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Blutiger Hibiskus
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eBook293 Seiten3 Stunden

Blutiger Hibiskus

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Über dieses E-Book

In naher Zukunft breitet sich eine neue Krankheit aus. Wissenschaftler tun sich schwer, den Erreger zu identifizieren oder gar eine Heilung anzubieten. Man weiß nur, dass sie ansteckend ist und unweigerlich zum Tod führt.

Zum Schutz vor Ansteckung haben die USA die hawaiianische Insel Moloka'i zur Quarantäne-Insel erkärt, auf die die Infizierten gebracht werden, wo sie entweder auf ihren Tod oder auf ein Heilmittel warten sollen. Doch nicht alle Kranken sind mit dieser Ausgrenzung einverstanden, und so versuchen oft einige von ihnen, auf eine der Nachbarinseln zu fliehen.

Jeremy Hagen, Polizist aus L.A., lässt sich nach Maui versetzen und übernimmt hier zusammen mit seinem Kollegen John Oshiro den Spezialauftrag, jene Flüchtlinge aufzuspüren. Tödliche Waffengewalt ist dabei ausdrücklich erwünscht.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum22. Apr. 2019
ISBN9783748591238
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    Buchvorschau

    Blutiger Hibiskus - Arthur Schibetz

    Vorwort für die Ebook-Ausgabe

    Eine grobe Idee zu dieser Geschichte hatte ich bereits vor einigen Jahren. Meine übliche Vorgehensweise ist dann folgende: Erst kommt die Idee, danach arbeite ich im Kopf den roten Faden aus, dann schreibe ich ein Exposee, und dann erst mache ich mich ans Werk.

    Diese Idee wollte sich allerdings nicht zu einer Geschichte entfalten. Also ließ ich sie irgendwo in einer Schublade verstauben. Bis ich im Frühjahr 2018 auf irgendeinem Doku-Sender im Kabelfernsehen eine Dokumentation über die ehemalige Leprakolonie auf Moloka’i gesehen hatte. Und plötzlich tauchte diese verstaubte Idee wieder auf. Die Bilder vermischten und entwickelten sich, und innerhalb kürzester Zeit hatte ich die komplette Geschichte in meinem Kopf. Und damit den Handlungsort: Hawaii, speziell Maui und Moloka’i.

    Allerdings ergaben sich mit dem Handlungsort auch zwei kleine Probleme, auf die ich hier hinweisen möchte.

    Zuerst wäre da das Problem für die Ortsunkundigen: Die hawaiianischen Ortsnamen. Zwischen Kalaupapa und Kapalua zu unterscheiden ist deutlich schwieriger, als zwischen Los Angeles und San Diego. Daher empfehle ich, nebenher einen beliebigen Online-Kartendienst (ich nenne keine Namen und empfehle auch keinen Speziellen) zu öffnen, damit man immer nachschlagen kann, wo sich der Protagonist gerade befindet.

    Dann wäre noch das Problem für die Ortskundigen: Die Szenerie passt nicht immer zur Geschichte. Daher habe ich mir an manchen Stellen die kreative Freiheit genommen, ein paar Ecken auf Hawaii ein wenig an meine Geschichte anzupassen. So gibt’s zum Beispiel keine Zuckerrohrplantagen mehr auf Maui, bei mir aber schon noch. An alle, die sich daran stören: E kala mai ia’u!

    Und dann ist da noch die Frage nach dem korrekten Adjektiv. Heißt es hawaiianisch oder hawaiisch? Der Duden lässt beides zu. Ich habe mich für die erste Variante entschieden, da sie meiner Meinung nach besser klingt.

    Arthur Schibetz, im April 2019

    Kapitel 1

    Durch einen starken Ruck wurde Jeremy Hagen geweckt. Das Flugzeug, das ihn von Los Angeles nach Honolulu bringen sollte, setzte soeben sehr hart auf der Landebahn seines Zielflughafens auf.

