erschöpft hervor.
Er schleifte sie über den Boden, während sie aufeinander einschrien.
„Steh auf, sonst haben sie uns gleich!"
„Versuch allein wegzukommen! Sie wollen vielleicht nur dich!"
David gab nicht nach und zerrte sie vorwärts, bis sie auf die Beine kam und wieder zu rennen begann.
„Da vorne ist die Straße! Wir schaffen es!", rief er, denn er erkannte den Schein der Straßenlaterne durch die Bäume.
„Achtung, da kommt einer von der Seite!", versuchte Sina ihn zu warnen.
Im gleichen Augenblick wurden sie von ihren Verfolgern zu Boden gerissen. David und Sina schrien laut auf.
„Wir haben sie! Wir haben sie erwischt!"
„Aua! Ahhh! Seid ihr verrückt geworden!", schrie Sina wütend.
David spürte, wie ihn kräftige Arme festhielten. „Lasst uns sofort los!"
Er hörte Sina leise stöhnen.
„Halt die Fresse, sonst stopf ich sie dir, du Großmaul!"
„Jetzt gibt`s erst mal Saures!"
Sie wurden herumgerissen, auf den Rücken geworfen und einige von Berts Bande setzten sich auf sie. Grinsend stand Bert vor ihnen und sah sie mit seinen graukalten, blitzenden Augen an. Er drohte ihnen mit seinen riesigen Händen.
„Jetzt kann das Spiel losgehen! Darauf habe ich lange gewartet!", rief er triumphierend.
„Was soll das?", stieß David hervor und rang nach Luft.
„Sag deinen Freunden, dass sie uns loslassen sollen, sonst wirst du es bitter bereuen!"
Bert lachte laut. „Habt ihr das gehört? Das Honigbübchen droht uns." Er sah David hasserfüllt an.
„Einen Dreck werde ich hier bereuen, kapierst du? Er zeigte mit der Hand auf die Umstehenden.
Weil wir nichts bereuen."
Er beugte sich zu David herunter und stierte ihm aus so kurzer Entfernung in die Augen, dass David seinen alkoholisierten Atem riechen konnte. Dann schlug er ihn mit furchtbarer Kraft ins Gesicht. David schrie auf und blieb benommen liegen.
„Es tut keinem von uns hier leid, was wir mit euch eingebildeten Stinkern tun. Im Gegenteil! Zeigen wollen wir es euch vornehmen Pinkeln. Spaß macht es uns, obenauf zu sein und auf euch zu spucken."
Damit spuckte er David ins Gesicht und trat ihm so fest in den Unterleib, dass David laut stöhnte.
„Hör auf, Bert, bitte hör auf, Bert! Tu`s für mich!", flehte Sina.
„Du Schlampe hältst den Mund! Bert fuhr herum und drohte mit dem Zeigefinger. „Glaubst du vielleicht, ich lasse mir von so einem feinen Kriecher das Mädchen ausspannen?
„Du redest doch nur Stuss, verdammt noch mal!"
Sina versuchte sich aufzurichten, aber Berts Leute drückten sie wieder auf den Boden.
„Du redest doch nur verdammten Schrott!, brüllte sie ihn an. „Es ist aus zwischen uns, weil ich dich nicht mehr liebe, dich niemals richtig geliebt habe, kapier es doch endlich!
„Halt die Klappe von wegen Liebe!, schrie Bert sie an und gab ihr eine Ohrfeige. Er wurde immer wütender. „Komm mir nicht noch einmal damit, sonst geht es dir so dreckig wie dem da.
Er wandte sich wieder David zu.
„Schau, was ich mit dir mache und was mir gar nicht Leid tut!"
Er trat David wieder und wieder in den Bauch und in den Unterleib. David krümmte sich vor Schmerzen.
„Du glaubst doch nicht, dass ich mich von deinem Geschwätz einschüchtern lasse!", brüllte er außer sich vor Wut und mit Geifer vor dem Mund.
Jetzt boxte er David mehrmals gegen den Kopf. Davids Gesicht war blutverschmiert.
Sina wandte sich ab und hielt sich die Ohren zu.
„Nein, nein, bitte nicht!", schrie sie laut vor Entsetzen.
„Das ist dein letzter Abend, du Scheißer! Heute mach ich dich alle!"
