D9E - Die neunte Expansion: Parasit
Von Holger M. Pohl
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Über dieses E-Book
Unterschiedlichste Interessen prallen aufeinander.
Doch einem ist das gleichgültig, denn er kennt nur ein Ziel, eine Aufgabe: den uralten Plan eines Aan-Vechtulas und seines Partners zu erfüllen. Den Hondh muss Einhalt geboten werden!
Er bricht mit der Kampffestung Nomongent auf, um zu vollenden, was vor 2000 Jahren seinen Anfang nahm. Als Programm geboren, als Blauer wiedergeboren. Und doch ist er heute etwas ganz anderes. Sein Name ist Parasit.
Werkzeuge haben sich gefunden und werden zusammengeschmiedet. Für einen einzigen und letzten Zweck.
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Buchvorschau
D9E - Die neunte Expansion - Holger M. Pohl
Bisher erschienen:
Dirk van den Boom, Eine Reise alter Helden
Niklas Peinecke, Das Haus der blauen Aschen
Matthias Falke, Kristall in fernem Himmel
Nadine Boos, Der Schwarm der Trilobiten
Dirk van den Boom, Ein Leben für Leeluu
Niklas Peinecke, Die Seelen der blauen Aschen
Matthias Falke, Agenten der Hondh
Holger M. Pohl, Fünf für die Freiheit
Dirk van den Boom, Der sensationelle Gonwik
Niklas Peinecke, Die Sonnen der Seelen
Karla Schmidt, Ein neuer Himmel für Kana
Holger M. Pohl, Im Schatten der Hondh
Dirk van den Boom, 1713
Matthias Falke, Hinter feindlichen Linien
Dirk van den Boom, Das Springledeck-Gambit
Holger M.Pohl, Mengerbeben
Nadine Boos, Tanz um den Vulkan
Holger M.Pohl, Jene, die sich nicht beherrschen lassen
Susanne Schnitzler, Tödliche Geheimnisse
Dirk van den Boom, Tod einer Agentin
Holger M. Pohl, Ein uralter Plan
Stefan Cernohuby, Die Geister der Vergangenheit
Dirk van den Boom, Ruf der Evocati
Holger M. Pohl, Parasit
Holger M. Pohl
Parasit
D9E Band 24
(c) 2020 Wurdack Verlag, Nittendorf
www.wurdackverlag.de
Covergestaltung: Ernst Wurdack
Inhaltsverzeichnis
Parasit
Prolog: Der Schwamm
Werkzeuge finden sich
Werkzeuge geraten in den Fokus
Werkzeuge machen sich auf den Weg
Werkzeuge beginnen ihre Arbeit
Intermezzo: Ferne Vergangenheit
Intermezzo: Ferne Vergangenheit
Am Ende aller Dinge
Abschied von der Wasserwelt
Abschied alter Helden
Abschied in den Schlaf
Abschied und Neubeginn
Nachworte
Was am Ende bleibt ...
Alles Schöne hat einmal ein Ende ...
In eigener Sache …
Welt der 7 Ebenen
Prolog: Der Schwamm
Der Mengerraum ... der Schwamm ... der Hohe Raum ... das Zwischen-All … Bezeichnungen für das, was den überlichtschnellen Raumflug ermöglicht. Auf Pfaden, die am ehesten lebende Navigatoren verstehen. Doch was ist der Mengerraum?
Nichteuklidischer, global zehndimensionaler Raum, in dem Bewegung nur innerhalb lang gezogener Wurmlöcher möglich ist. Gerät ein Schiff zu nah an die Grenzen eines solchen Tunnels, reduziert sich seine Dimensionalität unter drei, was zu fatalen Folgen in Physik und Chemie und damit meist zur Zerstörung des Schiffs und dem Tod aller Insassen führt. In Kreuzungspunkten erhöht sich die lokale Dimensionalität, was manchmal zu Phänomenen wie überhöhter Lokalgravitation, Mikro-Gravitationslinsen und Reibungsverlust führen kann, die ebenfalls gefährlich, aber selten fatal sind.
