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Im Sturzflug nach Merkwürdistan: Fliegerwahn(sinn) und schräge Reisebegegnungen
Im Sturzflug nach Merkwürdistan: Fliegerwahn(sinn) und schräge Reisebegegnungen
Im Sturzflug nach Merkwürdistan: Fliegerwahn(sinn) und schräge Reisebegegnungen
eBook293 Seiten4 Stunden

Im Sturzflug nach Merkwürdistan: Fliegerwahn(sinn) und schräge Reisebegegnungen

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Über dieses E-Book

Im Sturzflug nach Merkwürdistan

Sehnsucht nach fernen Ländern und Begeisterung für die Fliegerei führen in vielen Fällen zu einer Karriere als Pilot. Im vorliegenden Fall lief jedoch alles ein wenig anders. Auch wenn er selbst nicht am Steuerhorn, sondern etwas weiter hinten Platz nahm, machte der Autor seine Vorlieben zum Beruf. Rastlos umkreist er den Erdball und erlebt dabei kuriose Situationen in exotischen Ländern wie Nordkorea, Irak, Angola, Ecuador oder Vanuatu. Hautnah lernt er auf diesen Reisen die Einwohner der bereisten Länder kennen und gewinnt tiefe Einblicke in Kultur, Politik und Sitten.
Aber wenn man viel reist, kann auch eine Menge schief gehen. Eine ganze Sammlung von kleinen und großen Reisekatastrophen kam so – eigentlich zum Missfallen des Autors – zusammen. Das eine Mal zwang die Situation ihn zum nächtlichen Ausstieg aus einem Zug auf freier Strecke, das andere Mal wurde er wegen Spionageverdachts von der Militärpolizei verhaftet.

"Im Sturzflug nach Merkwürdistan" ist eine chronologisch angeordnete Sammlung von wahren Kurzgeschichten, die überraschende, außergewöhnliche und manchmal verstörende Reiseerlebnisse des Autors in humorvoller Art und Weise darstellen. In die wunderbare Welt des Reisens und der Fliegerei checkt er als Zivildienstleistender ein. Er leistet seine Dienstzeit an einem Flughafen ab, wo sich – sozusagen per Anhalter im Cockpit – schon erste unverhoffte Reiseabenteuer ergeben. Als sein bester Freund Henry in der Karibik unter Drogenverdacht in Schwierigkeiten gerät, ist der Protagonist noch amüsiert und ahnt nicht, welche Unwegsamkeiten ihm auf der Reise durch sein eigenes Leben noch auflauern werden.

Im weiteren Reiseverlauf treten immer wieder neue interessante Akteure in Erscheinung, spannende Reisebegleiter auf Zeit.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum5. Feb. 2014
ISBN9783847673811
Im Sturzflug nach Merkwürdistan: Fliegerwahn(sinn) und schräge Reisebegegnungen

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    Buchvorschau

    Im Sturzflug nach Merkwürdistan - Frank Sommer

    Widmung

    Meiner Familie

    Einleitung

    Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich im Grundschulalter in so mancher Sommernacht wach in meinem Bett lag und durchs offene Fenster ganz leise die Motoren hochfliegender Langstreckenflugzeuge gehört habe. „Da oben in den Flugzeugen sitzen die glücklichsten Menschen der Welt", dachte ich mir. Die haben doch tatsächlich das Privileg, in Flugzeugen sitzen und sich die nächtliche Welt von oben anschauen zu dürfen, aber ich musste hier unten in meinem Bett versuchen, Schäfchen zu zählen. Ein grober Irrtum, Kinder sind halt leider manchmal etwas naiv. Heute verrenke ich mir auf unzähligen Nachtflügen das Kreuz, schlafe halb im Sitzen und muss wildfremde Menschen im Sitz direkt neben mir ertragen, die mir ihren Hintern zudrehen und das tun, was Menschen tun, wenn sie sich entspannen oder das Essen nicht vertragen – wovon man aber ganz sicher nichts mitbekommen möchte. In manch solch schlafloser Nacht im Flugzeug habe ich das Fenster aufreißen und dem kleinen Jungen unten auf der Erde die Wahrheit zubrüllen wollen. Dass er einen vernünftigen Beruf ergreifen solle, bodenständig und berechenbar.