    „Wir sind gelandet", sagte der ältere Mann, der neben ihm saß. Er macht es schon wieder, ging es Jeremy durch den Kopf. Er hatte sich in Los Angeles noch nicht richtig hingesetzt, da hatte ihn der alte Mann bereits angesprochen. Und seitdem sprach er bei jeder Gelegenheit. Darüber, dass er Sam Connor heißt, dass er seine Tochter besuchen möchte, die auf Maui lebt, über sein bisheriges Berufsleben bis hin zu Themen wie seinen Lieblingsspeisen und Lieblingsrestaurants. Und vor allem kommentierte er ständig das Offensichtliche. Zum Glück hielt er irgendwo auf halber Strecke für fünf Minuten die Klappe. Jeremy nutze die Zeit, um einzuschlafen.

    Jeremy schaute auf seine Armbanduhr. Der Flug war fast eine Stunde hinter dem Plan zurück. Der Kapitän meldete sich über den Kabinenfunk.

    „Meine Damen und Herren, sagte er, „wir sind soeben auf dem Daniel K. Inouye International Airport gelandet. Bitte bleiben Sie angeschnallt, bis wir unsere endgültige Parkposition erreicht haben. Wir hoffen Sie hatten einen angenehmen Flug und würden uns freuen, Sie bald wieder an Bord einer unserer Maschinen begrüßen zu dürfen.

    Jeremy teilte diese Hoffnung nicht. Er hasste das Fliegen. Er hasste es, stundenlang auf einem engen Sitz eingepfercht zu sein, sich von berufsgrinsenden Stewardessen Tomatensaft und Knabbereien aufdrängen zu lassen, und vor allem hasste er verwitwete Rentner, die ihr Bedürfnis nach Gesellschaft damit befriedigen mussten, ihren unbekannten Sitznachbarn in einer Tour zu bequatschen. Jeremy hatte kein Bedürfnis nach Gesellschaft.

    „Da, gucken Sie mal. Das ist das Terminal der Verdammten", sagte Sam und zeigte aus seinem Fenster. Jeremy beugte sich etwas rüber, damit er auch aus dem kleinen Bullauge schauen konnte. Er konnte ein einzelnes, freistehendes weißes Gebäude mit zwei Fluggastbrücken erkennen, an denen je ein Flugzeug angedockt war. Dahinter war das Meer.

    „Vor zwei Jahren war es noch nicht da, sagte Sam. „Da hatten die dafür immer das Inter-Island-Terminal hergenommen, und immer nur nachts, das wurde dafür extra abgesperrt. Aber dann wurden es immer mehr und dann kam die Geiselnahme. Da hatte der Gouverneur beschlossen, dass es ein eigenes Terminal geben müsse. Meine Tochter hatte damals Riesenglück, wissen Sie? Eigentlich sollte sie an jenem Morgen dort sein, weil sie den ersten Flug nach Maui nehmen wollte. Aber sie hatte verschlafen. Ja ja, das Glück der Iren.

    Das Terminal der Verdammten. Ein spezielles, isoliertes Terminal für all jene, die das Pech hatten, sich mit MODAPS zu infizieren.

    MODAPS, die Abkürzung für Multiple Organic Dysfunction and Paranoia Syndrome. Eine Krankheit, die vermutlich vor einem Jahrzehnt zum ersten Mal auftauchte, und seit einigen Jahren immer weiter um sich griff. Wissenschaftler waren sich sicher, dass sie durch ein Virus verursacht wurde, aber sie waren bisher nicht in der Lage gewesen, es zu identifizieren. Zumindest sprach die Übertragung dafür, dass es sich um einen viralen Infekt handeln musste. Die Übertragung über Körperflüssigkeiten galt als gewiss, zum Beispiel über Sexualkontakte oder Bluttransfusionen. Aber es gab auch Fälle, in denen solche Übertragungswege ausgeschlossen werden konnten, so dass auch die Schmier- oder sogar die Tröpfcheninfektion in Frage kam. Letztlich konnte der Übertragungsweg ebenso wenig geklärt werden wie der Erreger, und das trieb die weltweit unter Hochdruck forschenden Wissenschaftler fast in die Verzweiflung.