Eine nüchterne, sachliche Erklärung. Sicherlich wahr und doch nicht alles. Manche Völker sehen im Mengerraum mehr als das. Manche halten ihn vielleicht sogar für etwas ... Lebendes. Vielleicht ist er das – auf seine Art. Möglicherweise ist dieser exotische Raum aber auch einfach nicht zu erklären und das, was ihn genau ausmacht, entzieht sich jeder Beschreibung, zu der ein organisches Lebewesen fähig ist. Und auch die Anorganischen wie die 1713, die Mechanische Hoheit, die KIs, die Karmans sind nicht in der Lage, den Mengerraum vollständig zu begreifen.
Alle aber spielen mit ihm. Lassen ihre Raumfahrzeuge auf Routen und Bahnen durch den Mengerraum fliegen und schädigen ihn dabei. Brennen mit ihren Schiffen Riefen und Kratzer in ein Gebilde, dessen wunderbare, unbeschreibliche Schönheit wohl nur die Navigatoren richtig erkennen und würdigen können und süchtig danach werden.
Vielleicht lebt der Mengerraum, vielleicht nicht, aber Tatsache ist, dass er sich alle paar Tausend Jahre rekonfiguriert. Oder reinkarniert. Oder regeneriert. Manchmal geschieht dies nur lokal, weil mehr nicht erforderlich ist. Manchmal aber auch vollständig. Das ist dann die Große Rekonfiguration. Alles wird hinweggespült; jeder Schaden beseitigt; alle Routen und Wege müssen neu berechnet werden. Für einen kurzen Zeitraum ist kein Überlichtflug mehr möglich – anschließend ist der Mengerraum wie neu. Er hat sich erholt und alles vergessen. Bis zur nächsten lokalen oder Großen Rekonfiguration. Dann beginnt es von vorne.
Lebt der Mengerraum? Vielleicht ja, vielleicht nein. Wer kann das schon mit Bestimmtheit sagen? Denn die Frage ist: Was genau bedeutet Leben?
Werkzeuge finden sich
»Wir müssen reden«, sagte Shelwin Klime und sah den Senuin an. Noch immer verstand der Mann von der Erde das Farbspiel nicht, das die Nachfahren der Aan-Vechtula versprühten. Manchmal glaubte er, eine Farbe einer Emotion zuordnen zu können, nur um kurz darauf eines Besseren belehrt zu werden. In diesem Moment zeigte Dasurgent ein mattes Gelb. Und Klime hatte nicht die geringste Ahnung, was der Anführer der von Pelorus geretteten Senuin ihm damit sagen wollte.
»Worüber?«, wollte Dasurgent schließlich wissen. Seine Stimme kam eindeutig aus Richtung seines Kopfes, doch wie Pelungart, der Hoc, oder die Keruen um Visenkort, besaß der Senuin keinen Mund.
»Nicht worüber. Über wen müsste deine Frage lauten.«
Das Gelb flackerte für einen Moment Orange, dann antwortete der Senuin nur mit einem Wort. Oder genauer gesagt, mit einem Namen. »Parasit.«
Klime nickte.
»Dir ist bewusst, dass er uns hört?« Dasurgents gesichtsloser Kopf ging nach oben und drehte sich. Bei jemandem mit Augen hätte man vermutlich gesagt, sein Blick glitt die Decke entlang. Aber Augen besaß der Senuin so wenig wie einen Mund oder eine Nase oder Ohren.
»Gibt es einen Ort, an dem wir ungestört reden können? Ohne dass er uns zuhört?«
Dasurgent schien einen Augenblick nachzudenken, dann machte er eine seltsam anmutende Bewegung mit seinen tentakelförmigen Armen. »Vielleicht. Folge mir!« Ohne weiter auf Klime zu achten, drehte er sich um und ging los.
»Wohin gehen sie?«
Parasit hatte Wolvs Kommen registriert, ohne dass er sich hatte umdrehen müssen. Die Kreatur hatte keine Geräusche verursacht, selbst sein Atmen war nicht zu hören. Dennoch hatte Parasit gewusst, dass er gekommen war. Als ob seine Sinne sich von Tag zu Tag veränderten oder verstärkten. Vielleicht war das vereinigte Etwas in seinem Inneren dafür verantwortlich. Vielleicht auch seine eigene Veränderung. Vielleicht auch beides. Eine der vielen ungeklärten Fragen. Aber wie so viele Fragen, war sie im Hier und Jetzt unbedeutend.