    Aber zunächst zurück zum Anfang, zum kleinen Jungen in seinem Bett. Aus ungeklärter Ursache hatte ich schon in frühesten Kindesjahren eine ausgeprägte Liebe zur Fliegerei. Was viele kleine Jungen einmal als Phase durchmachen, gekennzeichnet von Modellflugzeugen in den Regalen und Flugzeugkrickeleien auf dem Malpapier, setzte sich in meiner Kindheit jedoch als monothematischer Fetisch konstant weiter fort und verstärkte sich noch stets. Die jährlichen Flugreisen mit der Familie waren für mich das, was für andere Kinder die Bescherung an Heiligabend war: das Ziel des Wegs, die Erfüllung unserer Freud’schen Träume. Schon Wochen vorher traten symptomatische Schlafprobleme auf und je näher der Abflug rückte, desto mehr herrschte freudiger Ausnahmezustand. Ein Flug ohne Fensterplatz? Absolut undenkbar. So manches Mal fragte ich mich, was für ein komischer Kerl mein Vater nur war, der ja nie am Fenster sitzen konnte, weil ich dort sitzen musste. Wie konnte er diesen heiligen Platz nur an mich abtreten? Held oder Ungläubiger? Laut hatte ich diese Frage natürlich nie gestellt, denn ich wollte ja nicht riskieren, dass er es sich doch einmal anders überlegen würde. Kaum in Spanien angekommen, begann die aufgeregte Vorfreude auf den Rückflug. Im zarten Alter von 13 Jahren saß ich dann bereits im Cockpit von Segelflugzeugen und ... fand’s irgendwie uncool. Die Bewegung im dreidimensionalen Raum war ja ganz nett, aber das wiederholte Ziehen von Kreisen wurde bei ständiger Wiederholung nicht gerade interessanter und zudem ging mir diese Vereinsmeierei unter den Mitfliegern gehörig auf den Keks. Das war’s also nicht für mich. Das vorläufige Ende meiner Liebe zur Fliegerei? Von wegen. Aber wie würde sich meine Vorliebe künftig Ausdruck verschaffen? Als ich als 15jähriger in den Schulferien zwei Wochen am Stück ohne Unterbrechung jeden Tag mit dem Fahrrad die 20 Kilometer vom Elternhaus zum Flughafen und abends wieder zurück fuhr, einfach nur um im Gras zu sitzen und die Flieger auf der Piste zu bestaunen, machten sich die ersten Beteiligten langsam größere Sorgen um meinen seelischen Gesundheitszustand. Ich hingegen war glücklich. Die großen Düsendinger interessierten mich viel mehr als Vereinsvorsteher Kalles Sportflugzeuggurken und über die reine Fliegerei hinaus ließ sich am Flughafenzaun sitzend mit dem Kerosin auch ein wenig der Duft der großen weiten Welt schnuppern. Da rollte zum Beispiel mal ein Jumbo der Iran Air an mir vorbei. Wahnsinn, Iran – wer sitzt da bloß drin? Wo genau ist der Iran und wie ist es da bloß? Ob es da anders riecht? Ist es da gefährlich? Dies jemals herauszufinden, lag jenseits meiner Vorstellungskraft. Mich plagten damals anstehende Mathearbeiten und auch Mädchen nicht ganz so sehr wie meine Altersgenossen, da ich eher auf das Anstarren von Flugzeugen abgefahren bin, dieser Umstand wurde mir ganz langsam klar.