    Was man leichter erforschen konnte, das waren die Symptome. Die ersten Anzeichen der Erkrankung konnten vielfältig sein, je nachdem, welche Organe zuerst in Mitleidenschaft gezogen wurden. Bei dem einen war es Übelkeit, beim anderen Müdigkeit und Schwindelgefühl, wieder andere zeigten Veränderungen ihrer Persönlichkeit. Die Organe begannen, langsam aber sicher zu degenerieren, bis sie sechs bis neun Monate nach den ersten Symptomen vollständig versagten und man qualvoll starb. Da auch das Gehirn betroffen war, litten die Erkrankten zusätzlich unter paranoiden Wahnvorstellungen.

    Immer mehr Menschen erkrankten. Etwa vor fünf Jahren erreichte die Epidemie ihren ersten Höhepunkt. Einige Regierungen begannen damit, spezielle Quarantäne-Bereiche einzurichten, in die die Erkrankten gebracht wurden. Gegen diese Ausgrenzung wurde von manchen Menschenrechtsorganisationen erfolgreich geklagt, und so änderten diese Regierungen ihre Gesetzgebung zum Teil sehr stark. Individuelle Menschen- und Freiheitsrechte wurden radikal beschränkt, um diese Quarantäne-Bereiche zu ermöglichen.

    Die Vereinigten Staaten von Amerika kauften zu diesem Zweck die hawaiianische Insel Moloka’i komplett auf. Dieselbe Insel, auf der bis 1969 Leprakranke in einer isolierten Kolonie lebten. MODAPS-Kranke wurden zwangsweise auf diese Insel gebracht, auf der sie entweder bis zu ihrem Tod oder bis zur Entdeckung eines Gegenmittels leben mussten. Von einigen einzelnen liberalen Stimmen abgesehen akzeptierte die Gesellschaft das, da einerseits die Angst vor der Ansteckung sehr hoch war, und andererseits die Ansteckung mit dieser Krankheit einem Todesurteil gleichkam. Nicht wenige Stimmen wurden laut, dass die Infizierten doch dankbar sein sollten, die letzten Monate noch in Würde leben zu dürfen, nur eben nicht unter den Gesunden.

    Im ganzen Land wurden die Kranken mit Flugzeugen nach Honolulu gebracht, und von hier per Boot nach Moloka’i. Hierfür benutzte man bis vor einigen Jahren eines der normalen Terminals des Flughafens; von hier brachte man die Infizierten dann per Bus zum Hafen und von da ging es dann weiter.

    Bis vor einigen Jahren eine Gruppe Infizierter nicht damit einverstanden war. Sie überwältigten am Flughafen einige Wachleute, nahmen deren Waffen an sich und hielten mehrere Wachleute, Mitarbeiter des Flughafens und Passagiere als Geiseln. Nach einigen Stunden wurde die Geiselnahme blutig beendet. Insgesamt starben 18 Infizierte, elf Geiseln und ein Polizist.

    Daraufhin beschlossen die hawaiianischen Behörden den Bau dieses neuen Terminals an der Südseite des Flughafens, weitab von den anderen Terminals, direkt am Meer. Und auf die Rückseite baute man eine Anlegestelle für die Fähre, so dass die Infizierten direkt aufs Boot verfrachtet werden konnten.

    Das Flugzeug rollte noch einige Minuten über das Vorfeld, bevor es stehen blieb und die Anzeichen zum Abschnallen aufleuchteten. Für Jeremy konnte es nicht früh genug kommen, er schnallte sich los.

    „Wann fliegen Sie zurück?", wollte Sam wissen.

    „Gar nicht, antwortete Jeremy, und er fühlte eine Genugtuung beim Gedanken, sich einen zweiten Flug mit ähnlicher Gesellschaft sparen zu können. „Ich trete hier einen Job an und bleibe.

    Sam wünschte ihm noch viel Spaß. Jeremy bedankte und verabschiedete sich höflich und stand auch schon im Gang.