Bert trat wie wild auf David ein. Der blutete schon überall und gab seit einigen Sekunden keinen Laut mehr von sich. Er lag bereits regungslos am Boden.
Plötzlich hatte Bert einen Baseballschläger in der Hand.
„Genug!, rief da Paul, einer von Berts Leuten.
Es reicht, der hat genug!"
„Halt`s Maul!, schrie Bert.
Den mach ich heut Abend fertig!"
Berts Leuten wurde es mulmig zu Mute. Sie wussten, dass mit ihm nicht mehr zu reden war, wenn er so tobte.
„Los, nichts wie weg!, zischte Paul. „Ich habe keine Lust für `nen Mord grade zu stehen.
Im Nu ließen Berts Leute Sina und David los und verschwanden im Dunkeln des Waldes.
Bert fluchte und schrie ihnen nach, aber sie kehrten nicht um.
Sina nutzte Berts Unaufmerksamkeit, sprang auf und hetzte durch den Wald zur beleuchteten Straße, die sie gleich darauf erreicht hatte.
„Hilfe! Hilfe!, schrie sie, als sie ein Auto kommen sah. „Bitte helfen Sie mir doch!
Sina versuchte, das Auto anzuhalten, aber der Fahrer gab schnell Gas, als sich Sina seinem Fahrzeug näherte.
„Oh nein! Warum hilft mir denn niemand?, dachte sie und irrte hin und her. „Er wird sterben und ich bin schuld
, murmelte sie immer wieder vor sich hin.
Sie hörte ein Motorengeräusch, Scheinwerfer tauchten auf. Sie stellte sich mitten auf die Straße und winkte. Das Auto kam herangebraust und hätte sie überfahren, wenn der Fahrer nicht im letzten Moment gebremst hätte. Dicht vor ihr hielt er an. Sie rannte um das Auto herum zur Fahrertür. Der Fahrer drehte die Scheibe einen Spalt herunter und schimpfte.
„Bist du noch gescheit, du dummes Gör?", schimpfte er.
„Helfen Sie mir, bitte helfen Sie mir!, flehte Sina. „Mein Freund liegt im Wald und braucht Hilfe!
Der Fahrer sah sie misstrauisch an und blickte dann zweifelnd zum Waldrand hinüber.
„Bitte! Bitte! Helfen Sie mir doch! Sina hob beschwörend die Hände. „Mein Freund verblutet. Es hat eine Schlägerei gegeben. Mein Gott, er wird sterben!
Der Mann rutschte unruhig auf seinem Fahrersitz hin und her und schaute sich nervös um. Er sah Sina an, dann blickte er wieder zum Waldrand, dann sah er sich nochmals um. Weit und breit war niemand zu sehen.
„Tut mir leid, Mädchen, aber das ist nichts für mich!", rief er plötzlich. Mit laut aufheulendem Motor brauste er davon. Sina sprang zur Seite, rutschte aus und fiel hart auf die Straße.
„Du Schwein, du gewissenloses Schwein!", presste sie hervor.
Ratlos saß sie auf der kalten Straße und weinte. Sie fühlte, wie ihr vor Schwäche schlecht wurde.
„Ich muss David helfen!, dachte sie. „Ich darf jetzt nicht aufgeben!
Sie versuchte aufzustehen, knickte jedoch ein und fiel erneut auf den harten Asphalt. Da kroch sie auf allen Vieren den Straßengraben entlang bis zu der Stelle, an der es in den Wald zu David ging. Dort wurde sie ohnmächtig.
Nach einer Weile spürte sie, wie jemand ihr vorsichtig auf die Wangen tätschelte. Sie öffnete die Augen und erkannte einen Polizisten, der sie im Arm hielt und leise auf sie einsprach. Sie verstand seine Worte nicht.
„David!, murmelte sie.
David liegt dort im Wald. Er braucht Hilfe. Vielleicht ist er schon tot."
Dann verlor sie wieder das Bewusstsein.
2
Sina zuckte zusammen, als jemand eine Hand auf ihre Schulter legte.
„Ach, du bist`s nur, Uschi!", atmete sie auf. Im fahlen Licht des Krankenhauswarteraumes sah sie in das Gesicht einer Krankenschwester.
„Geh doch nach Hause und ruh dich aus. Wir tun hier alles für ihn was wir können."