    Einmal irrte ich ziellos durchs Flughafenterminal und traf durch Zufall meine alte Klassenlehrerin aus der Grundschule. Gemeinsam blickten wir auf einen großen Ferienflieger und sie erzählte mir, dass sie damit vor ein paar Monaten nach Kanada geflogen sei, um sich das bunte Laub des Indian Summer anzusehen. In diesem Moment mutierte sie vom Erzfeind zur Göttin. Ein Langstreckenflug, so etwas durfte ich noch nie genießen. Kanada – das klang für mich weiter weg als der Mond und der Gedanke, die Fliegerei und fremde Länder zu kombinieren, hörte nicht auf, an Attraktivität zu gewinnen. Irgendwann im fortgeschrittenen Teenageralter war es dann tatsächlich soweit. Die Eltern zogen die Spendierhosen an und der erste Langstreckenflug stand auf dem Programm: im Jumbo in die USA. Ja, meine ersten Freundinnen hatte ich damals zwar trotz meines Fetischs auch schon gehabt, aber, hey, das war doch alles nicht so wichtig – jetzt rief die große weite Welt! Und es kam so, wie es kommen musste – die erste Reise wirkte auf mich wie eine ungeahnt große Dosis von der süßen Frucht, ohne die ich nicht ich gewesen wäre. Langsam kam nun auch die Zeit, in der man sich Gedanken über seine Wünsche zum beruflichen Werdegang machen musste. Ein wenig Bedenkzeit hatte ich noch während meines einjährigen Zvildienstes am Flughafen, aber dann wurde es ernst. Als Pilot zu fliegen hatte ich ja bereits dankend abgelehnt und dies sollte mich auch später nicht mehr interessieren. Was blieb also? Klare Antwort: keine Ahnung! Während dieser Orientierungslosigkeit brachte mich ein Tipp der Berufsberatung der Arbeitsagentur auf die fatale Idee, Geschichte zu studieren. Der Anfang vom Ende meiner Selbstverwirklichung in Sachen Fliegerei und weiter Welt? Würde ich nun mein Leben damit verbringen, im staubigen Kellerarchiv eines Museums Aktenschränke zu bewachen? Das Studium für sich war soweit ganz interessant und nett, aber seinen eigentlichen Wert fand ich erst im fünften Semester heraus. Das Geschichtsstudium war nämlich – anders als etwa BWL oder Jura – so aufgebaut, dass man als Student viele zeitliche Gestaltungsmöglichkeiten hatte. Da ich begann, die Fliegerei zu vermissen, bewarb ich mich nebenher auf einen Job im Flughafenmanagement und siehe da, ich hatte Glück und bekam ihn. Nun hatte ich zwar das Problem, einen Vollzeitjob und ein Vollzeitstudium, welches ich nicht abbrechen wollte, zeitlich miteinander in Einklang zu bringen. Dafür konnte ich mich nun aber unerwartet beruflich voll der Fliegerei widmen und – besser noch – fand mich plötzlich auf der einen oder anderen Dienstreise per Flugzeug wieder. Wie nett, ein bezahltes Hobby neben dem Studieren! Das Studium dauerte aufgrund dieser Umstände bis zu seinem Examen zwar ein paar Semesterchen länger, aber dafür hatte ich das Privileg, etwas tun zu dürfen, was ich liebte.

    Nach dem Studium arbeitete ich noch ein paar Jahre am Flughafen, bis sich die einmalige Chance auftat, dass ich mich als Trainer selbständig machen konnte, um Flughäfen in Sachen Flugsicherheit zu trainieren und zu beraten. Ein Job ausschließlich basierend auf Reisetätigkeit stand mir bevor. Ich würde ständig bequem um die Welt fliegen und mein Geld damit verdienen, neue Kulturen kennenzulernen und die süßen Seiten des Reisens kennenzulernen. Das musste das Paradies sein! War es aber nicht. Hatte ein paar Dinge übersehen. War mir leider erst später aufgefallen. Können Sie hier nachlesen. Aber lassen sich mich vorab versuchen, meine in den folgenden Jahren gewonnenen Erkenntnisse über das Leben des dauerhaft Berufsreisenden kurz und metaphorisch zu skizzieren. Es ist in etwa wie Ihr liebstes Fischgericht. Mit großem Appetit beginnen Sie, davon zu naschen, bis sie auf die erste Gräte beißen. Es schmerzt Sie sehr und für einen Moment fragen Sie sich, ob der Genuss die Schmerzen wert ist. Doch der Appetit überwiegt, Sie essen weiter und beißen bald in die nächste Gräte – diese schmerzt noch mehr und Sie hören kurz auf zu essen. Aber, verdammt, es duftet so verführerisch und Sie sind noch immer hungrig und so essen Sie weiter und immer weiter und die großen und kleinen Gräten bereiten Ihnen Schmerzen, können Sie am Ende aber nicht stoppen. Willkommen in meinem Leben! Von so mancher meiner großen und kleinen Gräten können Sie auf den folgenden Seiten lesen, aber auch von dem großen Appetit auf die duftenden Genüsse. All dies betreibe ich nicht ohne Angst, dass ich mich vielleicht doch auch mal so richtig fies an einer bösen Gräte verschlucken und daran ersticken könnte. Ein guter Kollege von mir, ein alter amerikanischer Pilotenhaudegen, staunte vor einiger Zeit nicht schlecht, als ich ihm von meinen ständigen Dienstreisen, Jetlags und Reisekatastrophen berichtete. „Es macht Spaß, aber es macht mich auch fertig. Bis ans Ende meiner Tage kann ich das so kaum durchhalten, sagte ich ihm. „Och, das ist doch kein Problem., antwortete er. „Mach einfach noch zwei, drei Jahre genauso weiter, wie Du es jetzt machst und dann müsstest Du das Ende Deines Lebens auch als Enddreißiger eigentlich schon erreicht haben." Da war sie wieder, die gefürchtete letzte Gräte im falschen Hals.