»Es stehen nicht alle Örtlichkeiten unter der Kontrolle der Nomongent-KI«, antwortete er schließlich. »Die Schiffe der Keruen zum Beispiel. Ich besitze dort noch keinen vollständigen Zugriff und Dasurgent weiß das.«
»Und du willst sie so einfach dorthin gehen lassen? Dir ist klar, dass sie ein konspiratives Gespräch führen werden. Weder die Senuin noch die Keruen sind damit einverstanden, dass du das Sagen auf der Kampffestung hast.«
»Und auf welcher Seite stehst du?«
Wolv bedachte ihn mit einem Blick, der amüsiert und nachdenklich zugleich war. »Im Augenblick auf deiner«, gab die Kreatur zur Antwort.
»Im Augenblick?«
»Ja.«
»Der Augenblick genügt für den Moment.« Parasit wandte sich wieder dem Bildschirm zu. Die KI der Kampffestung überwachte das gesamte Schiff. Oder fast das gesamte. Es war ihr jedoch problemlos möglich, dem Weg zu folgen, den der Senuin und der Mensch nahmen. Tatsächlich bewegten sie sich in die Richtung, die er erwartet hatte: zu einem der Hangars, in denen die wenigen verbliebenen Schiffe der Keruen lagen. Nachdem sie einen Großteil ihrer Flotte ausgeschlachtet hatten, um die Nomongent aufzurüsten, war ihnen nur noch ein paar Handvoll geblieben, mit denen die Keruen von ihrem Zainam, ihrer Heimatwelt, nach und nach an Bord der Kampffestung gebracht wurden.
Natürlich gingen Dasurgent und Klime nicht zu Fuß, dazu waren die Dimensionen der Nomongent zu gewaltig. Sie benutzten eine der Schnellverbindungen, die vom zentralen Modul zum Hangar in den Randbereichen der Kampffestung führte.
KI, wandte er sich an die Nomongent. Eine akustische Kommunikation war schon seit geraumer Zeit nicht mehr erforderlich.
Parasit, kam prompt die Antwort.
Wie steht es um die Keruen-Schiffe?
Die KIs werden weitgehend von mir kontrolliert, lediglich ein paar kleine Bereiche entziehen sich noch meinem Zugriff, doch das ist nur eine Frage der Zeit.
Muss ich eingreifen?
Das ist nicht erforderlich. Es wäre jedoch einfacher, wenn ich offen vorgehen könnte.
Das ist nicht zweckdienlich. Weder die Keruen noch die Senuin dürfen erfahren, dass ich die KIs der Keruen-Schiffe kontrolliere. Sie sollen sich sicher fühlen, damit sie denken, es gibt Orte, an denen sie frei von mir sind.
Verstanden.
Wie weit sind wir noch von unserem Ziel entfernt?
Wir werden es etwa in drei Tagen erreichen.
Früher, so wusste Parasit, hätten sie die Wasserwelt vermutlich noch schneller erreicht, als es der Nomongent sowieso schon möglich war. Aber früher war der Hohe Raum auch noch stabil gewesen. Doch die Große Rekonfiguration war im Gange. Und sie beschleunigte sich. Noch würde es einige Zeit dauern, bis sie ihren Höhepunkt erreichte und dann keine überlichtschnelle Raumfahrt mehr möglich war. Parasit wusste das aus den Informationen des vereinigten Etwas in ihm. Alle paar Tausend Jahre ereignete sich das. Diese mengerfreie Zeit, von der nicht vorherzusagen war, wie lange sie andauern würde, war der Zeitpunkt, an dem die Mengerbomben bereits an ihrem Ziel sein mussten. Sobald sich der rekonfigurierte Mengerraum neu zu entfalten begann, mussten sie gezündet werden. Dieser Zeitpunkt war nur schwer abzuschätzen und der Augenblick war tatsächlich nur ein Augenblick. Die Entfaltung verlief rasend schnell und anschließend würde der Schwamm so unbeschädigt sein wie nach jeder Rekonfiguration. Alle in ihn hineingefrästen Bahnen und Spuren würden verschwunden sein. Jungfräulich, ging es Parasit durch den Kopf. Oder wie der Phönix aus der Asche. Es würde keine mengerfreien Zonen mehr geben, weder natürliche noch künstliche. Das Heimatsystem der Aan-Vechtula würde ebenso wieder zu erreichen sein wie Hardan, wo die Sphäre der Blauen explodiert war, oder Angmar. Die Hondh würden ihren Vormarsch weiter fortsetzen. Unaufhaltsam. Unbesiegbar. Es sein denn ...