„Ich muss immer daran denken, wie sehr er blutete."
Sie begann zu weinen.
„Beruhige dich doch!"
„Kann ich mit ihm sprechen?", wollte sie plötzlich wissen.
„Als ich ihn in den Operationssaal schob, war er noch bewusstlos. Sowas kann dauern."
Sie ergriff die Hand der Schwester. „Mein Gott, wird er durchkommen?"
„Er wird noch operiert. Ich verständige dich, sobald ich etwas weiß."
„Das sagst du doch nur so. Mein Gott, das viele Blut!"
Die Schwester machte sich los. „Ich muss jetzt wieder. Wird schon werden." Sie versuchte zu lächeln.
Sina legte die Hände vors Gesicht und weinte. Immer und immer wieder musste sie an das blutverschmierte Gesicht Davids denken.
Das Quietschen der Wartezimmertür riss sie aus ihren Gedanken.
Ein kräftiger, grauhaariger Mann und eine zierliche Frau, beide in langen, dunklen Mänteln, traten an das Wartezimmerfenster und kauerten sich schweigend aneinander, die Frau ebenfalls in Tränen.
„Davids Eltern!, dachte Sina. „Auch das noch!
Sie erhob sich zögernd und stand ratlos da.
Im selben Moment fuhr sie herum. Die Tür des Operationssaals öffnete sich und David wurde herausgeschoben. Sie versuchte, seinen Blick zu erreichen, aber er war noch immer bewusstlos. Sie wollte zu ihm, aber das Personal umringte das Krankenbett so dicht, dass es ihr nicht gelang. Schnell wurde er an ihr vorbei in Richtung der Intensivstation transportiert. Auch Davids Eltern konnten nur einen kurzen Blick auf ihn werfen. Frau König schluchzte laut auf.
Der Arzt blieb bei den Eltern stehen und erklärte ihnen mit ruhiger Stimme Davids Gesundheitszustand.
„Wie geht es ihm?, rief Sina laut und drängte sich heran. „Sagen Sie mir doch bitte, wie es ihm geht!
„Es geht ihm den Umständen entsprechend gut!, antwortete der Arzt. „Er ist außer Lebensgefahr und wird keine bleibenden Schäden davontragen. Allerdings wird er einige Wochen der Pflege bedürfen.
„Mit welchem Recht geben Sie diesem Mädchen über den Gesundheitszustand meines Sohnes Auskunft?", fuhr Davids Vater den Arzt an.
Dieser schaute die beiden überrascht an. „Ich dachte..., begann er, „… ich dachte es handele sich um ....
Er sah sich verlegen um.
„Es ist mir gleich, was Sie dachten!, bellte ihn Herr König an. „Jedenfalls verbiete ich Ihnen, irgendwem Auskunft über den Zustand meines Sohnes zu erteilen und schon gar nicht dieser Person.
„Aber ich bin doch eine Freundin von David!, warf Sina ein. „Sie wissen doch, dass David und ich immer zusammen sind.
„Das ist ja gerade das Schlimme!", brüllte sie Davids Vater an.
„Ohne dich läge er nicht halbtot hier, das ist sicher!, kreischte Davids Mutter verzweifelt und warf Sina hasserfüllte Blicke zu. „Ohne dich säße er zuhause an seinem Schreibtisch. Ich wünschte, er wäre dir nie begegnet!
„Was soll das heißen? Was meinen Sie damit?, stammelte Sina und wankte hilflos einige Schritte zurück. „Wollen Sie damit sagen, dass ich schuld bin, dass, dass ...?
Sie schluchzte laut auf.
„Genau das wollen wir!, schrie Herr König. „Früher hatte David nie Probleme. Aber seit du mit ihm zusammen bist, kennt er nichts Anderes mehr als Schwierigkeiten.
„Aber, aber, ich, ich wollte das doch auch nicht!, stammelte Sina und zitterte vor Erregung. „Ich, ich helfe ihm doch nur bei der Arbeit. Ich bin doch nur eine gute Freundin!
Sina zerriss es beinahe das Herz, als sie das äußerte, weil ihr bewusst wurde, dass wirklich nicht mehr zwischen ihnen war.
„Wenn du wirklich eine gute Freundin bist, dann solltest du