    Sie mögen sich jetzt fragen, was denn eigentlich mein Problem ist. Es scheint, als würde ich auf Kosten anderer an jedem zweiten Wochenende die Welt umrunden und dies vermutlich noch nicht einmal in der Touristenklasse. Ich würde an Orte gelangen, die in einigen Fällen kaum ein anderer aus meiner Heimat jemals bereist hat und dann beklage ich mich über ein Haar in der Suppe? Lassen Sie mich Ihnen vorab zwei kleine Fischhappen servieren und Ihnen an diesen beiden kleinen Beispielen verdeutlichen, dass wir hier tatsächlich nicht von Haaren, sondern von kapitalen Gräten im Essen sprechen:

    Fischhappen Nr. 1: Ohne Pass kein Spass

    Eine meiner Dienstreisen sollte mich in die Vereinigten Arabischen Emirate führen, nach Abu Dhabi, um genau zu sein. Am Morgen des Reisetages, bemerkenswerterweise ein Samstag, kitzelte mich die Sonne aus dem Bett. Eingecheckt hatte ich schon am Vortag übers Internet, so dass mir meine Ankunft am Flughafen eine Stunde vor Abflug zeitlich absolut ausreichend erschien. Ich stellte mich beim Gepäckannahmeschalter brav in die Schlange und griff in die Tasche, in der sich stets mein Reisepass befindet. VERDAMMT, leer! Es war dieses „Das-kann-doch-nicht-sein-und-der-Boden-unter-meinen-Füßen-wird-soeben-weggezogen- Gefühl und ich wusste im selben Moment, dass etwas nicht stimmte und ich meinen Reisepass nie wieder sehen würde. Da ich ständig durch die Gegend fliege, hat mein Pass einen festen und sicheren Platz in einer kleinen Tasche meines Koffers, der mich auf jeder Reise als Handgepäck begleitet. Den Pass aus anderen Gründen als zum Zweck einer kurzen Passkontrolle von diesem Ort zu entfernen, war stets tabu, was anders herum das lästige Suchen des Passes vor jeder Reise überflüssig machte. Jedenfalls kniete ich nun dort im Terminal des Flughafens vor meinem offenen Koffer, 60 Minuten bis zum Abflug. Was tun? In diesem Moment kamen zwei Bundespolizisten an mir vorbeigestreift. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch der naiven Vermutung aufgesessen, dass es an einem Weltflughafen selbst an einem Samstagvormittag vielleicht irgendeinen Beamten geben müsste, der in der Lage sein könnte, einen Ersatzpass auszustellen. Ein Irrglaube. Während ein Kollege von mir so nett war, sofort in mein Büro zu eilen und dort radikal, aber erfolglos alle Schubladen und Schränke durchwühlte, tat meine Frau zu Hause unseren privaten Schubladen und Schränken dasselbe an. 30 Minuten vor Abflug war klar: Der Pass war weg und mein Flug war es auch. Für einen Moment stoppte ich meinen Aktionismus und kam zur Ruhe, um über einen Plan B nachzudenken. Ich fand heraus, dass es am Abend noch einen zweiten und letzten Flug nach Abu Dhabi geben würde. Damit hatte ich von diesem Zeitpunkt an knapp zehn Stunden zum Suchen. Mit dieser Notlösung würde ich wenigstens noch genau eine Stunde vor Beginn meines Einsatzes am Einsatzort in Abu Dhabi sein. Da ich nun aber quasi seit der ersten Sekunde wusste, dass der Pass auf alle Zeiten verschwunden ist – ich habe ihn bis heute tatsächlich nie wieder gesehen – hatte ich ein großes Problem. Es war ja Wochenende und damit waren alle Behörden geschlossen. Das Fazit meiner schnellen