Es sei denn, alles geschah genau zu dem Zeitpunkt, an dem die Entfaltung begann. Dann würde der Schwamm vergessen, dass es die Systeme der Hondh gab.
»Sie sind bei den Schiffen angekommen«, hörte er Wolv sagen.
Parasit sah auf.
»Wir müssen ihn aufhalten«, begann Klime, nachdem sie das Keruen-Schiff betreten und einen Konferenzraum aufgesucht hatten. Visenkort, der Anführer der Keruen, war von Dasurgent informiert worden und hatte sich ihnen angeschlossen. Klime spürte die Spannungen zwischen Keruen und Senuin mehr, als dass er von ihnen wusste. Es waren die Wortwahl, die Körperhaltung, der Tonfall, die ihn zu dem Schluss hatten kommen lassen, dass eine solche Spannung bestand.
»Er kommandiert die Nomongent«, erwiderte Visenkort. »Die KI hat sich ihm völlig untergeordnet.«
Klime winkte ab. »Das weiß ich. Mir ist klar, dass es nicht einfach wird. Aber er muss aufgehalten werden.«
»Warum?«, wollte Dasurgent wissen. »Warum sollten wir ihn davon abhalten, den Plan Nomongents umzusetzen? Er wird uns – und nicht nur uns – Freiheit von den Hondh bringen.«
Klime lächelte. Er wusste nicht, ob die beiden ein menschliches Lächeln zu deuten wussten. »Dasurgent, ich sagte nicht, dass wir den Plan Nomongents nicht umsetzen sollten. Soweit ich ihn verstanden habe, stellt er tatsächlich eine Möglichkeit dar, die Galaxis für sehr lange Zeit hondhfrei zu machen. Aber ich frage mich, ob wir zulassen dürfen, dass Parasit ihn umsetzt. Er ist ...« Klime suchte nach einem Wort, das beschrieb, was er dachte. »Parasit wird rücksichtslos vorgehen«, fuhr er dann fort. »Es wird ihm gleichgültig sein, wer dabei draufgeht und wer überlebt.«
Das Farbspiel der beiden wurde intensiver. Klime vermutete schon länger, dass sie auf diese Art auch miteinander kommunizierten. Es fehlte ihm nur der Beweis, doch eine entsprechende Frage hatte ihm keiner der Regenbogenleute beantwortet. Ein Geheimnis, das sie nicht mit ihm teilen wollten.
»Was schlägst du vor, um ihn auszuschalten?«, wollte Dasurgent schließlich wissen.
»Er mag sein, was er will«, erwiderte Klime, »doch was immer er ist, er steckt im Körper eines Lebewesens. Nehmen wir ihm diesen Körper!«
»Du willst den Blauen töten?« Ein grelles Orange lief über die Körper des Senuin und des Keruen.
Klime nickte zögernd. »Im äußersten Notfall – ja. Aber davor gibt es noch andere Möglichkeiten.«
»Und welche?«
»Zuerst müssen wir Wolv ausschalten. Ich stelle es mir folgendermaßen vor ...«
Wolv lauschte dem, was er hörte. Und war ein wenig amüsiert und geschmeichelt. Offenbar sahen Klime und die Regenbogenleute eine Bedrohung in ihm. Vielleicht nicht direkt, aber doch indirekt, weil er so etwas wie Parasits Leibwächter war. Dabei war Wolv sich der Tatsache, dass der falsche Blaue einen solchen gar nicht benötigte, wohl bewusst. Die Nomongent konnte ihren Herrn und Meister durchaus alleine beschützen.
»Und was hast du nun vor?«, wollte er wissen, nachdem die konspirative Versammlung, die sich gegen Parasit und ihn verschworen hatte, beendet war.
»Nichts«, lautete Parasits lakonische Antwort. »Es hat sich nichts geändert.«
»Sie wollen uns ausschalten, vielleicht sogar töten!«, erinnerte Wolv.