    Sofort nach dem Verlassen des Flugzeugs begann eine für Jeremy fast endlos anmutende Reihenfolge unterschiedlicher Sicherheitsprozeduren. Passkontrolle, Fingerabdruck- und Iris-Scan, Körper-Scan, die üblichen Fragen nach Zweck der Reise und ob er ein Moslem wäre oder vorhätte, den Gouverneur oder andere Funktionsträger zu töten, ob er Waffen oder Bomben oder waffen- oder bombenfähige Materialen mit sich führe und so weiter und so fort. Eigentlich dasselbe wie vor dem Abflug in Los Angeles. Er war sich des Sinns dieser Redundanz nicht im Klaren. Vielleicht entscheiden sich manche Passagiere während des Fluges um oder konvertieren zum Islam. Wäre ja möglich, zum Beispiel wenn man neben einem Sam sitzt.

    Natürlich hatte Jeremy eine absolut weiße Weste und auch keine Pläne, jemanden zu töten. Zumindest nicht, wenn es nicht sein musste. Denn Jeremy war Polizist, und in der Ausübung seiner Pflicht hatte er schon zweimal tödliche Waffengewalt anwenden müssen. Das war in Los Angeles.

    Endlich durfte Jeremy an die Gepäckausgabe. Hier warteten bereits einige Leute aus seinem Flugzeug, Sam war aber nicht darunter. Die Ausgabe hatte schon begonnen. Jeremy hoffte, seinen Koffer zu finden, bevor er Sam wieder über den Weg lief. Diesmal hatte er Glück. Er schnappte sich seinen Koffer und eilte in Richtung Ausgang.

    Ein Koffer. Mehr hatte er nicht. Und mehr brauchte er auch nicht. All seine Sachen passten in diesen Koffer. Hauptsächlich Kleidungsstücke, dazu noch einige Hygieneartikel, eine Mappe mit all seinen wichtigen Papieren und sein Laptop. Das war alles, was er sein Eigentum nannte. Mit leichtem Gepäck reiste es sich leichter. Das war schon seine Devise, als er vor acht Jahren aus seiner Heimat Wisconsin nach L.A. gezogen war. Er hatte auch keine Waffe, seine Dienstwaffe würde ihm reichen.

    Zuhause in Wisconsin hatte er noch mehrere Waffen. Das war da normal, da hatte jeder zweite mindestens eine Waffe. Jeremy hatte einen Revolver und mehrere Gewehre, letztere hauptsächlich für die Jagd. Er war Polizist und Jäger, genau wie sein Vater. Und genau wie dieser war er leidenschaftlicher Biertrinker. Als sein Vater vor acht Jahren an einer Leberzirrhose starb – zwei Jahre nach dem Unfalltod seiner Mutter -, verkaufte Jeremy das Haus und all sein Hab und Gut einschließlich seiner Waffen, kündigte seinen Job und zog nach Los Angeles. Bereits damals nur mit einem einzigen Koffer.

    Auch in Los Angeles arbeitete er als Polizist. Er bewohnte ein kleines möbliertes Appartement in North Hollywood. In seiner Freizeit schaute er viel fern, am Wochenende zog er durch Bars. Nicht um zu trinken, seit dem Tod seines Vaters hatte er keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Er suchte nach kurzen, unverbindlichen sexuellen Kontakten mit gleichgesinnten Frauen. Es funktionierte nicht immer, in den meisten Fällen musste er wieder alleine nach Hause, aber manchmal hatte er Glück.