Recherche war, dass es genau zwei mögliche Ergebnisse geben konnte: Entweder würde ich nicht reisen können und hätte meine Firma damit in ein finanzielles Fiasko gestürzt oder ich hätte es schaffen müssen, am Wochenende das Einwohnermeldeamt meines Heimatortes außerplanmäßig öffnen zu lassen, damit dieses mir einen Ersatzpass ausstellt. Ambitioniert, zumal zwischen mir und dem am Wochenende fest verschlossenen Einwohnermeldeamt meines Heimatortes in diesem Moment knapp 600 Kilometer lagen, was die Sache nicht einfacher machte. Da ich mehrere reiseerfahrene Freunde in meiner Not anrief und nach Rat und Ideen fragte, erhielt ich tatsächlich einen sehr viel versprechenden Hinweis. Es gäbe angeblich eine Gemeinde in der Nähe meines Flughafens, deren Rathaus auch am Samstagvormittag bis 12 Uhr geöffnet habe. Das war meine einzige Chance und so rief ich das besagte Amt in Windeseile an, zumal es bereits kurz nach elf Uhr war. Gestresst wie ich war, empfand ich es zunächst als Wohltat, tatsächlich die freundliche Stimme einer Dame vom Amt am anderen Ende der Leitung zu hören. „Kein Problem, wenn Sie bis 12 Uhr zu uns kommen, können wir Ihnen gerne einen vorübergehenden Reisepass ausstellen, sagte die Dame und versetzte mich in einen Zustand höchsten Glücks. Das war’s, Problem gelöst! Immerhin für kurze Zeit jedenfalls: „Sie sind doch in unserer Gemeinde mit Ihrem Hauptwohnsitz gemeldet, oder?, fragte sie dann leider noch. Nein, verdammt, war ich nicht. Ich zog sämtliche Register, um sie von der dringenden Notwendigkeit zu überzeugen, dass sie mir auch ohne solch nebensächliche Wohnsitzmeldung einen Pass ausstellen müsste. Kamele, Goldklumpen, Myrrhe und Weihrauch wollte ich ihr aus Arabien mitbringen. Nix, keine Chance. Die Dame war freundlich, blieb aber leider flexibel wie ein Stahlrohr. Die Lösung gestaltete sich aus ihrer Sicht zum Glück total einfach: Ich brauchte nur ein Fax von meinem zuständigen Einwohnermeldeamt, welches besagen sollte, dass die Dame mir den Pass ausstellen dürfe. Mein zuständiges Amt war sehr schön - baulich attraktiv, nur nette Mitarbeiter. Das kleine Problem war aber bekanntlich, dass es 600 Kilometer weit weg lag und an einem Samstag selbstverständlich geschlossen war. Die Dame gab mir dann noch den freundlichen Rat, ob ich nicht jemandem kennen würde, der wiederum im Rathaus meiner Heimatgemeinde jemanden kennen würde. Zu diesem Zeitpunkt blieben noch 45 Minuten bis zur Schließung des am Samstagvormittag geöffneten Amtes. Ich dachte, dachte und dachte. Angestrengt grübelte ich, ob mir irgendetwas einfiele und beobachtete dabei aus dem Augenwinkel, wie der Sekundenzeiger an meinem linken Handgelenk tick-tack-tick unaufhaltsam seine Runden drehte. Da ich die meiste Zeit auf Reisen verbringe, beschränken sich die Bekanntschaften in meiner Heimatgemeinde auf meine kleine Familie, den Tankstellenshop-Verkäufer aus der Nachtschicht und den pickeligen Typ aus der Videothek. Das war’s, woher sollte ich denn „zufällig einen Mitarbeiter des Meldeamtes kennen? Also dachte ich weiter nach, mit Schweißperlen auf der Stirn... tick-tack-tick. Ich lehnte mich zurück und versuchte mich zu erinnern, ob ich nicht doch irgendjemanden