Ein fast schon überheblicher Blick aus den orangefarbenen Augen traf ihn. »Da wir das nun wissen, sind wir vorbereitet.«
»Sind wir das?«
»Ja.«
»Wir verlassen den Hohen Raum.« Die Stimme der KI der Nomongent war überall an Bord zu hören.
Klime hielt sich im zentralen Kommandomodul auf und warf einen Blick auf den großen Hauptbildschirm. Im Augenblick war nichts anderes zu sehen, als das seltsame, unwirkliche Farbspiel des Mengerraums. Es hat sich aber verändert, dachte er. Als er zum ersten Mal zu einem Überlichtflug aufgebrochen war – fünfhundert Jahre früher, in einem anderen Leben – war das Farbspiel gleichmäßiger, ruhiger gewesen. Nun wirkte es unstet, ruckhaft flackernd. Ein Zeichen der bevorstehenden Großen Rekonfiguration? Vielleicht hätte Carlisle, der Navigator der Interceptor, ihm mehr dazu sagen können. Wie es ihm wohl gehen mochte? Wie es den anderen wohl gehen mochte? Und Delilah? Der Gedanke an die Loganerin versetzte ihm einen Stich ins Herz. Vielleicht hätte er sie und Ta’Engos doch begleiten sollen, als sie sich mit dem M-MELK in Richtung der freien Welten aufmachten.
Seine Gedanken wurden unterbrochen, als das Farbspiel auf dem Bildschirm jäh erlosch und dem sternenübersäten Schwarz des Normalraums Platz machten. In der Mitte des Bildschirms war ein Stern größer und deutlicher zu sehen. Die Sonne, um die die Wasserwelt, die ihr Ziel war, kreiste.
»Ich nehme Langstreckenscans vor«, ließ die KI sich vernehmen.
»Wie weit vor dem System stehen wir?«, fragte Klime Dasurgent, der sich in seiner Nähe aufhielt. Nach wie vor konnte der Mensch die Schrift- und Zahlenzeichen der Aan-Vechtula nicht entziffern.
»Zehn deiner Lichtmonate vor der Umlaufbahn des äußersten Planeten«, antwortete der Senuin.
Klime pfiff durch die Zähne. Zehn Lichtmonate waren eine enorme Entfernung. Kein Schiff der Hegemonie hätte auf diese Entfernung mehr als nur sehr grobe Eindrücke des Sonnensystems sammeln können. Aber die Nomongent war kein Hegemonie-Schiff. Sie war eine Kampffestung der Aan-Vechtula und auch wenn die meisten ihrer technischen Einrichtungen uralt waren, so waren sie denen der Menschen und anderer Völker der Jetztzeit weit überlegen. Es wunderte Klime nicht, dass Valon und Den Haag diese Technologien zu gerne in ihrem Besitz gehabt hätten.
»Ich registriere eine hohe Schiffsdichte in dem System«, meldete die KI in diesem Moment. »Zumeist kleinere Einheiten, kleiner als die Danusa, und dazu ein größeres Schiff um den Planeten und ein Großschiff am Systemrand.«
Klime erschrak. »Ein Schlachtschiff der Hondh?«, entfuhr es ihm.
»Nein. Dazu passen die Energiesignaturen nicht.«
»Kannst du Einzelheiten ausmachen?«, ließ sich eine bekannte Stimme vernehmen.
Klime drehte den Kopf. Ohne dass sie es bemerkt hatten, hatten Parasit und sein Schatten Wolv das Kommandomodul betreten. Die Kreatur nickte Klime zu, und ein spöttisches Lächeln umspielte dabei ihre Lippen.
»Nein. Dazu sind wir noch zu weit entfernt. Die Größe der Schiffe erkenne ich an ihren Energiesignaturen, mehr kann ich jedoch noch nicht sagen. Es kann sich allerdings durchaus um feindliche Schiffe handeln. Es ist nicht völlig auszuschließen, wenn auch unwahrscheinlich, dass die Hondh sich nicht nur der uns bekannten Schiffstypen bedienen.«
»Aktiviere den Ortungsschutz und nähere dich dem System so weit, dass du mehr über die Schiffe herausfinden kannst. Wir müssen wissen, um wen es sich handelt.« Parasit gab seinen Befehl mit ruhiger, fast gleichgültiger Stimme.