    Einmal wandelte sich das Glück in Unglück: Eine der Frauen bedeutete ihm mehr, als er wollte, und sie erwiderte seine Gefühle. Ihr Name war Catherine. Ein Jahr später heiratete er sie und sie zogen in eine größere gemeinsame Wohnung nach Sherman Oaks. Aber im Grunde wurde er zum Bigamisten, denn er war schon mit seinem Job verheiratet. Früher hielt Jeremy das immer für einen dämlichen klischeehaften Spruch, bis er seine Bedeutung am eigenen Leib zu spüren bekam. Denn Catherine war nicht die Frau, die diese Nebenbuhlerin längere Zeit aushielt. Und so war Jeremy nur anderthalb Jahre später wieder geschieden. Zum Glück hatte er nicht viel mit in die Ehe gebracht, sieht man mal vom Erlös aus dem Verkauf seines Hauses in Wisconsin ab, so dass die Scheidung schnell und schmerzlos vonstattengehen konnte. Danach bewohnte Jeremy wieder ein kleines möbliertes Appartement, diesmal in Del Rey.

    Und erneut verzichtete er auf viel eigenes Hab und Gut, so dass ihm wieder nur ein Koffer genügte, um sein altes Leben in L.A. hinter sich zu lassen und nach Hawaii zu ziehen.

    Auf dem Weg durch das Foyer lief Jeremy am Laden einer bekannten Fast-Food-Kette vorbei. Er hatte an diesem Tag noch nichts gegessen, und so überlegte er kurz, ob er einen Burger zu sich nehmen mochte. Da er weder rauchte noch Alkohol, Tabletten oder sonstige Drogen zu sich nahm und er auch nicht spielte, betrachtete Jeremy ungesundes Essen als sein einziges Laster, welches er dann auch gerne als solches akzeptierte. Nur sein Arzt beschwerte sich ständig über seine schlechten Leber- und Cholesterinwerte. Aber auch ihn und seine Nörgeleien ließ Jeremy in L.A. zurück.

    Da erblickte er Sam in der Schlange und entschied sich gegen einen Burger. Jeremy drehte sich um und ging zum Ausgang. Er hätte eh keine Zeit gehabt, um etwas zu essen. Zusätzlich zur Verspätung des Flugzeugs hatte er nicht damit gerechnet, nochmal die ganze Sicherheitsprozedur wie beim Abflug zu durchlaufen. Er schaltete sein Mobiltelefon ein und rief beim Polizeipräsidium an, um Bescheid zu geben, dass er wenige Minuten später ankommen werde.

    Vor dem Flughafen winkte er sich ein Taxi herbei. Er beauftrage den Fahrer, ihn zum Polizeipräsidium von Honolulu in die 1060 Richards Street zu fahren.

    Kapitel 2

    Eine Viertelstunde später hielt das Taxi an seinem Ziel. Zu seiner Rechten war die Fassade eines dreistöckigen Gebäudes mit hohen Arkaden hinter einer Palmenzeile, zu seiner linken ein Park, in dem, ein Stück von der Straße abgesetzt, ein seltsam anmutendes Gebäude stand. Es erinnerte ihn an eine Burg, oder zumindest an das, was sich die Amerikaner unter einer mittelalterlichen englischen Burg vorstellen. Die Iolani Barracks, erklärte der Taxifahrer. Das Polizeigebäude wäre das Gebäude mit den Arkaden zu seiner Rechten.

    Nach einer weiteren kurzen Durchleuchtung per Metalldetektor im Eingangsbereich meldete sich Jeremy bei einer jungen uniformierten Polizistin im Empfangsbereich an. Kurze Zeit später wurde er auch schon von Commissioner Morris in Empfang genommen und in dessen Büro im zweiten Stockwerk geleitet.

    Morris war ein etwas stämmiger Weißer, Mitte fünfzig und mit Halbglatze. Zu dem vollendeten Klischeebild, das Jeremy von dem typischen Südsee-Polizei-Captain hatte, fehlte nur noch das Hawaiihemd. Sowohl auf den Straßen als auch hier im Foyer hatte er viele Träger dieses inseltypischen Kleidungsstücks gesehen. Auch fiel ihm auf dem Weg auf, dass es hier im Vergleich zu L.A. sehr viele Asiaten und kaum Schwarze gab.