aus meinem Heimatkaff kennen könnte, der jetzt noch in der Lage wäre, den Fall zu drehen. Und tatsächlich! Hätte ich es nicht selber erlebt, würde ich es mir an dieser Stelle vielleicht selbst nicht glauben: Meine Eltern hatten doch vor einem runden Jahrzehnt mal den Kontakt zu Freunden verloren, die in meinem Heimatort lebten. Und die hatten eine Tochter namens Kristine, die etwa in meinem Alter war. Kristine hatte ich selbst schon vor fast 20 Jahren aus den Augen und aus dem Sinn verloren. Ich erinnerte mich allerdings, einmal in irgendeinem dörfischen Käseblatt gelesen zu haben, dass sie einen in unserem Dorf kommunalpolitisch aktiven Mann geheiratet haben soll. Noch 20 Minuten blieben bis zur Schließung des Amtes. Ich entschied mich auf blauen Dunst, in ein Taxi zu springen und den Fahrer zu bitten, zum Amt zu rasen. Während der Fahrt versuchte ich unter gleichzeitiger Nutzung meiner beiden Mobiltelefone, alle abzutelefonieren, die mich zu Kristines Mann verbinden konnten, von dem ich in der Dorfzeitung gelesen hatte: meine Eltern, deren Freunde, mit denen meine Eltern vor zehn Jahren gebrochen hatten. Tatsächlich hatte ich bald Kristine am Telefon, die sich auf einer Fahrradtour durch Wald und Wiesen befand. Meine in Sekundenschnelle herunter gerasselte Problembeschreibung fand sie belustigend und in der Tat saß ihr Mann auf dem Rad neben ihr. Ich hatte richtig gelesen, er war tatsächlich in der Gemeindepolitik aktiv. Kirsten sagte, sie habe keine Ahnung, ob ihr Mann die benötigten Kontakte habe, aber sie würde da etwas versuchen. Hierfür blieben Kristine bis zum Vollzug maximal noch 15 Minuten, tick-tack-tick... . Schwitzend saß ich in meinem Anzug auf dem Beifahrersitz des Taxis. Draußen zogen Familien an mir vorbei, die das herrliche Sommerwetter auf dem Fahrrad, bei einem Spaziergang oder in einem Café genossen. Ich hingegen hielt noch immer in jeder Hand verkrampft ein Handy, wusste aber zum ersten Mal seit einer guten Stunde nicht, welcher Gesprächspartner mir im Moment noch weiterhelfen könnte. Fünf Minuten vor 12 Uhr rollte mein Taxi auf den Hof des gerade noch geöffneten Amtes. Als ich meine Hand nach der Tür des Amtes ausstreckte, klingelte mein Handy, im Display die Vorwahl meines Heimatortes: „Das Einwohnermeldeamt, schönen guten Tag! Ich hörte, Sie haben ein Problem, wie kann ich Ihnen weiterhelfen?" Unfassbar, Kristine hatte es geschafft und mit ihrem Mann tatsächlich eine Mitarbeiterin des Einwohnermeldeamtes dazu bewegen können, das Rathaus ausnahmsweise am Wochenende zu öffnen – und dies innerhalb weniger Minuten ab Eingang meines Notrufs. Dann ging alles sehr schnell und die freundlichen Damen vom Amt konnten mir meinen Ersatzpass ausstellen. Goldklumpen und Kamele hat’s dafür von mir nicht mehr gegeben, aber ein Dankeschön, wie es aufrichtiger nicht rüberzubringen war. Als kleinen Ausgleich für den ganzen Stress kam ich sogar noch in den Genuss eines sommerlichen Samstagnachmittags, bevor ich – erfrischend problemlos – mit dem Nachtflug an den Golf reiste und direkt aus dem Flugzeug ins Büro marschierte – und zwar pünktlich. Wieder einer dieser Reisetage, die mich um ein ganzes Lebensjahr altern lassen... .