»Ich bestätige«, kam es von der KI. »Eintritt in den Hohen Raum.«
Die Sterne verschwanden vom Bildschirm und das Farbspiel des Mengerraums erschien. Aber nur für ein paar Augenblicke. Dann stand erneut die Sonne ihres Zielsystems im Mittelpunkt. War der Lichtpunkt größer geworden? Klime hatte diesen Eindruck, aber es konnte auch nur an einem geänderten Zoomfaktor der Kamera liegen, die das Bild aufnahm.
»Ein Lichtmonat«, hörte er Dasurgents leise Stimme neben sich.
»Erneute Langstreckenscans laufen«, meldete die KI. »Ich erkenne nach wie vor keine Signaturen von Hondh-Schiffen. Die meisten Schiffe umkreisen in unterschiedlichen Umlaufbahnen die Wasserwelt. Das Großschiff am Systemrand erscheint mir jedoch seltsam.«
»Seltsam?«, hörte Klime sich unvermittelt fragen.
»Seine Energieausstrahlung insgesamt ist enorm, ich registriere jetzt jedoch, dass sie von zahlreichen einzelnen Energiequellen kommt.«
»Kannst du das Schiff auf dem Bildschirm darstellen?«, fragte Parasit.
»Ich bemühe mich.«
Klime grinste in sich hinein. Eine KI sagen zu hören, dass sie sich bemühte, hatte etwas Absurdes an sich. KIs waren Maschinen. Wobei, wenn ich an Karmans denke, bin ich mir da nicht so sicher. Für einen kurzen Moment sah Klime Ganges vor seinem geistigen Auge. Wie mochte es diesem und Go’Satis gehen? War ihr Bemühen, Menom Dalbert zu retten, von Erfolg gekrönt gewesen? Doch so schnell Ganges’ Bild entstanden war, so schnell verschwand es auch wieder. Später, wenn es ein Später gab, konnte Klime sich mit dieser Frage beschäftigen. Er konzentrierte sich wieder auf den Hauptschirm und das, was dort zu sehen war. Ein Raumschiff von unbekannter Form. Es wirkte seltsam verdreht und ...
»Das Schiff ist etwa einen Kilometer lang und verändert seine Außengestalt laufend. Alles ist in Bewegung.«
Ja, genau so sieht es aus und daher wirkt wohl auch alles verdreht. Klime betrachtete aufmerksam das Bild.
»Die neuen Ortungsdaten lassen darauf schließen, dass es kein kompaktes Gebilde ist. Vielmehr handelt es sich um zahlreiche Einzelkörper, die sich zu einem großen Ganzen zusammengefunden haben. Etwas, das wie ein Raumschiff erscheint, jedoch keines ist.«
Klime drehte den Kopf und begegnete Wolvs Blick. Die Kreatur zeigte ein ausdrucksloses Gesicht.
»Module, die nicht fest verbunden sind?«, fragte Dasurgent.
»Nein«, antwortete die KI. »Einzelkörper im Sinne des Wortes. Raumschiffe eindeutig, die jedoch unglaublich dicht zusammenstehen.« Und dann, nach einer kurzen Pause, fügte die KI hinzu: »Zudem stelle ich dort eine hohe Konzentration von Exonium fest.«
»Diese Einzelkörper bestehen aus Exonium?« Klime konnte das nicht glauben.