    Obwohl Jeremy den Job schon sicher hatte, führte Morris dennoch ein kurzes Vorstellungsgespräch mit ihm, vorrangig um ihn kennenzulernen. Jeremy war noch nie ein großer Redner, daher hielt er sich mit seinen Ausführungen recht knapp: Er erzählte über seine Kindheit und Jugend in Wisconsin, warum er Polizist geworden war und über seinen Umzug nach Kalifornien. Hier bremste Morris Jeremys Tempo ab und fiel ihm ins Wort.

    „In L.A., sagte Morris, „haben Sie zwei Menschen im Dienst erschossen, ist das richtig?

    Jeremy fehlten im ersten Moment die Worte. Er war nicht darauf vorbereitet, unterbrochen zu werden, und schon gar nicht bei diesem Thema.

    „Ja, antwortete er. „Ist das relevant?

    „Sagen Sie es mir, antwortete Morris. „Was bedeutet das für Sie, dass Sie zwei Menschen getötet haben?

    Jeremy fühlte sich in seine Gespräche mit dem Polizeiseelsorger zurückversetzt.

    „Es bedeutet, antwortete er schließlich, nachdem er einige Sekunden überlegt hatte, „dass ich noch lebe. Entweder sie oder ich.

    „Sie haben also in Notwehr gehandelt?"

    „Sie hatten Waffen und haben auf mich geschossen. Und ich habe zurückgeschossen."

    „Bereuen Sie es?"

    „Sie erschossen zu haben?", fragte Jeremy.

    „Überhaupt. Die Situationen. Wenn Sie die Chance hätten, diese Tage jeweils erneut zu durchleben, mit dem Wissen, was passiert. So wie Bill Murray am Murmeltiertag. Würden Sie mit Absicht den Situationen aus dem Weg gehen?"

    „Nein. Ich würde vielleicht früher schießen. Ich hatte jeweils Glück, dass die beiden nicht zielen konnten. Aber ich würde sie erneut erschießen."

    „Warum?"

    „Ich verstehe die Frage nicht."

    „Warum würden Sie sie erschießen?"

    Die Fragen an sich klangen sehr forsch. Der Inhalt passte aber ganz und gar nicht zur entspannten und lockeren Art, mit der Morris sie stellte.

    „Weil es schwere Jungs waren, antwortete Jeremy schließlich. „Gangmitglieder, Drogenhändler, Mörder. Sie waren skrupellos und kaltblütig. Wenn ich nicht da gewesen wäre, hätten sie es vielleicht mit weniger entschlossenen Kollegen zu tun gehabt. Die hätten vielleicht gezögert und wären erschossen worden. Und auch danach hätten sie noch Chancen gehabt, andere zu erschießen.

    „Sie befürworten also die Todesstrafe?"

    „Ich weiß nicht. Zuhause in Wisconsin hatte ich sie noch befürwortet. Da hatten wir sie nicht. Dennoch war ich der Meinung, dass wir sie bräuchten, als Abschreckung und Sühne. In L.A. hingegen herrschte die Gewalt. Mord und Totschlag waren an der Tagesordnung. In Kalifornien gibt es doppelt so viele Tötungsdelikte je Einwohner wie in Wisconsin. Trotz Todesstrafe. Nein, ich glaube nicht, dass sie wirkt."

    Morris, der bisher nach vorne gebeugt saß und seine gefalteten Hände auf dem Tisch ruhen ließ, richtete sich auf und runzelte die Stirn.

    „Diese Antwort überrascht mich jetzt, sagte er. „Sie sind Polizist und haben zwei Tötungen vollzogen. Aber Sie sind ein Gegner der Todesstrafe.

    „Nein, kein Gegner, sagte Jeremy. „Ich zweifle sie an, durchaus. Sagen wir mal, ich bin unentschlossen. Ich weiß, dass es sie in Hawaii nicht gibt.

    „Ja… nein, darauf will ich nicht hinaus, antwortete Morris, seine Hände gestikulierten auf der Suche nach den passenden Worten. „Sagen wir es mal so. Einerseits haben Sie anscheinend keine Probleme damit, zwei Leute zu erschießen, andererseits zweifeln Sie die Wirkung der Todesstrafe an. Das passt für mich nicht ganz zusammen. Ich möchte es verstehen.