    Fischhappen Nr. 2: Krawatten-Kalle und der Totengräberschlips

    Lebensabschnittsweise reiste ich derart häufig, dass ich im Monat gerade noch drei oder vier Tage zu Hause war und jeweils hälftig in Asien und Südamerika arbeitete. Um auf Reisen immer alles zu haben, was ich benötige, erfordert ein solcher Einsatzplan logistische Meisterleistungen. Man bedenke, nur die knappe Zeit daheim zum Wäschewaschen und das viele Zeug, das man für die zahlreichen geschäftlichen Anlässe in Übersee benötigt – insbesondere wenn eine Reise auch noch den Winter auf der Südhalbkugel und den Sommer auf der Nordhalbkugel einschließt. Gerade vor einiger Zeit wartete ich am Flughafen auf meinen Abflug nach Südamerika und schrieb derweil an einer der Geschichten für diese Sammlung, als plötzlich das Blitzen des polierten Anzugschuhs meines Sitznachbarn meine Aufmerksamkeit auf sich zog und ich schlagartig einen riesigen Schreck bekam, als ich merkte, dass ich bedauerlicherweise vergessen hatte, selbige meinem Reisegepäck hinzuzufügen. Verdammt, 15 Minuten vor dem Abflug am Flughafen passende Anzugschuhe der Größe 48 zu finden, ist etwa so unwahrscheinlich wie 15 Minuten vor dem Trauungstermin in der Fußgängerzone vor dem Standesamt noch die passende Frau kennen zu lernen. Habe immerhin Schuhe der Größe 46 gefunden. Es war eine schmerzhafte Reise, aber wenigstens sah ich dabei blendend aus. Während man mit solch gelegentlichen Lücken im Koffer dann und wann einmal rechnen muss, gibt es einige Reisen, bei denen das Vergessen von Teilen des Reisegepäcks ganz besonders peinlich ist. Eine solche führte mich ins nahe gelegene Köln. Ein wichtiger potenzieller Kunde hatte mich dorthin zu einem gemeinsamen Tag eingeladen, um Möglichkeiten einer vertieften Zusammenarbeit abzugleichen. Am zweiten Tag hatten wir dort außerdem einige Termine mit weiteren Geschäftspartnern, die wir gemeinsam wahrnehmen wollten. Natürlich hatte ich vor, den Kunden möglichst zu beeindrucken und eine gute Performance aufs Parkett zu legen. Am frühen Morgen machte ich mich auf den Weg zum heimischen Flughafen für den kurzen Hüpfer an den Rhein. In der Sicherheitskontrolle wollte ich nur noch schnell meine beiden Handys durchs Röntgengerät schieben und... meine Handys? Meine Handys, verdammt! Die lagen ja noch auf dem Nachtschrank neben meinem Bett! Oh nein, was für ein peinlicher Auftritt, ausgerechnet meine Telefone liegen zu lassen. Wenn ich es nicht einmal schaffe, diese zu einem Termin in Deutschland mitzubringen, was soll der Kunde dann von meiner Eignung halten, in weit entfernten Ländern Trainings in seinem Auftrag zu organisieren? Nun musste ich erstmal versuchen, meinen Kunden überhaupt zu treffen, ohne dass wir einen Treffpunkt noch telefonisch ausmachen konnten. Mit Müh und Not gelang dies und irgendwie schien er elegant über diesen Fauxpas hinwegzusehen. Der erste Tag diente zunächst noch dem ungezwungenen Kennenlernen, aber am zweiten Tag gab es ernsthafte Termine – dann selbstverständlich auch mit Dresscode und Krawatte. An jenem Morgen wachte ich auf und stellte mit Entsetzen fest, dass ich nicht nur meine Telefone, sondern auch sämtliche Krawatten zu Hause vergessen hatte. Was für ein Ärgernis und dabei war ausgerechnet ich es, der noch am Vortag mit dem Kunden über die Krawattenpflicht bei diesem Anlass sprach. Die

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