»Nein. Im Inneren dieser Raumschiffe lagert eine große Menge Exonium. Eine sehr große Menge.«
Plötzlich stand Pelungart an seiner Seite. »Können diese Einzelkörper Roboterschiffe sein?«
Klime schüttelte den Kopf. »Möglich wäre das, aber mehr als unwahrscheinlich. Die 1713 sind Geschichte, und dass es die Mechanische Hoheit ist, glaube ich nicht.« Er sah dem Hoc ins formlose Gesicht. »Aber warum fragst du?«
»Weil die 1713 Exonium gesammelt haben. Für die Menschen und ihren Krieg gegen die Hondh. Wenn ich Parasit richtig verstanden habe, dann ist diese Wasserwelt von Menschen besiedelt. Vielleicht sind sie es, für die die 1713 das exotische Material gesammelt haben.«
Exonium, dachte Klime. Immer wieder Exonium. M-MELK und nun das. Aber ... Laut sagte er: »Wie ich schon sagte, die 1713 existieren nicht mehr. Und außer ihnen und der Mechanischen Hoheit gibt es keine andere Roboterzivilisation.«
»Zumindest keine, von der wir wissen«, kam es von Wolv, der zu ihnen gekommen war. »Aber vielleicht gibt es noch andere.«
Sich der Tatsache bewusst, wie irrational es war, ging Klime in einen Widerspruchsmodus: »Gäbe es eine andere, hätten wir sie längst entdeckt, Wolv. Wir oder ein anderes Volk. Du redest Unsinn.«
Die Kreatur lächelte überheblich. »Wir werden sehen, ob es Unsinn ist.«
»Die zur Verfügung stehenden Ortungsdaten sind ausgewertet«, meldete die KI. »Bei den Einzelkörpern handelt es sich in der Tat um selbstständig agierende Roboterschiffe. Ihr Verbund ist locker, aber doch fest genug, dass sie wie ein kompakter Körper wirken. Zudem werden sie synchron oder sogar zentral gesteuert.«
Wolv nickte Klime zu. Siehst du, ich hatte recht, wollte er dem Menschen damit signalisieren. Ihr Verhältnis hatte sich trotz der Ereignisse auf der Danusa auf der Flucht aus dem Pelorus-System nicht gebessert. Doch das war Wolv gleichgültig. Er war nicht an Bord der Nomongent geblieben und hatte die Reise mitgemacht, um mit Klime Freundschaft zu schließen. Kreaturen konnten sich keine Freundschaften leisten.
»Besteht Funkverkehr zwischen diesen Schiffen und den anderen im System? Oder mit dem Planeten selbst?«
»Nein, im Moment nicht?«
»Haben sie uns schon bemerkt?«
Die KI antwortete nicht sofort, und das überraschte Wolv. Er sah zu Parasit, der teilnahmslos und schweigend dastand. Doch das hatte bei dem falschen Blauen nichts zu bedeuten. Parasit konnte mit der KI kommunizieren, ohne dass jemand es bemerkte. Es hätte Wolv nicht einmal sonderlich verwundert, wenn Parasit längst mit diesen Robotern in Kontakt gestanden hätte.
»Das kann ich nicht mit Bestimmtheit bejahen oder verneinen«, kam es schließlich von der KI der Nomongent. »Aus dem Systeminneren sicher nicht. Doch bei diesen Roboterschiffen ist eine Aussage schwerer. Sie besitzen eine Technik, die, soweit ich es feststellen konnte, Ähnlichkeit mit manchen Komponenten besitzt, die in mir verbaut sind. Vermutlich haben sie denselben Ursprung.«
»Aan-Vechtula-Technologie?«, fragte Dasurgent. Ein Violett floss über seinen Kopf.
»Nein.«
Parasit hörte zu, ohne selbst etwas zu dem Gespräch beizutragen. Er stand, ganz wie von Klime vermutet, im Kontakt mit der KI der Kampffestung und erfuhr dabei noch wesentlich mehr als diejenigen, die sich sonst noch im Zentralmodul aufhielten.
Die 1713 sind tot, dachte er. Die Mechanische Hoheit mischt sich in dieser Form nicht ein. Die Entarteten haben einen anderen Weg gewählt. Aber ich spüre eine Verwandtschaft zu dem, was dort zu sehen ist. Er verbesserte sich aber schnell. Nein, sie sind nicht mit mir verwandt. Sie sind mit dem Etwas in mir verwandt.
Wie die Aan-Vechtula wusste auch Parasit seit geraumer Zeit, dass in der Nomongent nicht nur Technik der Aan-Vechtula verbaut war. Es betraf zwar nur wenige Teile des gigantischen Schiffes, aber doch mehr, als die Senuin und Keruen bereits kannten. Wie etwa den Ortungsschutz, der ihnen bei Pelorus gute Dienste geleistet hatte. Parasit spürte, wie diese Teile zu erwachen begannen. Obwohl natürlich erwachen der falsche Begriff war. Das Etwas war erwacht, doch die Systemkomponenten, die jetzt begannen sich zu regen, wurden aktiviert. Als hätten sie nur auf einen Impuls gewartet, der den Anstoß dazu gab.
Werkzeuge, dachte