    Jeremy wusste zunächst auch nicht, wie er darauf antworten sollte. Da ergriff Morris wieder das Wort.

    „Folgende Situation. Sie hätten die beiden nicht erschossen, sondern es irgendwie geschafft, sie zu entwaffnen und zu verhaften. Rein theoretisch. Hätten sie es dann verdient, zu sterben?"

    „Hätte es was gebracht?"

    „Nun, sie hätten nie wieder jemanden töten können."

    „Sie wären lebenslänglich im Knast gelandet. Da hätten sie höchstens andere schwere Jungs getötet. Und die kümmern mich nicht wirklich."

    Morris versuchte, die Antworten zu verarbeiten. Er beugte sich wieder vor, faltete die Hände und stützte sein Kinn darauf ab, während er grübelte.

    „Okay, sagte er schließlich. „Dann folgende Situation: Die beiden hätten nicht mitbekommen, dass Sie in der Nähe sind. Ich weiß aus den Berichten, dass Sie sich ordnungsgemäß als Polizist zu erkennen gegeben haben. Aber darum geht es hier nicht. Die schweren Jungs bedrohen andere, und Sie sind in unmittelbarer Nähe, aber für die nicht zu erkennen und haben eine Waffe. Schießen Sie?

    „Natürlich", antwortete Jeremy ohne zu zögern.

    „Warum?"

    „Um das Leben Unschuldiger zu retten."

    „Und das kümmert Sie dann nicht, dass Sie dafür jemanden erschießen müssen?"

    Jeremy wurde es langsam unbehaglich. Es kam ihm vor, als drehe man sich hier im Kreis, immer wieder um das alte leidige Thema herum. Mit dem Polizeipsychologen lief es damals genauso. Nur, dass der nicht ganz so forsch war. Dafür hatte der sich mehr Zeit gelassen, was Jeremy auch nicht so geheuer gewesen war. In seinen Augen waren die nach solchen Situationen obligatorischen Versetzungen in den Innendienst und die Pflichtsitzungen beim Seelsorger überflüssig.

    „Nein, antwortete er schließlich mit fester Stimme. „Es kümmert mich nicht. Natürlich wäre es mir am liebsten, niemand würde sterben. Aber wenn ich vor die Wahl gestellt werde, ob jetzt Mörder oder Unschuldige sterben sollen, und genau das wurde ich in jenen Situationen, dann erschieße ich den Mörder. Ohne zu zögern. Und am Abend gehe ich ins Bett und schlafe beruhigt, weil ich weiß, dass ich den Unschuldigen das Leben gerettet habe.

    Morris lehnte sich zurück und lächelte zufrieden.

    „Mister Hagen, Sie wissen, warum Sie hier sind?"

    „Ja. Weil man mir diesen Job angeboten hatte. Wenn ich mich richtig erinnere, dann kam das Angebot sogar von Ihnen persönlich."

    „Das ist richtig. Und wissen Sie, wie ich auf Sie gekommen bin? Ihr Captain hat Sie mir ausdrücklich empfohlen."

    Das war Jeremy in der Tat neu. Er neigte noch nie dazu, sich zu viele Gedanken zu machen. Zu viel zu hinterfragen führt nur zu Paranoia, hatte sein Vater immer gesagt. Je weniger man weiß, um so leichter lässt es sich leben. Daher hatte er sich auch nie gefragt, wie Morris vor ein paar Wochen auf ihn kam, als er ihm das Jobangebot per Mail zugeschickt hatte.

    „Sie werden sich vielleicht wundern, warum ich Sie so intensiv zu den beiden Vorfällen befragt habe", sagte Morris. „Nun, ich wollte von Ihnen persönlich wissen, wie Sie dazu stehen. Ihr Captain hat mir nämlich zusätzlich zur Empfehlung Ihre Akten zugeschickt, inklusive der Berichte des Psychologen. Danach sind Sie für die Tätigkeit,

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